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3. Kapitel

Nun hatte sie endlich erfahren, dass sich Hans Köhler vermutlich im spanischen Empuriabrava aufhalten würde. Karl-Heinz hatte sie gebeten, die Mitteilung des Schränkers absolut vertraulich zu behandeln, was sie ihm zusagte.

Nach dieser Information hatte sich Margot verändert.

Wer genau hingesehen hätte, dem wären die zum Lächeln heraufgezogenen Mundwinkel aufgefallen.

Ihr Lebensmut war plötzlich zurückgekehrt. Sie krallte ihre mager gewordenen Finger zu Fäusten zusammen und betrachtete sich seit ewiger Zeit wieder im Spiegel.

Weil sie allein war, schrie sie: „Am gemeinsamen Grabe meiner Tochter und meines Mannes habe ich geschworen, beide zu rächen. Jetzt dauert es nicht mehr lange!“

Am Abend rief sie ihre Freundin an. Diese war erstaunt, dass Margot sich meldete.

Bisher musste sie immer anrufen und versuchen, den zurückgezogenen Trauerkloß auf andere Gedanken zu bringen. Sehr oft hatte sie sich große Sorgen gemacht und vergebens versucht, sie einmal zu einem Kinobesuch oder anderen Ablenkungen zu überreden.

„Ihr habt doch in Empuriabrava ein Ferienappartement? Wäre es möglich, dass ich dieses für einige Zeit bewohnen könnte?“, fragte Magot.

„Sag bloß, du willst wieder anfangen, normal zu leben? Ich freue mich so für dich, wenn du endlich wieder wie früher würdest“, sagte die Freundin erstaunt und fuhr fort, dass sie jederzeit das Appartement benutzen könne, weil sie es selbst nur die vier Wochen im Sommerurlaub bewohnen würden.

Von der Information, dass sich Hans Köhler eventuell in Empuriabrava aufhielte, hatte sie ihrer Freundin nichts gesagt, um sie nicht zu beunruhigen. Birgit kannte den Schwur, den Margot am Grabe geleistet hatte, und wusste auch, dass sie ihre Freundin von ihrem Entschluss nicht hätte abbringen können.

Und Margot kannte Birgit so gut, dass diese, wenn sie den wahren Grund gekannt hätte, nicht eingewilligt haben würde, dass sie einige Zeit im Appartement in Spanien verbringen könne.

Nach vierzehn Tagen hatte sie alle Reisevorbereitungen getroffen. Das Auto war in der Werkstatt durchgesehen worden und ihre Freundin hatte ihr die Adresse und die Schlüssel des Appartements übergeben.

Sie war wie verändert und voller Tatendrang, als sie ihre Reise nach Spanien antrat.

Kaum war sie auf der Autobahn, als sich ihre Gedanken wieder um Hans Köhler und ihren Schwur am Grabe drehten.

Wenn er tatsächlich in Empuriabrava ist, werde ich ihn bestimmt finden.

„Aber habe ich das Recht, ihn zusätzlich zu bestrafen?“, fragte sie sich erneut.

Das Gericht hat ihn zu vier Jahren Gefängnis verurteilt und die hat er abgesessen.

„Ist es moralisch erlaubt, dass ich zusätzlich Selbstjustiz übe?“, fragte sie sich und dachte daran, was der Schränker von den Haftbedingungen erzählt hatte. Das muss für Hans Köhler die reinste Hölle gewesen sein.

Der Schränker hatte kurz berichtet, wie die anderen Häftlinge den Kinderschänder kastriert haben.

„Schrecklich, aber genauso schlimm wie der Missbrauch, den Julia über sich ergehen lassen musste“, überlegte sie und stellte sich bildlich vor, wie die Kastration vor sich gegangen sein musste.

Der Schränker hatte erzählt, dass Hans Köhler vor den anderen Häftlingen zu onanieren hatte. Als er kurz vor dem Samenerguss war, musste er sein erigiertes Glied auf den Tisch legen. Der Zellenboss schlug in diesem Moment mit der Handkante auf das erigierte Glied, sodass Blut spritzte.

„Nach dieser Behandlung musste der Kinderschänder in die Krankenabteilung und im städtischen Krankenhaus operiert werden. Aus Angst vor weiteren Misshandlungen hat er erzählt, dass er sich mit der Tischschublade geklemmt habe. Keiner der Bediensteten in der Krankenstation des Gefängnisses glaubte ihm. Es fragte aber auch keiner genauer nach. Jeder kannte die Regel des Knastes; Kinderschänder waren der letzte Dreck und Freiwild für alle“, beendete er seine Schilderung und Margot überkam ein leichtes Übelkeitsgefühl.

Sie verdrängte die Antwort auf die Frage, ob sie Hans Köhler selbst auch noch bestrafen dürfe.

Nach dem sie die Grenze nach Frankreich überquert hatte, staunte sie nicht schlecht.

Abgesehen davon, dass der Zustand der Autobahn vorzüglich war, hatte sie das Gefühl, dass die Fahrbahnen auch breiter seien. Und die péage; ein ganz neues Erlebnis.

Jetzt ärgerte sie sich, dass sie vor Fahrtantritt nicht wenigstens etwas Französisch gelernt hatte.

„Was soll das erst in Spanien ohne Sprachkenntnisse werden?“, fragte sie sich und dachte daran, wie sie früher zusammen mit Ehemann Robert und Tochter Julia Urlaub gemacht hatte. Meist waren sie in Italien oder im Osten Europas.

Sobald das Urlaubsziel feststand, kümmerte er sich um einen Schnellkurs für die entsprechende Sprache bei der Volkshochschule. Sein Prinzip war, dass man wenigstens ein gewisses Gefühl für die Sprache des Urlaubslandes erlangen müsste.

„Wie wollen wir etwas zum Essen bestellen und in einem Hotel einchecken, wenn wir nicht die Grundbegriffe kennen“, sagte er stets und forderte Margot auf, die kulturellen Sehenswürdigkeiten des Urlaubszieles zusätzlich zu ermitteln.

Als sie so über die Autobahn rollte und die französischen Schilder nur mit viel Mühe ergründen und verstehen konnte, dachte sie wieder an ihre kleine glückliche Familie.

Alle drei gingen zum Sprachkurs und versuchten, sich in der Sprache des Urlaubslandes zu unterhalten.

Es muss furchtbar geklungen haben und die Sprachlehrer wären bestimmt verzweifelt, wenn der Sprachkurs mit unserer Familie länger als zwei Wochen gedauert hätte.

Julia konnte alles schnell und einigermaßen richtig aussprechen, kannte aber die Bedeutung der Worte kaum.

Robert war - wie auch in musikalischer Hinsicht - unbegabt, eine andere Sprache zu erlernen, sagte aber immer, dass sie nur Urlaub machen wollten. Sie begriff am schnellsten und konnte sich auch viele Vokabeln merken.

Robert behauptete immer, dass Mutter die Schlauste wäre, was Julia zu der Bemerkung verleitete, dass auch sie intelligent sei.

„Und jetzt sitze ich im Auto allein und bin unvorbereitet“, stellte sie fest und tröstete sich damit, dass sie keinen Urlaub machen wollte und ihre Freundin gesagt habe, dass in Empuriabrava kaum spanisch gesprochen würde und man mit Deutsch überall zurechtkäme.

„Hoffentlich stimmt das“, dachte sie und sagte sich, dass ihre Freundin sie nicht falsch informieren würde.

Obwohl sie früh losgefahren war, schaffte sie es nur bis Montélimar im Rhonetal.

Als sie am Automaten des Hotels, das sich gleich nach der Ausfahrt der Autobahn befand, mit ihrer Kreditkarte eincheckte, war es schon dunkel. Es war möglich, die deutsche Sprache am Automaten zu wählen, sodass sie gar keine Schwierigkeiten hatte.

Die Küche war bereits geschlossen; sie fiel nach dem Duschen wie tot in das Bett.

Erst beim Besteigen des Autos am nächsten Morgen stellt sie fest, dass sie in unmittelbarer Nähe eines Atomkraftwerkes übernachtet hatte.

In Orange wechselte sie die Autobahn in Richtung Barcelona. Nach einiger Zeit sah sie das erste Mal das Mittelmeer und ihre Stimmung wandelte sich von Anspannung in eine Art Wohlbefinden. Die angenehme südliche Landschaft mit ihren Weiten und dem niedrigen Baumbewuchs halfen ihr dabei.

Gleich hinter der französisch/spanischen Grenze hielt sie an der ersten Mautstelle auf dem Parkplatz an und programmierte das Navi mit der Adresse in Empuriabrava.

Bis Figueres waren es auf der Autobahn gerade einmal noch 20 Kilometer. Auch hier gab es Mautstellen.

Die Landschaft hatte sich deutlich verändert, was sie aber gar nicht wahrnahm; das Ziel war nahe.

In Figueres verließ sie die Autobahn und fuhr auf der Landstraße in Richtung Küste.

Nach wenigen Kilometern hatte sie Empuriabrava erreicht. Sie bog von der Landstraße C 260 am ersten Kreisel nach rechts in Richtung Zentrum ab und war erschrocken, als sie rechter Hand ein riesiges „Aldi - Geschäft“ sah. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite residierte ein Bootshändler mit Jachten der allerhöchsten Preisklasse. „Das passt wunderbar zusammen“, überlegte sie und fuhr weiter. Nach dem nächsten Kreisel gab es ein „Lidl“.

„Mein Gott, ich dachte, ich sei in einem spanischen Urlaubsort“, sagte sie sich und achtete auf die Angaben des Navis. Nach kaum drei Minuten war das Ziel erreicht. Es war früher Nachmittag.

Das Appartement befand sich in der zweiten Etage eines Vierfamilienhauses in dem Carrer Port Empordà. Es war nicht groß, bestand aus einem Wohn-/Schlafraum, einer Küchenzeile und einem Bad mit Dusche und Bidet sowie einem kleinen Balkon, von dem man auf den Kanal schauen konnte.

Auf dem kleinen Tisch stand eine Vase mit einer frischen gelben Rose und einem Zettel, auf dem stand, dass Ernst und Elvira einen schönen Urlaub wünschten.

Der Kühlschrank war eingeschaltet und es befand sich ein Käse, eine Flasche Wasser und eine Flasche Castillo Perelada Rosaton 2012 darin. Im Brotkasten lag ein frisches Weißbrot.

Sie erinnerte sich wieder daran, dass Birgit gesagt hatte, dass Freunde ab und zu nach dem Rechten schauen und über einen Schlüssel verfügen würden. Nach ihrer Ankunft möge sie sich bei diesen Freunden melden und ihre Eintreffen mitteilen. Die Telefonnummer dieser Freunde stünde am Telefon.

Bevor sie ihren Koffer auspackte, rief sie Elvira und Ernst an und teilte ihre Ankunft mit, bedankte sich für den Kühlschrankinhalt sowie die Rose und sagte, dass sie sich nochmals melden würde, sobald die Ankunftsunbillen vorbei seien.

Von ihrer Freundin hatte sie erfahren, dass Elvira und Ernst ein liebes älteres Ehepaar sei, das sich in Spanien zur Ruhe gesetzt habe. Zunächst hätten sie ein kleines Haus in Empuriabrava gekauft, dieses aber alsbald wieder verkauft und wären nach Vila Sacra gezogen.

Ernst sei ein altersweiser, ruhiger Mann, der Vertrauen ausstrahle. Er höre aufmerksam zu und versuche, seinen Gegenüber zu verstehen und sich in seine Gedankengänge zu versetzen und die Dinge so zu sehen, wie sie ihm geschildert würden.

Elvira sei hingegen agil und versuche, alles und allen gerecht zu werden.

Kindesmißbrauch mit furchtbaren Folgen

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