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Acht Jahre sind vergangen, seit ich Romy gesehen. Oder sind es neun?

Während ich in den USA gewesen, hatte sie ihre drei Sissi- und zehn andere Filme gedreht; ich hatte keinen gesehen, lediglich einige kitschig anmutende Fotos mit dem als Kaiser Franz Josef verkleideten Karlheinz Böhm, der einst mein Partner in dem recht bedauerlichen Schinken Alraune, in dem Harry Meyen ebenfalls ein liebeskrankes Opfer der männerverschlingenden Maid dargestellt. Nach einigen Hollywood-Filmen und zwei Jahren New York, in denen ich täglich ein dreieinhalbstündiges Musical gespielt, entschloß ich mich – überraschend heimwehbelastet – nach Europa zurückzukehren, unterzeichnete einen Vertrag mit der neugeformten UFA, die mich zum ›Star Nr.‹ deklarierte.

Noch vor Beginn eines kostspieligen Films, der eine totale Pleite wurde und die frischgebackene Firma prompt ruinierte, auch meine Karriere zum Stillstand brachte, wurde ich von der Presseabteilung gleich einem Wanderpreis von Filmball zu Filmball geschleudert.

In Hamburg war’s; ich stand in meinem Hotelzimmer und tobte, unflätige Wörter ausstoßend. Eine dreiviertel Stunde vor Beginn des eitlen Festes war der Reißverschluß meines Abendkleides gerissen, der Koffer meiner Garderobiere – Ilse – verschwunden, der Absatz meines Schuhs gebrochen, kein Nähzeug aufzutreiben, bis sich die Gemahlin des Hoteldirektors bereit erklärte, mit Nadel und Faden auszuhelfen. Ich stand denkmalstarr und wurde eingenäht, während das Telefon nervenzermürbend plärrte. Wütig bellte ich: »Was ist nun wieder los.«

»Hier ist Romy«, kam es kleinlaut, mangelhaft verständlich, »Romy Schneider. Darf ich Sie kurz aufsuchen? Ich kenne Ihre Zimmemummer.«

Ich vernahm unregelmäßiges Atmen, dann wurde der Hörer aufgelegt.

Minuten später öffnete sie meine Tür, zog sie eilends hinter sich zu, schloß ab.

»Was soll das?« fragte ich.

»Später«, flüsterte sie verängstigt, machte einige zögernde Schritte, stolperte über meinen Koffer, riß den Rocksaum ihres babyblauen Kleides auf.

»Oh, mein Gott«, rief sie bestürzt, »was soll ich nur machen …« »Mir ham genügend Garn, um de gesamte Filmindustrie einzunähn«, sprach Ilse in feinstem Sächsisch.

Romy warf sich auf mein Bett, schluchzte hemmungslos.

Ilse brabbelte: »Da schlag doch eener lang hin …«

Ich setzte mich auf den Bettrand. Langsam drehte sie ihr verweintes Gesicht zu mir, sagte zwischen Schluchzern: »Sagen Sie bitte Romy zu mir. Und ›du‹.«

»Ich heiße Hilde.«

»Das würde ich nicht wagen.«

»Sei nicht albern. Was ist passiert?«

»Ich werde verrückt. Sie lassen mich keinen Augenblick allein. Keine Sekunde. Keine Minute. Über alles muß ich Rechenschaft ablegen. Ich bin doch kein Kind mehr«, rief sie in kindlichem Trotz, während die Tränen pausenlos liefen.

»Wer ist sie?«

Sie richtete sich auf, zupfte am aufgerissenen Saum, sagte endlich;

»Mein Stiefvater. Meine Mutter. Die Presseabteilung. Und überhaupt alle.«

Ilse goß Whisky in ein Mundglas, sagte: »Nu trink ma das runner.«

Sie zuckte zusammen, flüsterte: »Das darf ich doch nicht. Ich werde zu dick. Lebe tagelang von Orangensaft.«

Ich war Stiefvater Blatzheim nur einmal begegnet; er schien ein überheblich-selbstherrlicher lauter Mann zu sein, gewohnt, Befehle auszuteilen. Mama hingegen hatte mich auf einem der nichtendenwollenden Bälle angefaucht, weil ich sie versehentlich nicht begrüßt. Ich erinnere mich an gereiztes Geschnatter, an die Verbissenheit eines blutrot geschminkten kleinen Mundes, Ruhelosigkeit dunkler Augen, fahrige Bewegungen, ununterbrochenes Gezupfe an Nerzstola. Ich hatte gesagt: »Brüllen Sie mich nicht an! Ich bin leicht erregbar und garantiere für nichts.« Pikiert war sie auf ihren Platz gerannt, würdigte mich für den Rest des Abends keines Blickes.

Das Telefon plärrte in das neuerliche Schluchzen Romys. »Bitte, geh nicht ran! Sie suchen mich. Bestimmt ist es mein Stiefvater oder meine Mutter.«

»Willst du überhaupt auf den Ball?«

Sie schüttelte heftig den Kopf.

»Sag doch, dir sei mies. Leg dich ins Bett und schlaf, wenn du kannst.«

»Das ist unmöglich. Sie würden es nie zulassen; Mama hat sich extra ein neues Kleid gekauft und Blatzheim einen neuen Smoking.« »Auch ’n Grund«, brabbelte Ilse.

»Und übermorgen muß ich in Paris sein. Ich treffe meinen Filmpartner. Delon heißt er. Ich kann kein Wort Französisch. Was mach’ ich bloß …?« Blanke Panik in grün-grauen Augen. Bebend wie eine Malariakranke. Ich befühlte ihre Stirn; sie war brühheiß. »Du hast Fieber, verdammt noch mal. Sie sollten dir einen Arzt holen. – Oder soll ich …«

»Nein. Um Gottes willen … Darf ich einen Spiegel haben?«

Angewidert betrachtete sie sich, zog einen Flunsch, steckte die Zunge raus, fummelte in ihrer Abendtasche, wischte sich mit einem altmodischen Spitzentaschentuch das Gesicht, bat um Rouge, malte ihre Lippen tiefrot, tuschte Wimpern. Das Telefon klingelte zum fünftenmal. Ilse nahm den Hörer, hielt die Sprechmuschel zu, sagte, den Blick zur Decke gerichtet: »Mama.«

Romy winkte entsetzt ab, kaute auf Daumennagel.

»Ja, bitte«, sagte ich gereizt.

»Ist Romy etwa bei Ihnen?«

»Das ›etwa‹ können Sie sich sparen. Sie ist. Ihr Saum ist gerissen. Meine Garderobiere bessert ihn gerade aus.«

»Sie soll sofort, aber sofort in ihr Zimmer kommen«, kommandierte Mama.

»Später«, sagte ich lässig und hängte auf.

»So hat noch keiner mit Mama gesprochen«, rief sie kichernd. Gleich zwei Verschwörern saßen wir auf der Bettkante, während Ilse eine Flasche Weißwein entkorkte. Wir tranken. Sie lachte lauthals über Ilses Sächsisch, versuchte es zu kopieren.

Heftiges Klopfen, eine schrille Stimme, unverkennbar wienerisch, befahl: »Komm sofort heraus.«

Ilse biß den Faden ab, flüsterte: »Verschwindet im Bad!«

Wir hörten Ilses rauhes: »Was blökn Se hier rum. Die sind wech. Uff und davon.«

»Waas? Wohin …«

»Geene Ahnung. Uffn Ball, möcht ma annehm, oder?«

»Also, das ist mir noch nie passiert.«

»Nu, wenn’s nischt Schlimmres is, gönn ma Se beneidn …«

Die Tür donnerte ins Schloß, gleichzeitig Ilses »Ihr gönnt rausgomm.«

Romy geisterbleich, Schweißperlen auf der Stirn, würgte hervor: »Ich muß gehen. Ich muß. Sonst gibt es eine Katastrophe. Danke für alles. Ich wollte nur ein bisserl reden. Wirklich. Vielleicht ein andermal. Danke. Danke.« Sie umklammerte mich mit jener Heftigkeit und übermäßigen Kraft, die an Ertrinkende gemahnt, riß sich los, drehte den Schlüssel hin und her, stürzte aus dem Raum.

Ilse und ich – seit Jahren ein Gespann, das durch in- und ausländische Studios gewandert – sahen uns mit jenem ›Ich versteh die Welt nicht mehr‹-Blick an.

Ilse, noch immer überaus attraktiv, trotz reichlichen Alkoholkonsums, war einst Tänzerin. Zwei Granatsplitter hatten ihr rechtes Knie zerschmettert; am gleichen Tag – kurz vor der Kapitulation – war ihr Verlobter mit seinem Flugzeug abgestürzt. In einem Filmatelier hatte sie mich angesprochen und sich als Garderobiere ausgegeben. Alle warnten mich. Ich habe es nie bereut, den Schwarzsehern zu widersprechen. Ihr Selbstmord wenige Jahre später hat mich zutiefst getroffen.

Jetzt stand sie am Fenster, sah auf die düstere Alster, die funkelnden Lichter, sagte: »Und ich dachte, Sissi hat geene Probleme«, nahm einen tiefen Schluck aus der Whiskyflasche, zündete eine Zigarette an, brabbelte: »Irgendwann muß unser Herrjott wohl einjeschlafen sein …«

Der Flur zum Ballsaal war mit Fotografen gespickt. Sie blitzten die Ankommenden halbblind, während eine filmfreudige Masse um Autogramme schrie. Ein dicker schwitzender Fotograf hielt mit eisernem Griff meinen Arm, bellte: »Ein Foto mit Romy …!«

Bebend stand sie hinter mir, eingekeilt von Mutter und Stiefvater. Mama rief unüberhörbar: »Komm schon!« und zerrte sie an mir vorüber. Romy drehte sich um, sah mich jammervoll-unterwürfig an.

Der Saal war beleuchtet wie eine Bahnhofshalle, Blumenarrangements neben einem Podium, auf dem eine mittelmäßige Band einen zickigen Foxtrott spielte. Arno Hauke, Chef der UFA, trat auf mich zu, sprach gestelzt: »Darf ich um den ersten Tanz bitten.« Hauke – jüngster Filmproduzent des Landes – sonnte sich in seiner neuen Position, für die er leider überaus ungeeignet. Wenige Jahre später starb er – von der Filmindustrie endgültig fallengelassen – in einem Armenasyl im Ruhrgebiet. Noch glaubte er unumstößlich, ein neuer Erich Pommer und erhebender Beitrag in der Nachkriegs-Filmgeschichte Deutschlands zu werden. Arno Hauke eröffnete den Ball mit einer knappen soldatischen Rede und dem ersten Tanz mit mir.

Nachdem er sich steifleinen verneigt, hüpften wir über die glibbrige Fläche gleich unerfahrenen Rollschuhläufem. Tanzen schien ebenfalls nicht seine Stärke.

Nach – wie mir schien – endlosem Gehopse führte er mich an meinen Tisch.

Mein Gegenüber war Romy plus Familie. Mama zeigte ausschließlich Profil, Herr Blatzheim hingegen erzählte lautstark und ausdauernd einen pointenlosen Witz. Mein Freund Hardy Krüger tauchte gleich einem Rettungsring auf, sagte: »Wo haben sie dich denn hinverpflanzt!«, schnappte sich einen leeren Stuhl, setzte sich neben mich, grinste, murmelte, Hände vor Augen:

»Ham wir das nötig?«

»Scheint so.«

»Wer war der Idiot, der Bälle erfunden hat … lieber latsche ich durch die Sahara. Ich fürchte, mein Mägdelein, daß ich in die Flasche fallen werde. Laß uns die Kurve kratzen.«

Romy neigte sich über den Tisch, zuschelte: »Bitte, bleibt noch!« Dino de Laurentiis, italienischer Produzent beachtlicher Filme und Ehemann der schönen Silvana Mangano, küßte meine Hand, sprach:

»Ich habe ein interessantes Projekt für Sie …«

Arno Hauke sprang ins Feld: »Sie hat einen Vertrag mit uns.«

Laurentiis sagte ausweichend: »Nun ja, man wird sehen«, blickte auf Romy nieder, rief: »Da ist ja die bezaubernde Sissi …«

Romy zuckte zusammen, als hätte man sie geohrfeigt.

Mama hingegen strahlte, während Blatzheim »Die Filme machen Millionen …« blökte.

Wenig später schlichen Hardy und ich in die handtuchbreite Hotelbar, eine Combo spielte Cha-Cha-Cha; auf der Tanzfläche, die kaum größer als das Laken eines Kinderbetts, entdeckte ich Babyblau, einen weit zurückgelehnten Kopf mit sich lösendem Haargeflecht, geschlossenen Augen, halbgeöffnetem Mund: Romy tanzt mit einem Regieassistenten, der allseits als brünstiger Herzensbrecher bekannt. Prahlerisch blinzelt er mir zu, als hätte er den ersten Preis einer Tombola gewonnen. Doch schon steht Mama feuerspeiend im Eingang, blickt flattrig-erregt umher, stürzt zänkisch-blitzend auf die Tanzfläche, zerrt die wie in Trance schwebende Romy aus den Armen ihres nunmehr sprachlos verdatterten Partners. Mit gesenktem Haupt verläßt sie die Bar, sämtliche Blicke sind auf sie gerichtet. Sie läuft, als gehe sie zu ihrer Hinrichtung.

Romy Schneider

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