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Herbert Beyertz


Herbert Beyertz • Die Fahrt nach T...


Herbert Beyertz


Inhalt


Seinem gedämpften „Noch“ folgt nach einer Weile

„seine letzte Fahrt – auf meine Kosten.“

„Ebbes, und ist nur ein Frachtboot… Ninon hätte etwas besseres verdient als so einen Appelkahn.“

„Der Appelkahn heisst Jason, Mutter – lies doch, gross und deutlich am Heck: Jason, nicht Ninon.“

Huberdina, als hätte sie’s überhört:

„Arm Kind. Nie verstand ich, wo ihr doch so glück- lich schient mit den beiden Jungs. Wollt ihr nicht noch einen Versuch machen? Jan, glaube ich, hat es am schwersten getroffen.“

Adam, obschon genervt, in guter Beherrschung:

„Das glaube ich nicht. Aber wir telefonieren manch- mal wieder. Merkwürdig, wie gern sie von dir spricht.“

„Adam, ich möchte wieder nach Den Haag. Kannst du das nicht machen? Oder haben wir das Haus nicht mehr?“

„Mutter, du weisst, es geht nicht. Du brauchst Hilfe, die ich dir dort schwer sichern kann. Sobald die Villa am Turm renoviert ist – glaube mir, nirgendwo wirst du es besser finden. Und Katzen kannst du so viele halten wie du willst.“

„Ich weiss nicht, Adam. Dort in den Ardennen, die vielen Soldaten…“

„Wieso?! Ausser zu den Herbstmanövern gibt es da keine Soldaten.“

„Du verstehst nicht. Die Gefallenen, die Gräberfelder, all die…“

„Nicht im Umkreis von zehn Meilen! Ich bitte dich… Aber es wird kühl, Mutter, gehen wir wieder unter Deck.“


Auf halbem Weg wendet sich Huberdina noch einmal

zum Wasser:

„Diese grossen Fische da… Lieve God.“


sam geleerten Moseltraminer, nachdem er seinen späten

Gast zum Gartentörchen geleitet hatte.

Gedämpftes Gelächter folgte stets dem letzten Gruss, wenn der Jeep mit seinem schwarzen Fahrer die schlecht beleuchtete Dorfstrasse davonfuhr. „Hat er nicht eine eigenartige Stimme?“ mochte dann Vater Jacques die Mutter fragen, worauf Elsa immer nur das eine zu erwidern wusste, indem sie den mitternächtigen Pegel ihres Mannes zu taxieren versuchte: „Er ist eben Amerikaner.“-

Der Farmerssohn aus Wisconsin (mit bayrischen Vor- fahren) hatte eine Reederstochter von Holland an dem Tag geehelicht, als ein deutscher Admiral die bedin- gungslose Kapitulation des Großdeutschen Reiches un- terzeichnete. Somit feierte der Leutnant der US Air Force einen doppelten Sieg. Ein Kind war bereits un- terwegs, die Heirat schien (wenn auch nicht unbedingt für ihn) zwingend, Adam wurde das Kind getauft.

Wo hat er Holgers Vater kennengelernt? Kilroys wirk- lichen Namen vernahm der Junge erst, als Vater Jacques an einem Sonntag nach dem Mittagessen (bei Elsas und Holgers Pudding, bei seinem Glas Wein) ins Erzählen kam... ,,Also, deine Mutter wird es Wort für Wort be- stätigen – nicht wahr, Elsa?“

Mutters Augen gingen zur Decke, während Vaters Zeigefinger ans Glas schnippte, was, je nachdem wie voll es war, einen eigenen schönen Klang ergab. Wie oft hat er seine Geschichten so begonnen!


Mutter ihre goldene Armbanduhr, weil sie mal dringend

musste, zwischen Heilbronn und Stuttgart verlor. Zwei Wochen später, auf der Rückfahrt, haben wir das gute Stück an genau derselben Stelle wiedergefunden. Und das war – na, mein Junge?“

„Ein gutes Omen!“ rief Holger glücklich.

„Ja, und am Morgen vor Beginn der Passionsspiele machten Mutter und ich einen Ausflug zur Hochplatte. Wir sahen München am Horizont und Hohenschwangau in den Alpen an diesem herrlichen Tag – nächstes Mal fährst du mit.“

„Darf Myriam dann auch mit?“

Er stutzte, sein Blick wanderte zu Elsa. Sie lächelte erst verlegen, aber sagte mit ruhiger Gewissheit:

„Natürlich, sobald sie wieder ganz gesund ist.“

Nun eine kleine Pause, in der Vaters Auge einer Fliege

überm Tischtuch folgt. Mit einem ganz raschen Klaps seiner eingerollten Serviette erlegt er sie – selten, dass ihm eine entging. Nicht mal ein Blutfleckchen sieht man an der Waffe des Meisterschützen, mit der er die Fliege vom Tisch kehrt.

„Ein ziemliches Gedränge da oben, auf dem Plafond waren die meisten wohl wie wir Besucher der Passion, die Aussicht ist ja auch phänomenal. Mutter hatte die Kamera mit und dein Vater stellte sich in Richtung Burg an das Geländer. Von einer Bank neben Mutter erhob sich ein Mann, wartete noch zwei Knipser ab und kam dann lächelnd auf mich zu: You are Pilatus?

Ein Amerikaner, dachte ich gleich, die Engländer sind nicht so neugierig.Yes, yes, sagte ich, I am Pilatus. Lei- der lachte Mutter, und der Ami brauchte jetzt eine an-


dere Antwort. So kamen wir ins Gespräch. Er stellte

seine Frau vor, eine Holländerin… Was für eine feine

Dame, nicht wahr, Elsa?“

Elsa warf kopfnickend einen Blick auf ihre goldene

Uhr und nahm, was noch auf dem Tisch stand, an sich. Sofort meldete Jacques Protest an:

„Bitte, meine Liebe, diesen Rest in der Flasche, wo mich jede zehn Deutsche Mark kostet, wirst du nicht wegschütten!?“

„Oh verzeih, ich konnte es nicht sehen bei dem dunk- len Glas.“ Und lächelnd, ihrem Jaques über die Glatze streichend, sagte sie noch (da musste es ihr schon richtig gut gehen, der es oft nicht gut ging):

„Ich bin ja auch nicht so ein Lurjäger.“

Nachdem Vater den Rest seinem Glas zugegossen, einen Schluck getan, fuhr er fort:

„Ezra Symons, der war`s! Jetzt weisst du, wie mein amerikanischer Freund heisst und bringst mich nicht mehr in Verlegenheit.“-

Dieser Ezra Symons van Porst (den Namen seines Schwiegervaters übernahm er gleich mit der Tochter) wurde von dem Moment an, also noch auf der Hohen Platte, des Vaters Freund, als sie über Jagd und Jagd- gebräuche bei uns und in Übersee zu sprechen kamen. Zwei Jäger vor dem Herrn hatten sich gefunden.

„Mein Englisch ist zwar nicht so gut wie mein Fran- zösisch, aber – schliesslich haben wir Albion nicht er- obert.“

„Warum nicht, Vater?“

„Das war der Morphinist. Der wurde immer fetter und unser Material immer dünner. Die – Luftherrschaft,


mein Junge, die entscheidet jeden Krieg… Hast du dazu

das Material, oder hast du es nicht. Wenn ich das Gold damals nicht gerettet hätte (und Holger denkt: auf einer Insel im Hariksee), wo wären wir geblieben! In den har- ten Jahren, wir hätten sonntags nicht einmal ein Huhn im Topf gehabt.“


Ende: zu früh kehrte sie mit einem Hasen im Maul zu-

rück, als noch ein Häschen an ihr vorbei stob und Ezra schoss, ohne Wanda rechtzeitig wahrzunehmen.

Später, im Burgrestaurant, bei Hirschragout und Ahrweinen bester Lage, wurde auch dieser Fehlschuss begossen und vergessen. Jacques soll da eine Rede gehalten haben, auf die arme Wanda und den Meister- schützen Ezra, die ein göttliches Gelächter beschloss. Keiner von beiden ging noch einmal auf die Jagd.


„Holger Ley, deine Schrift ist so schlecht, als hättest du

deinen Aufsatz mit einem Pinsel geschrieben.“

Zum Gekicher von zwanzig Jungen und Mädchen er- hielt er ihn zurück: „Ungenügend“.-

Zweihundert Meter talauf die berühmte Höhle, in der man im Neunzehnten Jahrhundert die Spuren des Vor- menschen entdeckt hatte. Das war aber noch nicht der Maler gewaltiger Friese, der shaman artiste Altamiras und Lascauxs, dessen Überreste dort geborgen wurden. Ausgestorben mit einer der Sintfluten (Hopis wie Mayas wissen von drei), gab es für den Neandertaler, für diesen finsteren Burschen, weder Arche noch Lied.


„Warum nimmst du deine Geige so wenig vor? Tante

Isgard meint...“ Sie stockte, schaute bekümmert nach den Papieren, die Holger mit rotem Gesicht vom Kü- chentisch raffte. „Du hast doch so schön angefangen.“

– Neben seinem Bücherregal hatte er vier Zeichnungen Kubins zu den Prosadichtungen Georg Trakls geheftet. Diese Zeichnungen waren in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs entstanden. Als „das graue Antlitz des Schreckens“ sah man gleichnishaft ein Jahrhundert konterfeit, das so unwirtlich schien und nur in seltenen, herausgehobenen Stunden – etwa beim Erleben Beet- hovenscher Musik – Menschen noch von Erlösbarkeit zu sprechen vermochte. Gewiss nur ahnungsweise, wie Kranichrufe in einer Rauhnacht, tönte dann auch ihm der wortlose Wechselgesang eines Tauben: als der un- auslöschliche Beweis, den Leonhard Bernstein „Gottes- beweis“ genannt hat. Mit Beethovens Musik gäbe es etwas, „das richtig ist, das stimmt und stetig nur seinem ureigensten Gesetz folgt, dem wir vertrauen können und das uns niemals im Stich lässt.“


Natürlich verstand der Vierzehnjährige das nicht. Da

sagte sie:

„Beethoven hing dieser Spruch über seinem Schreib- tisch in Wien, im Schwarzspanierhaus. Wenn wir in Bonn das Beethovenhaus wieder einmal besuchen, kommst du mit. Im Tempel der Göttin Isis war das zu lesen. Auch mir bleibt der Spruch ein grosses Rätsel, obwohl er doch schon so lange hier hängt.“

Sie lachte ein bisschen, zwei Goldzähne blitzten aus einem liebevollen Juffergesicht. „Ja, genau seit dem Jahr deiner Geburt. Es war der erste Ausflug deiner Mutter mit mir nach dem Kriege. Nächstes Mal fährst du mit, willst du?“

„Was hat es mit Musik zu tun – hat es?“ Eine Beklom- menheitn erfasste Holger, vielleicht weniger der Rätsel- worte, eher wegen seines dürftigen Geigenspiels, das er soeben wieder bei der leichten Haydn-Sonate bewiesen hatte. Und wohl auch vor den beiden Köpfen rechts und links. Isgard erhob sich, fast traurig blickte sie nun, ob- wohl sie lächelte, und beschloss ihren Unterricht mit den Worten:

„Die Musik ist so ein tönender Schleier. Doch wir Menschen schlafen noch – oder wir erinnern uns nicht tief genug, wie sollten wir ihn heben! Wir sind nur wie Wandhorcher an einer Höhlenwand... Ein Wort übrigens von Ernst Barlach.“ Sie zeigte nach dem Bücherbord zwischen den beiden Fenstern, auf dem neun Fotos in einem gemeinsamen Passepartout standen.

„Sie stammen von einem nicht vollendeten Beet- hoven-Denkmal dieses grossen Künstlers: Fries der Lauschenden. Wunderbar wie drüben der Spruch! Wenn


wir doch so zu lauschen verstünden, wie Barlach es ge-

meint hat! Zwischen dem Denkmal, das nicht errichtet werden durfte, und dem Tempel, wieviele Jahrhunderte liegen dazwischen!... Ja, woher kommen wir, wohin gehen wir? Das frage ich mich doch oft.“

DIE FAHRT NACH T

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