Читать книгу Kindesmißbrauch mit furchtbaren Folgen - Herbert E Große - Страница 1
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Margot war heute, am Samstag, den 4.Mai 2013, früh aufgestanden.
Nach ihren Informationen sollte Hans Köhler nach vier Jahren Strafhaft aus dem Gefängnis entlassen werden.
Um ihn nicht zu verpassen, war sie bereits gegen 7 Uhr vor dem Gefängnistor erschienen und wartete circa 100 Meter entfernt. Der Hass gegen diesen Mann war unermesslich. Trotzdem saß sie in ihrem Auto und war völlig ruhig.
Ein Unbeteiligter hätte den Eindruck haben können, dass sie sogar freudig erregt war.
Ein solcher Eindruck passte auch zu denen, die jemand vom Gefängnis abholen.
Den Entlassungstermin hatte ihr Rechtsanwalt durch Nachfrage bei Gericht erfahren, sodass sie keinen Zweifel hegte. Bei einer eigenen weiteren Nachforschung hatte sie in Erfahrung gebracht, dass die Gefangenen ab 9 Uhr morgens entlassen würden.
Sie schien das Zeitgefühl verloren zu haben. Als sie kurz nach 8 Uhr auf ihre Uhr schaute, überkam sie eine leichte Aufregung; sie war zu allem entschlossen.
Bis 9 Uhr schaute sie unentwegt auf das große Gefängnistor, das sich nicht einmal geöffnet hatte. Erst jetzt stellte sie fest, dass sie die Einzige war, die hier wartete; sie maß diesem Umstand aber noch keine größere Bedeutung bei.
Als es 10 Uhr vorbei war, stieg sie aus ihrem Auto aus und ging zum Gefängniseingang.
Auf ihre Frage, wann heute die Gefangenen entlassen würden, erfuhr sie von dem Wachtmeister hinter dem kleinen Fenster, dass heute keine Entlassungen anstünden.
„Aber bei Gericht hat man mir gesagt, dass Hans Köhler heute zwischen acht und neun Uhr entlassen würde“, sagte sie.
„Wie heißt der Gefangene?“
„Hans Köhler“, antwortete Margot.
Der Wachtmeister schaute auf den Bildschirm seines Computers und sagte: „Hans Köhler ist bereits gestern entlassen worden. Samstags wird hier niemand entlassen. Wer für den Samstag ansteht, kommt schon am Freitag raus.“
„Und wie lautet die neue Adresse?“
„Gute Frau, erstens darf ich ihnen das nicht sagen und zweitens ist keine Entlassungsadresse vermerkt.“
Das war für Margot zu viel. Sie schnappte nach Luft, verdrehte die Augen und fiel zu Boden.
Es war reiner Zufall, dass gerade in diesem Moment der Gefängnisarzt das Haus verlassen wollte und sich ihrer annehmen konnte. In einem Nebenraum im Eingangsbereich legte er sie auf einen Tisch und suchte in seinem Arztkoffer etwas. Als er wieder aufblickte, war sie bei vollem Bewusstsein.
Jetzt wollte der Gefängnisarzt wissen, warum sie zusammengebrochen sei und Margot schilderte, dass sie vergebens auf einen Gefangenen gewartet habe, der heute entlassen werden sollte, aber schon gestern in Freiheit gekommen ist.
„Auf wen haben sie denn gewartet?“, fragte der Arzt und sagte, nachdem er den Namen erfahren hatte, dass er sich gar nicht vorstellen könne, dass eine Frau auf Hans Köhler warten könnte. Er hatte diesen Gefangenen die ganzen vier Jahre medizinisch und psychologisch betreut und ahnte plötzlich, warum Margot hier war.
„Gute Frau, vielleicht ist es für sie am besten, dass sie diesen Mann verpasst haben. Es ist nicht gut, wenn man ein Unrecht mit einem anderen Unrecht beseitigen will. Außerdem werden sie ihn nicht mehr finden, weil er bestimmt schon gestern Deutschland verlassen hat. Seine Mithäftlinge haben dafür gesorgt, dass er sich hier in der Stadt nicht mehr sicher fühlen kann. Er hat die vollen vier Jahre abgesessen, um nicht unter Bewährung zu stehen und sich sofort, für seine Mithäftlinge unauffindbar, ins Ausland absetzen zu können.“
Sie schaute den Gefängnisarzt mit großen Augen an.
„Ich will nicht wissen, wer sie sind, obwohl ich es mir denken kann. Wenn sie mögen, kann ich ihnen vielleicht als Seelendoktor helfen. Hier ist meine Karte. Rufen sie mich an, wenn sie meine Hilfe wollen und benötigen.“
Als er schon im Weggehen begriffen war, fragte er noch, ob jemand sie hier abholen könne oder benachrichtigt werden solle.
„Würden sie bitte meine Freundin verständigen? Hier auf dem Zettel steht die Telefonnummer“, bat sie den Arzt und reichte ihm Birgits Visitenkarte.
„Natürlich erledige ich das für sie. Aber bitte bleiben sie noch hier und ruhen etwas, bis sie abgeholt werden.“
Nach diesen Worten sagte der Arzt zu dem Wachtmeister, dass diese Frau noch etwas Ruhe brauche und er dafür sorgen möge, dass sie hier in diesem Zimmer noch einige Minuten zubringen könnte.
Der Wachtmeister verstand nur „Bahnhof“ und murmelte vor sich hin, dass der gute alte Doc wieder einmal „verarscht“ würde, fügte sich aber in die Anordnung des Arztes.
Es dauerte keine Viertelstunde bis Birgit eintraf. Beide Freundinnen verließen das Gefängnis und fuhren zu Margot.
„Willst du umziehen?“, fragte Birgit erstaunt, als sie deren Wohnung sah.
Ihre Sachen waren ordentlich in Kisten verpackt und alles war sauber geputzt.
„Ja, ich halte es hier nicht mehr aus. Heute ist Hans Köhler aus der Haft entlassen worden. Ich will ein neues Leben anfangen“, antwortete sie wenig überzeugend.
„Ich dachte immer, dass du meine beste Freundin wärest und keine Geheimnisse vor mir hättest. Was du da erzählst, glaube ich dir nicht“, erwiderte Birgit und nahm sie in die Arme.
„Mensch, mach dich nicht noch unglücklicher, als du schon bist. Dieses Dreckschwein hat es nicht verdient, dass du auch noch im Gefängnis landest.“
Margot zitterte am ganzen Leib und sagte: „Es ist ohnehin vorbei. Der Gefängnisarzt hat mir so nebenbei erzählt, dass Hans Köhler aus Angst vor seinen Mitgefangenen ins Ausland geflohen sei.“
„Dann kannst du doch zufrieden sein. Er findet keine Ruhe. Gib dich bitte mit diesem Wissen zufrieden, bitte, bitte!“
Birgit rief ihren Ehemann an und sagte, dass sie bei Margot bliebe, weil sie diese heute Nacht nicht allein lassen könne. Seine wütende Reaktion blieb Margot nicht verborgen und sie erklärte ihrer Freundin, dass sie allein zurechtkäme. Birgit überhörte es und blieb.
„Ich brauche jetzt dringend einen Kaffee“, sagte Birgit und zwang sie damit, die Kiste, in der das Geschirr verstaut war, wieder auszupacken.
Sie hatte relativ leichtes Spiel, weil Margot wie geistesabwesend alles machte, wozu sie animiert wurde.
Nach zwei Stunden sah deren Wohnung wieder aus wie bisher. Obwohl es schon spät war, versuchte Birgit von früher, von der Zeit vor den tragischen Ereignissen, zu erzählen. Es gelang ihr tatsächlich, Margot abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen.
„Weißt du noch, wie du deinen Mann kennengelernt hast? Ich denke oft an diese Party. Er mühte sich so um dich und du hast ihn gar nicht beachtet“, sagte fragend Birgit.
„Ja, als ich Robert kennenlernte, war es nicht die viel besungene Liebe auf den ersten Blick. Er war ein dynamischer Jungunternehmer und völlig unmusikalisch. Ich konnte mich an diesem Abend nicht mit ihm über meine Arbeit als Flötistin im städtischen Symphonieorchester unterhalten und habe ihn deshalb links liegen gelassen.“
Nach einem kurzen Blick in das Nirgendwo fuhr sie fort: „Obwohl er viel Interesse für meine Arbeit zeigte und jedes Konzert, in dem ich mitspielte, besuchte, konnte ich mich mit ihm nicht über Musik unterhalten.“
Ohne es zu sagen, dachte Birgit daran, dass Margot keine schöne junge Frau gewesen wäre und sie deshalb froh gewesen sein musste, dass Robert sich für sie interessierte.
Sie war damals aber nett anzusehen. Das Teenageraussehen war zwar längst gewichen, das Alter hatte aber noch keine Chance, sie zu zeichnen. Und trotzdem sprach sie kaum irgendwann einmal ein Mann an.
Sie hingegen war meist der Mittelpunkt der Party; aber Margot war deshalb nicht eifersüchtig.
„Ja, ja, ich weiß schon, an was du gerade gedacht hast“, sagte sie und fuhr fort, dass sie es nie wirklich gestört hätte, dass sich außer ihre Kollegen kein Mann mit ihr abgeben wollte.
Und sie erzählte gedankenverloren: „Aber irgendwann und irgendwie haben wir uns doch verstanden. Robert sprach fast nie über seine Arbeit, sodass wir beide uns trotzdem bald gut ergänzten. Nachdem ich ungewollt schwanger wurde, war es für uns eine Selbstverständlichkeit, zu heiraten und vor der Stadt ein Haus zu kaufen.“
Beide tranken noch eine Tasse Kaffee und Birgit war froh, dass Margot weitererzählte, dass es sie aber gestört hätte, als Robert nach Julias Geburt von ihren verstärkten Hüften immer von ihrem „Hüftgold“ gesprochen habe.
„Erzähl noch einmal die Geschichte mit dem Gutenachtlied“, bat jetzt Birgit und Margot sagte, dass die Geschichte einen so langen Bart hätte, dass dieser schon bis zum Boden reiche.
Nach mehrfachem Drängen erzählte sie: „Nach Julias Geburt konnte ich alsbald wieder im Orchester spielen und die Kollegen besuchten mich abends zu Hause. Erst später habe ich erfahren, dass sie uns insbesondere deshalb besuchten, um zu hören, wie Robert seiner Tochter das Gutenachtlied sang. Dieser Gesang war das Topthema im Orchester. Keiner glaubte, dass ein Mensch so falsch und jeden Abend anders falsch singen konnte.“
Birgit freute sich, dass Margot so viel sprach und damit abgelenkt war.
Trotzdem bekam sie feuchte Augen und sagte: „Weißt du, dass ich dich oft beneidet habe?“
„Aber warum das?“
„Liebe Freundin, mein Mann kam spät nach Hause, war relativ geschafft und ein richtiges Familienleben fand nicht statt.“
Margot schaute Birgit etwas erstaunt an.
„Siehst du, dein Robert war immer zu Hause, wenn du zur Konzertprobe musstest oder etwas anderes vorhattest. Mein Bernd hatte nie für mich, geschweige denn für seinen Sohn, Zeit.“
„Aber dafür arbeitete Robert viel am Abend und in der Nacht.“
„Klar, aber er war zu Hause und immer für seine Tochter und für dich da.“
„Na, so war es auch wieder nicht. Seine Firma forderte ihn ganz schön und er musste oft zu Kunden fahren und blieb über Nacht weg.“
„Und hat er euch abends angerufen?“
„Ja, oft dauerten die Gespräche die halbe Nacht und er musste doch Julia am Telefon das Gutenachtlied singen.“
„Mein Gott, was warst du eine glückliche Ehefrau. Wenn Bernd auf Dienstreise war, hörte ich die ganze Zeit kaum etwas von ihm. Angeblich führte er auch noch abends an der Bar Kundengespräche. Wie diese Kundinnen aussahen, konnte ich mir gut vorstellen.“
„Warst du denn nicht eifersüchtig?“, fragte sie und Birgit antwortete, dass sie sich daran alsbald gewöhnt hätte.
„Aber ihr macht doch immer recht lange gemeinsame Urlaube“, stellte Margot fragend fest.
„Ja, ja, jeden Sommer vier Wochen Empuriabrava in unserem Appartement. Vier Wochen, lange schlafen, viel essen und trinken.“
„Du hast mir erzählt, dass ihr im Urlaub viel unternehmen würdet.“
„Früher, als wir noch kinderlos waren, haben wir tatsächlich viel unternommen. Unser erster Spanienurlaub führte uns nach Barcelona. Eine wunderbare Stadt mit viel Kultur und auch Bademöglichkeiten. Danach kamen wir nicht mehr so weit nach Süden und entdeckten die Costa Brava. Was waren wir von der Wildheit und der Geschichte dieses katalonischen Teils Spaniens begeistert. Jedes Jahr haben wir eine andere Gegend entdeckt und die steilen Klippen und einsamen Badestrände geliebt. Tagelang waren wir in den Serras oder den Pyrenäenausläufern unterwegs und haben die spanische - beziehungsweise katalanische - Küche genossen. Wenn wir im Frühjahr dort waren, konnte man die Mandelblüten genießen und riechen; selbst das Meer roch anders als heute in Empuriabrava. Das alles war wunderschön. Als der Sohnemann geboren war, mussten wir unsere Urlaubsgewohnheiten ändern. Doch der Costa Brava sind wir trotzdem treu geblieben.“
„Wann habt ihr denn euer Appartement gekauft?“
„Als unser Sohn drei Jahre alt war, bekam Bernd das Ferienappartement in Empuriabrava angeboten und war nicht abzuhalten, es zu kaufen. Im nächsten Jahr kaufte er auch noch ein Boot.“
„Ich stelle mir das schön vor; eine Wohnung und ein Boot, was will man mehr?“
„Klar, fast jeden Tag mit dem Boot aufs Meer, aber immer in Sichtweite der Küste. Alles ist eng und stressig. Und dann legen wir in einer der Buchten an, in die angeblich nie Urlauber kommen. Nur komisch, dass wir alle Leute dort kennen und ich noch nie einen Spanier in einer solchen Bucht gesehen habe.“
„Aber ihr habt sicherlich viel Zeit, um abends die spanische Kultur zu erleben, oder?“
„Von spanischer Kultur habe ich seit dem Appartementkauf nichts mehr mitbekommen; es sei denn, wir fahren nach Girona oder Figueres. Aber für den Sohnemann wird es oft zu langweilig und es geht alsbald zurück.“
Nach diesem Urlaubsbericht war es an Margot, ihre Freundin zu trösten.
Birgit bemerkte es und versuchte sie erneut von deren Problemen abzulenken.
„Meine beste Freundin, du glaubst gar nicht, wie oft ich dich beneidet habe. Ich war einmal bei euch und habe gesehen, wie Robert Julia ins Bett gebracht hat.“
„Meinst du das allabendliche Ritual mit Tanz und Gesang?“
„Genau, du hattest deine Tochter fertiggemacht und er tanzte mit ihr zu einem alten Schlager, offenbar aus seiner Jugendzeit. Sie blickte verklärt und der Speichel lief ihr aus dem Mund in Roberts Hals. Danach bekamst du von Julia ein Küsschen und er brachte das Kind zu Bett.“
„Und dann kam bestimmt der entsetzliche Gesang, vor dem man weglaufen konnte.“
„Genau so war es. Was habe ich dich um dieses Ritual beneidet.“
„Beneidet? Ich war eifersüchtig, weil Julia so ein Papakind war. Meine Mutter, der ich davon erzählte, hat mich ausgelacht und geschimpft, dass ich eifersüchtig sei. Danach habe ich alles mit anderen Augen gesehen und war tatsächlich glücklich“, erzählte sie und Birgit sagte: „Siehst du, ich war eifersüchtig, nicht du.“
Jetzt hatte Birgit bemerkt, dass sie das falsche Thema angeschnitten hatte. Margot weinte hemmungslos und zog sich in ihr Schlafzimmer zurück.
Zum Glück hatte sie die Tür nicht verschlossen und Birgit konnte so auf ihre Freundin aufpassen, dass sie sich nichts antat. Irgendwann schliefen beide ein.
Nach diesem Samstag und der Nacht zum Sonntag versuchte Birgit, ständig für die Freundin erreichbar zu sein. Doch Margot zog sich immer mehr zurück.