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Wohnen: Villen und Mietskasernen

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Jahr für Jahr bestaunen Millionen von Besucher in den Ruinen von Pompeji die so gut erhaltenen Häuser jener Menschen, die bis zum 24. August 79 n. Chr. die Stadt Pompeji bevölkerten. Die wenigsten dieser Besucher aber stellen sich – was angesichts der Fülle der dargebotenen Eindrücke natürlich auch verständlich ist – die Frage, ob es im damaligen Pompeji bereits Hausrat- und Diebstahlversicherungen gegeben habe. Zwar war die Antike bürokratischer, als man denkt. Doch so weit war das Versicherungswesen noch nicht fortgeschritten, dass man auf diese Weise sein Hab und Gut schützen konnte. Dabei waren Einbrüche in die Häuser von Pompeji durchaus eine reale Gefahr. Denn es gab zwar Schlüssel, mit denen man die Haustüren zuschließen und damit sein Eigentum schützen konnte. Für wie wichtig die Pompejaner ihre Schlüssel erachteten, zeigte sich nach dem Ausbruch des Vesuv. Nur wenige Habseligkeiten konnte man bei der überstürzten Flucht mit sich führen. Viele entschieden sich für Geld und Schmuck – und eben für die Hausschlüssel.

Doch gegen clevere und entschlossene Einbrecher halfen auch die besten Schlüssel nicht. Und nicht alle Einwohner konnten sich Personal leisten, das bei Abwesenheit auf das Haus aufpasste. So muss man davon ausgehen, dass Pompeji, heute das Aushängeschild antiker Stadtkultur, wohl auch eine beträchtliche Kriminalitätsrate aufzuweisen hatte, jedenfalls was die Eigentumsdelikte betrifft. Den besten Schutz bot ein aufmerksamer Hund, der sich sofort meldete, wenn sich etwas Verdächtiges tat. Damit aber die Langfinger – wie auch Menschen mit einem harmloseren Anliegen – gleich im Bilde waren, was sie in dem betreffenden Haus unter Umständen erwartete, installierten die Eigentümer eine Warntafel.

Keine Chance für Diebe

Dieb, pass auf! (Eingang des Hauses V 3,9)

Diebe raus, ehrliche Leute rein! (Haus IV 2,2)

Für Nichtstuer ist hier kein Platz. Mach, dass du fortkommst, du Faulpelz! (Haus VI 11,13)

Ein Bronzegefäß ist aus dem Laden verschwunden. Wenn es einer zurückbringt, werden ihm 65 Sesterzen ausgezahlt. Wenn einer den Dieb abliefert, so dass wir wieder zu unserem Eigentum kommen können, 20 Sesterzen (Haus VIII 5, 3)

Perarius, du bist ein Dieb (Haus VII 7, 5)

Warnung vor dem bissigen Hund

In Pompeji sahen diese allerdings weitaus künstlerischer aus als die modernen Varianten, die sich mit einem nüchternen Schild begnügen. Das bekannteste Exemplar befindet sich am Eingang des „Hauses des Tragödiendichters“ (VI 8, 3). Das war natürlich nicht der Name des Hauses in den Zeiten des antiken Pompeji. Vielmehr entspringt diese Bezeichnung der Gewohnheit der Ausgräber von Pompeji, die entdeckten Häuser und Villen entweder nach dem Namen des einstigen Besitzers (sofern dieser bekannt ist) oder nach einem charakteristischen Fund in diesem Haus zu benennen. Beim „Haus des Tragödiendichters“ war dies ein Mosaik im Tablinum, dem repräsentativen Empfangszimmer. Es zeigt eine Schauspieltruppe bei den Vorbereitungen für den Auftritt. Ob der Besitzer des Hauses selbst etwas mit Literatur oder Theater zu tun hatte, ist unbekannt.

Auf jeden Fall gehörte zu seinem Haushalt ein Hund. Und dass mit diesem nicht zu spaßen war, dokumentierte der kunstsinnige Besitzer auf einem Mosaik am Eingang, mit der lebensgroßen Abbildung eines angeketteten Tieres, die Zähne gefletscht, die Ohren gespitzt, zum Angriff auf ungebetene Besucher bereit. Und wer so begriffsstutzig war, dieses Bild nicht als Drohung zu begreifen, dem lieferte der lateinische Spruch Cave canem („Hüte dich vor dem Hund“) gleich noch die Gebrauchsanweisung mit.

„Das Haus des Tragödiendichters“ durfte sich im 19. Jahrhundert eines Nachruhms der besonderen Art erfreuen, an dem der englische Schriftsteller und Politiker Edward Bulwer Lytton entscheidenden Anteil hatte. 1834 veröffentlichte er den Roman Die letzten Tage von Pompeji, der nicht dank historischer Genauigkeit (an der es deutlich mangelte), sondern vielmehr dank eines bemerkenswerten Gespürs des Autors für ausgefeilte Dramaturgie (der Vesuv bricht genau zum richtigen Zeitpunkt aus) zu einem Weltbestseller wurde und das Bild, das man sich von der Stadt am Vesuv machte, entscheidend prägte. Es war gerade das „Haus des Tragödiendichters“, das sich Bulwer Lytton als Mittelpunkt für sein Untergangs-Szenario von Pompeji auswählte.

Ein Besuch im Haus der neureichen Vettier

Das schönste Haus von Pompeji war aber nicht das „Haus des Tragödiendichters“, sondern das „Haus der Vettier“ (VI 15, 1). Viel Sorgfalt hatten die Besitzer investiert, um die Villa nach dem schlimmen Erdbeben von 62 n. Chr. wieder in Schuss zu bringen. Und als 79 n. Chr. der Vesuv ausbrach, erstrahlte der Komplex wieder in vollster Pracht, sodass er bis heute zu den Vorzeigeobjekten Pompejis zählt. Hier lebten, wohnten und repräsentierten zwei Angehörige der Familie der Vettier. Aulus Vettius Conviva und Aulus Vettius Restitutus waren Prachtexemplare jener Schicht von Neureichen, die in den Jahren vor dem Untergang das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in der Stadt prägten. Von Beruf waren sie Kaufleute. Sie waren an allen Geschäften beteiligt, die in der Stadt und in der Umgebung Geld einbrachten. Spezialisiert hatten sie sich auf die Produktion und den Vertrieb von Wein. Und das Geld, das die beiden Unternehmer verdienten, investierten sie nicht zu knapp in ihr unbescheidenes Heim. Wie bei so vielen Aufsteigern dokumentiert die Villa den etwas zwanghaft und daher letztlich auch missglückt wirkenden Wunsch, sich den Anforderungen einer gehobenen Wohnkultur gewachsen zu zeigen und damit die Eintrittskarte in exklusive Gesellschaftskreise zu lösen. Schließlich musste man sich auch konkurrierender Mitaufsteiger erwehren, die ebenfalls keine Kosten und Mühen scheuten, um sich ein statusgerechtes Heim zuzulegen. So gab es einen gewissen Cornelius Tages, der nicht weniger als vier nebeneinander liegende Häuser aufkaufte und sie durch entsprechende bauliche Veränderungen zu einer großen Wohneinheit umgestaltete.

Eine Stadtvilla wie die der Vettier war etwas zum Vorzeigen. Und so herrschte bei ihnen im Haus auch immer Hochbetrieb – sei es aus geschäftlichen, aus repräsentativen oder einfach auch nur geselligen Gründen. Und keinem der Besucher wird das Los erspart geblieben sein, sich in Begleitung der Hausherren einer Führung durch die Räumlichkeiten auszusetzen. Das konnte einige Zeit beanspruchen, denn die Villa der Vettier war ziemlich weit dimensioniert und besonders reich dekoriert. Die Wandmalereien ordnen die Kunstexperten dem „Vierten Pompejanischen Stil“ zu, also der letzten Stilpeoche, die Pompeji noch erleben durfte. Das Gebäude selbst war in zwei große Wohnkomplexe aufgeteilt, die durch einen Garten und einen Peristyl, also einen überdachten Säulengang, miteinander verbunden waren. Ursprünglich hatte es sich einmal um zwei getrennte Wohneinheiten gehandelt, die später – wahrscheinlich von den Vettiern selbst – zu einem neuen, größeren Komplex vereint worden waren. Bei der Wahl der Bildmotive waren die Vettier, die auch nicht der Versuchung hatten widerstehen können, am Eingang des Hauses einen Potenz demonstrierenden Priapos zu platzieren, von dem Prinzip der besten Wirkung ausgegangen. Gleichzeitig war man bestrebt, eine gediegene klassische Bildung an den Tag zu legen. So präsentierte ein Raum unglückliche Liebespaare aus der griechischen Mythologie. Dazu gehörte selbstverständlich Pasiphae, die Frau des kretischen Königs Minos, die in Liebe zu einem Stier entbrannte. Und es fehlt auch nicht das Motiv der tragischen Liebe des athenischen Helden Theseus, der aufgrund einer Verkettung unglückseliger Umstände seine aus Kreta stammende Geliebte Ariadne, die ihm auf der Insel des Minos selbst noch mit einem Faden ausgeholfen hatte, auf Naxos zurücklassen musste.

Wenn die Vettier Gäste hatten, werden sie ihnen nicht nur diesen Raum voller Stolz präsentiert haben. Sie führten die Besucher auch in einen weiteren, angrenzenden Saal, dessen Bildschmuck sich nicht hinter dem Raum der unglücklich Verliebten verstecken musste. Hier durften die Gäste die optische Umsetzung von Geschichten und Mythen aus dem alten Theben bestaunen. Und die Vettier werden sich alle Mühe gegeben haben, den Gästen die Wandgemälde möglichst kompetent zu erläutern. Schließlich kam es ja darauf an, dass die gesellschaftlichen Aufsteiger einen breiten Bildungshorizont nachweisen mussten, wollten sie in ihrer Rolle als neue Elite in der Stadt akzeptiert werden.

War der Rundgang beendet, begab man sich endlich in das Triclinium, den Speisesaal. Hier überraschten die Gastgeber mit einer tatsächlich sehr geschmackvollen Dekoration, die in Pompeji ihresgleichen suchte. Die mythologischen Darstellungen waren so qualitätsvoll, dass mancher Besucher sich dadurch, jedenfalls vorübergehend, von dem Genuss der lukullischen Köstlichkeiten abhalten ließ, die die Diener der Hausherren inzwischen auftischten. Mänaden waren zu erkennen, dazu die Prominenz der klassischen Helden wie Paris oder Theseus. Herrschte während des Essens Langeweile, konnte man sich an Bildern und Szenen aus dem griechischen Mythos delektieren, wie zum Beispiel an dem heftigen Streit, in den der Gott Apollon mit dem Konkurrenten Python um die Chefrolle im Heiligtum von Delphi geraten war. Oder man konnte sich durch die Bilder entführen lassen in die Welt des Agamemnon, der einst, wie die Pompejaner nach dem Vorbild der Griechen zuversichtlich zu glauben bereit waren, die Griechen nach Troja geführt hatte, um die geraubte Helena zurück zu holen.

Erspart blieb den müden Besuchern aber wahrscheinlich der Blick in einen kleinen Raum hinter der Küche. Der war offensichtlich allein für die Bedürfnisse der Hausherrn reserviert. Darauf deuten jedenfalls die erotischen Motive an den Wänden hin. Vermutlich haben sich die Vettier hier diskret mit ihren Sklavinnen oder Geliebten zurückgezogen. Dagegen war der Blick in den Garten wiederum obligatorisch. Auch in dieser Hinsicht hatten die Vettier ganze Arbeit geleistet. Die Anlage konnte sich ohne Zweifel mit den Parks rivalisierender Aufsteigerfamilien in Pompeji messen. Umgeben war der Garten von einem Peristyl, in der Mitte befanden sich die sorgfältig gepflegten Beete. Und besonders beeindruckend waren die bronzenen Statuen von Eroten, die den Brunnen im Zentrum des Gartens speisten, und die Hermen aus purem Marmor.

Für Neureiche wie die Vettier galt der Garten als Aushängeschild und Visitenkarte. Wiederum gab es einen edlen Wettstreit um die beste Anlage. Auch hier versuchte Cornelius Tages, seine Konkurrenten in den Schatten zu stellen. Seine Gärtner und Maler zauberten ihm eine beeindruckende Nillandschaft in den Garten, sodass bei Besuchern die Illusion entstand, dass man sich direkt im fernen Ägypten befand. Das Reich der alten Pharaonen stand zu dieser Zeit in ganz Italien hoch im Kurs. Überall schmückten die Reichen ihre Villen und Gärten mit Motiven aus dem exotischen Wunderland Ägypten. Da konnte und wollte ein Cornelius Tages natürlich nicht zurückstehen.

Alexander der Große in Pompeji

Einen Alexander den Großen konnten die Vettier und Cornelius Tages ihren Besuchern allerdings nicht bieten. Um den König von Makedonien zu sehen, musste man das „Haus des Fauns“ aufsuchen (VI 12,2). Dieses konnte, zum Verdruss der Vettier, für sich das Privileg beanspruchen, eine Perle privater Wohnkultur in Pompeji zu repräsentieren. Auch hier hatten sich die Besitzer alle Mühe gegeben, die Schäden des Erdbebens von 62 n. Chr. zu beseitigen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Die Villa erstreckte sich über eine Gesamtfläche von nicht weniger als 3000 Quadratmetern und befand sich zwischen zwei großen Mietshäusern. Die reichen Pompejaner hatten bei der Standortwahl für ihre Villen keine Berührungsängste mit jenen Menschen, die nicht zu den Spitzenverdienern gehörten und die sich mit bescheideneren Quartieren zufriedengeben mussten. So gab es in Pompeji kein Wohnen nach sozialer Hierarchie. Die Reichen hatten nicht ihre eigenen Viertel, sondern waren die Nachbarn der Armen. Dies hatte natürlich auch den unverkennbaren Vorteil, dass man den mittleren und unteren Schichten seine gehobene Wohnkultur direkt vor Augen führen konnte. Damit entsprachen die Reichen von Pompeji einer Attitüde, von der sich die römischen oder römisch geprägten Oberschichten traditionell leiten ließen. Reichtum war dazu da, zur Schau gestellt zu werden, und das galt auch für den Reichtum, den man in die private Architektur investierte.

Im „Haus des Fauns“ wartete der Besitzer mit einem wertvollen Mosaik auf, das neben der Statue eines tanzenden Fauns, die sich auf einem Sockel im Regenwasserbecken des Atriums befand, zu den absoluten Attraktionen der Villa gehörte. Wenn hier Besucher kamen, waren sie bereits in einer positiven Grundstimmung, weil sie am Eingang ein Mosaik mit einer kurzen, freundlichen Grußformel (salve) empfing. Das Haus hatte in den letzten Tagen von Pompeji bereits eine lange Vergangenheit hinter sich. Hier stand schon am Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. ein stattliches Wohnhaus. Doch erst jetzt erstrahlte es in dem Glanz, den der Besitzer gern verbreiten wollte. Das Mosaik mit Alexander dem Großen befand sich auf dem Boden der Exedra, eines großzügig gestalteten, lichtduchfluteten Aufenthaltsraums. Heute ziert es die Wand eines Saales im Archäologischen Nationalmuseum von Neapel. Von seinen Maßen her ist es nicht zu übersehen – fast sechs Meter breit und über drei Meter hoch. Das Bild ist zwar etwas ramponiert, doch lässt sich noch genug erkennen, um die abgebildete Szene zu identifizieren. Dargestellt ist auf jeden Fall eine Schlacht. Davon hat Alexander während seines zehnjährigen Feldzuges gegen das persische Reich der Achämeniden mehrere geschlagen, doch berühmt wurden die drei Schlachten am Granikos im nordwestlichen Kleinasien (334 v. Chr.), bei Issos in Kilikien (333 v. Chr.) und bei Gaugamela am Tigris (331 v. Chr.). Auf dem Mosaik von Pompeji ist deutlich der persische Großkönig Dareios III. zu erkennen, der gerade dabei ist, vor dem Ansturm Alexanders und seiner Truppen das Heil in der Flucht zu suchen. Man sieht auch den Kopf von Bukephalos, Alexanders Pferd, das zu den wenigen namentlich bekannten Pferden der Antike zählt. Indes war Dareios in der Auseinandersetzung bei Granikos noch nicht dabei gewesen, weil er zu diesem Zeitpunkt noch nicht geglaubt hatte, die Abwehr des Angriffes der Makedonen zur Chefsache erklären zu müssen. Also kommen als Lokalitäten für das Gefecht auf dem Mosaik im „Haus des Fauns“ nur Issos und Gaugamela infrage. Während man lange Zeit davon ausgegangen war, es handele sich um die „Issos-Keilerei“, tendiert man heute eher dazu, Gaugamela als das vom Maler gewählte Szenarium anzunehmen. Doch das sind letztlich Details, die für das Alltagsleben in Pompeji unwichtig sind. Bedeutsamer ist da schon, dass dieses Mosaik kein Original gewesen ist, sondern die allerdings sehr geglückte Kopie des originalen Bildes, das vermutlich schon bald nach der Schlacht selbst, gegen Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr., entstanden war. Bis zum August 79 n. Chr. zierte das Gemälde einen Saal in der Stadtvilla eines ohne Frage prominenten Pompejaners. War er geschichtsbegeistert? Hatte er ein Faible für Alexander den Großen, dem ja auch die römischen Kaiser nachzueifern versuchten? Hatte er persönliche Beziehungen zu Griechen oder Makedonen? Darüber zu spekulieren, ist müßig. Doch Faktum bleibt, dass Alexander der Große, der 323 v. Chr. in noch jungen Jahren im fernen Babylon gestorben war, über 420 Jahre später in einer mittleren Landstadt in Italien den Fußboden eines repräsentativen Raumes in einer Villa zierte.

Die Struktur des pompejanischen Wohnhauses

Wer damals noch nie in Pompeji gewesen war und sich erstmals der Gastfreundschaft der beiden Vettier oder auch des Besitzers der Faun-Villa erfreuen durfte, hatte die Gelegenheit, die Struktur eines reichen Wohnhauses in der Stadt unter dem Vesuv zu studieren. Das Haus der Vettier war nicht das Einzige, das aus kleineren Komplexen zu einer großen Einheit zusammengefügt war. Und doch war auch hier noch die Grundidee der Wohnanlage bei den Reichen deutlich zu erkennen. Man betrat das Haus durch einen schmalen Korridor, der in den Innenhof, das Atrium, führte. Dieser Hof war nicht komplett überdacht, es gab in der Mitte eine Öffnung, darunter befand sich ein Becken, in dem das Regenwasser aufgefangen wurde. Doch die Versorgung des Hauses mit Wasser hing nicht allein von der Funktionsfähigkeit dieser Zisternen ab. Die Villen der Reichen hatten zudem über häufig kunstvoll gestaltete Brunnenanlagen einen direkten Anschluss an die große öffentliche Wasserleitung, die wiederum von einem Aquädukt gespeist wurde. So musste man auch in Zeiten der Trockenheit keine Furcht davor haben, plötzlich auf dem Trockenen zu sitzen. Allerdings hatte das Erdbeben von 62 n. Chr. das System der Wasserversorgung in Mitleidenschaft gezogen, und hier hatte man sofort mit den Reparaturarbeiten begonnen. So litt die Stadt auch im finalen August 79 n. Chr. nicht an Wassermangel.

Das Atrium war von zwei oder mehreren Räumen flankiert, die unterschiedlichen Zwecken dienen konnten, und sei es nur, dass durch die Fenster mehr Licht in das Haus geführt wurde. Denn die Beleuchtung war ein veritables Problem, vor allem in der kalten Jahreszeit, wenn die Sonne früh unterging. Und natürlich abends und nachts. Man behalf sich mit Fackeln oder Wandkerzen, wobei immer die Gefahr bestand, dass ein Feuer ausbrach. Und über eine Berufsfeuerwehr verfügte Pompeji, im Gegensatz zu der Hauptstadt Rom, wo Kaiser Augustus diese verdienstvolle Einrichtung gefördert hatte, noch nicht. Auch das Heizen lief nicht ohne Schwierigkeiten ab. Gewöhnlich sorgte man mit Kohlepfannen und Holzkohle für ein halbwegs angenehmes Raumklima. Doch wenn es bitter kalt wurde, was im Winter auch in der ansonsten klimatisch so gesegneten Region um den Golf von Neapel gar nicht selten war, dann waren die Reichen froh, wenn sie Fenster aus Glas eingebaut hatten, die Schutz vor der Kälte boten. Doch konnten sich selbst die Betuchten wegen der hohen Anschaffungspreise diesen Luxus nur in Ausnahmefällen leisten.

An das Atrium schloss sich gewöhnlich das Tablinium an. Das war sozusagen das Arbeitszimmer des Hausherrn. Hier empfing er auch seine Gäste oder die Klienten, also jene Schutzbefohlenen aus den unteren Schichten, die nach den Spielregeln des gesellschaftlichen Lebens dem Patron durch ihre regelmäßige Anwesenheit den Status verschafften, den er benötigte, um als prominent und einflussreich gelten zu dürfen. Oft befand sich neben dem Tablinium das Schlafzimmer. Wer es sich leisten konnte (und die Besitzer der großen Stadtvillen konnten sich dies in der Regel natürlich leisten), installierte in einem dem Schlafzimmer vorgelagerten Raum eine Schlafgelegenheit für einen Sklaven, dem man dann nachts, wenn es sich ergab, bequem Aufträge erteilen konnte.

Für das Esszimmer, das Triclinium, gab es in den Bauplänen pompejanischer Hausbesitzer keinen festen Platz. Man konnte, wenn es das Wetter zuließ, auch im Garten speisen und trinken. Bedient wurde man von den Sklaven, die sich aber nicht allein um das leibliche Wohl der Gäste kümmerten, sondern die überhaupt darauf zu achten hatten, dass es ihnen an nichts fehlte. So gehörte es selbstverständlich auch zum Service des Hauses, dass ein Sklave bereit stand, um den Gästen die Schuhe auszuziehen. Das geschah nicht, um die Liegen zu schonen, auf denen man sich während der Mahlzeiten ausbreitete. Vielmehr war diese Handlung auch ein Gebot der Reinlichkeit.

Wie man sich als Gast in einem reichen Haus benehmen soll

Der Sklave möge die Füße der Gäste waschen und sie trocken reiben, und deine Serviette bedecke das Polster, schone unsere Tücher! Wirf keine lüsternen Blicke umher und wende begehrliche Blicke von der Frau eines anderen ab, und Ehrbarkeit sei dir im Antlitz. Wenn du das nicht kannst, dann gehe in dein eigenes Haus zurück (Haus I 1,3, Triclinium, Anweisungen des Hausherrn)

Die Straßen von Pompeji waren, besonders, wenn es geregnet hatte, nicht immer in einem Zustand, dass man es riskieren konnte, als Gast in einem fremden Haus mit seinen schmutzigen Schuhen dauerhafte Spuren zu hinterlassen.

Die Küchen in den Häusern der Reichen genügten, nach modernem Standard, nicht gerade den allgemeinen Hygiene-Vorschriften. Es war für den Appetit und die Gesundheit der Gäste vorteilhafter, wenn sie in diesen Raum keinen Blick warfen. Die Köche und Küchensklaven arbeiteten unter erschwerten Bedingungen, denn viel Bewegungsspielraum hatten sie in der engen Küche nicht. Mit der Luft stand es auch nicht zum Besten. Der Schornstein war noch nicht erfunden, als Rauchabzug dienten Fenster oder eine Öffnung in der Decke. Auch hier war die Brandgefahr extrem hoch.

Zu den weniger angenehmen Örtlichkeiten gehörten auch in den Villen der Reichen die Toilettenanlagen. Immerhin verfügten fast alle Häuser über ein eigenes, meistens freilich recht primitives WC, und das war sogar in den Behausungen der mittleren und unteren Schichten der Fall. Man nahm dabei offenbar keinen Anstoß an dem Umstand, dass sich das WC häufig in direkter Nachbarschaft zur Küche befand.

Das Leben in den Mietskasernen

Die Stadtvillen waren die Häuser der Reichen und der Neureichen. Die Masse der Bewohner lebte in einfacheren Verhältnissen. Sie bevölkerten jene als insulae bezeichneten, von Straßenzügen begrenzten Wohnkomplexe, die meistens mehreren Familien ein Heim boten. Typisch war dabei die Einheit von Wohnung und Arbeitsplatz, was im Übrigen die angenehme Folge hatte, dass es in Pompeji nicht das neuzeitliche Phänomen eines Berufsverkehrs gab. Der Normalpompejaner musste, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen, eigentlich nur eine Treppe hinuntersteigen und nicht etwa einen langen Weg bis zum anderen Ende der Stadt absolvieren. Denn oben, im ersten Stock, war die Wohnung, unten, im Parterre, die Werkstatt oder der Laden. Diese Konstellation hatte die weitere erfreuliche Konsequenz, dass es der Besitzer auch nach der Beendigung seines beschwerlichen und mühsamen Arbeitstages nicht weit hatte, wenn er in die eigenen vier Wände zu Frau und Kindern zurückkehren wollte.

Wer von den einfachen Pompejanern ein Dach über dem Kopf hatte, durfte sich glücklich schätzen. Denn in den Jahren vor dem Ausbruch des Vesuv herrschte in der Stadt eine eklatante Wohnungsnot. Das hatte wiederum mit den Folgen des Erdbebens von 62 n. Chr. zu tun – und nicht nur damit, dass damals viele Häuser beschädigt worden waren. Vielmehr strömten von auswärts viele Handwerker und Bauarbeiter in die Stadt, die man für den Wiederaufbau benötigte. Sie kamen nicht nur für ein paar Wochen oder Monate. Die Arbeiten nahmen viele Jahre in Anspruch. Gefragt waren also preiswerte Mietwohnungen. Die Besitzer der insulae reagierten auf den erhöhten Bedarf an bezahlbarem Wohnraum mit der Aufstockung der Gebäude. Mancher wagte es nicht nur, eine zweite, sondern sogar eine dritte Etage einzubauen. Einheitliche Wohnanlagen wurden parzelliert und stellten weitere Mietobjekte zur Verfügung. Kurz bevor der Vesuv allem Treiben ein Ende bereitete, hatte der Bauboom für eine Beseitigung der Wohnungsmisere gesorgt.

Natürlich waren auch gleich Unternehmer zur Stelle, die mit cleveren Geschäftsideen Kapital aus der anfangs prekären Lage am Wohnungsmarkt schlugen. Besonders einfallsreich waren die Agenten und Berater einer Frau namens Julia Felix, der Tochter eines gewissen Spurius. Sie wandelten deren einfache Mietskaserne in einen hochmodernen Komplex aus kombinierter Wohn- und Wohlfühlanlage um. Die entsprechende Annonce, die auf diesen neuen baulichen Glanzpunkt von Pompeji aufmerksam machen sollte, war vielversprechend und verlockend: Mit Wirkung vom 13. August seien „von besten Kreisen besuchte Thermen, Läden, Zwischenstöcke und Appartements auf fünf Jahre zu vermieten. Vom sechsten Jahr an“, folgte eine in pompejanischen Mietverträgen offenbar übliche Klausel, „verlängert sich der Kontrakt aufgrund stillschweigenden Einverständnisses.“ Wenn sich dieser besagte 13. August auf den 13. August des Jahres 79 n. Chr. bezogen haben sollte, dann dürften die Mieter nicht viel Freude an dem Objekt gehabt haben. Denn bereits am 24. August brach der Vesuv aus und beendete auch die Geschäftstätigkeit der Julia Felix, die Existenz ihrer hochmodernen, kombinierten Wohn- und Spaßanlage sowie die aller anderen Villen und Mietshäuser von Pompeji.

Mieter gesucht!

Häuserblock des Arrius Pollio. Besitzer Gnaeus Alleius Nigidius Maius. Vom 1. Juli an werden vermietet: Läden mit einem Zwischenstock, herrschaftliche Speiseräume und weitere Wohnungen. Der Mieter soll sich an Primus wenden, den Sklaven des Gnaeus Alleius Nigidius Maius (Haus VI 4, 2)

[...] werden vermietet auf fünf Jahre. Nach Ablauf der fünf Jahre soll der Mietvertrag stillschweigend verlängert werden (Museum Neapel, aus Pompeji)

Unter dem Vesuv

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