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AUF FISCHFANG MIT
FRANZ HECHINGER
Nachhaltigkeit = Den Dingen
ihre Zeit geben

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Es gibt Menschen auf dieser Erde, die haben offenbar absolut keine Feinde, nicht einmal ernstliche Kritiker. Niemand scheint ihnen etwas zu missgönnen, überall sind sie beliebt, obwohl sie Ecken und Kanten haben und mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten. Wenn sie erscheinen, zaubert das allen Anwesenden ein Lächeln auf die Lippen, und jene, die eigentlich schon längst gehen wollten, bleiben ihretwegen noch ein bisschen länger.

Ich brüste mich damit, das Privileg zu besitzen, einen solchen Menschen zu kennen. Nicht nur seine Freunde nennen ihn Hecht, denn er ist Fischmeister im Waldviertel. Ein Schelm ist, wer bei „Hecht“ an etwas Schelmisches denkt. Hecht ist einfach die Abkürzung für den Familiennamen Hechinger. Wie passend und stimmig hier der Volksmund abkürzt! Hecht für Hechinger. Nomen est omen, wie der Lateiner sagt, das Wort steht für die Bestimmung. Für die meisten aber ist er einfach Franz, für einige auch „Freund Franz“. Wie er zu diesem Kosenamen kam, ist eine eigene, im wahrsten Sinne des Wortes filmreife Geschichte, die mit einer Sendung zu tun hat, in der Bauern Frauen suchen. Aber die Details dazu bleiben hier unser Geheimnis. Und es ist schon wieder alles anders, als Sie jetzt vielleicht gedacht haben.

Vielleicht haben Sie auch schon gedacht, das ist ein ganz schön bunter Vogel, dieser Fischmeister, und offenbar ist das Leben eines Fischmeisters doch aufregender, als wir zunächst vermuten würden. Ja, so ist es. Freund Franz hat sich lange geweigert, sich an ein Mobiltelefon zu gewöhnen. Jetzt aber ist es sein verlässlichster Begleiter, und es klingelt ohne Unterlass. Jeder Generaldirektor könnte vor Neid erblassen. Freund Franz ist auch gelernter Zimmermann. Seine Expertise zu allen Holzarbeiten ist gefragt, an den Bootsanlegestellen am Stausee, in den Volairen bei den Greifvögeln, draußen im Wald beim Bau der Hochstände für die Jagd. In der Fischkammer warten Kunden. Nein, nur der Fischmeister persönlich kann den Festtagskarpfen schröpfen. Nebenbei rennt der Schmäh. Die Fischliebhaber kommen nächste Woche sicher in Begleitung wieder.

Der Wirtschaftsdirektor ruft an. Für den alten, historischen Getreidespeicher ist eine neue Nutzung angedacht. Ein Sozialprojekt soll hier untergebracht werden. Eine Abordnung des Denkmalamtes ist angereist. Sie soll den Umbau fachlich begleiten. Die Kosten sind plötzlich eine unüberbrückbare Hürde. Das Sozialprojekt steht vor dem Scheitern, der Umbau insgesamt rückt in weite Ferne. Freund Franz, der die ganze Zeit bescheiden und wortlos im Hintergrund geblieben ist, legt mit wenigen unaufgeregten Worten eine kostengünstige, ressourcenschonende und alle seligmachende Lösung auf den Tisch, an die bis jetzt noch niemand gedacht hatte. Die zahlreich angereisten Experten hängen plötzlich an seinen Lippen. So etwas haben sie noch nie gehört. Ungewöhnlich dieser Vorschlag, aber absolut denkbar. Und der Wirtschaftsdirektor hält alles für finanzierbar. Alle sind glücklich und gehen miteinander auf ein Bier.

Freund Franz hat kein Verständnis für lautstarke, emotionsgeladene Auseinandersetzungen. „Das ist lediglich Vergeudung von Zeit und Nerven. Beides sind zu kostbare Ressourcen, die man besser und zielgerichteter einsetzen kann“, meint er in ruhigem und überzeugendem Ton.

Die Teiche des Waldviertels haben Franz Hechinger zu einem Philosophen mit bemerkenswerter Bodenhaftung gemacht. Was wie ein Widerspruch klingt, ist einfach gelebte Nachhaltigkeit mit Köpfchen. Beispiele gefällig? Die vielen Autofahrten im riesigen Forstbetrieb werden sorgsam geplant, um möglichst vieles „im Vorbeifahren“ zu erledigen. Umwege sind in diesem Fall energetische Irrwege. Mitdenken ist gefragt. „Zuerst denken, dann fahren“, bringt es Franz Hechinger auf den Punkt.

Das Auto von Franz Hechinger hat weder eine Klimaanlage noch eine Sitzheizung, und während des Tages und bei gutem Wetter fährt er ohne Licht. Alles andere ist in seinen Augen blanke Vergeudung. Er rechnet vor, wie viel wir sparen würden, wenn alle auf solche „Details“ verzichteten. Im trauten Heim werden Geschirrspüler und Waschmaschine nur angeworfen, wenn sie optimal und bis obenhin gut gefüllt sind. Darauf achtet der begeisterte Hausmann persönlich. Was bei anderen spießig und kleinlich klingt, kommt hier mit dem Brustton der Überzeugung und verbreitet Freude. Die Freunde und Kollegen werden sanft, aber doch bestimmt zur Mülltrennung motiviert. Franz Hechinger rechnet vor, wie viel Energie durch die Wiederverwendung wertvoller Stoffe gespart werden könnte und wie viel an CO2-Ausstoß weniger das bedeuten würde. Ich habe mir die Zahlen nicht gemerkt, aber ich gelobe hoch und heilig, nie mehr wieder an der Mülltrennung zu zweifeln.

Als ein wichtiger Aspekt von Nachhaltigkeit spielt im Gespräch mit Freund Franz der Faktor Zeit eine immer und immer wiederkehrende und vielfältige Rolle. Das beginnt schon damit, dass Franz Hechinger vor 20 Jahren seine Uhr abgelegt und sie bis heute nicht mehr aktiviert hat. Zeit hat im Leben von Franz Hechinger eine andere Dimension als für Sie und für mich. Daran musste sich auch seine Umgebung gnadenlos gewöhnen und hat gelernt, damit umzugehen. Konkrete Termine mit ihm auszumachen, ist ein eher nutzloses Unterfangen. Was ist schon Zeit!? Zeit ist ausschließlich das, was die Natur vorgibt. Die Fische sind nicht nach ein, zwei, drei oder vier Jahren verkaufsfertig, sondern schlicht dann, wenn sie groß genug sind, um eine ausreichende Portion zu ergeben. Gemüse wird dann geerntet, wenn es schön reif und knackig ist, und nicht, wenn es ein möglicher Speiseplan vorgibt.

Früher wurden Bäume nach den Mondphasen geschlägert. Von den positiven Eigenschaften dieses Holzes haben Generationen profitiert. Heute wird dann geerntet, wenn die Sägewerke nach Auslastung schreien. Also quasi das ganze Jahr. Früher wurden die Bäume gleich im Wald entastet, entrindet und bearbeitet. Heute werden sie aus dem Wald zu Verarbeitungsstätten und dann erst zur Endbestimmungsstelle gebracht. Das kostet Zeit, Geld und Energie und manchmal auch Nerven.

Eine weitere „Zeiterkenntnis“, die ich unserem Protagonisten zu verdanken habe: Im Spätherbst gibt es jedes Jahr ein großes Abfischfest im Betrieb. Dann kommen hunderte Menschen, um dem „Kochen der Teiche“ beizuwohnen und frisch aus den Teichen die Karpfen zu verkosten. Da müssen alle mitanpacken. Die gastronomische Laientruppe aus Holzarbeitern, Forstfrauen, Sekretärinnen und Hausfreunden geben ihr absolut Bestes. Trotzdem kann nicht jeder der Anwesenden promptest bedient werden. Franz Hechinger versteht nicht, warum manche Gäste wutentbrannt und hungergrantig das Fest verlassen, wenn ihr Hunger nicht augenblicklich gestillt wird. Man könnte die Zeit ja nutzen, um sich mit den anderen zu unterhalten, einen Spaziergang unternehmen oder den Eisblumen beim Wachsen zuschauen. Ich zum Beispiel habe meinen Fisch voriges Jahr nach Stunden serviert bekommen. In dieser Zeit habe ich mit dem Bezirkshauptmann und seiner lieben Frau die Welt neu geordnet, mit einem kritischen Geist aus dem Nachbardorf Freundschaft geschlossen, der örtlichen Regionalzeitung ein Interview gegeben, eine neue Biersorte kennengelernt, vier alte Freunde wiedergetroffen und mit ihnen Wiedersehenstermine vereinbart und die Idee für dieses Buch mit dem örtlichen Freigeist gewälzt. Last but not least habe ich mich in Geduld geübt und diese Übung perfektioniert. Ohne diese Stunden wäre mein Leben wesentlich ärmer. Abgesehen davon, hat sich das Warten auch kulinarisch mehr als gelohnt. Der nach Stunden servierte serbische Karpfen war der beste Fisch, den ich jemals in meinem Leben gegessen habe. Bedauern muss ich heute noch jene Kreaturen, die bereits nach kurzer Wartezeit w. o. gegeben haben.

Den Dingen nicht die Zeit zu geben, die sie brauchen, ist wider die Natur. Und für so etwas Unnatürliches ist Franz Hechinger nicht zu haben. Bio ist seine Maxime. Alles darf in seinem Garten wachsen, wie es gerade lustig ist, ohne Chemie und ohne Blick auf die Uhr.

Das Gemüse braucht seine Zeit, der Wald braucht seine Zeit, die Fische brauchen ihre Zeit, der Mensch braucht seine Zeit. Das Erkennen und die Erkenntnis brauchen ihre Zeit. Die Schönheit der Natur zu erkennen, braucht viele ruhige und einsame Bootsfahrten über die Teiche und viele Urlaube am immer gleichen Campingplatz. Der einzige Hotelurlaub im Leben von Franz Hechinger ist kläglich gescheitert. Zu anonym, zu weit weg von Wind und Wetter. „Es ist schön, im Leben etwas schaffen zu können, etwas zu bauen, ein Ergebnis zu sehen“, resümiert er. Geld verdienen ist gut, aber keine Antriebsfeder. Geld ist Mittel zum Zweck. Aber Geldvergeudung ist auch Vergeudung und irgendwie unverständlich. Keine Anstrengung macht Sinn, wenn der Benefit daraus dann sinnlos vergeudet wird. Sinn und Sinnhaftigkeit spielen eine große Rolle. So stellt Hechinger etwa die Sinnhaftigkeit kirchlicher und anderer Feiertage in Frage, wenn sie nur dazu dienen, die Anzahl der bezahlten Urlaubstage und den Freizeitstress zu vermehren. Da ist es doch besser, man geht seiner geliebten Arbeit nach, meint Freund Franz.

Selbst im Leben des gelassenen und besonnenen Franz Hechinger gibt es Ereignisse, die nicht nur sein Unverständnis, sondern sogar seinen Zorn provozieren. Hier ein Beispiel dafür: Bis in die 1990er Jahre gab es im Waldviertel Pelztierfarmen, in denen Minks gehalten wurden. Diese putzigen kleinen Nerztiere sollten zu Mänteln verarbeitet werden. Das rief Tierschützer auf den Plan, die wahrscheinlich in bester Absicht in einer Nacht- und Nebelaktion die Tiere freiließen. Minks sind ausgesprochene Fischliebhaber und überaus flinke Räuber, die seit jener Stunde mit Begeisterung die umliegenden Teiche plündern. Die Teichufer sind übersät mit totgebissenen Karpfen. Der wirtschaftliche Schaden ist enorm, die Natur bis auf Weiteres geschädigt, das ökologische Gleichgewicht aus dem Lot gekommen, da die Tiere in der Region keine natürlichen Feinde haben und sich ungestört vermehren können. Und die Jagd auf diese Tiere wäre nur mit unlauteren Mitteln möglich. Zusammengefasst: gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.

Dieses Beispiel führt deutlich vor Augen, dass alles, was wir tun, Wirkung hat und dass auch eine noch so gut gemeinte Aktion katastrophale Folgen haben kann. Hat das vielleicht mit einer ganz besonderen Form von Egoismus zu tun, die um sich greift? Die chronische Ich-Bezogenheit unserer Zeit hat zur Folge, dass sich ein Teil der Menschheit selbstüberschätzend als „Experten für eh alles“ betrachtet und durch unbedachte und unqualifizierte Einflussnahme Schaden anrichtet. Diese Menschen sind in der Regel leicht zu mobilisieren und werden – im Extremfall – missbraucht, ohne dass sie es ernstlich wahrnehmen. Ein anderer Teil der Menschheit hingegen frönt dem Egoismus der Art „mir ist eh alles wurscht“ und schaut aus Bequemlichkeit in entscheidenden Momenten gerne weg. Warum diese Betrachtung zum Egoismus hier Erwähnung findet? Weil das auch mit Nachhaltigkeit zu tun hat und weil selbst ein Mensch wie Franz Hechinger bei diesem Thema an seine persönlichen, emotionalen Grenzen stößt. Und das sollte uns zu denken geben.


Foto: Gabriele Moser

Zur Person: FRANZ HECHINGER ist gelernter Zimmermann und wirkt als Fischmeister im Forstamt Ottenstein. Privat ist er Philosoph mit Bodenhaftung und überall gern gesehener Geschäfts- und Gesprächspartner.

Von der Kunst Bäume zu pflanzen

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