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DER BÜRGERMARSCH

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Angefangen hatte es beim Bürgermarsch im Frühling. Irgendein Gedenktag an eine Schlacht. Mirko verstand nicht, warum man das Töten von Menschen feierte. Alleine diese Tatsache belegte, dass es um die Gesundheit des menschlichen Geistes schlecht stand. Anlässe wie dieser waren nicht Ausdruck von Tradition und historischer Verwurzelung, sondern Indiz für die unverzügliche Einweisung in die geschlossene Anstalt.

Linke Chaoten formierten sich gegen den populistischen Aufhetzer, der als Redner eingeladen war. Einer dieser bösartigen Ausgrenzer, die überall, mit Lügengespinsten und Hatzreden ausgerüstet, aus dem Sumpf der Bedeutungslosigkeit krochen. Einer dieser Scharfmacher, die wie Metastasen eines Krebsgeschwürs ausschwärmten und den Körper der Gesellschaft von innen heraus vergifteten. Sein unheilvolles Gerede würde wie reife Samen auf gut gedüngte, fruchtbare Erde fallen. Seine Zuhörer würden seine widerwärtigen Anschuldigungen schlucken, wie der Krebspatient die Pille, die der Arzt verschrieb. Und wie diese würden sie sich einen Dreck um die Nebenwirkungen der Medizin scheren.

Aufhetzer seines Schlages wussten, dass der einfache Mann von der Straße reif war. Mürbe geredet von linken und rechten Populisten, eingeschläfert durch die untätige Schönrederei der Mitte. Dem einfachen Mann war der Boden entzogen, fehlte die Orientierung. Die Volksseele verelendete von innen heraus und war schwach genug, zerschmettert und anschließend mit neuen Werten ausgerüstet wieder aufgebaut zu werden. Dieses Wissen war für ihn und seine Brüder im Geist der Stern von Bethlehem, der sie unbeirrbar leitete. Sie würden gewinnen!

Er würde die Schuld der aktuellen Misere den Gutmenschen in die Schuhe, respektive die Birkenstock-Sandalen schieben. Die Gutmenschen machten es ihm und seinen Brüdern leicht, weil sie blind für die Integration der fremden Elemente kämpften. Dabei wollten sich die Fremden nicht integrieren. Doch die Schönschwätzer leugneten und versteckten sich hinter lahmen Plattitüden wie Humanität oder soziale Gerechtigkeit und entzogen sich der Verantwortung, das eigene Volk zu schützen. Die fleißigen Bürger, die den Reichtum und den Frieden in diesem Land über Jahrzehnte erarbeitet hatten.

Er würde gegen die Schönschwätzer donnern, weil sie nur davon ablenkten, dass diese Eindringlinge auf das Volksvermögen aus waren, sich einen Dreck um Gesetze und Kultur scherten und den inneren Zusammenhalt zerstörten. Er würde dazu aufrufen, dass der gute Bürger nicht länger zusehen durfte und dem laschen Gehabe der Gutmenschen Einhalt gebieten musste. Er würde sie gegen den Staat aufhetzen und erzählen, dass die Regierung mit den Schönschwätzern und Gutmenschen unter einer Decke steckte. Dass der Staat den arbeitsscheuen, vergewaltigenden Eindringlingen verschenkte, was dem Volk gehörte.

Ja, der Populist war vom Fach, ein schwarzer, undurchschaubarer Schamane, der sich nicht in die Karten blicken ließ. Er kannte die Krankheit der Volksseele und wusste, wie sie zu kurieren war. Die Kur hieß Angst zu schüren und das Fremde aus zu grenzen. Er würde diese Nacht gut schlafen, weil sein widerwärtiges, sengendes Feuer, das an der dünnen Naht des gesellschaftlichen Zusammenhangs nagte, an ein einer weiteren Stelle glimmen würde.

Mirko fotografierte und notierte. Vielleicht würde sich eine Story ergeben, die er an zweitklassige Provinzblätter vertickern konnte, die keine Kohle übrig hatten, selber Reporter zu diesem Anlass zu schicken. Blätter, die dazu verdammt waren, auf Titelseiten die Wahl der 'Miss Apfelmost' oder die prämierte Schönheit der Viehschau vom Wochenende zu bringen. Blätter, die darauf angewiesen waren, dass der Biobauer, der Handaufleger und die Bauchtanzlehrerin in der Gegend regelmäßig inserierten.

Ihn interessierten weder der Bürgermarsch, noch der geifernde Demagoge, noch die Demonstration. Er hoffte auf Action. Die Wahrscheinlichkeit sprach für eine Polizeiaktion mit Pepp und einer ausgewogenen Portion Gewalt. Er spekulierte auf Schnappschüsse, wie Polizisten auf Zivilisten einschlugen. Vielleicht noch ein paar Wasserwerfer, einen Schuss Tränengas und Blut. Blut kam immer gut. Erst wenn er Blut sieht, erkennt der Mann von der Straße, dass da was nicht optimal läuft. Ob von Demonstranten oder nicht war Mirko einerlei. Leser wollten keine Stellungsname, sondern Bilder. Bilder, die ihnen bestätigen, dass die Welt verrückt war. Verbale Botschaften, Text, war anstrengend. Aber auf ein Bild zeigen und dazu sagen 'schlimm' brachten die Leser dieser Blätter intellektuell gerade noch auf die Reihe.

Er stellte sich abseits der Stelle, wo sich die protestierende Menge vor einem übermannshohen Zaun staute. Wäre er auf eine seriöse Story aus gewesen, hätte er diesen Zaun abgeknipst. Im Text hätte er sich ehrlich darüber echauffiert, wie schlecht es um den Zusammenhalt in der Bevölkerung stand, wenn bereits Zäune notwendig waren, um unterschiedlich denkende Bürger voneinander fern zu halten. Das war journalistisch wohl ruhmreich, doch Mirko brauchte Geld.

Hinter ihm lauerte eine kleine Gruppe von verschwitzten Radfahrern, die nicht verstanden, warum ihre Lustfahrt blockiert wurde. Die sich ärgerten, weil die Speicher ihrer Sports Tracker am Abend unsaubere Daten liefern und das personal ranking versauen würden. Mirko bemitleidete solche Typen.

Typen, die nur über läppische Vergleiche am Lebenselixier leckten, waren Schwachköpfe, die den undurchschaubaren Algorithmen der Apps huldigten. Typen wie sie waren Leerschlucker. Enthirnte, die unfähig waren, sich ein eigenes Profil zu erarbeiten. Sie waren die Zombies des Neoliberalismus: bar von Kreativität und Eigenmotivation. 'Stehen sie auf, sie sind zu lange gesessen'. Apps waren ihre Religion und Appmeldungen das Wort Gottes.

Mirko hielt jede Wette, dass die übergewichtigen Nerds, die das programmieren, sich einen ablachten. Die Vorstellung, dass es Schwachsinnige gibt, die taten, was das Programm sagte, war zu absurd. Und wenn die Nerds sich wieder gefangen hatten, würden sie sich die Tränen vom Gesicht wischen, einen Kaffee ziehen und die nächste Packung Chips aufreißen. Schließlich musste bis Ende Monat die Sex-Optimierungs-App noch auf den Markt geworfen werden.

Die besondere Tragik dieser Sich-mit-anderen-Vergleicher war, dass sie in eine perfide Falle tappten. Neuronale Zusammenbrüche waren unumgänglich, weil beim Vergleichen immer heraus kommt, dass irgendwer, irgendwo bessere Werte ausweisen kann. Und da nur die Nummer EINS zählt, produzieren Vergleichsplattformen nur Verlierer. Mirko verdächtigte den Dachverband der Psychologen, die Nerds zum Programmieren von Apps angestiftet zu haben. Vielleicht haben sie ihnen das sogar während der Sitzungen in der Praxis eingeredet. Mit ein bisschen Posthypnose wäre so was ein Klacks. Mirko dachte oft darüber nach, wer die größere Schuld am absehbaren Verfall der Gesellschaft trug: die Demagogen oder die Vergleicher.

Er beobachtete, wie sich der schreiende Zug der Gegendemonstranten näherte. Einige Schnappschüsse konnten nicht schaden. Mit etwas Glück gelang ein schöner Vorher-Nachher-Vergleich. Ihm fiel eine Gruppe auf, die sich um einen hochgewachsenen Mann mit zur Schau getragenem Selbstbewusstsein scharrte. Mirko schätzte ihn als einen der Typen ein, welche eine Scheinfassade von Intellektualität und Unnahbarkeit pflegten und hegten. Allein sein stilvoll geschlungener Schal war dafür Beweis genug. Geschlungene Schals hatten in pseudo-intellektuellen Kreisen Tamagotchi-Status. Scheinintellektuelle wurden nervös und fahrig, wenn der Schal nicht jede viertel Stunde kontrolliert und nachgebessert werden konnte. Sein Blick war sinnierend in die Unendlichkeit gerichtet, wie bei allen Intellektuellen, die nicht wissen, was sie sagen könnten – Mirko fragte sich, ob es ein Nachschlagewerk für Scheinintellektuelle gab, wo dieser Blick beschrieben und eine Übungsanleitung in drei Grafiken festgehalten war. Neben ihm stand eine Frau, klein aber gut proportioniert. Er schoss ein paar Fotos von ihr. Sie bemerkte ihn und streckte die Zunge heraus. Er winkte und konzentrierte sich auf das weitere Geschehen am Zaun. Tatsächlich rückte Polizei an. Und da Sonntag war und sie nicht zu Hause grillieren konnten, würden sie sauer sein. Die Schlagstöcke würden locker sitzen. Schon wegen der Bewegung: Bewegung tut gut, Bewegung baut Stress ab.

"Bei uns drüben bist du näher dran."

Mirko blickte sich um und sah die Kleine von drüben. Sie hatte die Hände streitlustig in die Jeanstaschen geschoben.

"Wenn du schon Fotos von mir schießt, kannst du auch gleich herüber kommen. Oder bist du nur ein perverser Stalker?"

"Ich bin Journalist", sagte er und drehte sich ab. Er hatte keine Lust, sich mit einer verzogenen Göre, die wahrscheinlich auf 'sich-gegen-das-Elternhaus-wehren' machte, zu unterhalten. Später vielleicht, wenn die Story fertig und verschiedenen Kunden angeboten war. Unleidlich sah sie wirklich nicht aus.

"Journalist?", lachte sie auf, "das sind doch nur bezahlte Stalker. Hier gibt’s nichts zu sehen, was nicht schon hunderte Male passiert ist…"

Mirko zog die Augenbraue hoch und musterte sie. Sie musste aus gutem Haus stammen, dachte er, denn sie hatte nicht kapiert, dass Abweichung zum Soll die Leute verunsicherte und den Schokoladenkonsum erhöhte. Leser möchten dasselbe immer und immer wieder lesen. Die Kleine da übte sich bloß in intellektueller Scheinempörung ohne Bezug zur Realität. Sie lebte ebenso in einer Blase, wie die Leute, welche 'Miss Apfelmost' Artikel vollständig durchlasen oder jene, die von der jüdische Weltverschwörung überzeugt waren.

"Wenn du eine Story willst", hakte sie hartnäckig nach, "dann komm rüber. Fred weiß wo der Hase läuft."

"Fred?"

"Der große Typ da drüben", sie winkte mit ausgestrecktem Daumen über ihre Schulter, "der mit dem Schal."

Der Polizeikordon schwenkte auf die Demonstranten ein. Da würde der Brennpunkt des Geschehens sein. Da würden die guten Sujets entstehen.

"Ok, warum nicht?"

Die sozial-humanitär motivierte Gegenbewegung, die gegen den Redner protestierte, warf die ersten Steine. Erstaunlicherweise sind es immer die Sozialen, die als erste werfen, dachte Mirko.

Die Bürgermärschler betrachteten die Steine als Provokation. Sie waren unfähig, die subtile sozial-humanitäre Botschaft zu verstehen. Eine größere Gruppe stürzte sich auf die Gegendemonstration.

Als die Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern eingriff, wurde Mirko von der panisch flüchtenden Masse mitgerissen. Während der Flucht gelangen ihm gute Bilder wie dasjenige, mit dem blutüberströmten Demonstranten, dem ein Polizist den schweren Stiefel auf den Hals setzte. Halte nie einen Polizisten vom Sonntagsgrillen ab!

Dieses Bild nahmen ihm später sogar größere Blätter ab. Es war Zufall, dass er sich dabei mit der Gruppe der Scheinintellektuellen bewegte und am Schluss, als sie außerhalb des Dorfes in Sicherheit waren, mitten drin stand. Es waren etwa zwölf Personen.

"Für einen Journalisten läufst du nicht schlecht", stieß die Kleine grinsend zwischen hastigen Atemzügen hervor.

"Journalist?", Fred streichelte sein Tamagotchi, "du bist Journalist?"

Mirko nickte.

"So einer fehlt uns noch", sagte Fred erfreut, setzte ein strahlendes Lächeln an und bot Mirko die Hand an, "ich bin Fred."

"Mirko. Fehlt wo?", er ergriff die ausgestreckte Hand.

"In unserer Gruppe. Mutige Leute, die sich gegen das menschenverachtende Regime stemmen. Aktivisten, die aus besonderem Holz geschnitzt sind. Wir sind die Zelle, die Widerstand leistet und den Bürgern die Augen öffnet."

Was Fred hier so vollmundig verkündete, sollte mit dieser Truppe hier erreicht werden? Einer hockte wie ein Schwein schwitzend an einen Holzstapel gelehnt und wäre ein Priester anwesend gewesen, hätte der ihm gleich die Krankensalbung verpasst und eine spontane Blitzbeichte abgerungen. Ein anderer inhalierte dauernd und eine Frau zitierte weltentrückt aus dem Pali-Kanon. Jedenfalls hörte es sich so an. Wenn das hier Aktivisten waren, dann blickte er soeben in die Komastation davon.

"Klingt interessant", sagte Mirko teilnahmslos, "gehört die da auch dazu?"

Fred blickte sich um: "Gerda? Sicher, die ist auch dabei. Eine der aktivsten Mitglieder."

"Sag mal, bist du echt Journalist?"

Mirko nickte: "Freelancer – wegen der Unabhängigkeit."

Er brauchte Fred nicht auf die Nase zu binden, dass die meisten Journalisten Freelancer waren. Festanstellungen gab es nur bei nahem Verwandtschaftsgrad zum Verleger oder beim Besitz desselben Parteibuches wie er.

"Freelancer", hauchte Fred ehrfürchtig. Er schlug seinen Arm um Mirkos Schultern und führte ihn ein paar Schritte von der Gruppe weg. Mirko hasste es, angefasst zu werden.

"Weißt du, etwas mehr Publicity könnte meinem Verein nicht schaden. Die Presse heute ist ja unter der Fuchtel der Bürgerlichen. Und die lassen es nicht zu, dass allzu viel über Bewegungen wie uns gebracht wird. Fürchten um ihren Einfluss, weil wir der Gesellschaft neue Wege zeigen."

"Was rein kommt, entscheidet der Redakteur", dämpfte Mirko Freds Erwartungen.

"Schon klar, aber das Wort des Journalisten der Augenzeuge war, hat sicher Gewicht, nicht?", er zwinkerte verschwörerisch.

"Vielleicht ein bisschen", wich Mirko aus. Er wollte hier auf keinen Fall den Eindruck von Interesse erwecken.

"Was macht ihr so?", lenkte er ab.

"Wir sind das Montags-Manifest", erklärte Fred stolz. In einem Spielfilm wäre diese Szene mit bombastischen, raumfüllenden Symphonieklängen unterlegt gewesen. Mit lange nachhallenden Bassharmonien! Und Fred wäre in heroisch wirkender Pose vom Licht der untergehenden Sonne umrahmt.

"Dort besprechen wir unsere Aktionen. Fanale, um der lethargischen Masse begreiflich machen, dass es Zeit zur Umkehr ist."

"Ja?"

"Du bist genau der Typ, dem es bei uns gefallen wird. Komm doch mal und schau rein. Du wirst es nicht bereuen!"

"Vielleicht…"

Mirko ging hin. Mehr aus Neugier und wegen Gerda. Heiße Katze! Er stellte fest, dass im Montags-Manifest ausschließlich desillusionierte Schwätzer hockten, die es in diesem geschützten Kreis wagten, politische Reden zu schwingen oder 'Aktionen' zu ersinnen, die das Establishment stürzen sollten. Er erkannte schon am ersten Abend, dass das Montags-Manifest eine Selbsthilfegruppe von Gescheiterten war, die sich gegenseitig Streicheleinheiten schenkten, um den tristen Alltag erträglicher zu machen. Hinter dem großkotzigen Namen verbarg sich in Wahrheit ein verschüchtertes Rudel verunglückter Generation Y Prototypen.

Kurz vor dem Beginn des Disputes setzte Fred ihn über den Ablauf ins Bild. Die von Fred als 'basisdemokratische Anarchie' deklarierte Versammlung besaß nach Mirkos Meinung eher diktatorische Züge. Anarchie und Chaos waren nicht ansatzweise erkennbar. Wie sollte es auch. Er schätzte die meisten Leute im Raum so ein, dass ihnen bereits ein Anflug von Unordnung auf dem Schreibtisch Schrecken einjagte und vom nahenden Armageddon kündete. Der erste Abend war nicht ernüchternd. Er war auf erheiternde Weise abstoßend.

Die wöchentlich wiederkehrende Veranstaltung lief immer gleich ab. Auf einem leicht erhöhten Podium saßen die Diskutanten: drei Gewählte, Fred, Gerda und Max, zwei Zeitdiskutanten und zwei Ad hoc Diskutanten, die aus den Anwesenden per Los ermittelt wurden. Die 'Gewählten' waren Dauerteilnehmer und bestimmten das Thema, welches besprochen wurde. Außerdem fiel ihnen die Aufgabe zu, das Montags-Manifest nach außen zu repräsentieren. Mirko fand später heraus, dass diese Repräsentationspflichten noch nie gefragt waren. Das bestätigte seinen Verdacht: für das Montags-Manifest gab es kein Außen. Die Veranstaltung trug unverkennbar einen autistischen Touch. Er vermutete, dass Fred dieses recht war, denn eine inzestuös agierende Gruppe war leichter zu lenken. Fremde Ideen stören.

Zeitdiskutanten waren einen lang Monat Mitglied im Disput. Der Rest der Bande hockte im Halbdunkel um das Podium, hörte zu, applaudierte oder machte verhalten Zwischenrufe. Mirko staunte über die zurückhaltende Disziplin der Zuhörer, obwohl die Diskutanten oft genug hanebüchenen Schwachsinn von sich gaben. Alles lief sehr gesittet ab und selten wurde ein Sprecher unterbrochen. Am Schluss der Diskussionsrunde eröffnete Fred das Colloquium, mit 'C' geschrieben, weil es so akademischer war. Während des Colloquiums hatte jeder Zuhörer die Gelegenheit, den Disput zu kommentieren und seine eigenen Gedanken bei zu tragen. Danach zerstreute sich die Versammlung. Viele gingen nach Hause, andere bildeten kleine Gesprächsgruppen, wo weiter diskutiert wurde. Vereinzelte schütteten dabei so viel Bier oder billigen Wein wie möglich in sich hinein, um auf diese Weise wenigstens etwas Nachhaltiges aus dem Event mit nach Hause mitzunehmen.

Es wäre bei diesem einem Besuch geblieben, wenn er an jenem Abend nicht seitlich der Zuhörer gesessen hätte. Da sich das Hinhören auf den Disput nicht lohnte, studierte er Gesichter. Gesichter im Halbdunkel geben mehr von den Gedanken hinter der Stirn preis. Das Schattenspiel der Mimik wirkt markanter. Mirko sah, dass im Montags-Manifest durchaus zersetzendes Potential vorhanden war. Aber Fred und der durchschnittliche Zuhörer, dem es genügte, einfach irgendwo mit dabei sein, verhinderten, dass sich dieses Potential Raum verschaffte. Es war eine Kraft, die gewaltsam im Zaum gehalten war und nur auf die Gelegenheit harrte, wie ein Vulkan aus zu brechen. Alles zu versengen, was sich in den Weg stellte. Alles zu ersticken, was nicht schnelle Beine hatte. Mirko entschied, zu testen, wie weit er gehen konnte. Er wollte ausprobieren, zu was er diese Gruppe aufhetzen konnte. Er wollte erfahren, ob er dieses langweilige Schema zerrütten konnte.


Das Montags-Manifest

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