Читать книгу Robert Schumann - Hermann Abert - Страница 5

Schumanns geschichtliche Stellung.

Оглавление

Inhaltsverzeichnis

Die Vielgestaltigkeit von Robert Schumanns Kunst, auf der noch heute zum grossen Teile ihr unverwüstlicher Reiz beruht, hat ihre letzte Ursache in jener vollkommenen Einheit von Leben und Schaffen, die zwar allen echten Poetennaturen zu eigen ist, die aber in der neueren Musik nicht leicht mit solcher Klarheit zum Ausdruck kommt, wie bei ihm. Der Satz, den er seinen Zeitgenossen immer wieder vorhielt, dass jede gute Komposition das Produkt eines inneren Erlebnisses, ein Stück Herzensbeichte sein müsse, galt ihm für das eigene Schaffen zeitlebens als Richtschnur. Erleben und Schauen, das sind die beiden Pfade, auf denen er zu den Quellen steigt, auf denen er dem Endziel seiner geistigen Lebensarbeit, der „Erkenntnis der Wahrheit“, zustrebt. Man vergisst nur zu oft, dass hinter diesem Tonpoeten ein gutes Stück eines Philosophen steckt, ein scharfer kritischer Beobachter der Strömungen seiner Zeit, und dass der Dichter sehr häufig nur aussprach, was der Denker erlebt und geschaut hatte. Affizierte ihn doch nach seinem eigenen Bekenntnis „alles, was in der Welt vorgeht, Politik, Literatur, Menschen. Ueber alles denke ich nach meiner Weise nach, was sich dann durch die Musik Luft machen, einen Ausweg suchen will“. So konnte zugleich nur ein Romantiker reden. Denn Perioden, die mit diesem Namen bezeichnet werden, haben von jeher sämtliche Gebiete des geistigen Lebens in Mitleidenschaft gezogen, sie haben vor allem die verschiedenen Künste sowohl unter sich, als mit dem gesamten politischen und sozialen Leben in enge Wechselbeziehungen gebracht. Gerade Schumann ist ein besonders lehrreiches Beispiel dafür.

Sein Leben fällt in die erregtesten Jahre der deutschen Einheitsbewegung. In seiner Jugendzeit noch von einem Hauche Fichtischen Geistes berührt, der dann freilich bald in der Deutschtümelei der Gefolgschaft Jahns zur Fratze verzerrt wurde, erlebt er das rasche Abflauen der patriotischen Begeisterung und ihre Verdrängung durch ein mit der französischen Revolution liebäugelndes Weltbürgertum, er erlebt den dumpfen Druck der Metternichschen Aera mit dem leidenschaftlichen Groll, den sie gerade bei den Gebildeten hervorrief, er sieht das Elend des deutschen Bundes, wie die heftigen Verfassungskämpfe in den Einzelstaaten und die Katastrophe der Jahre 1848 und 1849. Sein eigener Standpunkt konnte bei seiner Abstammung aus einem gebildeten sächsischen Bürgerhause nicht zweifelhaft sein. Sachsen war ein wahres Musterbeispiel für die gründliche politische und soziale Zerfahrenheit des damaligen Deutschlands. Der Groll über das Adelsregiment, über die Missbräuche der städtischen Verwaltung‚ dazu antiklerikale, gegen den Hof gerichtete Tendenzen hatten in Sachsen eine tiefe radikale Verstimmung erzeugt und es eine Zeitlang zum klassischen Land der Strassenkrawalle gemacht. Gerade Schumanns Geburtsstadt Zwickau aber war ein Hauptsitz der Unzufriedenheit; hier nährte der Theologe Richter mit seiner „Biene“ den Geist der Opposition, von dem auch der kluge Vater Schumanns lebhaft berührt war.

So stand Schumann schon von Hause aus in dem grossen Kampfe gegen ein altes morsches System und in dem Ringen um neue politische Ideale in den Reihen des Fortschritts. Vor dem wüsten Radikalismus der damaligen Jugend bewahrte ihn indessen der Adel seiner Persönlichkeit in gleichem Masse wie sein scharfer Blick für die realen Verhältnisse. Das Gebaren der Burschenschaft in seinen jungen Jahren war ihm nicht minder widerwärtig, als der Fanatismus der radikalen Garde in den Revolutionsjahren. Seine Anteilnahme an der Politik beschränkte sich allerdings auf die Rolle des aufmerksamen und scharf kritisierenden Beobachters. Die Ereignisse von 1849, die Wagner auf die Barrikaden riefen, scheuchten Schumann in die stille Abgeschiedenheit des kleinen Dresdener Vororts zurück. Trotzdem aber wäre es verfehlt, die politischen Zustände bei der Betrachtung von Schumanns Kunst als unwesentlich auszuscheiden. Ihre Bedeutung liegt indessen nicht sowohl in den einzelnen Kompositionen mit politischem Hintergrund, als in den allgemeinen Zielen seines Schaffens. Wenn er in Lied- und Instrumentalmusik immer wieder die Herrlichkeiten deutscher Kunst gegen die modische Ausländerei hervorhebt, wenn er die feste Ueberzeugung ausspricht, dass die deutsche Kunst an ihrem Teil zur Wiedergeburt des Volkes beitragen müsse, so beweist dies, dass er das geistige Erbe von 1813 tiefer erfasst hat, als die Mehrzahl der Tagespolitiker, zugleich zeigt sich bereits hier eine deutliche Verwandtschaft mit der Ideenwelt Wagners. Demgegenüber kommt nicht in Betracht, dass Schumann von gewissen Kinderkrankheiten des damaligen Liberalismus, wie dem Kultus der Polen und Napoleons (wir verdanken ihm die „beiden Grenadiere“) nicht verschont geblieben ist. Mit dem „lieben deutschen Kerl“, wie Wagner Schumann einmal nannte, hat es seine Richtigkeit.

Nicht minder buntscheckig, als in der politischen Welt jener Jahre, sah es in der literarischen aus. Sie ist für Schumann insofern von höchster Bedeutung, als in seiner Künstlerseele Dichter und Musiker dicht beisammen wohnten. War er doch längere Zeit mit sich im Unklaren darüber, zu welcher Kunst er eigentlich gehöre; als dann die Entscheidung für die Musik fällt, betrachtet er sie als „Tondichtkunst“‚ d. h. als einen Absenker der Poesie. Der Dichtergeist ist es, der sich für ihn in der zeitgenössischen Musik widerspiegelt.

Dass Schumann auf dem Gebiete der Literatur zu Hause war wie wenige deutsche Musiker, ist bekannt. Die Auswahl, die er hier traf, ist überaus charakteristisch, sie entspricht fast durchaus seiner dargelegten Stellung zum politischen Leben. Er beginnt mit Schiller, während Goethe erst dem angehenden Manne aufgeht, dann folgen die Romantiker, vor allem J. Paul und Rückert, weiterhin Heine, Eichendorff, Tieck, Immermann, mit dem er die Universalität der literarischen Bildung gemein hat, am Schlusse seines Lebens tritt er ganz unter den Bann der Grösse Hebbels. Dagegen legt für seinen sittlichen Adel wie für seinen Scharfblick der Umstand ein beredtes Zeugnis ab, dass er die etwa seit 1835 über unsere Literatur hereinbrechende trübe Flut des „Jungen Deutschlands“, die selbst Wagner eine Zeitlang mit sich forttrieb‚ vollständig ignoriert hat. Gleich Immermann und Tieck war ihm der erkünstelte Radikalismus dieser Richtung ebenso widerwärtig, wie der absprechende Ton, mit dem sie alle literarischen Ideale abzutun pflegte. Der einzige Gewinn, den er sich von dieser Seite her aneignete, war das Studium ihres Lieblingspoeten Heinse, das dann dem Aesthetiker zugute kommen sollte.


Robert Schumann.

Nach einer im Verlage F. Paterno in Wien erschienenen Lithographie von Ed. Kaiser. Vorlage im Besitz der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.

Seine geistige Selbständigkeit tritt in ein um so helleres Licht, wenn man bedenkt, dass gerade Leipzig ein Hauptsammelpunkt dieser Literaten war, wo sie besonders Laube unter die Fittiche der „Zeitung für die elegante Welt“ nahm.

Nach einer andern Richtung hin schwamm Schumann allerdings mit vollen Segeln im Fahrwasser der literarischen Strömungen seiner Zeit: in seiner grenzenlosen Verehrung J. Pauls. Dessen gefühlsselige Romantik war in den ersten Friedensjahren aus dem Schatten, in den sie der Ernst des Krieges gebannt hatte, wieder herausgetreten, getragen von einer neuen sentimentalen Strömung, die in einer Unmasse rührender Novellen und Romane ihren Ausdruck fand. Und wieder war Sachsen das Hauptabsatzgebiet; in den Sitzungen des Dresdener „Dichter-Tees“ trieb dieser Geist lange Zeit erfolgreich sein Wesen. In Schumanns jeanpaulisierender Jünglingsperiode erscheint er in potenzierter Form. Indessen muss gesagt werden, dass diese Schwärmerei mit den Jahren bei ihm merklich abflaute; der glühende Bewunderer Hebbels verehrte schliesslich in J. Paul nur noch seine Jugendliebe, freilich ohne die Spuren dieses Geistes in seiner Kunst jemals ganz verleugnen zu können. Die echt romantische Gefühlsüberschwänglichkeit, gegen die Immermann so scharf zu Felde zog, ist ihm bis zu Ende zu eigen geblieben; bezeichnend dafür ist, dass er zu den allen sentimentalen Tendenzen abholden schwäbischen Poeten, vor allem Uhland und Mörike, lange kein inneres Verhältnis gewinnen konnte, mit einziger Ausnahme des Mystikers unter ihnen, J. Kerner.

Im Allgemeinen aber zeigen Schumanns literarische Urteile, dass er auch hier mit sicherem Blick die Spreu vom Weizen zu sondern verstand, und dass er vor allem als Deutscher empfand, was sich besonders in seinen scharfen Aeusserungen über den gefährlichen Import leichter Pariser Ware offenbart. Entgleisungen, wie die plötzlich auflodernde Begeisterung für Elisabeth Kulmann, gehören erst seinen letzten, müden Jahren an.

Schumanns poetisch-musikalische Doppelnatur erkannte sofort, dass die Musik seiner Zeit vor ganz ähnlichen Problemen stand, wie die Literatur. Auch hier galt es zunächst, die Goldkörner aus einem Schutthaufen seichter Unterhaltungskunst ans Licht zu ziehen. Was Schumann nach dieser Richtung für Bach und besonders für Beethoven, Schubert und Chopin getan hat, ist bekannt. Aber seine Mahnworte erstreckten sich nicht allein auf die Kunst selbst, sondern auf die gesamte deutsche Musikpflege. Er kennt und bekämpft die Schäden, die dem Musikerstande seiner Zeit anhafteten: er zwingt die Musiker in seinen Kritiken, über die Grundlagen ihrer Kunst nachzudenken, er eifert gegen die mehr und mehr einreissende Vernachlässigung ihrer Allgemeinbildung, er empfiehlt ihren Zusammenschluss zu einem Allgemeinen Musikerverein — alles Ideen, die dann bei seinen neudeutschen Nachfolgern wieder auftauchen.

Auch in seinem eigenen Schaffen war Schumann nichts weniger als ein selbstgenügsamer Weiterbildner älteren Gutes. Wenn er in seiner Zeitschrift für die „Jugend und die Bewegung“ in der Kunst, für die „Zukünftige Musik“ eintritt, wenn er einmal seiner instinktiven Ahnung Ausdruck verleiht, dass die Musik seiner Zeit noch in den Anfängen stehe, so beweist das deutlich, dass sein künstlerisches Antlitz zum mindesten ebensosehr der Zukunft, als der Vergangenheit zugewandt ist. Nichts ist darum verkehrter, als Schumann zum konservativen Meister zu stempeln. Unter allen Romantikern war er vielmehr der, der mit voller Genugtuung eine schwere Kriegszeit in der deutschen Musik herannahen sah, so wenig er sich auch über ihre schliesslichen Ergebnisse im Klaren war; er war zugleich der Erste, der die Alarmtrommel rührte. Ihr Klang scheuchte denn auch die Zeitgenossen recht unsanft aus ihrer Ruheseligkeit auf.


Bleistiftskizze aus Robert Schumanns Notizbuch (Dresden 1846).

Vorlage im Besitze der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.

Auch in der Musik hatte die Restaurationszeit, wie in der Literatur, eine gewisse Erschöpfung erzeugt, die sich, wie stets, in der Bevorzugung des äusserlichen Elements vor dem innerlichen, im Kultus der Form auf Kosten des Inhalts, des Ornaments auf Kosten der Grundlinie äusserte. Die Sucht nach Sensation, nach Brillanz, die die Entscheidung in allen künstlerischen Fragen dem Virtuosentum in die Hände spielte, war bei den damaligen Musikern nicht minder ausschlaggebend, wie bei den Poeten des jungen Deutschlands, und gleich ihnen richteten auch sie die Blicke unverwandt auf Paris als die Hochburg des neuen Modegeschmacks. In Paris ging mit Spontini die Schule Glucks zu Grabe; an ihre Stelle war die moderne „grosse Oper“ getreten, die mit dem alten Erbübel der Opernlibrettistik, der Lust am Intrigenspiel, die Entfaltung möglichst sensationellen Glanzes verband. Dazu erlebte Europa nochmals das faszinierende Schauspiel einer italienischen Operninvasion: in den Werken Rossinis strahlte die Sonne der alten neapolitanischen Oper zum letzten Male in ihrer ganzen südlichen Glut über den Kontinent hin, überall mächtig den Kultus des sinnlichen Elementes in der Tonkunst fördernd. Die tieferen Naturen unter den Pariser Künstlern aber, wie Cherubini, der grosse Aristokrat, hielten sich scheu zurück; ihr Einfluss begann sich erst langsam geltend zu machen. Die Neuromantik eines Berlioz dagegen lag noch in den Geburtswehen. Kein Wunder darum, wenn Paris, die „grosse Sirene“, die ganze junge Generation in ihren Bann zwang und die deutschen Meister, jüngstverstorbene wie lebende, Mühe hatten, sich unabhängig von ihr einen Platz an der Sonne zu sichern. Der „letzte“ Beethoven wurde nur von Wenigen verstanden, und auch der wiedererweckte Bach vermochte zunächst nur langsam Boden zu gewinnen.

Nur in der Oper drangen die wirklichen Talente leichter durch. Hatte doch Webers einziger „Freischütz“ mit einem Schlage das deutsche Ideal des „romantischen Dramas“ verwirklicht, um das sich die Lesedramen der Arnim, Brentano und Genossen so heiss und so erfolglos bemüht hatten. Im Liede hatten die alten volkstümlichen Bestrebungen der Berliner Schule durch die Romantik und den Freiheitskampf zwar eine mächtige Förderung erfahren und in Weber und Löwe eine bedeutende Höhe erreicht, dagegen war das Erbe Schuberts in die Hände seichter und oberflächlicher Epigonen geraten und der Stagnation verfallen. Während der Männerchorgesang sein goldenes Zeitalter erlebte, begann in den höheren Gattungen der Vokalmusik, vor allem der kirchlichen, bereits jener Verfall einzureissen, dem bis auf den heutigen Tag kein neuer Aufschwung gefolgt ist.

Und trotzdem hatte diese im Vergleich zur vorhergehenden armselige Periode ihre bleibenden Verdienste. In den Werken der bedeutenderen unter den Ornamentikern bahnte sich allmählich eine Vergeistigung der ganzen Richtung an, die die Kunst Chopins vorbereitete; zugleich äusserte sich der romantische Geist bereits sehr deutlich, wenn auch zunächst oft nur in äusserlicher Weise, in der Vorliebe für das Volkslied aller Nationen, in dem Eindringen poetisierender Tendenzen in die Komposition und namentlich in jener echt romantischen Ton- und Klangsymbolik, die, von Meistern wie Cherubini und Weber zuerst auf den Schild erhoben, dem musikalischen Ausdruck vollständig neue Perspektiven eröffnete.

Auch Schumann gedachte zuerst der breiten Heerstrasse zu folgen und Virtuose zu werden. Wenn er von diesem mit der Impulsivität der Jugend gefassten Plane nach kurzer Zeit abgekommen ist, so leitete ihn dabei ebensosehr der eigene Trieb als die Not. Einem Künstler, dem die Musik Herzenssprache war, musste der Kultus des sinnlichen Elementes verabscheuungswürdig, ja unverständlich sein, zumal wenn er, wie Schumann, kraft seines angeborenen historischen Sinnes und seiner universalen Bildung den ideellen Zusammenhang zwischen dieser Geschmacksverirrung und der mangelhaften Bildung des Musikerstandes seiner Zeit klar erkannte. Daher seine gründliche Antipathie gegen Alles, was aus Paris und Italien kam, die sich ausserdem enge mit seiner hohen Meinung von der deutschen Musik berührte. Allerdings verführte ihn der Hass gegen alles geistlose Musizieren zu einer Ueberschätzung der Phantasie auf Kosten des ordnenden Kunstverstandes, die namentlich in seinen Jugendwerken deutliche Spuren hinterlassen hat. Auch hierin war Schumann übrigens ein echtes Kind seiner Zeit: trachteten doch auch die romantischen Poeten darnach, der Phantasie über die Regeln der Korrektheit hinweg eine Gasse zu bahnen und sie durch eine naturwüchsige, freie, aus den Tiefen des Herzens quellende Kunst zu ersetzen.

Es war kein Wunder, wenn diese Klaviermusik der Kritik böse Stunden bereitete. Eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten technischen „Schule“ war schwer herauszustellen, ebensowenig waren Konzessionen an den Kultus des Ornaments zu finden. Schumann hat das Ornament zwar nicht verschmäht, aber es galt ihm doch stets nur als Mittel zum Zweck. Virtuosität ohne poetischen Ausdruck war für ihn die Negation aller Kunst. So suchte er seine Vorbilder anderswo: in Beethoven, namentlich dem letzten, dessen scharf hervorspringendem Subjektivismus er sich wesensverwandt fühlte, in Schubert, dessen naive Kunst in seinem Innern verwandte Saiten anschlug, und weiterhin in Bach, der den Mystiker in ihm mächtig anzog, vor allem aber in der erwähnten, durch Cherubini und Weber angeregten Richtung. Diese neue Tonsymbolik, die richtige Interpretin romantischer Gefühlswelt, hat Schumann zuerst in der Welt des Klaviers eingebürgert; er hat zugleich ihr Reich ins Ungemessene erweitert und ihr in der deutschen Musik damit zum endgültigen Siege verholfen. Die Neigung zur Symbolik und Mystik steckte ihm so gut im Blute, wie vielen der romantischen Poeten. Selbst in ihrer phantastischen Uebertreibung berühren sie sich: wenn die Dichter gelegentlich in allerhand geheimnisvollen, nur dem Eingeweihten verständlichen Anspielungen schwelgen, so braucht man die Parallelen dazu in Schumanns Klavierwerken nicht erst lange zu suchen.


Robert Schumann im 21. Lebensjahre.

Nach einem Bilde aus dem Verlage von Breitkopf & Härtel.

Dass Schumanns Klaviermusik in breitem Umfang programmatische Tendenzen erkennen lässt, ist bekannt; dass er damit keineswegs etwas prinzipiell Neues schuf, wird noch zu zeigen sein. Bei der nahen Wesensverwandtschaft dieser Gattung mit der Vokalmusik war darum auch sein 1840 erfolgter Uebertritt in das Gebiet des Liedes nicht so überraschend, als es ihm selbst scheinen mochte. Vom historischen Standpunkte aus war dieser Schritt dafür um so folgenschwerer. Denn Schumann hat damit nicht allein eine neue Hochblüte des Liedes heraufgeführt und so dieser nationalen Gattung aufs Neue eine dominierende Stellung in unserer Kunst erobert, sondern er hat zugleich die alte Hegemonie Sachsens auf diesem Gebiete wiederhergestellt, die ihm geraume Zeit von den Berlinern entrissen gewesen war. Und zwar gelang ihm dies weniger durch die Universalität seiner Empfindungswelt, in der ihm Schubert weit überlegen ist, sondern durch die für seine Zeit durchaus neue und geniale Kombination von Stimme und Instrument zu vordem ungeahnten Gesamtwirkungen: hierin stehen alle Liederkomponisten bis auf den heutigen Tag auf seinen Schultern.

Noch kühner war die mit der „Peri“ unternommene Begründung einer ganz neuen Gattung, des weltlichen Oratoriums. Der berechtigte Vorwurf, der dieser ganzen Gattung schon gemacht worden ist, nämlich dass sie der starken Kulturwurzeln des alten biblischen Oratoriums entbehre, scheint Schumann selbst schon zum Bewusstsein gekommen zu sein; wie sowohl ein grosser Teil der „Peri“‚ als auch die Pläne zum Oratorium „Luther“ zeigen, suchte er ihm durch Einfachheit und Volkstümlichkeit des Ausdrucks zu begegnen. Darin liegt ja eine der stärksten Wurzeln seiner Kraft. Gleichwie in Bach, so steckte auch in Schumann zeitlebens ein gutes Stück Kindergemüt. Es äusserte sich nicht allein darin, dass er es nicht für unter seiner Würde hielt, Kompositionen für die Jugend zu schreiben, sondern vor allem in der jugendlichen Naivität seiner gesamten Tonsprache, in der kerngesunden Lust am Einfachen und Natürlichen. Selbst hinter den pudelnärrischsten Geschichten, die er uns gelegentlich auftischt, hinter seinen mutwilligsten Einfällen blickt ein reines und starkes Gefühl hervor, dem nichts grimmiger verhasst ist, als Unnatur und Heuchelei. Hierin liegt denn auch die eigentliche Bedeutung seiner Orchestermusik, nicht in dem allgemein „romantischen“ Geiste, der schon geraume Zeit vor ihm in der norddeutschen Sinfonie heimisch geworden war. Die moderne Kunst mit ihrer Neigung zur Grübelei und zum Aufstöbern komplizierter Probleme wird darum auch den Sinfoniker Schumann noch lange nicht entbehren können.

Der Drang nach Wahrheit und Klarheit, den man nur zu häufig über dem „Träumer“ Schumann vergisst, hat ihm schon mit 24 Jahren die Feder des Kritikers in die Hand gedrückt. Seine Musikschriftstellerei ist ein glänzender Beweis für die Stärke seiner poetischen Ader, aber nicht minder für seine künstlerische Selbstzucht. Denn das Examen, das er in seiner Zeitschrift anstellte, galt nicht allein seinen Zeitgenossen, sondern vor allem auch seinem eigenen künstlerischen Gewissen: „docendo discimus“ war sein Wahlspruch dabei. Selten aber ist die deutsche Gründlichkeit in solch anmutigem Gewande erschienen, selten eine so harmonische Verbindung von Dichter und Denker geschlossen worden, wie hier.

So verkörpert Schumanns Kunst die besten Seiten der deutschen Romantik: Jugendfrische und Natürlichkeit. Mag er da und dort fremde Elemente in seine Musik aufgenommen haben, die beiden Grundzüge seiner Persönlichkeit, der Mystiker und der Wahrheitssucher, sind echt deutsch, und so mag denn auch von ihm Heinrich von Treitschkes Wort über Gottfried Keller gelten: „Jeder Mann, in dem wir eine gute Seite deutschen Wesens erkennen, ist eine Freude“.



Scherzo aus der F-moll-Sonate (op. 14) von Robert Schumann.

Verkleinerung des Original-Manuskriptes, im Besitze der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.

Robert Schumann

Подняться наверх