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EINS

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«PASS GUT AUF DICH AUF», sagte Erna Priepert zu ihrem Mann, als der sich aufmachte, mit ihrem Hund die abendliche Runde zu drehen.

«Wer soll mir schon was tun?» Erich Priepert war kräftig gebaut und keineswegs ein Feigling. «Im Gegenteil, das Kroppzeug soll nur aufpassen, dass ich ihm nichts tue!»

Vor einiger Zeit war in seinen Kolonialwarenladen in Tegel eingebrochen worden, und er hatte einen der Diebe so verprügelt, dass der ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Der andere allerdings war ihm entkommen.

«Rüpel, los, ab die Post!» Priepert nahm seinen Dackel an die Leine. «Und wenn mich einer anfällt, dann beißt du ihm ein Bein ab.»

«Und stolpere nicht wieder über die Äste, Erich!»

«Nein, Erna, ich kenne hier jeden Zentimeter.»

«Trotzdem, du weißt ja.»

Am 12. Januar 1920 hatten in Berlin orkanartige Stürme gewütet und an vielen Stellen erhebliche Schäden verursacht. Strom- und Telefonleitungen waren von den Masten gerissen und Bäume entwurzelt worden. Abgerissene Äste blockierten die Wege. Auch zwei Tage später waren die Aufräumarbeiten noch nicht abgeschlossen, denn Berlin war von einer gewaltigen Grippewelle erfasst worden, und überall fehlten die Arbeitskräfte.

Priepert liebte seine abendlichen Spaziergänge. Darauf freute er sich schon seit dem Mittag. Wenn man den ganzen Tag im Laden stehen musste, war Bewegung das A und O, wollte man nicht vorzeitig auf dem Friedhof landen. Ach, wer den Krieg überlebt hatte, der hatte Glück. Doch noch schien nicht alles vorbei zu sein, überall rumorte es. Gestern bei der Demonstration vor dem Reichstagsgebäude wegen der Änderungen im Betriebsrätegesetz hatte die Reichstagswache in die Menge geschossen, 42 Menschen getötet und über 100 verletzt. Schrecklich. Andererseits hatte Berlin auch wieder seinen Opernball gefeiert. Das ließ auf bessere Zeiten hoffen. Ohne Lebensmittelkarten und mit Kunden, die wieder Geld in den Taschen hatten. Erich Priepert überlegte allerdings, ob er nicht ein neues Schild über seinem Laden brauchte. Das Wort «Kolonialwaren» erschien ihm absurd, da Deutschland nun keine Kolonien mehr hatte. Kamerun, Togo, Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Neuguinea, Samoa - alles war den Bach runter. Schade.

Das und vieles andere ging Priepert durch den Kopf, als er mit Rüpel die Forststraße entlangging, den südlichsten Ausläufer Hermsdorfs. Links von ihm lag das Fließtal im silbernen Licht des Mondes, dort schlängelte sich das Tegeler Fließ - mal sich zu einem kleinen See erweiternd, mal nur ein etwas breiterer Bach - von Lübars kommend durch Waidmannslust hindurch und an Hermsdorf vorbei nach Tegel.

Über ein Straßenstück, das den Namen Schöne Aussicht trug, erreichte Priepert die Bismarckstraße, die später den Namen Hermsdorfer Damm tragen sollte. Drüben ging ein Soldat. Mit schnellen Schritten strebte er in Richtung Tegel. Hoffentlich ging das nicht schon wieder los mit dem Bürgerkrieg. Es wurde ja so manches gemunkelt. Dass viele Soldaten es nicht hinnehmen wollten, nutzlos zu sein.

Priepert überlegte kurz, welchen Weg er nun einschlagen sollte. Zum Fließ hinunter? Nein, da war es zu morastig. Links gegenüber in den Wald hinein? Nein, da war es zu dunkel, und man stolperte andauernd über Wurzeln und Äste. Geradeaus über die Straße hinweg und in die kleine Siedlung hinein, die sich zwischen der Bismarckstraße und der Revierförsterei gebildet hatte? Da war es nicht gerade spannend. Also nach Hause zurück? Doch am nicht eben warmen Ofen zu sitzen, hatte er noch keine rechte Lust.

Er überlegte noch, als plötzlich auf der anderen Straßenseite etwas Dunkles aus dem Unterholz brach. Im ersten Augenblick hielt er es für einen Hirsch, dann sah er, dass es sich um einen Menschen handelte. Der Hund begann zu kläffen und riss wie wild an der Leine.

«Hilfe!», schrie der Mann. «Hilfe, ich kann nicht mehr …» Priepert sah ihn zusammenbrechen und lief, vom Hund gezogen, über die Fahrbahn.

Der Mann war schwer verletzt, Gesicht und Hände waren blutüberströmt. Das konnte Priepert sogar im matten Licht der Gaslaterne erkennen. Er beugte sich hinunter.

«Was ist denn passiert?»

«Ich bin überfallen worden, als ich …» Der Mann röchelte, konnte nicht mehr.

«Als Sie was?»

«Da hat einer ein Liebespaar überfallen, und als ich zu Hilfe kommen wollte, da hat er mich … Polizei!»

Damit verlor der Mann das Bewusstsein. Priepert war sich sicher, dass er gestorben wäre, bevor ein Arzt zur Stelle sein könnte. Die Polizei musste herbeigerufen werden. Er hetzte zum ersten Haus an der Forststraße und klingelte Sturm.

Der Lustmörder

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