Читать книгу Von der Kunst Bäume zu pflanzen - Hermine Hackl - Страница 6
VORWORT
ОглавлениеAn jenem Tag, als ich zur sicheren Erkenntnis gekommen war, dass es absolut unmöglich ist, das Thema Nachhaltigkeit vollständig zu erfassen, habe ich mich hingesetzt und angefangen, dieses Buch zu schreiben. Seit vielen Jahren werde ich von diesem Thema regelrecht verfolgt. Ständig schwanke ich zwischen Ärger und blanker Verblüffung, wenn es um die Verwendung dieses Wortes geht. Nachhaltigkeit ist wohl eines der meist gebrauchten, vielleicht sogar am meisten missbrauchten Begriffe unserer Zeit geworden. Manchmal empfinde ich es sogar als Geburt – besser Missgeburt – einer Gutmenschen-Generation, die nicht einmal in Ansätzen dazu bereit scheint, sich mit den Wurzeln dieser genialen Lebenshaltung auseinanderzusetzen.
Ja, Nachhaltigkeit ist eine Lebenshaltung, ein gesellschaftspolitisches Prinzip, das dazu angetan wäre, diese Welt auf allen Ebenen um so vieles besser zu machen. Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist definitiv zu schade dafür, als einlullendes Modewort an den Pranger der Eitelkeiten gestellt zu werden. Es gibt Unternehmen, die sich eigene Nachhaltigkeitsbeauftragte oder sogar ganze Nachhaltigkeitsabteilungen leisten. Dagegen ist absolut nichts einzuwenden. Doch dabei darf es nicht bleiben. Denn Nachhaltigkeit darf nicht nur laut schreiend zu Markte getragen werden. Nachhaltigkeit geht uns alle an. Jeden einzelnen von uns. Sie kann nur gelingen, wenn wir alle – jeder in seiner aktuellen Lebenssituation – unseren konkreten Beitrag leisten. Gleichzeitig ist kaum jemand von uns in der Lage, Nachhaltigkeit in jeder Faser zu erklären. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass Nachhaltigkeit mehr „getan“ als „besprochen“ werden muss, dass wir sie sogar „spüren“ können müssen. Intellektuelle Spiele sind zu wenig, das Festklammern an Facts and Figures führt in eine Sackgasse. Das Erfassen und Beschreiben von Fakten ist ein wichtiger Schritt. Es schärft das Bewusstsein für dieses sagenhaft geniale Prinzip, aber das ist nur ein erster Schritt.
Dieses kleine Buch soll dazu beitragen, das Prinzip der Nachhaltigkeit aus der Kopflastigkeit zu befreien und – mit einem freundlichen Augenzwinkern – zu einer wahren Herzensangelegenheit zu machen. Nachhaltigkeit ist ein leises Prinzip. Es will gelebt und nicht in die Welt hinausgebrüllt werden. Nachhaltigkeit braucht ein hohes Maß an Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit – zu sich selber und zu den anderen, eine ruhige, besonnene Innenschau. Es verlangt eine flexible Zukunftsorientiertheit und die Bereitschaft, sich selber und seine Bedürfnisse zurückzunehmen. Denn Nachhaltigkeit ist ein zutiefst unegoistisches Prinzip – ohne zu verlangen, seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche gänzlich hintanzuhalten.
Ein Leben, ein Werk, ein Projekt kann dann als gelungen bezeichnet werden, wenn Ökologie, Ökonomie, Soziales und auch Kulturelles miteinander im Einklang stehen. Alle diese Säulen haben ihre Berechtigung, keine darf sich prahlerisch in den Vordergrund drängen. Deshalb gilt auch für die Nachhaltigkeit: Nur wenn alle vier Säulen einer Halle gleich stark und gleich hoch sind, kann das Dach darauf vertrauen, nicht eines Tages einzubrechen. Je mehr Säulen ein Dach tragen, umso stabiler ist die Konstruktion. Dieses Bild kann auch auf die Natur und überhaupt auf alle Bereiche des Lebens umgelegt werden. Ein Ökosystem, das sich auf viele Arten stützen kann, wird bei weitem stabiler sein als Monokulturen. Wer viele gute Freunde hat, wird in schweren Zeiten leichter eine Schulter zum Verweilen finden. Wer sein Vermögen auf unterschiedliche Bereiche aufgeteilt hat, wird einer wirtschaftlichen Krise eher trotzen. Nicht Eintönigkeit und Monotonie sind gefragt, sondern gelebte Vielfalt: im Tun, im Denken, im Handeln.
Liebe Leserin, lieber Leser, vielleicht ist Nachhaltigkeit ja jenes Lebensprinzip, das dazu angetan ist, diese Welt zu retten – falls das einmal nötig ist. Dafür notwendig ist allerdings, dass wir eher gestern als morgen alle damit anfangen und zwar nicht beim jeweils anderen, sondern ausschließlich jeder bei sich selbst. Dabei dürfen wir nicht die ganz normale Bodenhaftung verlieren. Mit bunter Sozialromantik kommen wir auch nicht weiter. Es geht darum, selber „anzupacken“, Eigen-Verantwortung und Verantwortung für unser Gegenüber zu übernehmen und nicht auf andere abzuschieben. Es geht darum, Mut zu beweisen und Mut zu spenden. In erster Linie geht es darum, sich selber zu hinterfragen. Auch ich tue das.
Die Kapitel in diesem Buch sollen Menschen vor den Vorhang holen, die diese Herausforderung bereits angenommen und damit Erfolg haben. Vielleicht sind sie sich gar nicht bewusst, dass sie einen wertvollen Beitrag zu gelebter Nachhaltigkeit geleistet haben, und vielleicht ist es ihnen auch egal, das zu erfahren. Sie sind einfach glücklich und haben andere glücklich gemacht. Jeder einzelne von ihnen ist aber auch der lebende Beweis dafür, dass es jedem Menschen in so gut wie jeder Lebenssituation mit dem entsprechenden Willen möglich ist, seinen ganz persönlichen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit zu leisten. Deswegen finden sich in diesem Buch auch Menschen aus allen Alters-, Bildungs- und Gesellschaftsschichten. Da spricht ein katholischer Priester genauso zu uns wie eine Bäuerin, wir begegnen einem Fischmeister aus dem Waldviertel wie auch einem Fürst aus uraltem Adelsgeschlecht, selbst Politiker kommen zu Wort, die ihre ganz eigenen Wege gegangen sind, und Menschen, die sich sozialen Diensten verschrieben haben und neue, mutige und innovative Wege gegangen sind. Aber auch die Lebensgeschichten und Ideen historischer Persönlichkeiten wie dem „Retter des Wienerwaldes“, Josef Schöffel, oder dem „Erfinder der Nachhaltigkeit“, Carl von Carlowitz, werden unter die Lupe genommen und auf die Nachhaltigkeit ihrer Aktivitäten abgeklopft. Die Auswahl der Lebensgeschichten beruht auf ganz subjektiven Kriterien. Basis dafür waren persönliche Begegnungen, Gespräche und Beobachtungen. Die grundlegenden „Nachhaltigkeits-Erkenntnisse“ aus diesen Gesprächen finden sich zusammengefasst im Anschluss an die Menschenbilder.
Die Seiten in diesem Buch bieten Gedanken und Anregungen und erheben keinen Anspruch auf die letztgültige Wahrheit. Zur Nachhaltigkeit gehört wohl auch, Fragen zu stellen, die andere beantworten, und Wege zu eröffnen, die andere zu Ende gehen. Einen großen Wunsch aber habe ich schon: Mögen die Überlegungen und Lebensgeschichten in diesem Buch dazu beitragen, den etwas erstarrten Begriff Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln und mit Leben zu füllen. Nachhaltigkeit ist mir ein Herzensanliegen, und das möge sie auch für andere werden.
Hermine Hackl