Читать книгу Der kleine Kapitän - Holger Antz - Страница 7

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Ein Segelschiff namens Esmeralda

Wie fast zu erwarten, lag auch an diesem Morgen ein neues Schiff am Steg. Ganz vorn ankerte es, wo die Neuankömmlinge festmachen mussten. Im Gegensatz zu den meist weißen Segelyachten war dieses hier aus Holz. Der Schiffsbauch war braun glänzend, sodass man bei genauer Betrachtung die schöne Maserung erkennen konnte. Die Reling: dunkelbraun gestrichen und der Aufbau ebenso aus lackiertem Holz. Manolito liebte alte Segelyachten und so betrachtete er dieses und zwirbelte sich dabei eine Haarsträhne, was er immer gerne dann tat, wenn er nachdachte oder wie jetzt: etwas bestaunte.

So ein elegantes, altes Schiff hatte er hier noch nie gesehen und ein ganzer Schwarm an Fragen fegte ihm durch den Kopf. Wo mochte es wohl herkommen, wo hinwollen und warum hieß es ausgerechnet Esmeralda? „Interessant“, dachte Manolito, Esmeralda war auch der Name seiner Mutter, und instinktiv formte sich sein Mund zu einem Lächeln. Was für ein Zufall!

Mindestens fünfzehn Meter lang war die Yacht und wunderschön schlank war sie geschnitten. Sie musste schnell auf dem Wasser sein, dachte Manolito bei sich, eine richtige Rennziege würde sein Freund, der Hafenmeister, jetzt sagen, wenn er es hätte sehen können.

Wie schade, es war niemand an Deck zu entdecken. Auf den anderen Schiffen lief bereits die Besatzung herum, nur hier auf diesem, war noch niemand zu sehen.

Manolito horchte und versuchte, ein Geräusch zu erhaschen, aber so sehr er auch lauschte, es rührte sich nichts. Ob das Schiff verlassen war? Das konnte kaum sein, es war ja gerade erst angekommen und jemand musste es ja schließlich in den Hafen gesteuert haben.

Manolito stellte sich auf Zehenspitzen und versuchte, über das Schiffsgeländer zu spitzeln, aber das half nicht, er war einfach nicht groß genug. Er musste nur etwas finden, auf das er sich stellen konnte, einen großen Eimer oder so etwas wie eine alte Öltonne, wie sie hier sonst herumstanden. Manolito schaute sich um und suchte den Kai ab. Irgendetwas muss es doch geben, aber so sehr seine Augen auch suchten, hier in seiner Nähe lag nichts herum, das er hätte benutzen können. Manolitos Neugier wurde so stark, dass es in seinem Bauch zu kribbeln begann, und einem Reflex folgend, drückte er mit einer Hand seinen Magen, als könnte das die Neugier lindern.

Er wollte sich das Schiff unbedingt ansehen und musste schon deshalb herausfinden, ob es hier für ihn etwas zu tun gab. Die graue Kaimauer auf- und abtrabend, schritt er fünfzig Schritte in die eine Richtung und dann wieder dieselbe Strecke zurück. Aus der Entfernung betrachtet erinnerte der Junge an einen Tiger im Käfig eines Zoos, der unentwegt umherstrich. Während er so auf und ab ging, ließ er das Schiff nicht eine Sekunde aus den Augen, denn wenn jemand sich zeigen würde, dann wollte er sich sofort bemerkbar machen.

Das Hin- und Herlaufen war nutzlos, weder verstrich dadurch die Zeit schneller, noch rührte sich deswegen etwas auf dem Schiff. Vielleicht sollte er einfach an Deck gehen und an die Kojen klopfen oder laut rufen. Für einen Moment überlegte Manolito und verharrte auf der Stelle. Er musste lediglich den kleinen Bootssteg entlang gehen und einige Sekunden später wäre er oben an Deck, was war schon dabei?

Manche Leute mochten es nicht besonders, wenn man ungefragt an Bord kam, und eigentlich war es auch nicht erlaubt, das wusste er. Wenn sich die Besitzer hinterher über ihn beschwerten, bekäme er erst Ärger mit dem Hafenmeister und danach womöglich eine Standpauke von seiner Mutter. Unschlüssig und mit einer Hand die Haare zwirbelnd, stand Manolito da und tippelte von einem Fuß auf den anderen. Erlaubt hin, erlaubt her, dachte er bei sich und gab sich schließlich einen Ruck, immerhin hatte er ja nichts Böses im Sinn. Vorsichtig balancierte er über den schmalen Schiffssteg und nach einigen Schritten setzte er, so leise es ging, einen Fuß nach dem anderen auf das Deck. Dieses war ebenfalls wunderschön, das erstaunte ihn nicht. Im Unterschied zum glänzenden Schiffsbauch war das Holz hier matt und grau. Die Farbe erinnerte ihn spontan an das vom Wasser ausgelaugte Treibholz, das am Strand angespült wurde. Ganz gleichmäßig war der Boden und Manolito betrachtete die Holzdielen, die vom einen bis zum anderen Ende des Schiffes verlegt waren. So ein Schiff wie dieses hatte er definitiv noch nie gesehen.

Während Manolito es so bewunderte, dachte er unwillkürlich an die Stunden und Tage voller Arbeit, die es wohl gebraucht haben mochte, um das betagte Schiff wieder in diesen Zustand zu bringen.

Da stand er nun allein auf diesem fremden Schiff und ließ seine Augen über das Deck wandern. So viel war ihm schon einmal klar, dieses Schiff war eindeutig zu groß, um es allein hierher zu bringen, es musste also eine Besatzung geben.

Er schaute den Mast entlang nach oben und schätzte seine Höhe auf mindestens zehn Meter. Das große Segel, das daran wehte, wollte auf den Reisen erst einmal hochgezogen werden und gleichzeitig musste auch noch jemand am Steuerrad stehen, das stand für ihn fest.

„Wuff!“, bellte es plötzlich hinter ihm und Manolito bekam einen Schreck. Seine Augen weiteten sich und ein unangenehmer Schauer lief ihm über den Rücken. Das war kein Ton eines kleinen Hundes, dieses Geräusch kam aus einer tiefen Kehle und die gehörte zu einem großen Tier.

Vorsichtig und etwas ängstlich drehte sich Manolito um, wobei seine Augen gleichzeitig nach Gegenständen suchte, mit denen er sich zur Not hätte verteidigen können. Nur, war da nichts, was er hätte erreichen können, ohne dem Hund gleichzeitig näher zu kommen.

Vor ihm stand ein merkwürdiger Vierbeiner, nicht sehr groß, mit kurzen, krummen Beinen, einem ungewöhnlich massiven Kopf, einem dicken Bauch und einem beeindruckenden Maul, bei dem die Unterlippe etwas vorstand, so sah er aus! So einen wie diesen hatte Manolito noch nie gesehen. Die Hunde die hier in Portimao sahen ganz anders aus. Manche waren größer als dieser, andere gleich groß oder eben kleiner. Viele von ihnen hatten hellbraunes Fell, und wenn es diese Farbe hatte, dann sahen sich die meisten irgendwie ähnlich, so, als würden sie aus einer einzigen großen Familie stammen. Manche hatten auch dunkles Fell, aber weißbraun wie dieser hier war keiner. Der dicke Hund beäugte ihn und beschloss, näher zu kommen, um leise knurrend an seiner Kleidung zu schnüffeln. Manolito hielt es für klug, still zu stehen, und entschied, sich vorerst lieber nicht zu rühren. Zu seinem Glück kniff ihn der Hund nicht, aber das war nur ein schwacher Trost, denn das beängstigende Knurren verstummte nicht. Und was jetzt geschah, war irgendwie vorauszusehen gewesen, nur war es leider das Gegenteil von dem, was Manolito wollte.

Der Hund tat nämlich seine Pflicht, setzte sich direkt vor ihn, öffnete sein großes Maul und bellte dreimal kräftig und so laut, dass es ihm in den Ohren hallte. „Pssst“, flüsterte er beruhigend zu dem Tier hinunter, „nicht so laut, ich tu dir doch gar nichts.“

Manolito beschloss, dem Hund nicht direkt in die Augen zu sehen, weil das aus einem Grund, den er nicht näher kannte, helfen sollte. Zumindest hatte er so etwas einmal gehört und jetzt war der Moment gekommen, herauszufinden, ob das stimmte. Gerade hatte er noch inständig gehofft, dass das Bellen niemand bemerkt hätte, als auch schon drei Jungs um ihn herumstanden. Die Tür zum Schiffsinneren war aufgesprungen und zwei der Jungen hatten in bedrohlicher Weise jeder einen Gegenstand in der Hand, mit dem sie auf ihn losgehen wollten. Einer, der groß und ziemlich dünn war, hielt einen Knüppel, ein anderer mit gut genährtem Bauch einen Kochlöffel und ein kleiner mit schwarzen Locken baute sich breitbeinig wie ein Boxer vor ihm auf und schien bereit, sofort kämpfen zu wollen. Manolito war bestimmt kein Angsthase, aber die Situation, in die er sich da gebracht hatte, wurde langsam mehr als ungemütlich. Das hatte er nun von seiner Neugier. Drei Jungs und ein Hund, der zum Fürchten war, wollten ihm ans Leder!


„Was willst du auf unserem Schiff?“, fragte der große Dünne. „Willst du uns etwa beklauen?“, fügte der Kleine hinzu und bemühte sich, bei diesen Worten besonders gefährlich auszusehen, indem er die Augen ein wenig zusammenkniff. Vor ihm allein hätte Manolito keine Angst gehabt und auch vor den beiden anderen nicht, aber alle drei zusammen und dazu dieser Hund! Als wäre die Lage nicht schon brenzlig genug gewesen, fuchtelte nun der Dicke auch noch bedrohlich mit seinem Kochlöffel in der Luft herum und kam mit langsamen Schritten auf Manolito zu. „Ich… ich“, stammelte Manolito, „ich wollte doch nur sehen, was das hier für ein schönes Schiff ist, nichts weiter.“ „So, so!“, antwortete der Große jetzt, „Bestimmt?“ „Ja, ich schwöre, ich bin doch kein Dieb, ich suche nur nach Arbeit, um ein paar Kröten zu verdienen.“

„Was denn für Kröten?“, fragte der Kleine mit den dunklen Locken. „Hier gibt es keine Kröten auf dem Schiff, du willst uns wohl veräppeln?“ „Nein, auf keinen Fall!“, beteuerte Manolito, „Kröten sagt man hier manchmal anstatt Geld. Ich verdiene mir ein bisschen was dazu, indem ich helfe, auf Schiffen das Deck zu schrubben, und wenn ich Glück habe, darf ich sogar mitsegeln.“ „Du kannst segeln?“, staunte der Kleine mit den Locken. „Du willst dich doch nur rausreden!“ „Nein, ganz bestimmt nicht“, erwiderte Manolito, „ich kann segeln, sehr gut sogar. Auf einigen Schiffen, die hier liegen, bin ich schon mitgefahren und dass ich kein Dieb bin, das wird euch jeder hier im Hafen bestätigen.“

„Bringt ihn mir runter!“, rief plötzlich die Stimme eines erwachsenen Mannes aus dem Schiffsinneren und unterbrach Manolito in seiner Entschuldigung. Die drei Jungs blickten sich gegenseitig an, taten wie ihnen geheißen, und ehe Manolito sich versah, wurde er wie ein Gefangener abgeführt. Nun wurde die Situation noch unangenehmer und Manolito überlegte krampfhaft, wie er verschwinden konnte, doch hierzu gab es keine Gelegenheit. Die Kinder schoben ihn vor sich her, direkt in Richtung der Treppe, die ins Schiffsinnere führte.

Der kleine Kapitän

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