Читать книгу Treffpunkt Brandenburger Tor - Hermann Mezger - Страница 9
7. Kapitel
ОглавлениеIslamische Architektur, prachtvoll verzierte Fassaden, ein quirliges Vielvölkergemisch und frühlingshafte Temperaturen empfingen Bramme, Serow und Wassili in der Innenstadt von Termes. Wassili trug einen Schuhkarton unter dem Arm und musste aufpassen, dass er ihn ohne anzurempeln heil durch die belebten Straßen brachte.
Bramme fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut. In jedem Mann sah er einen potentiellen Angreifer, der ihm in diesem Gewühl jederzeit ein Messer zwischen die Rippen hätte rammen können. Seine beiden Begleiter hingegen waren die Ruhe selbst. Schon der Weg zum Basar war mit Marktständen gepflastert. Die Marktfrauen priesen lautstark ihre Waren an und rissen dabei ihre Münder bewusst weit auf, damit man die vielen Goldzähne darin sehen konnte. Die Frauen tragen knöchellange Gewänder und Stirntücher. Besonders die älteren von ihnen taxieren die drei Fremdlinge aus herben, verbrauchten Gesichtern heraus, die dennoch die einstige Glut und Leidenschaft erahnen lassen.
Farbenprächtige Obst- und Gemüsestände, gerupfte Hühner, geschlachtete Schafe, frische und getrocknete Fische, Molkerei-produkte und Gewürze aller Art, hier war das wahre Schlaraffenland.
Im Basar setzte sich das reichhaltige Angebot fort: Gold- und Silberwaren, Computer, Haushaltsgeräte, Stoffballen und Teppiche bis unter die Decke. Bramme machte ein Foto nach dem anderen.
Vor einem Friseursalon nahm Serow Wassili den Schuhkarton ab und verschwand in dem Geschäft. Wassili und Bramme vertrieben sich die Wartezeit mit einer Zigarette. Kurze Zeit später tauchte Serow wieder auf, nun ohne den Karton.
„So, der Anfang wäre gemacht“, sagte er frohgemut und Wassili stellte sich nun demonstrativ vor das Geschäft und hob zu einer seiner gefürchteten Arien an:
„Ich bin das Faktotum der schönen Welt, ja ich!
Habʼ mir die schönste Bestimmung erwählt.
Ich bin der Cicero aller Barbiere,
und gratuliere mir selbst zum Glück,
Ha! Bravo Figaro, bravo bravissimo!
Ich bin der Glücklichste...“
Der Rest ging in dem frenetischen Applaus der Passanten unter, was Wassili zu einer Zugabe ermunterte.
Serow verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Entweder gefiel ihm der Gesang nicht, oder er hielt von der Publicity nichts, die Wassilis Arie zur Folge hatte. Vielleicht ging ihm auch beides gegen den Strich. Bramme hingegen mochte diese Einlage. Sie verscheuchte seine Befürchtungen, irgendwo könnte ein Attentäter auf ihn lauern.
„Kommt, wir sind nicht zum Vergnügen hier“, mahnte Serow, drehte sich um und schlenderte zum Wagen zurück.
Auf der gut ausgebauten Straße zur afghanischen Grenze tummelten sich neben Autos und LKWs, Eselkarren Fahrräder, Mofas und sogar eine Ziegenherde. Wassili gab sich alle Mühe, den Geländewagen heil durch dieses geordnete Chaos zu steuern, während Bramme an der Mischung aus Mittelalter und Moderne immer mehr Gefallen fand. Er war von dem pulsierenden Leben da draußen so fasziniert, dass er zunächst gar nicht bemerkte, wie Wassili zum wiederholten Male in den Rückspiegel schaute.
„Was ist denn? Werden wir verfolgt?“, fragte Bramme besorgt.
„Wer sollte uns denn verfolgen?“, besänftigte Serow.
„Dieselben Leute, die uns letzte Nacht zur Begrüßung eine Tellermine auf die Straße gelegt haben.“
Ein mit drei Männern besetzter Pick-up bahnte sich hinter ihnen unter ständigem Einsatz der Lichthupe einen Weg durch das Verkehrsgewühl und kam immer näher..
„Die Kerle dahinten gefallen mir gar nicht“, brummte Wassili.
„Schüttle sie doch ab“, empfahl ihm Serow.
An der nächsten Kreuzung bog Wassili ohne Vorwarnung ab und fuhr an einer endlos scheinenden Flusslandschaft entlang. Ein erneuter Blick in den Rückspiegel machte ihn wütend.
„Verdammt! Sie geben nicht auf“, fluchte Wassili, „ich muss was unternehmen.“
Und bevor Bramme und Serow nach Einzelheiten fragen konnten, hatte Wassili die Straße verlassen und raste halsbrecherisch eine steile Böschung hinunter. Es hätte nicht viel gefehlt und der Wagen hätte sich überschlagen. Seine Beifahrer hatten allergrößte Mühe, das Gleichgewicht zu halten.
Im Tal unten angekommen gab Wassili Vollgas. Über Stock und Stein, Sand und Geröll ging die wilde Fahrt weiter. Die Räder wirbelten Staub und Sand auf und als sie einen Priel durchfuhren spritzte das Wasser wie eine Fontäne haushoch in die Luft.
Ihre Verfolger gaben nicht auf. Bramme stellte zu seiner Beruhigung fest, dass sie wenigstens nicht näher kamen. Auch Serow ließ die Kerle nicht aus den Augen. Als sich der Pick-up auf einer Sandbank festfuhr und sich die Räder immer tiefer in den Sand gruben, bis der Motor schließlich den Geist aufgab, jubelte er.
„Geschafft! Gut gemacht Wassili!“
Einer der Männer stieg wutentbrannt aus und drohte ihnen mit der geballten Faust, während der Fahrer hinter dem Lenkrad wild gestikulierend telefonierte.
Seelenruhig steuerte Wassili die Böschung an, erklomm sie problemlos, reihte sich oben wieder in den Verkehr ein und setzte seine Fahrt zur Grenzstation fort.
Vor barackenähnlichen Gebäuden hielten sie an. Uniformierte standen gelangweilt vor einem geöffneten Schlagbaum und überprüften die Aus- und Einreisenden stichprobenartig.
Das fremde Kennzeichen und der tolle Geländewagen erweckte sofort ihr Interesse. Zwei Beamte kamen auf sie zu. Serow stieg aus und begrüßte sie mit Handschlag. Die sich anschließende lange Unterhaltung musste sehr interessant sein, denn die beiden Männer in Uniform rissen die Augen immer weiter auf. Man rauchte eine Zigarette zusammen. Serow redete und redete, eindringlich und mit beiden Händen und zeigte ihnen irgendwelche Papiere, was ihre Neugier in Hochachtung umschlagen ließ. Schließlich holte er zwei Kartons Feuerzeuge aus dem Wagen und überreichte sie den Beamten. Mit einer freundlichen Umarmung verabschiedete er sich von den Beiden und stieg wieder ein.
„Das hat aber gedauert“, stellte Bramme fest, „wollten sie die Feuerzeuge gar nicht annehmen?“
„Doch, doch! Ich musste ihnen aber klar machen, um was es geht. Sie, Gospodin Bramme, sind doch der Ansicht, dass es nicht genügt, die Feuerzeuge nur an Karawanenführer oder Fernfahrer zu verteilen, sondern sie möglichst auch verdächtigen Waren unterzuschieben.“
„Richtig! Wir müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen und zu jeder List greifen, die sich uns bietet“, philosophierte Bramme.
Wassili, der die ganze Zeit über gelassen hinter dem Steuer saß, ließ den Motor an, wendete und fuhr in Richtung Termes davon. Schon nach kurzer Zeit sah er im Rückspiegel einen Geländewagen heranbrausen, der, das sagte ihm sein Bauchgefühl, nichts Gutes im Schilde führte.
„So ein verdammter Mist! Da sind schon wieder ein paar Verrückte. Und ich kann hier nirgends abbiegen!“
Bramme und Serow schauten sich den mit drei Mann besetzten Wagen durch das Heckfenster etwas genauer an. Es gerann ihnen das Blut in den Adern, als sie sahen, dass einer der Männer eine Kalschnikow in der Hand hielt und sie durch das geöffnete Fenster schob.
„Wenn nicht ein Wunder geschieht, sind wir verloren“, sagte Serow.
Bramme reagierte instinktiv.
„Drücken Sie den weißen Knopf am Armaturenbrett, Wassili!“, schrie er.
Wassili war einen Augenblick lang irritiert und erst auf die wiederholte Aufforderung Brammes, der ihm ein „Los! Machen Sie schon!“ ins Ohr schrie, betätigte er die weiße Taste.
Mit lautem Zischen und Fauchen brach aus dem Heck des Wagens eine undurchdringliche, weiße Nebelwolke hervor, die dem nachfolgenden Verkehr jegliche Sicht nahm. Quietschende Reifen, ein Aufprall nach dem anderen, Schreie und klirrendes Glas lösten ein unbeschreibliches Chaos aus.
Wassili hatte sichtlich Probleme, sich danach auf die Straße zu konzentrieren, seine Hände zitterten unmerklich. Unterdessen starrte Serow Bramme erstaunt an.
„Wow, Bramme! Sie haben uns das Leben gerettet! Haben Sie noch mehr solcher Wunderwaffen?“
„Lassen Sie sich überraschen“, sagte Bramme und ließ sich erschöpft in den Sitz zurückfallen.