Читать книгу Alles, was ich wollte, war Freiheit - Hertha Kratzer - Страница 18
EMIGRATION UND WIDERSTAND
ОглавлениеSchon vor diesen Ereignissen hatte Tilla ihren Mann wiederholt gedrängt, sich um die Ausreise nach Amerika zu kümmern, doch Katzenellenbogen hatte sich stets dagegen gesträubt. Nun sind Visa für die Vereinigten Staaten nicht mehr zu bekommen, aber Estella Katzenellenbogen, Ludwigs erste Frau, hatte für das Ehepaar die Ausreise nach Kuba vorbereitet, da von dort die Einreise in die Staaten leichter war. Um die dafür nötigen Visa für Griechenland, die Türkei und England zu bekommen, fährt das Ehepaar nach Belgrad. Ein Spießrutenlauf beginnt: „(…) aber für das englische Visum war das türkische erforderlich, die Türken wiederum wollten erst das englische sehen, die Griechen beide.“45 Schließlich erteilt das türkische Konsulat die Visa, aber nicht das griechische. Da mittlerweile auch in Jugoslawien der Einmarsch der Deutschen droht, flüchtet das Paar nach Skopje, 250 Kilometer südlich von Belgrad. Nach bangem Warten kommt endlich die Nachricht, die Visa wären erteilt. Mit Ludwigs und ihrem Pass im Gepäck fährt Tilla nach Belgrad und hofft, nach zwei Tagen wieder zurück bei ihrem Mann zu sein. Sie wird ihn nie mehr wiedersehen.
Am Tag nach ihrer Ankunft in Belgrad wird die Stadt bombardiert. Das Konsulat wird getroffen, das Hotel, in dem sie abgestiegen ist, steht in Flammen, in ganz Belgrad herrscht Chaos. Zu Fuß gelangt Tilla nach einer vorübergehenden Festnahme, da man sie der Spionage verdächtigt, nach Velinka Plana in Serbien, wo ein serbischer Bauer sie aufnimmt. Von dort fährt sie mit dem Zug zurück nach Belgrad und trifft auf dem türkischen Konsulat einen Bekannten, den ehemaligen türkischen Konsul in Zagreb, Milan Maríc. Er verschafft ihr die erforderlichen Dokumente, sie fährt damit zu Zlata Lubienski in das bereits von den Deutschen besetzte Zagreb. Ludwig Katzenellenbogen hatte inzwischen versucht, nach Saloniki zu fliehen, wurde auf der Flucht verhaftet und nach Berlin verschleppt. Er stirbt 1944 im Jüdischen Krankenhaus in Berlin.
In Zagreb schließt sich Tilla der Untergrundbewegung an. Das Haus, das sie mit Zlata bewohnt, wird wie der umgebende Garten zu einem geheimen Zentrum, von dem aus die im Wald versteckten Partisanen mit Informationen, Medikamenten und Nahrungsmitteln versorgt werden. Tilla werden Namenslisten von Kindern anvertraut, die aufgrund einer von der faschistischen Ustascha gemeinsam mit den Deutschen durchgeführten „Säuberungsaktion“ von ihren Eltern getrennt wurden, um zwangsadoptiert zu werden. Diese Listen und andere Informationen werden in Flaschen überbracht, die sie im Garten vergräbt. Sie betreibt nämlich zur Tarnung, und auch um Fleisch zu bekommen, eine Kaninchenzucht und kann sich auf diese Weise mehrere Stunden im Garten aufhalten, ohne dass jemand Verdacht schöpft. Nach dem Krieg werden mithilfe dieser Geheimaktion Tausende Kinder ihre Eltern wiederfinden. Tilla Durieux bleibt in dem nach Ende des Zweiten Weltkriegs neu gegründeten Staat Jugoslawien und nimmt die jugoslawische Staatsbürgerschaft an. Ihren Lebensunterhalt verdient sie mit dem Nähen von Kostümen für ein Puppentheater in Zagreb.
„Wir führten Märchen und Volkssagen auf. Vor einer ,Premiere‘ saß ich oft bis tief in die Nacht hinein, um alles fertigzubringen. Da waren alle Arten von Tieren zu machen, dazu Räuber, Ritter, Prinzen, Bauern und alles, was zum Märchen-Ensemble gehört. Ich bemühte mich, stilgerechte Kostüme der jeweiligen Zeit anzufertigen, hatte daran meinen Spaß und schöpfte aus meinen Kenntnissen.“46
Berlin scheint aus ihren Gedanken genauso verdrängt zu sein wie ihr früheres Leben als Schauspielerin. „An das richtige Theater konnte ich nicht denken, und ich wollte es auch nicht, denn ich dachte, diese Zeit meines Lebens sei abgeschlossen.“47
Man hatte die Schauspielerin aber nicht vergessen. Eine Agentur wird auf sie aufmerksam und am 30. September 1952 feiert die Durieux in Berlin ihr Bühnencomeback. Als Anath steht sie mit Ernst Deutsch in dem Schauspiel „Der Erstgeborene“ von Christopher Fry auf der Bühne. 1953 folgen weitere Rollen. Sie pendelt zwischen Berlin und Zagreb und schreibt ihre Memoiren. Sie werden unter dem Titel „Eine Tür steht offen“ 1954 in Berlin im Verlag Herbig veröffentlicht und erreichen mehrere Auflagen. Der Regisseur Helmut Käutner begegnet der Durieux, als er sich zur Vorbereitung für seinen Film „Die letzte Brücke“ in Jugoslawien aufhält. Er kann sie für die Rolle der Mutter eines Partisanen gewinnen, der im Widerstandskampf ums Leben kommt. Neben ihr spielen Bernhard Wicki und die damals noch relativ unbekannte Maria Schell. 1955, im Alter von fünfundsiebzig Jahren, kehrt Tilla Durieux endgültig nach Berlin zurück.
„In Wien kam mein Körper zur Welt, an einem Tag, wo mit Kanonen und Glockenschlag der 50. Geburtstag des Kaisers Franz Joseph gefeiert wurde. Berlin gab mir das geistige Erwachen. Wien schenkte mir die Heiterkeit, Berlin Ausdauer und eisernes Wollen.“48