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5 Der Kopf des Aethiopiers

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Endlich hatten die Herolde und Vorläufer der Sonnenkönigin ihr Werk getan und die Schatten in die Flucht gejagt. Nun erhob sie sich strahlend aus ihrem Meeresbett und überflutete die Erde mit Licht und Wärme. Ich saß im Boot, lauschte dem leisen Plätschern des Wassers und sah zu, wie die Sonne aus dem Meer stieg, als sich unversehens die Felskuppe am Ende des von uns unter so großer Gefahr umschifften Vorgebirges zwischen mich und das majestätische Bild schob und es meinem Blick entzog. Ich starrte, tief in Gedanken versunken, weiter vor mich hin, bis plötzlich mein Blick auf die sich scharf vom hellen Himmel abhebenden Umrisse der Felskuppe fiel und ich zusammenzuckte, denn ich bemerkte, daß die Spitze des Felsens, der etwa achtzig Fuß hoch war und an seiner Basis hundertfünfzig Fuß Umfang haben mochte, wie ein Negerkopf geformt war, dessen Gesicht einen teuflischen, schreckenerregenden Ausdruck hatte. Es gab keinen Zweifel; klar hoben sich die wulstigen Lippen, die dicken Backen und die platte Nase von dem glühenden Hintergrund ab. Und da war auch der runde Schädel, dem wohl Wind und Wetter in Tausenden von Jahren seine Gestalt verliehen hatten, und um die Ähnlichkeit zu vollenden, wucherte darauf ein Gestrüpp von Unkraut oder Flechten, das dem Kraushaar eines riesigen Negers glich. Es war ein überaus seltsames Bild; so seltsam, daß ich heute annehme, es handle sich nicht um eine Laune der Natur, sondern um ein gigantisches Denkmal wie die ägyptische Sphinx, das ein vergessenes Volk aus dem Felsen schlug, vielleicht zur Abschreckung von Feinden, die sich von der See her näherten. Leider gelang es uns nicht festzustellen, ob dies der Fall war, denn der Felsen war sowohl von der Land- wie von der Wasserseite her sehr schwer zugänglich, und wir hatten auch Wichtigeres zu tun. Ich persönlich bin angesichts dessen, was wir später sahen, der Meinung, daß er von Menschenhand geformt wurde, doch wie dem auch sein mag – er steht dort und starrt düster von Jahrhundert zu Jahrhundert hinaus aufs Meer. Er stand dort schon vor zweitausend und mehr Jahren, als Amenartas, die ägyptische Prinzessin und Gemahlin von Leos fernem Vorfahren Kallikrates, sein teuflisches Gesicht erblickte, und ich zweifle nicht daran, daß er dort noch stehen wird, wenn so viele Jahrhunderte, wie zwischen ihrem und unserem Tag liegen, dem Jahr unseres Todes hinzugezählt werden.

»Was sagst du dazu, Job?« fragte ich unseren Diener, der, sich sonnend und düster vor sich hinstarrend, auf dem Bootsrand saß, und deutete auf den unheimlichen Kopf.

»O mein Gott, Sir«, erwiderte Job, der ihn jetzt erst erblickte, »der Teufel selbst muß dafür Modell gesessen haben.«

Ich lachte und weckte damit Leo auf.

»Nanu«, sagte er, »was ist denn mit mir los? Ich bin ja ganz steif – wo ist die Dhau? Gebt mir bitte einen Kognak.«

»Sei froh, daß du nicht noch steifer bist, mein Junge«, antwortete ich. »Die Dhau ist untergegangen, und alle anderen, bis auf uns vier, sind ertrunken. Und du wurdest nur durch ein Wunder gerettet.« Und während Job in einem Spind nach dem Kognak suchte, berichtete ich ihm von unserem nächtlichen Abenteuer.

»Großer Gott!« sagte er leise. »Kaum zu glauben, daß gerade wir dazu auserkoren wurden, zu überleben!«

Job brachte die Kognakflasche, und wir taten alle einen tiefen Zug daraus. Auch die Sonne gewann jetzt an Kraft und durchwärmte unsere starren Glieder, wofür wir sehr dankbar waren, denn immerhin waren wir nun seit über fünf Stunden völlig durchnäßt.

»Sieh da«, sagte Leo, als er tief aufatmend die Flasche vom Mund nahm, »da ist ja dieser Kopf, von dem die Inschrift auf der Scherbe spricht, der ›wie der Kopf eines Äthiopiers geformte Felsen‹.«

»Ja«, sagte ich, »da ist er.«

»Ausgezeichnet«, erwiderte er. »Dann ist auch alles andere wahr.«

»Ich bin nicht so sicher, daß man dies daraus schließen kann«, sagte ich. »Daß dieser Kopf hier ist, wußten wir ja; denn dein Vater hat ihn gesehen. Höchstwahrscheinlich ist es aber nicht derselbe Kopf, von dem auf der Scherbe die Rede ist; und selbst wenn er es wäre, so würde das nichts beweisen.«

Leo lächelte überlegen. »Du bist ein ungläubiger Thomas, Onkel Horace«, sagte er. »Nun, wir werden ja sehen.«

»Das meine ich auch«, antwortete ich. »Doch jetzt richte bitte deine Aufmerksamkeit auf jene Sandbank, über die wir in die Flußmündung treiben. Nimm dein Ruder, Job. Wir wollen hineinrudern und uns nach einem Platz zum Landen umsehen.«

Die Flußmündung, in der wir uns jetzt befanden, schien nicht sehr breit zu sein, doch infolge der langen Nebelschwaden, die immer noch über ihren Ufern hingen, konnten wir ihre genauen Ausmaße nicht erkennen. Wie in den meisten ostafrikanischen Flußmündungen befand sich auch in dieser eine ausgedehnte Sandbank, die zweifellos bei Landwind oder Ebbe selbst für Boote mit sehr niedrigem Tiefgang unpassierbar war. Uns behinderte sie jedoch kaum, und wir gelangten leicht über sie hinweg. In etwa zwanzig Minuten hatten wir es geschafft und wurden von einem starken, wenn auch etwas veränderlichen Wind weiter stromauf getrieben. Mittlerweile hatte die heiß herniederbrennende Sonne den Nebel verscheucht, und wir sahen, daß die Flußmündung an dieser Stelle etwa eine halbe Meile breit war. Die beiden Ufer waren sumpfig und wimmelten von Krokodilen, die regungslos wie Baumstämme im Schlamm lagen. Ungefähr eine Meile vor uns entdeckten wir jedoch einen Streifen festen Landes, auf den wir zusteuerten. Nach einer weiteren Viertelstunde erreichten wir ihn und banden das Boot an einen schönen Baum, der breite glänzende Blätter und magnolienartige Blüten hatte, nur daß sie nicht rötlich* waren. Wir stiegen an Land, zogen uns aus, wuschen uns und breiteten unsere Kleider sowie den Inhalt des Bootes in der Sonne zum Trocknen aus. Sodann ließen wir uns im Schatten einiger Bäume nieder, bereiteten uns aus den Büchsen mit eingemachter Zunge, von denen wir einen ansehnlichen Vorrat besaßen, ein kräftiges Frühstück und beglückwünschten uns, daß wir am Tag zuvor, ehe der Orkan die Dhau zerstörte, unsere Sachen und den Proviant in das Walboot umgeladen hatten. Als wir mit dem Essen fertig waren, schlüpften wir in unsere indessen getrockneten Kleider und fühlten uns wie neugeboren. Sieht man von unserer Müdigkeit und einigen Schrammen ab, so hatten wir das schreckliche Abenteuer, das unsere Gefährten das Leben kostete, heil überstanden. Leo war zwar halb ertrunken, doch für einen kräftigen jungen Mann von fünfundzwanzig Jahren ist das keine große Sache.

Nach dem Frühstück hielten wir Umschau. Wir befanden uns auf einem zweihundert Meter breiten und fünfhundert Meter langen Streifen trockenen Landes, der auf der einen Seite vom Fluß und auf der anderen, so weit das Auge reichte, von endlosen öden Sümpfen begrenzt war. Dieser Landstreifen war etwa fünfundzwanzig Fuß höher als der Fluß und die ihn umgebenden Sümpfe, und es sah fast so aus, als sei er von Menschenhand angelegt.

»Dies war einst ein Landeplatz für Schiffe«, sagte Leo mit Bestimmtheit.

»Unsinn«, erwiderte ich. »Wer wäre denn so töricht, inmitten dieser schrecklichen Sümpfe in einem – falls überhaupt – von Wilden bewohnten Land einen Landeplatz zu bauen?«

»Vielleicht waren hier nicht immer Sümpfe, und vielleicht haben hier nicht immer Wilde gelebt«, sagte er trocken und blickte das steile Ufer hinab. »Sieh dir das an«, fuhr er fort und deutete auf eine Stelle, wo der Orkan der vergangenen Nacht einen Magnolienbaum entwurzelt und ein großes Stück Erde aus dem Ufer herausgerissen hatte. »Ist das nicht Mauerwerk? Wenn nicht, so sieht es doch ganz ähnlich aus.«

»Unsinn«, sagte ich wiederum, kletterte jedoch mit ihm zu der Stelle hinunter, und wir traten zwischen die herausgerissenen Wurzeln und das Ufer.

»Nun?« sagte er.

Diesmal gab ich keine Antwort, sondern pfiff nur leise durch die Zähne, denn an dem Fleck, wo die Erde sich gelöst hatte, sah man deutlich solides Mauerwerk aus mit braunem Zement verbundenen Steinblöcken, und der Zement war so hart, daß er sich mit der Feile meines Jagdmessers nicht ritzen ließ. Doch das war noch nicht alles; irgend etwas schimmerte durch die Erde am unteren Rand des Mauerwerks, und als ich die Erde wegschob, kam ein riesiger Steinring zum Vorschein, der etwa einen Fuß im Durchmesser maß und ungefähr drei Zoll dick war. Ich war sprachlos.

»Meinst du nicht auch, Onkel Horace, daß dies einmal ein Anlegeplatz war, an dem recht große Schiffe festgemacht haben?« sagte Leo grinsend.

Diesmal blieb mir mein ›Unsinn‹ in der Kehle stecken – der Ring sagte genug. In fernen Zeiten mußten hier wirklich Schiffe gelegen haben, und diese Steinmauer war zweifellos der Rest eines massiven Kais. Vermutlich lag die dazugehörige Stadt unter den Sümpfen begraben.

»Es scheint fast, als ob an der Geschichte doch etwas dran ist, nicht war Onkel Horace?« sagte Leo triumphierend. Ich dachte an den mysteriösen Negerkopf und ging nicht darauf ein.

»Gewiß«, sagte ich, »gibt es in einem Land wie Afrika mancherlei Überreste längst versunkener und vergessener Kulturen. Niemand kennt das Alter der ägyptischen Kultur, die sich sicherlich weit ins Innere des Landes ausgebreitet hat. Außerdem gab es die Babylonier und Phönizier und Perser und viele andere mehr oder weniger kultivierte Völker, ganz zu schweigen von den Juden, die heute in der ganzen Welt verstreut sind. Möglicherweise hatte eines dieser Völker hier Kolonien oder Handelsniederlassungen. Denke doch an die versunkenen persischen Städte bei Kilwa, die uns neulich der Konsul zeigte.«*

»Ganz recht«, sagte Leo, »aber vorhin hast du etwas völlig anderes gesagt.«

»Schön – aber was wollen wir jetzt anfangen?« fragte ich, das Thema wechselnd.

Leo schwieg, und wir gingen zum Rand des Sumpfes und sahen uns dort ebenfalls um. Er schien grenzenlos, und hier und dort flatterten aus ihm ungeheure Schwärme wilder Wasservögel der verschiedensten Art auf, die zuweilen fast den Himmel verdunkelten. Die Sonne stand jetzt hoch am Firmament, und in der Hitze stiegen dünne, widerliche Wolken giftiger Dünste von der Oberfläche des Sumpfes und den schaumbedeckten trägen Tümpeln auf.

»Zweierlei ist klar«, sagte ich zu meinen drei Gefährten, die angewidert das Schauspiel betrachteten, »erstens, daß wir durch diesen Sumpf nicht hindurchkommen, und zweitens, daß wir, falls wir hierbleiben, am Fieber sterben werden.«

»Das ist klar wie Tinte, Sir«, sagte Job.

»Gut, dann gibt es also nur zwei Möglichkeiten. Entweder kehren wir um und versuchen, mit unserem Boot irgendeinen Hafen anzulaufen, was allerdings ein ziemlich riskantes Unternehmen wäre, oder wir segeln oder rudern weiter stromauf und warten ab, wohin wir kommen.«

»Ich weiß nicht, was ihr vorhabt«, sagte Leo entschlossen, »ich jedenfalls fahre den Fluß hinauf.«

Job verdrehte die Augen und stöhnte, und der Araber murmelte ebenfalls stöhnend »Allah«. Was mich betrifft, so bemerkte ich gelassen, daß es in unserer Lage ganz gleich sei, wohin wir gingen. Doch in Wirklichkeit brannte ich nicht weniger darauf, die Reise fortzusetzen, als Leo. Der riesige Negerkopf und der steinerne Anlegeplatz hatten derart meine Neugier angeregt, daß ich fest entschlossen war, sie um jeden Preis zu befriedigen. So bestiegen wir denn wieder unser Boot, verstauten alles, richteten den Mast auf, legten unsere Gewehre bereit und setzten unsere Fahrt fort. Glücklicherweise wehte der Wind vom Meer landeinwärts, so daß wir das Segel hissen konnten. Wie wir später herausfanden, wehte der Wind meistens bei Tagesanbruch einige Stunden lang landeinwärts und bei Sonnenuntergang seewärts, was ich mir nur so erklären kann, daß, wenn die Erde durch den Tau und die Nacht abgekühlt war, die heiße Luft nach oben stieg und der Wind vom Meer hereindrang, bis die Sonne auch ihn erwärmt hatte.

Unter Ausnützung dieses günstigen Windes segelten wir drei oder vier Stunden lang rasch stromauf. Einmal stießen wir auf eine Herde Flußpferde, die sich aufrichteten und uns so schrecklich anbrüllten, daß es Job und, wie ich gestehen muß, auch mir angst und bange wurde. Es waren die ersten Flußpferde, die wir gesehen hatten, und nach ihrer Neugier waren wir auch die ersten weißen Menschen, die sie zu Gesicht bekamen. Ein oder zwei Mal fürchtete ich fast, sie würden zu uns ins Boot kommen, um ihre Neugier zu stillen. Leo wollte auf sie schießen, doch ich brachte ihn davon ab, denn ich fürchtete die Folgen. Wir sahen auch Hunderte von Krokodilen, die sich am schlammigen Ufer sonnten, und aber Tausende von Wasservögeln. Wir erlegten einige davon, darunter eine Wildgans, die außer scharfen Sporen an den Flügeln auch zwischen den Augen einen dreiviertel Zoll langen Sporn hatte. Wir schossen keine zweite dieser Art, und so weiß ich nicht, ob es sich um eine Laune der Natur oder um eine besondere Spezies handelte. Job gab ihr den Namen ›Einhorngans‹.

Gegen Mittag wurde es unerträglich heiß, und aus den Sümpfen, die den Fluß säumten, stieg ein so gräßlicher Gestank auf, daß wir sogleich zur Vorsicht eine tüchtige Portion Chinin schluckten. Bald darauf flaute der Wind gänzlich ab, und da nicht daran zu denken war, unser schweres Boot in der Hitze gegen den Strom zu rudern, waren wir froh, am Ufer eine Gruppe weidenartiger Bäume zu entdecken. Wir legten uns in den Schatten darunter und ruhten uns, nach Luft schnappend, aus, bis der Sonnenuntergang unserer Qual ein Ende bereitete. Weiter stromauf sahen wir eine weite Wasserfläche, und wir beschlossen, erst einmal dorthin zu rudern und uns dann zu überlegen, wie wir die Nacht verbringen sollten. Gerade als wir das Boot losmachen wollten, kam jedoch in etwa fünfzig Meter Entfernung ein schöner Wasserbock mit großen, nach vorn gekrümmten Hörnern und einem weißen Streifen auf dem Rücken an den Fluß, um zu trinken. Trotz unserer Nähe bemerkte er uns nicht. Leo erblickte ihn zuerst, und als passionierter Jäger, der schon seit Monaten darauf versessen war, solch ein edles Wild vor die Flinte zu bekommen, richtete er sich sofort auf und verharrte reglos wie ein Jagdhund. Ich reichte ihm sein Jagdgewehr und ergriff auch das meine.

»Los«, flüsterte ich, »aber schieß ja nicht vorbei.«

»Vorbei!« erwiderte er flüsternd. »Das könnte ich nicht einmal, wenn ich wollte.«

Er legte an, und der rotbraune Bock, der sich inzwischen sattgetrunken hatte, hob den Kopf und blickte über den Fluß. Er stand auf einer kleinen Anhöhe, die sich durch den Sumpf zog und anscheinend gern vom Wild benützt wurde, und hob sich von dem roten Abendhimmel ab. Es war ein wunderbares Bild, und ich glaube, daß ich diesen faszinierenden Anblick, selbst wenn ich hundert Jahre alt werde, nie vergesse. Rechts und links breiteten sich unabsehbare, tödliche Dünste verströmende Sümpfe aus, da und dort von Tümpeln schwarzen unbewegten Wassers unterbrochen, die wie Spiegel die roten Strahlen der untergehenden Sonne zurückwarfen. Hinter und vor uns wälzte sich träge der Fluß dahin, auf eine schilfumsäumte Lagune zu, auf deren Oberfläche eine sanfte Brise mit den langen Abendschatten spielte. Im Westen hing der riesige rote Feuerball der Sonne, der eben hinter dem dunstigen Horizont versank und den weiten Himmel, über den Kraniche und Wildvögel dahinzogen, golden und blutigrot färbte. Und inmitten dieser unendlichen Einöde wir – drei moderne Engländer in einem modernen englischen Boot –, und vor uns, klar abgehoben vom Abendhimmel, der edle Bock.

Paff! Mit mächtigen Sätzen eilt er davon. Leo hat ihn verfehlt. Paff! Wieder vorbei. Nun ist die Reihe an mir, doch er flitzt dahin wie ein Pfeil, schon über hundert Meter weit entfernt. Beim Himmel! Er strauchelt und überstürzt sich! »Es scheint, Master Leo, ich habe ein besseres Auge als du«, sage ich und kämpfe gegen den unedlen Jubel an, der in einem so herrlichen Moment selbst in der Brust des wohlerzogensten Sportsmannes aufsteigt.

»Verflucht, ja«, knurrte Leo; doch dann huscht rasch ein Lächeln über sein Gesicht, und er fügt hinzu: »Verzeih, alter Junge. Ich gratuliere dir; es war ein prächtiger Schuß, und die meinen waren nichts wert.«

Wir sprangen aus dem Boot, liefen zu dem Bock und stellten fest, daß die Kugel ihn ins Rückgrat getroffen hatte. Wir brauchten über eine Viertelstunde, um ihn zu reinigen und so viel von dem besten Fleisch herunterzuschneiden, wie wir tragen konnten. Nachdem wir es im Boot verstaut hatten, blieb uns gerade noch genügend Zeit, um zu der Lagune zu rudern, zu welcher sich der Fluß, an dieser Stelle in den Sumpf vorstoßend, erweiterte. Als wir etwa dreißig Faden vom Ufer Anker warfen, verschwand das Licht. An Land zu gehen, wagten wir nicht, da wir nicht wußten, ob wir trockenen Boden zum Kampieren finden würden, und außerdem fürchteten wir die giftigen Ausdünstungen der Sümpfe, vor denen wir auf dem Wasser sicherlich besser geschützt waren. So entzündeten wir eine Laterne, verspeisten zum Abendbrot wieder eine eingemachte Rindszunge und versuchten sodann zu schlafen, was jedoch, wie wir bald feststellen mußten, unmöglich war. Ob sie durch die Laterne angelockt wurden oder durch den ungewohnten Geruch weißer Männer, auf die sie seit tausend Jahren gewartet hatten, weiß ich nicht; jedenfalls wurden wir plötzlich von Zehntausenden der blutdürstigsten und größten Moskitos, die mir je untergekommen sind, angegriffen. In ganzen Wolken stürzten sie sich auf uns und stachen und summten, bis wir fast verrückt wurden. Tabakqualm schien sie nur noch mehr anzustacheln, und schließlich blieb uns nichts anderes übrig, als uns bis über den Kopf in Decken einzuhüllen und uns schwitzend und kratzend und fluchend ihrer zu erwehren, so gut es ging. Während wir so saßen, ertönte plötzlich wie ein Donnergrollen in der Stille das Brüllen eines Löwen, dem gleich darauf das eines zweiten folgte; anscheinend schlichen die beiden durch das etwa sechzig Meter von uns entfernte Uferschilf.

»Ein Glück«, sagte Leo, seinen Kopf aus der Decke hervorstreckend, »daß wir nicht an Land sind, was, Onkelchen?« (So pflegte Leo mich zuweilen in seiner respektlosen Art zu nennen.) »Verdammt! Ein Moskito hat mich in die Nase gestochen«, rief er und zog rasch wieder seinen Kopf ein.

Wenig später ging der Mond auf, und trotz des Gebrülls, das immer wieder vom Ufer zu uns herüber drang, schliefen wir, uns völlig in Sicherheit wähnend, allmählich ein.

Was mich veranlaßte, meinen Kopf aus der Decke hervorzustrecken, weiß ich nicht; vielleicht hatte ich bemerkt, daß die Moskitos durch sie hindurchbissen – jedenfalls hörte ich, als ich es tat, Job erschrocken flüstern: »Oh, mein Gott, sehen Sie nur!«

Sofort blickten wir alle auf und gewahrten im Mondschein nahe dem Ufer zwei große, sich immer mehr erweiternde Kreise und in ihrem Mittelpunkt zwei dunkle, sich bewegende Gestalten.

»Was ist das?« fragte ich.

»Diese verdammten Löwen, Sir«, antwortete Job in einem Ton, in dem sich Gekränktsein, Respekt und Angst seltsam mischten. »Sie schwimmen hierher, um uns zu fressen.«

Ich blickte wieder hin – kein Zweifel, ich sah deutlich das Funkeln ihrer wilden Augen. Angelockt durch das Fleisch des erlegten Bockes oder durch uns selbst, schickten die hungrigen Bestien sich tatsächlich an, unsere Stellung zu stürmen.

Leo hatte bereits sein Gewehr ergriffen. Ich riet ihm zu warten, bis sie näher heran waren, und hob ebenfalls mein Gewehr. Gleich darauf erreichte auch schon das erste Tier, die Löwin, eine fünfzehn Fuß von uns entfernte Sandbank, wo das Wasser nur etwa fünfzehn Zoll tief war. Sie schüttelte sich und brüllte laut. In diesem Augenblick feuerte Leo, und die Kugel drang ihr mitten in den offenen Rachen und kam hinten am Hals wieder heraus. Sie sank zusammen und fiel ins hoch aufspritzende Wasser. Gleich dahinter kam der andere Löwe, ein voll ausgewachsenes Männchen. Er setzte eben die Vorderpranken auf die Sandbank, als etwas Seltsames geschah. Etwas bewegte sich im Wasser, so daß es aussah, wie wenn in einem englischen Teich ein Hecht einen kleineren Fisch verschlingt, nur tausendmal heftiger und wilder, und plötzlich stieß der Löwe ein fürchterliches Gebrüll aus und sprang, etwas Schwarzes hinter sich her ziehend, auf die Sandbank.

»Allah!« schrie Mahomed, »ein Krokodil hat ihn am Bein gepackt!« Er hatte recht. Wir sahen den langen Rachen mit den schimmernd weißen Zähnen und dahinter den Körper des Krokodils.

Und dann folgte ein ganz außergewöhnliches Schauspiel. Der Löwe erklomm die Sandbank ganz, während das halb darauf, halb im Wasser liegende Krokodil sein Hinterbein festhielt. Er brüllte, daß die Luft von dem Geräusch erzitterte, und dann drehte er sich mit einem wilden Knurren um und umklammerte mit seinen Pranken den Kopf des Krokodils. Das Krokodil, dem er, wie wir später feststellten, ein Auge ausgerissen hatte, ließ das Bein los und drehte sich auf die Seite, und im gleichen Moment biß es der Löwe in die Kehle, und sie wälzten sich, schrecklich miteinander ringend, auf der Sandbank. Es war unmöglich, ihren Bewegungen zu folgen, doch als sich uns wieder ein klareres Bild bot, hatte sich das Blatt gewendet: das Krokodil, dessen Kopf nur noch eine einzige blutige Masse war, hatte den Löwen mit eisernem Biß um die Weichen gepackt und schüttelte ihn hin und her. Das gequälte Tier biß, in seinem Todeskampf laut aufbrüllend, um sich, schlug mit seinen Pranken nach dem schuppigen Kopf seines Feindes und zerfetzte mit den Klauen seiner Hinterbeine den weichen Hals des Krokodils.

Ganz plötzlich kam das Ende. Der Kopf des Löwen sank auf den Rücken des Krokodils, und er starb mit schrecklichem Stöhnen, während das Krokodil noch einen Augenblick regungslos dastand und dann langsam, die Zähne immer noch in den Rumpf des Löwen eingegraben, auf die Seite rollte.

Dieses Todesduell war ein zugleich wundervolles und entsetzliches Schauspiel, wie es wohl nur wenige Menschen gesehen haben. Als es zu Ende war, befahlen wir Mahomed Wache zu halten und verbrachten die restliche Nacht so ruhig, wie die Moskitos es uns gestatteten.

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