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Im Restaurant

Nach dieser Verabschiedung schlenderte Horst Uhlig mit sich selbst zufrieden nach Hause.

Kaum dort angekommen, klingelte das Telefon und der Ehemann der Syrerin meldete sich mit dem Namen Eilan.

„Sehr geehrter Herr Uhlig; vielen Dank, dass sie meine Ehefrau beschützt haben.“

Horst Uhlig staunte nicht schlecht über diesen Anruf, zumal der Ehemann der Syrerin ein ausgezeichnetes Deutsch sprach.

„Herr Eilan, ich bitte sie. Ihre Gattin hätte die Situation auch ohne mich gemeistert. Außerdem reichte doch ein einziger Satz, um den ungebildeten jungen Mann zur Ordnung zu rufen. Viel größere Probleme gab es mit meiner Wäsche.“

„Auch darüber bin ich unterrichtet. Wenn sie möchten, würde meine Frau ihnen beim Kauf neuer Wäsche gern behilflich sein. Sie würden ihr sogar eine Freude machen; Frauen kaufen doch nun einmal zu gern ein. Zurzeit können wir für uns noch nicht sehr viel mehr als die Essenszutaten kaufen.“

„Bitte haben sie Verständnis dafür, dass ich mir meine Unterwäsche ohne fremde Hilfe kaufen möchte. Aber ich bräuchte auch andere Kleidung. Dabei hätte ich schon gern weibliche Hilfe. Wäre es ihrer Gattin recht, wenn sie mich morgen Nachmittag begleitet? Ich schlage 16 Uhr vor.“

“Meine Frau nickt freudig.“

„Also dann hole ich sie vor der Unterkunft ab. Was halten sie beide davon, wenn wir nach dem Einkauf noch essen gehen? Ich lade sie natürlich ein. Bevorzugen sie ein bestimmtes Restaurant?“

„Herr Uhlig, das können wir nicht annehmen.“

„Warum denn nicht? Hält man in Syrien nichts von Gastfreundschaft?“

Horst Uhlig lacht so, dass die Eheleute Eilan es nicht als Aufdringlichkeit empfinden konnten und die Einladung annahmen.

Gut, dass Horst Uhlig einen Tisch bestellt hatte. Das Lokal war sehr gut besucht.

Nach alter Gewohnheit schaute sich Horst Uhlig beim Betreten des Gastraumes um, ob ein bekanntes Gesicht zu sehen war.

Er hatte Glück und erkannte keines seiner früheren „Opfer“.

Wie es seine Art war, wollte er mit dem Rücken zu den übrigen Gästen sitzen, erntete aber heftigsten Widerspruch von seinen syrischen Gästen.

Nach kurzer Zeit fügte sich Horst Uhlig und nahm lächelnd zur Kenntnis, dass es im arabischen Raum Sitte sei, dass der Gastgeber gesehen und die Gäste bescheiden im Hintergrund sitzen würden.

„Sie müssen mir sehr viel von ihrer Heimat Syrien erzählen. Wenn ich es aus der Schule noch richtig in Erinnerung habe, ist der syrische Staat relativ jung, aber die Bevölkerung ist eine der ältesten und intelligentesten. Mein Lehrer hat immer gesagt, dass die Syrer schon lesen und schreiben konnten, als die Germanen noch von Baum zu Baum hüpften und sich brüllend und grunzend auf die Brust schlugen.“

Die Eheleute Eilan sahen sich ungläubig an und wussten nicht, wie sie reagieren sollten.

„Sie müssen nicht alles so ganz wörtlich nehmen. Wir Deutsche machen oft derbe Späße. Auch hat mich mein Beruf geformt. Seit zwei Monaten bin ich aber pensioniert. Ich war Sonderstaatsanwalt für Korruption. Man nannte beziehungsweise nennt mich „HH“ Uhlig. Das bedeutet „Harter Horst“ oder „Harter Hund“ Uhlig. Meine Freunde nennen mich aber nicht so. Ich betrachte sie, liebe Eheleute Eilan, als meine Freunde, wenn ich das darf. Und ich weiß auch, dass meine direkte Art gewöhnungsbedürftig ist.“

Beide schauten sich ob der Kauzigkeit ihres Gastgebers etwas ängstlich an, fügten sich aber in ihr abendliches Los. Horst Uhlig hatte es bemerkt und bat um Entschuldigung für sein Verhalten.

„Ich weiß, dass gerade Araber ganz anders, viel diskreter und höflicher, miteinander umgehen. Betrachten sie mich bitte als ihren Freund, auch wenn es nicht sofort so aussieht.“

Die Spannung löste sich alsbald, weil Kadir Eilan ja den Beruf seines Gastgebers erfahren hatte.

„Meine Ehefrau Jamila konnte mir nicht korrekt übersetzen, wie die Polizeibeamten sie angesprochen haben. Sie hat nur bemerkt, dass die beiden Polizisten enorme Hochachtung vor ihnen hatten. Jetzt, wo sie uns ihren Beruf genannt haben, kann ich alles besser verstehen. Bitte verzeihen sie, wenn ich Jamila arabisch alles genau übersetze; mit der französischen Sprache habe ich so meine kleinen Probleme“, sagte Herr Eilan.

Horst Uhlig lehnte sich lächelnd zurück und lauschte der für ihn unverständlichen Sprache.

Er konnte aber an Jamilas Gesicht ablesen, wie sie alles zur Kenntnis nahm.

Dann sagte sie auf Französisch: „Monsieur Horst, ich darf sie doch mit ihrem Vornamen ansprechen, so wie es in Frankreich üblich ist?“

Ohne die Antwort abzuwarten sprach sie einfach weiter: „Sie glauben ja gar nicht, wie glücklich wir sind, sie kennengelernt zu haben. Jetzt wird bestimmt alles gut.“

„Madame, sie überschätzen meine Fähigkeiten. Ich sagte doch schon, dass ich bereits pensioniert bin.“

„Pardon Monsieur, je ne comprenais pas.“

Horst Uhlig hatte versehentlich deutsch gesprochen und Jamila Eilan bemerkte, dass sie nicht verstanden habe.

Horst Uhlig widerholte die Antwort auf Französisch. Danach unterhielten sich die Drei entweder auf Französisch oder sprachen langsam und mit besonderer Betonung deutsch, damit Jamila folgen konnte.

„Nachdem sie nun meinen Beruf kennen, würde ich gern ihre Berufe erfahren, wenn ich ihnen mit dieser Bitte nicht zu nahe trete“, erklärte Horst Uhlig.

„Keinesfalls; Jamila ist nach dem Studium an der Uni in Aleppo geblieben und beschäftigt sich hauptsächlich mit der französischen Religionsgeschichte. Ich unterrichtete an einem Gymnasium Deutsch und Geschichte. Pardon, das waren unsere Berufe in Syrien. Jetzt sitzt Jamila den ganzen Tag in unserer Ein-Zimmer-Unterkunft im Asylantenheim, geht in den Waschsalon und lernt Deutsch. Ich hatte Glück und übersetze den Verwaltungsangestellten, was meine Landsleute auf deren Fragen antworten.“

„Das muss ja entsetzlich sein“, entfuhr es Horst Uhlig, „aber so verdienen sie mit der Übersetzerei doch schon Geld.“

„Warum entsetzlich? Wir sind der Hölle entflohen und leben jetzt schon wie im Paradies. Und das Dolmetschen bekomme ich nicht bezahlt, bin aber trotzdem zufrieden, helfen zu können“, sagte Kadir und Jamila lächelte traurig.

„Entschuldigung. Als Germanist sprechen sie vom Asylantenheim. Unsere modernen Sprachwissenschaftler stören sich an den Worten Asylant und Asylantenheim, weil diese Bezeichnungen in ihren Augen herabwürdigend und unzutreffend seien.“

„Das mag in den Augen dieser Kollegen zwar zutreffen. Aber ich habe neben Germanistik auch Geschichte studiert und weiß, dass jede Sprache einer historischen Entwicklung unterliegt und heute die Endung -ant negative Assoziationen in Deutschland hervorrufen. Sprachhistorisch ist das in meinen Augen reiner Unfug. Mein Professor hätte dazu nur gesagt, dass man einfach das Wort „Protestanten“ betrachten müsse. Was könnte an dieser Endung negativ sein?“

„Das ist ja wirklich amüsant.“

„Ja, und nun schauen sie einmal in ihren deutschen Duden. Dort werden sie erfahren, dass amüsant gleichbedeutend mit unterhaltsam, belustigend, erheiternd; vergnüglich, Vergnügen bereitend ist. Ist das nicht witzig? Also als Deutschlehrer habe ich mit diesen Begrifflichkeiten keine Probleme. Wir werden sie so betrachten und gebrauchen, wie sie ganz allgemein benutzt werden.“

„Ist es zu viel verlangt, wenn sie mir von ihrer Flucht erzählen?“

„Nein, aber bitte nicht heute und jetzt. Wir sind so glücklich über ihre Einladung und genießen den Restaurantaufenthalt.“

Nach dieser Erklärung lächelte auch Jamila ganz ehrlich und Horst Uhlig erkannte seine Ungeduld und sagte: „Aber bei einem unserer nächsten Treffen müssen sie mir unbedingt mehr über ihr Leben in Aleppo und ihre Flucht erzählen. Auch ich bin als junger Mann der kommunistischen Hölle unter Lebensgefahr entflohen. Schon deshalb interessiert es mich, wie sie es geschafft haben hierher nach Deutschland zu kommen.“

Man sah es den Eheleuten Eilan an, dass sie einen wunderschönen Abend erlebt hatten.

Auch Horst Uhlig war seit langem wieder einmal mit sich und der Welt zufrieden.

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