Читать книгу Romy Schneider - Hildegard Knef - Страница 5
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ОглавлениеDas gleiche Lied dudelt seit über einer Stunde – zunehmend kratziger werdend. Romy tanzt allein nach Sammy Davis’ ›The party is over …‹, Augen geschlossen, Schuhe von sich stoßend, Whiskyglas in der Rechten, Zigarette in der Linken. Ruft zuweilen bettelnd, zuweilen aggressiv: »The party is not over.«
Obgleich es nach zwei Uhr nachts, gibt es weder Beschwerden, verärgertes Klopfen noch Ruhestörungsverweise. Die größte Suite des Hotel Gerhus im Berliner Grunewald mit seinen Biedermeier- und neoklassizistischen Jahrhundertwendemöbeln ist kerzenbeleuchtet und mit einem endlosen Spalier goldpapierumwickelter Glückskäfer besät. Sie kleben auf Telefonen, ziehen eine unübersehbare Bahn ins Schlafzimmer, liegen in seltsam originellen Formationen auf Bett und Nachttischen, machen selbst vor dem rosagekachelten Bad und Toilettendeckel nicht halt, verlaufen endlich in einer Nische, in der sündteure Petit-Point- Koffer säuberlich gestapelt. Die von Romy erdachte – und mit verlegenem Stolz vorgezeigte – teenagerhafte Spielerei ist anrührend und zugleich irritierend, insbesondere wenn man auf einen der zahllosen klebrigen Glücksbringer tritt. Seit wenigen Tagen und Nächten sind die altmodisch pompösen Räume Fluchthöhle des jungverliebten Paares Harry Meyen-Haubenstock und Romy Schneider-Albach, einst vergessenes Internatskind, nunmehr vergessenwollende Film-Sissi, Ex-Verlobte des faszinierend-schönen Alain Delon. Nach fünf Jahren leidenschaftlicher Bindung und schnödem Abbruch, Verlust eines schwererkämpften Erfolgs in fremder Sprache – von der Presse mit schadenfrohem Geheul bedacht – zelebriert sie hemmungslos ihr neues Glück. Das ›Neue Glück‹, Harry Meyen, liegt auf einem der hochbeinigen Sofas, lächelt amüsiert, während mein Mann sich einer Bocksbeutelflasche hingibt und kieferknackend mehrmals das Gähnen unterdrückend auf die düsteren Fenster stiert. Ich hingegen bin rundum ›geschafft‹. Ich spiele seit Monaten Abend für Abend die Titelrolle in William Henleys beschwerlichem, dem Darsteller alles abfordernden Theaterstück Mrs. Dally. ›Warum tanzt sie allein?‹ denke ich flüchtig, wissend, daß mein Freund Harry nicht nur besonders gern, sondern auch überaus fantasievoll tanzte. Offensichtlich hatte er sich während der letzten Jahre für die Rolle des intellektuellen Regisseurs entschieden, der solch verkicherter Ausgelassenheit abhold – gleichermaßen offensichtlich ist Romy hingerissen von dem selbstkontrollierten, gebildeten, verbal begabten, zuweilen unterkühlt erscheinenden Harry, der obendrein zweifellos attraktiv, makellos gekleidet und von bizarr-selbstironischem Humor ist. Wenig ahnt sie von der Verletzbarkeit des während seiner Kindheit umhergestoßenen Halbjuden Haubenstock, der des Stiefvaters arischer klingenden Namen angenommen, um zu überleben; ebensowenig weiß sie von der verbissen-disziplinierten Ambition, mit der er im Nachkriegsdeutschland eine Karriere als Schauspieler und Theaterregisseur aufgebaut hatte. Seit etlichen Jahren mit der Schauspielerin Anneliese Römer verheiratet, ist er in seiner befremdenden, von Emotionen geschleuderten neuen Situation über die Maßen unsicher, scheint sie beinahe zu fürchten, ist jedoch außerstande, sich dem katzenhaften Reiz, auch der verzweifelten Habgier und Panik einer jungen, schutzsuchenden Romy zu entziehen. Einige Stunden zuvor hatte sie in meiner Theatergarderobe gestanden. Das makellos symmetrische Gesicht schneeweiß, Augen unverkennbar verweint, flüsterte sie schulmädchenhaft neben meinem Schminktisch stehend: »Ich bewundere dich. Ich möchte so gern Theater spielen. Ich trau’ mich nicht. Harry will ein Stück mit mir inszenieren. Ich werde es Harry zuliebe tun …« So, wie sie Alain zuliebe einige Jahre zuvor in Paris Schade, daß sie eine Dirne ist gespielt hatte. Traumaauslösende Erfahrung, obgleich sie erfolgreich gewesen. Kaum hörbar, ruckweise, als leide sie unter Sprachstörungen, hatte sie die Sätze hervorgestoßen. Blick zu Boden gerichtet, ihre überraschend kräftigen Hände unentwegt ringend oder am Halsausschnitt ihres beigefarbenen Balenciaga-KIeides zerrend, um dann abruptfluchtartig den Raum zu verlassen, die klapprige Tür barsch hinter sich zuschlagend. Meine – nur in seltenen Augenblicken feinfühlige – Maskenbildnerin murmelte abfällig, »Wat is’n mit der verquer? Wohl ne jutgefütterte Meise; oder wie seh ick det …«
Eine Standuhr im Gerhus-Apartment dröhnt dreimal. Harry Meyen bläst einige Kerzen aus, ruft: »Hör auf zu trinken und stell endlich den Plattenspieler ab!« Keinen Widerspruch duldende Anweisung eines erfolggewohnten Regisseurs. Romy tut auf der Stelle, wie ihr geheißen. Artig-ergeben. Glücklich-entspannt. Dann legt sie sich zu seinen Füßen, lässt ihren Kopf in seinen Schoß fallen.
Unser Aufbruch wird kaum wahrgenommen: ein um Verständnis heischendes Lächeln Harrys, vernuscheltes »A demain« Romys und zwei – zum Victory-Zeichen – erhobene Finger sind die Umwelt endgültig ausklammernde Abschiedsgesten.
Am darauffolgenden Abend brüllt der Inspizient durch die geschlossene Garderobentür des Theaters am Kurfürstendamm; »Mensch, die Romy is schon wieda drinne. Erste Reihe links. Hat wohl ’ne feuchte Wohnung. Oder macht se ’n Kursus in Schauspielerei.«
Vor der Vorstellung, nervös angespannt wie eh und je, belle ich: »Zieh Leine. Ich will nicht wissen, wer wo sitzt. Außerdem kann sie nichts dafür, dass sie als halbes Wickelkind in Filmstudios gekarrt wurde.«
Zweieinhalb Stunden später klopft es zaghaft. Romy, ungeschminkt mit grauslig dauergewelltem, zerzaustem Haar, doch in hinreißend fliederfarbenem Coco-Chanel-Kostüm, sieht verängstigt in mein schweißüberströmtes Gesicht, flüstert: »Treffen wir uns bei Ricci?«
Ich nicke, murmele: »Halbe Stunde.«
Leise, gleich zartfühlender Krankenschwester, zieht sie die Tür hinter sich zu.
Ricci Blums Restaurant plus Bar sind Rendezvous sämtlicher Nachteulen, Schauspieler, Schriftsteller, Kabarettisten. Bis zum Morgengrauen brutzeln Wiener Spezialitäten. Die Weinkarte ist ellenlang, ebenso Riccis Fundus an Anekdoten. Wie stets ist der schmale Raum gerammelt voll und bis zu fataler Atemnot sauerstoffarm.
Ricci, gebürtiger Wiener und unbeugsamer Berlin-Süchtiger, ist seit Kriegsende mein gutmütig-zuverlässiger Freund. Ohnmächtig vor Hunger, hatte er mich – nach meiner Flucht aus russischer Kriegsgefangenschaft – nahe der Gedächtniskirche aufgelesen, in seine zerbombte Wohnung geschleppt und mit Suppen aus US- Army-Dosen aufgepäppelt. Er nannte sich ›Pianist‹, spielte in einem für Deutsche offlimits-Club der Amerikaner – ausschließlich in C-Dur –, schleuste mich schließlich als seine Schwester ein, die ihm behilflich sein sollte, Noten zu sortieren und umzublättern. Daß er keine lesen konnte, behielten wir für uns; dafür gab’s Suppe um Mitternacht.
Nunmehr besaß er das, was er damals erträumt: Eigenes Lokal mit eigenem Klavier, Barmixer, Koch und Kellner.
Romy sitzt allein an der Schmalseite eines langen Tisches mit rot- weiß karierter Bauerndecke, starrt auf ihr weit entfernt sitzendes Gegenüber: Harry. Sie starrt, als wolle sie ihn hypnotisieren. Kaum dass mein Mann und ich am Tisch angelangt, springt sie auf, gleichzeitig drängelt sich ein Volltrunkener zwischen uns, grölt: »Na wat macht’n dein süßer Alaing. War wohl nischt. Hättste eben bei uns bleibn solln. War’n dir wohl nich fein jenuch …« Beruhigend zu wissen, daß Ricci resoluter Rausschmeißer renitenter Besoffener; schon hängt der Besserwisser in der Luft, wird wort- und grußlos auf den Kurfürstendamm befördert.
Romy rennt, beide Hände vor den Mund haltend und mehrere Gläser umstoßend, die enge Wendeltreppe hinunter, die zu Toiletten und Keller führt. Nachdem sie eine halbe Stunde verschwunden, gehe ich ihr nach, remple sie auf düsterer Stiege an. »Ist dir schlecht?« Sie schüttelt den Kopf. »Laß dich von Idioten nicht kleinkriegen. Was glaubst du, was sie mir nach der Sünderin geboten haben. Von Anspucken bis ›Nutte‹ war noch das Liebenswerteste.« Sie starrt mich an, sagt kleinmütig-geduckt: »Ich begreif das alles nicht …«
Die Toilettenfrau ist uralt. Glaubt man. Sie besitzt keinen einzigen Zahn, spillriger weißer Flaum bedeckt nur stellenweise runzlige Kopfhaut. Mit zittrigen Greisenhänden hält sie mir einen Geldschein entgegen. »Die Romy Schneider, hat mir hundert Mark geschenkt«, brabbelt sie fassungslos, bricht plötzlich in Tränen aus. Von Ricci weiß ich, daß sie kaum fünfundsechzig ist. Zehn Jahre Konzentrationslager haben irreparable Spuren hinterlassen.
»Du hast der Frau eine große Freude gemacht«, sage ich später. Verschreckt sieht Romy auf, zuckt abfällig die Schultern, sagt: »Was ist schon Geld …« Harry erliegt umgehend einem Lachkrampf, so dass er die randlose Brille abnehmen und seine kurzsichtigen Augen wischen muß. »Großer Gott, Romy …« wiehert er. Da sitzen drei sich in Sachen Armut Auskennende: mein Mann, Harry und ich; betrachten sie mit einem Anflug von Neid, auch großmütig-wohlwollendem Humor. Ahnungslos sehen wir eine seit früher Kindheit allseits beliebte Filmschauspielerin, die – so meinen wir zu wissen – über die Maßen verwöhnt. Mildtätig-gnädig – wie so viele.
Stunden vergehen, in denen sie zwischen hektischem Aufjuchzen und stummer Depression schwankt. Wetterwendisch-unfaßbar. Zwischendurch blickt sie verängstigt zur Eingangstür, als erwarte sie den furienhaften Auftritt Anneliese Römers, der Frau, die Harry kürzlich verlassen hat. Mehr und mehr entblättert sich ein Bündel brachliegender Nerven, unkontrollierbarer Emotionen. Selbstironie scheint furchteinflößend und weitab von ihrem Sprachschatz, Denken, Fühlen. Sie erinnert an die Monroe. Widerborstiger, angriffsbereiter als jene, doch gleichermaßen verwundbar-wankelmütig. Hastig trinkt sie. Einmal Wein, dann Whisky, dann Champagner. Entspannt sich. Verkrampft sich aufs neue. Harrys: »Trink nicht so sinnlos« läßt sie »man lebt nur einmal« derart laut ausrufen, daß das stetige Summen und Scheppern im Raum für Sekunden erstarrt. Zahlreiche Augen sehen überrascht, befremdet, auch rügend-selbstgefällig auf sie nieder. Trotzig begegnet sie den Blicken, ausschließlich ihre Hände verraten Furcht. Sie winden und drehen sich, als seien sie gelenklos und ihr nicht zugehörig, greifen hastig zur Zigarette; sie hängt nicht angezündet im Mundwinkel, verleiht ihr abstrus Vamphaftes, wartet herausfordernd auf Feuer. Harry steht leicht stöhnend auf, geht um den Tisch, flüstert in ihr Ohr. Wenige Minuten später stehen wir auf dem Kurfürstendamm. Romy lehnt mit zurückgeworfenem Kopf an der Hauswand, starrt eine verschwommene Mondsichel an.»Komm endlich!« ruft Harry irritiert. »Sei nicht so bürgerlich«, faucht Romy bremsig. Sekundenlang sehen sie sich an. Ihr Lachen zerreißt Spannung und Mißlaune. Schweigend fahren wir ins Hotel Gerhus. Schweigend huschen sie in ihr goldkäferbesätes Nest. An Schlaf ist nicht zu denken. Obgleich todmüde, wälze ich mich hin und her, sehe hinter geschlossenen Lidern Romys euphorisch leuchtendes Gesicht, großflächig mit weit auseinanderliegenden Augen, hoher Stirn, V-Zeichen des Haaransatzes, kurzer gerader Nase, nachgiebig-weichem Mund, dem etwas kantig schroffen Kinn. Augenblicklich zersplittert das Bild, verkehrt sich in flehentliche Verzweiflung, muskelverzerrenden Argwohn.