Читать книгу Otto mit dem Pfeil im Kopf - Horst Bosetzky, Uwe Schimunek - Страница 10
Vier
ОглавлениеPhöbus liebt, und begehrt der gesehenen Daphne Vereinigung; Was er begehrt, das hofft er; ihn täuscht sein eignes Orakel. Wie nach genommener Ähre die nichtige Stoppel verbrannt wird; Wie von der Fackel der Zaun aufflammt, die der Wanderer sorglos Näherte, oder vielleicht in dämmernder Frühe hinwegwarf: Also entbrannt’ in Flamme der Gott; durch Mark und Gebeine Lodert er auf, und nährt unfruchtbare Liebe mit Hoffnung.
Ulric von Huysburg befand sich wieder in seinem Rattenloch und suchte sich mit den Versen Ovids zu trösten, Metamorphosen I, Daphne. Wobei er für Phöbus stand und Miluša für Daphne. Sein Fluchtversuch war gescheitert. Ihn hatten die Lanzen der Slawen nicht verwundet, aber sein Pferd hatten sie von den Beinen geholt, und dann waren sie über ihn hergefallen. Gegen zehn kräftige Männer hatte auch er keine Chance, zumal er ohne Waffen war.
Und hätte er ahnen können, welch jammervolles Bild Albrecht und seine Schar vor Althaldensleben abgegeben hatten, er wäre noch niedergeschlagener gewesen.
Ein neuer Tag war angebrochen, und viel Hoffnung, befreit zu werden, hatte er nicht, denn nun umschlang eine eiserne Spange seinen rechten Fuß, und er war an einen in die Wand eingelassenen Haken angekettet. Hoffnungslosigkeit hatte sich seiner bemächtigt, und so schaute er kaum auf, als die hölzerne Klappe über ihm angehoben wurde.
»Heh!«, tönte es von oben herab.
»Hier gibt es keinen Heh, sondern nur einen Ulric von Huysburg«, antwortete er müde.
»Du gibst jetzt also offen zu, kein Obotrite zu sein?«
Ulric lachte. »Was ist da noch zuzugeben? Ihr ahnt es doch längst.«
»Wir wissen es, Nebojša hat es uns gesagt.«
»Wer bist du eigentlich?«
»Ciril, der Mann, der Jaxa hier vertritt, während er …«
Ulric von Huysberg lachte. »… zur Brandenburg reitet.«
»Radogost hat dich beobachtet, als du unsere Versammlung belauscht hast. Und er wusste auch, dass du ein Askanier bist, Ulric von Huysburg, denn …«
Ulric wurde nun schlagartig so einiges klar, und er vollendete den angefangenen Satz. »… denn er hat mich und meine beiden Knappen vom anderen Ufer der Nuthe aus beobachtet und dann Cuntz mit seinem Pfeil getötet.«
Ciril bestätigte ihm seine Vermutung: »Ja, so war es.«
»Und nun?«, fragte Ulric von Huysburg.
»Nun … Nebojša und seine Tochter Miluša sind voller Dankbarkeit, weil du Nebojša an der Nuthe großmütig das Leben geschenkt hast, und sie haben mich angefleht, dir die Freiheit zu schenken. Und ich erfülle gern ihren Wunsch. Ein Pferd können wir dir nicht verschaffen, wir werden dir aber eines unserer Boote geben, damit kannst du nach Spandow und Brandenburg gelangen.«
»Ich danke dir, Ciril!«, rief Ulric von Huysburg. »Und darf ich Miluša noch einmal sehen?«
»Nein!«
Eine halbe Stunde später saß Ulric von Huysburg in einem schmalen geklinkerten Boot, das keinen Kiel hatte und sich mithilfe der beiden klobigen Ruder nur schwer steuern ließ. So glücklich er war, dass er nun als freier Mann zu neuen Abenteuern eilen konnte, so schwer war ihm ums Herz, weil Miluša nicht an seiner Seite war. Er warf einen letzten Blick zurück auf die Wälle der Cöpenicker Burg, dann schickte er die Bitte gen Himmel, dass er Miluša bald in seine Arme schließen könne.
Die Spree war kein reißender Strom, sondern eher ein gemütliches Flüsschen. Doch nachdem sie die Wasser der Dahme in sich aufgenommen hatte, war die Strömung immerhin so stark, dass Ulric kaum zu rudern brauchte und dennoch mit beachtlicher Geschwindigkeit in Richtung Westen getragen wurde. Der Himmel war so blau, als würde er sich mitten auf der Peloponnes befinden, und die Sonne brannte ihm mit solch mediterraner Kraft auf Stirn und Nase und die unbedeckten Arme, dass er fürchten musste, sich die Haut zu verbrennen. Die Monotonie der Landschaft ließ ihn schläfrig werden. Wälder mit verfilztem Dickicht wechselten sich ab mit offener Heide, aber es gab nichts, an dem das Auge mit Freude hängengeblieben wäre. Nirgendwo waren Menschen zu entdecken, nirgendwo gerodete Flächen und bestellte Felder. Wenn Albrecht davon sprach, dass es hier bald blühende Landschaften geben würde, dann war das wohl kaum ernst zu nehmen.
Da Ulric sein Gefährt auch mit den kräftigsten Ruderschlägen nur unwesentlich beschleunigen konnte, gab er seine Bemühungen nach einiger Zeit auf, zog die Blätter ein und streckte sich lang aus, um ein wenig zu schlafen. Die Strömung würde ihn schon in der Flussmitte halten.
Das ging auch eine Weile gut, dann aber stieß sein Boot gegen einen umgestürzten Baum, der sich vom Ufer losgerissen hatte und sich mit anderem Treibholz zusammen im Sand einer Untiefe verhakt hatte. Ulric ging über Bord, und es brauchte eine Weile, bis er prustend wieder auftauchte. Als er sich einigermaßen orientiert hatte, war sein Boot schon außerhalb seiner Reichweite, es hatte die Barre überwunden und trieb ohne ihn weiter in Richtung Havel. Ulric schickte ihm ein paar kräftige Flüche hinterher.
Irgendwoher kam Gelächter. Sollten ihn die alten Flussgötter der Slawen verhöhnen? Nein, am nördlichen Ufer standen Menschen und winkten ihm zu. Erst jetzt bemerkte er, dass hier das Land auf beiden Seiten der Spree gerodet war. Auch konnte er mehrere Holzhäuser und Hütten unterschiedlicher Größe ausmachen. Offensichtlich gab es hier eine Furt, und eine solche lud ja immer Menschen ein, an ihr zu siedeln.
Er schwamm ans Ufer und staunte, dass die Männer und Frauen, die sich dort versammelt hatten, keine der slawischen Idiome benutzten, sondern eine Sprache, wie sie bei den germanischen Völkern Mitteleuropas üblich gewesen war. Sein Althochdeutsch – Diutschin sprechin Diutschin liute in Diutischemi lande – verstanden sie kaum, und auch er hatte große Mühe, richtig zu deuten, was sie ihm mitteilen wollten.
Langsam aber verstand Ulric von Huysburg die Zusammenhänge: Er hatte es mit Semnonen zu tun, die hier die Zeiten überdauert hatten. Vetustissimos se nobilissimosque Sueborum Semnones memorant – »Als die ältesten und vornehmsten Sueben betrachten sich die Semnonen.« So stand es bei Tacitus in seiner Germania. Seit dem dritten Jahrhundert hatten sie ihre Heimat an Havel und Spree aufgegeben, um in Richtung Oberrhein zu ziehen, und waren schließlich in den Alamannen aufgegangen. Nur wenige Kranke, Schwache, Unentschlossene waren zurückgeblieben – und nach neunhundert Jahren Inzucht waren die meisten von ihnen, wie Ulric schnell feststellte, auch im übertragenen Sinne zurückgeblieben, geistig vor allem. Viele waren missgestaltet und wiesen alle möglichen Gebrechen auf. Die einen hinkten, die anderen hatten verkürzte Arme. Irgendwie erinnerten sie Ulric an Urmenschen. Aber sie waren friedfertig und gastfreundlich. Ihr Gaufürst hieß nicht Imbecill oder Debilian, wie Ulric vermutet hätte, sondern Linus und war ein vergleichsweise verständiger Mann.
»Wir harren hier aus, und die Slawen aus den Dörfern ringsum haben uns auch in Ruhe gelassen«, erzählte er Ulric von Huysburg, nachdem dieser sich als Ritter vorgestellt und von seiner Flucht aus Cöpenick berichtet hatte. »Aber der Lauf des Flusses hat sich in den letzten Jahren verändert, und hier hat sich eine Furt gebildet. Die haben nun Händler aus dem Norden und dem Süden entdeckt und nutzen sie, um den Weg abzukürzen. Das hat auch Jaxa gemerkt, und bald wird er uns vertreiben.«
»Ich werde Albrecht dem Bären von euch berichten«, versprach ihm Ulric von Huysburg, »und er wird sehen, wie er euch schützen kann. Aber sagt, welchen Namen trägt denn eure Siedlung?«
»Keinen«, kam die Antwort von Berbelin, der Frau des Gaufürsten, die zu ihnen getreten war.
Ulric lachte. »Na, dann müssen wir schnell einen finden. Was schlagt ihr denn vor?«
»Semnonennest«, sagte Linus.
»Spreefurt«, schlug seine Frau vor.
Ulric fand beides nicht überzeugend. »Wie wäre es denn mit euren Namen?«
»Linusrode, Linusleben …«
»Berbelinenburg, Berbelinendorf …«
»Nehmt lieber einen Ortsnamen, in dem ihr beide vorkommt: Linus und Berbelin. Linber … Zugegeben, das klingt blöd. Vielleicht eher umgekehrt: Berlin.«
»Gut, Berlin also.«
Sie freuten sich und bewirteten Ulric von Huysburg mit allem, was sie in ihren Vorratskammern hatten. Gern hätten sie ihm auch ein Pferd gegeben, doch sie besaßen keines. So blieb ihm nur zu versuchen, Spandow zu Fuß zu erreichen.
»Der Weg ist nicht weit, aber sehr gefährlich, denn hier am Ufer wimmelt es von giftigen Schlangen.«
Ulric nahm Abschied von seinen liebenswerten Berliner Schrumpfgermanen und machte sich auf den Weg nach Spandow, das er gegen Abend zu erreichen hoffte. Doch das Wetter machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Erst sah es so aus, als würde das Gewitter vorüberziehen, dann brach es mit einer solchen Urgewalt über ihn herein, dass er zu beten begann: Eile, Herr, mir zu helfen! Gott, hilf mir; denn das Wasser geht mir bis an die Seele. Ich versinke in tiefem Schlamm, da kein Grund ist; ich bin im tiefen Wasser, und die Flut will mich ersäufen. Wer auch immer den 69. Psalm geschrieben hatte, er musste Ähnliches durchgemacht haben. Gewaltige Blitze schlugen links und rechts von Ulric von Huysburg in die Bäume ein und spalteten die Stämme, und ein sintflutartiger Regen setzte ein.
Als alles vorüber war und er es wagen konnte, seinen Weg fortzusetzen, war das Flüsschen, das er nach ein paar Schritten erreichte, die Panke, zu einem reißenden Strom geworden, den er nicht mehr überwinden konnte, ohne Gefahr zu laufen, dass er mitgerissen wurde und ertrank. So blieb ihm nichts übrig, als erst einmal nach Norden zu laufen und einen nicht unbeträchtlichen Umweg in Kauf zu nehmen.
Irgendwann wusste er nicht mehr, wo er war, und hatte das Gefühl, nur noch im Kreis herumzulaufen. An der Sonne konnte er sich nicht orientieren, denn der Himmel blieb dunkel und verhangen, und das Moos an den Baumstämmen wuchs ringsum, so dass sich eine Wetterseite nicht erkennen ließ. Als es Abend wurde, war er der Verzweiflung nahe. Schön, zu verdursten brauchte er nicht, und zum Essen gab es genügend Beeren und andere wilde Früchte, aber er war kein Urmensch und meinte, dass er sich den Tod holen würde, wenn er völlig durchnässt im Freien übernachten musste.
Auf einer Lichtung angekommen, blieb er stehen und begann zu schnüffeln, wie ein Tier, das Witterung aufnahm. Es hing Rauch in der Luft, und er glaubte, Stimmen zu hören. War er auf seinem Irrweg doch in die Nähe Spandows gelangt? Oder lag vor ihm eine slawische Siedlung? Nun, die Zeiten waren so, dass man im Feindesland immer mit dem Schlimmsten rechnen musste, also ging er nicht offen auf die Leute zu, die da versammelt waren, sondern schlich sich an.
Was er vorfand, war kein Dorf, sondern nur ein Lagerplatz. Am Feuer, das wegen des nassen Holzes nicht richtig brennen wollte, erkannte er etwa zwanzig Männer. Sie sprachen laut miteinander – wen sollten sie auch fürchten? Das war Polabisch, und wenn er es richtig deutete, dann waren es Wilzen, die er vor sich hatte. Sie mussten von Havelberg oder von Demmin gekommen sein. Derjenige, der das große Wort führte, hieß Milegost, wie Ulric von Huysburg bald herausfand, sein Gesprächspartner Cealadrag, ein Dritter Liub.
»Was machen wir mit ihm?«, fragte Cealadrag.
»Wir bringen ihn nach Havelberg und versuchen, ein möglichst hohes Lösegeld für ihn zu bekommen«, antwortete Milegost.
Liub winkte ab. »Seine Leute treffen wir doch nicht in Havelberg, die sitzen doch in Italien oder weiß ich wo.«
»Unsinn!«, rief Milegost. »Ahmad at-Tawil ist ein berühmter Mann, und für den wird ihnen kein Weg zu weit sein.«
Jetzt erst bemerkte Ulric von Huysburg, dass am Rande des Lagers ein Mann lag und von einem Wilzen bewacht wurde, obwohl man ihn offensichtlich gefesselt hatte. Araber waren in der Nordmark sicherlich selten, aber Ulric erinnerte sich daran, einen Reisebericht gelesen zu haben, den der arabische Gesandte Ibrahim ibn Jakub um 973 geschrieben hatte. Einzelne Passagen hatte er sogar noch im Kopf:
Im Allgemeinen sind die Slawen unverzagt und streitlustig; und wenn sie nicht untereinander uneins wären, infolge der mannigfaltigen Verzweigung ihrer Stämme und Zersplitterungen ihrer Geschlechter, so würde sich kein Volk auf Erden mit ihnen messen können. Die von ihnen bewohnten Länder sind die fruchtbarsten und reichsten von allen, und sie legen sich mit Eifer auf den Ackerbau und andere Zweige von Betriebsamkeit dazu, worin sie alle nordischen Völker übertreffen. Ihre Waren gehen zu Lande und über See zu den Russen und nach Constantinopel … In dem ganzen Norden ist Hungersnot nicht die Folge vom Ausbleiben des Regens und von anhaltender Dürre, sondern vom Überflusse an Regen und von anhaltend hohem Wasserstande. Regenmangel gilt bei ihnen nicht für schädlich, indem sie der Feuchtigkeit des Bodens und der großen Kälte halber deswegen keine Sorge hegen. Sie säen in zwei Jahreszeiten, im Sommer und im Frühling, und ernten zweimal. Dasjenige, was sie am meisten bauen, ist Hirse. Die Kälte ist bei ihnen der Gesundheit zuträglich, auch wenn sie heftig ist, die Wärme dagegen schädlich. Sie können in die Langobardischen Lande nicht reisen wegen der Hitze, welche dort groß ist und die Slawen umbringt … Ihr Wein und kräftiger Trank wird aus Honig bereitet.
Ahmad at-Tawil hatte wohl Ibrahim ibn Jakub nacheifern wollen und war dabei in die Hände der Wilzen gefallen. Ulric von Huysburg war seit jeher ein Bewunderer der arabischen Kultur, und so zögerte er keinen Augenblick sich vorzunehmen, diesen Ahmad at-Tawil zu befreien. Da er sich ein paar Monate in Bagdad aufgehalten hatte, konnte er sich auf Arabisch leidlich verständigen.
Er wartete so lange, bis sich die Wilzen zum Schlafen auf ihren Fellen ausgestreckt hatten und das Feuer nur noch glimmte. Einer Schlange gleich kroch er durch das Unterholz und schlich sich von hinten an den Wächter heran. Jetzt hatte die Nässe etwas Gutes, denn es gab kein trockenes Laub, das rascheln konnte. So gelangte er relativ lautlos in die Nähe des Wächters, und der tat ihm auch noch den Gefallen sich hinzusetzen. Ulric brauchte also nicht einmal aufzuspringen, um ihn mit einem gezielten Hieb gegen die rechte Schläfe für ein paar Minuten ruhigzustellen, er konnte das im Knien erledigen. Ahmad at-Tawil fuhr auf und schien nicht recht zu begreifen, was hier geschah.
»Pst!«, machte Ulric und fügte dann auf Arabisch hinzu:»
Komm, ich binde dich los, dann fliehen wir!«
Schnell hatte er dem bewusstlosen Wilzen das Messer aus dem Gürtel gezogen und die Stricke durchtrennt, mit denen man Ahmad at-Tawil gefesselt hatte. Der Araber kam aber nicht so schnell wieder auf die Beine, wie Ulric angenommen hatte, denn durch das lange Liegen waren seine Muskeln erheblich erschlafft und das Blut nicht mehr richtig durch die Adern geströmt. Es ging nicht anders, Ulric musste ihn unter den Achseln packen, hochhieven und versuchen, ihn in den Wald zu schleppen. Wenigstens ein paar hundert Schritte weit, dahin, wo sie die Nacht über in Sicherheit waren. Doch er musste Ahmad at-Tawil ein wenig den Brustkorb eingequetscht haben, denn der Araber begann zu schnaufen und zu husten. Das konnte natürlich bei den Wilzen nicht unbemerkt bleiben, und sofort sprangen einige von ihnen auf und suchten sich zu orientieren. Schnell begriffen sie, was geschehen war.
Laute Rufe ertönten: »Nasze więźniów jest uszedł. Go! – Unser Gefangener ist entflohen. Ihm nach!«
Eng umschlungen standen Ulric von Huysburg und Ahmad at-Tawil hinter einer mächtigen Eiche, noch ganz in der Nähe des Lagers. So wärmten sie sich, und ein wenig homoerotisch war die Sache auch noch. Die Wilzen huschten an ihnen vorbei und suchten sie an anderer Stelle. Bald gaben sie auf, und Ulric und Ahmad at-Tawil konnten sich vorsichtig vom Lager entfernen.
»Wir müssen in Spandow sein, wenn der Tag beginnt«, sagte Ulric. »Dort sind wir sicher. Aber sie werden alles daransetzen, uns vorher einzufangen.«
Wiprecht von Wandsleben hatte seine Lanze in den märkischen Sand gesteckt, saß bequem auf dem Stubben einer vor kurzem gefällten Kiefer und sah zu, wie sich Bogdan-Otto mühte, einen angespitzten hölzernen Pfahl in den Boden zu treiben. Immer wieder hob der seinen schweren Vorschlaghammer und ließ ihn niederkrachen. Der Schweiß rann ihm in Bächen Brust und Rücken hinunter, und er fluchte in einem fort. Erschöpft hielt er inne.
»Weiter!« Wiprecht von Wandsleben klatschte in die Hände. »Keine Müdigkeit vorschützen!«
Bogdan-Otto hielt ihm sein Werkzeug hin. »Hierrr, bitte, kannst du weiterrr schlagen ein auf das Phallus.«
Der Ritter verzog das Gesicht vor gefühltem Schmerz. »O nein, das lieber nicht! Aber auch nicht auf den Pfahl, denn ich darf mich nicht überanstrengen … Mein Herz!«
Bogdan-Otto murrte weiter: »Bin ich nu das Knabe von meine Ulric – oderrr was?«
»Das schon, aber erstens hat der Markgraf befohlen, dass alle in Spandow Hand anlegen sollen, damit hier so schnell wie möglich eine feste Askanierburg entsteht, und zweitens wird dein Ulric von Huysburg längst von Jaxa geköpft worden sein.«
»Da irrtumst du dich abba, derrr ist unbesiegbarrrr.«
Ulric von Huysburg lag währenddessen im Dickicht hinter Wiprecht von Wandsleben und lauschte diesem Dialog mit großem Vergnügen. Er hatte es geschafft, Spandow zu erreichen, ohne von giftigen Schlangen gebissen oder feindlichen Sprewanen erschlagen zu werden. Ahmad at-Tawil war in der Siedlung Spandow zurückgeblieben, um sich in einer Art Herberge von den Strapazen und dem Schrecken der letzten Tage zu erholen.
Wiprecht von Wandsleben warf mit Feldsteinen nach Bogdan-Otto. »Schneller, du Dumpfmeier, sonst werd ich dir Beine machen!«
Dass sein Intimfeind seinen Knappen so drangsalierte, ärgerte Ulric von Huysburg, und so kam er auf die Idee, Wiprecht von Wandsleben einen kleinen Streich zu spielen, bevor er sich zu erkennen gab. Beim Anschleichen hatte er einen längeren Strick entdeckt, und mit dem nun wollte er die Beine des Ritters am Baumstamm festbinden, ohne dass der es merkte. Sobald Bogdan-Otto seine Arbeit wiederaufnahm, konnte es gelingen, denn dann machte er einen gehörigen Lärm.
Ulric brauchte etwa zehn Minuten, dann war es geschafft. Der Strick war auf Höhe des Schienbeins eng um die Füße Wiprechts geschlungen und hinter dem Baumstumpf fest verknotet.
Ulric kroch geschickt und geräuschlos wie eine Schlange ein paar Meter zurück ins Unterholz und schlich dann in weitem Bogen um die Lichtung herum, auf der Wiprecht und Bogdan-Otto agierten. Als er auf der anderen Seite angelangt war, sprang er aus dem Gebüsch. »Hallo, da bin ich wieder!«
Sein Knappe fuhr herum, erkannte ihn, kam angelaufen und fiel ihm jubelnd um den Hals.
Als Wiprecht von Wandsleben aufstehen wollte, um Ulric zu begrüßen, schlug er lang hin.
»Oh!«, rief Ulric von Huysburg. »Ein bisschen Respekt hatte ich mir ja ausgebeten, aber das muss doch nicht gleich in einer solchen Demutsgeste münden.«
Wiprecht von Wandsleben rappelte sich schnell wieder auf und schimpfte auf die Schlingpflanzen, die ihn immer wieder stolpern ließen. Bogdan-Otto konnte ein Grinsen nicht unterdrücken und half ihm, Sand und Gras vom Gewand zu klopfen, dies allerdings mit solchem Einsatz, dass es mehr danach aussah, als würde er dem Ritter Schläge versetzen.
»Danke, danke, es reicht!«, rief der dann auch.
Ulric reichte ihm die Hand. »Schön, dich noch in Spandow anzutreffen. Gib mir bitte etwas zu essen und zu trinken, und verschaffe mir dann zwei Pferde, damit Bogdan-Otto und ich Albrecht entgegenreiten können. Ich weiß alles über Jaxas Pläne und muss dem Markgrafen so schnell wie möglich Bericht erstatten.«
»Der wird schon selber wissen, dass Jaxa nicht kommt, um mit ihm ein paar Partien Schach zu spielen«, brummte Wiprecht von Wandsleben. »Und was die Pferde betrifft, so gibt es im Lager zurzeit nur eines – nämlich meines, und das bekommt ihr nicht.« Es war an einem langen Seil angebunden und graste in der Nähe eines der alten slawischen Wälle.
Wiprecht entfernte sich in Richtung der Zelte, um Weisung zu geben, den Ankömmling zu verköstigen. Ulric blieb noch einen Augenblick stehen, um Bogdan-Otto etwas ins Ohr zu flüstern. Der grinste abermals und nickte dann.
Nachdem Ulric von Huysburg in einem der Zelte ausgiebig getrunken und gegessen hatte, machte er sich daran, draußen umherzuschlendern. Dabei erweckte er den Eindruck, als sei er erschöpft und unschlüssig. Wiprecht von Wandsleben hockte wieder auf seinem Baumstamm und verfolgte ihn mit misstrauischen Blicken. Ulric suchte Deckung hinter ein paar Büschen und kam schließlich in die Nähe des grasenden Pferdes, das aufgezäumt war. Als Wiprecht dann einen Augenblick nicht aufpasste, weil er angreifende Mücken abzuwehren hatte, schlug Ulric zu. Er schwang sich auf den Rücken des Pferdes, krallte sich mit beiden Händen in die Mähne und stieß ihm die Hacken in die Flanken. Das Tier machte einen solchen Satz nach vorn, dass der Strick förmlich zerfetzt wurde. Ulric bekam nun die Zügel zu fassen und hielt auf seinen Knappen zu.
»Bogdan-Otto, los, hinter mir aufs Pferd!«
Der Knappe schaffte es und umschlang Ulric.
»Halt, ihr Strauchdiebe!«, schrie Wiprecht von Wandsleben und war derart außer sich vor Wut, dass er nach seiner Lanze griff, um sie den beiden hinterher zu schleudern. Doch Bogdan-Otto hatte deren Ende an einer Wurzel festgebunden …
Jaxa war nach der Eroberung der Brandenburg klug vorgegangen und hatte darauf verzichtet, Rache an denen zu üben, die ihm Widerstand geleistet hatten.
»Ich bin Christ wie ihr und verspreche dem, der mit mir geht, eine glückliche Zukunft. Wer aber meint, zu Albrecht halten zu müssen, den werde ich nicht daran hindern, die Brandenburg zu verlassen und ihm entgegenzuziehen.«
Diese Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt, und die allermeisten hatten sich für Jaxa entschieden. Zu den Ausnahmen gehörte Lynhardt von Schleibnitz. Er hatte von Radogosts Schlaftrunk nur gekostet, war bald wieder zu sich gekommen und hatte zusammen mit Hayntz von Helsungen und einigen anderen Front gegen Jaxa gemacht, war aber bald schwer an der Schulter verletzt worden. So war er mit seinen Knappen und seiner liebestollen Adelhayt nach Hause geritten, um sich auszukurieren.
Nur einen hatte Jaxa nicht ziehen lassen, und das war Hayntz von Helsungen. Der steckte im Verlies der Brandenburg. Jaxa wollte ihn hängen lassen, weil er ihm vorwarf, Radogost, den wertvollsten seiner Getreuen, nicht im Kampf getötet, sondern heimtückisch ermordet zu haben. Sie wollten ihn an diesem Morgen mit allen Ehren unten am Fuß der Burg bestatten.
Jaxa saß mit Česćimér zusammen, einem seiner älteren und bewährten Gefolgsleute, der an die Stelle Radogosts getreten war.
Der Sprewanenfürst suchte nach der besten Strategie. »Was meinst du, wird Albrecht die Brandenburg angreifen oder warten, bis wir gen Westen vorrücken, um uns dann in offener Schlacht zu begegnen?«
Česćimér kraulte sich den Bart und zupfte sich einzelne Haare heraus, als ließe sich von denen etwas ablesen. »Ich weiß nicht … Er wird schwanken wie wir. Im Rücken hat er Heinrich den Löwen, und vor der Brust hat er uns. Wen soll er zuerst erledigen? Wartet er ab, so muss er damit rechnen, dass wir vorrücken und ihn sozusagen Heinrich in die Arme treiben.«
Jaxa nickte. »Ja, er wird Angst haben, dass der Raum für ihn zu eng wird, dass er zwischen uns und Heinrich zerrieben wird. Also wird er sich nach Osten wenden und versuchen, die Brandenburg zurückzuerobern. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder siegt er, und wir müssen uns wieder nach Cöpenick zurückziehen – oder aber wir siegen, und dann werde ich ihm großmütig anbieten, ein Vasall der Piasten zu werden und mit mir gemeinsam gegen Heinrich zu ziehen.«
Sein Berater stimmte ihm zu. »Siegen wir, so werden wir den Großteil seiner Ritter für uns gewinnen können, denn die werden sich nicht anders verhalten als dieser Mertin von Freckleben.«
Jaxa lachte. »Pst, er geht gerade an unserem Fenster vorbei.« Er wartete einen Augenblick, bis er fortfuhr. »An sich ist er ja eine ärmliche Kreatur. Aber wer würde sich nicht kaufen lassen? Der mit dem größten Geldbeutel regiert nun mal die Welt.«
»Das alleine reicht aber nicht«, wandte Česćimér ein. »Es braucht auch Fürsten und Könige, die nichts anderes wollen als die Macht und die Männer wie Radogost im Gefolge haben: einfallsreich und skrupellos.«
»Du sagst es! Und darum ist meine Trauer um ihn auch grenzenlos.«
Damit gingen sie hinaus in den Burghof, wo sich der Trauerzug langsam formierte.
Zu zweit auf einem schlecht gepflegten Pferd konnten sie nur im Schritt reiten, zumal ohne Sattel. Ulric von Huysburg hatte sich entschieden, nicht dem Lauf der Havel zu folgen, sondern erst einmal Richtung Westen zu reiten, wo die Böden sandig waren und man ganz gut durch Wald und Heide kam. Das ging einige Stunden so, und Bogdan-Otto, der hinten, wo der Rücken des Pferdes breiter wurde, seine Beine weit auseinanderspreizen musste, fing schon an zu schimpfen.
»Gott, derrr Gerrrächte, werrrd ich nie wiederrr gehen können zu Füßen, weil Beine meinige sich aushaken aus die Hüftenknochen.«
»Man kann auch auf Händen laufen«, suchte Ulric ihn zu trösten. »Bei der nächsten Rast zeige ich dir mal, wie es geht.«
Das tat er dann auch, aber als es Bogdan-Otto versuchte, kippte er nach hinten weg und hätte sich womöglich das Genick gebrochen, wenn Ulric ihn nicht aufgefangen hätte.
Bogdan-Otto setzte sich ins Gras und schnupperte. »Rrriecht sich nach Wasserrr!«
Ulric überlegte. »Es kann sein, dass wir schon auf Höhe des Beetzsees sind und nach Süden abbiegen müssen.«
Sein Knappe lauschte. »Das is sich Getrrrampel von viele Rrrösserrr.«
»Sollte das Albrecht sein?« Ulric überlegte. »Aber das ist doch schwer möglich, denn wir müssen davon ausgehen, dass Jaxa die Brandenburg erobert hat und Albrecht noch irgendwo westlich von ihr steckt.«
»Vielleicht hat es sich gegeben schon Kampf und errr is sich Besiegerrr«, meinte Bogdan-Otto.
»Wir werden sehen.«
Da sie gänzlich unbewaffnet waren, blieb ihnen, sollten ihnen Feinde entgegenkommen, nur die Flucht. Darum schwangen sie sich wieder auf ihr Pferd und ritten an den Rand der Lichtung, auf der sie sich gelagert hatten, um schnell im Wald verschwinden zu können.
Und in der Tat erblickten sie nach kurzer Zeit drei Reiter am anderen Ende der Lichtung.
Ulric erkannte einen von ihnen. »Das ist doch Mertin von Freckleben, das sind Askanier!«
Sie ritten aufeinander zu und begrüßten sich als alte Freunde.
Mertin von Freckleben sah Ulric von Huysburg fragend an. »Du bist aus Cöpenick zurück und hast alles mit heiler Haut überstanden?«
»Ja. Und ich habe herausgefunden, dass Jaxa die Brandenburg erobern will. Wenn er sich beeilt hat, müsste er schon hier sein.«
»Nein, das ist er nicht. Wer weiß, was oder wer ihn aufgehalten hat. Wie auch immer – kommt ihr beide erst einmal mit uns, damit ihr euch auf der Brandenburg erholen könnt und wieder voll bei Kräften seid, wenn uns Jaxa angreift.«
Albrecht der Bär näherte sich mit seiner Schar der Brandenburg von Südwesten her und wollte am Breitlingsee Rast machen, um kurz vor dem Ziel noch einmal die Pferde zu tränken und Kraft zu schöpfen. Er hatte sich nach der Schlappe vor Althaldensleben durch Ritter des Magdeburger Bischofs Wichmann verstärkt und hoffte, mit ihnen zusammen Jaxa standhalten zu können.
Neben Albrecht ritt sein Ältester, Otto. Er war immerhin schon 29 Jahre alt, hatte seinen eigenen Kopf und war mit dem Vorgehen seines Vaters nicht immer einverstanden. So auch jetzt. »Du hättest eher gegen Jaxa Front machen sollen. Das ist wie beim Schach: Wer den ersten Zug hat, befindet sich immer im Vorteil. Angriff ist die beste Verteidigung.«
»Ach ja.« Albrecht ging auf die Sechzig zu und verspürte wenig Lust, sich von einem Jüngeren belehren zu lassen. »Heinrichs Land ist wertvolles Land, und viele reiche Städte gibt es da. Aber zwischen Elbe und Oder haben wir nur Sand und Sumpf, und die Städte heißen Sankt Armut und Sankt Elend.«
Otto ließ sich nicht beirren. »Aber dieses Land ist unsere Zukunft wie unser Schicksal. Gegen die Sachsen und die Bayern und den Kaiser kommen wir ohnehin nicht an. Und wenn wir nicht aufpassen, verlieren wir das, was wir haben, auch noch an die Polen. Die Piasten sollte man nicht unterschätzen, und dieser Jaxa ist mit allen Wassern gewaschen.«
Albrecht konnte nicht umhin, ihm recht zu geben: »Nun gut. In ein paar Stunden haben wir die Brandenburg erreicht, und wenn wir dort nach dem Rechten gesehen haben, dann geht es nach einem Tag Ruhepause gleich weiter nach Spandow.«
»Gut.« Otto war aber noch nicht ganz zufrieden mit dieser Auskunft. »Und wann erstürmen wir Cöpenick?«
»Dann, wenn wir genug Männer zusammengezogen haben.«
Albrecht rief Hancz von Crüchern, Eberlin von Mölz und Ottin von Strenznau zu sich, um deren Meinung einzuholen. Nach längerer Beratung hielt man es für das Beste, Jaxa aus der Burg Cöpenick herauszulocken und ihm in offener Feldschlacht gegenüberzutreten.
»Gut.« Albrecht bedankte sich bei seinen Männern. »Die letzte Entscheidung kann ich aber erst treffen, wenn Ulric von Huysburg aus Cöpenick zurück ist und uns sagen kann, welches Jaxas Pläne sind.«
Damit saßen sie auf und ritten weiter Richtung Brandenburg. Sie freuten sich schon auf einen kühlen Trunk und ein deftiges Mahl, aber auch ein weiches Lager. Doch als sie am Fuße der Burg angekommen waren, empfing sie kein Jubel, sondern ein Hagel von Pfeilen, und oben auf dem Wall erschien der Sprewanenfürst.
»Albrecht, geh nach Braunschweig und werde Vasall Heinrichs des Löwen«, höhnte er. »Die Nordmark gehört nun mir.«
Ulric von Huysburg ritt an der Seite Mertin von Frecklebens in Richtung der Brandenburg. Er war zufrieden, dass er seine Mission glücklich zu Ende gebracht hatte. Seine Gedanken waren bei Miluša. In Gefahr sah er sie nicht. Wenn die Askanier die Burg Cöpenick stürmten, war sie mit ihrem Vater längst weitergezogen.
Bogdan-Otto saß noch immer hinter ihm auf dem Pferd und fühlte sich zunehmend unwohler. »Wenn uns ansehen Leute von Burrrg, sie werrrden sich lachen aus überrr mirrr, möcht ich lieberrr ab von Pferrrd.«
Ulric schmunzelte. »Gut.« Er zügelte sein Pferd, damit sein Knappe abspringen konnte, und ritt dann so langsam weiter, dass Bogdan-Otto ihnen nicht hinterherhecheln musste.
»Wir haben es ja gleich geschafft«, sagte Mertin von Freckleben.
»Was gibt’s denn Neues bei euch?«, fragte Ulric. »Was macht zum Beispiel der wackere Lynhardt von Schleibnitz?«
»Der? Der ist mit seiner Adelhayt in sein Dorf zurückgekehrt, weil … seine Bauern da nicht richtig parieren wollen.«
Ulric grinste. »Und weil er da nicht fürchten muss, dass Adelhayt andauernd in Versuchung gerät.«
»Ach ja …« Mertin von Freckleben stöhnte genüsslich.
»Und was macht mein alter Freund Hayntz von Helsungen?«, wollte Ulric weiter wissen.
Mertin von Freckleben lachte. »Der? Der genießt die letzten Stunden seines Lebens.«
Ulric stutzte. »Wieso denn das, ist er krank?«
»Krank … äh … Ja, ja, der Schlagfluss hat ihn erwischt.«
Ulric fand das verwunderlich, denn Hayntz von Helsungen war für ihn stets ein Ausbund an Lebenskraft gewesen und hatte nie kränklich gewirkt. Merkwürdig also … Aber es kam ja immer wieder vor, dass Eichen mit einem herrlichen Stamm innen hohl waren.
Sie ritten weiter. Als die ersten Hütten Brandenburgs schon in Sichtweite waren, kam ihnen ein Mann entgegen, der sie freundlich grüßte.
Mertin von Freckleben winkte zurück. »Wie geht es dir, Bohuměr?«
Ulric schloss für einen Moment die Augen, um besser nachdenken zu können und ein ganz bestimmtes Bild vor sich zu haben: Wo hatte er den Namen Bohuměr schon einmal gehört? Wo hatte er diesen Mann mit der Hasenscharte schon einmal gesehen? Plötzlich war es ihm klar: Er war ihm auf der Burg Cöpenick begegnet, als er in seiner Rolle als Obotrite über die Brücke gekommen war und die Posten ihn aufgehalten hatten. Es begann in ihm zu arbeiten: Wie kam dieser Bohuměr nach Brandenburg? Und wie konnte es sein, dass Mertin von Freckleben ihn freundschaftlich begrüßte? Darauf gab es logischerweise nur eine Antwort: Jaxa hatte die Brandenburg schon in Besitz genommen, und Mertin von Freckleben war zu ihm übergelaufen. Und nun war er im Begriff, ihn, den askanischen Ritter Ulric von Huysburg, in die Falle zu locken.
Was tun? Ulric überlegte. Hatten sie erst einmal die Burg erreicht, waren er und sein Knappe verloren. Also musste er die Entscheidung vorher fällen. Doch wie? Bogdan-Otto und er verfügten über keinerlei Waffen, und beim Kampf Mann gegen Mann waren sie unterlegen. War es Selbstmord, mit bloßen Händen gegen drei Männer anzutreten, die Schwerter und Lanzen zur Verfügung hatten?
»Geht’s nicht etwas schneller?«, rief Mertin von Freckleben. Er schien Verdacht geschöpft zu haben.
Ulric von Huysburg musste handeln.