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„Der deutsche Egoismus ist kriminell, er verlängert die Krise“

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Es ist Mitte Juli 2011. In den Regierungszentralen der EU herrscht Säuernis. Seit Monaten streiten sich die Spitzenpolitiker über Griechenland. „Das Faß ohne Boden“ hing wie ein Mühlstein über dem bevorstehenden EU-Gipfel. Im Kreuzfeuer stand die Krisenstrategie der deutschen Kanzlerin. Auf den Punkt gebracht hieß sie: Rettungspakete plus Spardiktat. Sie funktionierte nicht, denn die ökonomische und soziale Lage der Griechen hatte sich trotz des Hilfspakets vom Frühjahr 2010 nicht verbessert, sondern extrem verschlechtert. Die Schulden des Staates waren gestiegen, die Arbeitslosigkeit erreichte einen Rekord nach dem anderen. Ein Generalstreik folgte dem nächsten. Von einer Schuldentragfähigkeit (dazu gleich mehr) war das Land weiter denn je entfernt. Griechenland drohte die ewige Pleite.

Der Wirtschaftsexperte und CDU-Politiker Klaus-Peter Willsch brachte das damals in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ kurz und bündig auf den Punkt: „Griechenland hat 230 Milliarden Euro Bruttoinlandsprodukt, inzwischen 360, vielleicht 370 Milliarden Gesamtschuldenstand, Steuereinnahmen von 45 Milliarden und einen Zinsdienst von 25 Milliarden Euro. Das ist mathematisch unlösbar. Ich kenne niemanden außerhalb der Politik, der das anders sieht.“ (Wirtschaftswoche, 19.9.2011)

Es lag also nahe, daß einige Politiker und Ökonomen Alternativen ins Spiel brachten. In Stichworten waren das: Insolvenz mit anschließendem Euroaustritt, Umschuldung sowie Schuldenschnitt. Doch in der Berliner Regierungszentrale rührte sich nichts. Die Kanzlerin bestand auf der Fortsetzung ihres Spardiktats. Gleichzeitig erweckte sie den Eindruck, daß sie sich den bevorstehenden EU-Gipfel eigentlich schenken könnte. Warum? Weil der „große europäische Befreiungsschlag“ nicht gelingen werde. Was das sein sollte, blieb ihr Geheimnis. Vielleicht hatte sie das den anderen EU-Regierungschefs auf geheimen Kanälen mitgeteilt, ohne daß davon etwas an die Öffentlichkeit gelangte. Denn wer nun Proteste aus Madrid, Rom, Athen oder Lissabon erwartete, wurde enttäuscht. Es blieb mucksmäuschenstill. Die Mehrheit kuschte vor der „mächtigsten Frau der Welt“ (Forbes). Nur zwei wagten sich nach vorn – der französische Präsident Sarkozy und der frühere Kanzlerberater Horst Teltschik.

Beginnen wir mit Sarkozy. Auf dem Tisch lag die Frage einer substantiellen Beteiligung privater Gläubiger (also Banken, Hedgefonds, Versicherungen, Pensionsfonds und Superreiche) an einer Umschuldung Griechenlands. Während Merkel diese Beteiligung einforderte, brachte Sarkozy die Idee einer Sondersteuer für den Finanzsektor ins Spiel und warb für eine Ausweitung des Rettungsfonds EFSF. Sarkozys Position wurde von der Europäischen Zentralbank und einer Mehrheit der Eurozonen-Staaten unterstützt, Merkel fand Zuspruch in den Niederlanden und Finnland. Weil die beiden Spitzenpolitiker sich nicht einigen konnten, wurden die Verhandlungen auf EU-Ebene im Vorfeld des Gipfels blockiert. Damit der Gipfel nicht noch in letzter Minute abgesagt werden mußte, reiste der französische Präsident extra nach Berlin und hoffte dabei auf eine Lösung im Vieraugen-Gespräch.

Doch unmittelbar vor dem deutsch-französischen Treffen berichtete ein französisches Enthüllungsblatt von Äußerungen Sarkozys, die wohl einmalig sind. Laut „Le Canard Enchaîné“sagte er zur deutschen Haltung in der Schuldenkrise: „Die Griechen tun, was sie können, und sie haben schon eine Menge erreicht. Die einzigen, die es an Solidarität fehlen lassen, sind die Deutschen.“ Im kleinen Kreis wurde der französische Präsident noch deutlicher: „Der deutsche Egoismus ist kriminell, er verlängert die Krise.“

Sarkozy wurde unterstützt von EU-Kommissionspräsident Barroso – der forderte, Deutschland solle nicht länger eine Lösung verhindern. Die Staats- und Regierungschefs hätten versichert, alles Notwendige zu tun, um die Stabilität des Euro zu erhalten. Jetzt müsse man diese Versprechen auch einlösen. Er bezeichnete die Lage als „sehr, sehr ernst“. Ohne eine überzeugende Antwort der Gipfelteilnehmer werde es negative Folgen für ganz Europa und darüber hinaus geben.

Der nächste Schuß gegen Merkel kam von Horst Teltschik. Er war früher außenpolitischer Berater von Kanzler Helmut Kohl. Im Interview mit dem „Tagesspiegel“ fällte er ein vernichtendes Urteil über die Europapolitik der Kanzlerin: „Sie entwickelt keine Vorstellung von der Zukunft Europas, obwohl das gerade jetzt notwendig wäre. Auf die systemische Krise muss Europa eine systemische Antwort finden“, forderte er. Es sei offensichtlich, „dass wir eine gemeinsame europäische Haushalts-, Schulden- und Finanzpolitik brauchen.“

Diese Kritik Teltschiks erhielt noch mehr Gewicht, als bekannt wurde, daß er in letzter Zeit mehrfach Altkanzler Kohl besucht hatte. In den Medien hieß es nun, seine Aussagen seien denen Kohls nicht unähnlich. Laut einem „Spiegel“-Bericht hielt der Altkanzler die Politik der Kanzlerin für „sehr gefährlich“. Kohl habe gesagt: „Die macht mir mein Europa kaputt.“ Doch Kohl dementierte den Bericht. Gegenüber der „Bild“-Zeitung behauptete er, die ihm zugeschriebenen Äußerungen seien frei erfunden. Zugleich zog er in der „Bild“ gegen Merkel zu Felde. „Ich bin – wie viele – besorgt über die Entwicklung in Europa und des Euro“, sagte der Altkanzler. Es sei dringend notwendig, dass die vermeintliche Eurokrise nicht als Strukturkrise des Euro an sich verstanden werde, sondern als das, was sie sei: „das Ergebnis hausgemachter Fehler und Herausforderungen für beide Seiten – Europa und die Nationalstaaten.“

Spätestens damals wurde deutlich: Griechenland wird Merkels Alptraum!

Buch 1 behandelt den Zeitraum von September 2008 bis Ende 2011

Griechenland – Merkels Alptraum

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