Читать книгу Jojo-Herz - Hilde Hagerup - Страница 5

2

Оглавление

»Du hast gesagt, hier wär kein Mensch.«

»Hab mich geirrt.«

Elisa drückte sich so dicht an die Wand unter dem Fenster, dass die, die jetzt im Wohnzimmer standen, sie wahrscheinlich auch dann nicht sehen könnten, wenn sie aus dem Fenster schauten. Sie stand ganz still da, mit aufgeschrammten Handrücken und geschlossenen Augen, konzentrierte sich auf die Stimmen aus dem Zimmer dort oben und versuchte, ihr eigenes hämmerndes Herz und ihren keuchenden Atem nicht zu beachten. Da oben redeten ein Junge und ein Mädchen miteinander. Der Junge war in ihrem Alter. Vielleicht ein wenig älter. Aber nicht älter als sechzehn. Das Mädchen war jünger, aber es war schwieriger, ihre Stimme einzuschätzen. Sie konnte zehn sein. Oder vierzehn.

»Du hast gesagt, das steht schon seit Jahren leer.«

Das war die Stimme des Mädchens.

»Hab mich geirrt.«

Das war wieder der Junge.

»Du bildest dir immer ein, du hättest so gute Ideen, Martin.«

Der Junge, der Martin hieß, redete nur in kurzen Sätzen. Als wisse er nicht genug Wörter. Als wisse er nur die Wörter, die er wirklich dringend brauchte.

»Können ja gehen.«

Ja, bitte. Bitte, geht. Elisa sagte das nicht laut. Sie dachte es nur. Bitte, geht. Geht weg. Lasst mich in Ruhe. Aber nein. Johanne hatte offenbar doch nicht so große Angst.

»Jetzt sind wir doch schon hier. Da können wir uns auch ein bisschen umsehen.«

Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt. Oben blieb es eine Weile still, während sie sich im Zimmer umschauten, und Elisa hätte gern gewusst, was sie sahen. Sie selber hatte nicht alles mitnehmen können. Nur Schlafsack und Proviant. Ob sie den Brief gefunden hatten? Cillias Brief, den Brief ihrer Großmutter. Den Brief, in dem Cillia zum ersten Mal über Bjerkebakk gelesen hatte. Hatten sie den gefunden? Lasen sie über Frida? Was war mit dem Bild des Hauses, so, wie es damals ausgesehen hatte, als Elisa noch hier wohnte? Was war noch dort oben? Fanden sie das kleine Notizbuch, in dem Elisa Dinge aufschrieb, die sie nicht vergessen wollte? Oder schlimmer noch: Brieftasche, Schülerinnenausweis, Buskarte. Hallo, hallo, ich heiße Elisa Bjerkebakk, ich bin eben vierzehn geworden und ich bin von zu Hause durchgebrannt. Ihr habt vielleicht in der Zeitung über mich gelesen? Ihr habt vielleicht in den Nachrichten über mich gehört? Das nicht? Aber das werdet ihr bestimmt bald. Und dann könnt ihr einfach die Polizei anrufen. Bitte sehr. Ich glaube, die Nummer ist 112.

»Hier ist es gar nicht schlecht.«

Das war wieder Johannes Stimme. Was machten sie? Was stellten sie da oben an?

»He, hast du das schon gesehen?«

Dann hörte sie ein Klirren, etwas schien zerbrochen zu sein. Kichern. Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt.

»Du, Martin. Und wenn die jetzt zurückkommen?«

Elisa öffnete die Augen. Riss sie weit auf. Starrte vor sich hin. Wusste plötzlich, was sie zu tun hatte. Tat es dann aber doch nicht. Nicht sofort. Weil sie etwas sah. Etwas, was sie nicht gesehen hatte, als sie gekommen war, in der Nacht, als es so dunkel gewesen war, dass sie den Weg von der Bushaltestelle bis hierher mit der Taschenlampe hatte suchen müssen. Jetzt sah Elisa die Berge. Als du klein warst, kamen dir die Berge in der Umgebung nicht groß vor. Vom Wohnzimmerfenster aus sind sie nicht größer als mein Kleiner Finger, hast du gesagt. Und vielleicht bist du deshalb so viel gelaufen. Bis zum Gipfel, ohne Tragsitz, ohne bei irgendjemandem Huckepack zu sitzen. Kann alleine, hast du gesagt. Ist doch nicht hoch, hast du gesagt. Mit wütenden Augen und wildem Gestrampel, wenn irgendjemand dir helfen wollte. Menschen, die am Meer aufgewachsen sind, behaupten, nicht leben zu können, ohne ab und zu blaugrüne See zu sehen. Sie sagen, dass sie sonst Kopfschmerzen bekämen. Auf dem platten Land leiden sie an Klaustrophobie. So geht es auch mit Menschen, die in den Bergen aufgewachsen sind. Bjerkebakk war früher einmal eine Art Alm. Ein Sommerhaus für die schönsten Höfe der Gemeinde. Es lag ganz hinten in einem Tal, auf allen Seiten von Bergen umgeben, und zum Fjord hin, zum Dorf hin, steht ein Wald und das Dorf ist nicht größer als ein Legodorf, irgendwer scheint alles aus roten und weißen Klötzen gebaut zu haben. Und zum Fjord hin strömt der Fluss. Er ist lang und schmal und an manchen Stellen nur ein Bach, einmal aber wird er zu einem großen tosenden Wasserfall. Und er strömte ohne Pause dahin, jeden Frühling, jeden Sommer. Den ganzen Weg, vom Eis her, das wir oben am höchsten Berg gerade noch ahnen konnten. Vom Eis, das grau und weiß und grün und blau war und an manchen Stellen alle Farben des ganzen Universums aufwies. Elisa erkannte keine Berge. Sie erkannte Gesichter. Sie erkannte sie in dem Moment, in dem sie die großen offenen Stellen sah, wo keine Bäume mehr wuchsen, wo es nur noch Steine und grüne Flecken gab. Von der Sekunde an, in der Elisa die Augen öffnete und die klaren scharfen Farben sah, die es nur dort gibt, wo die Sonne sich im Stein spiegeln kann, spürte sie zum ersten Mal, wie sich ihr Mund leicht verzog, wie das immer den Menschen passiert, die ganz und gar dazupassen, die genau wissen, wie sie sich zu verhalten haben, die genau wissen, was sie zu sagen haben, die zu Hause sind, zu Hause, zu Hause. Elisa atmete ganz schnell durch. Spürte, dass ihre Finger leise zitterten. Nicht wie Finger eigentlich, sondern eher wie Löwenzahnflaum. Als sei sie kein Mädchen, sondern ein dünner grüner Stängel. In Gedanken zählte sie schnell bis dreißig, dann tat sie, was sie tun musste, das Einzige, was hier zu tun war. Um in diesem Haus ihre Ruhe zu haben, um nicht nach Hause geschickt zu werden, um herauszufinden, was sie hier herausfinden wollte. Sie hustete. Laut. Nicht zu laut. Gerade laut genug, um von den anderen gehört zu werden.

»Martin, hast du das gehört?«

»Nein.«

»Ich glaube, da kommt jemand.«

»Ach.«

»Na komm schon, Martin. Komm, wir müssen los. Mama!«

Elisa blieb stehen und starrte vor sich hin, während sie die anderen weglaufen hörte. Sie blieb ganz still stehen, bis sie keine Räder mehr über Kies rollen hörte, bis diese Fremden, wer immer sie gewesen sein mochten, durch die Birkenallee geradelt waren, über den Waldweg, zurück zum Legodorf, aus dem sie gekommen waren.

Elisa und die Mutter hatten nicht auf Dauer bei Cillia wohnen wollen. Hannah hatte immer gesagt, das sei nur eine vorübergehende Lösung. Aber dann war sie auf dem Sofa liegen geblieben. Es hatte viele Tage gegeben, an denen die Mutter es nicht über sich brachte aufzustehen, an denen sie die Füße einfach nicht auf den Boden setzen mochte. So müde war sie. So müde kann ein Mensch sein. Und eines Tages war Elisa in die Schule gekommen. Danach war von Umzug nie mehr die Rede gewesen. Elisa besuchte eine Schule, die gar nicht weit von Cillias Wohnung entfernt lag. Und dabei blieb es dann. Vielleicht hörte es deshalb auf. Vielleicht wegen der Mutter, die den ganzen Tag auf dem Sofa lag und den Fernseher laufen hatte, aber auch wegen Cillia, die in der Küche saß und die Dominosteine hintereinander auf der Plastikdecke aufstellte. Sie stellte sie nicht nur in Reih und Glied auf. Sie stellte ihnen auch Hindernisse in den Weg. Cillia baute kleine Brücken aus Eierkartonresten, die die Dominosteine überqueren mussten. Wenn sie glaubte, dass niemand sie sah. Wenn sie sich nicht darauf konzentrierte, zu lächeln und zu lachen. Auch für Cillia hörte alles auf und das war vielleicht kein so großes Wunder, doch woran keine gedacht hatte, war, dass es auch für Elisa aufhörte. Sie wussten es nicht. Dass Dinge sich verändern und trotzdem stillstehen können. Dass keine mit einer befreundet sein will, deren Mama den ganzen Tag vor dem Fernseher auf dem Sofa liegt. Bei Elisa, da ist alles so komisch. Nicht so, wie es sein sollte. Hast du davon gehört? Hast du von ihrer Mutter gehört? Weißt du, warum immer ihre Oma zum Elternsprechtag kommt?

In der Schule entdeckte Elisa, dass sie sich nicht erinnern konnte. Das passierte an einem Wintertag in der ersten Klasse. Sie sollten über das Wachsen sprechen. Darüber, wie alle größer wurden. Dass sie früher allesamt einmal Babys gewesen waren. Frau Evensen schlug vor, etwas von früher zu erzählen. Eine erzählte von einer Katze, der sie Puppenkleider angezogen hatte. Ein Junge erzählte von einem Teddy, dem er die Ohren abgeschnitten hatte. Siri Margrete, die hinter Elisa saß, erzählte, dass sie sich selber Simma genannt hatte. Siri Margrete war das hübscheste Mädchen in der Klasse. Sie hatte rosa Kleidchen mit Herzen und Blumen und echte Korkenzieherlocken mit Sonnenblumenspangen. Immer waren Siri Margretes Kleidchen mit Herzen und Blumen bedruckt. Alle fanden es witzig, dass Siri Margrete sich selber Simma genannt hatte. Alle hatten gelacht. Und dann war Elisa an der Reihe gewesen.

– Und jetzt du, Elisa. Woran kannst du dich von früher her am besten erinnern?

Frau Evensen war lieb. Frau Evensen umarmte die Kinder, ehe sie nach Hause gingen. Von April bis Juni würden jeden Tag Blumen für sie auf dem Pult liegen. Und jetzt du, Elisa. Woran kannst du dich von früher her am besten erinnern? An nichts. Elisa hatte die Zähne zusammengebissen, die Augen geschlossen und die Stirn gerunzelt, um nachdenklich auszusehen. Woran kannst du dich am besten erinnern, Elisa?

– Mmmmm.

Sie hatte so lange Mmmm gesagt, dass die anderen vielleicht glaubten, sie habe die große Auswahl, könne sich nicht entscheiden. Sie glaubte sogar selber, dass ihr Mmm vielleicht bewirken könnte, dass sie plötzlich Bilder vor sich sähe. Sie und ihre Mutter, die über eine Blumenwiese liefen, die Mutter, die mit grüner Seife einen Holzboden schrubbte, ehe Elisa und ein Hund hereingestürzt kamen. Die Mutter, die beide in die Arme nahm und küsste, obwohl sie den frisch geputzten Boden schon wieder schmutzig gemacht hatten. Reklame. Sie hatte gehofft, dass das Mmm wirken würde, aber es kam kein Bild, nichts aus der Zeit vor der Bahnfahrt zu Cillia. Nicht einmal die Umrisse eines Bildes. Nicht einmal Schwärze. Nur Leere. Nur Nichts.

– Elisa? Woran kannst du dich am besten erinnern, Elisa?

– Mmmm. An gar nichts.

Hinter ihr kicherte jemand. Frau Evensen sagte, es sei ganz in Ordnung, nicht immer zu wissen, was man sagen sollte. Jetzt reden wir von etwas anderem, ja? Welche Jahreszeit mögt ihr am liebsten? Elisa hatte gemerkt, dass sie rot angelaufen war, im Gesicht und im Nacken. Warum konnte sie sich an nichts erinnern? Warum war sie die Einzige, die sich an nichts erinnerte? Und dann hörte sie Siri Margretes klare, flüsternde Stimme hinter sich.

– Die arme Elisa. Ihre Mutter ist krank im Kopf. Angeblich ist das erblich. Bestimmt kann sie sich deshalb an nichts erinnern.

– Siri Margrete, sagte Frau Evensen. – Jetzt reden wir von den Jahreszeiten.

– Ja, sagte Siri Margrete.

Elisa spürte ihren Blick im Nacken. Neugierig. Die absolute neugierige Supertrine. Als sei Elisa nicht Elisa, sondern eine Schaufensterpuppe ohne Arme und Beine. Sie drehte sich nicht um. Sie presste einfach nur die Lippen aufeinander und konzentrierte sich auf die Jahreszeiten.

Sich ausdenken. Lügen. Lügen. Sich ausdenken. Wer keine Kindheit hat, muss sich selber eine machen. So ist das eben. So war es eben. Woran kannst du dich von früher am besten erinnern, Elisa? Dass ich Sonnenblumenspangen in den Haaren hatte und an eine Katze, der ich Puppenkleider angezogen habe.

– Wie hieß deine Katze denn, Elisa?

– Wie hieß deine?

– Meine Katze hieß Wuschel.

– Komisch, so hieß meine auch.

– Red keinen Müll. Elisa.

– Bloß weil meine Katze auch Wuschel hieß!

– Hau ab!

Sich ausdenken. Lügen. Lügen. Sich ausdenken. Da kommt Elisa, da kommt Elisa. Passt auf, Mädels, nehmt euch in Acht. Da kommt die verrückte Elisa. Ebenso knatschverrückt wie ihre Mutter. Das ist erblich, das ist erblich, das steckt an, das steckt an. Passt auf, Mädels, nehmt euch in Acht, nehmt euch in Acht vor der verrückten Elisa.

Elisa bog langsam um das Haus und stieg dann die baufällige Treppe vor der Haustür hoch. Auf Cillias Bild war das Haus unversehrt und sauber und weiß. Der Rasen war gepflegt. Sogar Wald, Fluss und die Berge dahinter sahen ordentlicher aus. Trotzdem gefiel Elisa alles jetzt besser. Eine Alm ganz hinten am Fjord soll nicht frisch angestrichen sein. Die faulen Bretter in der Treppe passten besser zum Haus. Sie passten besser zu Fluss und Bergen und Gletscher dahinter. Cillia hätte das auch gefallen. Nicht sofort, aber nach und nach. Elisa sah sie vor sich auf der Treppe, mit Schirmmütze und gestreifter Hose, die Hände in die Seiten gestemmt, die Ellbogen nach außen, wie sie auf einem Grashalm herumkaute und dabei ein lautes Selbstgespräch führte.

– Ja, ja, Prinzessin. Sieh dir das an, Prinzessin. Das hier hat auch seinen Charme, findest du nicht? Zerfallende Treppe, Moos an den Fensterrahmen, überwucherte Beete. Aber es ist trotzdem schön, findest du nicht?

– Doch.

– Was hast du gesagt?

– Ich habe gesagt, dass ich es wunderschön finde, Cillia.

Sollte es nie mehr eine Cillia geben? Sollte es nie mehr eine geben, die Elisa in die Luft warf und rief: Aufgepasst jetzt, Prinzessin! Sonst kommt deine Großmutter und frisst dich auf. Weißt du nicht, dass Omas nichts so gern fressen wie kleine Enkelkinder? Vor allem mit Zimt und Zucker. Ich will Elisa mit Zimt und Zucker. Zum Nachtisch will ich Elisa mit Zimt und Zucker.

Cillia wäre in ein Hotel gezogen. Da hätten sie alle drei gewohnt. Und dann hätten sie nachmittags auf einem Balkon gesessen und die Sonne angesehen. Die Sonne sollte groß und rund und leuchtend sein, und der Himmel immer blau. Immer dieselbe Farbe wie ein Vergissmeinnicht.

Aber so ist es nicht gekommen, dachte Elisa.

Es kommt nämlich nie so, wie wir uns das wünschen. Elisa ging von einer Seite des Hauses auf die andere, hinkte dabei aber auf dem rechten Fuß. Sie hatte sich verletzt, als sie aus dem Fenster gesprungen war. Sie war barfuß. Das war eigentlich schön gewesen. Aber es brannte.

Sie wollte sich gerade auf die Treppe setzen und sich den Fuß vors Gesicht halten, um sich die Wunde richtig ansehen zu können, als sie den Walkman hörte. War das nicht einer? War das nicht ein voll aufgedrehter Walkman? Woher kam dieses Geräusch? Kam es vom Fluss? Kam es von der anderen Seite des Hauses? Aber da war sie doch eben erst gewesen. Sie hatte doch eben noch unter dem Wohnzimmerfenster gestanden und zugehört, wie die Fahrräder über den Kiesweg verschwunden waren. Und andere Menschen waren dort nicht gewesen. Oder waren da doch noch welche? Waren Johanne und Martin nicht allein gekommen?

Elisa humpelte langsam mitten auf den Rasen hinaus, so weit, dass sie den Fluss sehen konnte, so weit, dass die Wiese auf der anderen Seite und der Wald, der die Wiese umgab, hinter der Hausmauer zum Vorschein kamen. Sie ging so weit, dass sie den kleinen Steg sehen konnte. Dort blieb sie stehen. Blieb stehen und starrte. Elisa hatte die Vögel entdeckt. Auf dem anderen Flussufer, auf dem großen Feld vor dem Wald, saß ein Teppich aus Gänsen, hunderte, tausende; sie schienen zu singen, sie machten das seltsame Walkman-Geräusch. Die Gänse wollten jetzt losfliegen. Elisa starrte sie an. Die Gänse starrten zurück. Sie schienen mit dem Losfliegen zu warten, um zurückstarren zu können. Dann hob der Teppich langsam ab, zuerst auf der einen Seite, dann auf der anderen.

Jetzt war wieder das Walkmangeräusch zu hören, dieses laute schrille Geräusch, das trotzdem schön war, das trotzdem ei-ne Art Musik war. Elisa lief zum Fluss hinunter. Es machte nichts, dass sie nicht richtig gehen konnte, sie lief trotzdem. Sie lief, sprang und legte den Kopf in den Nacken. Da oben flogen sie, da flogen sie und ihre Geräusche klangen schöner, je höher sie kamen, je mehr sie sich dem Dach von Bjerkebakk näherten. Sie selber wurden auch schöner. Die Vögel wurden zu einem Muster. An einigen Stellen flogen sie so dicht, dass Elisa nicht mehr sehen konnte, ob der Himmel über ihnen blau oder hellgrau war, oder ob ihn vielleicht eine große weiße Wolke verdeckte. An anderen Stellen hatten sie sich verteilt, sodass Licht und Farbe durchkamen und die Gänse vor dem hellen Hintergrund zu dunklen Silhouetten wurden. Dieser Anblick erinnerte Elisa an die Tapete in Cillias Schlafzimmer. Weiß und blau mit dunklen Vögeln im Vordergrund. Hier und dort ein Vogel allein. An anderen Stellen dicke, dichte Klumpen. Elisa ließ sich ins Gras fallen und schaute hoch und die Vögel schoben sich wie ein Deckel zwischen sie und den Himmel. Als wüssten sie, dass Elisa verdunsten würde, wenn niemand auf sie aufpasste. Als hätte sie sie darum gebeten, auf sie aufzupassen.

Cillia war an einem angeborenen Herzfehler gestorben. Und zwar neun Jahre, nachdem Elisa und ihre Mutter zu ihr gezogen waren, und eine Woche vor Elisas vierzehntem Geburtstag. Als Elisa morgens zur Schule ging, stand sie in der Küche und buk einen Apfelkuchen. Als Elisa nachmittags nach Hause kam, lag sie verkrümmt auf dem Küchenboden. Der Arzt meinte, sie solle sich darüber freuen, dass Cillia nicht gelitten hatte.

– Es ist schnell gegangen, sagte der Arzt. – Das kann dir doch ein Trost sein, Elisa.

Elisa hatte nur an den schwarz verbrannten Apfelkuchen denken können und an Cillias überraschten Gesichtsausdruck. So sah sie aus, nicht traurig, nicht so, als ob sie Schmerzen hätte, sondern einfach überrascht.

Also wirklich, da steh ich nun und backe Apfelkuchen, und was passiert? Das müsst ihr euch mal vorstellen! Wer hätte damit rechnen können! Was sagst du, Prinzessin?

Was sollte sie sagen? Es gab nichts dazu zu sagen. Elisa nickte, als der Arzt fragte, ob mit ihr alles in Ordnung sei. Sie nickte, egal, was zu ihr gesagt wurde. Elisa nickte, wenn jemand ihr ein Bonbon anbot. Sie hätte auch genickt, wenn jemand sie gefragt hätte, ob sie ein Bonbon sei.

Nichts würde je wieder so sein, wie es gewesen war.

Jojo-Herz

Подняться наверх