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III Das Erbe

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brote… Später Hubert und Karl, Isgard, deine Muhme

war auch dabei, weisst du…“

Die Dame tritt jetzt mit einem Kopfnicken näher, um auf dem Rundtisch vor Jacques unter allerlei Fläschchen und ärztlichem Besteck etwas Ordnung zu schaffen. Der junge Mann stellt nach einem ähnlichen Kopfnicken, das wie abgeschaut wirkt, ein Buch in den Schrank zu- rück und schiebt die Glastüre vor. Ich nicke wortlos ebenfalls, ein gewissermaßen von beiden übernomme- nes Kopfnicken.

Jacques in unsrer Mitte – er scheint halb erblindet, zu- mindest bleibt sein rechtes Auge wie von einer Läh- mung geschlossen. Wie peinvoll der heillose Zustand meines Vaters mich auch trifft, ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen. An die Dame gewandt, die ich als

Ärztin ansehe, lege ich Lässigkeit in meine Frage:

„Ja was hat er denn, Frau Doktor?“

Frau Dokter schaut mich an, als hätte sie von mir eine so törichte Frage nicht erwartet. Ein dunkles Augenpaar, prüfend ein ernster Blick… Dann, nach einer wohl- dosierten Weile, die es erst auszukosten gilt, gestattet sie sich ebenfalls eine Frage. Warum, seit jener verbli- chen (sagte sie „verblichen“? Verwirrend ihre französi- sche Aussprache), hier nicht mehr gesäubert worden sei.

„Und fasset beide einmal an, ich möchte ihn doch lieber in der Küche versorgen.“

„Wassenberg... In mare veritas, weisst du... Heiliges

Lourdswasser!“ Der wirft ja alles durcheinander.

Nun aber überrascht, wie kinderleicht der Greis in un- sern Armen liegt – nur so ein Jüngelchen! Die Ärztin, Beruhigendes murmelnd, findet sogar Zeit (dabei fällt


mir Jacques listig zwinkerndes linkes Auge auf), ihm

zärtlich über die Glatze zu streichen.

Da poltert jemand auf eine Weise die Treppe hoch, die mir bekannt vorkommt. Und so ist es: Onkel Karl, Vaters jüngster Bruder, immerhin ein vertrautes Gesicht.

„Ha, ihr Leute – bin ich richtig zum grossen Schmau- sen? Fisch gibt’s, Scholle auf Schorle, was wünscht man mehr.“

Der alte Poltergeist! Sein Frauchen gluckst uns aus der Küche entgegen: Tante Kathrin ist also die Köchin dieses Nachtmahls, meinen Appetit regt das nicht unbe- dingt an. Was haben die beiden wohl ausgeheckt? Pass auf, Holger, die hauen dich in die Pfanne, als wärst du der Fisch.

Kathrin, kinderlos – nicht Karl –, so schmal wie er ge- wichtig, mit einer mädchenhaft hellen Stimme, die erst vom Tag ihrer Silbernen Hochzeit an etwas Krächzen- haftes hinzugewonnen haben muss. Von ihrer völlig un- auffälligen Brust hatte Vater Jacques einmal behauptet, es wäre ein Brett, in das man zwei Dachnägel geschla- gen hat.

„Lecker, lecker…“ Wo Onkel Karl sich niederläßt, da geht es stets zur Sache. Selbst unser Held strahlt und wirkt auf einmal fast seinem Gewicht entsprechend ver- jüngt. Zwischen ihm und seinem dicken Bruder finde ich am grossen Küchentisch eben noch ein Plätzchen. Die giftgrüne Kapsel nimmt Jacques mit Lust von Da- menhand zwischen seine dünnen Lippen, schluckt sie mit Schorle, die ich ihm reichen darf. Der Südfranzose entwickelt einen ähnlich bemerkenswerten Appetit wie


Karl, indes seine Cheffin nur leicht an ihrem Glase

nippt, ein Stückchen Fisch probiert.

Es wird lebhaft, da Onkel Karl Gelegenheit findet, sich über die gesammelten Vorzüge des Hauses und der Praxis parterre auszulassen. Und scheint es zunächst nur die Komödie zur Täuschung eines sogenannten Verbli- chenen (oder vielleicht noch mehr seines Sohnes?), so nimmt doch gutes Einvernehmen über einen notwendi- gen Wandel mit jedem Schluck und Bissen zu. Dass aber Jacques noch zum Spielverderber werden könnte

– aber nein: schon wie er ohne meine Hilfe seinen Be- cher in die Hände nimmt! Zwar verschüttet er die Hälfte

über das Wachstuch des halbenTisches, doch lächelt er dabei so nett entschuldigend, dass jeder es sofort ver- standen hat: er wollte uns doch nur zeigen, wie gut er sich schon allein zu helfen weiss.


Die fremde Dame (würde doch ihr Name endlich fal-

len!) schlägt ihr Notizbuch auf, murmelt ein paar Zah- len, darauf einen Namen, der allen vertraut ist:

„Johannes Hinrich“. Ihr goldener Federhalter verzeich- net ihn erkennbar. Für den Franzosen ein Signal:

„Isch war doort. Abber, noch nicht im Haus. ÜÜrlaub

– sagte die Tochter. A la côte Dalmatie, ils partent mer- credi.“

Man weiß, der Architekt und Klubfreund meines Va- ters. Verdanke ich ihm nicht meine Notgeburt, die hoch- schwangre Elsa aus einem brennenden Auto rettend auf dem Weg zum Hospital? Johannes Hinrich schien immer genau dann zur Stelle, wenn es bei uns brannte oder gebrannt hatte. Und es brannte hin und wieder. Auch das seltsame Zwischengeschoss war sein Werk – nach einer Brandbombe, die das Haus im Weltkrieg traf. Hinrich würde auch jetzt Rat wissen und dieses ruinöse Anwesen für den Richtigen in eine schmucke Villa zu- rückverwandeln. Was jedoch meine Anwesenheit so notwendig erscheinen liess, während Bruder Frank keine Probleme hatte fernzubleiben – eine Antwort auf diese nur gedachte Frage kommt postwendend von der Spüle, von Onkel Karls besserer Rippe. Als könnte sie Gedanken lesen!

„Die Schlüsselchen, Holger.“ Und schon gluckst sie wieder. „Was hat sich dein Väterchen bloss dabei ge- dacht! Frank war doch auch noch da.“

Ja, Frank, naturalisierter Amerikaner, hatte Lohnens- werteres im Fadenkreuz als diese Bruchbude. Dass aus- gerechnet dem unmöglichen Neffen hier die Schlüssel anvertraut waren, das bekümmert Tante Kathrin wie


eine Todsünde – so deute ich wenigstens die Querfalte

ihrer Stirn. Und ergreife das Wort, spreche möglichst langsam, gebe gewissermassen zu Protokoll, aus- schliesslich der Fremden zugewandt.


Der Gaskogner schräg vor mir blickt jetzt etwas feu-

rig. Doch davon unberührt bleibt meine Rede, Momente des Stockens überbrücke ich mit sparsamen Schlucken.

„Ich kann Ihnen daher, verehrte Dame, nicht viel mehr als gewisse Folgen benennen, dieses Haus betreffend, sowie, nach dem Urteil meiner Mutter, das auffällig ver-

änderte Wesen meines Vaters.

Sie entdeckte eine niemals vermutete Frömmigkeit an ihrem Gatten. Der inzwischen nicht mehr notwendige Luftschutzkeller erlaubte etwas wie ein Zwischen- geschoss einzuziehen. Johannes Hinrich, der Architekt, er ist der Bruder des Notars und Testamentsvollstrecker, hat dieses knappe, nur ein Kind aufrecht stehen lassende Gewölbe allerdings mit einer Panzertür versehen.“

Ohne meinen Blick schweifen zu lassen, spüre ich die Erregung meines Onkels. Tante Kathrin, am Gasherd gelehnt, entfährt ein Seufzer, der beinah ein Schluchzer ist.

„Die – Schlüsselchen hat er mir zubestimmt. Ob auch den Inhalt der hauseigenen Höhle, das wird uns der Notar verraten. Oft und oft habe ich mit dem Alten die- sen später sichten und ordnen dürfen – nun ja, und na- türlich auf seine Funktionstüchtigkeit prüfen. Für einen Dreikäsehoch war’s jedes Mal eine Erleuchtung.“

Der Franzose schaut plötzlich finster drein, der Patriot wittert alte deutsche Schandtat.

„Mein ÄÄrr! Ca suffit. Weshalb Sie meinen, wir sind iiier? Eh bien: Sie haben Schlüssel, und diese Dame hat

– wenig Zeit, n’est-ce-pas, Madame?“ Das letzte bringt er recht unsicher, fast bittend hervor. Und die Dame auf- blickend, lächelt in die Runde und sagt so ruhig als hätte


sie sehr viel Zeit, wobei sie ihre Augen zuletzt auf mir

ruhen lässt:

„Lachen Sie bitte nicht, lieber Holguèr, oder – weinen Sie nicht (charmanter kann man nicht erschossen wer- den!), aber die Alleinerbin von jenem dort (und nach einem seltsam ernsten Blick, coup d’oeil auf Jacques), das bin ich.“

Onkel Karl stöhnt auf, Tante Kathrin wird unruhig wie eine Junghenne vor ihrem ersten Ei, und der Gaskogner ergreift seinen Pokal, glitzernd von Rotspon. Doch der Blick seiner Herrin lässt ihn den Pokal sogleich wieder absetzen.

„Eine solche Ruine, mon cher Claude, wie aus einem chinesischen Film – glauben Sie, das wäre etwas zum Anstossen?“

„Pardonnez-moi, mais seulement… Vous entendez… “

„Hélas! Es wird wahrhaftig Zeit. Es wandelt bereits auf Mitternacht zu, und der morgige Tag – man erwartet erneut Orkane von Frankreich.“ Nun wieder an mich gewandt, sehr heiter, indes sie ihr Notizbuch zuklappt:

„Den ersten Termin hat Holguèr versäumt, wird er dies- mal erscheinen?“

„Aber ja,“ rufe ich erschrocken, „morgen früh, halber

Neun… Werd's nicht verschwitzen!“

Jetzt aber bäumt sich Onkel Karl auf. „Also, Bur- sche!“ Seine Pranke landet auf meiner Linken so kraft- voll, dass ich ein „Aua!“ nicht unterdrücken kann. Er hält sie fest, sein Speichel sprüht Kaskaden über das Wachstuch und erreicht sogar das Notizbuch der Erbin, das zum Glück geschlossen liegt.


„Was – is – drin!“

Über seinen feuchten Ausfall selber erschrocken, fügt er mit einem komischen Schwanken in der Stimme auf Altfränkisch hinzu:

„Grannt Exüsses, Madame Labalöh! Mäh – sett ga- menn là…”

Da aber kommt – kaum vernehmbar, nur zu hören wegen der plötzlichen Stille, und weil er es noch zwei- mal wiederholt, kommt von Jacques:

„Alle geweiht…“

Und Onkel Karl explodiert:

„Was? Was quatscht der da? Doch nicht Kerzen – ein- fach Kerzen?!... Himmelkreuzdonnerwetter! Kerzen!... Dieser Idiot.“

Und Jacques noch einmal – leiser noch, sich von uns immer weiter entfernend, schon jenseits schier:

„Alle geweiht.“


Der Morgen danach (oder war es der nächste? Gar der

übernächste?) so ruhig, wie von einem Frieden, den

„himmlisch“ zu nennen das äussere Chaos allerdings verbot. Nun lockte es die Menschen, sofern sie nicht Or- kangeschädigte waren, in Scharen auf die Strasse. Die Schwalmener Allee war zum Flussbett verwandelt. Füh- rerlos treibende Autos, schwimmende Koffer und Kis- ten, sowie Plastik in jeder Form und Farbe sah man treiben in brauner Flut. Die hangwärts erhöhten Fuss- wege waren aber frei und von Spaziergängern und Rad- fahrern belebt. Eine Neugier, die kaum noch von einer viele Stunden durchlebten Panik zu wissen schien, fast eine Feiertagsstimmung hatte sich verbreitet. Ich selbst stand ja auch hier, fasziniert von dem über Nacht ent- standenen Strom durch die Stadt. Meinen Termin bei Notar Hinrich habe ich natürlich nicht einhalten können. Die beiden Schlüssel werde ich seinem Bruder überge- ben, den zu besuchen mir jetzt um so notwendiger scheint. Autos blieben bereits liegen, sperrige Teile wur- den immer seltener, nur Zeitungspacken nahmen aus unerklärbaren Gründen zu. Und immer ausgelassener das Geklingel der Radfahrer – schulfrei fröhliches Ge- klingel!... Nur dieses kleine Mädchen dort an der Hand seiner Grossmutter, was macht es für ein bekümmertes Gesicht! An einen Alleebaum gelehnt, höre ich die Kleine, mit furchtsamem Blick auf den strudelnden Strom, wieder und wieder die Frage stellen: „Nicht wahr, Omi, nur alte Leute sterben.“

Omi, im langsamem Vorüberschreiten mit gleicher Bedachtsamkeit Mal um Mal: „Ja, Röschen, nur alte Leute sterben.“


Telefonzelle, Münzengeklapper, doch nicht eine meiner

Zahl-und-Adler will der Apparat annehmen.

Unterwegs in die nördliche Villenvorstadt, hätte ich mich gern beim Architekten angemeldet, schleppe ich doch zwei Ölgemälde für den Verehrten mit mir. Am Bahnhof flattern Tauben vor drei bärtigen Gestalten auf, denen das Unwetter zu einer sagenhaften Beute verhol- fen hat. Bierflaschen in Kästen füllen hochgestapelt die Nischen zu beiden Seiten des Hauptportals. Es am Bahnhof an einem andern Apparat zu versuchen, wäre der nächste Weg, aber die Kumpels gucken so bös ge- spannt, dass ich wieder und wieder meine Münzen ein- werfe.

Meine Gemälde, Erbstücke, die ich nirgends zu las- sen, wahrhaft nur zu schenken wüsste, und Johannes Hinrich, dieser unerschütterliche Freund der Familie… Nanu! eine Stimme aus der Muschel.

Hinrichs Nummer habe ich doch noch gar nicht wäh- len können?

„Roger, Roger –“ mehr kann ich bei dem starken Rau- schen nicht verstehen, wurde vielleicht auch nicht ge- sprochen. Es knackte, und die Stimme war wieder weg. Wie die eines Bordfunkers aus dem Weltall, so hörte sich der Sprecher an. Nun tippe ich die Nummer einfach in die Box – und:

„Bei Hinrich, “ eine Mädchenstimme. Ich nenne mei- nen Namen. „Einen Augenblick, ich rufe meinen Onkel.“ Ich atme auf.

Nach Hinrichs herzlicher Einladung wieder auf dem

Weg, hätte ich, wäre ich mit den Bildern nicht be-


schwert, singen können, so sonnig sonntäglich fühle ich

mich auf der blank gewaschenen Strasse.

Der Orkan hat unendlich viel Überflüssiges an Papier, Blech und Plastik aus der Stadt gespült. Eine sonderbare Genugtuung beflügelt zwar nicht meinen Schritt, denn es geht bergan, aber die Amseln sind wieder da! Sie hüpfen über die Rasen der Vorgärten, spazieren ohne Scheu über die Strasse, auch für mich kann es jetzt nur noch ein Amselsprung sein! Da rutschen, um einem Häufchen Hundekot auszuweichen, mir meine Kostbar- keiten zu Boden. Entsetzt fasse ich nach, wenigstens nicht in die Scheisse. Ein Schwarzvogel schiesst mit höhnischem Geklacke über meinen Kopf hinweg, nahe- bei in einem Fenster bewegt sich eine Gardine.

Wenn ich jetzt nur die Hausnummer erinnerte! Eure Dreizehn war’s jedenfalls nicht, ihr Leute, da könnt ihr euch ruhig die Augen wischen.

Nachdem ich aber „Fischerboote am Morgen“ und

„Burg Nideggen am Abend“ wieder unter Kontrolle habe, fällt mir die Hinriche Nummer ein. Ich brauche nur die Strasse zu überqueren, eine wer weiss wie lange schon winkende Hand. Nummer Vierzehn… So freund- lich, so leise, niemand kennt sie anders: Herr Hinrich, Frau Hinrich.

„Holger, Holger, was sollen wir dazu sagen.“

„B-Bitte nicht, Sie verstehen…“

„Hm??“


Yvonne Hinrich, „aber wir haben Glück gehabt. Von fast

allen meinen Rosen sind Knospen geblieben.“

„Sie ist eine Expertin, meine Frau.“ Mit diesem Satz nimmt Johannes Hinrich in seinem Korbsessel Platz, im Flur schlägt eine Standuhr dreimal. „Ich nehme einen Mocca, Yvonne – und Sie, Holger?“

„O einfach,“ und nach der weissgetünchten Ziegel- mauer blickend. „Blüht es da nicht?“

„Ja,“ sagt Yvonne Hinrich, „das sind meine Unermüd- lichen! Gloria Dei ist ihr Name, seit vierzig Jahren hält sie uns die Treue. Und dabei zählten wir zu den aller- frühsten Besitzern dieser prächtigen Rose.“

„Obwohl sie damals schon vier Namen, offiziell, hatte,“ ergänzt der Architekt, während Susanne, die Nichte, erwartungsvoll die Augen auf ihre Grosstante richtet.

„Ihre Heimat ist eigentlich Frankreich. Anfang des Krieges, nachdem die Deutschen das Land meiner Ahnen besetzt hatten – und Hans war ja Soldat, Besat- zungssoldat…“

„Zu jeder Reparation bereit, wenn er dich schon ge- kannt hätte.“

Sie lacht, diese zu Jahren gekommene Schönheit hugenottischer Vorfahren, und erzählt folgende Ge- schichte.

Ein Gartenkünstler namens Antoine Meilland war es, der diese gelbe Rose gezüchtet hatte. Sie wurde sein goldener Wurf, mit allen Eigenschaften einer lebens- kräftigen, reich gefüllten und zugleich anspruchslosen Buschrose. Er widmete sie zunächst seiner Mutter, doch


ihren Namen erhielt sie im Gedenken an seine früh ver-

storbene Frau: Madame Antoine Meilland.

Noch im Kriege, auf welchen Wegen immer, gelang- ten Sämlinge seiner Züchtung nach Italien (Sohn Francis hatte eine Tochter des italienischen Floristen Paolino geheiratet), nach Deutschland und, über Eng- land, sogar nach Amerika. Der Krieg aber liess unter den Floristen eine Verbindung kaum mehr zu, so dass am Ende des Weltkriegs es drei weitere verbriefte Namen für dieselbe Rose gab. In Italien hieß sie „Goia“, also „Freude“, in Amerika „Peace“, und in Deutschland

„Gloria Dei“.

Yvonne: „Hans hat sie als Gloria Dei in Stuttgart ken- nengelernt, als er dort sein Studium wieder aufnahm und nebenher in einer Rosenschule seinen Unterhalt verbesserte.“

„Und im Topf trug ich sie von Stuttgart nach Krefeld, als es galt, eine schöne Krefelderin zu freien.“


noch einen Mocca, Yvonne? Und die – Labalue, mein

Gott, da wäre wahrscheinlich nur mein Vater, der erste Notar, für Sie die richtige Auskunftei gewesen. Schon der Erste Weltkrieg hat ein solches, wie soll ich sagen, Durcheinander geschaffen…“ Erstaunt werfe ich ein:

„Wir sind verwandt?“

„Danke, meine Liebe. Es ist noch etwas früh, um so- zusagen frei von der Leber – aber haben Sie Geduld, es wird sich alles rundum aufklären... Ist was, Yvonne?“

„Vor deinem dritten Mocca rufe ich deinen Arzt, Hans.“

Ein Weilchen schwenkt er die Tasse mit einem schel- mischen Augenaufschlag, „und ich unseren Notar,“ dann fährt er fort.

„Mein lieber Freund. Es ist, wie gesagt, noch etwas früh. Mein Vater sprach nie gern von der Sache, und zu seinen Söhnen nur mit einem ausgesprochenen Schwei- geverbot. Natürlich, Christoph, sein Nachfolger, kennt die Geschichte aus dem f-f. Er ist ja jetzt noch ein- geschaltet, und der Schriftverkehr mit Belgien hört so schnell nicht auf. Denken sie an das Vertrauensverhält- nis, in das Notare unter Umständen gezogen werden, mit Arzt oder Priester lässt sich das durchaus verglei- chen. Und dass über das Ableben unseres Freundes hi- naus – und bitte verstehen Sie, nicht nur für Christoph, sondern auch für mich Verpflichtungen geblieben sind, vermuten Sie mit Recht.“

Yvonne Hinrich unterbricht ihn erneut, und ich frage mich, ob sie es nicht in der Absicht tut, um – mein Vater würde sagen, ihrem Hans aus der Bedrouille zu helfen.

„Ingried müsste längst vorgefahren sein, ich dachte


schon eben bei dem Hupen, dass sie's wäre... Ach ja,

Holger, Sie fahren doch mit?“

Johannes Hinrich erhebt sich mit sichtbarer Erleich- terung, er hat nicht einmal seinen Mocca angerührt:

„Wir gebrechlichen Alten bleiben natürlich am Ort. Aber Susanne – wo steckt denn das Mädchen wieder!“

„Ich auch, Onkel Hans, ich muss doch auf den Klei- nen aufpassen während der Fahrt,“ tönt es vom Vestibül her mit heller Stimme, und ganz kurz zeigt sich ihr som- mersprossiges Köpfchen im Türrahmen. Elf Jahre, ver- spätetes Schwesterkind, fast von Geburt an Waise.

„Meinst du wirklich?“ Johannes zieht ein zweifelhaf- tes Gesicht, dessen Schalk niemand übersehen kann. Als sein Blick wieder auf mein fragendes Selbst fällt, erläu- tert er schmunzelnd:

„Der Kleine gehört immer dazu, der lässt sich keine Bootsfahrt entgehn – auf dem Hariksee. Aber Sie, Hol- ger, waren da auch nicht anders.“

Nun bin ehrlich verblüfft: auf dem Hariksee kann man wieder bootsfahren? Ungläubig lange ich nach meiner Tasse, empfinde dabei selbst etwas Ungehöriges, als einziger noch an seinem Sitz zu kleben.

Doch während Yvonne Hinrich sich an den Rosenran- ken der Pergola zu schaffen macht, befiehlt ihr Mann, halb im Weggehn, mit seinem fröhlichsten Bariton:

„Schütt ihm nach, Susanne, sein Kaffee ist kalt. Und sobald es hupt, ab mit euch!... Und ich überlege, wo wir die beiden wunderschönen Geschenke unseres Freundes platzieren könnten.“

Er bewegt sich gemächlich auf die offene Schiebetür links zu, murmelt etwas, das wie ein Spruch klingt (so


viel verstehe ich, er handelt von Tier und Mensch) und

wendet sich noch einmal um und blickt, eine gebeugte hohe Gestalt von fünfundsiebzig Jahren, mit ungemil- dertem Ernst auf mich, der noch einsam am Gartentisch hockt.

„Wissen Sie, dieses Erbe, das Ihnen da entgeht, ihr Vaterhaus, in Wahrheit handelt es sich um eine Wieder- gutmachung.“ Darauf, mit einem wie bedenklichen Zögern, ein Kopfschütteln andeutend: „Und die beiden Schlüssel der Panzertür wurden einfach verwechselt?“

„Es ist mir sehr peinlich. Ich war in einem Haus in Baden am Kaiserstuhl, man nennt das eine Bil- dungsstätte. Plötzlich brach ein Brand aus im Kamin- saal. Kinder und Frauen fanden durch Rauch und Trüm- mer nicht zum Ausgang, ich versuchte mit andern zu retten was zu retten war. Eine junge Dame, bereits brandverletzt, konnte ich heraustragen, meinen Rock hatte ich über sie geworfen. Und mit diesem Rock wurde sie vom Notfallwagen ins Freiburger Kran- kenhaus verbracht. Die Verwechslung mit zwei ande- ren Schlüsseln, fast identischen, musste geschehen sein, bevor ich am übernächsten Tag meinen Rock wie- dererhielt. Die junge Frau ist Stewardess… Magaloun Angelov.“

Susanne nähert sich vom Serviertischchen mit der Kaffeekanne, ich murmele „danke, Susanne, keinen Schluck mehr,“ und lasse meine Augen, vorbei an Frau Hinrich, über ihren so arg zerzausten Garten schweifen.

Auf einmal fesselt mich etwas, das sich auf dem

Hügel zwischen zwei Rhododendron oder Azaleen ab-


spielt, unmittelbar vor einer dort naturbelassenen Sand-

steinmauer. Als brennte es da! Im selben Moment ertönt ein Hupen, ein Hornsignal von der Strasse. Yvonne, die meinem Blick gefolgt war, verlässt ihre Ranken und tritt zu mir an den Tisch. Ein nahezu andächtiger Ton in ihrer Stimme, sagt sie:

„Das ist der Diptam. Er übersteht alle Stürme. Zuwei- len entflammt sein Duft, wenn die Sonne lange genug auf ihn geschienen hat. Sehen Sie? Der Diptam…“

Die Fahrt aus der Stadt an diesem Sonntag, ganz wie es Johannes Hinrich versprochen, ging durch ein reinge- waschenes Land zu den Seen des Grenzlandes. Die Be- wohner abgelegener Güter, die vermutlich sämtlich evakuiert waren, schienen alle wieder ihr wohl noch recht feuchten Häuser bezogen zu haben. Weiden und

Äcker erinnerten jetzt über weite Strecken stark an Mar- schen. Eine vorzeiten aufgegebene Air Base der briti- schen Luftwaffe hätte man sich durchaus als Geest in Nordfriesland denken können. Und was vor vielen Ge- nerationen hier einmal Heide war, das könnte… Doch nein, alte deutsche Gründlichkeit würde schnell ein or- dentliches Landschaftsbild wiederherstellen. Müll, der noch wie Streifen Tang und Strandgut überall zu sehen war, würde in die passenden Container verschwinden und die teils villenartigen Orte bald wieder so schmuck wie in Holland anzuschauen sein. Wie sich allerdings das augenblickliche Holland „in seiner Not“ ausnahm, das konnte wahrscheinlich nur einen Holländer nicht entmutigen.

Nur einmal wurden wir um ein Dorf herumgeleitet wegen der Sommerkirmes mit ihrem Riesenrad über


allen Dächern, höher als der Kirchturm. Susanne, neben

mir mit dem Kleinen auf dem Schoss, entlockte es die Frage: „Warum halten wir hier nicht, Tante Ingried?“ Um gleich darauf fortzufahren, weil Tante Ingried zu antworten zögert: „Ach, am Hariksee ist es doch viel schöner.“


„Ach, das Jaköble!“

Ich aber habe meine liebe Mühe mit diesem Jaköble. Als es das Köpfchen einmal steuerbord wendet, be- merke ich seine linke Schläfe stark gerötet. Ist es ver- letzt, eine Entzündung? Doch dann lächelt man nicht so. Wem mag es ähneln? Auf meine Frage, an die ru- dernde Mutter gerichtet, antwortet indes nicht Ingried, sondern das Jaköble selbst in einem richtigen Doppel- satz und mit einer so klaren wie klingenden Stimme, dass ich an die Spieldose denke, worin meine Mutter ihre Patience-Karten aufzubewahren pflegte:

„Offen wie die Ebene ist das Tier, heimlich wie eine

Höhle ist der Mensch!“


ein Jahrhundert schliesst, angekündigt, lässt Hundert-

tausende Richtung Süden ziehen: für diesen einen Tag, für diese eine Stunde...“

Ich schloss mit „Ade!“ und meiner Hoteladresse von

Freiburg.

DIE FAHRT NACH T

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