Читать книгу Treffpunkt Brandenburger Tor - Hermann Mezger - Страница 7
5. Kapitel
ОглавлениеBramme saß eingezwängt zwischen Wassili und Serow in der ersten Reihe einer Antonow der Luftwaffe, bis zum letzten Platz besetzt mit Soldaten. Während das Flugzeug durch die Nacht brummte, wandte er sich nach einigen Minuten des Schweigens an Wassili.
„Sie stammen also aus Usbekistan?“
„Richtig!“, Wassilis Stimme klang schwärmerisch, als er fortfuhr, „Usbekistan besitzt uralte Kulturen und enorme Bodenschätze. Unsere Gastfreundschaft ist die beste der Welt.“
Serow, der eben eine Zigarette drehte, hielt sie Bramme hin.
„Rauchen Sie, Gospodin Bramme?“
„Ab und zu“, gab Bramme zu, nahm die Zigarette dankbar entgegen, holte sein Feuerzeug aus der Tasche und zündete sich den Glimmstängel an. Während er genüsslich den ersten Zug machte, drehte er das Feuerzeug mehrmals in der Hand hin und her. Unwillkürlich musste er daran denken, dass dieses klobige Ding in einigen hundert Kilometer Entfernung George Simon sagte, wo er sich gerade aufhielt. Wie ein kostbares Gut schob er das Feuerzeug in die Tasche. Beim zweiten Zug musste er husten.
„Die sind aber stark!“, würgte er heraus.
„Da gehören auch ein paar Gläschen Wodka dazu“, sagte Wassili augenzwinkernd, kuschelte sich in seinen Sitz und machte Anstalten zu schlafen.
Bramme, dem überhaupt nicht nach Schlafen zu Mute war, griff nach einer Broschüre, die vor ihm im Sitz steckte.
„Gut“, sagte er zu sich selbst, „dann beschäftige ich mich eben mit den Skythen.“
Eine kalte Nacht empfing sie, als sie in Termes aus dem Flugzeug stiegen. Die gelandete Antonow war gleich nach ihrer Ankunft grell angestrahlt und von Militär umstellt worden. Während die mitreisenden Soldaten dem Ausgang zustrebten, wurde der Frachtraum geöffnet. Bramme verschwand im Bauch der Maschine und manövrierte einen nagelneuen Geländewagen geschickt ins Freie. Sofort richteten sich die Scheinwerfer darauf. Uniformierte kamen angelaufen, um sich den Wagen zuerst von außen zu betrachten. Einer von ihnen öffnete schließlich die Fahrertür und bat Bramme auszusteigen. Serow protestierte, zog einige Bescheinigungen aus der Tasche und hielt sie dem Mann hin. Dieser würdigte die Papiere keines Blickes und setzte sich nun selbst hinter das Lenkrad. Mit großen Augen betrachtete er das Armaturenbrett.
Bramme, ein leidenschaftlicher Fotograf, konnte es sich nicht verkneifen, unbemerkt ein paar Aufnahmen zu machen.
„Das Fahrzeug entspricht nicht unseren Zulassungsbestimmungen“, verkündete der Uniformierte barsch.
„Wieso nicht?“, fragte Serow.
„Wenn Sie den ganzen Schnickschnack, den Sie da am Armaturenbrett haben, im Auge behalten wollen, können Sie nicht auch noch Autofahren.“
„Dann dürfte auch kein Flugzeug in die Luft gehen.“
Unbeeindruckt von Serwows Argumenten schaute sich der Uniformierte im Wagen um. Unter den Koffern entdeckte er die Kartons mit den Feuerzeugen.
„Was haben Sie denn da?“
„Fünfhundert Feuerzeuge. Alles genehmigt und legal“, sagte Serow und hielt ihm die Papiere wieder unter die Nase.
„Legal?“, fragte er höhnisch, „was legal ist, entscheidet unsere Zollbehörde.“
Er riss Serow die Papiere förmlich aus der Hand und ging auf ein barackenähnliches Gebäude zu. Über die Schulter rief er den verdutzten drei Männern noch zu, dass sie hier zu warten haben. Dann verschwand er.
Fröstelnd und frustriert standen Bramme, Serow und Wassili auf dem Rollfeld neben ihrem Geländewagen. Außer ihnen und den Wachposten war der Flugplatz inzwischen wie leergefegt.
„Der kann was erleben!“, schimpfte Serow aufgebracht.
Es war nicht nur der Ärger und die Kälte, die Bramme zu schaffen machten. So sehr er sich dagegen auch wehrte, so sehr kroch ein ungutes Gefühl in ihm hoch. Er ahnte, dass er keine Vergnügungsreise vor sich hatte, und dass er ohne seine beiden Begleiter hier total aufgeschmissen wäre.
Fast zwei Stunden waren seit ihrer Ankunft vergangen. Serow glaubte schon gar nicht mehr daran, hier noch vor Tagesanbruch wegzukommen, als der Uniformierte zurück kam und ihm die Papiere wieder aushändigte.
„Sie dürfen ausnahmsweise fahren“, sagte er zynisch.
„Sie hören noch von mir!“, antwortete Serow.
„Das glaube ich kaum.“
Serow wollte noch etwas sagen, aber Wassili zog ihn am Ärmel weg. Vor dem Geländewagen blieben sie stehen.
„Wer fährt?“, fragte Serow und schaute dabei Bramme an.
„Wassili natürlich. Er kennt sich doch hier aus.“
Bramme hätte Wassili keine größere Freude machen können. Dieser war von der Idee hell begeistert und setzte sich gleich ans Steuer. Serow nahm auf dem Beifahrersitz Platz und Bramme ließ sich auf der Rückbank nieder.
Im Schritttempo fuhren sie auf eine Schranke zu. Ein Wachmann fordert sie mit einer Geste auf, das Fenster herunter zu lassen.
„Die Hauptstraße nach Termes ist wegen Bauarbeiten gesperrt. Sie müssen die Nebenstrecke nehmen.“
„Spasibo!“, gab Wassili dankend zurück und drückte aufs Gas. Nach kurzer Zeit kam er an dem Umleitungsschild „Objezd“ vorbei und bog auf die Nebenstrecke ab.
Die Scheinwerfer fraßen sich durch die Dunkelheit, während Wassili ausgelassen die Straße entlang fuhr. Ihm machte der neue Wagen sichtlich Spaß. Übermütig stimmte er eine Arie an: „Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich, ja so ein hübsches Täubchen, wär´ Seligkeit für mich...“
Dazu trommelte er mit den Fingern den Takt auf das Lenkrad. Doch plötzlich, kurz hinter einer Kurve glitzerte etwas auf der Straße. Ohne Vorwarnung riss Wassili das Lenkrad herum und versuchte verzweifelt, mit einer Vollbremsung dem Gegenstand auszuweichen. Als der Wagen zum Stehen kam, hing das Rad auf der Fahrerseite über einer Böschung frei in der Luft.
„Was ist denn in dich gefahren?“, brüllte Serow, der mit dem Kopf beinah gegen die Windschutzscheibe geknallt wäre und leichenblass aussah.
„Da liegt was auf der Straße“, sagte Wassili nur, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr ein Stück zurück.
Nun schien auch Serow den Gegenstand gesehen zu haben.
„Lass mal sehen!“, sagte er und stieg aus dem Wagen. Vorsichtig näherte er sich dem unbekannten Objekt. Bramme und Wassili folgten ihm in gebührendem Abstand.
„Eine Tellermine!“, entfuhr es Serow. Er war sichtlich bemüht, seine Stimme so gelassen wie möglich wirken zu lassen.
„Sie sagen das einfach so dahin“, erboste sich Bramme, „wenn Wassili nicht aufgepasst hätte, wären wir alle in die Luft geflogen!“
„So ist es“, entgegnete Serow trocken.
„Was nun?“, fragte Wassili, der sich von dem Schreck einigermaßen erholt hatte.
„Na was schon? Zuerst halte ich die Mine im Bild fest, dann jagen wir sie in die Luft“, entschied Bramme und während er eine Aufnahme machte, zum Wagen ging, einen sichelförmigen Gegenstand aus dem Wagen holte und ihn im Handumdrehen zu einer Schleuder umbaute, starrten ihn die anderen mit offenem Mund an.
„Der Wagen muss aus der Schusslinie. Fahrt ihn mal ein paar hundert Meter zurück“, befahl er.
Während Wassili und Serow den Wagen in Sicherheit brachten, sah sich Bramme nach einer geeigneten Deckung um. Er kniete sich hinter einem Felsbrocken nieder, entnahm dem Griff der Schleuder eine Stahlkugel, spannte das Gummiband, zielte auf die Mine und ließ die Kugel sausen. Sie verfehlte ihr Ziel, wenn auch nur knapp. Auch der zweite und dritte Versuch misslangen und Bramme befürchtete schon, die Kugeln könnten ihm ausgehen, da traf die vierte Kugel die Mine. Eine ohrenbetäubende Detonation durchbrach die Stille der Nacht. Eine Wolke aus Staub und Geröll flog in die Luft, um dann wieder auf die Erde zu regnen.
Im ersten Moment war es Bramme, als sei sein Trommelfell geplatzt, aber da kam zum Glück der Geländewagen angefahren und Wassili veranstaltete ein unüberhörbares Hupkonzert. Serow sprang aus dem Wagen, ging auf Bramme zu und umarmte ihn.
„Alle Achtung! Das war eine Meisterleistung, Gospodin Bramme.“
Gemeinsam gingen sie auf die Stelle zu, an der die Mine zur Explosion gebracht wurde. Schwarzer Rauch hing noch wie Pulverdampf nach einer Schlacht über der Stelle, an der die todbringende Mine gelegen hatte. Um einen kleinen Krater herum war die Erde schwarz gefärbt und die Luft roch schweflig. Bramme lief ein eiskalter Schauer über den Rücken.
„Die hätte für uns alle gereicht“, stellte Wassili lapidar fest.
Bramme konnte sich einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen.
„Sieht so die berühmte usbekische Gastfreundschaft aus?“
Wassili machte ein betretenes Gesicht. Zum Glück ging Serow zur Tagesordnung über.
„Jetzt aber nichts wie weg hier. Ich freue mich auf ein Bett.“
„Ich auch“, gab Wassili zu, „aber bevor wir ins Bett gehen, trinken wir noch ein Gläschen Wodka.“
Ohne weiteren Zwischenfall erreichten sie die Stadt Termes. Sie fuhren am Kirk Kis Palast vorbei, der eine Moschee beherbergte und hielten schließlich vor einer großen Karawanserei.
„Das ist unser Zuhause für die nächsten zwei Wochen“, verkündete Serow.
Der Portier, ein alter, zahnloser Mann, schien über ihr Erscheinen sehr erstaunt zu sein. Er hatte offensichtlich mit ihrer Ankunft nicht gerechnet. Wortlos ging er ihnen in seiner weiten Pluderhose und einem groben Baumwollhemd voran und zeigte ihnen die Zimmer. Bramme und Serow warfen sich hinter dem Rücken des Mannes vielsagende Blicke zu. Beiden war vollkommen klar, dass dieser Aufenthalt kein Zuckerschlecken werden würde.