Читать книгу Tiberius - Holger Sonnabend - Страница 8

Tiberius – Herrscher ohne Volk

Оглавление

Tiberius war nach Augustus der zweite römische Kaiser. Seine Nachfolger hießen Caligula, Claudius und Nero. Augustus war eine Lichtgestalt. Caligula und Nero gelten als Exzentriker, als Despoten und Tyrannen. Claudius regierte ordentlich und ohne großes Aufsehen. Und welche Rolle spielt Tiberius? Welchen Platz unter den ersten römischen Kaisern soll man ihm zuweisen? In der allgemeinen Wahrnehmung, die sich auch an einer nicht besonders hohen Zahl moderner Biographien ablesen lässt, tritt er hinter Augustus, Caligula und Nero zurück. Das hat damit zu tun, dass er nicht über die dauerhaften Ruhm begründende Strahlkraft verfügte. Und auch damit, dass er nicht das nötige Glück hatte. Aber er war ein solider, gewissenhafter, pflichtbewusster Arbeiter. Doch das kam bei den Römern nicht so an.

Schon der Anfang seines Lebens hätte in eine bessere Zeit fallen können. Als Tiberius geboren wurde, herrschte Krieg. Einige Monate zuvor war der Dictator Iulius Caesar einem Attentat zum Opfer gefallen. Seine Anhänger und seine Gegner führten daraufhin einen erbitterten Bürgerkrieg. Tiberius, kaum auf der Welt, war auf der falschen Seite, weil sich sein Vater für die späteren Verlierer entschieden hatte. Zum Glück heiratete der Sieger seine Mutter. So gelangte Tiberius, ohne sein Zutun, in den engsten Zirkel der Macht. Und hier bewährte er sich vor allem in militärischer Hinsicht. Viele Triumphe, die Kaiser Augustus feierte, hatte er seinem Feldherrn Tiberius zu verdanken. Doch dann verließ der gefeierte Triumphator Rom und verbrachte mehrere Jahre fern der Hauptstadt im selbstgewählten Exil auf der griechischen Insel Rhodos.

Erst mit 55 Jahren wurde er Kaiser, als Nachfolger seines Stief-, Schwieger- und Adoptivvaters Augustus, der die alte römische Republik in eine Monarchie verwandelt hatte. Durch seine militärischen Erfolge hatte sich Tiberius den Ruf eines herausragenden Soldaten erworben. Doch die Herrschaft über das römische Imperium war von anderem Kaliber. Für Augustus war die Alleinherrschaft maßgeschneidert, für Tiberius nicht. Lange, zu lange hatte er warten müssen, und er war auch nicht erste, nicht einmal zweite Wahl. Er kam deutlich zu spät an die Macht. Das war keine gute Ausgangsposition, zumal sein Vorgänger eine ansehnliche Leistungsbilanz aufzuweisen hatte. Außerdem war Augustus ein Meister der Selbstdarstellung gewesen. In einer Gesellschaft, in der Formen wichtiger waren als Inhalte, war diese Begabung eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches Herrschen. Tiberius gab sich alle Mühe. Eine Fehlbesetzung war er nicht. Im Gegenteil: Er brachte politisch einiges in Bewegung, mehr als viele andere römische Kaiser nach ihm. Er sorgte allein dadurch, dass er die Nachfolge des Augustus antrat, für Stabilität und Kontinuität des neuen politischen Systems. Aber die Herzen des Volkes flogen ihm nicht zu. So blieb er ein unglücklicher, ein »trauriger« (Zvi Yavetz) Kaiser und zog sich für die letzten Jahre seines Lebens auf die Insel Capri zurück.

Als er im Alter von 77 Jahren starb, freute sich das Volk und forderte, den Leichnam des Tiberius in den Tiber zu werfen. Dies blieb ihm letztlich erspart. Erspart blieb ihm auch, lesen zu müssen, was antike Schriftsteller und auch moderne Historiker später über ihn schrieben. Ein Kaiser ohne Charakter und Moral sei er gewesen, brutal, grausam, heuchlerisch und zu Exzessen aller Art neigend. Christliche Autoren urteilten milder. Tiberius war Kaiser, als Jesus Christus wirkte und starb. Und so erklärten sie ihn zu einem Freund und Förderer der Christen.

Warum kam Tiberius beim Volk nicht an – weder bei den oberen noch bei den unteren Schichten? Was hat er für Rom getan, welchen Platz nimmt er in der römischen Geschichte ein? Warum gehört er nicht wie Augustus oder Nero zu jenen, die sofort genannt werden, wenn von römischen Kaisern die Rede ist? Welchen Anteil hatte er daran, dass unter seiner Herrschaft der Siegeszug des Christentums begann?

Die Antworten auf diese Fragen ergeben das Porträt einer klugen, verantwortungs- und pflichtbewussten, menschlich und kommunikativ jedoch komplizierten Persönlichkeit sowie das faszinierende Bild einer ereignisreichen und wichtigen Phase der Geschichte des antiken Rom. Und die Biographie des Kaisers Tiberius offenbart als aktuelle Botschaft aus der Vergangenheit das Dilemma eines führenden Politikers, dem das Volk abhanden kam. Vor dem Hintergrund heutiger Diskussionen um Nähe und Ferne zwischen Regierenden und Regierten ist eine Beschäftigung mit Tiberius also mehr als eine bloß geschichtliche Lektion.

Tiberius

Подняться наверх