Читать книгу Ein aufgeschobener Kuss - Holly B. Logan - Страница 5

2. Kapitel

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"Da bist du ja endlich! Was hat denn da wieder so lange gedauert? Musstest du deine Klamotten erst noch nähen oder was?" Nancy warf Lara einen genervten Blick zu, als sie ins Auto stieg. "Herzchen, wenn ich sage, Mitternacht, dann meine ich Mitternacht! Und nicht gefühlte zwei Stunden später. Jetzt ist es schon wieder zwanzig Minuten nach! Musst du immer so bummeln? Wir stehen auf der VIP-Liste, da müssen wir pünktlich sein."

Nancy hatte Lara von zuhause abgeholt. Das tat sie allein schon deshalb, weil sie genau wusste, dass sie sich ansonsten wieder rausreden würde. "Nichts da, keine faulen Ausreden", hatte sie gesagt, "du kommst gefälligst mit. Kneifen kannst du ein anderes Mal". Wenigstens war Nancy trotz ihres Gemeckers aufgefallen, dass Lara all ihre Anweisungen befolgt und sich außerordentlich hübsch gemacht hatte. Sie trug ein schwarzes, figurbetontes Kleid und ihre Pumps mit den goldenen Sternchen, die Nick ihr von einer seiner Geschäftsreisen mitgebracht hatte.

Ihr langes Haar hatte sie geflochten, seitlich lugten ein paar Strähnen hervor, die ihre hohen Wangenknochen umschmeichelten. Ihre Augen hatte sie mit Kajal umrandet und auf den Lippen trug sie dezenten Lippenstift. Sie mochte es nicht, wenn sie aussah, als sei sie in einen Tuschkasten gefallen. Lara schminkte sich stets nach dem Entweder-Oder-Prinzip. Wenn sie die Lippen betonte, verzichtete sie auf auffälliges Augen-Make-up und andersrum. Abgesehen von Nancy, die sich je nach Tageslaune auch schon mal nach der Devise schminkte, viel hilft viel.

Obwohl die beiden Freundinnen nicht unterschiedlicher hätten sein können, verstanden sie einander blind und passten, wie Nancy es in ihrer süffisanten Art auszudrücken pflegte, "wie Arsch auf Eimer" zusammen.

"Hey, du siehst ja verschärft aus!", sagte Nancy. "Für das Outfit brauchst du einen Waffenschein!"

Gutgelaunt machten sie sich in Nancys Firmenwagen auf den Weg ins "Lovelight" - dem angeblich heißesten Geheimtipp der Stadt.

"Du meine Güte! Willst du mich veräppeln?", kreischte Lara, als sie auf das Privatgelände rollten. "Ich glaube kaum, dass ich da rein möchte!"

Lara verdrehte die Augen. Schon als sie im Schritttempo durch das große gusseiserne Tor fuhren, traf sie fast der Schlag, als links und rechts an ihrem Wagen halbnackte Menschen vorbeischlenderten. Männer mit freien Oberkörpern und nur in engen Hosen bekleidet, halbnackte Frauen, die nichts bis auf ein Netzkleid trugen – Lara stand der Schock ins Gesicht geschrieben. "Hör mal, Nancy, die Rede war von einem Tanzclub. Und du sagtest, ich solle mich sexy anziehen, aber hier rennen lauter Nackte rum! Ich fühle mich unwohl bei der Sache, ich glaub`, ich will heim!"

"Du spinnst wohl, kommt nicht in Frage!", sagte Nancy im Ton einer Gouvernante, "du kommst gefälligst mit und schaust es dir an! Wenn’s dir nicht gefällt, kannst du dir ja immer noch ein Taxi rufen. Ich zahle das gern, aber ich garantiere dir, das wird nicht von Nöten sein. Vertrau mir!"

Lara machte ein genervtes Gesicht, das sich auch nicht entspannte, als sie sah, während Nancy den SUV in eine der letzten freien Parklücken bugsierte, wie eine Frau ihrer halbnackten Begleitung eine Hundeleine um den Hals legte. Jesus Maria, sagte sie zu sich selbst und verdrehte abermals die Augen, wohin hat diese Irre mich diesmal nur wieder geschleppt?

Vor dem Club stand eine fünfzig Meter lange Schlange Halbnackter. Lara schaute auf gepiercte Brüste, tätowierte Oberkörper und Hintern in knallengen Jeans. Was sie zusätzlich irritierte war, dass alles an Körpern vertreten war, was die Natur zu bieten hatte. Sie sah also nicht nur schöne, schlanke und junge Menschen, sondern auch jene, die in die Jahre gekommen waren. Und sie alle wirkten gelassen und selbstbewusst. Sie sah Herren mit dicken Bäuchen und Haarkranz und "Old Ladys" an der Seite von Toy-Boys, die vom Alter her ihre Enkel sein konnten. Widerwillig stakste Lara Nancy, die forschen Schrittes an der Schlange vorbeilief und direkt den Türsteher anvisierte, hinterher.

"Hey, Mike, schön dich zu sehen." Ihre Stimme wechselte in einen dominanten, aber dennoch bezirzenden Ton. "Ich habe eine neue Spielgefährtin mitgebracht!"

Lara ignorierte Nancys Worte, obschon sie ihr am liebsten einen Vogel gezeigt hätte. Unbeeindruckt schaute sie zu Boden, als der Türsteher plötzlich an sie herantrat, und seine Hand unter ihr Kinn legte, um es leicht anzuheben und ihr prüfend in die Augen zu schauen. Laras Herz begann augenblicklich in ihrer Brust herumzuhüpfen, weil dieser Hüne seinen Blick nicht von ihr abwendete. Normalerweise ließ sie sich von Fremden nicht berühren, aber jetzt stand sie wie ein Schulmädchen da und wusste nicht, was sie tun sollte, während Mike seine große Hand unter ihrem Kinn hatte und ungefragt mit seinem Daumen über ihre Oberlippe fuhr.

"Wer so hübsch ist, sollte den Kopf nicht hängenlassen!", sagte er und lächelte.

Lara presste ein gequältes Grinsen hervor, auch wenn sie das Gefühl hatte, dass dieser Türsteher sie mit seinen Blicken förmlich auszog. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit wieder Nancy. Die beiden wirkten vertraut, fast schon zu vertraut, wie Lara sich des Gefühls nicht erwehren konnte. Und ehe sie sich versah, ging dieser Mike vor ihr auf die Knie und küsste Nancys stramme Waden. War das etwa der Typ von dem sie ihr erzählt hatte? Sie ärgerte sich, dass sie Nancy abgewürgt hatte, als sie von diesem "tollen Sklaven" Bericht erstatteten wollte. Und das nur, weil Nick zuhause war und Lara befürchtete, er würde mithören und wieder Sprüche machen.

"Ist das dein Sklave?", fragte Lara. Doch anstatt zu antworten, schob Nancy sie in den Vorraum des "Lovelights", in dem der nächste Schock bereits lauern sollte.

"Lara darf ich vorstellen: das ist Janine, sie ist verantwortlich für die Türpolitik", sagte Nancy und gab Janine einen Kuss auf die Wange.

Sie standen in einem halbdunklen Raum mit hohen Decken. In den Ecken hingen rote Lampen, auf den Stehtischen, gleich hinter dem Eingang, lagen Ketten, seitlich befand sich eine Garderobe, daneben war ein Vorhang, durch den spärliches Licht und Bässe drangen. Die Garderobiere, eine hübsche Frau in einem Blumen-Overall und hellblonden, hochgesteckten Haaren, sah Lara an und lächelte.

Die Frau, die Nancy Lara als Janine vorgestellt hatte, war groß und kräftig. Sie trug ein Latex-Kleid, das perfekt saß und oberhalb der Knie endete, so dass es genug von ihren gebräunten Beinen freigab. Janine musterte sie, wie zuvor der Türsteher, von oben bis unten. "Dein erstes Mal?", fragte sie und grinste.

Lara, die überlegte, ob diese Janine ein Mann oder eine Frau war, wusste nicht, was genau sie mit dieser Frage meinte. Dass sie das erste Mal in so einem Club war? Darauf müsse sie unweigerlich mit Ja antworten, aber Lara war zum Antworten zu abgelenkt von den Leuten, die halbnackt hinter dem Vorhang erschienen, sich von Janine ein Bändchen um das Handgelenk binden ließen und in einem Separee verschwanden, dessen Eingang so unscheinbar hinter der Garderobe war, dass Lara ihn zuvor gar nicht gesehen hatte.

"Fühl dich wie zuhause!", rief die Frau im Latex-Kleid Lara nach, während Nancy sie zärtlich durch den dunklen Vorhang schob.

Hinter dem Vorhang wartete eine andere, für Lara neue Welt. Es war eine Welt, die ihr auf den ersten Blick bizarr und unwirklich erschien, sie aber vom ersten Augenblick an faszinierte.

Der Club befand sich in einer Lagerhalle. Es war heiß und stickig, dass sie das Gefühl hatte, die Luft in Scheiben schneiden zu können. In den Ecken hingen lange blumenberankte Schaukeln von den Decken. Darauf saßen mehrere Frauen. Und darunter stand eine Traube Männer unterschiedlichen Alters, die ihnen unauffällig unter ihre Röcke schauten. Die Tanzfläche war gut gefüllt, aber nicht voll, Lara erschrak im ersten Moment, als sie zwei Typen in einer Ecke sah, die tanzten, wie Gott sie schuf - nackt. Jetzt starr da gefälligst nicht hin, ermahnte sie sich selbst. Auch wenn sie in Sachen Sex ein wenig verklemmt wirkte, war sie es nicht. Obwohl die beiden Typen es offensichtlich genossen, dass man ihnen beim Tanzen zuschaute, wirkten sie nicht unsympathisch. Lara hatte gedacht, dass es in derlei Etablissements leicht schmierig und ein bisschen ekelhaft sei, aber nichts von dem konnte sie feststellen, außer, dass ihre Meinung ein Klischee war, das gerade in sich zusammenfiel.

Das Ambiente war angenehm, der Club geschmackvoll eingerichtet. Obschon viele der Gäste spärlich bekleidet waren, hatte ihr Auftreten nichts Anstößiges – im Gegenteil. Es schien, als hätten sie sich bei der Wahl ihrer Outfits viel Mühe gemacht. Es gab nichts, was es nicht gab. Einige trugen Lack- oder Lederhosen, die an bestimmten Körperöffnungen ausgeschnitten waren, andere Clubbesucher hatten Kostüme an und wieder andere trugen elegante Abendgarderobe.

Die Musik war eine Mischung aus Elektronik und Pop. Lara glaubte, sogar eine abgewandelte Version von Jean Michel Jarre zu erkennen. Und gelegentlich, zwischen den Drum 'n' Bass-Beats, ertönten sanfte Piano-Klänge, ähnlich denen von Fiona Joy Hawkins oder George Skaroulis. Und Skaroulis, den liebte Lara seit dem Tag, an dem sie ihn das erste Mal im Auto ihrer Freundin Trudy Baker gehört hatte. Trudys Mutter war kurz zuvor mit dem Wagen ihrer Tochter unterwegs und hatte eine CD im Autoradio vergessen. Während Trudy sich über das angebliche Schlaftabletten-Gedudel ihrer Mutter mokierte, war Lara sofort Feuer und Flamme.

"Ich organisiere uns jetzt erst mal was zu trinken", sagte Nancy, die Lara bewusst einen Moment Zeit gelassen hatte, um die Atmosphäre auf sich wirken zu lassen.

Lara nickte und setzte sich auf einen der Podeste, von denen man nicht nur die Tanzfläche, sondern die ganze Location besser im Blick hatte. Obwohl sie den ersten Schock überwunden hatte, kam sie sich komisch vor. Wie sie es auch drehte und wendete, sie kam sich vor wie ein Spanner. Sie musste sich regelrecht konzentrieren, den Mund zuzumachen. Ständig ertappte sie sich, wie ihr die Kinnlade runterklappte. Neben der Tanzfläche waren Liegewiesen mit flachen Tischen, die sie an die Einrichtung japanischer Restaurants erinnerten. Von ihrer Empore aus konnte sie nicht nur erkennen, dass die Leute sich dort miteinander unterhielten und den einen oder anderen Cocktail schlürften, sondern auch, wie sie sich in den Armen lagen und sich küssten. Männer küssten Frauen, Frauen küssten Männer und Frauen Frauen. Und dazwischen erblickte sie einen etwa Siebzigjährigen, sehr behaarten Mann, der ihnen bei ihren Flirtereien vom Rande der Liegewiese zuschaute und offensichtlich unter der Jacke, die er über seine Hose gelegt hatte, masturbierte. Das war zu viel! Lara ergriffen Fluchtreflexe.

Sie drehte sich um und sah aus dem Augenwinkel in dem Separee, das ihrem Podest am nächstgelegenen war, einen androgynen Mann mit einer schwarzen Maske. Er hatte eine Leine um den Hals und kniete wie ein Hund vor einer korpulenten Frau, die ebenfalls eine Maske trug. Während er ihre Füße küsste, setzte sie etliche Male die Rute an und ließ sie über den Po des Mannes zucken. Lara stieß einen stummen Schrei aus. Das, was sie sah, entsetzte und faszinierte sie gleichermaßen. War sie etwa erregt? Nein, auf keinen Fall! Von ihr aus könnten sie sofort gehen. Aber irgendwie löste dieser Club auch etwas in ihr aus, dass ihr nicht unbekannt war, etwas, das tief unter ihrer eher konservativen Sexualität verborgen lag. Vielleicht hatte Nancy recht, wenn sie sagte, dass Lara viel zu verkopft sei und sich endlich fallenlassen sollte. Und jetzt, wo sie all diese leidenschaftlichen Menschen sah, musste sie sich eingestehen, dass sie diese um ihren Mut beneidete. Ja, sie war eifersüchtig darauf, dass es Frauen gibt, die kein Problem damit haben, in aller Öffentlichkeit andere Frauen zu küssen. Die es sogar genossen, wenn man ihnen dabei zuschaute.

In Lara kam ein Gefühl hoch, dass sie so nur bei ihrem allerersten Mal hatte. Und das, obwohl sie durchaus wusste, wie sich guter Sex anfühlte. Und guter Sex, das hatte wenig mit auf dem Bett verteilten Rosenblättern und Kerzen zu tun, aber dennoch hatte sie den Eindruck, die vielen Reize, die auf sie einströmten, nicht in ihrer Gänze erfassen zu können.

Alles war neu, aufregend, unwirklich. Sie fühlte sich überfordert, unerfahren und grünschnäbelig. Nicht, dass sie der Sex mit Nick langweilte, aber Nick war immer sehr dominant. Lara stellte sich vor, wie es wäre, wenn plötzlich ein Fremder vor ihr stünde und sie zum Tanzen auffordern würde. Natürlich würde sie Nein sagen, aber der Gedanke daran sorgte für einen Kick in ihrem Körper. Das Gute an diesem Club war offensichtlich auch, dass es keinerlei aufdringliche Menschen gab. Man wurde weder von der Seite angemacht, noch belästigt, und das, obwohl jeder zweite Gast aus demselben Gründen dort war – Voyeurismus, Neugierde, Lust. Ausgenommen Lara. Die wollte, wie gesagt, nur mal wieder das Tanzbein schwingen und sich von Nick ablenken. Und nun war sie in diesem "Lovelight" gelandet – inmitten hunderter Halbnackter. Je länger sie jedoch der Musik lauschte und die Leute beobachtete, desto mehr fesselte sie dieser Laden. Herr im Himmel, wo blieb Nancy bloß so lange?

Der Club wurde langsam voller. Laras Blick fiel auf zwei Frauen um die Dreißig mit langen Haaren, beide trugen die gleichen Tanktops und tanzten eng miteinander. Gierig huschten ihre Zungen über den verschwitzten Hals der jeweils anderen. Der Anblick sorgte unverzüglich für ein Kribbeln in ihrem Bauch. Andererseits wurde es ihr wirklich langsam zu viel. "Wenn ich mir einen Erotikfilm anschauen wollte, hätte ich das auch zuhause machen können", flüsterte sie vor sich hin.

Ein aufgeschobener Kuss

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