Читать книгу Ein aufgeschobener Kuss - Holly B. Logan - Страница 7

4. Kapitel

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Alan Gertz war ein gutaussehender Mann. Er hatte einen wunderschönen Mund, einen richtigen Schmollmund, um den ihn, wie Lara sich vorstellen konnte, so manche Frau, sie eingeschlossen, beneidete. Seine Augenfarbe konnte sie in dem Licht nicht genau erkennen, wohl aber, dass er die liebevollsten Augen hatte, die sie jemals gesehen hatte. Nach wenigen Minuten war sie schon weniger angespannt und hatte nichts mehr dagegen, mit ihm zu plaudern.

Alan erzählte ihr, dass er Nancy bei einem Barbecue eines gemeinsamen Freundes kennengelernt hatte. Komisch, dachte Lara, was für ein Barbecue, welcher Freund? Von einem Barbecue hatte sie gar nichts erzählt, obwohl, vielleicht hatte sie es doch erwähnt. Nancy plapperte den lieben langen Tag so viel herum, dass Lara sich von dem, was sie so erzählte, ohnehin nur die Hälfte merken konnte. Doch als sie sich umdrehte, um Nancy zu fragen, stellte sie fest, dass sie schon wieder stiften gegangen war.

"Hast du mitbekommen, dass sie aufgestanden ist?", fragte sie Alan und musste lachen.

"Ja, anscheinend wollte sie uns nicht stören!"

"Nicht stören? Ich bitte dich, wobei sollte sie uns denn stören, wir unterhalten uns doch nur!"

"Findest du nicht auch, dass das ein eher ungewöhnlicher Ort für eine Unterhaltung ist?" Er sah ihr auffordernd in die Augen.

"Ähm, Moment ... ich glaube, du hast da was falsch verstanden ..." Lara packten sofort wieder Fluchtgedanken.

Was dachte dieser Mann von ihr? Dass sie sich mit ihm vergnügen würde? So wie es offensichtlich jeder Besucher dieses Clubs tat? Sofort wurde sie zynisch. "So eine bin ich nicht!", warf sie ihm schroff an den Kopf. Sie dachte erneut an dieses Barbecue. Vielleicht war es ja ein Sex-Barbecue oder ein Barbecue für Dominas? Vielleicht war Alan ein Freund von Nancys komischem Sklaven? Vielleicht aber war er auch selbst ein Sklave oder wollte einer werden? Lara reimte sich in ihrer Phantasie schon wieder die krudesten Geschichten zusammen. Schließlich war Nancy mit allen Wassern gewaschen.

"Hey, ist alles in Ordnung mit dir?", fragte Alan und berührte sie leicht an ihrer Schulter. "Hab ich was Falsches gesagt?"

Lara blickte ihn an. "Was? Ja, ähm, nein, wo denkst du hin? Du hast nichts Falsches gesagt, es liegt nicht an dir, es liegt an mir, ich glaube, ich bin hier falsch."

Alan entging nicht, dass Lara sich unwohl fühlte und sagte: "Möchtest du gehen? Wenn du magst, fahre ich dich nach Hause."

"Danke, aber ich steige nie zu Fremden ins Auto", entgegnete Lara. "Außerdem habe ich vor, ein Taxi zu nehmen. So beschwipst, wie Nancy schon ist ..." Sie beugte sich nach vorn und nahm ihr Sektglas vom Tisch. Während sie einen kleinen Schluck trank, schaute Alan ihr mit einem Lächeln dabei zu.

"Hat sie sich wieder den SUV ihres Chefs gekrallt?", fragte er.

"Was, woher weißt du das?"

Alan zwinkerte. "Woher ich das weiß? Weil sie es mir selbst erzählt hat. Angeblich würde sie es ja nicht machen, wenn es auffallen würde, aber ich glaube, sobald sie eine Beule reingefahren hat, kann sie sich aus der Nummer nicht mehr so einfach rauswinden".

Lara lachte. "Ach, da kennst du sie aber schlecht. Sie hat für alles einen Plan."

"Hoffentlich geht der auch nächsten Montag auf!", sagte Alan, "Wir wollen in ihrer Firma ein paar Tests machen."

"Ein paar Tests? Was denn für Tests?"

"Champagner-Tests", sagte Alan, "ich glaube, es hört sich ein bisschen lächerlich an, wir wollen den Champagner natürlich nicht trinken. Das Ganze dient der Wissenschaft".

"Oh, ach so!" Lara glaubte sich zu erinnern, dass Nancy ihr von einem Forscherteam erzählt hatte. "Bist du dieser Biochemiker, der mit dem Summa cum laude-Abschluss?", fragte sie, während es gleichzeitig Klick in ihrem Kopf machte.

"Jaaaa, genau, der bin ich!"

Nun fiel ihr wieder ein, dass Alan Gertz nicht nur, wie Nancy ihn genannt hatte, "ein extrem cleverer Typ" war, sondern auch sage und schreibe fast elf Jahre jünger als sie.

Dreiundzwanzig Jahre – genauso alt wie ihr Bruder Carl. Und wenn Lara an Carl dachte, dachte sie gleichzeitig an einen kleinen Golden Retriever.

Alan Gertz war ein Welpe!

Lara fühlte sich bei diesem Gedanken sofort wohler. Ihre Schüchternheit und das unangenehme Gefühl, dass Nancy sie mit einem Fremden in einem Sex-Tanz-Club schon wieder alleingelassen hatte, waren wie weggeblasen. Ihre Freundin hatte ihr einen Welpen an die Seite gesetzt. Sie war zwar auch nur ein Mensch und gab zu, ebenfalls an die ganz große Liebe im Leben zu glauben, aber auf keinen Fall wäre dies mit jemandem möglich, der jünger war als sie! In Sachen Fremdgehen sah sie es ähnlich. Nicht, dass sie es sowieso nicht tun würde, nicht mal, wenn Ryan Gosling persönlich vor ihr stünde, aber schon gar nicht würde sie es mit einem tun, der erst volljährig geworden war! Sie ertappte sich dabei, wie sie schon wieder um die Ecke dachte, und lachte unweigerlich drauf los.

"Was ist so lustig?", fragte Alan etwas verunsichert.

"Ach, nichts!", sagte Lara und streichelte sanft über Alans Arm. "Ich denke nur dummes Zeug." Sie schwieg einen Augenblick und sagte dann: "Biochemiker. Ich kann mir vorstellen, dass das ein interessanter Job ist. Nancy hat mir von den Tests erzählt."

"Es wundert mich, dass sie das nicht vergessen hat. Auf mich wirkte sie zerstreut und vergesslich an diesem Morgen.

"Ja, ja, das ist Nancy, wie sie leibt und lebt. Aber in Wirklichkeit hat sie ein sehr gutes Gedächtnis."

Lara fiel ein, dass Nancy wegen dieser Tests ziemlich aus dem Häuschen war. Sie hatte Angst aufzufliegen und versuchte die Anzahl der geklauten Champagnerflaschen zusammenzukriegen, um die Inventurlisten zu faken.

Alan zog die Stirn in Falten und rutschte an Lara heran. "Was hast du gesagt? Ich habe dich nicht verstanden."

"Ach, nichts!" Lara bemühte sich, lauter zu sprechen.

"Und was machst du so? Arbeitest du auch bei Nancy?" Er berührte sie am Knie, zog seine Hand, als er es bemerkt hatte, aber unverzüglich zurück.

"Ich habe Sozialwissenschaften studiert." Lara bemerkte, dass es Alan unangenehm war, dass er sie versehentlich berührt hatte. Er machte ein Gesicht, als würde er sich dafür entschuldigen wollen.

"Das klingt spannend! In welchem Semester bist du?"

Sie mussten ziemlich herumschreien, die Musik war so laut, dass sie einander kaum verstehen konnten. Alan wiederholte seine Frage.

Lara lächelte. "Nein, ich bin in keinem Semester, ich bin schon lange fertig." Sie klapperte übertrieben mit den Augen, beugte sich ein Stück zu Alan vor und wiederholte: "Schon sehr, sehr lange! Eine Ewigkeit".

Alan schaute Lara ungläubig an und schüttelte den Kopf. "Wie alt bist du, wenn die Frage erlaubt ist?" Er griff sich gleichzeitig mit der flachen Hand an seinen Hals. Offenbar taten ihm vom Herumschreiben die Stimmbänder weh.

"Ach, das möchtest du nicht wissen!" Lara fühlte sich mit ihren vierunddreißig Jahren plötzlich alt.

"Komm schon!" Alan lächelte sie auffordernd an.

"Vierunddreißig, ich bin vierunddreißig!"

"Sieht man dir kein bisschen an!"

"Danke, sehr charmant!"

"Was hast du gesagt?"

Lara konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Und auch Alan musste darüber lachen, dass sie sich die ganze Zeit über so anschreien mussten, um einander zu verstehen. "Ich sage das nicht, um dir ein Kompliment zu machen. Ich meine es so. Du siehst nicht aus wie vierunddreißig."

"Wieso, was glaubst du denn, wie man mit vierunddreißig aussieht?" Lara sah Alan ein wenig provokant an.

Alan überlegte einen Augenblick und sagte: "Das ist eine gute Frage! Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir darüber nie Gedanken gemacht. Ich weiß, dass ich als Fünfzehnjähriger Dreißigjährige wahnsinnig alt fand. Total lächerlich, aber ich glaube, so denkt jeder in der Pubertät."

"Was? Was hast du gesagt? Ich hab den letzten Satz nicht verstanden. Was ist lächerlich?" Lara griff sich nun auch an den Hals. Sie schaute sich im "Lovelight" um. Offensichtlich waren die beiden die Einzigen, denen die Musik zu laut war, aber außer ihnen unterhielt ja sich auch niemand so angeregt.

"Sag mal, wollen wir uns woanders hinsetzen?" Alan griff sich ebenfalls wieder an seinen Hals.

Lara nickte. Kein einziges Mal hatte sie ans Tanzen gedacht, obwohl sie sich noch kurz zuvor so darauf gefreut hatte. Der Club, aus dem sie anfangs am liebsten rückwärts wieder raus gerannt wäre, war vollkommen zur Nebensache geworden.

Lara hätte mit Alan überall plaudern können, egal, ob im "Lovelight", im Supermarkt oder in einem Café. Es war die Art, wie er mit ihr sprach und sie dabei ansah. Und er roch so wahnsinnig gut. Nicht nach Parfüm oder Aftershave, nein, er hatte einen Duft an sich, der sie betörte. Am liebsten wäre sie ein Stück an ihn herangerutscht, um an seinem Hals zu riechen. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so intensiv den Geruch eines Mannes wahrgenommen zu haben. Ob Nancy das auch aufgefallen war? Hatte sie sich deshalb so lange an der Bar mit Alan unterhalten? Wo war sie überhaupt schon wieder? Dass sie aber auch immer verschollen gehen musste! Es war so typisch und eine Eigenschaft, die Lara an ihrer Freundin nicht mochte. Ständig ließ sie Lara stehen, wenn sie gemeinsam unterwegs waren. Wie oft hatte sie ihr deswegen eine Szene gemacht! Lara erinnerte sich an die Nacht auf dem Campingplatz vor drei Jahren.

Nancy hatte sie sich zu ihrem dreißigsten Geburtstag gewünscht. Die beiden Freundinnen hatten das Zelt noch nicht aufgebaut, als Nancy verschwunden war. "Ich bin mal eben für kleine Mädchen", hatte sie gesagt und ward bis in die späte Nacht nicht mehr gesehen. Lara musste allein mit dem blöden Zeltaufbau kämpfen, und als sie es schließlich mehr schlecht als recht geschafft hatte und erschöpft in ihren Schlafsack gefallen war, tauchte Nancy auf. Mit einem Knutschfleck am Hals und der halb leeren Flasche Champagner, mit der sie um Mitternacht eigentlich anstoßen wollten. Lara hätte sie erwürgen können. Diesen freundschaftlichen Fehltritt bereute Nancy, nach tagelanger Eiszeit zwischen ihnen, allerdings zutiefst. Schließlich machte sie mit einer nachträglichen Geburtstagsfeier zu zweit und einer neuen Flasche Champagner alles wieder gut.

Und jetzt war sie schon wieder über alle Berge! Lara wurde ungeduldig. Alan lächelte sie an und wollte sie gerade etwas fragen, als plötzlich ihr Handy in ihrer Tasche vibrierte. Das ist bestimmt Nick, dachte sie und ließ es absichtlich einen Moment klingeln. Sie wollte ihn zappeln lassen und nicht den Eindruck erwecken, als sitze sie den ganzen Tag rum und warte auf seinen Anruf. Andererseits war es für einen Anruf eine merkwürdige Uhrzeit. Warum sollte Nick sie mitten in der Nacht anrufen? Es sei denn, er war mit seinem blöden Boot gekentert. Eine gewisse Schadenfreude überkam Lara bei diesem Gedanken. Sie öffnete den Reißverschluss ihrer kleinen Umhängetasche und zog ihr Handy hervor. Auf dem Display stand: ein verpasster Anruf, eine SMS. Mailbox: Der Anrufer hat keine Nachricht hinterlassen. Lara öffnete die SMS. Es war ein Bild, gesendet vor einer Minute. Darauf war alles voll Blut und ein Arm mit aufgeschnittenen Pulsadern. Panisch schrie Lara auf. Für einen Augenblick war sie desorientiert. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, blieb wie angewurzelt auf dem Sofa sitzen und starrte auf das viele Blut.

"Was ist los? Stimmt was nicht? Ist alles okay?" Alan rutschte an Lara heran und beugte sich ein Stück zu ihr nach vorn.

Lara nahm seine Fragen nicht mehr wahr. Sie drangen nur blechern an ihr Ohr, als würde sie jemand vom anderen Ende eines kilometerlangen Tunnels rufen. Dann sprang sie auf und stürmte, ohne ein Wort der Erklärung, aus dem Club.

Ein aufgeschobener Kuss

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