Читать книгу Der kleine Ritter (Herr Wolodyjowski) - Henryk Sienkiewicz - Страница 13

6. Kapitel.

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Inhaltsverzeichnis

Michael hatte die Erlaubnis, seinen Weg zu wählen, wie er wollte; er ging nach Tschenstochau an Ännchens Grab. Nachdem er hier den Rest seiner Tränen ausgeweint, zog er weiter, und unter dem Eindruck der frischen Erinnerungen kam ihm in den Sinn, daß diese geheimnisvolle Verlobung mit Christine doch vielleicht verfrüht war. Er empfand, daß Leid und Trauer etwas Heiliges, Unantastbares in sich hätten, was man in Frieden lassen müsse, bis es sich von selbst löst wie der Nebel, der gen Himmel steigt, und der in den unendlichen Räumen des Äthers verschwindet. Andere zwar, die Witwer geworden, heirateten einen oder zwei Monate später; — aber diese hatten nicht bei den Kamaldulensern begonnen, es hatte sie auch nicht der Schlag des Schicksals an der Schwelle ihres Glückes nach langen Jahren der Erwartung getroffen. Und überdies, wenn Leute ohne Bildung die Heiligkeit der Trauer nicht achteten, ziemte es sich, ihrem Beispiele zu folgen? —

Wolodyjowski zog also, begleitet von Gewissensbissen, nach Reußen. Er war aber insoweit gerecht, daß er die ganze Schuld auf sich nahm und nicht etwa auf Christine abwälzte. Im Gegenteil; zu den vielen beunruhigenden Stimmen, die ihm zuflüsterten, trat auch die, ob nicht Christine im Grunde ihrer Seele ihm diese Eile übel deuten könnte.

»Sie selbst hätte gewiß nicht so gehandelt,« sagte Michael zu sich selber, »und da sie eine große Seele hat, verlangt sie unzweifelhaft auch von anderen diese Größe.«

Und es erfaßte ihn die Furcht, ob er ihr etwa klein erschienen sein könnte. Aber es war unnütze Furcht. Was kümmerte Christine Michaels Trauer; wenn er ihr zu viel davon sprach, so erregte das nicht nur ihre Teilnahme, sondern es reizte sogar ihre Eigenliebe. War etwa sie, die Lebende, der Toten nicht wert? War sie überhaupt so wenig wert, daß die verstorbene Anna ihre Rivalin sein konnte? Wäre Sagloba in das Geheimnis eingeweiht gewesen, er hätte Michael sicherlich damit beruhigt, daß die Frauen für einander nicht allzuviel Mitleid haben.

Und doch war Christine nach der Abreise Wolodyjowskis sehr erstaunt über das, was vorgegangen, und daß das Schloß bereits in den Riegel gefallen war. Als sie nach Warschau reiste, wo sie nie vorher gewesen war, hatte sie sich vorgestellt, daß alles ganz anders sein würde. Zum Wahlreichstag und zur Wahl würden die bischöflichen Herren mit Gefolge, die Würdenträger mit ihren Leuten, eine leuchtende Ritterschaft von allen Seiten der Republik zusammenkommen. Da würde es Vergnügen, Lustbarkeiten, Wettkämpfe geben, und mitten in diesem Lärm in den Scharen der Ritterschaft würde »er« erscheinen.

Der Ritter, wie ihn nur in Träumen die Mädchen sehen; er würde in Liebe zu ihr entbrennen, unter ihrem Fenster mit der Zither stehen, lange lieben und seufzen, lange die Farbe der Geliebten im Wappen führen, ehe er nach zahlreichen Leiden und schwer überwindlichen Hindernissen ihr zu Füßen fallen und ihre Gegenliebe gewinnen würde.

Nichts von alledem war geschehen. Die farbigen, wie Regenbogen schillernden Nebel waren zerstoben, und der Ritter war erschienen, sogar ein ganz außerordentlicher Ritter, der für den ersten Kriegsmann der Republik galt, ein großer Herr, aber jenem »er« sehr wenig, ja ganz und gar nicht ähnlich. Auch keine Ritterspiele und keine Laute, keine Turniere, keine Wettkämpfe, keine farbigen Bänder im Wappen, keine Lustbarkeiten der Ritterschaft, keine Vergnügungen, all das nicht, was als ein schöner Traum des Maien, als ein wunderbares Märchen wie der Duft der Blumen berauscht; wovon das Antlitz in Röte erglüht, das Herz bebt, der ganze Körper erzittert ... Nur ein kleines Schlößchen hinter der Stadt, in diesem sie, Herr Michael, dann die Erklärung — und das war alles. Alles andere war entschwunden wie die Mondscheibe am Himmel entschwindet, wenn die Wolke ihn bedeckt ... Wenn dieser Herr Michael wenigstens am Ende des Märchens gekommen wäre, er wäre willkommen geheißen worden. Bisweilen, wenn Christine an seinen Ruhm dachte, an seine Tapferkeit, an seinen Mut, die ihn zum Stolz der ganzen Republik und zum Schrecken ihrer Feinde gemacht hatten, empfand sie, daß sie ihn doch sehr liebe, sie glaubte nur, es sei ihr etwas entgangen, es sei ihr ein Unrecht geschehen — ein wenig von ihm selber — oder richtiger durch die Eile ...

So war diese Eile für beide ein kleiner Nadelstich ins Herz, und da sie immer weiter voneinander entfernt wurden, begann der kleine Stich ein wenig zu schmerzen. So pflegt in menschlichen Empfindungen manchmal etwas wie ein ganz unbedeutender Dorn zu stechen, bald heilt es von selber zu, bald wächst der Schmerz und fügt selbst der größten Liebe Leid und Bitterkeit zu. Aber zwischen ihnen war es noch weit entfernt von Leid und Bitterkeit. Besonders für Michael war Christine eine süße, beseligende Erinnerung, und ihr Gedenken folgte ihm wie der Schatten dem Menschen. Er dachte auch, je weiter er sich von ihr entferne, desto teurer würde sie ihm werden, desto mehr würde er sich nach ihr sehnen, nach ihr seufzen. Ihr ging die Zeit schwerer dahin, denn seitdem der kleine Ritter fortgereist war, besuchte niemand mehr Ketlings Haus, und Tag um Tag ging in Einförmigkeit und Langweile dahin.

Die Frau Truchseß sah der Ankunft ihres Mannes entgegen, zählte die Tage bis zur Wahl und sprach nur von ihm! Bärbchen wurde sehr still. Sagloba zog sie auf, daß sie jetzt, nachdem sie Nowowiejski den Abschied gegeben, sich nach ihm zurücksehne. In der Tat hätte sie lieber gesehen, daß wenigstens er gekommen wäre, aber er hatte sich gesagt: Du hast hier nichts zu schaffen, und rückte kurz nach Wolodyjowski aus. Auch Sagloba wollte wieder zu den Skrzetuskis zurückkehren und sprach immer davon, wie bange ihm nach den Provinzialen sei; aber er war träge und verschob seine Abreise von Tag zu Tag. Bärbchen setzte er auseinander, sie sei die Ursache seiner Verzögerung, denn er sei in sie verliebt und habe die Absicht, um ihre Hand anzuhalten.

Inzwischen leistete er Christine Gesellschaft, wenn Frau Makowiezka mit Bärbchen zur Frau Kämmerer fuhr. Christine begleitete sie nie bei diesen Besuchen, denn die Frau Kämmerer hatte trotz ihrer Güte Christine nicht gern. Aber oft begab sich auch Sagloba nach Warschau, wo er in artiger Gesellschaft die Zeit hinbrachte. Bisweilen kehrte er erst am folgenden Tage berauscht zurück, und da war Christine ganz allein und brachte die einsamen Stunden in Gedanken hin; bald dachte sie an Wolodyjowski, bald auch daran, was da hätte geschehen können, wenn jenes Schloß nicht ein für allemal in den Riegel gefallen wäre; oft sogar, wie wohl jener unbekannte Nebenbuhler Michaels ausgesehen hätte, der Prinz aus dem Märchenland ...

So saß sie einstmals am Fenster und schaute in Gedanken auf die Tür des Zimmers hin, auf welche ein greller Schein der untergehenden Sonne fiel, als plötzlich Schlittengeläut von der anderen Seite des Hauses hörbar wurde. Christine fuhr es durch den Sinn, daß Frau Makowiezka mit Bärbchen heimgekommen sein müsse; aber das brachte sie nicht von ihren Gedanken ab, und sie wandte nicht einmal die Augen von der Tür. Indessen öffnete sich die Tür, und auf dem Grund der dunklen Tiefe erschien den Augen des Mädchens ein unbekannter Mann.

Im ersten Augenblick schien es Christine, als sähe sie ein Bild, oder als sei sie eingeschlummert und träume, so wunderbar war die Erscheinung, die vor ihr stand ... Der Unbekannte war ein junger Mann in schwarzem, fremdländischem Gewande mit einem weißen Spitzenkragen, der bis auf die Arme herabfiel. In ihrer Kinderzeit hatte Christine einmal Herrn Arzischewski, General der Artillerie, in ähnlicher Tracht gesehen, und er war ihr wegen dieser Tracht wie auch wegen seiner ungewöhnlichen Schönheit lange im Gedächtnis geblieben. Und ganz so war dieser Jüngling gekleidet, nur, daß er durch seine Schönheit bei weitem Herrn Arzischewski in den Schatten stellte und alle Männer, die auf Erden wandelten. Sein prächtiges Haar, über der Stirn gleichmäßig geschnitten, fiel in hellen Locken zu beiden Seiten seines Antlitzes herab. Seine Augenbrauen waren dunkel und hoben sich deutlich von seiner marmorweißen Stirn ab, seine Augen schwärmerisch traurig, sein Schnurrbart und sein spitzer Kinnbart blond. Es war ein Kopf ohnegleichen, in welchem Edelmut und Tapferkeit vereint waren, der Kopf eines Engels und eines Ritters.

Christine stockte der Atem im Busen, denn sie sah und glaubte ihren Augen nicht, und sie konnte nicht feststellen, ob sie eine Täuschung oder einen wirklichen Menschen vor sich habe. Er stand eine Weile unbeweglich da, erstaunt oder doch aus Höflichkeit Erstaunen heuchelnd über Christinens Schönheit; endlich trat er näher herein, neigte den Hut bis zum Fußboden und begann mit der Feder über die Diele zu fahren. Christine erhob sich; die Füße zitterten unter ihr, und ihre Augen schlossen sich, während ihr Antlitz bald bleich, bald rot wurde.

Da ertönte seine tiefe, samtweiche Stimme:

»Ich heiße Ketling of Elgin und bin Wolodyjowskis Freund und Waffenbruder. Die Dienerschaft hat mir schon gesagt, daß ich das unaussprechliche Glück und die Ehre habe, unter meinem Dache die Schwester und die Verwandten meines Kriegsherrn zu bewirten; aber verzeiht, edles Fräulein, meine Verwirrung, denn die Dienerschaft hat mir nicht gesagt, was meine Augen sehen, und diese Augen können diesen Glanz nicht ertragen ...«

Mit einem solchen Kompliment begrüßte sie der ritterliche Ketling; sie aber konnte ihm nicht mit einem gleichen heimzahlen, denn sie war keines Wortes mächtig. Sie vermutete nur, daß er nach dem Schluß dieser Rede ihr eine wiederholte Verbeugung machte, denn sie hörte in der Stille wieder das Rauschen der Feder gegen den Fußboden. Sie fühlte auch, daß sie etwas sagen müsse und die Freundlichkeit mit einer Freundlichkeit zu erwidern habe, da sie sonst für wenig höflich gelten könne; aber der Atem fehlte ihr, die Pulse in den Schläfen und in der Hand pochten, der Busen hob und senkte sich, als wäre sie ermüdet. Sie öffnet die Augenlider, er steht vor ihr mit etwas gesenktem Haupte, mit Bewunderung und Achtung in seinem wunderbaren Gesicht. Mit zitternden Händen griff Christine an ihr Kleid, um wenigstens einen Knix vor ihm zu machen. Zum Glück ertönte in diesem Augenblick hinter der Tür der Ruf »Ketling, Ketling!« und in das Zimmer stürzte mit geöffneten Armen keuchend Herr Sagloba.

Sie fielen sich um den Hals, und in dieser Zeit bemühte sich das Mädchen, zu sich zu kommen und zugleich zwei-, dreimal auf den jungen Ritter hinzublicken. Er hielt Herrn Sagloba in herzlicher Umarmung mit dem außerordentlichen Adel in jeder Bewegung, die er entweder von seinen Ahnen ererbt oder an den vornehmen Höfen der Könige und Magnaten sich angeeignet hatte.

»Wie geht es dir?« rief Sagloba; »ich heiße dich in deinem Hause willkommen wie in meinem eigenen. Laß dich ansehen — — ha, du bist heruntergekommen! ... Etwa die Liebe? Bei Gott, du bist heruntergekommen! — Weißt du, Michael ist zum Heere abgereist. O, das hast du vortrefflich gemacht, daß du hergekommen bist. Michael denkt gar nicht mehr ans Kloster. Seine Schwester ist hier mit zwei jungen Mädchen — Mädchen wie die Aprikosen. Jesiorkowska heißt die eine, Drohojowska die andere. — Beim Himmel, Fräulein Christine ist hier! — o, ich bitte um Verzeihung, aber die Augen mögen dem aus dem Kopfe springen, der Euch die Schönheit absprechen wollte, und der junge Herr hier muß die Eure schon kennen.«

Ketling verneigte zum drittenmal sein Haupt und sagte lächelnd:

»Ich habe mein Haus verlassen als ein Zeughaus und treffe einen Olymp an, denn ich habe bei meinem Eintritt eine Göttin gesehen.«

»Ketling, wie geht es?« rief Sagloba zum zweitenmal, denn ihm genügte die eine Begrüßung nicht, und er faßte ihn noch einmal in seine Arme.

»Das ist noch gar nichts,« sagte er, »den kleinen Heiducken hast du noch gar nicht gesehen. Die eine ist schön, aber auch die andere ist Honig, — Honig sage ich dir! Wie geht's dir, Ketling? Erhalte dich Gott bei Gesundheit! — Ich werde zu dir »du« sagen! Einverstanden? Mir Altem ist das geschickter ... Freust du dich über deine Gäste, was? ... Frau Makowiezka ist hierhergekommen, denn während der Zeit des Wahlreichstags war es schwer um eine Herberge, aber jetzt ist es schon leichter, und sie wird wohl ausziehen, denn es ziemt doch nicht, mit jungen Damen in eines Junggesellen Hause zu wohnen, damit die Leute nicht den Mund verziehen und was zum Schwatzen haben.«

»Bei Gott, das gestatte ich nicht! Ich bin nicht Wolodyjowskis Freund, ich bin sein Bruder, darum kann ich Frau Makowiezka als meine Schwester unter meinem Dache aufnehmen. An Euch, mein Fräulein, wende ich mich zuerst um Fürsprache, und wenn es nötig ist, will ich auf meinen Knieen darum bitten.«

Bei diesen Worten kniete er vor Christine nieder, umfaßte ihre Hand, drückte sie an die Lippen und schaute flehend — froh und traurig zugleich — in ihre Augen. Sie aber wurde rot, besonders weil Sagloba ausrief:

»Kaum angekommen, liegt er schon vor ihr auf den Knieen — bei Gott, das sage ich Frau Makowiezka, daß ich Euch so angetroffen habe! Scharf, Ketling! ... Erkennt daran seine höfischen Sitten, Fräulein!«

»Ich bin der höfischen Sitten nicht kundig,« flüsterte das Mädchen in größter Verwirrung.

»Kann ich auf Eure Fürsprache rechnen?« fragte Ketling.

»Steht doch auf!«

»Kann ich auf Eure Fürsprache rechnen? Ich bin Michaels Bruder, ihm geschieht ein Unrecht, wenn dieses Haus verödet!«

»Hier hilft mein Wollen nichts,« antwortete Christine, die schon mehr zu sich gekommen war, »wenn ich auch für das Eure dankbar sein muß.«

»Ich danke,« versetzte Ketling und drückte ihre Hand an den Mund.

»Ha, draußen ist's eiskalt, und Cupido ist nackt, aber ich denke, wenn er hierherkommt, in diesem Hause wird er nicht frieren!« rief Sagloba. »Ich sehe schon, vor lauter Seufzern wird es tauen, nur vor Seufzern.«

»Laßt das!« sagte Christine.

»Ich danke Gott, daß Ihr Euren jovialen Humor nicht verloren habt,« sagte Ketling, »denn Heiterkeit ist ein Zeichen der Gesundheit.«

»Und das reine Gewissen, das reine Gewissen!« versetzte Sagloba. »Der Weise sagt: Wen es juckt, der kratze sich — und mich juckt es nicht, darum bin ich lustig. O, bei den Ungläubigen, was sehe ich! Habe ich dich nicht in polnischer Tracht gesehen, im Luchskalpak und mit dem Säbel, und nun hast du dich wieder in so einen Engländer verwandelt und gehst auf dünnen Füßchen einher wie ein Kranich?«

»Weil ich lange Zeit in Kurland gewesen bin, wo man die polnische Tracht nicht trägt, und weil ich zwei Tage bei dem englischen Residenten in Warschau verbracht habe.«

»So kommst du aus Kurland?«

»Ja, mein Adoptivvater ist gestorben und hat mir ein zweites Gut hinterlassen.«

»Friede seiner Asche! War er ein Katholik?«

»Ja, Katholik.«

»So hast du wenigstens einen Trost. Und wirst du uns wegen jenes kurländischen Erbes nicht verlassen?«

»Hier will ich leben und sterben,« antwortete Ketling mit einem Blick auf Christine.

Und sie senkte ihre langen Wimpern zu Boden.

Frau Makowiezka kam, als es völlig dunkel geworden war, und Ketling ging ihr bis zum Tore entgegen und führte sie wie eine regierende Fürstin mit großer Achtung ins Haus. Sie wollte gleich für den anderen Tag ein anderes Unterkommen in der Stadt suchen, aber all ihr Widerstand war vergeblich. Der junge Ritter bat so lange, berief sich so lange auf seine Brüderschaft mit Wolodyjowski, kniete so lange, bis sie ihre Zustimmung gab, auch fernerhin bei ihm wohnen zu bleiben. Es wurde nur bestimmt, daß auch Herr Sagloba noch eine Zeitlang dableibe, damit er mit seiner Würde und seinem Alter die Frauen gegen böse Zungen schütze. Er ging sehr gern darauf ein, denn er hatte zu dem kleinen Heiducken eine große Zuneigung gefaßt und begann auch gewisse Pläne zu schmieden, die durchaus seine Anwesenheit erforderten. Die Mädchen waren beide froh, und Bärbchen nahm gleich von Anfang offen Partei für Ketling.

»Heute werden wir so wie so nicht davongehen,« sagte sie zu der zögernden Frau Truchseß, »und schließlich, ob wir einen Tag oder zwanzig hierbleiben, das ist schon ganz gleich.«

Ketling gefiel ihr, wie auch Christinen, denn er gefiel allen Frauen; Bärbchen hatte auch noch nie einen ausländischen Herrn gesehen außer den Offizieren von fremdem Fußvolk, Männer von geringerem Range und ziemlich niederer Stellung. Sie ging, den Kopf schüttelnd und ihre Nasenflügel bewegend, mit kindlicher Neugier um ihn herum, mit so aufdringlicher Neugier, daß sie eine leise Rüge von Frau Makowiezka anhören mußte. Aber trotz der Rüge hörte sie nicht auf, ihn mit den Augen auszuforschen, als wollte sie seinen ganzen soldatischen Wert abschätzen, und endlich fing sie an, Herrn Sagloba über ihn auszufragen.

»Ist er ein großer Krieger?« fragte sie den alten Edelmann leise.

»Es kann keinen größeren geben! Siehst du, er hat eine ungeheure Erfahrung, denn seit dem vierzehnten Lebensjahre hat er gegen die sektierenden Engländer gekämpft auf der Seite des wahren Glaubens. Er ist ein Edelmann von höchster Abkunft, was man auch an seinen vornehmen Sitten leicht erkennen kann.«

»Habt Ihr ihn im Feuer gesehen?«

»Tausendmal! Er steht fest und runzelt nicht einmal die Stirn; er streichelt nur sein Pferd am Halse, als wollte er mit ihm von Liebe sprechen.«

»Ist das Mode, in solchen Fällen von Liebe zu sprechen, was?«

»Es ist Mode, alles zu tun, wodurch man seine Verachtung für die feindliche Kugel zeigt.«

»Und im Handgemenge, im Einzelkampf ist er auch groß?«

»Kolossal!«

»Und würde er Herrn Michael standhalten?«

»Michael würde er nicht standhalten.«

»Ha!« rief Bärbchen mit freudigem Stolze aus, »ich habe es gewußt, daß er ihm nicht standhält, ich hab's gleich gedacht, daß er nicht standhält.« Und sie klatschte in die Hände.

»So tretet Ihr für Michael ein?« fragte Sagloba.

Bärbchen schüttelte den Kopf und schwieg. Nach einer Weile erst hob ein leiser Seufzer ihren Busen.

»Ei was, ich freue mich, weil er unser ist.«

»Aber das merkt Euch und haltet fest, kleiner Heiduck,« sagte Herr Sagloba, »wenn es auf dem Schlachtfelde schwerlich einen besseren gibt als Ketling, so ist er für die Frauen noch mehr gefährlich, denn sie lieben ihn wahnsinnig wegen seiner Schönheit. Er ist auch ein großer Praktiker in der Liebe!«

»Sagt das Christine, denn ich denk' an solche Dinge nicht,« sagte Bärbchen und rief, zu Fräulein Drohojowska gewandt: »Christine, Christine, auf ein Wort!«

»Nun?« sagte Fräulein Drohojowska.

»Herr Sagloba sagt, kein Mädchen sähe Ketling an, ohne sich in ihn zu verlieben. Ich habe ihn schon von allen Seiten angesehen, und mir ist gar nichts. — Und du? Fühlst du schon etwas?«

»Aber Bärbchen, Bärbchen!« sagte Christine in vorwurfsvollem Tone.

»Gefällt er dir, was?«

»Sei doch still, laß doch. Liebes Bärbchen, schwatz' doch nicht, Herr Ketling kommt gerade.«

Noch hatte Christine sich nicht niedersetzen können, als Ketling hereintrat und fragte:

»Darf man sich den Damen anschließen?«

»Wir bitten sehr,« antwortete Fräulein Jesiorkowska.

»Ich frage also schon kühner: Wovon sprachen die Damen?«

»Von der Liebe,« rief Bärbchen ohne Zögern.

Ketling nahm neben Christine Platz. Eine Weile schwiegen sie, denn Christine, die sonst immer sehr geistesgegenwärtig war, wurde diesem Ritter gegenüber sehr zaghaft.

»War wirklich von einem so anmutigen Gegenstand die Rede?« fragte Ketling.

»Ja,« antwortete Fräulein Drohojowska mit halber Stimme.

»Ich würde zu gern Ihre Meinung hören.«

»Verzeihen Sie, mein Herr, mir fehlt der Mut sowohl wie der Witz, und ich denke auch, ich würde eher von Ihnen etwas Neues hören.«

»Christine hat recht,« warf Sagloba ein; »wir hören also.«

»Fragen Sie, mein Fräulein,« antwortete Ketling.

Er richtete seine Augen halb empor, versank in Gedanken und begann, ohne daß sie fragte, als ob er zu sich selbst spräche:

»Die Liebe ist ein schweres Leid, denn durch sie wird der freie Mensch ein Sklave. Gleich wie der Vogel vom Pfeil durchbohrt zu den Füßen des Jägers niederfällt, so hat auch der Mensch, von der Liebe getroffen, nicht mehr die Kraft, von den geliebten Füßen aufzufliegen ... Lieben heißt gebrechlich sein, denn der Mensch sieht wie der Blinde die Welt über seiner Liebe nicht ... Liebe ist Traurigkeit, denn wann fließen mehr der Tränen, wann entringen der Brust sich mehr der Seufzer? Wer liebt, für den gibt es keinen Schmuck mehr, keine Lustbarkeit; dasitzen möchte er, die Hände um die eigenen Kniee geschlungen und sehnsüchtig bangend wie der, der einen teuren Angehörigen verloren hat ... Liebe ist eine Krankheit, denn wie bei der Krankheit wird das Antlitz blaß, die Augen hohl, zittern die Hände und werden die Finger hager, und der Mensch denkt an den Tod, oder er geht wie im Irrsinn einher, spricht zu dem Monde, zeichnet den teuren Namen in den Sand, und wenn der Wind ihn verweht, dann sagt er: »O Unglück!« und bricht in Seufzer aus.«

Hier versank Ketling eine Weile in Schweigen; man hätte glauben mögen, er sei untergegangen in Erinnerungen. Christine lauschte seinen Worten wie einem Liede mit ganzer Seele. Ihre beschatteten Lippen öffneten sich, ihre Augen wichen nicht von dem schneeweißen Antlitz des Ritters. Bärbchen waren die Stirnhaare ganz über die Augen gefallen, so daß man nicht erkennen konnte, was sie wohl denke; aber auch sie saß still da.

Da gähnte plötzlich Herr Sagloba laut auf, reckte sich, streckte die Füße und sagte:

»Von solcher Liebe kannst du den Hunden Stiefeln nähen lassen.«

»Und doch,« begann der Ritter von neuem, »ist lieben schwer, so ist nichtlieben noch schwerer. Denn wen mag, ohne Liebe, die Freude, der Ruhm, Reichtümer, Wohlgerüche und Kleinodien befriedigen? Wer wird der Geliebten nicht sagen: Du bist mir mehr als ein Königreich, mehr als ein Szepter, mehr als die Gesundheit, mehr als ein langes Leben? Und da jeder von uns gern sein Leben hingäbe für die Liebe, so ist die Liebe mehr wert als das Leben.«

Ketling war zu Ende gekommen. Die Mädchen saßen eine an die andere geschmiegt und bewunderten das Gefühl, das aus seiner Rede sprach, und diese Liebesdeutungen, welche den polnischen Herren fremd waren; bis endlich Sagloba, der gegen das Ende eingeschlummert war, erwachte und mit den Augen blinzelnd bald die eine, bald die andere, bald den dritten anblickte und, seine Sinne sammelnd, mit lauter Stimme fragte:

»Nun, was sagt ihr?«

»Wir sagen Euch gute Nacht!« rief Bärbchen.

»Oho, ich weiß schon, wir sprachen von der Liebe. Wie war das Ende?«

»Das Unterfutter war besser als der Mantel.«

»Ohne Zweifel! Aber es hat mich müde gemacht, denn lieben heißt weinen und greinen. Und ich habe noch einen Reim gefunden: Kummer und Schlummer ... und das letzte ist gewiß das beste, denn es ist spät. Gute Nacht, die ganze Gesellschaft, und laßt die Liebe schon in Frieden ... Du lieber Gott, so lange der Kater miaut, frißt er den Speck nicht, und dann beleckt er sich ... Auch ich war vor Zeiten Ketling ähnlich wie ein Wassertropfen dem anderen, und liebte so wahnsinnig, daß mich ein Schafbock eine Stunde lang von hinten hätte stoßen können, ehe ich's bemerkt haben würde. Aber im Alter ziehe ich es vor, mich auszuruhen, besonders wenn der höfliche Wirt mich nicht nur begleitet, sondern auch den Betttrunk bringt.«

»Zu Euren Diensten,« sagte Ketling.

»Gehen wir, gehen wir. Seht, wie hoch der Mond schon steht! Schönes Wetter für morgen, der Himmel ist mit Sternen besäet, und es ist hell wie am lichten Tag. Ketling würde euch die ganze Nacht hindurch von der Liebe sprechen, aber bedenkt, Mädchen, daß er müde ist.«

»Ich bin nicht müde, denn ich habe zwei Tage in der Stadt geruht; ich fürchte nur, daß die Damen nicht gewohnt sind zu wachen.«

»Die Nacht würde schnell dahingehen, wenn wir Euch zuhörten,« sagte Christine.

»Eine Nacht gibt es nicht, wo die Sonne scheint,« antwortete Ketling.

Dann trennten sie sich, denn es war in der Tat schon spät. Die Mädchen schliefen zusammen und plauderten gewöhnlich, bevor sie einschliefen. An diesem Abend aber konnte Bärbchen von Christine kein Wort herauslocken; so sehr die eine Lust hatte, sich zu unterhalten, so sehr war die andere schweigsam und antwortete nur mit hingeworfenen Worten. Wenn Bärbchen, von Ketling sprechend, witzig werden wollte und ihn ein wenig verspottete, auch ein wenig nachahmte, umfaßte Christine mit großer Zärtlichkeit ihren Hals und bat sie, die Torheiten zu lassen.

»Er ist hier Wirt, Bärbchen,« sagte sie, »wir wohnen unter seinem Dache, und ich habe bemerkt, daß er dich vom ersten Augenblicke liebgewonnen hat.«

»Woher weißt du das?« fragte Bärbchen.

»Wer würde dich nicht liebgewinnen! Dich lieben alle ... auch ich sehr!«

Bei diesen Worten brachte sie ihr süßes Gesicht dem Gesicht Bärbchens näher, drückte sie an sich und küßte sie auf die Augen.

Endlich gingen sie zur Ruhe; aber Christine konnte lange Zeit nicht einschlafen. Eine Unruhe hatte sie erfaßt; bisweilen schlug ihr Herz so mächtig, daß sie beide Hände an ihre atlasweiße Brust preßte, um das Pochen zu dämpfen. Bald wieder schien es ihr, besonders, wenn sie die Augen zu schließen versuchte, als neigte ein Kopf, schön wie ein Traum, sich über sie, und als flüstere ihr eine Stimme ins Ohr: »Du bist mir teurer als ein Königreich, als ein Szepter, als die Gesundheit, als langes Leben.«

Einige Tage darauf schrieb Sagloba an Skrzetuski einen Brief, der also schloß:

»Wenn ich also vor der Wahl nicht nach Hause komme, wundert Euch nicht. Es geschieht nicht aus geringer Neigung zu Euch, sondern weil der Teufel die Hand im Spiele hat, und ich nicht mag, daß mir statt eines Vogels was Garstiges in der Hand bliebe. Es müßte schlimm sein, wenn ich Michael bei seiner Heimkehr nicht bald sagen könnte: die da ist verlobt, und der kleine Heiduck ist frei. Alles liegt in der Hand Gottes, und ich denke, es wird dann nicht nötig sein, Michael zu stoßen, noch lange Beobachtungen zu machen, und Ihr kommt dann schon zur fertigen Erklärung her. Indessen werde ich wie Ulyssus handeln müssen und allerhand Kniffe gebrauchen, auch ein wenig Farbe hinzutun, was mir nicht leicht werden wird; denn ich habe mein Leben lang die Wahrheit höher gestellt als alle Kostbarkeiten und stets mich nur von ihr genährt. Aber für Michael und den kleinen Heiducken werde ich auch das über mich gewinnen, denn sie sind beide pures Gold. Und nun umarme ich Euch beide und drücke Euch ans Herz, und empfehle Euch der Gnade des allerhöchsten Gottes.«

Nachdem er fertig geschrieben hatte, schüttelte Sagloba Sand über den Brief, dann schlug er mit der Hand darauf, las ihn noch einmal, indem er ihn fern von den Augen hielt, dann legte er ihn zusammen, nahm den Siegelring vom Finger, leckte mit der Zunge daran und bereitete sich zum Stempeln vor. Bei dieser Tätigkeit überraschte ihn Ketling.

»Guten Tag!«

»Guten Tag, guten Tag!« erwiderte Sagloba. »Das Wetter ist Gott sei Dank vortrefflich, und ich denke bald einen Boten an die Skrzetuskis zu senden.«

»Grüßt sie, bitte, von mir.«

»Das habe ich schon getan; ich habe mir bald gesagt: man muß von Ketling einen Gruß beifügen; die beiden werden sich freuen, wenn sie gute Nachrichten bekommen. Es ist doch klar, daß ich von dir gegrüßt habe, da die ganze Epistel von dir und dem Mädchen handelt.«

»Wie?« sagte Ketling.

Sagloba legte die Hände auf die Kniee, spielte mit den Fingern, senkte den Kopf und blickte von unten herauf zu Ketling.

»Mein lieber Ketling, man braucht nicht gerade ein Prophet zu sein, um vorherzusagen, daß, wo Feuerstein und Zunder ist, früher oder später Funken fallen werden. Du bist unter den Schönen der Schönste, und den Mädchen, denke ich, kannst du auch nichts nachsagen.«

Ketling geriet in große Verwirrung.

»Blind müßte ich sein oder ein großer Barbar,« sagte er, »wenn ich ihre Schönheit nicht sehen, nicht preisen sollte.«

»Ah, siehst du,« versetzte Sagloba, indem er Ketling lächelnd in das erglühende Antlitz schaute. »Wenn du kein Barbarus bist, so ziemt es dir nicht, beide zum Ziele zu wählen, denn so machen es nur die Türken.«

»Wie könnt Ihr vermuten ...«

»Ich vermute auch nicht, ich sage bloß so zu mir selber. ... Ei, du Verräter hast ihnen so viel von Liebesdingen vorgemacht, daß Christine seit drei Tagen bleich umhergeht, als nähme sie Arznei. Ha, kein Wunder! Als ich jung war, stand ich selbst im Frost unter dem Fenster einer Schwarzbraunen (sie hatte einige Ähnlichkeit mit Fräulein Drohojowska), und ich erinnere mich noch, wie ich sang: »Schläfst dort, Mädchen, hinterm Gitter, und ich spiele hier die Zither, hoc, hoc.« Willst du, so leihe ich dir dies Lied, oder ich komponiere dir ein neues, denn an Genie fehlt es mir nicht. Hast du bemerkt, daß Fräulein Drohojowska eine gewisse Ähnlichkeit mit dem früheren Fräulein Billewitsch hat? — Nur daß die andere flachsblonde Haare hatte, und daß ihr der Flaum über der Lippe fehlte. Aber es gibt Menschen, die darin eine hohe Schönheit sehen und das als eine Rarität betrachten. Sie scheint dir gewogen zu sein, — ich habe das soeben den Skrzetuskis geschrieben; — nicht wahr, ist sie nicht der Billewitsch ähnlich?«

»Im ersten Augenblick habe ich die Ähnlichkeit nicht bemerkt, aber es kann sein. In Wuchs und Haltung erinnert sie an jene.«

»Nun, so höre, was ich dir sagen will. Ich will dir die Geheimnisse der Familie auftun; aber da auch du mein Freund bist, so mußt du wissen: nimm dich in acht, daß du dem Wolodyjowski nicht mit Undank lohnest, denn Frau Makowiezka und ich haben eines dieser Mädchen für ihn bestimmt.«

Hier blickte Sagloba unverwandt forschend in Ketlings Augen; dieser aber wurde bleich und fragte:

»Welche?«

»Fräulein Dro — ho — jow — ska,« sagte Sagloba langsam.

Und indem er die Unterlippe vorschob, begann er unter den zusammengezogenen Augenbrauen mit seinem gesunden Auge zu blinzeln.

Ketling schwieg, bis endlich Sagloba fragte:

»Was sagst du dazu, nun?«

Und Ketling antwortete mit veränderter, aber kraftvoller Stimme:

»Ihr könnt sicher sein, daß ich mein Herz nicht zu Michaels Schaden lenken werde.«

»Bist du dessen gewiß?«

»Viel habe ich im Leben durchgemacht,« versetzte der Ritter, — »mein Ehrenwort.«

Da schloß Sagloba ihn in die geöffneten Arme.

»Ketling, laß deinem Herzenswunsche freien Lauf, soviel du willst! Ich habe dich nur erproben wollen; nicht Fräulein Drohojowska: den kleinen Heiducken haben wir für Michael bestimmt.«

Ketlings Antlitz leuchtete in aufrichtiger, tiefer Freude auf; er umarmte Sagloba, hielt ihn lange an seiner Brust und fragte endlich:

»Ist es gewiß, daß sie sich lieben?«

»Wer würde meinen kleinen Heiducken nicht lieben, wer?« entgegnete Sagloba.

»So ist die Verlobung schon gewesen?«

»Die Verlobung ist noch nicht gewesen, denn Michael hat sich kaum von seiner Trauer freigemacht; aber sie wird sein ... überlaß das nur mir. Das Mädchen ist ihm — sie mag sich auch wie ein Wiesel drehen und wenden — höchlich geneigt, denn bei ihr gilt der Säbel.«

»Das habe ich bemerkt, bei Gott!« unterbrach ihn Ketling, vor Freude strahlend.

»Ha, hast du's bemerkt? Michael beweint noch immer die andere, aber wenn's ihm eine antut, so ist es sicher der kleine Heiduck, denn sie ist der anderen mehr ähnlich, nur daß sie weniger mit den Augen wirft, weil sie jünger ist. Das fügt sich alles gut, nicht wahr? Ich bin überzeugt, zur Wahl haben wir zwei Hochzeiten.«

Ketling sprach kein Wort. Er umarmte Sagloba wieder und legte sein schönes Gesicht an dessen rote Wangen, so daß der Alte ihn abschüttelte und fragte:

»So steckt dir Fräulein Drohojowska schon so tief im Herzen?«

»Ich weiß nicht, ich weiß nicht,« antwortete Ketling, »ich weiß nur eins: kaum, daß ihr himmlischer Anblick meine Augen erfreut hatte, sagte ich mir, daß mein gequältes Herz nur sie allein noch lieben könnte, und noch in dieser Nacht habe ich den Schlaf durch meine Seufzer weggescheucht und mich ganz der süßen Sehnsucht hingegeben. Sie hat die Herrschaft über mein ganzes Sein errungen, wie eine Monarchin über das untergebene Land und über ihre Getreuen waltet. Ist das Liebe, ist es etwas anderes — ich weiß es nicht.«

»Aber das weißt du doch, daß das kein Schlapphut und keine drei Ellen Tuch zu Pluderhosen sind, kein Gespann und keine Peitsche, keine Wurst mit Rührei noch ein Maß mit Schnaps. Wenn du dessen ganz gewiß bist, so frage über das andere Christine, und wenn du willst, so frage ich sie selbst.«

»Tut das nicht,« erwiderte Ketling lachend. »Wenn ich ertrinken soll, so laßt mich wenigstens noch ein paar Tage glauben, daß ich schwimme.«

»Ich sehe, in der Schlacht sind die Schotten tüchtig, aber in Liebesdingen taugen sie nichts. Die Frauen muß man wie den Feind tüchtig angreifen: veni, vidi, vici — das war meine Maxime.«

»Mit der Zeit, wenn sich meine heißesten Wünsche erfüllen sollten,« sagte Ketling, »werde ich vielleicht um die Hilfe eines Freundes bitten; obwohl ich das Heimatsrecht erhalten habe, adliges Blut in meinen Adern fließt, so ist doch mein Name hier unbekannt, und ich weiß nicht, ob die Frau Truchseß ...«

»Frau Truchseß, Frau Truchseß ...«, unterbrach ihn Sagloba, »darum sei unbesorgt; die Frau Truchseß ist eine wahre Spieldose; wie ich sie aufziehe, so spielt sie. Ich will sogleich zu ihr; man muß ihr sofort zuvorkommen, damit sie nicht scheel sehe auf deine Art mit dem Mädchen umzugehen, denn Eure schottische Art ist anders als die unsrige. Gewiß werde ich nicht gleich in deinem Namen die Werbung vorbringen, ich will nur so beiläufig erwähnen, daß dir das Mädchen in die Augen gestochen hat, und daß es gut wäre, dies Mehl zu Brot umzubacken. So wahr Gott lebt, ich gehe sofort, und du, ängstige dich nicht, ich kann ja doch sagen, was mir beliebt.«

Und obgleich Ketling noch immer zurückhielt, erhob sich Sagloba und ging.

Unterwegs begegnete er Bärbchen, die wie gewöhnlich in ausgelassener Fröhlichkeit war.

»Weißt du, Christine hat Ketling ganz und gar erobert.«

»Er ist nicht der erste!« erwiderte Bärbchen.

»Und du bist darüber nicht böse?«

»Ketling ist eine Puppe — ein artiger Kavalier, aber eine Puppe. — Da habe ich mir das Knie an der Deichsel zerschunden, das ist alles!«

Hier beugte Bärbchen sich nieder und begann das Knie zu reiben, indem sie gleichzeitig Sagloba anblickte; er aber sagte:

»Um des Himmels willen, sei vorsichtig! Wo rennst du wieder hin?«

»Zu Christine.«

»Und was macht sie?«

»Sie? Seit einiger Zeit küßt sie mich beständig und reibt sich an mir wie eine Katze.«

»Sage ihr nichts davon, daß sie Ketling erobert hat.«

»E — he, ob ich das aushalte?«

Sagloba wußte ganz gut, daß Bärbchen das nicht aushalten würde, gerade darum verbot er es ihr.

Er ging also weiter, sehr erfreut über seine Schlauheit, und Bärbchen platzte wie eine Bombe in Fräulein Drohojowskas Zimmer.

»Ich habe mir das Knie zerschunden, und Ketling ist sterblich in dich verliebt!« rief sie gleich an der Schwelle. »Ich habe nicht bemerkt, daß aus dem Wagenschuppen eine Deichsel hervorstand — schwapp, hatt' ich's! Es wurde mir ganz finster vor den Augen, aber es tut nichts. Herr Sagloba hat mich gebeten, dir nichts davon zu sagen. Habe ich nicht gleich gewußt, daß es so kommen wird? Ich hab's gleich gewußt, und du hast ihn mir einreden wollen; sei unbesorgt, man kennt dich! — Es tut noch ein wenig weh. Herrn Nowowiejski habe ich dir nicht einreden mögen, aber Ketling, oho! Der geht nun im ganzen Hause umher, hält sich den Kopf und spricht mit sich selber. Hübsch, Christine, sehr hübsch!«

»Wie bin ich unglücklich, o wie unglücklich!« rief plötzlich Christine und löste sich in Tränen auf.

Bärbchen begann sie zu trösten, aber es half nichts, das Mädchen schluchzte und weinte wie nie zuvor in ihrem Leben.

Wußte doch wirklich im ganzen Hause niemand, wie sehr sie unglücklich war. Seit einigen Tagen war sie in Fieberglut, ihr Gesicht war blaß, ihre Augen hohl, ihre Brust hob und senkte sich in kurzen Atemstößen; es war etwas Seltsames mit ihr vorgegangen. Wie eine plötzliche Krankheit war es über sie gekommen, nicht langsam zunehmend, sondern auf einmal, wie ein Sturmwind, wie ein Orkan hatte es sie mit sich gerissen, wie eine Flamme hatte es ihr Blut erhitzt, wie ein Blitz ihre Einbildung grell geblendet. Nicht einen Augenblick hatte sie vermocht, dieser Kraft Widerstand zu leisten, die so unbarmherzig plötzlich über sie hereingebrochen war. Die Ruhe hatte sie verlassen, ihr Wille war wie ein flügellahmer Vogel ...

Sie wußte selbst nicht, ob sie Ketling liebe, ob sie ihn hasse, und eine furchtbare Angst vor dieser Frage hatte sie ergriffen; aber sie fühlte, daß ihr Herz nur durch ihn in so schnellen Schlägen pochte, daß ihr Kopf so haltlos nur an ihn denke, daß alles in ihr über ihn, von ihm erfüllt war. Und es gab keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Es wäre ihr leichter gewesen, ihn nicht zu lieben, als an ihn nicht zu denken, denn ihre Augen waren von seinem Anblick trunken, ihre Ohren von seiner Stimme berauscht, ihre ganze Seele voll von ihm ... Der Schlaf befreite sie nicht von diesem Aufdringlichen, denn kaum hatte sie die Augen geschlossen, so neigte sich sein Antlitz über sie und flüsterte: Du bist mir teurer als ein Königreich, als ein Szepter, als Ruhm und Reichtümer ... und dieses Haupt war so nah, daß selbst in der dunklen Nacht eine blutige Röte die Stirn des Mädchens übergoß. Sie war aus Reußenland, und ihr Blut war heiß, in ihrer Brust tobten unbekannte Gluten — von deren Dasein sie bisher nichts gewußt hatte, und unter deren Feuer sie zugleich Angst und Scham und eine große Zaghaftigkeit und Schwäche ergriff, die schmerzlich und süß war. Auch die Nacht brachte ihr keine Ruhe. Es hatte sie eine immer wachsende Müdigkeit ergriffen, wie nach einer schweren Arbeit.

»Christine, Christine, was ist mit dir geschehen!« rief sie sich selber zu. Aber sie war wie in einer Betäubung und in einer beständigen Sinnlosigkeit.

Der kleine Ritter (Herr Wolodyjowski)

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