Читать книгу ... so antworte mit Ja - Herwig Riepl - Страница 12
ОглавлениеWelches Glas nimmt man zuerst?
Die Chefin blickt ihre Kollegen an und seufzt. » Tut mir leid, ich habe mir nach dem gestrigen wunderbaren Abend im Lokal auch einen ruhigeren und angenehmeren Sonntag gewünscht. Es soll nicht sein. Noch wissen wir nichts, aber es sieht wohl danach aus, dass die Frau keines natürlichen Todes gestorben ist. Ich bin sicher, unser Mediziner-Ösi wird uns schnell aufklären können.«
»Wo war jetzt wirklich die Braut?«, fragt Miriam nach, da sie ja noch nichts von der Dramatik mitbekommen hat.
»Die hat eine filmreife Szene inszeniert, die sicher jemand auf Video aufgenommen hat. Ihr werdet euch bestimmt amüsieren«, informiert Erik die Kollegen.
»Das ist nicht lustig!«, fährt ihn die Chefin scharf an.
»Für den Bräutigam sicher nicht, aber ich fand es als eine starke Einlage. So etwas habe ich noch nie gesehen und wird mir sicher lange in Erinnerung bleiben. Außerdem muss es ja in ihr ganz heftig gebrodelt haben! Sich in einem weißen Brautkleid zu präsentieren, so zu tun als wäre alles in Ordnung, mit dem geschmückten Auto vor die Kirche zu fahren und dann ganz galant zwischen den Hochzeitsgästen durchzuschreiten, um kurz darauf die Bombe platzen zu lassen und den Bräutigam vor allen Leuten zur Sau zu machen, … das muss man auch können und sich trauen«, grinst der Däne.
Die Hauptkommissarin hebt bedauernd die Augenbrauen und ist natürlich nicht begeistert von der Darstellung, auch wenn sie der Wahrheit entspricht.
»Irgendetwas muss letzte Nacht vorgefallen sein. Sie war gestern Abend noch so positiv. Ich verstehe das auch nicht«, seufzt Andrea bedauernd.
»Wieso, was wirft sie ihm vor?«, will der 2er wissen.
»Na was wohl?«, meint Erik und macht dazu eine Handbewegung, die eigentlich zum 2er passen würde.
»Am Junggesellenabend nochmals auswärts vögeln muss doch drin sein«, sagt der 2er schließlich lachend. »Das ist ja der Grund des Abschieds, sonst kann man ja gleich mit der Verlobten zusammen feiern!«
»Würdest du das auch sagen, wenn es umgekehrt ist und dich betrifft?«, mosert die Fallanalytikerin ihn verächtlich an.
»Ich würde sicher keinen Aufstand machen!« … »Sagt jemand, der nicht einmal eine Freundin hat«, unterbricht ihn Miriam leicht verärgert. »Sollte ich es in diesem Leben noch erleben, dass du einmal heiratest, werde ich dich daran erinnern und deine Zukünftige danach fragen.«
»Lassen wir das Thema«, beendet Andrea die Diskussion, da ihr Mobil-Telefon zu brummen beginnt. »Ja, … sehr gut, wir kommen sofort!«, sagt sie. »Wenigstens auf unseren Klagenfurter Gerichtsmediziner ist Verlass. Er hat Neuigkeiten für uns. Erik … kommst du mit oder willst du an dem Junggesellenbumstratsch weiter mit rumlästern?«
»Ich muss … äh, es hat sich ausgebumst, meine Chefin ruft«, sagt er achselzuckend zwinkernd zu seinen Kollegen, steht auf und geht mit.
»Findest du das richtig, Stunden vor dem Ja-Wort noch fremd zu gehen? Würden wir heiraten, wäre das in Ordnung für dich, wenn ich es mache?«, fragt Andrea verwundert.
»Die Frage stellt sich bei dir aber nicht. Du liebst mich doch habe ich gestern gleich von zwei Personen gehört und würdest so etwas nie machen«, meint Erik.
»Das glaubst aber auch nur du, dass ich dich liebe«, sagt sie, worauf er seine Kollegin in den Arm nimmt und ganz zärtlich und innig küsst. »Das hat trotzdem nichts zu sagen«, sagt sie leicht atemlos und geht vorne weg.
Schon drei Türen vor dem Sektionsraum hören die Ermittler laute Musik. Als sie die Türe öffnen, dröhnt Wolfgang Amadeus Mozart entgegen. Der blonde Mediziner summt dazu, während er raucht und in der anderen Hand eine Kaffeetasse hält. Vor ihm liegt die abgedeckte Leiche der Frau, zwischen ihrer Brust steht ein Aschenbecher.
»Salzburger Musik von einem Kärntner?«, fragt Erik als sie eintreten.
»Då sigst wieda, wia International i bin. Serenade Nr. 13 für Streicher in G-Dur. Besser bekannt unter dem Namen ›Eine kleine Nachtmusik‹, falls dir das was sagt?«
»Ganz hinter dem Mond lebe ich auch nicht. Da kennt sich aber jemand aus! Und … was macht der Wörthersee?«, fragt der Kommissar.
»24 Grad und Trinkwasserqualität« … »Du meinst eher 2,4 Grad … unter den Eisplatten. Bei euch hat die Schafskälte fast nochmals Schnee gebracht«, unterbricht Andrea belustigt. »Aber bitte … decke die Frau jetzt zu und nimm den Aschenbecher von ihrem Kavalergang.«
»Erinnats mi bloß net an des Wetter bei uns daham«, sagt Herwig nicht sehr über den fast Wintereinbruch zum Sommerbeginn in der Alpenrepublik begeistert, nimmt den Aschenbecher und deckt die Leiche zu. »Also … für unseren Ausländer zum Mitschreiben und zur vereinfachten Verständigung in deutscher Sprache: Die Frau wurde ermordet. Sie hat mit dem Sekt einen Giftcocktail getrunken, der hoch konzentriert und stark gewesen ist. Um was es sich genau handelt, muss ich erst analysieren aber das finde ich auch noch raus. Zumindest wisst ihr jetzt, dass ihr einen Täter suchen müsst.«
»Oder eine Täterin!«, ergänzt Andrea.
»Natürlich meine Gute! Giftmord ist doch euer Spezialgebiet, da können wir Männer nicht mithalten, aber das müsst ihr selbst rausfinden. Ich würde es sowieso ganz anders machen«, sagt der Mediziner.
»Wie meinst du das?«
»Na ja, wenn ich jemanden loswerden will, vergifte ich die Person so langsam, dass niemand an einen Giftmord denkt und ich niemals verdächtigt werden würde. Das nennt dann der Hausarzt ganz normales Herzversagen, versteht ihr? Die Aufnahme über die Nahrung oder ein Getränk, aber über eine recht lange Periode. Oder über die Zahnpasta, so etwas in der Art. Im heutigen Fall hatte es der Täter oder die Täterin aber sehr eilig und wollte einfach sicher gehen, obwohl sich dadurch die Person in eigene Gefahr begibt. Was aber wohl auch bedeutet, es muss sehr viel Hass vorhanden gewesen sein«, sagt er aus seinem Bauchgefühl raus.
»Oje, da magst du recht haben«, meint Andrea. »Bleibt die Frage, ob es überhaupt ihr gegolten hat und die anderen Gläser auch vergiftet waren?«
»Der Österreicher grinst: »Ein bisschen Arbeit solltet ihr schon auch haben« … »ein bisschen klingt gut«, unterbricht die Kommissarin seufzend. »Bei etwa 60 Hochzeitsgästen!«
»Sag was war das vorher. Kavalergang? Was soll das sein oder bist du jetzt unter die Mediziner gegangen und erforschst in der Anatomie in neue Richtungen?«, fragt der Mediziner.
Darauf wird er von Andrea aufgeklärt und schmunzelt dazu. Dann singt der Mediziner ›ein letztes Glas Sekt‹ wobei Erik fragt, von wem das Lied ist. »Das ist von dem attraktiven blonden 33 Jahre alten Herwig Huber aus Klagenfurt am Wörthersee«, meint er kichernd, während sich die zwei Hauptkommissare erheben und zum Abschied lächelnd winken.
»Das ist schon ein lustiger Spaßvogel, hübsch, nett und auch sehr sympathisch!«, gibt Andrea zu.
»Willst du mir sagen, dass er mit dem gutaussehenden und witzigen dänischen Hauptkommissar auch nur ansatzweise mithalten kann?«, fragt Erik.
»Aber ganz locker tut er das!«, antwortet die Chefin verschmitzt. »Und bemühe dich nicht, mir jetzt etwas anderes zu sagen. Lass uns noch ins Büro der kriminaltechnischen Untersuchung zu Gabi gehen. Vielleicht haben sie auch schon etwas rausgefunden?«
»Oh die Ungeduldigen kommen schon und wollen mich mit nervigen Fragen zuschütten«, meint Gabi, als sie die beiden Ermittler schon von weitem sieht.
»Falsch, ich komme nur hier her, um mit dir einen gemütlichen Sonntags-Kaffee zu trinken und dir zu sagen, wie hübsch du heute aussiehst«, korrigiert sie der Däne.
»Willst du dich bei mir einschleimen oder lässt dich Andrea nicht mehr ran?«, fragt die Spusi-Chefin.
»Na toll, da ist man höflich und galant und bekommt so eine Antwort«, seufzt Erik.
»Fingerabdrücke haben wir mehrere an den Gläsern und Flaschen festgestellt. Wir haben dies bereits an Mike weiter geleitet. Vielleicht müsst ihr von allen Gästen einen Fingerabdruck nehmen? Was aber für euch jetzt wichtiger ist, nur in dem leer getrunkenem Glas war Gift. Die anderen drei gefüllten Sektgläser sind in Ordnung. Wie es mit den sichergestellten Sektflaschen aussieht, kann ich noch nicht sagen. Soweit sind wir noch nicht.«
»Vielen Dank Gabi! Das hilft uns trotzdem schon sehr weiter«, sagt die Kommissarin.
»Was machst du heute Abend, liebe gutaussehende Gabi?«, fragt Erik.
»Das kann dir egal sein, da wir heute einen langen Arbeitstag vor uns haben«, sagt seine Chefin. »Du kannst also das Schleimen sein lassen.«
Gabi schmunzelt und meint: »Mein Freund kommt zu mir« und wirft dem Kommissar kichernd ein Küsschen zum Abschied zu.
»Wir haben jetzt Gewissheit. Es handelt sich um einen Giftmord«, beginnt die Chefin im Besprechungsraum die Kollegen über die letzten Neuigkeiten zu informieren. »Das heißt, volles Programm. Unser Opfer heißt Sonja Stranger, ist 35 Jahre alt und wohnte in Tittenkofen. Ah Meier, bitte jetzt keine blöden Bemerkungen zum Dorfnamen«, sagt die Chefin noch schnell und fährt gleich fort. »Sie war die Trauzeugin von der Braut. Erika, du kümmerst dich um alle Informationen über sie. Da nur eines der vier bereitstehenden vollen Sektgläser vergiftet war, bleibt natürlich die Frage, für wen war dieses Glas wirklich bestimmt? Für die Braut Sabine Höferich oder den Bräutigam Andreas Hambichler, beide wohnhaft in Jesenwang? Oder für einen der Trauzeugen?«
»Ich befürchte, alleine diese Frage zu beantworten wird sehr schwierig werden. Die vier Gläser standen in einer Reihe. Ich habe auch ein Foto davon gemacht. Wenn ich mir die vier Personen nebeneinander vorne beim Pfarrer mit den Gläsern vorstelle, wäre das zweite Glas von links, welches vergiftet war, für die Braut gewesen. Die Freundin und Trauzeugin hätte das Glas ganz links bekommen. Ganz rechts der Trauzeuge und links vom Trauzeugen der Bräutigam. Zumindest ist diese Reihenfolge so in meiner Erinnerung«, sagt Erik.
»Das sehe ich aber ganz anders«, widerspricht Mike sehr überzeugt. »Ich gehe davon aus, dass zuerst das Brautpaar und dann erst die Trauzeugen nach den Gläsern greifen. Welches Glas nimmt man zuerst? Wenn vier Sektflöten relativ eng in einer Reihe stehen, glaube ich nicht, dass jemand ein Glas aus der Mitte nimmt, schon alleine durch die Gefahr, man könnte ein anderes Glas dabei umwerfen. Also … ich würde mich für den Sekt an der Seite entscheiden.«
»Wie nahe standen die Gläser auf dem Tablett zusammen?«, fragt Sabrina, die gar keine Polizistin ist, sich aber als Schreibkraft immer mehr zum festen Bestandteil der Mordkommission hochgearbeitet hat.
Andrea blickt zu Erik, dann meint sie: »Na ja, schon recht nahe«, und bekommt ein zustimmendes Nicken des Kollegen zu sehen.
Der Däne schaut sich schnell das Bild an und meint: »Ja, die Gläser stehen recht eng. Von der Seite ein Glas zu nehmen wäre sicher einfacher.«
»Also hat der Mordanschlag nicht der Braut gegolten, die sicher als erstes ein Glas bekommen hätte«, meint Lena.
»Du hättest sicher alle vier Gläser alleine gesoffen! Bei dir wäre es wesentlich einfacher«, meint der 2er belustigt, da er weiß, die blonde Polizeioberkommissarin kann schon ganz gut was wegschlucken.
»Bei deinem Spatzenhirn wäre es besser, du gehst lieber wieder einmal Falschparker ärgern und trägst dabei deinen Fettwanst ein bisschen spazieren«, raunzt die Blondine zurück.
»Dass die Braut als erste ein Sektglas bekommt, da gebe ich Lena ganz sicher recht«, sagt Miriam schnell, um die unsinnige Debatte zu beenden. »Aber … wo ich sicher widersprechen muss … unser Opfer hat aus dieser Sektglasreihe kein Glas am Rand gewählt, sondern aus der Mitte raus. Ihr war es egal wie eng die Gläser stehen und damit bringt die ganze Diskussion nichts mehr. Wir können alles Mögliche vermuten, aber es gibt keine Garantie und Sicherheit, welches Glas eine Person wählen würde«, befürchtet die Fallanalytikerin.
Andrea nickt. »Ich glaube, du hast recht. Wir können leider niemanden mit Sicherheit ausschließen. Es kann allen vier gegolten haben. Darum müssen wir alles in Betracht ziehen.«
»Aber wo ist die Logik des Täters? Wenn nur ein Getränk vergiftet war, wollte die Person nur einen treffen oder töten und nicht alle vier, was in dem Fall ja einfach gewesen wäre. Also war es ein gezielter Anschlag auf eine Person und nicht russisches Roulette? Aber wie sollte sich der oder die Täterin sicher sein?«, fragt Erika die Kollegen.
Niemand in der ganzen Runde hat darauf eine Antwort, was so viel heißt wie, es muss in alle Richtungen ermittelt werden.
»Wir müssen auch rausfinden, was an dem Vorwurf und der Absage der Ehe von Sabine Höferich dran ist. Da sie meine Freundin ist, die ich so lange nicht gesehen habe, möchte ich sie befragen«, meint Andrea.
»Aber nicht ich«, sagt Erik schnell. »So ganz sympathisch war sie mir nicht und ich könnte bei ihrer Erklärung einen Lachkrampf bekommen.«
»Dich wird bestimmt nie jemand heiraten«, prophezeit Andrea den Dänen. »Miriam, kommst du mit mir?«
»Bleibt die Frage, ob ich überhaupt geheiratet werden will«, kontert er. »Lena, wir fahren in die Wohnung des Opfers nach Tittenkofen und schauen uns dort um«, was sie mit einem erfreuten Augenaufschlag bejaht.
»Erika, Mike und Sabrina. Ihr sucht bitte alles zu den vier Namen raus. Und Meier´s! Ihr beide fahrt nach Hattenhofen und befragt den Trauzeugen Max Fux«, gibt die Chefin noch ihre letzte Anweisung weiter.
Darauf wird die Hauptkommissarin gleichzeitig von mehreren Augenpaaren fragend angeschaut, wozu alle ohne ein Wort zu sagen auf die Uhr zeigen.
»Mist! Entschuldigt, ich habe gedacht heute ist Montag. Tut mir leid, ein paar Stunden vom Sonntag sollten euch natürlich gegönnt sein. Die kommende Woche wird sowieso wieder lang werden. Also machen wir morgen weiter.«
Als schon alle losgehen ruft sie plötzlich: »Ups jetzt fällt mir noch etwas ein. Das Wichtigste zum Schluss. Es wurde bei der Hochzeit auch gefilmt. Zumindest habe ich einige I-Phone´s gesehen, als das Hochzeitspaar vorne am Altar vor dem Pfarrer stand. So eifrig wie mittlerweile alles fotografiert und gefilmt wird, kann ich mir vorstellen, dass auch schon viel früher manche Hochzeitsgäste einen kurzen Film gedreht haben. Vielleicht hat dabei jemand die Szene aufgenommen, wie gerade der Sekt in die vier Gläser gefüllt wurde. Das kann ja nicht so viel früher gewesen sein. Denkt also bei euren Befragungen dran, danach zu fragen. Eine Hochzeitsgästeliste besorge ich. So und damit ihr jetzt wirklich gehen könnt nur noch eines. Lassen wir die Besprechung morgen weg, damit alle gleich ihren Aufgaben nachgehen können! Ich fahre jetzt trotzdem zur Braut. Ich hoffe, dass sie noch im Haus ist und will wissen was da los war.«
»Ich würde dich gerne begleiten, da ich sowieso heute nichts mehr vor habe«, sagt Miriam, worüber die Chefin natürlich sehr erfreut ist.
Nicht weit vom kleinen Flugplatz in Jesenwang entfernt steht das große Bauernhaus von Anton und Gerlinde Hambichler. Im ersten Stock wohnt der einzige Sohn Andreas und seit einiger Zeit auch seine Verlobte Sabine Höferich und deren gemeinsamer fünfjähriger Sohn Xaver.
Andrea und die Fallanalytikerin läuten an der Haustürglocke, doch leider wird ihnen nicht geöffnet. Es steht auch kein Auto in der Hofeinfahrt, was bedeuten könnte, die Eltern und auch der versetzte Bräutigam sind noch nicht zu Hause. Da aber im 1. Stock ein geöffnetes Fenster zu sehen ist, ruft die Hauptkommissarin recht laut. »Sabine! Bist du hier! Ich bin´s Andrea. Ich muss unbedingt mit dir sprechen! Mach bitte auf!«
Einige Sekunden passiert nichts, doch dann summt plötzlich der Türöffner und die Ermittlerinnen können eintreten. Als sie im Haus stehen, hören sie ein »Hier oben« und gehen die Treppe hoch. Im Wohnzimmer finden sie die Braut auf einem Sessel sitzend vor. Auf dem Tisch vor ihr steht eine Flasche klarer Schnaps, die nur noch halb voll ist. Daneben ein Glas sowie ein übervoller Aschenbecher. Auf dem Sofa liegt ihr Brautkleid, welches mehrfach zerrissen wurde. Auch der Schleier besteht nur noch aus kleinen Stoff-Fetzen. Ein Stöckelschuh hat ihren Wutausbruch auch nicht überlebt. Ihre Augen sind verweint, die dunkle Augen-Make-up Farbe ist an beiden Wangen nach unten gelaufen. Sie selbst sitzt in einem weißen Korsett, Slip und Strümpfen bekleidet und zieht hastig an einer Zigarette.
»Sabine, es tut mir sehr leid für dich«, beginnt Andrea auf ihre alte und lange nicht mehr gesehene Freundin vorsichtig einzureden. »Wir sind aus zweierlei Gründen hier und müssen mit dir reden und ein paar Fragen stellen«, wobei die Braut verwundert aufschaut und sagt: »Was gibt es da zu reden? Ich wurde gestern Abend von Andreas betrogen und habe heute meine Entscheidung dazu getroffen, ihn nicht zu heiraten. Ist das verboten?«
»Nein, natürlich nicht! Eine Ehe einzugehen oder eben auch nicht, ist natürlich rein und alleine deine Entscheidung. Aber ich würde gerne wissen, was passiert ist. Außerdem müssen wir … das ist übrigens meine Kollegin Miriam, ah, … wir müssen dir sagen, dass deine Trauzeugin und Freundin Sonja Stranger tot ist.«
»Waaas? Wieso, was ist passiert?«, fragt sie geschockt und greift zur Flasche, um das Glas erneut zu füllen.
»Ich habe dir doch gestern gesagt, ich arbeite bei der Mordkommission in Fürstenfeldbruck. Wir gehen davon aus, dass Sonja vergiftet wurde, darum müssen wir auch mit dir sprechen«, meint Andrea bedrückt.
»Vielleicht lassen Sie das Trinken und ziehen sich was an. Sie frieren ja«, sagt die Fallanalytikerin mitfühlend.
Darauf steht Sabine auf, reißt sich auch noch die Dessous vom Leib und flucht dabei: »Diese schönen Sachen habe ich extra für die Hochzeit gekauft« und schleudert darauf die teuer aussehende Spitzenunterwäsche in die Ecke.
Die Ermittlerinnen schauen verstohlen weg, als sie ganz nackt vor ihnen steht und sind froh, dass sie kurz darauf eine Hose und Pullover findet.
»Jetzt versuche dich mal zu beruhigen und erzähle uns, was passiert ist«, wird sie von der Kommissarin aufgefordert.
»Sagt mir lieber, was mit Sonja passiert ist. Warum soll sie vergiftet worden sein?«
»Diese Frage versuchen wir selbst zu klären und hoffen, du kannst uns dabei helfen.«, erklärt ihr Andrea. »Eines der vier bereitgestandenen Sektgläser vorne am Altar wurde mit einer Substanz vergiftet.«
»Wobei wir nicht wissen, für wen dieses Glas bestimmt war«, ergänzt Miriam.
In dem Moment blickt Sabine erschrocken auf. »Ihr meint, ich sollte damit getötet werden?«
»Wir wissen es nicht. Noch nicht. Hast du Feinde, die so weit gehen würden?«, fragt Andrea.
»Nein sicher nicht … also, ich hoffe nicht.«
»Wie meinen Sie das?«, will Miriam genauer wissen.
»Na ja, gestern wollte ich meinen Mann heiraten, heute könnte ich ihn erwürgen. So schnell ändern sich Meinungen«, sagt sie recht überzeugt.
»Erzähle uns alles! Von Anfang an, damit wir einen Überblick haben.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin mit Andreas etwa sechs Jahre zusammen. Wir haben einen gemeinsamen fünfjährigen Sohn, den Xaver. Seit äh … ja, drei Jahre wohne ich hier. Leider bin ich als praktizierende Psychologin bei seinen Eltern nicht gut angesehen, da ich zu wenig am Hof arbeite und diese mich lieber jeden Tag in Gummistiefeln mit der Mistgabel sehen würden. Aber ich liebe Andreas … liebte, dieses Arschloch!«, sagt sie etwas sauer.
»Was ist geschehen?«, fragt Miriam.
»Gestern war doch dieser Junggesellenabschied. Da habe ich jemanden organisiert, die testen sollte, ob er mir treu ist. Andrea, du kennst sie ja von damals. Steffi Reininger. Sie war heute auch bei der Hochzeit dabei, vielleicht habt ihr sie gesehen. Jedenfalls hat sie mir heute früh berichtet, dass sie Andreas ins Bett bekommen hat und er unbedingt Sex wollte. Mir genügte es, was sie über meinen sauberen Verlobten zu berichten hatte«, faucht Sabine verbittert.
Die Kommissarin seufzt etwas traurig. »Weißt du von anderen Liebschaften oder hast du öfters den Verdacht gehabt, dass er fremdgegangen ist?«
»Sicher kann man sich nie sein aber nein, dafür gab es eigentlich keinen Grund. Die Magd vom Nachbarhof, Kathi Grosshauptner, meine Vorgängerin hat ihm zwar immer wieder schöne Augen gemacht und gehofft, sie kann mich verdrängen, aber ich glaube nicht, dass da was lief. Sie sind zusammen hier aufgewachsen und kennen sich natürlich schon ewig. Als wir uns in unserer Motorad-Clique näher kamen, hat er das Techtelmechtel mit ihr beendet. Ich glaube nicht, dass sie jemals richtig zusammen waren. Aber bei diesen Junggesellenabenden sagt man doch, dass so etwas öfters passiert. Ich meine, das Fremdgehen. Darum wollte ich es wissen und habe eine Treue-Testerin besorgt.«
Andrea schüttelt über diese ungewöhnliche Aktion nur leicht verwundert den Kopf, während die Fallanalytikerin darauf fragt: »Wie kommt es denn, dass Sie in Dessous gekleidet, geschminkt und im weißen Hochzeitskleid zur Kirche gefahren sind, wenn Sie Ihren Verlobten nicht heiraten wollten?«
»Ehrlich gesagt war ich mir nicht sicher, wie ich reagieren soll und werde. Nicht mal als ich in die Kirche kam und zwischen den Hochzeitsgästen nach vorne zum Altar ging, wusste ich, was ich wirklich sagen werde. Es war einfach eine spontane Aktion und ein Bauchgefühl von mir«, versucht sie die Situation zu schildern.
»Wie geht es jetzt weiter bei dir?«
»Ich ziehe noch heute von dem stinkenden Bauernhof aus, verlasse meinen betrügenden Verlobten und gehe vorerst zu meinen Eltern.«
»Überlege es dir gut. Vielleicht sollst du eine Nacht darüber schlafen. Wir werden aber sicher noch weitere Fragen haben«, sagt Andrea und drückt sie zum Abschied.
Als die Ermittlerinnen wieder im Auto sitzen, pustet Andrea langsam und etwas skeptisch die Luft aus. Dann schüttelt sie den Kopf und lässt sich für ein paar Sekunden die Befragung durch den Kopf gehen.
»Jetzt brauche ich zuerst eine Zigarette. So ganz kann ich meine alte Freundin nicht verstehen. Wie kann man ohne jeglichen Grund und Verdacht plötzlich für diesen Junggesellenabend eine Frau einschleusen, die den Bräutigam auf Treue testet? Ich finde das dreist«, sagt die Chefin.
Die Fallanalytikerin lächelt und fragt zugleich: »Das kann ich ehrlich gesagt auch nicht nachvollziehen. Würdest du es akzeptieren, wie es bei denen gelaufen ist, wenn dein Zukünftiger die Nacht davor fremdgeht?«
»Die Frage stellt sich für mich überhaupt nicht. Wenn ich sechs Jahre einen Freund habe und es überhaupt keinen Grund für Eifersucht gibt, brauche ich auch an so einem Abend keine Treue-Testerin besorgen.«
»Da gebe ich dir recht. Ich muss sogar sagen, ich habe so einen leisen Verdacht, sie wollte, dass er fremdgeht, damit sie diese Entscheidung treffen konnte. Wir sollten sie auf jeden Fall genauer beobachten und natürlich auch die Treue-Testerin befragen«, schlägt Miriam vor.
Andrea runzelt die Stirn: »Du meinst, sie hat vor der Eheschließung kalte Füße bekommen? Mist, das hat Erik vorhin schon gesagt. Ist das alles nur inszeniert?«
Die Kollegin zuckt mit den Schultern. »Wir sollten auf jeden Fall rausfinden, wer von den beiden wem einen Heiratsantrag gemacht hat.«