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4. Der unbelehrbare
Clown

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Im Hotelzimmer saß ich ungefähr zwei Stunden auf einem Stuhl und starrte die Wand an. Ich war verwirrt, total von der Rolle. Gekränkt, schockiert, verzweifelt, wütend. Fühlte mich abgekanzelt, gemaßregelt wie ein Fünfjähriger. Da ist man über 50 Jahre alt, hat sich hart zum Erfolg malocht und die eigene Mutter, die todkrank im Bett liegt, fährt einem über den Mund, als wäre man immer noch ein dummes Kleinkind. »Hör endlich auf, der Clown zu sein. Die Zeit für Spaß ist vorbei, Junge.« Immer wieder hörte ich ihre Stimme. Müde, tadelnd und abwertend. Als ob ich ihr immer nur Kummer bereitet hätte.

Horst, der Clown, der für alle immer Blödsinn macht. Sie sagte das so verärgert, so verachtend. War ich in ihren Augen das Sorgenkind? Ich saß nur da und dachte nach, versuchte, mich in meine Mutter hineinzuversetzen, sie zu verstehen. Versuchte, mir ein klares Bild von unserem Verhältnis zu machen. »Welchem Verhältnis?«, dachte ich. Mir wurde schmerzhaft klar, dass Mutter und ich nie ein sehr inniges Verhältnis zueinander gehabt hatten. Ich war immer ein Papa-Kind. Papa war mir immer der Liebste. Obwohl – oder weil? – er eigentlich nie da war, denn er hat ja immer nur gearbeitet. Papa hatte mich nie geschlagen. Einmal ist er mit dem Besen hinter mir hergelaufen, aber er hat mich nicht gekriegt. Weil er mich sowieso nicht kriegen wollte. Mutter? Ich weiß nicht, wie oft die mir den Arsch versohlt hat. Aber daran konnte ich mich sehr wohl erinnern. Woran ich mich nicht erinnern konnte, sosehr ich das auch wollte, waren Zärtlichkeiten, Schmusereien. Oder mal am Sonntagmorgen eine große Kuschelei im Bett. Hatten wir gemeinsam Lieder gesungen? Hatte sie mir Geschichten erzählt oder vorgelesen? Waren wir im Zoo gewesen oder etwa auf dem Rummelplatz? Ich wusste es nicht mehr und fühlte mich deswegen hundeelend. Dann dachte ich, bestimmt haben wir das alles gemacht und ich habe es einfach nur vergessen. Aber wenn ich ganz tief in mich hineinhorchte, war da diese traurige Kinderstimme, die sagte: »Nein, das hat es alles nicht gegeben.«

Ich fragte mich, ob etwas mit Mutters Liebe zu mir nicht stimmte. Fast überglücklich fiel mir ein, dass sie mir immer, wenn ich krank gewesen war, einen Kuchen gebacken hatte. Aber mit körperlicher Nähe hatte das streng genommen natürlich auch nichts zu tun. Da saß ich also verunsichert und traurig in meinem Hotelzimmer und weinte. Ich hoffte, dass die Tränen etwas von dieser trostlosen Traurigkeit fortspülten. Meine Gedanken drehten sich um Mutters Worte. »Warum habe ich immer Blödsinn gemacht? Was genau meinte sie mit Blödsinn? Was ist daran so falsch, ein Clown zu sein? Mein Humor und meine Lebenslust haben mir durch so viele Schicksalsschläge geholfen. Mir bei meiner Karriere im Fernsehen geholfen. Das mögen doch die Leute an mir.« Ich hatte immer geglaubt, genau das sei authentisch an mir. Aber jetzt hatte Mutter den Glauben mit zwei Sätzen zerstört. War ich nur aufgesetzt lustig? Versteckte ich mich hinter der Clownsmaske? War ich ein ganz anderer Mensch? Mochte ich deswegen so gerne das Lied von Heinz Rühmann?

»[…] Der Clown, der Clown

war immer lustig anzuschaun,

doch keinen ließ der Clown, der Clown

in sein Herz hineinschaun […]«

Meine Kindheit war hart. Das Leben für meine Eltern war auch sehr hart. Wie viele der Kriegskinder-Generation kannten sie Armut, Hunger und Entbehrungen. Sie waren ohne viel Zuneigung und Wärme aufgewachsen, wie sollten sie also etwas weitergeben können, das sie nicht kannten. Nie erlebt hatten. Die Zeiten haben sich geändert und das ist gut so. Dieses ganze »gelobt sei, was hart macht« und »schreiende Babys bekommen eine starke Lunge« hat sich Gott sei Dank weitgehend erledigt. Gewalt gegen Kinder ist gesellschaftlich geächtet und wird völlig zu Recht bestraft. Als ich Kind war, durfte jeder Erwachsene Kinder schlagen. Lehrer, Pfarrer, Eltern – der dazugehörige Spruch war: »Hat noch keinem geschadet« oder etwas zynischer »Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen«. Wahnsinn.

Wir lebten mit den Eltern meines Vaters und seinem Bruder in einem Haus. Wir wohnten unten. Die oben machten meiner Mutter das Leben zur Hölle. Alkoholkrank und nur am Meckern, das war mein Onkel. Ein richtiges Arschloch, das seine ganze Umgebung malträtierte. Ein böser und unangenehmer Mensch. Während mein Vater sich von frühmorgens bis spätabends den Rücken krumm schuftete, zoffte sich über uns der versoffene Rest der Familie. Meine Mutter wusch Wäsche, kaufte ein und pflegte die kranken Schwiegereltern. Das war kein schönes Leben für eine junge Frau. Viel Arbeit, Armut, alkoholkranke Menschen und eigene Kinder – wer würde da nicht manchmal verzweifeln? Meine Mutter war immer am Limit ihrer geistigen und körperlichen Kräfte. Und das haben wir zu spüren bekommen. Diese aufgestaute Verzweiflung, diese Wut über die nicht zu ändernden Zustände waren sicher eine nachvollziehbare Ursache für ihre oft aggressive, aufbrausende Art gegenüber Vater und mir. Eine Geschichte werde ich nie vergessen: Mutter hatte mich losgeschickt mit ihrem Portemonnaie, um Schuhe beim Schuster abzuholen. Im Geldbeutel waren zehn Mark drin, für uns ein Vermögen. Auf dem Rückweg vom Schuster kam ich unglücklicherweise an einem kleinen Laden vorbei, an dem draußen ein Kaugummiautomat hing. So ein Kaugummiautomat hatte auf Kinder damals eine Anziehungskraft wie heutzutage eine Playstation oder ein Handy. Wie von Geisterhand angezogen stand ich vor dem knallroten Automaten der Verheißung und wollte nichts sehnlicher als eine dieser dicken, bunten Kaugummikugeln. Ich konnte sie schon auf meiner Zunge schmecken, herrlich süß mit einer sauren Brausefüllung im Inneren. In mir brodelte der Konflikt. Ich wägte sorgsam ab, bis mir eine Idee kam: Da der Schuster mir keine Rechnung gegeben hatte, hab’ ich gedacht »ach komm, da fallen zehn Pfennig nicht auf« … und dann habe ich mir einen Kaugummi gezogen.

Betont unauffällig setzte ich mich zu Hause mit an den Abendbrottisch. Dann sagte Mutter: »Und Junge, was haben die Schuhe gekostet?« Darauf war ich natürlich bestens vorbereitet und antworte: »Zwei Mark sechzig.« Die zehn Pfennig hatte ich natürlich schon obendrauf gerechnet.

Es schien zu funktionieren, doch dann sagte sie: »Gut. Wo ist das Portemonnaie?« Der Blitz des Unglücks traf mich mitten ins Herz und mir wurde augenblicklich klar, dass ich das Portemonnaie auf dem Kaugummiautomaten vergessen hatte. Vor Schreck sprang ich sofort auf und rannte los. Mutter tobte. Sie schrie wie eine Furie hinter mir, ich sollte bloß nicht mehr ohne Portemonnaie nach Hause kommen.

Ich bin gerannt, so schnell mich meine kleinen Beinchen trugen, denn der Automat war weit weg, im Dorfkern. Das waren mindestens drei Kilometer. Als ich endlich ankam, atemlos vor Anstrengung und Angst, war das Portemonnaie natürlich weg. Ich lief verzweifelt weiter zum Schuster, fragte alle, die dort waren, ob jemand eine Geldbörse gefunden und abgegeben hätte. Aber es hatte keiner was gefunden. Dann lief ich raus und suchte überall wie bekloppt. Das Portemonnaie war weg! Ich traute mich kaum nach Hause, hysterisch vor Angst. Lief dann noch mal zurück ins Dorf, um alles noch mal abzusuchen. Zwecklos. Über die sieben Mark und 40 Pfennig wird sich wohl jemand sehr gefreut haben. Wie schon gesagt, das war eine Menge Geld damals.

Als ich zitternd nach Hause kam, ging es gleich zur Sache. Mutter machte kurzen Prozess und ließ ihrer Wut freien Lauf. Sie zerrte mich in die kleine Wäschekammer und verhaute mir den Hintern, bis mir Hören und Sehen verging. Völlig enthemmt. Sie schrie rum und das bisschen, was ich in dem Inferno verstanden habe, war, dass diese sieben Mark 40 wohl das letzte Geld für den Rest des Monats, ungefähr zehn Tage, waren.

Als mein Vater mich dann aus der Kammer geholt hat, damit ich noch etwas essen konnte, schmiss Mutter mir das Brot auf den Teller und sagte voller Wut: »So, wenn du schon das ganze Geld wegwirfst, dann iss jetzt auch noch den Rest, den wir haben.« Und das war schlimmer als die harten Schläge vorher in der Kammer. Bis mein Vater endlich einschritt: »Lass den Jungen jetzt endlich in Ruhe. Herrgott nochmal, Margret.« Er hasste diese Erziehungsmaßnahmen. Er hatte auch dauernd Krach mit Mutter darüber. Der war immer lieb. Der war einfach zu lieb. Und ist leider auch zu früh gestorben.

Natürlich habe ich immer viel Blödsinn gemacht. Vielleicht, weil ein hartes Kinderleben einfach erträglicher wird, wenn man es sich lustig macht. Dass diese ganzen Streiche und Klassenclownaktionen meiner Mutter zusätzlich das Leben erschweren könnten, hatte ich als Kind natürlich nicht bedacht. Für Mutter war ich immer ein Problemkind, das nur Flausen im Kopf hatte und von einem Schlamassel in den nächsten schlitterte. Sei es aus Blödsinn, aus Naivität oder Unvorsichtigkeit.

Vielleicht hat sie mich ja doch wahnsinnig geliebt, sich aber einfach zu viel Sorgen um mich gemacht. Manchmal war das auch sicherlich berechtigt, denn ich habe vieles losgetreten, ohne die Konsequenzen dabei zu bedenken.

Wie zum Beispiel damals beim Hausbau mit meiner ersten Frau. Wir hatten festgestellt, dass uns 50 000 Mark fehlten. Da bin ich natürlich zu meinen Eltern gegangen und wollte, dass sie für mich bürgen. Das hat Mutter jedoch rigoros abgeschmettert: »Nein, du hast das Grundstück geerbt, Junge. Wir bürgen nicht für dich. Ansonsten musst du halt jetzt schon alles verkaufen. Da musst du selber mit klarkommen.« Feierabend, damit war die Diskussion beendet. Ich war Mutter nicht verlässlich genug, zu sprunghaft. Sie hatte eine bestimmte Vorstellung davon, wie ich mein Leben gestalten sollte – und der habe ich eben permanent nicht entsprochen. Sie wollte auch nicht, dass ich von der Schule ging, um Koch zu werden. Selbst als ich schon Koch war, sollte ich lieber wieder zur Schule gehen. Der schwierige Hausbau, der Laden, die Scheidung – das war in ihren Augen alles meine Schuld, weil ich ja unbelehrbar war. Unbelehrbar, genau das war ihr Wort.

Als ich nach ihrem Tod die Wohnung aufräumte, fiel mir ihr Tagebuch aus einer der Kisten entgegen. Natürlich setzte ich mich hin und fing an zu lesen und nach ein paar Einträgen stieß ich auf diesen:

»Horst hat uns heute seine nächste Frau vorgestellt. Nada, eine Kroatin. Sehr sympathische, nette junge Frau. Ich hoffe, dass es die letzte für ihn ist. Noch mal habe ich nicht die Kraft, mich für eine neue Frau zu öffnen. Der Unbelehrbare!«

Was ich auch machte, es war in ihren Augen falsch: zu früh geheiratet, das Theater mit meinem ersten Hausbau, die Anfänge der »Oldiethek«, dieses rudimentär zusammengehauene Konzept – das war alles eine Katastrophe für meine Mutter. Vielleicht hat sie sich nicht für mich geschämt, aber maßlos aufgeregt hat sie sich natürlich. Aus heutiger Sicht kann ich das zwar nachvollziehen, aber die Jugend hat ein Anrecht auf eigene Erfahrungen und Fehler.

Ich war 28 und mein Leben war alles andere als normal verlaufen: Ich war zweimal dem Tod von der Schippe gesprungen, hatte ein Kind verloren, mit Müh und Not ein Haus gebaut und eine junge Familie zu ernähren … das einzig Sichere war meine Arbeitsstelle als Malocher bei der Braunkohlefabrik. Oder anders gesagt: Eigentlich konnte ich bis zur Rente gucken. Selbst wenn Mutter sich etwas anderes gewünscht hatte, so saß ich doch immerhin, nach Anlaufschwierigkeiten, einigermaßen fest im Sattel. Und dann kam ich an und erzählte meiner Mutter und meiner Frau, dass ich eine alte Scheune gemietet hätte, um daraus ein Restaurant zu machen. Ohne einen Pfennig Geld in der Tasche, aber mit ordentlich Schulden am Arsch. Das war für Mutter ein Schlag ins Gesicht und der letzte ihr noch fehlende Beweis: Ab jetzt war ich der Unbelehrbare.

Bis ich richtig erfolgreich wurde, haben sich alle Verwandten für mich eigentlich nur geschämt. Mutters Schwester half zwar bei der Eröffnung mit, aber am nächsten Tag gab sie ihr noch mal so richtig einen mit: »Mein Gott, der Jung’ mit diesem Laden, das ist ja grausam! Mitten im Müll versucht der da Pfannkuchen zu verkaufen. Was machst du nur mit deinem Horsti?«

Als das Restaurant dann lief und meine Nase immer öfter im Fernsehen und in der Zeitung zu sehen war, da hat sich die ganze Mischpoke natürlich schnell beruhigt. Da war ich plötzlich zum Angeben eine solide Bank. Auch Mutter entspannte sich merklich und unser Verhältnis wurde besser.

Am besten gefiel sie mir, wenn sie über ihren Schatten sprang und sich einfach gehen ließ. Wenn sie endlich mal vergaß, was die Leute denken könnten und ob sich das jetzt schickt oder nicht. Dann konnte Mutter herrlich albern sein und jeden Blödsinn mitmachen. Wenn ich nach Hause kam und wieder ein verrücktes Motorrad gekauft hatte, hat sie sich hinten draufgesetzt. Dann sind wir im Dorf die Straße rauf und runter gefahren und sie hat gejuchzt wie ein fröhlicher Teenager. Das habe ich geliebt, da war ich richtig glücklich.

Mit steigendem Einkommen habe ich auch oft versucht, ihr schöne Dinge zu ermöglichen. Ich wusste ja, dass Mutter mit dem Geld immer scharf rechnen musste. Sie bekam ihre Rente, aber mit ihr konnte sie keine großen Sprünge machen. Also hat sie nebenbei gearbeitet und sich was dazuverdient. Schön im gesetzlichen Rahmen. Das kleine Häuschen in Ordnung gehalten und oben die Wohnung vermietet, damit sie nicht verkaufen musste. Natürlich hatte sie dennoch nie genug Geld, um sich ein neues Auto zusammenzusparen. Sie fuhr den alten Ford Fiesta auf, den Papa schon gebraucht gekauft hatte. Also bekam sie von mir ein neues Auto, da war Mutter sehr glücklich. Da hat sie geweint vor Freude und ist stolz wie Oskar damit überall hingefahren. Hat überall angerufen und verkündet: »Mein Junge hat mir ein neues Auto geschenkt.« Sie war überglücklich und ich war überglücklich, weil sie sich so freute. Aber Mutter wäre nicht Mutter, wenn sie sich nicht über eine Sache noch viel mehr gefreut hätte. Und dabei ging es natürlich wieder um mich.

Als ich ihr mal beiläufig erzählte, dass ich alle meine Schulden getilgt hatte, also das erste Mal in meinem erwachsenen Leben wirklich schuldenfrei war, da war sie noch glücklicher. Dass ihr unbelehrbarer Junge keine Schulden mehr hatte, war ihr mehr wert als das eigene Glück. Sie gehörte zu der Sorte Mensch, für die ein anständiges, schuldenfreies Leben mit gesichertem Arbeitsplatz gleichbedeutend war mit Glück. Glück war so was wie eine Konstante: Wer einmal geheiratet hatte, blieb auch verheiratet. Egal ob die Liebe irgendwann verloren ging. Das Leben ist schließlich kein Wunschkonzert. Diese Einstellung war ja in der Generation der Kriegskinder weit verbreitet.

Ich war dagegen seit meinem 14. Lebensjahr bereit, für meine eigene Definition von Glück was zu riskieren. Es zu suchen. Ich wusste immer, dass ich es zu Hause nicht finden würde und dass meine Mutter mir bei der Suche nicht behilflich sein würde. Ich würde gerne sagen, dass meine Kindheit eine glückliche war. Aber die Erinnerungen daran habe ich wohl verdrängt, das ist mir in den vielen Stunden an Mutters Krankenbett klar geworden. Meinen lieben, friedfertigen und ruhigen Vater habe ich schwer idealisiert, auch wenn mir bewusst ist, dass ich nur wenig Zeit mit ihm verbracht habe. Ob er auch von mir so heroisiert worden wäre, wenn er wie Mutter alles mit mir hätte regeln müssen … wer weiß?

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Mutter und ich ein sehr schwieriges Verhältnis zueinander hatten. Wir waren wohl nicht fähig, unsere Liebe von den ganzen charakterlichen Unterschiedlichkeiten zu trennen und mehr zu pflegen. Wir haben von unserer eigenen Standpunktinsel aus auf den anderen gesehen. Wir wollten, dass der andere seine Insel aufgibt, rüberkommt und sagt: »Stimmt, bei dir ist alles besser und richtig.« Aber so funktioniert das natürlich nicht.

Mutter hat in mir nur den Clown gesehen, der Blödsinn macht. Auch sie konnte ja durchaus locker und fröhlich sein und vielleicht wollte ein Teil von ihr öfter so sein wie ich – aber es war ihr nicht gegeben und war mir nicht gegeben. Wie ich jetzt da so saß in meinem stillen Hotelzimmer, wurde mir auf einmal klar, warum Mutters Sätze mich so verletzten. Ich wäre am liebsten sofort zu ihr zurückgefahren und hätte sie gefragt: »Mutter, was glaubst du, warum ich immer den Clown geben muss? Warum ich so oft Blödsinn mache? Weil das Leben für mich schon hart und bitter genug war, darum. Ich hab selber all die Jahre geglaubt, ich wäre die rheinische Frohnatur. Der liebenswerte Luftikus mit dem lustigen Zwirbelschnurrbart. Aber vielleicht bin ich das ja gar nicht? War das all die Jahre nur eine Methode, meine Traurigkeit in Schach zu halten?«

Ich merke, dass ich mich verändere – seit dem Tag, an dem Mutter mir sagte: »Hör endlich auf, der Clown zu sein, die Zeit für Spaß ist vorbei.« Wenn ich Spaß mache, dann nicht mehr so unbeschwert wie zuvor. Ich begann schmerzlich zu akzeptieren, dass es auch diese traurige, schwere Seite in mir gibt. Dass der fröhliche Horst Lichter von Bühne und Fernsehen nur ein Teil von mir ist und ich den anderen Teil, den traurigen, viel zu lange unterdrückt habe. Ich begann zu ahnen, dass ich nicht mehr allen Menschen gefallen möchte. Dass ich weder beruflich noch privat Zeit mit Menschen verbringen will, die es nicht gut mit mir und meinen Lieben meinen. Keine Zeit mehr für Arschlöcher.

Bisher habe ich mein Leben nach der Maxime gelebt, Konflikten möglichst aus dem Weg zu gehen. Am liebsten über Autos reden, über schnelle Mopeds und die angenehmen Seiten des Lebens.

Seit Mutters Tod unterhalte ich mich mit den Menschen lieber über ernste Dinge. Ich sehe viel Traurigkeit und möchte den Menschen gerne helfen. Die längste Zeit bin ich auch der Traurigkeit aus dem Weg gegangen. Ich war so lange harmoniesüchtig. Habe so lange lieber Blödsinn gemacht. Nach Mutters Tod hatte ich große Angst, dass ich diese Fröhlichkeit nicht wiederfinde, aber jetzt nicht mehr. Ich habe genug Platz in mir. Der Clown darf traurig sein und der Spaßmacher kann ernsthaft sein. Licht und Schatten, es gibt das eine nicht ohne das andere.

Ich bin mir heute ganz sicher, dass Mutter diese Sätze nicht böse, nicht nur verächtlich meinte. Sie wollte wohl, bevor sie stirbt, mit letzter Kraft auf mich einwirken, mir sagen: »Junge, hör auf, dir selber etwas vorzumachen. Finde zu dir, akzeptiere auch die ernsthafte Seite in dir. Versöhne die schwermütige Seite mit deiner heiteren Seite, bevor es zu spät ist. Du bist zu alt, um immer nur kindisch zu sein und allen Konflikten aus dem Weg zu gehen.«

Und wahrscheinlich konnte sie es so nicht sagen. Sie sagte es eben in ihren eigenen Worten. Strenge Worte zu sich, strenge Worte zu anderen. Manchmal auch unbarmherzige, nicht gerade gütige Worte. Aber ich weiß tief in mir drinnen, dass sie es gut meinte. Weil sie mich liebte – auf ihre Art und Weise. Schwer zu verstehen und schwer zu akzeptieren, aber ich bin auf einem guten Weg. Der unbelehrbare Clown lernt doch noch was. Danke, Mutter!

Keine Zeit für Arschlöcher!

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