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Freitag, 6. Mai

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Das Wetter hat sich beruhigt. Wie gut, denn heute habe ich etwas Besonderes vor! Der Schäfer Jörg Bauer hat mich eingeladen, dem Beginn seines jährlichen Herdentriebs zu den Elbdeichen beizuwohnen. »Wenn Sie morgen nicht kommen«, hat er gestern am Telefon gesagt »bin ich die nächsten sechs Tage nur noch am Handy zu erreichen. Wir sind auf Wanderschaft und siedeln an die Elbdeiche um.«

Ich schnappe mir mein geliebtes Stevens-Rad und verlasse Himmelstal gen Süden. Auf der schmalen, ansteigenden Landstraße kommt mir eine riesige Schafherde entgegen. Sie nimmt die gesamte Breite der Straße ein. Es folgen drei Fahrzeuge, die nicht an den vielen blökenden Wollknäueln vorbeikommen. Schnell steige ich vom Fahrrad.

Was ich vor mir sehe, wirkt wie eine Szene aus einem Heimatfilm: Der Schäfer geht vorweg, neben sich einen seiner Hunde. Die wuscheligen Schafe folgen ihm. Manche haben schwarze Köpfe und Beine, andere sind einfarbig beige. Sie alle blöken und drängeln in gleicher Weise. Einige Lämmer, darunter auch schwarze, hüpfen ungeduldig herum. Hinten sehe ich einen weiteren Schäferhund. Er treibt die Herde an und holt Nachzügler aus dem Straßengraben.

»Na, Sie sind dann ja wohl der Reporter!«

Der Schäfer begrüßt mich freundlich mit einer tiefen und irgendwie beruhigenden Stimme. Er ist in meinem Alter, also Anfang sechzig. Unter einer Art Cowboyhut schauen graue Haare hervor. Schon der erste Blick in sein Gesicht lässt einen Mann erkennen, der viel draußen ist und sich Wind und Wetter aussetzt. Ein etwas altmodisch anmutender dicker, dunkler Wollmantel schützt ihn vor Kälte und Wind. Feste Schnürstiefel und ein langer Stab in der Hand komplettieren das Bild des Heide-Schäfers aus dem Bilderbuch.

»Kommen Sie«, lädt er mich ein. »Schieben Sie ihr Rad und gehen ein Stück mit mir und meiner Truppe!«

Er lacht.

Das Fahrrad schiebend, gehe ich neben ihm. Ohne dass ich ihn etwas fragen muss, beginnt er zu erzählen. Vielleicht haben Menschen, die oft isoliert leben und mit sich allein sind, ja ein ganz besonderes Mitteilungsbedürfnis. Auf Jörg Bauer jedenfalls scheint dies zuzutreffen.

»Wir ziehen an die Elbdeiche bei Bleckede«, beginnt er. »Hier haben wir gerade den letzten Acker mit Gründünger abgefressen. Meine Leute und ich haben den Elektrozaun eingepackt, die trächtigen Schafe aussortiert und alles im Transporter verstaut.«

Er weist mit dem Daumen hinter sich. Ich folge der Geste und sehe den Lieferwagen, der, wie die zwei PKW, langsam hinter der Herde herrollt. Vorne sitzen zwei Männer und eine Frau. Die kurze Pause nutze ich für meine erste Frage.

»Das ist ja ganz schön weit. Und alles zu Fuß? Wie lange brauchen Sie denn bis zur Elbe? Und wie viele Schafe sind das hier überhaupt?«

Er lacht. »Na, das sind ja gleich mehrere Fragen auf einmal. Was schätzen Sie denn, wie viele Schafe sind es?«

Ich habe keine Ahnung und nenne einfach mal eine Zahl.

»Vierhundert?«

Wieder lacht er.

»Weit daneben. Es sind insgesamt 900 Tiere! Die laufen eng an eng. So sparen sie Energie und treiben sich gegenseitig an. Und bevor Sie wieder daneben liegen: Wir schaffen am Tag etwa zehn bis zwölf Kilometer, werden also fünf oder maximal sechs Tage unterwegs sein.«

»Und alle halten das durch?«

»Klar. Wer nicht, wird vom Transporter eingesammelt. Womöglich gehöre ich selbst auch dazu! Meine Hunde jedenfalls werden täglich ausgetauscht und trächtige oder schwache Tiere dürfen ebenfalls im Lazarettwagen mitfahren.«

»Und auf den Deichen bleiben die Schafe dann während des Sommers?«

»Richtig. Im Herbst geht es wieder zurück in die Heide, dann auf die abgeernteten Felder und Äcker rundherum und im Mai wieder zu den Deichen. Sie wissen ja: Ohne Schafe würde die Heide verkrauten, den Feldern fehlte Naturdünger und die Deiche würden von Wühlmäusen untergraben. Wir schützen also die Landschaften, sind den Bauern willkommen und sind auch für den Tourismus extrem wichtig. Sieht doch auch gut aus, unsere Präsentation, oder?«

Der Mann ist jedenfalls ein fröhlicher Zeitgenosse.

»Ich dachte, die Heide wird nicht von Schafen, sondern von Heidschnucken gepflegt.«

»Das stimmt. Da haben wir auch noch zwei Standorte. Die Schnucken, dazu einige Ziegen, bleiben das ganze Jahr über in der Heide. Vor allem ihnen ist zu verdanken, dass diese einzigartige Kulturlandschaft erhalten bleibt.« Er lacht verschmitzt. »Aber die Schafe helfen manchmal ein bisschen mit.«

Ich frage ihn, was die Verbreitung der Wölfe für ihn bedeutet. Sofort wird sein Blick dunkel und er runzelt die Stirn. Er ist natürlich bestens informiert.

»Sie fragen vermutlich wegen der abgeschossenen Wölfe. Habe es gestern gelesen. Nur um es gleich zu sagen: Das macht kein Schäfer! Wir achten und respektieren Tiere, auch die Wölfe. Wir sind sogar bereit, mit ihnen gemeinsam zu leben. Aber nicht so!«

»Das hätte ich nun nicht erwartet. Ich dachte, alle Weidetierhalter verlieren ständig ihre Tiere an die Wölfe?«

»Das stimmt zwar nicht für alle, aber für extrem viele Tierhalter. Der Wolf ist ein echtes Problem für uns. Er ist halt als Raubtier geboren. Und er jagt in Rudeln: Zwei lenken die Herde ab, drei schleichen sich von hinten heran. Schafe haben da keine Chance. Sie hätten mal erleben sollen, wie bei einem einzigen Wolfsangriff zwanzig meiner Schafe zerfetzt und getötet wurden. Sie lagen tot und teilweise mit offenen Bäuchen, aus denen ihre Gedärme hingen, in zwei Kilometer Umkreis auf dem Acker und im Wald. Dieses Gemetzel zu sehen, hat mir das Herz gebrochen!«

Sein Gesicht zeigt weniger Wut, eher Trauer und Ohnmacht. Ich erinnere mich an solche Berichte.

»Deshalb haben Sie dann ja auch die 91 Kreuze aufgestellt und damit ziemlich viel Wirbel gemacht.«

Die Aktion hatte für Furore gesorgt, auch in Leserbriefen unserer Zeitung. Viele Bürger waren verstört, weil man das Kreuzessymbol nun auf Tiere anwandte und die Installation auf einer Weide neben der Bundesstraße fast aussah wie ein Soldatenfriedhof oder eine Gedenkstätte für Gefallene. Der Mann an meiner Seite nickt und wirkt ein bisschen stolz.

»Richtig. Das war eine Botschaft nach Hannover. Wir wollen den Wolf nicht nur im Jagdrecht sehen, sondern auch eine Beschränkung des Bestands, also Abschüsse, wenn nötig.«

»Da die Bundesregierung noch dagegen ist und vor allem das EU-Recht, wird das sicher ein langer Weg.«

»Das wissen wir. Deshalb machen wird Druck. Wenn es so weitergeht, müssen viele von uns aufgeben –­ und das wäre für Heide- und Küstenschutz verheerend, mal abgesehen von den vielen Familien, deren Einkommen daran hängt.«

»Aber Sie bekommen doch Geld für gerissene Schafe und für Zäune und Schutzmaßnahmen, oder?«

Nun wedelt der eigentlich ruhige Schäfer so heftig mit seinem Stock, dass drei Schafe zur Seite springen und der Hund seinen Chef irritiert ansieht.

»Geld?! Hier geht es nicht nur darum, sondern um das Recht unserer Tiere zu leben! Warum eigentlich stehen Wölfe unter Schutz, Schafe aber nicht? Und außerdem: Die Gelder reichen hinten und vorne nicht. Der Aufwand von Verwaltung und Bürokratie ist unglaublich und die Vorschriften zur Sicherung sind teilweise völlig realitätsfremd!«

»Was heißt das?«

»Na ja, die Wölfe sind schlau. Sie tricksen unsere Hunde aus oder verjagen sie. Sie finden immer einen Weg in die Herde. Und wissen Sie, wie groß ein ausgewachsener Wolf wird?«

Ich habe keine Ahnung, er redet aber auch gleich weiter.

»Er erreicht die Größe eines Ponys. Von der Regierung geforderte 1,60 Meter hohe Elektrozäune überspringt er problemlos. Und er braucht täglich zwei bis vier Kilo Fleisch. Das wissen viele von den Wolfsliebhabern gar nicht! Ihr Freund ist kein Kuscheltier wie ein Pudel und auch kein Vegetarier. Der Wolf braucht Fleisch, viel Fleisch – und unsere Weiden bieten ihm ein reichhaltiges Büffet.«

Jörg Bauer hat sich in Rage geredet.

»Und wenn die sogenannten Tierschützer dann nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten den Wolf zu schützen beginnen, dann wird es richtig gefährlich und fies.«

Ich will von ihm wissen, wie er das meint.

»Na, dann schleichen sich diese sogenannten Öko-Aktivisten nachts an unsere Herde heran und werfen Knallkörper. Die Schafe gehen durch und rennen sich zu Tode oder verletzen sich an Zäunen oder Büschen.«

»Und was wollen diese Leute damit erreichen?«

»Angeblich wollen sie den Wolf vergrämen, damit der nicht an die Herde geht und wir keine Argumente für einen Abschuss sammeln können. Aber das ist natürlich Blödsinn! Eigentlich betrachten sie uns als ihre Gegner und wollen uns eins auswischen. Das trifft ja auch die Jäger, denen man die Hochsitze anzündet und sie sogar persönlich bedroht.«

Wir haben das Ortsschild von Himmelstal erreicht. Jetzt müssen wir auf den Verkehr achten.

Aus dem Lieferwagen springen ein junger Mann und eine ältere Frau.

»Das sind mein Sohn Felix und meine Frau«, erklärt der Schäfer, »Sie bilden gewissermaßen das Backup der Reise!«

Die beiden quetschen sich an den Schafen vorbei und sperren die von rechts kommende Straße für den Verkehr. Dies wiederholt sich mehrfach. Auch ich helfe zweimal mit. Autos und Trecker müssen warten. Der Herdenzug führt mitten durchs Dorf. Erst als der parallel zur Landstraße verlaufende Feldweg Richtung Norden erreicht ist, wird es für Züchter und Hunde wieder einfacher. Ein langer Treck zieht durch die Feldmark.

Ich erfahre, dass Felix und seine Mutter vorgefahren sind und die Herde im nächsten Ort wieder empfangen werden.

Ein kleines Stück gehe ich noch mit. Ich will noch etwas über die Hunde und andere Schutzmaßnahmen gegen den Wolf erfahren. Der Schäfer erklärt mir, dass dem Wolf nur wenige Hunderassen wirklich gewachsen sind. Zwar werden die Hunde trainiert, aber wild lebende Wölfe kann man eben im Training nicht auf sie ansetzen. Folglich bleiben sie letztlich ohne Erfahrung, was Wölfe angeht. Außerdem müssten die Hunde den Wölfen an Gefährlichkeit ebenbürtig sein. In Gebieten mit Tourismus und Spaziergängern wäre der Einsatz solcher Rassen gar nicht möglich!

Und Esel? Davon hat Jörg Bauer drei. Die sind, anders als Schafe, keine Fluchttiere. Sie brüllen unerträglich und widersetzen sich mit ihren Hinterhufen auch dem Wolf.

»Aber der Wolf hat sich daran gewöhnt und trickst auch meine Esel aus«, stellt Bauer resigniert fest.

Ich frage ihn noch, wem er den illegalen Abschuss der vier Wölfe am meisten zutraut. Er zuckt mit den Achseln.

»Im Prinzip jedem, dessen Geduld am Ende ist und dem die Nerven durchgehen. Das sind natürlich vor allem wie ich betroffene Weidetierhalter. Viele von uns sind auch Jäger und hätten die Möglichkeit, es zu tun. Aber bei uns in der Initiative verurteilen wir solche Selbstjustiz. Noch einmal: Wir akzeptieren den Wolf als Mitbewohner unseres Landes. Aber er gehört nicht in unseren Garten oder gar ins Haus, sondern in die Wälder und Schutzgebiete außerhalb der für Weidetiere genutzten Kulturlandschaft! Und sonst? Keine Ahnung. Es gibt ja genug Extremisten, die irgendwo rumballern.«

Ich mache wie bereits vorhin während der Querung des Ortes noch ein paar Fotos mit meiner Canon. Dann bedanke ich mich bei Jörg Bauer, wünsche ihm und seinen Schafen eine gute Wanderung zu den Deichen, verabschiede mich und radle bei kräftigem Gegenwind zurück. Sobald ich die von den Schafen benutzte Straße erreiche, klebt ihr Kot an meinen Reifen. Dass eine solche Herde die Felder zur Freude der Bauern düngt, liegt auf der Hand... nein, auf dem Boden. Manchen Anwohner hier im Dorf macht dieser Dreck vermutlich allerdings nicht besonders glücklich.

Plötzlich beginnt es heftig zu regnen. Der Dreck spült von der Straße. Mist, nun werde ich zu guter Letzt noch nass. Alle Achtung für Jörg Bauer und seine Familie. Ein kurzes Schauer durchnässt mich total. Sie jedoch sind nun fast ohne jeden Schutz viele Tage lang unterwegs. Hut ab!

*

Am frühen Nachmittag kommt Elske zu mir nach Hause. Sie fährt einen VW T-Cross, weiß mit schwarzem Dach. Das schicke Auto passt zu ihr. Wir gönnen uns einen kurzen Kaffee und Schokoriegel. Maren ist noch in Lüneburg. Sie hat Spätschicht.

Bevor wir den Termin bei unserem gemeinsamen Interviewpartner von der DZP haben, berichtet Elske mir von ihren bisherigen Recherchen.

Sie hat mit Mehmet Özil, dem Spitzenkandidaten der Grünen gesprochen. »Macht« bedeutet für die Grünen vor allem die Möglichkeit, sich endlich konkret und praktisch für das Klima einzusetzen. Der Mann ist überzeugt davon, dass ihre Partei gerade deshalb im Trend liegt, weil die meisten Wähler und Wählerinnen ihr am ehestens zutrauen, die Pariser Klimaziele zu erreichen.

»Hast du ihn nach seiner Haltung zum Wolf befragt?«

Elske nickt.

»Er hat auf ihr Wahlprogramm verwiesen. Da steht drin, dass die Arten geschützt werden sollen und der Wolf dauerhaft geschont werden muss.«

»Also soll er nicht ins Jagdrecht aufgenommen werden?«

»Das wohl, aber nur für zukünftige Überpopulationen. Sofort nach Aufnahme ins Jagdrecht soll der Wolf eine ganzjährige strikte Schonzeit bekommen. Nur Problemwölfe, also jene, die wiederholt Nutztiere reißen, soll man auf jeweils richterlichen Beschluss hin abschießen dürfen.«

»Also fast so, wie es zurzeit geregelt ist?«

»Genau. Die Grünen vertreten den Status Quo in dieser Sache. Anders die SPD. Deren Vertreter meinte, Problemwölfe müssten unkompliziert entnommen werden und bei Überpopulation der Wölfe müsse es außerhalb einer Schonzeit auch ohne richterliche Genehmigung kontrollierte Abschüsse geben.«

»Okay. Das sind also schon spürbare Unterschiede. Und die Christdemokraten, was sagen die?«

»Mit dem Kandidaten der CDU habe ich noch nicht gesprochen. Ihr Programm erwähnt die Wölfe ebenfalls und geht über den SPD-Ansatz hinaus. Sie wollen Wölfe prinzipiell zwar schützen, aber eben auch bejagen. Die Partei strebt eine Obergrenze an. Ist diese erreicht, wird der Bestand reduziert, egal ob Problemwolf oder nicht.«

Ich fasse es nicht. Das kommt mir aus der Flüchtlingsdebatte irgendwie bekannt vor. Da war auch immer von »Obergrenze« die Rede.

»Also, ich fasse mal zusammen: Die Grünen wollen keine Wölfe schießen. Die Sozis wollen Problemwölfe entnehmen, gestatten ihnen aber eine Schonzeit. Und die Christdemokraten schießen jenseits ihrer Obergrenze alles ab.«

Elske lacht.

»So ähnlich kann man es zusammenfassen.«

»Und die rechts außen angesiedelte DZP, deren Spitzenkandidaten wir gleich besuchen?«

»Oh Jens, das werden wir ja sicher gleich hören. Ich vermute, die knallen ab, was ihnen vor die Flinte kommt!«

»Vielleicht können wir den Umgang mit der Macht ja sogar am Umgang mit dem Wolf ablesen! Das wäre interessant.« Ich denke gewissermaßen laut, während ich an meinem Kaffee nippe. Elske hat es jedoch gehört.

»Das vermute ich auch. Für die einen wird Macht sanft, aber strikt definiert, für die andern gibt es ständig Ausnahmen und soziale Härtefälle. Die nächsten setzen klare Grenzen und Regeln, an die man sich bedingungslos zu halten hat – und die vierten entwickeln unser Land diktatorisch zurück in die Zukunft, also ganz ohne Wölfe.«

Ich sag es ja, Elske ist klug. Ich bin gespannt, was wir gleich bei der Begegnung mit dem Spitzenkandidaten der Deutschen Zukunftspartei erleben. Oder sind die gar nicht so extrem, wie ich denke? Wir werden sehen.

*

Konstantin von Bering hat uns für 16.00 Uhr einbestellt. Pünktlich passieren wir die Einfahrt zum Gutshof. Auf kantigen Natursteinpfosten wacht auf jeder Seite ein steinerner Löwe. Die breite, mit Kopfsteinen gepflasterte Zufahrt führt direkt aufs Gutshaus zu. Links davon liegen Stallungen und Scheunen. Zwei Trecker und mehrere landwirtschaftliche Maschinen und Hänger warten unter einem ausladenden Vordach auf ihren Einsatz. Rechts schauen uns vier oder fünf Pferde auf einer mit weißem Zaun umgebenen Koppel neugierig entgegen. Sie wirken edel. Hinter der Koppel steht ein länglicher Pferdestall mit mindestens zehn Stellplätzen.

Das dunkelrot geklinkerte Wohnhaus präsentiert sich mit seinen zwei Reihen hoher Fenster und dem stattlichen Eingangsportal über einer breiten Treppe sehr herrschaftlich. Das Gebäude ist bestens gepflegt. Die Sprossenfenster scheinen neu zu sein. Sorgfältig geschnittene Buchsbäume säumen die Treppe.

Wir parken auf einem gepflasterten Stellplatz rechts neben dem Haus vor einer Garage mit drei Toren, alle geöffnet. Ein weißer Audi Q5 ist zu sehen. Daneben lehnt ein zum Audi passendes weißes Mountainbike an der Wand, ein schickes Gerät! Abgesehen von Ersatzreifen an den Wänden und mehreren älteren Fahrrädern an der Rückseite ist die Garage leer.

Wir gehen die paar Schritte zur Treppe. Bevor wir die große Eichentür erreichen, öffnet sie sich. Unser Gastgeber, den wir von Wahlplakaten bereits kennen, strahlt uns entgegen.

»Pünktlich wie die Feuerwehr! Schön, dass Sie Interesse an mir und unserem Programm zeigen. Kommen Sie doch herein!«

Der Mann ist erst Mitte dreißig. Sein sportlicher Körper steckt in Jeans und lässig wirkendem hellen Hemd. Die blonden Haare trägt er kurz, ein gepflegter Dreitagebart rahmt seine vollen Lippen, das energische Kinn und eine gerade Nase ein. »Filmschauspielertyp«, denke ich und blinzle zu Elske hinüber.

Sie lächelt, reicht Konstantin von Bering ihre schmale Hand und nennt ihren Namen. Fast erwarte ich einen altmodischen Handkuss. Es wird jedoch ein flüchtiger Händedruck. Allerdings begegnen sich ihre Blicke und scheinen sich kurz zu verbinden. Klar, beide haben strahlend blaue Augen.

Nun reicht der politische Newcomer auch mir die Hand.

»Sie sind sicher Jens Jahnke! Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Gelesen habe ich von Ihnen schon einiges!«

Oh je. Dann kennt er meine Anti-Rechts-Haltung. Das Interview wird folglich nicht ganz einfach.

Wir durchqueren eine kleine Halle. Die Wände sind halbhoch getäfelt, die Tapete fein gemustert und in hellem Grau gehalten. Ein prächtiger gekachelter Kamin nimmt die Mitte der Rückwand ein. Alte Eichenbüffets, wertvolle Stühle und ein runder Tisch wurden geschmackvoll arrangiert. Die antiken Möbel passen bestens zu dem »von« dieser vermutlich alten Landadelsfamilie. An einer Wand hängen eindrucksvolle Geweihe. Was mich eher abschreckt: Neben einem Mufflonkopf schaut eine präparierte Großkatze glasig in den Raum. Na, ob sich das mit dem Artenschutz verträgt? Ich sage nichts, unser Gastgeber hat jedoch meine Blicke bemerkt.

»Ja, Sie haben recht. Jugendsünden. Früher war ich mehrfach auf Großwildjagd. Das ist ein Jaguar, den ich in Südamerika erlegt habe. Aber heute ist das vorbei. Die Jagd überlasse ich dem Personal und so etwas schießen wir sowieso nicht mehr! Es wäre das Ende unserer Akzeptanz bei den meisten Wählern – und vor allem den Wählerinnen.«

Er schaut Elske kurz an, lächelt verbindlich und dirigiert uns zur Tür hinten rechts.

»Kommen Sie, hier ist mein Arbeitszimmer.«

Der Raum ist hell und funktional eingerichtet. Allerdings ist hier nichts von IKEA, sondern alle Möbel sind vermutlich Einzelstücke und hochwertige Handarbeit. Massive Möbel, meist aus heller Eiche, eine Sitzgarnitur aus hellem Leder, eingepasste verglaste Bücherschränke, ein riesiger aufgeräumter Schreibtisch, darauf ein 27“ iMac und ein MacBook Pro, also alles vom Feinsten. Der Blick durch die hohen Fenster geht hinaus in einen Garten, der mit seinen alten Bäumen und gepflegten Rasenflächen eher wie ein Park aussieht.

Hm, da könnte man schon neidisch werden...

Neben einer Anrichte, auf der ein frischer Strauß prächtiger roter Pfingstrosen steht und einige Bilderrahmen, lassen wir uns in bequemen Sesseln nieder. Auf dem Tisch stehen Kaffee, Tee und Kekse. Ob es hier Personal gibt? Ganz sicher.

Als wir sitzen und er uns Kaffee, beziehungsweise Elske Tee eingeschenkt hat, eröffnet der junge Mann das Gespräch.

»Ich bin gespannt auf Ihre Fragen. Sie haben gesagt, Sie wollen mit mir darüber reden, worauf es der DZP ankommt und was wir unter Macht verstehen.«

Elske nickt und ich lasse ihr den Vortritt.

»Das stimmt. Und wir möchten Sie ein bisschen kennenlernen. Sie sind ja nicht gerade der typische Vertreter rechter Politik!«

Konstantin lacht. Sein Lachen wirkt weder arrogant noch verächtlich. Es ist einfach nur gewinnend. Ich kann verstehen, dass dieser Mann bei vielen Leuten gut ankommt, besonders bei Frauen.

»Danke. Wie stellt man sich denn einen typischen Vertreter der DZP vor? Und was verstehen Sie unter rechter Politik?«

»Sagen Sie es uns.«

Elske macht das richtig geschickt.

»Nun, ich finde, man sollte die Leute nicht in Schubladen stecken. Es gibt doch in jeder Partei Sympathieträger und, ich sag’s mal volksnah, Kotzbrocken.«

»Da haben Sie natürlich recht.«

»Nun, und die Aufteilung in rechts und links ist in einer modernen Gesellschaft doch wohl überholt. Sehen Sie sich doch nur die CDU an. Unter Merkel hat sie sich grüne und soziale Themen einverleibt, hat Wehrpflicht und Atomkraft abgeschafft, ist dem Euro beigetreten und ist doch wohl kaum mehr klar als rechts, links oder mittig zu definieren!«

»So kann man das sehen. Lassen wir also den Stempel ›rechts‹ und Sie erzählen uns inhaltlich, was Sie wichtig finden. Ihr Wahlprogramm haben wir natürlich schon gelesen.«

Gut, dass Elske nicht weiter in die ideologische Diskussion einsteigt, sondern unseren Gastgeber motiviert, seine Haltung zu beschreiben. Er lacht.

»Okay. Dann also unsere Schwerpunkte und wie wir Macht ausüben wollen. Wenn ich zu viel rede, unterbrechen Sie mich gerne.«

Der Mann weiß, was sich gehört.

Was er uns nun allerdings erzählt, ist exakt das, was heutzutage als »rechts« eingeordnet wird. Wir haken mehrmals nach, erfragen Beispiele, verzichten aber darauf, kontrovers zu diskutieren. Weit über eine Stunde geht es um das Programm der DZP und wie Konstantin von Bering es interpretiert.

Die Eckpunkte kann man einfach und kurz beschreiben: Keine Zuwanderung und sofortige Abschiebung derer, die kein Asyl bekommen. Grenzen dicht. Raus aus der Europäischen Union. Volksabstimmungen, z.B. über den Verbleib im Euro. Globalisierung ja, aber nur, wenn Deutschland daran verdient. Also: Germany first! Recht und Ordnung. Mehr Kompetenzen für Polizei und Exekutive. Härtere Strafen. Verwaltungsabbau. Wehrpflicht wieder einführen. Hartz IV abschaffen, dafür niedrige Grundsicherung. Kinderreiche Familien fördern. Diskriminierung von Vollzeitmüttern stoppen. Prämie für Geburten (er nennt es »Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene«). Deutsche Leitkultur statt Multikulti. Der Islam gehört nicht zu Deutschland und muss sich eingliedern. Bezahlfernsehen statt öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Schluss mit Gender und Gleichmacherei. Ein dreigliedriges Schulsystem mit klarer Leistungsorientierung. Staatliche Subventionen abbauen. Natur- und Trinkwasserschutz, aber Klimalüge beenden. Laufzeitverlängerung Atomkraft, Alternative Energien erforschen... Um es auf den Punkt zu bringen: Früher war alles besser. Folglich zurück in die Zukunft.

Während von Bering Junior mit leuchtenden Augen von seinen Überzeugungen schwärmt und Elske sich Notizen macht, schaue ich mir die Fotos auf der Anrichte an. Ein Familienbild mit dem Patriarchen in Jagdkleidung, daneben dessen Frau und im Gras vor ihnen Sohn und Tochter. Das Foto muss vor etwa fünfzehn Jahren aufgenommen worden sein. Ein anderes ist jünger und zeigt den Junior inmitten einer fröhlichen Riege von fünf jungen Leuten in schwarzen Poloshirts mit einem Wappen, das ich nicht erkenne. Steht ganz rechts der Sohn von Schäfer Bauer? Möglich.

Nach etwa einer Stunde werden wir plötzlich unterbrochen. Eine junge Frau in Reitkleidung stürmt herein.

»Konstantin, wo steckt eigentlich Claas? Der wollte für mich... oh, du hast Besuch?«

Ich vermute, die hübsche Brünette mit Sommersprossen, sportlicher Figur und sichtlich sprühendem Temperament ist Konstantins Schwester. Die beiden ähneln sich. Verheiratet ist er jedenfalls nicht.

Plötzlich stutzt die junge Frau.

»Elske? Was machst du denn hier?«

Nun sind Konstantin und ich gleichermaßen erstaunt. Die beiden Frauen kennen sich.

»Sophia? Jetzt bin ich aber baff. Dasselbe frage ich dich auch.« Elske ist genauso überrascht wie die Reiterin.

»Na so was«, meint Konstantin. »Herr Jahnke, dann darf ich Ihnen meine jüngere Schwester Sophia vorstellen. Die Damen kennen sich ja schon, woher auch immer.«

Sophia und Elske werfen sich einen kurzen Blick zu, einen mit integrierter Schweigevereinbarung, vermute ich.

»Ja, wir kennen uns. Zufällig gewissermaßen.«

Mehr verrät Sophia uns nicht. Stattdessen blafft sie ihren Bruder ungeduldig an.

»Aber egal. Konstantin, weißt du nun, wo Claas ist oder nicht?«

»Keine Ahnung. Auf der Jagd oder am Computer?«

»Quatsch. Er wollte die braune Stute fertigmachen, damit ich loskann. Ich will den neu angepflanzten Mischwald noch einmal checken.«

»Dann musst du dein Pferd wohl selbst satteln, meine liebes Schwesterchen! Deine exotischen Bäumchen gehören sowieso nicht in unseren Wald.«

Sophia zeigt ihrem Bruder den Stinkefinger, faucht ihn an und verschwindet so geräuschvoll, wie sie gekommen ist.

»Entschuldigen Sie. Meine Schwester will unseren Nutzwald auf plus zwei Grad Klimaerwärmung vorbereiten. Als ob ein paar neue Baumsorten die Welt retten...«

Elske rümpft die Nase.

»Die Welt retten mag tatsächlich etwas zu dick aufgetragen sein – aber ein bisschen besser wird sie dadurch vielleicht schon.«

Das erste Mal während der Begegnung verlässt meine Kollegin ihre neutrale Haltung. Dass sie sich für das Klima engagiert oder für zukunftsfähige Aufforstungen, habe ich nicht gewusst. Aber so sind die Ostfriesen, immer für eine Überraschung gut.

Konstantins sonst verbindlicher und offener Blick wirkt für einen kurzen Moment kühl und abweisend. Dann jedoch lächelt er wieder freundlich.

»Sie haben sicher recht damit.« Er schaut auf seine Armbanduhr. »Ich denke, mir fehlt die Zeit, weiter darüber zu diskutieren. Aber wenn Sie noch Fragen haben...?«

Wenn er jetzt mittendrin aussteigt, wäre es extrem schade. Also frage ich ihn schnell, wie er »Macht« mit einem Satz definieren würde. Er lacht wieder, als wäre nichts gewesen.

»Macht? Ganz einfach: Wer die Macht hat, kann alles machen, was er will!«

»Alles, was er will?«

Konstantin lächelt. »Alles, was das Volk will.«

Er weiß, dass ich ihm nicht glaube.

»Deshalb also die Volksbefragungen?«, vermittelt Elske, die sich offenbar wieder in professionellem Fahrwasser befindet. Der blonde Deutsche steigt darauf ein.

»Richtig. Die Schweiz zeigt es uns. Eine rein parlamentarische Demokratie begünstigt die Hinterzimmerpolitik der politischen Seilschaften und Lobbyisten und verhindert, dass der Wille des Volkes geschieht.«

Vermutlich will der Sunnyboy mit Schirm, Charme und Manipulation die Mehrheiten für seine deutsche Zukunft gewinnen – und wenn er erst einmal an der Macht ist, auch mit »Recht und Ordnung«, wie er sie als Führer des Volkes definiert. Ich denke mir meinen Teil, spreche es aber lieber nicht aus.

Mir fallen die Wölfe ein. Immer mehr vermute ich, dieser hier ist einer im Schafspelz. Solange Nazis sich als solche äußerlich, begrifflich und im Auftreten zu erkennen geben, werden sie wahrscheinlich kaum zur Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie. Konstantin ist eine andere Nummer. Er vermochte es, auch mich zumindest für kurze Zeit zu beeindrucken. Aber wie gesagt, ein Wolf im Schafspelz. Apropos Wolf. Dazu muss ich ihn unbedingt noch befragen.

Nachdem Konstantin noch einmal erwähnt hat, dass seine Zeit knapp ist und seine Anwesenheit in einer Onlinekonferenz erwartet wird, kommt es dazu. Beim Hinausgehen, im Angesicht des ausgestopften Pumakopfes, kann ich meine Frage ganz wie nebenbei anbringen.

»Sagen Sie, Herr von Bering, Sie bewirtschaften große Wald- und Ackerflächen. Sie sind ja auch Jäger. Wie stehen Sie eigentlich zum Abschuss dieser vier Wölfe?«

Abrupt bleibt Konstantin von Bering stehen. Er schaut mich kurz und irgendwie scharf an. Dann atmet er auffallend tief durch und antwortet.

»Da berühren Sie einen empfindlichen Punkt, Herr Jahnke. Wir sind natürlich für den Natur- und Artenschutz. Aber alles muss dort leben, wo es hingehört und heimisch ist. Der Wolf jedenfalls gehört hier nicht hin.«

»Also soll er vertrieben oder abgeschossen werden? «

»Richtig. Meine Partei und ich sind uns da allerdings nicht hundertprozentig einig. Viele von uns wollen eine Obergrenze wie die CDU. Ich dagegen trete für einen deutlichen Rückbau des Wolfsbestandes ein. Natürlich muss man sich Zeit lassen, muss die Tierfreunde mitnehmen und sollte den Wolf nicht völlig ausrotten, sondern versuchen, ihn umzusiedeln. Aber am Ende muss stehen: Unser schönes, sicheres Deutschland bietet solchen Raubtieren keinen Lebensraum!«

Deutlicher kann man sich nicht äußern. Das mit dem »Zeit lassen« hört sich stark nach politischem Schachzug an. Es ist vermutlich ein Zugeständnis an Tierfreunde. Seine Klarheit dagegen gefällt mit Sicherheit den Weidetierhaltern, vielen Jägern, der Touristikbranche und auch Landwirten ziemlich gut. Es ist Wahlkampf. Aber das sage ich nicht laut.

Auf der Treppe kommt uns ein älterer Mann entgegen, unverkennbar jener Patriarch vom Foto. Er ist um die siebzig, schätze ich, aber noch sehr rüstig. Ein grauer Mercedes der G-Klasse parkt jetzt neben Elskes Kleinwagen. Neben dem eckigen SUV wirkt der VW wie ein Spielzeug. Ein jüngerer Mann, wie der Patriarch in klassischer Jagdmontur, verriegelt den Wagen und kommt dann mit zwei Jagdgewehren unter dem Arm auf uns zu.

»Wen hast du da wieder ins Haus gebracht?«

Der Alte scheint auf seinen Sohn nicht besonders gut zu sprechen zu sein, von Höflichkeit mal ganz zu schweigen. Sein Sohn stellt uns vor.

»Aha, Sie haben meinen Sohn also interviewt und sind Schreiberling? Da hoffe ich, in Ihrem Artikel steht dann später, was er tatsächlich gesagt hat!«

Von Lügenpresse sagt er nichts. Trotzdem ist klar, dass er die Medien genauso einordnet. Ohne uns noch einmal anzuschauen, auch seinen Sohn nicht, geht er an uns vorbei ins Haus. Dem Junior ist die Begegnung sichtbar unangenehm.

»Das war unser Vater wie er leibt und lebt«, erklärt er, ohne sich oder das Verhalten des Seniors zu entschuldigen. »Und dieser junge Mann ist Claas Brinkmann, unser bester Jäger und dazu enger Freund und Nutznießer meines alten Herren.«

Dem jungen Mann ist diese Einordnung sichtlich unangenehm. Er murmelt etwas Unverständliches und geht ansonsten wortlos an uns vorbei ins Haus. Wenn ich mich nicht täusche, ist auch dieser Claas einer der jungen Männer mit den Polo-shirts vom Foto auf der Anrichte.

*

Als wir im Auto sitzen, meint Elske: »Was war das denn? Zwischen Vater und Sohn sprühen die Funken, und das Verhältnis zwischen dem Junior und dem jungen Jäger scheint auch recht belastet zu sein.«

»Allerdings. In diesem Haus gibt es auf der Beziehungsebene ganz offensichtlich eine heftige Dynamik. Auch Tochter und Sohn verhalten sich nicht gerade wie Brüderlein und Schwesterlein. Und du kennst diese Sophia? Ganz offensichtlich hast weder du sie noch sie dich hier erwartet.«

Während wir im Haus waren, hat es geregnet. Elske umkurvt eine Pfütze und kurbelt am Lenkrad als wäre sie im Autoscooter auf der Kirmes. Sie steuert ihren VW auf die Kreisstraße.

»Das hast du richtig erfasst. Ich war total überrascht.«

»Wo habt ihr euch kennengelernt?«

»In einem Reitstall während des Studiums in Oldenburg.«

»Elske, du reitest? Das hätte ich ja nicht gedacht.«

Meine Kollegin schmunzelt.

»Na ja, ich bin auf dem Land groß geworden. Die meisten Ostfriesinnen lieben Pferde.«

»Und wieso war auch Sophia in jenem Reitstall?«

»Na, wozu wohl? Zum Reiten. Wir haben dann festgestellt, dass wir beide an der Uni sind. Sie hat Energiewissenschaften studiert und war damals frisch verheiratet mit einem Techniker, der bei Enercon in Aurich gearbeitet hat.«

»Bei der Firma für Windräder, die so viele entlassen mussten?«

»Genau. Sie hieß damals Michalzik oder so... deshalb habe ich sie bei der Vorbereitung auf unseren Besuch auf dem Gutshof auch nicht den von Berings zugeordnet. Aber jetzt fügen sich die Puzzleteile zusammen. Damals hat sie mir erzählt, dass sie sich mit ihrem Bruder, vor allem aber mit ihrem Großvater überworfen hat, weil sie den Hof nicht übernehmen wollte und dann auch noch diesen ökologischen Weg eingeschlagen hat.«

»Und jetzt hast du sie das erste Mal wiedergesehen?«

»Ja. Wir werden auf jeden Fall versuchen, uns zu treffen. Ihren verschwörerischen Blick hast du ja vielleicht wahrgenommen.«

Verschwörerisch? Nee, ich habe den kurzen Blickkontakt zwischen den beiden Frauen eher als »sag nicht, woher wir uns kennen« gedeutet. Aber das ist vermutlich dasselbe.

Elske setzt mich an der Einmündung zu unserer Wohnstraße ab und ich gehe den kleinen Rest zu Fuß. Unser Nachbar hat, wie immer äußerst akkurat, seinen Rasen gemäht. Oh je, unser Rasen, ich nenne es mal lieber Grünfläche, hat einen Schnitt dringend nötig. Wenn es morgen nicht regnet, werde ich mich endlich mal wieder im Garten austoben.

Das Gespräch mit Konstantin von Bering war wirklich interessant. Dieser Konstantin hat das Zeug, seine Partei weiter nach vorn zu führen – leider. Vor allem zu Beginn der Begegnung hat er sogar mich mit seiner verbindlichen, netten Art total eingewickelt. Als er dann allerdings die Inhalte seiner Politik erläutert hat, wurde mir zeitweise trotz der leckeren Kekse etwas flau im Magen... nee, das ist nicht meins!

Wieder geht mir die Redewendung vom »Wolf im Schafspelz« durch den Kopf. Ich denke an den Wolf, verkleidet als Großmutter. Die alte Dame hat er bereits verspeist. Hoffentlich geht Rotkäppchen diesem listigen Schauspieler nicht auch noch auf den Leim!

*

Gegen halb sieben bin ich zurück. Maren ist immer noch in Lüneburg. Ich verziehe mich also in meine »Kellerhöhle«, wie Maren mein Büro nennt, und schreibe auf, was wir erfahren haben. Dieser Besuch war nur ein Baustein einer größeren Stoffsammlung. Irgendwie spüre ich, dass es ein wichtiger Stein ist. Die Frage ist nur: Bauen Elske und ich in unseren Artikeln darauf auf, oder fällt uns etwas davon auf den Kopf?

Eine Frage der Macht

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