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Kapitel 3

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Der Kaffeeautomat pustete und stöhnte, wobei er die braune, wärmende und wachhaltende Brühe ausspuckte.

„Möchtest du einen Kaffee?“, fragte Lisa.

„Nein, nicht schon wieder. Ich hatte doch bereits zwei. Denk doch mal an mein Herz“, antwortete Ronni.

„Du bist vielleicht ein Weichei. Heute Morgen waren deine ersten Worte zu mir: Bringen Sie uns eine Thermoskanne mit Kaffee? Und ich dachte, du seiest ein richtiger Kaffeetrinker.“

Lisa lachte und stellte die Tasse zu sich auf den Schreibtisch. Ronni saß ihr gegenüber.

„Verstehst du das? Wieso schleppt der die Frau auf den Burgplatz? Und was soll dieser Spruch auf dem Zettel, den er ihr in den Mund steckte?“, sinnierte er.

„Und wieso bewirft er sie mit faulem Gemüse, um ihr anschließend den Kopf zu zertrümmern?“, erweiterte Lisa den Fragenkatalog.

„Er will die Frau zur Schau stellen und mit dem Spruch will er uns etwas sagen.“

„Richtig“, bestätigte Lisa. „Nur, was will er uns sagen? Wieso wählt er diesen komplizierten Weg? Wenn er mit uns kommunizieren will, soll er das doch auf die normale Art des 21. Jahrhunderts tun.“

Lisa wurde ungeduldig und nervös. Das kam immer dann vor, wenn sie etwas nicht verstand und nicht mehr weiter wusste.

„Der Spruch hilft uns nicht weiter. Es handelt sich um einen altdeutschen Spruch aus dem 18. oder 19. Jahrhundert. Der Verfasser ist unbekannt. Ich sehe da keinen Ansatzpunkt.“

„Oho, die neue Kommissarin hat recherchiert!“, frotzelte Ronni und Erstaunen machte sich auf seinem Gesicht breit.

Lisa zog ihm eine Grimasse und drehte sich um. Sie wollte nicht, dass ihr Kollege ihre leichte Verlegenheit bemerkte. Denn eine Besserwisserin war das Letzte, was sie sein wollte.

„Wir müssen mehr über die Frau erfahren. Wahrscheinlich liegt irgendwo in ihrem Leben der Schlüssel“, wurde Ronni wieder sachlich, der bemerkt hatte, dass er sich mit dem Veralbern der Kollegin auf dünnem Eis bewegte.

„Der Kollege, der zu ihr nach Hause gefahren ist, um jemanden zu benachrichtigen, hat zwar niemanden angetroffen, vielleicht haben wir mehr Erfolg oder Nachbarn können uns weiterhelfen. Komm, lass uns fahren.“

Ronni und Lisa nahmen ihre Jacken und verließen das Büro. Der Nebel hatte sich weitgehend verflüchtigt und es schien, dass es heute ein schöner Spätherbsttag werden würde.

Auf dem Weg zu ihrem Dienstwagen fragte Lisa „Wieso sind wir im KK 11 eigentlich so stark unterbesetzt?“

„Ein Kollege hat Burnout, eine Kollegin ist schwanger und dann ist da noch Frank Eisenstein, der fehlt.“

Lisa meinte gesehen zu haben, wie Ronni beim Namen Frank Eisenstein die Augen verdrehte.

„Was ist mit ihm?“, wollte sie jetzt genau wissen, denn sie war neugierig geworden.

„Frank und ich haben jahrelang in Duisburg zusammen gearbeitet, bevor wir beide uns aus unterschiedlichen Gründen nach Bonn haben versetzen lassen. Wir haben manchen schwierigen Fall durchgezogen. Insbesondere unser letzter Fall war nicht einfach. Ein geistig zurückgebliebener Serienmörder in Troisdorf hat uns alles abverlangt. Danach war Frank einfach fertig. Er wollte nicht mehr. Er hatte genug von Gewalt, Morden und Mördern. Ende vergangenen Jahres wurde er fünfundfünfzig und konnte sich unter Fortfall der Bezüge beurlauben lassen, ohne seinen Pensionsanspruch zu verlieren. Und das hat er gemacht. Jetzt ist er Hausmann und lebt mit Susanne Ohlrogge zusammen“, berichtete Ronni.

„Mit der Rechtsmedizinerin, die ich heute auf der Burg kennengelernt habe?“

„Ja, genau die. Sie liebt Frank, aber auch ihren Beruf. Diesen aufgeben, um Frank zu Hause Gesellschaft zu leisten, das wollte sie nicht.“

„Siehst du ihn denn noch manchmal?“

„Ja, wenn die Zeit es zulässt. Aber du kennst Frank nicht. Ich glaube, er fragt nur meinetwillen, ob es etwas Neues gibt. Ein Treffen, ohne dass wir über meine Arbeit sprechen, ist nicht möglich. Da wir beide das grundsätzlich nicht wollen, sehen wir uns eher selten. Trotzdem mögen wir uns weiterhin. So, und jetzt konzentrieren wir uns auf unseren Fall.“

Ronni hielt den Wagen vor einem alten Fachwerkhaus an. Auf dem unteren Klingelschild stand der Name „Schlierbaum“. Er klingelte.

Ein großer Mann, der beinahe den gesamten Türrahmen des alten Hauses ausfüllte, öffnete. Sein Gesicht wurde von einem Vollbart eingerahmt. Seine stechenden Augen, die unter buschigen Augenbrauen lagen, schauten Lisa und Ronni streitsüchtig an.

„Was gibt es?“, stieß er in Richtung der beiden Kommissare hervor.

„Sind Sie Herr Schlierbaum?“, fragte Ronni.

„Wer will das wissen?“, war die Gegenfrage des Bärtigen. Ronni zog seinen Dienstausweis aus der Tasche und hielt ihn dem Mann vors Gesicht.

„Wir sind von der Kriminalpolizei Bonn. Mein Name ist Kern und das ist meine Kollegin Brenner.“

„Okay, ich bin Lars Schlierbaum. Ist etwas mit meiner Frau? Meiner Ex-Frau. Wir sind geschieden“, stellte der Mann sich jetzt bereitwillig vor.

„Dürfen wir hereinkommen? Wo ist Ihre Tochter?“, fragte Lisa.

Lars Schlierbaum gab den Eingang frei und ging voraus ins Haus. Die beiden Kommissare folgten ihm ins Wohnzimmer.

„Die habe ich heute Morgen in den Kindergarten gebracht, da meine Frau nicht da war. Wahrscheinlich hat sie sich wieder mit diesem Erich versöhnt und ist jetzt bei ihm. Ihre Tochter hat sie bestimmt wieder total vergessen.“

„Wer ist Erich?“, fragte Lisa sofort nach.

„Erich Klein, ihr Liebhaber, mit dem sie mich betrogen hat und der unser Scheidungsgrund war. Ein Lebemann, ein von Frauen Besessener. Wahrscheinlich hat er neben Franzi noch andere Frauen. Aber Sie ist blind und läuft ihm wie ein Hund hinterher.“

Der Mann war sauer, sauer auf diesen Erich und auf seine Frau. Das war offensichtlich.

„Und wieso haben Sie Ihre Tochter in den Kindergarten gebracht? Sie sind doch geschieden.“

Lisa konnte es kaum glauben, dass ein Ex-Ehemann sich so verantwortungsbewusst um den Nachwuchs kümmerte. War sie doch selbst geschieden und hatte eine Tochter. Das kannte sie so nicht von ihrem geschiedenen Mann.

„Nach der Scheidung haben wir uns arrangiert, zumindest was unsere Tochter angeht. Sie soll nicht unter unserer gescheiterten Ehe leiden.“

„Wann haben Sie denn Ihre Tochter in den Kindergarten gebracht?“, fragte Lisa weiter.

„Wie immer, kurz vor acht Uhr. Meine Ex hat dienstags und freitags in Hennef eine Putzstelle. Ich hole Mia dann mittags vom Kindergarten ab und bringe sie am nächsten Morgen, wenn ich zur Arbeit fahre, wieder zurück nach Hause. Heute Morgen war Franzi nicht da, und ich warte seitdem auf sie. Ich muss schließlich wissen, wer Mia heute Mittag vom Kindergarten abholt. Ich bin selbstständig und kann es mir zum Glück leisten, hier herumzusitzen. Was ist nun mit meiner Frau?“

„Herr Schlierbaum, setzen Sie sich bitte“, forderte Ronni den Mann auf, der bisher aufgeregt im Wohnzimmer von einem Bein auf das andere getreten war.

Lars Schlierbaum ließ sich in einen der Sessel fallen und schaute Ronni mit einem Gemisch aus Neugierde und Furcht fragend an.

„Ihre geschiedene Frau ist tot. Sie wurde Opfer eines Verbrechens.“

Ronni sah bei diesen Worten den Mann aufmerksam an. Die erste Reaktion eines Angehörigen kann immer wichtig sein.

„Nein, das kann nicht sein!“

Der Ex-Mann von Frau Schlierbaum wurde weiß im Gesicht, schlug die Hände davor und begann hemmungslos zu weinen. Offenbar war da doch mehr Gefühl für seine geschiedene Frau, als er bisher zugegeben hatte.

Es dauerte sehr lange, bis er sich gefangen hatte. Für Lisa war klar, dass eine weitere Befragung heute nicht möglich war. Hier spielte niemand Betroffenheit, hier war das Entsetzen echt. Die Kommissarin und der Kommissar warteten eine Weile, bis Lars Schlierbaum sich etwas beruhigt hatte.

„Können Sie sich um Ihre Tochter kümmern?“, fragte Lisa mitfühlend, der diese, für sie unbekannte Situation, an die Nieren ging.

„Ja, ja, natürlich. Was ist passiert und wo ist Franzi jetzt?“, fragte Herr Schlierbaum mit erstickter Stimme.

„Wir haben Ihre Frau im Burghof der Burg Blankenberg gefunden. Sie befindet sich zurzeit in der Rechtsmedizin in Bonn“, antwortete Ronni.

„Was … was wollte Franzi denn auf der Burg?“

Es war klar, dass der frühere Ehemann des Opfers jetzt viele Fragen hatte, auf die er gerne eine ausführliche Antwort erhalten hätte.

„Wie kommt Ihre Frau, Entschuldigung Ex-Frau, normalerweise nach Hause?“, fragte Ronni, ohne auf die vorherige Frage einzugehen.

„Mit dem Zug bis zum Haltepunkt Blankenberg und den Rest des Weges bis hier oben zum Ort zu Fuß. Aber wieso war sie auf der Burg? Das macht doch überhaupt keinen Sinn.“

Der Mann schüttelte jetzt unablässig seinen Kopf und schien durch Ronni hindurchzusehen.

„Wir wissen es nicht – noch nicht. Womöglich hat der Täter sie abgepasst und gezwungen, zum Burghof zu gehen“, antwortete Ronni.

Dass der Täter in diesem Fall wissen musste, wann das Opfer nach Hause kam, oder dass er sein Opfer möglicherweise sogar persönlich kannte, sagte er nicht. Ein zufälliges Zusammentreffen von Täter und Opfer schien ihm ausgeschlossen.

Auch die fürchterlichen Einzelheiten der Tat behielt er für sich. Diese würde Herr Schlierbaum in den nächsten Tagen noch früh genug durch die Presse erfahren.

„Haben Sie jemanden, der sich um Sie und um Ihre Tochter kümmern kann, der vielleicht hierher kommen kann?“

Lisa hatte das Gefühl, dass sie den Mann nicht so allein hier zurücklassen konnte. Lars Schlierbaum schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein und es dauerte wieder eine Weile, ehe er antwortete.

„Ja, ich rufe meine Mutter an, die wohnt in Merten und kommt bestimmt sofort hierher.“

„In Ordnung. Wir werden Sie in den nächsten Tagen bestimmt nochmals aufsuchen. Bleiben Sie sitzen, wir finden schon hinaus“, sagte Ronni.

„Ach, noch eine Frage.“

Er blieb stehen und drehte sich nochmals zu Lars Schlierbaum um, der wie ein Haufen Elend im Sessel hing.

„Nur aus Routine. Wo waren Sie in der vergangenen Nacht?“ Lars Schlierbaum schaute den Kommissar verwundert an.

„Wo soll ich schon gewesen sein. Natürlich zu Hause im Bett.“

„Kann das jemand bezeugen?“

„Ich habe keine neue Frau oder Geliebte, wenn Sie das meinen. Werde ich vielleicht jetzt verdächtigt?“

Schlierbaum sprang aus seinem Sessel auf und kam schnellen Schrittes auf den Kommissar zu. Kurz vor ihm blieb er abrupt stehen. Man musste den Eindruck gewinnen, dass er sich nur schwer beherrschen konnte.

„Nein, nein. Ist schon gut. War wirklich nur eine Routinefrage“, beschwichtigte Ronni ihn und versuchte mit ausgestreckten Armen den Mann auf Abstand zu halten.

Er bedankte sich nochmals und folgte Lisa, die an der Haustür stehen geblieben war.

„Scheiße“, entfuhr es ihm, als er und Lisa im Auto saßen.

„Da stimme ich dir uneingeschränkt zu. Zuerst heute Morgen der Leichenfund der Frau und jetzt die Überbringung der Todesnachricht an den Ex-Mann. Ich glaube, ich hasse den Job bereits am ersten Tag.“

„Wenn ich sagen würde: du gewöhnst dich daran, wäre das sicherlich nicht richtig. So etwas geht dir immer an die Nieren. Aber es gibt auch andere Tage und auch so etwas gehört halt zu unserem Job. Akzeptiere es so wie es ist und versuche es so schnell wie möglich abzuhaken. Nur so kannst du dich selbst schützen“, versuchte Ronni seiner Kollegin Mut zu machen.

Lisa nickte und beide machten sich auf den Weg zurück ins Büro. Vielleicht lagen neue Erkenntnisse der Spurensicherung vor oder sogar das Ergebnis der Obduktion.

„Was hältst du vom Ex unseres Opfers?“, frage Lisa unterwegs.

„Ich bin mir nicht ganz sicher. Seine Reaktion schien nicht gespielt zu sein. Die Nachricht des Todes seiner geschiedenen Frau hat ihn wahrscheinlich sehr getroffen. Aber dieser Groll auf seine Frau und diese Emotion, als ich ihn fragte, wo er vergangene Nacht war – ich weiß nicht so recht.“

„Na klar hat der eine Wut auf seine Frau. Sie hat ihn schließlich mit einem anderen Mann betrogen und sitzen gelassen. Aber beide lieben ihre Tochter, weswegen sie sich auf irgendeine Weise arrangiert haben. Aber einen Mord? – Nein, das traue ich ihm nicht zu“, entgegnete Lisa.

*

Wieder im Büro musste Lisa erfahren, dass weder neue Erkenntnisse der SpuSi noch das Obduktionsergebnis vorlagen. Ronni wollte sich sofort an den Telefonhörer hängen und Susanne fragen, wann er mit einem Ergebnis rechnen könnte.

Lisa legte ihm eine Hand auf den Arm, um seinen Tatendrang zu stoppen.

„Ist es dir recht, wenn ich nach Hause fahre? Es ist bereits spät und meine kleine Tochter …“

„Du hast eine Tochter? Hätte ich nicht gedacht. Und dann bewirbst du dich bei der Mordkommission?“

Ronni war mehr als erstaunt und schaute Lisa mit großen Augen an.

„Ja, sie ist sieben und meine Mutter holt sie von der Schule ab und passt danach auf sie auf.“

„Und dein Mann? Unterstützt der dich auch? Wie stellst du dir das künftig hier vor? Wir haben nicht immer geregelte Dienstzeiten.“

„Ich bin geschieden. Als ich mich für die Stelle beworben habe, haben mir meine Eltern ihre Unterstützung zugesagt. Das wird schon klappen. Nur heute … gerade am ersten Tag … meine Mutter …“

„Okay, geh‘ schon. Es war ein harter Tag. Besonders, weil es dein erster Mordfall ist. Ich kann das verstehen. Und mit Susanne kann ich auch allein reden. Vielleicht wissen wir morgen mehr.“

„Danke“, sagte Lisa überglücklich und strahlte dabei ihren Kollegen wie eine fünfzehnjährige Teenagerin an.

Lisa schnappte sich ihre Tasche und im nächsten Augenblick hatte sie auch schon das Büro verlassen.

Ronni schaute ihr leicht irritiert hinterher. Was war das denn? So glücklich hat mich bisher nur selten eine Frau angeschaut, dachte er.

*

Zwei Tage waren inzwischen vergangen, ohne dass die Kommissare in der Ermittlung auch nur einen Schritt weitergekommen waren.

Lisa war der Meinung, dass der im Mund des Opfers gefundene Zettel mit den Worten:

„Treue kann man nie genug vergelten,

Untreue nie genug bestrafen“

ein Hinweis auf das Tatmotiv sei. Franziska Schlierbaum war schließlich ihrem Mann untreu geworden und womöglich wollte sich jemand dafür rächen? Sie hatte sich wegen eines Anderen von ihrem Ehemann getrennt. Doch dann käme nur ihr Ex-Mann als Täter in Frage. Ein Tatmotiv hätte er demzufolge. Diese Schlussfolgerung konnten weder Lisa noch Ronni so recht glauben. So wie der Mann aussah und wie er sich gab, so sieht kein Mörder aus und so verhält sich auch kein Mörder.

Aber wie sieht schon ein Mörder aus und wie verhält er sich im normalen Leben? Normen gibt es sicherlich keine, dachte Lisa.

Um Zeit zu sparen, hatten Lisa und Ronni sich die Vernehmungen der Menschen im sozialen Umfeld der Toten geteilt. Lisa befragte nochmals ihren Ex-Mann und versuchte, Freunde und Bekannte aufzuspüren. Die Mühe war so gut wie erfolglos. Lars Schlierbaum erklärte, dass durch die Arbeit seiner Frau kaum Zeit blieb, Freundschaften zu schließen oder gar zu pflegen. Natürlich, die eine oder andere Mutter, die sie vom Kindergarten ihrer Tochter her kannte … aber Freundschaften? Nein, Freundschaften waren das nicht, höchstens flüchtige Bekanntschaften. Dann waren da noch einige Nachbarn, mit denen sie hin und wieder ein paar Worte wechselte und eine langjährige Freundin, die in Troisdorf wohnte. Jedoch zu ihr war der Kontakt bereits seit längerer Zeit abgebrochen. Die Aussagen der Nachbarn und der Mütter vom Kindergarten deckten sich mit der Aussage von Lars Schlierbaum.

Ronni besuchte währenddessen Erich Klein, den neuen Freund von Franziska Schlierbaum. Ein unsympathischer Kerl, berichtete Ronni später.

Er hatte eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in Troisdorf-Sieglar. Als Ronni klingelte, öffnete eine schwarzhaarige Schönheit die Tür. Gekleidet war sie in einem schwarzen, seidenen Morgenmantel, der perfekt zu ihrer Haarfarbe passte.

Erich Klein folgte wenige Augenblicke später in ihrem Schlepptau. Ebenfalls in einem seidenen Morgenmantel gekleidet. Allerdings in knallrot. Die Haare hingen fettig um seinen Kopf und ein Fünftagebart „zierte“ sein rot aufgedunsenes Gesicht.

Der Zugang zur Wohnung wurde dem Kommissar entschieden verwehrt. Erich Klein bestätigte lediglich dessen Frage, dass er eine Franziska Schlierbaum kenne. Mit einem tiefgründigen Blick zu der schwarzhaarigen Schönen meinte er lapidar, dass diese Franziska wohl zu viel in einige harmlose Treffen hineininterpretiert habe. Nein, eine nähere Beziehung bestehe da überhaupt nicht.

Ein Tatmotiv konnte der Kommissar bei Erich Klein nicht erkennen. Wahrscheinlich hatte er mit der schwarzhaarigen Schönheit eine neue Freundin gefunden. Vielleicht wollte er mit beiden Frauen ein „abwechslungsreiches Verhältnis“ führen. Vielleicht wollte er aber auch Franziska Schlierbaum einfach nur loswerden. Aber dafür einen so bestialischen Mord zu begehen, das konnte Ronni sich nicht vorstellen.

*

Für Lisa war das Positive der letzten beiden Tage, dass sie einigermaßen zeitig nach Hause zu ihrer Tochter kam. Auch schien es, dass ihre Eltern, in erster Linie ihre Mutter, gut mit ihr klar kamen. Natürlich versuchte Nicole in bestimmten Situationen ihren Dickkopf durchzusetzen, ihre Mutter war allerdings konsequenter, als Lisa angenommen hatte.

Lisa war glücklich, dass sie und auch ihre Tochter sich wieder gut mit ihren Eltern verstanden. Nicht nur, weil ihre Eltern ihr den Rücken für ihre berufliche Tätigkeit freihielten, sondern auch, weil sie nach ihrer Scheidung Halt und Verständnis bei ihnen gefunden hatte. Für ihre Tochter waren Oma und Opa ein Glücksfall, denn grundsätzlich mochte sie beide sehr.

Das Verhältnis zu ihren Eltern war jedoch nicht immer so gut gewesen, wie zurzeit.

Als Jugendliche hatten ihre Eltern viele Probleme mit ihr. Nicht, dass sie Schulprobleme hatte, nein, sie war eine gute Schülerin, der das Lernen leicht fiel. Wahrscheinlich viel zu leicht, denn sie verbrachte die Zeit, die andere Mitschüler zum Lernen brauchten, mit der Erforschung von Unbekanntem und Außergewöhnlichem. Immer wieder wollte sie die starren Zwänge ihrer Eltern aufbrechen und Neues kennenlernen und erleben.

So war es gar nicht verwunderlich, dass sie mit sechzehn zum ersten Mal Haschisch probierte. Es war auf einer Party ihrer besten Freundin. Sie hatte sich mehr davon versprochen und das ständige Nachfeuern, damit der Joint richtig brannte, fand sie nur ätzend. Im Gegensatz zu einigen Klassenkameraden blieb es bei diesem ersten Versuch – zumindest vorerst.

Mit siebzehn lernte sie Stefan kennen. Er war fünf Jahre älter und er faszinierte sie im höchsten Maße. Immer einen coolen Spruch auf den Lippen, lässig gekleidet und grundsätzlich gegen alles, was die „Alten“ sagten oder verlangten.

Nachdem sie mit 18 das Abitur gemacht hatte – ohne Mühe mit der Note 1,8 – zog sie von zu Hause aus und in seine Wohnung ein. Obschon der Begriff Wohnung bei Weitem zu hoch angesiedelt war. Es war ein schäbiges Loch. Eine Einzimmerwohnung in einem alten Mietshaus. Nicht renoviert und die Möbel bestanden ausschließlich aus Kisten und aus selbst zusammengezimmerten „Möbeln“. Lediglich das Bett hatte er von einem Freund geschenkt bekommen und es war fast neu. Hierin verbrachten sie die längste Zeit des Tages. Sie liebte ihn, oder meinte zumindest ihn zu lieben. Ob er sie auch liebte, wusste sie nicht. Obschon ihre wenigen, verbliebenen Freundinnen sagten, dass er nur ihren Körper zu seiner Befriedigung benutzte, konnte sie nicht von ihm lassen. Sie hatte keine Aussprache bei ihm und ein Gespräch über Probleme oder über die Zukunft fand nicht statt. Inzwischen war sie regelmäßige Haschischraucherin geworden. Gemeinsam rauchten sie das Gras und danach liebten sie sich und vergaßen die Welt um sich herum.

Um eine Ausbildungsstelle zu suchen, fehlte ihr die Energie. Er hielt sie beide mit Arbeitslosengeld, später Sozialhilfe und mit dubiosen Gelegenheitsjobs über Wasser. Manchmal erhielt er Geld von seinen Eltern. Dann war großer Bahnhof angesagt: Tolles Essen, neue Kleidung für sich und auch für sie und natürlich Drogen.

Grundsätzlich war sie einsam. Einsamer als bei ihren Eltern. Wenn sie allein war und Stefan seinen „Geschäften“ nachging, weinte sie viel. Sie weinte wegen Stefan, der sie enttäuscht hatte, über die Welt, die so ungerecht zu ihr war und auch ein wenig über sich selbst, weil sie keine Änderung herbeiführen konnte. Sie fühlte sich wie eine Pflanze, die kein Wasser erhält, die zu vertrocknen und einzugehen droht. Sie hatte bei ihren Eltern ein streng konservatives Leben kennen gelernt – das wollte sie auf keinen Fall für sich. Aber je mehr sie nachdachte, desto mehr sehnte sie sich nach einem geregelten Leben, einer befriedigenden Aufgabe und keine Abhängigkeit mehr von Sex und Drogen.

Irgendwann brachte Stefan härtere Sachen mit nach Hause: Amphetamine und einige Male Ecstasy. Sie blieb jedoch beim Haschisch, auch wenn es ihr unendlich schwer fiel.

Stefan hatte sich inzwischen beide Arme und Schultern tätowieren lassen. Eines Abends, sie hatten nochmals beide Hasch geraucht und sich wie immer anschließend geliebt, verlangte er von ihr, dass sie sich ebenfalls ein Tattoo machen lassen sollte. Er bestand darauf, dass sie sich seinen Namen auf ihren Unterarm tätowieren lassen würde. Sie lehnte das strikt ab und es kam zu einem heftigen Streit. In dessen Folge packte sie ihre wenigen Sachen und kehrte reumütig zu ihren Eltern zurück. Wo hätte sie auch sonst hin gehen sollen?

Sie hatte längst erkannt, dass sie dieses Leben mit Stefan nicht mehr wollte und endlich war sie so weit, eine entscheidende Wende ihres Lebens herbeizuführen.

Spät, aber nicht zu spät, begann sie das Studium bei der Polizei und heiratete einen Mann, den sie heute als „überhasteten Fehlgriff“ bezeichnete. Von diesem Mann trennte sie sich ohne Reue. Auf ihre Tochter aus dieser kurzen Ehe, war sie dagegen mächtig stolz. Danach hatte sie keine feste Beziehung mehr. Den einen oder anderen One-Night-Stand, auch gab es zwei Beziehungen, die einige Wochen andauerten. Aber das war‘s. Keiner der Männer erfüllte ihre Ansprüche, die, so meinte sie, nicht zu hoch waren.

Jetzt lag sie wie fast immer allein im Bett und schaute an die weiße Zimmerdecke ihres Schlafzimmers. Sie war froh, dass sie nicht in der völligen Dunkelheit des Raumes gefangen war. Das eindringende Licht der Straßenlaternen sorgte für genügend Helligkeit, damit sie ihre Einrichtungsgegenstände schemenhaft erkennen konnte. Ihre Gedanken waren weit in die Vergangenheit gedriftet. Zum ersten Mal seit ihrem Amtsantritt im KK 11 hatte sie nicht an den grässlichen Mord auf der Burg gedacht.

Morgen war Samstag, aber für sie würde das kein freier Tag sein. Solange dieser irre Mörder umherlief, würde es keinen freien Tag für sie geben. Und wieder waren ihre Gedanken bei ihrem und Ronnis Fall. Ja, Ronni – sie war froh, dass er der Kommissar war, den sie unterstützen sollte. Aber nicht nur das. Sie war auch froh, dass sie den Mann Ronni Kern kennengelernt hatte. Sie hatte ja bisher in ihrem Leben nicht die besten Erfahrungen mit Männern gemacht. Ronni schien anders zu sein, als die Männer, die sie bisher kennengelernt hatte. Sie fand, er war einfach sympathisch, nett und verlässlich. Oder war da womöglich noch mehr, das ihren Blick für die Realität trübte? Nein, eher nicht. Sie kannte den Mann doch erst seit ein paar Tagen.

Das letzte Mal, als sie zur Uhr blickte, war es 0:45 Uhr. Danach übermannte sie endlich die Müdigkeit und mit angenehmen Gedanken schlief sie ein.

Herbstnebel

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