Читать книгу Der kleine Ritter (Herr Wolodyjowski) - Henryk Sienkiewicz - Страница 10

4. Kapitel.

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Inhaltsverzeichnis

Noch an demselben Tage meldete sich der kleine Ritter bei dem Hetman; dieser ließ ihn sogleich vor und sagte zu ihm:

»Ich muß Ruschtschyz in die Krim schicken, damit er sich umsieht, was dort bevorsteht, und damit er bei dem Khan wegen der Einhaltung der Verträge anklopft. Willst du wieder in den Dienst treten und sein Kommando übernehmen? Du, Wiltschkowsky, Silnizki und Piwo, ihr werdet ein Auge haben auf Dorosch und auf die Tataren, denen man niemals ganz trauen kann ...«

Wolodyjowski wurde traurig. Hatte er doch die Blüte seines Lebens dem Dienste geopfert. Ganze Jahrzehnte hatte er den Frieden nicht gekannt, lebte er im Feuer, im Pulverdampf, in Mühsal, Schlaflosigkeit und Hunger, kein schützendes Dach über dem Haupte, keine Handvoll Stroh zum Niederlegen. Gott weiß, was für Blut durch seinen Degen nicht geflossen. Weder hatte er sich irgendwo fest niederlassen noch verheiraten können. Tausendfach weniger Verdiente genossen schon panem bene merentium (ihr gutes Gnadenbrot), hatten Ehrenstellen, Ämter, Starosteien erreicht — er hatte reicher den Dienst begonnen, als er jetzt war, und doch wollte man ihn, den alten Haudegen, von neuem erproben. Und seine Seele war zerrissen; ehe sich die lieben, freundlichen Hände gefunden hatten, welche seine Wunden zu verbinden begannen, hieß man ihn wieder kampfbereit sein und an die wüsten fernen Grenzen der Republik eilen, ohne Rücksicht auf sein müdes, gequältes Herz. So hätte er sich wenigstens ein paar Jahre mit seinem Ännchen freuen können.

Als er über all dies jetzt nachsann, wuchs in ihm eine unermeßliche Bitterkeit; da es ihm aber eines Ritters unwürdig erschien, seine Verdienste in Erinnerung zu bringen, antwortete er kurz:

»Ich werde reisen.«

Aber der Hetman selbst sagte:

»Du bist nicht im Dienst, du kannst Nein sagen. Du mußt selbst am besten wissen, ob es für dich nicht zu früh ist.«

Wolodyjowski erwiderte:

»Mir ist's auch zum Sterben nicht zu früh.«

Sobieski ging einige Male im Zimmer auf und nieder, dann blieb er bei dem kleinen Ritter stehen und legte ihm vertraulich die Hand auf die Schulter.

»Wenn dir die Tränen bis heute nicht getrocknet sind, so wird sie dir der Wind in der Steppe trocknen. Du hast dein ganzes Leben lang gearbeitet, wackerer Kämpe — arbeite weiter. Und wenn es dir mal in den Sinn kommen sollte, daß man deiner vergessen, daß man dich nicht belohnt, daß man dir die Ruhe nicht gegönnt hat, daß du keine Leckerbissen, sondern nur trockenes Brot erworben, keine Starosteien, sondern Wunden, keine Ruhe, sondern Qual — so beiße die Zähne zusammen und sage: Für dich, Vaterland! Einen anderen Trost kann ich dir nicht geben, denn ich habe keinen; aber obgleich ich kein Priester bin, so kann ich dir doch die Versicherung geben, daß du bei solchem Dienste weiter kommst auf der schäbigen Satteldecke, als andere im sechsspännigen Wagen, und daß es Tore geben wird, die sich dir weit öffnen und ihnen verschließen.«

»Für dich, Vaterland!« sagte Wolodyjowski zu sich, verwundert gleichzeitig darüber, daß der Hetman so scharfsinnig seine geheimsten Gedanken zu durchdringen vermochte.

Und Sobieski setzte sich ihm gegenüber und sprach weiter:

»Ich will mit dir nicht sprechen wie mit einem Untergebenen, sondern wie mit einem Freunde, ja, wie ein Vater mit seinem Sohne. Noch in jenen Zeiten, als wir im Feuer standen bei Podhaize, und noch früher in der Ukraine, wenn wir kaum der Übermacht des Feindes standhalten konnten, und hier im Herzen des Vaterlandes, von unserem Rücken gedeckt, schlechte Menschen sich tummelten, um ihre eigenen Angelegenheiten streitend — da fuhr es mir manchmal durch den Sinn, daß diese Republik untergehen müsse. Allzusehr herrscht hier die Willkür über die Ordnung, allzusehr muß das öffentliche Wohl persönlichen Angelegenheiten nachstehen ... nirgends in der Welt ist dies in solchem Maße ... Sieh, solche Betrachtungen nagen an meinem Herzen. Am Tag auf dem Schlachtfeld, in der Nacht im Zelt, denn ich dachte bei mir: Wir Kriegsleute, nun wir mögen untergehen ... gut!... das ist unsere Pflicht, unser Schicksal. Aber wenn wir wenigstens wüßten, daß mit dem Blute, welches aus unseren Wunden dahinströmt, auch die Erlösung hervorströmte! Nein, auch diesen Trost hatten wir nicht. O, schwere Tage habe ich bei Podhaize erlebt, obgleich ich auch ein heiteres Gesicht zeigte, damit Ihr nicht dächtet, daß ich am Sieg verzweifelte. An Menschen fehlt es, dachte ich bei mir, an Menschen, die dies Vaterland aufrichtig lieben! Und mir war, als stieße mir jemand ein Messer in die Brust. Bis eines Tags ... es war der letzte im Lager bei Podhaize, als ich euch zweitausend Mann stark zur Attacke aussandte auf sechsundzwanzigtausend der Horde, und ihr in den offenbaren Tod, in den sicheren Untergang mit einem solchen Eifer und solchem Kampfesmut stürztet wie zur Hochzeit — da kam's mir plötzlich in den Sinn: und diese meine Krieger? Und Gott hat in diesem einen Augenblick mir einen Stein vom Herzen genommen, und vor den Augen stand es mir klar: Diese, sagte ich, sterben dort aus reiner Liebe für die Mutter, diese werden nicht zu Verschwörungen, nicht zu den Verrätern gehen; aus diesen will ich eine heilige Bruderschaft bilden, aus ihnen eine Schule bilden, in welcher junge Geschlechter lernen sollen. Ihr Beispiel, ihre Nähe wird wirken; durch sie wird dieses unglückselige Volk sich verjüngen, wird die Sonderinteressen vergessen, die Willkür verlernen, wie ein Löwe aufstehen, der die ungeheure Macht seiner Glieder fühlt, und die Welt in Erstaunen setzen! Eine solche Bruderschaft will ich aus meinen Kriegern machen!«

Hier erglühte Sobieski selbst, hob den Kopf empor, der dem Haupte eines römischen Cäsaren glich, breitete die Hände aus und rief:

»Herr, schreibe nicht an unsere Mauern: Mene tekel upharsin und gib mir, mein Vaterland zu verjüngen!«

Dann trat eine Pause ein.

Der kleine Ritter saß mit gesenktem Haupte da und empfand, daß ein Zittern seinen ganzen Körper ergreife.

Der Hetman ging eine Zeitlang mit schnellen Schritten im Zimmer auf und nieder, und dann blieb er vor dem kleinen Ritter stehen:

»Der Beispiele bedarf es,« sagte er, »der täglichen Beispiele, die in die Augen springen. Wolodyjowski, dich habe ich in erster Reihe zur Bruderschaft gezählt — willst du zu ihr gehören?«

Der kleine Ritter erhob sich und umfaßte die Knie des Hetmans.

»Seht,« sagte er mit zitternder Stimme, »seht, da ich hörte, daß ich wieder hinausziehen soll, dachte ich, daß mir ein Unrecht geschieht, und daß mir Muße gezieme für meinen Schmerz; aber jetzt sehe ich, daß ich gesündigt habe ... und ... ich demütige mich bei dem Gedanken und kann nicht sprechen, denn ich schäme mich ...«

Der Hetman drückte ihn schweigend an sein Herz.

»Wir sind nur ein kleines Häuflein,« sagte er, »aber die anderen werden unserem Beispiele folgen.«

»Wann soll ich aufbrechen?« sagte der kleine Ritter. »Ich könnte selbst in die Krim, denn ich bin schon dort gewesen.«

»Nein,« sagte der Hetman, »in die Krim schicke ich den Ruschtschyz; er hat dort Anverwandte, sogar gleichen Namens, ich glaube, Vettern, die als Kinder von der Horde gefangen wurden, zu ihnen übertraten und Würden unter den Heiden erlangt haben. Diese werden ihm hilfreich in allem zur Seite sein; dich aber brauche ich im Felde um so mehr, als es keinen zweiten gibt wie dich im Kampfe gegen die Tataren.«

»Wann soll ich aufbrechen?« wiederholte der kleine Ritter.

»Spätestens in zwei Wochen. Ich muß noch mit dem Herrn Unterkanzler sprechen und mit dem Herrn Schatzmeister, die Briefe für Ruschtschyz fertigstellen und ihm Instruktionen geben; indessen sei bereit, denn ich werde schnell handeln.«

»Von morgen ab werde ich bereit sein.«

»Gott lohne dir deinen guten Willen! Aber solcher Eile bedarf es nicht. Du sollst auch nicht auf lange Zeit fort, denn während der Wahl, wenn es nur Frieden gibt, wirst du hier in Warschau nötig sein. Hast du etwas über die Kandidaten gehört? Was sagt man von dem Adel?«

»Ich bin erst vor kurzem aus dem Kloster in die Welt gekommen, und dort denkt man nicht an weltliche Dinge. Ich weiß nur, was mir Sagloba gesagt hat.«

»Richtig, von ihm kann ich Informationen erhalten; er ist sehr bekannt unter dem Adel. Und für wen denkst du deine Stimme zu geben?«

»Ich weiß es noch nicht, aber ich denke, wir müssen einen kriegsgeübten Herrn haben.«

»So ist es, ja, so ist es! Auch ich habe einen solchen im Sinn, der durch den bloßen Namen die Nachbarn in Schrecken setzt. Einen kriegstüchtigen Herrn brauchen wir, wie Stephan Bathory. Nun lebe wohl, wackerer Krieger!... Einen Kriegstüchtigen brauchen wir! — wiederhole das allen. Lebe wohl, Gott lohne deine Bereitschaft!«

Michael verabschiedete sich und ging. Auf dem Wege sann er nach. Er war froh, daß er noch ein oder zwei Wochen vor sich hatte, denn die Freundschaft und der Trost, den ihm Christine Drohojowska brachte, war ihm lieb; er freute sich auch über den Gedanken, daß er zur Wahl wieder heim sein würde, und kehrte überhaupt schon ohne Kränkung nach Hause zurück. Auch die Steppe, nach der er sich unbewußt sehnte, hatte für ihn einen Reiz. Er war so an diese endlose Fläche gewöhnt, in welcher der Reiter sich mehr Vogel als Mensch fühlt.

»Nun denn,« sagte er zu sich, »ich will hinaus in die endlosen Felder, in das Land der Grenzwachten und Hügel, will das alte Leben wieder aufnehmen, mit den Soldaten Streifzüge machen, die Grenze verteidigen, im Steppengrase lagern, wenn der Frühling kommt; — nun denn, ich will hinaus, ich will hinaus!«

Er hatte dem Pferde die Sporen gegeben und ritt eilends dahin, denn er sehnte sich schon danach, daß ihm der Wind um die Ohren sause und pfeife. Es war ein schöner, trockener, frostiger Tag; der gefrorene Schnee bedeckte schon die Erde und knirschte unter den Füßen des Renners. Die kleinen Schneeschollen flogen unter seinem Hufschlag. Wolodyjowski ritt so schnell dahin, daß der Knappe, der auf einem schlechteren Pferde saß, weit hinter ihm zurückblieb.

Es war gegen Sonnenuntergang; das Abendrot leuchtete am Himmel und warf auf die schneeige Fläche seinen rosigen Abglanz. An dem glühenden Himmel stiegen die ersten Sterne schimmernd auf, und der Mond erhob sich in der Gestalt einer silbernen Sichel. Der Weg war leer. Hie und da wich der Ritter einem Lastwagen aus, ununterbrochen dahinjagend; erst als er in der Ferne Ketlings Haus sah, hielt er das Pferd zurück und ließ sich von dem Knappen einholen.

Plötzlich bemerkte er, vor sich hinblickend, daß eine schlanke Gestalt ihm entgegenkomme; es war Christine Drohojowska.

Michael erkannte sie, sprang sogleich vom Pferde und gab es dem Knappen; er selbst eilte zu ihr, ein wenig verwundert, mehr aber noch erfreut über ihren Anblick.

»Die Soldaten sagen, daß man gegen Abend verschiedene übernatürliche Gestalten treffen kann, die bald eine schlechte, bald eine gute Prophezeiung künden; aber für mich kann es wohl kaum eine bessere geben, als Euch zu begegnen.«

»Herr Nowowiejski ist angekommen,« antwortete Christine, »er unterhält sich mit Bärbchen und der Frau Truchseß; ich aber bin absichtlich Euch entgegengekommen, denn ich war beunruhigt wegen dessen, was der Hetman Euch zu sagen hatte.«

Die Offenheit in diesen Worten ergriff den kleinen Ritter außerordentlich.

»Seid Ihr wirklich so um mich besorgt?« fragte er und erhob seine Augen zu ihr.

»Ja,« erwiderte Christine mit tiefer Stimme.

Wolodyjowski ließ seine Augen nicht von ihr, denn noch nie war sie ihm so schön erschienen. Auf dem Kopfe trug sie ein Atlaskäppchen, und weißer Schwanenflaum umgab ihr kleines, blasses Gesicht, auf welches der Widerschein des Mondes fiel und die edlen Brauen, die gesenkten Augen, die langen Wimpern und jenes dunkle, kaum sichtbare Fläumchen über den Lippen mild erleuchtete. Es lag in ihrem Gesicht eine gewisse Ruhe und eine große Güte.

Michael empfand in diesem Augenblick, daß dies ein freundliches, liebes Gesicht war. Er sagte also:

»Ritte nicht der Knappe hinter uns, so würde ich Euch, Fräulein, hier im Schnee aus Dankbarkeit zu Füßen fallen!«

»Sprecht solche Dinge nicht, ich bin ihrer nicht würdig; aber zum Lohne sagt mir, daß Ihr bei uns bleiben wollt, und daß ich Euch länger werde trösten dürfen.«

»Ich werde nicht hierbleiben,« antwortete Wolodyjowski.

»Das kann nicht sein!« sagte Christine.

»So will's der Dienst! Nach Reußen gehe ich ... in die wilden Felder.«

»Der Dienst?« wiederholte Christine, dann verstummte sie und ging eilig dem Hause zu.

Michael trippelte ein wenig verwirrt neben ihr her. Es lag ihm schwer und dumpf auf der Seele; er wollte wieder etwas sagen, er wollte die Unterhaltung wieder aufnehmen — aber es ging nicht. Und doch schien ihm, als hätte er Christine tausend Dinge zu sagen, und als sei gerade jetzt die Zeit dazu, solange sie allein waren, und niemand sie störte.

»Anfangen heißt es hier,« dachte er, »es wird schon weiter gehen.«

»Ist Herr Nowowiejski schon lange da?«

»Noch nicht lange,« antwortete Fräulein Drohojowska.

Und das Gespräch brach wieder ab.

»So geht es nicht,« dachte Wolodyjowski, »wenn ich so anfange, so werde ich nie etwas sagen; aber ich sehe, daß mir mein Leid den Rest meines Witzes aufgezehrt hat,« und so schritt er eine Zeitlang schweigend neben ihr hin, immer lebhafter seinen Schnauzbart bewegend.

Endlich, als sie schon vor dem Hause standen, blieb er stehen und begann:

»Seht, Fräulein, wenn ich so lange Jahre das Glück hinausgeschoben habe, nur um dem Vaterlande zu dienen, wie sollte ich jetzt nicht den Trost hinausschieben?«

Wolodyjowski glaubte, daß ein so einfaches Argument Christine sogleich überzeugen müßte. Sie antwortete auch in der Tat betrübt und milde nach einer Weile:

»Je näher man Euch kennen lernt, Herr Michael, desto höher ehrt und schätzt man Euch.«

Nach diesen Worten gingen sie in das Haus. Schon im Flur tönten ihnen Bärbchens Rufe entgegen: »Allah, Allah!« Und als sie in das Gastzimmer traten, sahen sie in dessen Mitte Nowowiejski mit verbundenen Augen in geneigter Stellung und mit ausgestreckten Händen. Er mühte sich, Bärbchen einzufangen, die sich in alle Winkel versteckte und mit dem Rufe »Allah!« ihre Anwesenheit verkündigte. Die Frau Truchseß war am Fenster mit Herrn Sagloba in ein Gespräch verwickelt. Aber der Eintritt Christinens und des Ritters unterbrach ihr Spiel. Nowowiejski zog das Tuch herab und lief, sie zu begrüßen. Gleichzeitig kamen die Frau Truchseß, Sagloba und Bärbchen keuchend auf sie zu.

»Was gibt's dort, was gibt's dort, was hat der Hetman gesagt?« fragten sie wirr durcheinander.

»Frau Schwester,« antwortete Wolodyjowski, »wenn du Briefe an deinen Gatten schicken willst, so hast du Gelegenheit, denn ich reise nach Reußen.«

»Schickt man dich schon zurück? Beim lebendigen Gott, laß dich noch nicht einziehen und gehe nicht hin,« rief klagend Frau Makowiezka, »daß man dir doch auch nicht einen Augenblick Zeit gönnt!«

»Wirklich, hat man dir einen Auftrag gegeben?« fragte Sagloba finster. »Mit Recht sagt die Frau Truchseß, daß man mit dir drischt wie mit einem Dreschflegel.«

»Ruschtschyz geht in die Krim, und ich soll nach ihm die Fahne führen. Denn wie schon Herr Nowowiejski gesagt hat, werden sich gewiß die Wege zum Frühling mit Menschen füllen.«

»Sollen wir in dieser Republik beständig Jagd auf Diebe halten wie der Hund im Hofe?« rief Sagloba. »Andere wissen nicht, an welchem Ende man die Muskete anfaßt, und für uns gibt es niemals Ruhe!«

»Nun laßt nur, hier gilt kein Reden,« antwortete Wolodyjowski. »Dienst ist Dienst. Ich habe dem Hetman das Wort gegeben, daß ich eintrete, ob später oder früher, das ist ganz gleich.« Hier legte er den Finger an die Stirn und wiederholte sein Argument, dessen er sich schon einmal Christine gegenüber bedient hatte:

»Denn seht Ihr, wenn ich so lange Jahre mein Glück hinausgeschoben habe, nur um der Republik zu dienen, wie würde ich nicht dem Trost entsagen, den ich in eurer Gesellschaft finde?«

Niemand erwiderte darauf ein Wort; nur Bärbchen kam schmollend heran, spitzte den Mund wie ein trotziges Kind und sagte:

»Schade um Herrn Michael!«

Wolodyjowski lachte heiter auf.

»Gott gebe Euch Glück! Erst gestern sagtet Ihr, daß Ihr mich nicht leiden könnt, daß Ihr mich so wenig lieben könnt wie einen wilden Tataren!«

»Nicht doch! Wie einen Tataren? Das habe ich gar nicht gesagt; Ihr werdet dort mit den Tataren Freude erleben, und uns hier wird bange sein.«

»Tröstet Euch doch, kleiner Heiduck — verzeiht, Fräulein, daß ich Euch so nenne, aber es paßt ausgezeichnet auf Euch. Der Herr Hetman hat mir gesagt, daß dieses Kommando nicht lange währen wird; in einer oder zwei Wochen rücke ich aus, zur Wahl soll ich durchaus in Warschau sein. Der Hetman selbst wünscht das, und es wird so sein, wenn selbst Ruschtschyz aus der Krim im Mai noch nicht zurück sein sollte.«

»O, das ist ausgezeichnet!«

»Auch ich werde mit dem Herrn Hauptmann ausziehen, gewiß, ich werde ausziehen,« sagte Nowowiejski, Bärbchen scharf anblickend.

Und sie erwiderte ihm: »Solcher wie Ihr wird es nur wenige geben; es ist eine Freude für den Soldaten, unter seinem Kommando zu dienen. Geht nur mit, geht mit, es wird Euch heiterer zumute sein.«

Der Jüngling seufzte nur und glättete mit breiter Hand seinen Schopf. Endlich sagte er, indem er seine Hände wie vorhin beim Blindekuh-Spielen ausbreitete:

»Aber erst muß ich Fräulein Bärbchen fangen, wahrhaftig, ich muß sie fangen!«

»Allah!« rief Bärbchen und wich zurück.

Inzwischen war Fräulein Christine Drohojowska zu Wolodyjowski herangetreten, ihr Gesicht strahlte vor Glück und Freude.

»Herr Michael, Ihr seid nicht gut gegen mich; gegen Bärbchen seid Ihr besser als gegen mich.«

»Ich nicht gut — ich besser gegen Fräulein Bärbchen?« fragte der Ritter erstaunt.

»Bärbchen habt Ihr gesagt, daß Ihr zur Königswahl wiederkehrt; wenn ich das gewußt hätte, würde ich mir Eure Abreise weniger zu Herzen genommen haben.«

»Mein Gold ...!« rief Michael. Aber er faßte sich schnell und sagte:

»Mein lieber Freund, ich hätte Euch noch viel zu sagen, aber ich habe den Kopf verloren.«

Herr Michael begann sich allmählich zur Abreise vorzubereiten, ohne daß er indessen aufhörte, Bärbchen, die er von Tag zu Tag mehr liebgewann, Unterricht zu geben und mit Christine Drohojowska zu zweien spazieren zu gehen, um Trost bei ihr zu suchen. Er schien ihn auch zu finden, denn mit jedem Tage wurde er heiterer, und abends nahm er sogar bisweilen teil an Bärbchens Vergnügungen mit Herrn Nowowiejski.

Dieser junge Kavalier wurde in Ketlings Hause ein lieber Gast; er pflegte des Morgens oder gegen Mittag zu kommen und blieb bis zum Abend, und da ihn alle gern hatten und ihn mit Freuden sahen, begann man bald, ihn als zur Familie gehörig zu betrachten. Er brachte die Damen nach Warschau, er machte für sie Besorgungen bei den Seidenhändlern, und abends spielte er leidenschaftlich Blindekuh, indem er immer wiederholte, daß er vor der Abreise durchaus das unerreichbare Bärbchen einfangen müsse; sie aber wich immer aus, obgleich ihr Sagloba sagte:

»Fängt Euch nicht dieser, so ist's ein anderer.«

Aber es wurde immer klarer, daß gerade dieser sie einfangen wollte, selbst dem kleinen Heiducken mußte dies klar sein, denn manchmal wurde er so nachdenklich, daß ihm das Stirnhaar ganz über die Augen fiel. Sagloba aber hatte seine Gründe, aus welchen ihm dies nicht gerade erwünscht war. Eines Abends, als alle auseinandergegangen waren, pochte er an das Zimmer des kleinen Ritters und trat ein.

»Es tut mir so weh, daß wir uns trennen müssen,« sagte er, »daß ich hierher komme, um mich noch an dir satt zu sehen. Gott weiß, wann wir uns wiedersehen!«

»Zur Wahl komme ich mit aller Bestimmtheit zurück,« erwiderte Michael, indem er ihn umarmte, »und ich will Euch auch sagen warum: der Hetman will um diese Zeit so viel wie möglich von den Leuten hier haben, die der Adel gern hat, damit sie ihn für seinen Kandidaten gewinnen. Und da, Gott sei Dank, mein Name einiges Ansehen bei den Genossen hat, so wird er mich sicherlich hierher zurückrufen. Er rechnet auch auf Euch.«

»Bah, er will mich in sein Netz einfangen; aber es will mir scheinen, daß, wenn ich auch ziemlich dick bin, ich doch durch eine Masche dieses Netzes hindurchkommen werde. Ich werde nicht für den Franzosen stimmen.«

»Warum das?«

»Das wäre eine Gewalttat gegen uns selbst.«

»Condé müßte die Verträge beschwören wie jeder andere, und er soll ein großer Feldherr sein, berühmt durch große Kriegstaten.«

»Durch Gottes Gnade brauchen wir Feldherren nicht in Frankreich zu suchen. Herr Sobieski selbst ist gewiß kein schlechterer als Condé. Bedenke, Michael, die Franzosen tragen Strümpfe ebenso wie die Schweden, sie werden gewiß auch ebenso die Schwüre halten. Karolus Gustavus war dir jede Stunde bereit, einen Eid zu leisten. Das ist bei ihnen so wie eine Nuß knacken. Was nützen die Verträge, wo keine Redlichkeit ist.«

»Aber die Republik bedarf der Verteidigung. Ja, wenn Fürst Jeremias Wischniowiezki lebte — einstimmig würden wir ihn zum König wählen!«

»Es lebt sein Sohn, derselbe Stamm.«

»Aber nicht derselbe Mut. Ein Jammer ist es, ihn anzusehen; er sieht eher wie ein Knecht aus, als wie ein Fürst aus so edlem Blute. Wenn die Zeiten noch andere wären! Aber heute ist das erste die Rücksicht auf das Wohl des Vaterlandes, dasselbe wird dir auch Skrzetuski sagen. Was der Hetman tut, tue ich auch, denn an seine aufrichtige Vaterlandsliebe glaube ich wie an das Evangelium.«

»Und es ist Zeit, daran zu denken. Schlimm, daß Ihr jetzt fort müßt.«

»Und was werdet Ihr tun?«

»Ich werde zu den Skrzetuskis zurückkehren. Die Faulenzer quälen mich dort manchmal, und doch, wenn ich sie lange nicht sehe, ist mir bange nach ihnen.«

»Wenn nach der Wahl Krieg sein sollte, so wird auch Skrzetuski ausrücken. Bah, wer weiß, ob nicht auch Ihr noch einmal ins Feld zieht. Vielleicht kämpfen wir in Reußen zusammen; wir haben in jenen Ländern viel Böses und Gutes erfahren.«

»Wahrhaftig, so ist es. Dort sind uns die besten Jahre verflossen; man hat manchmal Lust, jene Orte alle wiederzusehen, welche Zeugen unseres Ruhmes waren.«

»So, kommt jetzt mit mir; zusammen wird's uns leichter sein, und in fünf Monaten kommen wir zurück zu Ketling. Dann wird er auch hier sein, und auch die Skrzetuskis.«

»Nein, Michael, jetzt ist keine Zeit für mich; aber dafür verspreche ich dir, wenn du dich mit irgend einem Fräulein, das in Reußen ihre Besitzungen hat, vermählst, so bringe ich dich dorthin und bin bei Eurem Einzug zugegen.«

Wolodyjowski verwirrte sich ein wenig, aber er versetzte bald darauf:

»Wo sind mir Heiratsgedanken im Kopf! Den besten Beweis habt Ihr darin, daß ich zum Heere gehe.«

»Das ist es eben, was mich quält, denn ich habe geglaubt: ist's nicht die eine, so ist's die andere. Michael, denke an Gott, überlege: wo, wann findest du eine bessere Gelegenheit, als du sie in diesem Augenblicke hast. Bedenke: einst werden die Jahre kommen, in denen du dir sagen wirst: »Ein jeder hat Weib und Kind, und ich allein, ich hänge in der Luft wie eine vereinsamte Frucht.« Und der Schmerz wird dich erfassen und unsägliche Sehnsucht. Wenn du jene Verstorbene geheiratet hättest, wenn sie dir Kinder hinterlassen hätte — nun, so hätte ich nichts gesagt; du hättest für deine Gefühle schon einen Gegenstand und eine Hoffnung auf Trost. Aber so wie es jetzt steht, kann die Stunde kommen, daß du vergeblich ein fühlendes Herz um dich herum suchst, und daß du dich selbst fragst: Wohne ich in einem fremden Lande?«

Wolodyjowski schwieg und sann nach. Sagloba begann also wieder zu sprechen, indem er dem kleinen Ritter scharf ins Gesicht sah:

»In meiner Einbildung und in meinem Herzen habe ich dir den kleinen Heiducken in erster Linie ausersehen, denn erstens ist das ein goldenes Geschöpf und kein Mädchen, und zweitens, so feurige Krieger wie ihr zur Welt bringen würdet, mag wohl die Erde noch nicht gesehen haben.«

»Das ist ein Sausewind. Übrigens will ihr auch schon Nowowiejski Feuer entlocken.«

»Das ist's, das eben ist's. Heute würde sie gewiß noch dich vorziehen, da sie in deinen Ruhm verliebt ist, wenn du aber abreisest, und er hierbleibt — und ich weiß, er bleibt hier, denn es gibt keinen Krieg — wer weiß, was dann kommt.«

»Bärbchen ist ein Sausewind, mag sie Nowowiejski nehmen, ich wünsche ihm von Herzen Glück, denn er ist ein ausgezeichneter Bursche.«

»Michael,« sagte Sagloba, die Hände faltend, »bedenke, was das für eine Nachkommenschaft wäre!«

Darauf antwortete der kleine Ritter sehr naiv:

»Ich habe zwei Bals gekannt, die von einer Drohojowska stammten und doch ausgezeichnete Soldaten waren.«

»Ha, habe ich dich nun! Dahin lenkst du?« rief Sagloba.

Wolodyjowski war ganz verwirrt. Eine Zeitlang bewegte er nur die Oberlippe, um seine Verwirrung zu verbergen; endlich sagte er:

»Was sprecht Ihr, ich lenke nach gar keiner Seite! Aber da Ihr mir Bärbchens wahrhaft ritterliche Tat erwähnt habt, so kam mir ganz einfach Christine in Erinnerung, in welcher eine mehr weibliche Natur ihren Wohnsitz genommen hat. Wenn man von der einen spricht, kommt einem die andere in den Sinn, da sie zusammen sind.«

»Gut, gut. Gott gebe dir seinen Segen zu Christine, obwohl ich, wenn ich ein junger Bursche wäre — so wahr Gott lebt — Bärbchen wahnsinnig lieben würde. Hast du eine solche Frau, so brauchst du sie nicht im Falle des Krieges zu Hause zu lassen, du kannst sie mit ins Feld nehmen und an deiner Seite haben. Ein solches Weib ist auch im Zelte angenehm, und wenn ihre Zeit kommt, sei es auch während der Schlacht, so wird sie noch, und sei es mit einer Hand, Feuer geben. Und brav ist sie und gut! Ei, mein kleiner, lieber Heiduck, man hat hier deinen Wert nicht erkannt und dich mit Undankbarkeit genährt. Wenn ich so ein Schock Jahre weniger alt wäre, dann wüßte ich, wer Frau Sagloba sein sollte!«

»Ich will Bärbchen nichts absprechen.«

»Nicht darum handelt es sich, daß du ihr Tugenden nicht absprichst, sondern, daß du ihr einen Mann zusprichst. Aber du ziehst Christine vor —«

»Christine ist mein Freund.«

»Freund? nicht Freundin? Etwa weil sie ein Schnurrbärtchen hat? Freund bin ich dir, ein Freund ist dir Skrzetuski und Ketling. Du brauchst keinen Freund, sondern eine Freundin. Sage dir das klar und mache dir selbst nichts vor. Hüte dich, Michael, vor einem Freunde weiblichen Geschlechts, wenn er auch ein Schnurrbärtchen hat — entweder verrät er dich oder du ihn. Der Teufel hat keine Ruhe und läßt sich gern zwischen solchen Freunden nieder. Ein Exempel: Adam und Eva, die sich zu befreunden anfingen, bis dem Adam diese Freundschaft zum Fallstrick wurde.«

»Tretet Christine nicht zu nahe, denn ich dulde das unter keinen Umständen.«

»Ei, mag der Himmel ihre Tugend segnen! Es geht nichts über meinen kleinen Heiducken; aber auch jene ist ein gutes Mädchen, ich trete ihr durchaus nicht zu nahe, ich behaupte nur das eine: wenn du neben ihr sitzest, so glühen dir die Wangen so, als ob dich jemand gekniffen hätte, und der Schopf steht dir zu Berge, daß du ziepst und girrst wie eine Taube, und alles das sind die Zeichen der Begehrlichkeit. Rede anderen was von Freundschaft vor — ich bin doch ein zu alter Vogel.«

»So alt, daß Ihr auch das seht, was nicht vorhanden ist.«

»Gebe Gott, daß ich mich irrte, gebe Gott, daß es sich um meinen kleinen Heiducken handelte! Michael, gute Nacht! Nimm den kleinen Heiducken; der kleine Heiduck ist noch hübscher, nimm den kleinen Heiducken, nimm den kleinen Heiducken!...«

Bei diesen Worten erhob sich Sagloba und verließ das Zimmer.

Herr Michael warf sich die ganze Nacht hin und her, und konnte nicht schlafen, denn die seltsamsten Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Vor seinem Geist stand das Antlitz des Fräulein Drohojowska, ihre Augen mit den langen Wimpern, und die Lippen mit dem leichten Flaum bedeckt. Bisweilen erfaßte ihn ein Halbschlummer, aber die Gesichte wichen nicht. Wenn er erwachte, dachte er an Saglobas Worte und erinnerte sich, wie selten der Witz dieses Mannes in irgend etwas täuschte. Zuweilen blitzte vor ihm, halb im Schlaf, halb wach, das rosige Antlitz Bärbchens auf, und dieser Anblick beruhigte ihn; aber sofort trat an ihre Stelle wieder Christine. Ob der arme Ritter sich der Wand zuwendet, ob er sich der Dunkelheit im Zimmer zukehrt — stets sieht er ihre Augen, und über ihnen liegt es wie Sehnsucht, wie Hingebung. Von Zeit zu Zeit schließen sich die Augen, als wollten sie sagen: Dein Wille geschehe. Michael mußte sich aufrichten und bekreuzigen.

Gegen Morgen verließ ihn der Schlaf vollkommen. Es wurde ihm schwer und mißmutig. Scham ergriff ihn, und er begann sich bittere Vorwürfe zu machen, daß er nicht jene geliebte Verstorbene vor sich gesehen, daß sein Herz, seine Augen, seine Seele nicht von jener erfüllt waren, sondern von dieser, der Lebenden. Es war ihm, als sündigte er gegen das Andenken Ännchens; er warf sich ein über das anderemal hin und her, sprang aus dem Bette, obwohl es noch finster war, und sprach sein Paternoster.

Als es beendet war, legte er den Finger an die Stirn und sagte:

»Ich muß so schnell als möglich abreisen, um jener Freundschaft sofort einen Riegel vorzuschieben, denn Sagloba kann recht haben.«

Darauf ging er schon heiterer und ruhiger hinunter zum Frühstück; nach dem Frühstück machte er Fechtübungen mit Bärbchen und bemerkte, gewiß zum ersten Male, daß sie mit ihren großen Nasenflügeln und der keuchenden Brust so hübsch war, daß sie ihm in die Augen stach. Christine schien er zu vermeiden; sie bemerkte das und folgte ihm mit großen, erstaunten Augen, aber er wich sofort ihrem Blicke aus. Das Herz ging ihm in Stücke, aber er hielt stand.

Nachmittag ging er mit Bärbchen in die Vorratskammer, wo Ketling noch ein zweites Waffenlager hatte, zeigte ihr verschiedene Stücke und erklärte ihren Gebrauch. Dann schossen sie mit astrachanischen Pfeilen.

Das Mädchen war glückselig über das Spiel und plauderte so lebhaft, daß die Frau Truchseß ihr Zügel anlegen mußte.

So ging der zweite Tag hin; am dritten fuhr er mit Sagloba nach Warschau, um etwas über den Termin der Abreise zu erfahren; am Abend verkündigte Michael den Frauen, daß er in einer Woche mit Bestimmtheit ausrücke.

Er bemühte sich, dies nachlässig und heiter zu erzählen; Christine blickte er kaum an.

Das Mädchen war beunruhigt und versuchte, ihn über verschiedene Dinge auszufragen; er antwortete höflich, freundschaftlich, aber er schien sich mehr an Bärbchen zu halten.

Sagloba, welcher glaubte, daß dies die Folge seiner vorangegangenen Ratschläge sei, rieb sich erfreut die Hände; da aber vor seinem Auge nichts verborgen bleiben konnte, bemerkte er Christinens Traurigkeit.

»Es hat sie alteriert, es hat sie offenbar alteriert,« dachte er bei sich; »nun, das will nichts sagen, das ist so Frauenart. Aber Michael hat schneller Kehrt gemacht, schneller als ich erwartet hatte. Ein prächtiger Junge, aber ein Sausewind in Liebesdingen war er, und ein Sausewind wird er bleiben!«

Aber Sagloba hatte in Wirklichkeit ein gutes Herz, und so ward es ihm bald leid um Christine.

»Direkt will ich ihr nichts sagen,« sprach er zu sich, »aber einen Trost muß ich ihr ersinnen.«

Das Vorrecht, das ihm sein Alter und sein graues Haupt gab, benutzend, ging er dann nach dem Abendbrot zu ihr und begann ihre seidenen schwarzen Haare zu streicheln. Sie aber saß still da und hob ihre sanften Augen zu ihm empor, ein wenig verwundert über diese Teilnahme, aber voller Dankbarkeit.

Am Abend, als sie an der Tür des Zimmers standen, in welchem Wolodyjowski schlief, stieß ihn Sagloba in die Seite.

»Was,« sagte er, »'s geht nichts über den kleinen Heiducken?«

»Ein reizendes Kerlchen,« versetzte Wolodyjowski, »sie macht allein für vier Soldaten Lärm in den Zimmern. Ein echter Trommler!«

»Ein Trommler? Gebe Gott, daß sie so bald als möglich deine Trommel trüge! Gute Nacht!«

»Gute Nacht! Seltsame Geschöpfe diese Frauen, hast du gesehen, wie Christine aufgeregt war, als du dich nur ein wenig Bärbchen nähertest?«

»Nein, ich habe es nicht bemerkt,« versetzte der kleine Ritter.

»Als ob ihr ein Schiff untergegangen sei.«

»Gute Nacht!« wiederholte Wolodyjowski und ging schnell in sein Zimmer.

Sagloba hatte auf das ungestüme Wesen des kleinen Ritters gezählt, er hatte sich aber ein wenig verrechnet; auch hatte er überhaupt nicht geschickt gehandelt, als er von Christinens Erregung sprach, denn Michael ward bald so davon ergriffen, daß es ihm die Kehle zusammenschnürte.

»Ich werde ihr schon ihre Freundlichkeit lohnen, ich werde es ihr lohnen, daß sie mich wie eine Schwester in der Trübsal getröstet hat,« sagte er zu sich. — »Bah, was habe ich ihr denn Böses getan?« dachte er nach einer Weile der Überlegung, »was habe ich getan? Ich habe sie drei Tage hindurch zurückgesetzt, was nicht einmal höflich war; ich habe das süße Mädchen, das geliebte Geschöpf zurückgesetzt; dafür, daß sie meine Wunden heilen wollte, habe ich sie mit Undankbarkeit genährt. Wenn ich doch verstände,« fuhr er fort, »Maß zu halten und, die gefährliche Freundschaft zügelnd, sie nicht zurückzusetzen; aber mein Witz ist dafür zu stumpf ...«

Und Michael war böse auf sich selber, und ein großes Mitleid wurde laut in seiner Brust. Unwillkürlich begann er an Christine zu denken, wie an ein geliebtes, wie an ein beleidigtes Wesen; der Zorn gegen sich selbst wuchs in ihm mit jedem Augenblick.

»Ein Barbarus bin ich, ein Barbarus!« wiederholte er.

Und Christine überragte Bärbchen ganz in seinen Gedanken.

»Nehme, wer will, dies Mühlrad, diese Plaudertasche!« sagte er zu sich selber, »Nowowiejski oder der Teufel — mir ist's gleich.«

Der Zorn gegen die unschuldige, ahnungslose Barbara wurde mächtig in ihm, aber nicht einen Augenblick kam es ihm in den Sinn, daß er sie durch diesen Zorn vielleicht mehr kränke, als Christinen durch die erzwungene Gleichgültigkeit.

Christine hatte mit dem Instinkt der Frau sofort erraten, daß in Herrn Michael eine Veränderung vorgehe; es stimmte sie gleichzeitig sehr traurig, daß der kleine Ritter ihr auszuweichen schien, und doch verstand sie, daß irgend etwas zwischen ihnen das Übergewicht gewinnen müsse, und daß sie nicht, wie bisher, in Freundschaft leben könnten, sondern entweder weit mehr als das, oder ganz und gar nicht.

Es ergriff sie daher eine Unruhe, die immer größer wurde bei dem Gedanken an die bevorstehende Abreise Michaels. In Christinens Herz war die Liebe noch nicht. Noch hatte das Mädchen sich's nicht gestanden, aber in ihrem Herzen und in ihrem Blute war eine große Neigung, zu lieben. Vielleicht empfand sie auch schon eine leichte Erregung des Kopfes. Wolodyjowski umgab der Ruhm des ersten Soldaten der Republik, der Mund aller Ritter wiederholte seinen Namen mit Ehrfurcht. Die Schwester erhob seine Sitten in den Himmel, der Reiz des Unglücks umgab ihn, und überdies hatte sich das junge Mädchen, das mit ihm unter einem Dache wohnte, an seine äußere Erscheinung gewöhnt.

In Christinens Natur lag es, daß sie gern geliebt war. Als also in den letzten Tagen Michael anfing, gleichgültig gegen sie zu werden, litt ihre Eigenliebe sehr; da sie aber von Natur ein gutes Herz hatte, beschloß sie, ihm weder ein zürnendes Gesicht noch Unwillen zu zeigen und ihn durch Güte wieder auszusöhnen. Es wurde ihr dies um so leichter, als Michael am folgenden Tage die Miene der Demut zeigte, und nicht nur Christinens Blicken nicht auswich, sondern ihr in die Augen sah, als wollte er sagen:

»Gestern habe ich dich zurückgesetzt, heute bitte ich dich um Verzeihung.«

Und so sagte er soviel mit den Augen, daß unter dem Eindruck dieser Blicke dem Mädchen das Blut ins Gesicht stieg, und ihre Unruhe noch wuchs wie im Vorgefühl, daß sehr bald etwas Wichtiges eintreten müsse. Und es trat auch ein. Nachmittag reiste Frau Truchseß mit Bärbchen zu einer Verwandten, der Frau Kämmerer von Lemberg, die sich in Warschau aufhielt; Christine aber tat absichtlich so, als quälte sie der Kopfschmerz, denn die Neugier hatte sie ergriffen, zu erfahren, was ihr wohl Herr Michael sagen würde, wenn sie unter vier Augen zurückblieben.

Sagloba war zwar auch nicht zur Frau Kämmerer gereist, aber er hatte die Gewohnheit, nach Tisch zu schlafen, bisweilen sogar viele Stunden, denn er behauptete, daß dies die Schwerfälligkeit von ihm fernhalte und ihm für den Abend einen angenehmen Witz gäbe. In der Tat ging er, nachdem er noch eine halbe Stunde Schalkspossen getrieben, in sein Zimmer. Christinen schlug das Herz mächtig.

Aber welche Enttäuschung harrte ihrer! Michael sprang auf und verließ mit ihm zusammen das Zimmer.

Er wird bald wiederkommen, dachte Christine, und sie griff zu dem Stickrahmen, und begann ein goldenes Kästchen zu sticken, welches sie Herrn Michael für die Reise schenken wollte. Aber immer wieder hob sie ihre Augen von der Arbeit auf und ließ sie bis zu der Danziger Uhr hinschweifen, die in der Ecke von Ketlings Wohnzimmer stand und mit gemessenem Ernste tickte.

Aber eine Stunde um die andere verging, und Michael ließ sich nicht sehen.

Das Mädchen legte ihre Arbeit in den Schoß, kreuzte die Arme und sagte leise: »Er fürchtet sich; aber ehe er Mut faßt, können sie wieder hier sein, und wir haben uns nichts gesagt, oder Herr Sagloba erwacht ...«

In diesem Augenblick schien es ihr, als hätten sie wirklich über eine ernste Angelegenheit zu sprechen, die durch Wolodyjowskis Schuld verzögert werden könnte.

Endlich wurden Schritte in dem Nachbarzimmer vernehmbar. »Er geht hin und her,« sagte das Mädchen und begann wieder fleißig zu sticken.

Wolodyjowski ging wirklich hin und her; er schritt das Zimmer auf und ab und wagte nicht einzutreten. Unterdessen rötete sich die Sonne immer mehr und neigte sich zum Untergang.

»Herr Michael!« rief plötzlich Christine.

Er trat ein und traf sie bei der Arbeit.

»Ihr habt mich gerufen, Fräulein?«

»Ich wollte nur wissen, ob nicht ein Fremder dort herumgeht ... Ich bin seit zwei Stunden hier allein.«

Wolodyjowski rückte einen Stuhl heran und setzte sich auf den Rand desselben. Es ging eine lange Zeit vorüber; er schwieg, rückte nur ein wenig mit den Füßen und näherte sich immer mehr dem Tische. Christine hörte auf zu sticken und erhob die Augen zu ihm. Ihre Blicke trafen sich, und plötzlich ließen beide die Augen sinken.

Als Wolodyjowski sie wieder emporrichtete, fielen auf Christinens Gesicht die letzten Sonnenstrahlen; sie war schön in deren Glanze. Ihre Haare blitzten wie goldig.

»In einigen Tagen werdet Ihr abreisen,« sagte sie so leise, daß Michael es kaum hören konnte.

»Es kann nicht anders sein.«

Und wieder trat ein Schweigen ein, das Christine endlich brach.

»Ich habe in den letzten Tagen gedacht, daß Ihr mir böse seid!«

»O Gott,« rief Wolodyjowski, »ich wäre nicht würdig, einen Blick von Euch zu empfangen, wenn ich dies getan hätte. Aber nicht das war es.«

»Was war es denn?« fragte Christine und richtete wieder ihre Augen auf ihn.

»Ich will aufrichtig sprechen, denn ich denke, die Aufrichtigkeit ist immer mehr wert als die Verstellung. Aber ... aber das vermag ich nicht auszusprechen, wieviel Trost Ihr mir ins Herz gegossen habt, und wieviel Dankbarkeit ich für Euch empfunden habe!«

»O, daß es doch immer so bliebe!« antwortete Christine, indem sie über der Arbeit die Hände kreuzte.

Und Michael erwiderte in tiefer Traurigkeit:

»O, wenn es doch, wenn es doch so bliebe! Aber mir hat Herr Sagloba gesagt — ich spreche zu Euch wie zu einem Priester — mir hat Sagloba gesagt, daß die Freundschaft mit Frauen ein gefährlich Ding ist, denn leicht, wie die Glut unter der Asche, kann sich ein heißeres Gefühl darunter verbergen. Ich aber habe gedacht, Sagloba könne recht haben und — verzeiht, Fräulein, einem schlichten Soldaten, ein anderer würde es vielleicht feiner sagen können — mir, mir blutet das Herz, daß ich Euch in den letzten Tagen zurückgesetzt habe ... Und das Leben wird mir schwer, schwer.«

Bei diesen Worten bewegte sich Michaels Schnurrbart so schnell hin und her, wie kein Käfer seine Fühlhörner bewegt.

Christine ließ den Kopf sinken, und zwei kleine Tränen flossen über ihre Wangen.

»Wenn Euch das Ruhe geben kann, und Ihr glaubt, daß meine schwesterliche Neigung nichts nütz ist, so will ich sie verbergen ...«

Und wieder flossen zwei Tränen über ihre rosigen Wangen. Aber dieser Anblick zerriß Michael das Herz.

Er sprang auf Christine zu und ergriff ihre Hände. Ihr Stickrahmen fiel von ihrem Schoß bis in die Mitte des Zimmers; der Ritter aber achtete nicht darauf, er drückte nur die warmen, weichen Sammethände an seine Lippen und wiederholte:

»Weint nicht, Fräulein, um Gottes willen, weint nicht!«

Er hörte aber auch nicht auf, die Hände zu küssen, als Christine, wie das Menschen zu tun pflegen, wenn sie Kummer haben, ihre Hände auf dem Kopfe zusammenlegte; im Gegenteil, er küßte sie um so heißer, bis die Wärme, die aus Kopf und Stirn strahlte, ihn wie Wein berauschte und seine Sinne verwirrte.

Dann wußte er selbst nicht, wie und wann seine Lippen auf ihre Stirn geraten waren und sie noch heißer küßten. Dann gelangten sie auf ihre weinenden Augen, und alles tanzte um ihn her. Dann fühlte er jenen zarten, weichen Flaum über ihrem Munde, dann berührten sich ihre Lippen und drückten sich lang und kräftig aneinander. Es wurde still im Zimmer, nur die Uhr tickte in gemessenem Ernste.

Plötzlich hörte man im Flur Bärbchen trampeln, und ihre kindliche Stimme rief:

»Die Kälte, die Kälte!«

Wolodyjowski sprang von Christine zurück wie ein Luchs, der von seinem Opfer aufgescheucht wird, und in diesem Augenblick stürzte Bärbchen lärmend ins Zimmer und wiederholte unaufhörlich:

»Die Kälte, die Kälte!«

Da stolperte sie plötzlich über den Stickrahmen, welcher mitten im Zimmer lag; sie blieb stehen und blickte verwundert bald auf das Körbchen, bald auf Christine, bald auf den kleinen Ritter und sagte:

»Was, habt Ihr aufeinander gezielt wie mit dem Wurfspieß?«

»Und wo ist Tantchen?« fragte Fräulein Drohojowska, indem sie sich bemühte, aus ihrer wogenden Brust einen ruhigen, natürlichen Ton hervorzubringen.

»Tantchen kriecht aus dem Schlitten heraus,« antwortete gleichfalls mit veränderter Stimme Bärbchen, und ihre beweglichen Nasenflügel gingen lebhaft hin und her. Sie blickte noch einige Male auf Christine und Herrn Wolodyjowski, der inzwischen das Körbchen aufgehoben hatte; dann ging sie plötzlich aus dem Zimmer.

Aber in diesem Augenblick schleppte sich die Frau Truchseß durch die Tür; auch Sagloba kam von oben herunter, und das Gespräch kam auf die Frau Kämmerer von Lemberg.

»Ich habe gar nicht gewußt, daß sie die Patin des Herrn Nowowiejski ist,« sagte die Frau Truchseß, »der ihr viel gebeichtet haben muß, denn sie hat Bärbchen furchtbar mit ihm aufgezogen.«

»Und was hat Bärbchen gesagt?« fragte Sagloba.

»Ei was, Bärbchen, der Springinsfeld. Sie hat der Frau Kämmerer gesagt, er habe keinen Bart und ich keinen Verstand, und Gott wisse, wer von uns zuerst dazu komme.«

»Das wußte ich wohl, daß sie ihre Zunge nicht verlieren würde, aber wer weiß, was sie in Wirklichkeit denkt? Frauenlist!«

»Wie das Herz denkt, so spricht die Zunge — so steht's mit Bärbchen! Übrigens habe ich Euch schon gesagt, daß sie Gottes Willen noch nicht empfindet; eher Christine.«

»Tantchen!« sagte plötzlich Christine.

Das weitere Gespräch verhinderte ein Diener, welcher ankündigte, daß das Abendbrot bereit sei. Sie gingen also alle in das Speisezimmer; nur Bärbchen war nicht da.

»Wo ist Bärbchen?« fragte die Frau Truchseß den Diener.

»Das Fräulein ist im Stall. Ich habe dem Fräulein gesagt, daß das Abendbrot da sei; das Fräulein sagte »Gut!« und ging in den Stall.«

»Sollte ihr etwas Unangenehmes begegnet sein? Sie war so lustig,« sagte Frau Makowiezka zu Sagloba gewendet. Da sagte der kleine Ritter, der ein unruhiges Gewissen hatte:

»Ich will nach ihr sehen.«

Und er ging hinaus; er fand sie wirklich gleich an der Stalltür auf einem Bund Heu sitzend. Sie war so in Gedanken versunken, daß sie ihn gar nicht bemerkte, als er eintrat.

»Fräulein Barbara!« sagte der kleine Ritter und neigte sich über sie.

Bärbchen fuhr zusammen, als sei sie aus dem Schlafe erwacht, und erhob zu ihm die Augen, in welchen Wolodyjowski zu seinem größten Erstaunen zwei Tränen, groß wie Perlen, bemerkte.

»Ums Himmels willen, was ist Euch, Fräulein, Ihr weint?«

»Ich denke gar nicht daran!« rief Bärbchen aufspringend, »ich denke gar nicht daran, — das kommt von der Kälte.«

Und sie lachte heiter; aber dieses Lachen war ein wenig erzwungen. Dann zeigte sie, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, auf ein Gitter, hinter welchem der Apfelschimmel stand, den Wolodyjowski von dem Hetman zum Geschenk erhalten hatte, und sagte lebhaft:

»Ihr habt gesagt, man könne zu diesem Pferde nicht hineingehen? Wir wollen doch sehen.«

Und ehe Michael sie zurückhalten konnte, sprang sie über das Gitter. Das wilde Tier begann sogleich sich zu bäumen, mit den Füßen auszuschlagen und die Ohren zu senken.

»Um Gottes willen, er kann Euch töten!« schrie Wolodyjowski und sprang ihr nach.

Aber Bärbchen hatte schon begonnen, mit der flachen Hand dem Apfelschimmel auf den Hals zu klopfen und wiederholte: »Mag er mich töten, mag er mich töten!«

Das Pferd aber wendete ihr die dampfenden Nüstern zu und wieherte leise, als freue es sich der Liebkosung.

Der kleine Ritter (Herr Wolodyjowski)

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