Читать книгу 11 tolle Science Fiction Romane November 2021 - Horst Pukallus - Страница 13

Clayborn und die Drachenwelt

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Space Agent 3

SF-Roman von Harvey Patton

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Der Umfang dieses Buchs entspricht 129 Taschenbuchseiten.

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Anfangs war der Kristall-Bolide nur ein winziges Etwas auf den Orterschirmen der MORDAIN.

Dann, nach der Auswertung durch den Sensor leuchtete ein helles Signal auf dem Reflexschirm auf. Der Bolide wurde größer und kreuzte in einem Abstand von rund sechstausend Meilen ihren Kurs.

Commander Barry Clayborn drehte an der Vergrößerungsoptik, bis der Suchstrahl den Kristallkörper auf den Reflexschirm projizierte.

Unvermittelt gleißte es in der Zentrale hell auf. Die anfänglich weißen Kristallmuster verwandelten sich schnell zu erschreckender Schönheit.

Der Bolide begann zu erblühen wie eine fantastisch anmutende Pflanze. Kristallblätter gingen strahlend nach allen Seiten auf, in ihrer Mitte erschien das genaue Abbild eines bekannten Riesendiamanten, einer großen Träne ähnlich, die in allen sieben Farben des Spektrums erglühte.

Barrys Blick wurde starr. Veem Chemile, Penza Saratow und der Wissenschaftler Jarl Luden bekamen ebenfalls einen starren, leicht verschleierten Blick.

Sprachgebrauch und Wertvorstellungen entsprechen der Entstehungszeit der Romane und unterlagen seitdem einem steten Wandel. Der vorliegende Roman enthält unter anderem stereotype Begriffe und Vorstellungen, die aber zur Entstehungszeit des Romans in den 1950er Jahren gängige Sprachpraxis waren und nicht als diskriminierend empfunden wurden.

Da Romane nur vor dem Hintergrund ihrer Zeit in sich stimmig sind, wurde auf eine sprachliche Glättung ebenso verzichtet wie auf eine Anpassung heute nicht mehr zeitgemäßer Wertvorstellungen oder inzwischen widerlegter wissenschaftlicher Ansichten.

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Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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1

Die Männer vernahmen ein harmonisches Klingen. Es war wie das zarte Singen von Äolsharfen, die sacht der Wind bewegte.

Aber hier draußen, mehr als neunzig Lichtjahre von der heimatlichen Erde entfernt, gab es kleinen Wind. Hier herrschte die kalte Unendlichkeit des Alls.

Commander Clayborn riss sich von dem verhängnisvollen Anblick los. Mit steifen Schritten, noch teils im Bann des Kristall-Boliden, ging er auf die Männer zu, rüttelte sie und brüllte sie an. Gleichzeitig hieb seine rechte Hand auf den Schalter am Schirm. Das Bild flackerte noch einmal, erlosch dann in einer Wellenbewegung.

Draußen fiel der Bolide in seiner ganzen Pracht zusammen, die Rosette aus scheinbaren Blättern schloss sich. Damit verdeckte sie auch den schimmernden Stein.

Die Riesenblume, die im All erblüht war, verlor übergangslos ihre hypnotische Wirkung.

„Barry“, stöhnte Veem Chemile, „beinahe hätte es mich erwischt und Jarl ebenfalls. Trotz der Abwehrschulung.“

Clayborn nickte grimmig, sein Blick war wieder fest.

„Mir ging es genau so. Ein schrecklicher und schöner Anblick zugleich. In Zukunft sollten wir vorsichtiger sein.“

„Soviel ich weiß“, ließ sich Penza Saratow vernehmen, „ist es noch nie gelungen, einen dieser rätselhaften Boliden zu bergen. Die Kristalle scheinen einen ungeheuren Wert darzustellen. Wollen wir ihm nach jagen, Barry?“

„Nein, das ist sinnlos. Wir würden ihn nie kriegen, weil sein hypnotischer Einfluss immer stärker wird, je mehr man sich ihm nähert. Und was dann passiert, wissen wir nicht. Ich denke, wir gehen auf unseren alten Kurs zurück.“

Der Bann war jetzt endgültig gebrochen, als der Bolide langsam aus der Orteranlage auswanderte. Clayborn dachte sekundenlang über diese seltene Begegnung nach, dann schüttelte er den Kopf, als wallte er jeden Gedanken daran verdrängen.

Die Mordain raste weiter, ihrem Treffpunkt mit MALACA VII entgegen, den sie in knapp vier Stunden erreichen würde. Dort war eine Einsatzbesprechung geplant, die sie in den Rigel-Sektor führen würde, zusammen mit zwei anderen Schiffen der Terra Control.

Ein dumpfer Schlag ließ die Mordain plötzlich leicht erzittern und brachte sie geringfügig aus dem Kurs.

Clayborn schrak hoch, blickte auf die hufeisenförmig angeordneten Kontrollen der Schaltanlage. Ein paar violette Birnen flackerten.

„Druckabfall an der Polkuppel“, sagte er laut. „Das kommt zwar nur ganz selten vor, aber es passiert eben doch. Vermutlich hat uns ein faustgroßer Brocken getroffen. Merkwürdig, dass der Automat ihn nicht entdeckt hat. Schließen die Schotts, Veem?“

„Sind automatisch geschlossen, Barry. Das war kein Meteorit, das war etwas anderes. Etwas, das sich jedem Ortungsstrahl entziehen kann und für uns und die Sensoren unsichtbar bleibt.“

Clayborn bekam schmale Augen. Sein Blick ruhte nachdenklich auf dem Panoramaschirm. Im Backbord-Rot-Sektor tauchte etwas auf, eine winzige Kugelgestalt, an den Rändern schwach leuchtend. Ganz langsam wanderte sie ins Bild.

„Warhols Stern“, murmelte Clayborn. „Nach seinem Entdecker Warhol benannt. In diesem Revier haben wir nichts zu suchen, Veem. Wir drehen ab nach Steuerbord.“

Die Entfernung zu Warhols Stern betrug noch sechs Lichtminuten. Jeden Augenblick konnten die Robotstaffeln aufkreuzen und das ausgedehnte Hoheitsgebiet um die Sonne und seinen merkwürdigen Planeten mach unerwünschten Eindringlingen absuchen.

Terras ansonsten starker Arm hatte hier keinen Einfluss. Die Warholer waren eine Rasse für sich, die keiner Föderation eingegliedert war, die keinerlei Kontakt wünschte und sich hermetisch abkapselte. Im Celestial-Atlas war Warhols Stern als Tabu-Welt eingezeichnet. Ein Anflug war verboten, das Eindringen in ihr Territorium allen Schiffen streng untersagt. Terra legte keinen Wert auf intergalaktische Verwicklungen. Und einen Krieg mit Warhol wollte niemand riskieren.

Diesmal sah es aber ganz danach aus, als würde es intergalaktische Verwicklungen geben. Und daran war nur der verfluchte Bolide schuld, dachte Clayborn.

2

Übergangslos erfolgte ein saugendes Geräusch im Schiff. Gleich danach erfolgte ein hallender Schlag. Wieder war der Schiffskörper getroffen worden. Und wieder hatten die Orterschirme nicht angesprochen.

Die Mordain verlor rapide an Fahrt.

„Penza, zieh dir den Raumanzug über“, knirschte Barry. „Wir müssen die Lecks abdichten. Jarl, das Beiboot klar zum Ausschleusen. Es sieht so aus, als würden sich die Warholer einen Spaß daraus machen, uns lahmzulegen.“

„Können wir die Burschen nicht mit einer Lichtbombe begrüßen“, meinte Penza Saratow, der gerade dabei war, seinen mächtigen Körper in einen Raumanzug zu zwängen.

„Können wir nicht“, entgegnete Barry knapp. „Außerdem wissen wir nicht einmal, wo sie stecken. Und wenn sie ganz besonders schlechte Laune haben, dann erzeugen sie um uns ein zeitlich instabiles Feld, in dem wir solange hängen, bis wir verhungert sind.“

Clayborn ließ die Magneteinrastung einschnappen, überprüfte dann kurz die Verständigung. Sie klappte ausgezeichnet.

Am Schleusenschott drehte er sich noch einmal um.

„Sobald wir draußen sind, Veem“, sagte er eindringlich, „versucht ihr, mit langsamer Fahrt nach Steuerbord auszuweichen. Geht das nicht, drehst du das Schiff so, dass sein Heck immer in Richtung Warhols Stern zeigt.“

„Und wenn sie euch draußen angreifen?“

„Dann flüchtet ihr sofort, ohne Rücksicht auf uns, und fliegt zum Treffpunkt. Dort wird man dann entscheiden, was weiter zu geschehen hat. Wir dichten die Lecks ab und fliegen neben euch her. Später, sobald wir aus dem Hoheitsgebiet heraus sind, nehmt ihr uns an Bord. Komm, Penza“, wandte er sich an den Riesen von Droom.

Die beiden Männer verschwanden im Schleusenhangar, wo die beiden Beiboote auf den Magnetschienen lagen. Sie kletterten hinein und schwebten ein paar Sekunden später sanft nach draußen.

Die Raumanzüge trugen sie nur für den Fall der Fälle, obwohl in, dem Beiboot sekundenschnell eine Atmosphäre hergestellt werden konnte, die der in der Mordain entsprach.

Ganz langsam umrundeten sie das Schiff. Der Bugstrahler leuchtete die Außenwandungen ab.

„Da, am Maschinenraum“, ließ sich Saratow über den Helmsprech vernehmen, „da hat es eingeschlagen. Sieht tatsächlich nach einem ganz gewöhnlichen kleinen Meteor aus.“

„Das werden wir später von innen feststellen. Ich glaube nicht daran. Es war etwas anderes.“

Barry hob das Schiff leicht an, brachte es in die Position, in der man Reparaturarbeiten ausführen konnte, ohne das Schiff zu verlassen. Die Nase des Beibootes zeigte nun auf das scharfkantige, gezackte Loch.

Eine kleine Stahlplatte wunde ausgeschwenkt, ein Greifarm brachte sie an den gezackten Spalt.

Saratow, einer der fähigsten Ingenieure, drückte auf die Knöpfe. Augenblicklich setzte der Verschmelzungsprozess ein. Die Platte fügte sich fugenlos ein, warf ein paar Blasen, die sofort wieder erstarrten, als sie kalt wurden. Innerhalb kurzer Zeit war das Metall wieder fugenlos und glatt.

„Zur anderen Seite, Penza. Wir müssen mit der Reparatur so schnell wie möglich fertig werden.“

Saratow glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als die Mordain sich ohne jeden ersichtlichen Grund plötzlich entfernte. Ganz langsam nur, aber das Beiboot fiel merklich zurück.

Die beiden Männer sahen sich verblüfft an.

„Wir entfernen uns, nicht sie“, brachte Penza schließlich ungläubig hervor. „Sieh doch nur!“

Clayborn schob den stufenlosen Fahrthebel nach vorn. Die Instrumente schlugen aus. Das Beiboot hätte jetzt nach vorn jagen müssen, aber das war nicht der Fall. Immer noch entfernte es sich über Heck vom Mutterschiff. Dabei wuchs die rückläufige Geschwindigkeit mit jeder Sekunde mehr.

„Die Warholer“, sagte Clayborn ganz ruhig. „Ich glaube, diese Leute treiben es auf die Spitze. Versuchen wir es noch einmal.“

Er schob den Hebel bis zum Anschlag vor. Der Antrieb lief auf voller Kapazität er war jedoch nicht in der Lage, die rückläufige Geschwindigkeit auch nur im geringsten zu beeinflussen.

„Was ist los mit euch?“, krachte es aus dem Lautsprechergitter. „Meine Anordnung von vorhin gilt immer noch“, befahl Barry. „Sofort zum Treffpunkt fliegen, falls das möglich ist. Wir wissen noch nicht, was hier passiert, aber es sieht so aus, als wollten die Warhols es darauf ankommen lassen.“

„Aber wir haben das Hoheitsgebiet nicht verletzt“, ertönte Jarl Ludens ruhige Stimme. „Das dürfte für die Warhols schwerwiegende Folgen haben.“

Clayborn gab sich ruhig und gelassen. Noch bestand keine Gefahr.

„Ich werde Warhol rufen“, sagte er. „Ich verlange eine Erklärung. Ihr dreht jetzt ab. Ende!“

„Ende“, seufzte Veem.

Saratow schaltete das Funkgerät auf eine andere Frequenz. Dann stellte er sehr ruhig den Fahrthebel auf Null.

Es fand weder eine Beschleunigung statt, noch geschah etwas anderes. Mit gleichbleibendem Tempo jagte das Beiboot irgendwohin, gesteuert von unsichtbaren Kräften.

Clayborn gab das Erkennungszeichen des Bootes und rief pausenlos den Robotsender Warhol.

Der Lautsprecher schwieg. Niemand antwortete.

„Ich weiß, dass Sie mich hören“, sagte Clayborn. „Ich bestehe darauf, dass Sie uns sofort aus dem Feld entlassen. Wir haben Ihr Hoheitsgebiet nicht verletzt!“

„Sie wollen uns nicht hören“, knurrte Penza ärgerlich. „Vermutlich lachen sie sich halbtot über uns.“

Clayborn ärgerte sich über die Hilflosigkeit. Was immer sie auch unternahmen, es gelang nicht. Warhols Technik war gigantisch, selbst die Mordain hätte da nicht weitergeholfen.

Sie hätten sich zur Wehr setzen können, dachte Clayborn. Aber die Folgen wären vermutlich zu groß geworden und hätten in letzter Konsequenz zu einem Krieg führen können.

„Sie werden eine saftige Strafe ansetzen, Barry“, tröstete sich der Riese. „Und danach müssen sie uns wieder laufen lassen, ob sie wollen oder nicht. Die Warhols wissen genau, was auf dem Spiel steht. Sie kennen ihre Grenzen.“

„Sie provozieren, und ich möchte bezweifeln, ob sie sich um gewisse Grenzen kümmern.“

Er versuchte es noch einmal auf der Frequenz, aber immer noch gab es keine Antwort. Aus dem Gerät kam nur Rauschen, mehr nicht.

Der Riese schlug verärgert mit der Faust auf das Schaltpult.

„Mir gefällt nicht, wie sie uns behandeln, und dann gefällt mir nicht, dass wir so hilflos sind. Wenn man wenigstens mit einem von den Kerlen Kontakt bekäme.“

„Das bannst du haben“, sagte Barry. „Sieh mal auf den kleinen Monitor. Da kommt etwas!“

Penzas Kopf fuhr blitzschnell herum, wie eine Kugel, die sich auf einem massigen Gelenk drehte.

„Tatsächlich“, dehnte er. „Eine Robot-Staffel. Wie sehen die Warhols aus, Barry?“

„Humanoid. Mehr wissen wir kaum über sie. Lass die Finger von dem Waffenschalter, Penza. Wir können mit dem kleinen Geschütz nichts ausrichten.“

„Das war nur zu meiner eigenen Beruhigung gedacht.“

Ihre Fahrt wurde merklich abgebremst. Welche Kräfte auf das Schiff einwirkten, wussten weder Clayborn noch Saratow. Es konnte sich um eine Art Traktorstrahl handeln oder um gepolte Magnetfelder, selbst Antigravlinien konnten es sein.

Links und rechts von ihnen tauchten jetzt gleichzeitig seltsam geformte Platten auf. Sie waren etwa hundert Meter lang, und knapp siebzig breit. Ein Antrieb nach dem herkömmlichen Prinzip war nicht zu erkennen.

Auf den Plattformen wuchsen Kuppeln in die Höhe, trichterförmige Rohre richteten sich auf das Beiboot.

„Da kommen noch mehr, Barry!“

Clayborn schlich ein unbehagliches Gefühl über den Rücken. Es war das Gefühl der absoluten Hilflosigkeit, das Gefühl, nicht zu wissen, was einen in den nächsten Minuten erwartete.

Seine Hand zuckte zum Waffenschalter. Da sah er Penzas verzerrt grinsendes Gesicht. Sofort riss er die Hand zurück.

„Diesmal war es nur zu meiner Beruhigung gedacht.“

Noch mehr der seltsam geformten Dinger tauchten auf und kreisten sie von allen Seiten ein.

Dann meldete sich übergangslos und ohne jede Einleitung wieder Veems Stimme. Diesmal klang sie erleichtert.

„Ihr habt Nullfahrt erreicht, Barry! Wir selbst kommen kaum vom Fleck. Könnt ihr aus eigener Kraft zurückkehren?“

„Zurückkehren?“, fragte Clayborn. „Seht ihr denn nicht, dass wir hoffnungslos festsitzen? Mindestens acht Robot-Staffeln haben uns eingekreist.“

„Ist das dein Ernst, Barry?“

„Natürlich! Seht doch auf die Schirme.“

„Auf den Schirmen ist nichts zu sehen. Nur das Boot. Und im Hintergrund Warhols Stern. Dann stimmt es also doch, dass sie ein Mittel haben, das jeden Orterstrahl blockiert und nicht mehr reflektiert. Um uns herum herrscht erdrückende Leere.“

„Abwarten“, versprach Barry. „Ihr könnt augenblicklich gar nichts unternehmen. Versucht, den Antrieb zu reparieren. Uns wird man sehr wahrscheinlich auf den Planeten bringen.“

„Und als Spione liquidieren“, setzte Jarl hinzu. „Die machen sich doch nicht die ganze Mühe, nur um euch zu verwarnen.“

„Dann hätten sie uns jetzt gleich erledigen können. Es steckt also etwas anderes dahinter.“

Damit war der Sprechfunk unterbrochen. Veem und Luden vernahmen nichts mehr auf der Frequenz.

Inzwischen waren die Plattformen näher gekommen. Schlanke Raketenköpfe reckten sich drohend in ihre Richtung. Und dazwischen schimmerten die Abstrahlrohre einer unbekannten Geschützart.

Ohne ihr Zutun schwang das Beiboot langsam herum. An Bord arbeitete kein Aggregat. Die Zeiger standen in Nullstellung.

Dann wich Penza rein automatisch zurück, als sich eines der merkwürdig geformten Rohre dicht an die Scheibe schob und sie abtastete. Das Rohr erinnerte an einen langen Rüssel, der alles befühlte, betastete, bevor er zugriff.

Der kleine Monitor erlosch, als der „Rüssel“ auf der Außenhülle entlangschabte, dann weiterglitt, als suche er etwas Bestimmtes.

„Lass auf jeden Fall den Helm geschlossen“, warnte Barry Clayborn seinen Ingenieur, der ratlos um sich blickte, mal auf das Rohr starrte, dann wieder auf den Monitor blickte.

In den paar Sekunden, die vergangen waren, hatten unsichtbare Kräfte das Beiboot ausgerichtet und wieder beschleunigt. Clayborn sah es mit wachsendem Unbehagen.

Um die Mordain, die immer noch einsam und allein ihre Bahn durch das All zog, kümmerte sich niemand. Langsam wanderte sie aus dem Sektor aus, bis sie in der Schwärze unsichtbar wurde und verschwand.

Jetzt ging der Flug in Richtung Warhols Stern weiter, immer rasender, immer schneller. Die Robotstaffeln hatten sich der Geschwindigkeit angepasst. Auf einer der Plattformen blinkte nun ständig ein schwaches Licht.

Und dann geschah etwas, mit dem weder Barry noch Penza gerechnet hatten. Der Bolide tauchte wieder auf!

Diesmal erschien er wie hingezaubert zwischen den fliegenden Plattformen und schwebte dann ganz nahe an das linke Sichtfenster des Beibootes heran.

Barry schloss sofort die Augen, wandte den Blick ab. Penza drehte den Kopf zur Seite.

Aber die strahlende, unnatürliche Helligkeit, die der Bolide verbreitete, drang durch die geschlossenen Lider hindurch wie das Feuer einer nahen Sonne. Das Bild fraß sich in ihre Gehirne, ließ sich nicht abschalten. Es war da, es war beherrschend.

„Was bezwecken sie damit, Barry?“, fragte Penza mühsam.

„Ich ... ich weiß nicht. Lange halte ich das nicht aus.“

Die Kraft, die von dem Boliden ausging, schlug alles in ihrem Bann. Da half weder die Clume-Disziplin noch etwas anderes. Nichts und niemand konnte sich dem Einfluss entziehen.

Clayborn öffnete gegen seinen Willen die Augen — und sah die wilde, fantastische Schönheit der rosettenartigen Blütenblätter, die sich in strahlender Pracht immer weiter öffneten, bis sie den Blick auf den riesigen Diamant freigaben.

Von da ab reagierten ihre Gehirne nur noch ganz träge. Eine große Gleichgültigkeit kam über sie.

Clayborn lehnte sich zurück. Aus den Augenwinkeln sah er noch, wie auch Penza den Kopf anlehnte und dann schlief.

Noch versuchte Clayborn, dagegen anzukämpfen. Eine halbe Minute lang schaffte er es. Dann fiel er zurück, schloss die Augen. Seine Sinne stumpften ab, begannen in anderen Dimensionen umherzuwandern und verlöschten dann langsam.

Das Beiboot raste weiter — auf Warhols Stern zu. Genauer gesagt, auf den Planeten der grünlichen Sonne.

3

Clayborn schätzte, dass etwa vier Stunden seither verstrichen waren. Er kam langsam wieder zu sich. Auf seiner Uhr waren drei Stunden, fünfzig Minuten vergangen.

Er fühlte sich frei und unbeschwert und sah sich um. Er blickte in Penzas Augen, die noch einen leicht verklärten Blick hatten.

Die Schleuse des Beibootes war geöffnet. Luft drang herein, die an die Sterilität medizinischer Stationen erinnerte.

„Gehen wir hinaus?“, fragte Penza. „Ich nehme an, dass man es von uns erwartet. Wir sind zur selben Zeit aus der Starre erwacht.“

„Uns bleibt keine andere Wahl.“

Clayborn stand auf, drehte sich um und ging hinaus.

Draußen sah er zunächst nur einen großen Platz, der sich fast bis zum Horizont erstreckte. Weit hinten zog sich eine Hügelkette entlang, dicht davor standen zwei Raumschiffe terranischer Herkunft. Vermutlich hatte man sie auch zwangsgelandet.

Vor dem Schiff standen sie. Reglos, ohne Ausdruck in den harten arroganten Gesichtern. Vier Leute waren es, zwei Männer und zwei Frauen in graublauen Uniformen. Ihre Hände hielten fast lächerlich kleine Intotronwaffen.

Sie hatten die annähernde Größe von Menschen, wirkten aber feiner und zierlicher und irgendwie zerbrechlicher. Ihre Augen ähnelten Perlen, ihr Blick war anmaßend und überheblich.

Kurz streiften ihre Blicke den Commander, dann wunderten sie weiter, blieben an Penza hängen, eine ganze Weile lang.

Clayborn gab die Blicke ebenso kalt zurück. Er sagte kein Wort. Es war ohnehin fraglich, ob sie hier zu einer normalen Verständigung kamen. So abgekapselt wie die Warhols lebten, war es gut möglich, dass sie kein Wort Intergalaktisch beherrschten.

Aber darin hatte der Commander sich getäuscht. Sie beherrschten die Sprache perfekt.

Eine der Frauen trat einen Schritt vor. Unter ihrer Dienstmütze lugten silberfarbene Haare hervor, ein Stich ins Bläuliche ließen sie gekünstelt wirken. Ein Abzeichen über der linken Brust gab Clayborn Rätsel auf.

Es zeigte den Planeten Warhol, darüber die grünliche Sonne und dicht neben dem Planeten den Schattenriss eines anderen, eines Transplaneten. Noch wusste Clayborn nicht, was der Transplanet darstellte.

„Ihre Namen“, kam es kalt und schneidend von den Lippen der Frau.

Clayborn zuckte die Schultern. „Barry Clayborn, Terra!“

Der Blick wurde fast verächtlich. Die Lippen verzogen sich leicht.

„Penza Saratow, Droom“, dröhnte die Stimme des Riesen auf.

„Dienstgrade?“

„Commander!“

„Ingenieur!“

„Was führt Sie in unser Gebiet?“

„Wir hatten nicht die Absicht, Ihr Hoheitsgebiet zu verletzen“, sagte Clayborn mit harter Stimme. „Und soviel mir bekannt ist, haben wir es auch nicht verletzt. Ich verlange, dass man uns sofort wieder freilässt und sich in aller Form entschuldigt. Wir sind in einer wichtigen Mission unterwegs gewesen, trafen auf einen Boliden und gingen auf Ausweichkurs. Das ist alles.“

Die Frau trat noch weiter vor. Ihre Augen schimmerten wie künstliche Perlen, matt, mit einer leichten Eintrübung darin anstelle einer Pupille.

„Das ist nichts weiter als eine Schutzbehauptung. Unsere Robotinsel hat Sie automatisch unter Beschuss genommen, sobald Sie in die verbotene Zone einflogen. Sie Schüsse waren nur als Warnung gedacht, aber Sie missachteten das! Ein Frevel, der Sie teuer zu stehen kommen wird.“

„Sie unterliegen hiermit unserer eigenen Gesetzgebung und werden danach abgeurteilt“, ließ sich der eine Mann vernehmen. Auch seine Stimme klang kalt und verächtlich.

Clayborn verzichtete auf einen Protest. Es würde nichts nützen. Sie würden sich nur lächerlich machen.

„Und wie bestraft Ihre Gesetzgebung das Eindringen in Ihr Hoheitsgebiet?“, fragte er spöttisch. „Sollen wir zehntausend Credits Strafe zahlen, oder inhaftieren Sie uns sechs Wochen?“

„Ihr Spott ist fehl am Platz, Commander Clayborn. Unsere Gesetze sind streng, aber gerecht. Vermutlich wird man Ihnen die Wahl zwischen Tod oder Leben lassen.“

Clayborn glaubte, sich verhört zu haben. „Die Wahl zwischen Tod oder Leben?“, fragte er. „Ich glaube, diese Wahl dürfte uns nicht schwerfallen.“

„Klar, wir bevorzugen das Leben“, warf Penza ein.

Die vier Uniformierten verzogen die Gesichter. Die Frau warf ihnen einen hochmütigen Blick zu.

„Das Leben kann weitaus unangenehmer als der Tod sein“, sagte sie weise. „Sie hören wieder von uns. Morgen wird man Sie abholen.“

Clayborn und Penza blickten sich total verblüfft an, als die Umrisse der vier Leute plötzlich in den Konturen verschwamm en und instabil wurden, als verwandelten sich ihre Körper in gasförmige Materie. Ein kurzes Flimmern hing sekundenlang in der Luft.

Dann waren alle vier verschwunden. Die Stelle, an der sie eben noch gestanden hatten, war leer.

„Teleporter“, ächzte Penza fassungslos. „Ich habe noch nie einen Teleporter gesehen, immer nur davon gehört.“

„Ja“, sann der Commander. „Ich habe mich darüber gewundert, dass es weit und breit kein Fahrzeug gab. Aber deswegen müssen es noch keine Teleporter sein.“

„Du denkst an Projektionen?“

„Möglich. Holografische .Projektion auf der Basis von Laserstrahlen, bei dem ein stereoskopisches Bild durch Interferenz einer Primärwelle mit einer vom Gegenstand veränderten Sekundärwelle entsteht. Das wirkt echt und dreidimensional. Die Tonübertragung geschieht dabei auf einer anderen Basis.“

„Dann befanden sich diese Leute also irgendwo in der Stadt, standen gemütlich beieinander und strapazierten unsere Nerven durch eine reine Holografie. Alles andere wurde einfach weggeblendet.“

„So ähnlich muss es gewesen sein. Vermutlich wird auch jedes Wort belauscht, das wir miteinander sprechen.“

„Dann schweigen wir eben“, schlug Penza vor. „Oder wir versuchen, das Boot zu starten. Vielleicht funktioniert es.“

„Ganz bestimmt nicht“, dämpfte Clayborn den Optimismus seines Freundes. „Man hat uns sogar unsere Waffen gelassen. Findest du das nicht merkwürdig?“

Penza zuckte nur die massigen Schultern. Er sah hoch.

Die Sonne, mit einem Stich ins Grünliche, war warm und mild. Am Himmel gab es keine Wolken. Es hatte den Anschein, als würde es hier nie Wolken geben. Er wies auf die beiden Schiffe, die weiter hinten an der Hügelkette standen.

„Terranische Schiffe von Prospektoren“, erklärte er fachmännisch. „Sie scheinen schon lange hier zu stehen. Kannst du die Namen erkennen, Barry?“

„Nein, wir können es aber feststellen, im Schiff, mit Hilfe der Vergrößerungsoptik.“

Penza ging kommentarlos ins Beiboot zurück, während Clayborn auf dem sandigen Boden entlangwanderte. Er marschierte ein paar hundert Meter vom Boot weg, und dabei hatte er das Gefühl, als würde die Luft um ihn herum immer zähflüssiger und dichter.

Er machte noch ein paar Schritte in der gleichen Richtung.

Der atmosphärische Druck verstärkte sich augenblicklich. Und dann konnte er die Luft regelrecht fühlen. Er kam nur noch zentimeterweit voran, danach ging es nicht mehr weiter.

Seine Finger tasteten sich vor und trafen auf Widerstand.

Es musste sich um einen hochverdichteten Schirm handeln, der unsichtbar in der Landschaft hing. Wieder eins der Rätsel, die so verblüffend wirkten.

Clayborn ging in die andere Richtung. Das Resultat war das gleiche. Um sie herum befand sich eine Glocke von großen Ausmaßen, die alles hermetisch abschloss.

Sie waren gefangen, ohne Bewacher, ohne feste Konstruktionen wie einen Bau oder Gitter. Ein sicheres und stabiles Gefängnis!

Penza kehrte zurück. Sein Gesicht drückte Ärger aus.

„Die beiden Schiffe sind seit mehr als acht Jahren terranischer Zeitrechnung verschollen, Barry. Das eine ist die Skylight, das andere Spacewalker. Der Rost frisst bereits an ihnen.“

„Wer weiß, was mit ihnen geschehen ist“, meinte Clayborn. Und wieder beschlich ihn dieses merkwürdige Gefühl der Verlassenheit.

„Wir sind von einer Glocke aus komprimierter Luft umgeben, Penza“, klärte er den Riesen auf. „Ich habe es eben versucht. Man kann nur ein paar hundert Meter in einer Richtung laufen, danach geht es nicht mehr weiter. Uns bleibt vorerst nichts anderes übrig, als es uns so bequem zu machen, wie es geht. Ich denke, wir essen etwas und trinken einen starken Kaffee. Weshalb sollen wir uns unnötige Sorgen machen?“

„Hm! Du hast recht. Das hilft uns auch nicht weiter. Morgen haben wir einen schweren Tag vor uns. Da geht es um die Wahl zwischen Tod oder Leben. Was mag das nur für ein Leben sein?“

„Sicher ein Hundeleben. Der Tod dürfte direkt eine Erlösung sein. Du hast ja gehört, was die Frau gesagt hat.“

Penza verlegte sich aufs Grübeln. Aber auch das half ihm nicht weiter. Er kam nicht dahinter, was damit gemeint war.

Sie kehrten ins Boot zurück, nachdem auch Penza noch einmal die Barriere abgetastet hatte.

Sie erwies sich als stabiles Gefüge. Sobald man weiter vordrang, wurde die Luft knapp, das Atmen immer schwieriger, und man ruderte hilflos mit den Armen herum, als befände man sich in einem dichten, unsichtbaren Brei.

„Mit den Raumanzügen müsste es gehen“, meinte der Riese verdrossen und trank einen Schluck Kaffee.

Clayborn winkte sofort ab.

„Selbst wenn es uns gelingt, dürfte der Ausbruch gleich bemerkt werden. Und wenn wir hinter der Barriere sind, was tun wir dann? Wir kennen gar nichts von Warhol, seinen Bewohnern, seiner Fauna und Flora. Wir würden nicht weit kommen.“

„Von seinen Bewohnern wissen wir zumindest, dass es hochmütige kalte und arrogante Geschöpfe sind. Nur hilft uns das keinen Schritt weiter. Was werden Veem und Luden machen?“, sorgte er sich.

„Wenn das Schiff nicht zu schwer beschädigt ist, werden sie versuchen, MALACA zu erreichen, oder zumindest einen Funkspruch abzusetzen.“

„Und wenn nicht?“

„Dann werden sie vermutlich auf uns warten, nehme ich an.“

Einer spontanen Eingebung folgend, ging Clayborn zum Sender hinüber und stellte ihn ein.

„Clayborn ruft Mordain“, jagte er seinen Spruch hinaus. Viermal hintereinander. Und dann: „ Mordain, bitte kommen!“

Penza gesellte sich zu ihm und lauschte auf ein Zeichen. Es kam keins. Nur das ewige Rauschen war zu hören, geheimnisvolle Stimmen, die aus der Ewigkeit wisperten.

„Das Gerät ist einwandfrei in Ordnung“, meinte Saratow, nachdem er den Sender kurz untersucht hatte. „Daran liegt es also nicht. Und der Sender auf dem Schiff arbeitet ebenfalls einwandfrei. Dafür verbürge ich mich.“

„Also liegt es an den Warhols. Es geht weder ein Funkspruch hinaus, noch kommt einer an. Schalte ab, Penza.“

Resigniert griff der Riese nach dem Schalter. Dann ließ er sich in den Sessel zurückfallen und schloss die Augen. Er tat so, als schliefe er, aber Clayborn kannte ihn besser.

Der schwer gebaute Mann machte sich Sorgen, nicht so sehr um seine eigene Zukunft. Er sorgte sich um seine Kameraden, die irgendwo dort oben herumflogen, vielleicht manövrierunfähig waren und genauso auf einen Funkspruch warteten wie sie auch.

Clayborn wusste ebenfalls nicht, was er beginnen sollte. Die Landschaft dort draußen war trist und öde, das Wetter war immer das gleiche, und zu sehen gab es auch nichts als den großen Platz und ganz hinten die beiden Schiffe, deren Besatzung wahrscheinlich längst nicht mehr am Leben war.

Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Aber er konnte nicht schlafen. Zu viel ging ihm durch den Kopf.

4

„Es liegt nicht am Sender“, sagte der Wissenschaftler. „Es liegt an einer Überlappungszone, die hier irgendwo in der Nähe erzeugt wird und die keinerlei Funkwellen hindurchlässt. Barry wird es schon öfter versucht haben. Und die MALACA können wir ebenfalls nicht erreichen.“

Die Mordain zog eine Riesenschleife nach der anderen. Den Fehler im Antriebssystem hatten sie immer noch nicht gefunden. Vermutlich lag auch hier eine Störung durch die unsichtbare Robotflotte vor, wie Luden ganz richtig vermutete.

Sie hielten das Schiff zwar nicht fest, aber sie gaben den Block auch nicht frei, der es ihnen gestattete, sich wieder frei und unabhängig im Raum zu bewegen.

„Wenn sich in vierundzwanzig Stunden immer noch nichts Entscheidendes getan hat“, meinte Veem Chemile, „dann müssen wir auf eigene Faust handeln. Ich schlage vor, wir machen ein Beiboot klar und lassen uns ebenfalls festnehmen.“

„Das ist zu übereilt“, widersprach der Wissenschaftler. „Ich halte es für besser, wenn wir achtundvierzig Stunden warten. Bis dahin haben wir vielleicht einen besseren Überblick. Und dann können wir immer noch handeln, ohne etwas voreilig zu provozieren.“

„Du hast recht“, gab Veem zu, „aber ich halte es einfach nicht aus, hier tatenlos herumzusitzen. Wenn man wenigstens eine Kreisbahn um diesen Planeten einschlagen könnte, um zu beobachten, was da vor sich geht.“

„Die Warhols lassen uns nicht einmal mehr auf tausend Meter weiter herankommen. Und wenn sie auch noch die Mordain schnappen, sind wir völlig hilflos. Ich habe einen anderen Plan, Veem, den werde ich dir jetzt auseinandersetzen.“

Sie berieten lange miteinander, stellten immer wieder neuen Thesen auf und verwarfen sie dann, weil sie keiner genauen Prüfung standhielten.

Es war nicht so einfach, sich dem Planeten zu nähern, ja es war sogar ausgeschlossen, ungesehen auch nur auf eine Lichtminute oder weniger heranzukommen.

Im Maschinenraum, den sie später aufsuchten, standen sie ebenfalls vor einem Rätsel.

Das Leck war abgedichtet, Trümmerstücke, die irgendwelche Maschinenteile zerstört hätten, gab es nicht. Der Antrieb reagierte normal, aber der Partikelausstoß war gleich null. Es fehlte der Schub, der das Schiff in Bewegung setzte.

Sie hatten es auch schon mit dem Antigravantrieb versucht. Aber der funktionierte überhaupt nicht mehr. Gravolinien ließen sich nicht mehr ausnutzen.

Nach etlichen Stunden angestrengter Suche gaben sie auf. Sie gingen in die Zentrale zurück und warteten.

Etwas anderes blieb ihnen nicht übrig. So vergingen die ersten achtzehn Stunden.

5

Als Barry erwachte, hatte er das Gefühl, jahrelang geschlafen zu haben. Penza Saratow saß schon seit mehr als einer halben Stunde vor der Schleuse und starrte zum Horizont.

Nichts rührte sich. Alles blieb still und ruhig.

Nach einem ausgedehnten Frühstück kehrte wieder die Langeweile bei ihnen ein. Der Sender gab immer noch keinen Ton von sich. Eine Antwort erhielten sie nicht.

„Die werden sich doch hoffentlich nicht den Spaß machen und uns hier bis in alle Ewigkeit sitzen lassen“, murrte der Riese. „Zutrauen würde ich es ihnen. Wir sitzen hier in der Falle, bis unsere Vorräte aufgebraucht sind, und verhungern anschließend.“

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als nur ein paar hundert Meter weit links von ihnen ein Gleiter auftauchte.

Diesmal handelte es sich um keine dreidimensionale Erscheinungsform. Die beiden Frauen, die den Gleiter flogen, waren echt.

Mühelos durchstießen sie die Barriere, landeten und stiegen aus.

Die eine kannten sie schon. Es war die gleiche vom Tag vorher, die das seltsame Zeichen auf der Jacke trug.

„Freut mich, Sie diesmal wirklich begrüßen zu können“, sagte Clayborn ironisch. „Gestern haben wir leider nur ihr Schattenbild gesehen.“

„Woher wollen Sie das wissen?“, fragte die Frau scharf.

,„Das kommt vom Nachdenken. Haben Sie auch einen Namen?“

„Ich bin nicht geneigt, Ihnen Auskunft zu geben, Commander Clayborn. Es genügt, wenn wir den Ihren wissen.“

„Wenn das für die Höflichkeitsregeln auf Warhol gilt, habe ich keine Einwendungen“, meinte Clayborn gelangweilt. „Und nun sagen Sie uns gefälligst, was Sie wollen!“

„Zunächst werden Sie das Beiboot dort hinüberfliegen!“

Ihre Hand streckte sich aus und deutete in jene Richtung, in der auch die beiden anderen Schiffe standen.

„Ich denke nicht daran“, widersprach Clayborn. „Das Boot liegt hier ebenso gut wie dort drüben. Was ist mit den Männern geschehen, die hier gelandet sind?“ Das Mädchen mit dem hochmütigen Blick gab keine Antwort. Sie ignorierte die Frage völlig.

Die andere, die ihr auf eine eigenartige Weise ähnelte, fuhr arrogant dazwischen.

„Tun Sie, was Ihnen befohlen wird! Sie haben sich hier widerspruchslos allen Anordnungen zu fügen, sonst ...“

„Mir hat niemand etwas zu befehlen. Am allerwenigsten Sie“, sagte Clayborn kalt und verletzend. Er sah nicht ein, aus welchem Grund er das Beiboot woanders hinfliegen sollte. Und von den beiden Frauen ließ er sich schon gar nicht herumkommandieren.

Die beiden sahen sich an, die eine sagte etwas in ihrer Sprache.

„Wenn Sie sich weigern, wird das die Strafe verschärfen!“

„Ich weigere mich immer noch“, blieb Clayborn hartnäckig.

„Wie Sie wollen. Steigen Sie in den Gleiter! Sie auch!“

„Uns gefällt es hier ganz gut. Ich denke nicht daran, den Gleiter zu besteigen.“

„Dann werden wir Gewalt anwenden!“ Offenbar hatte sich den beiden noch niemand widersetzt, denn sekundenlang berieten sie untereinander in ihrer Sprache.

Daraufhin zog die eine ihre Waffe und richtete sie auf Clayborn. Die andere holte etwas aus der Tasche ihrer Uniform, das wie eine silberne Schlange aussah. Spielerisch hielt sie es in der Hand. Das silbrige Ding bog und wand sich, dann glitt es plötzlich durch die Duft und zischte auf Saratow zu.

Der Riese kam nicht mehr dazu, eine Ausweichbewegung zu machen. Das Ding war einfach zu schnell.

Es umschlang seinen Körper wie ein glühender Draht, fesselte seine Arme und presste sie an den Oberkörper, bis er sich nicht mehr rühren konnte.

Genau die gleiche Schlange schoss auch in der nächsten Sekunde auf Clayborn zu, umschlang seinen Hals und zog sich zu. Die elektronische Fessel, ein teuflisches Ding, begann zu würgen, sobald er sich dagegen wehrte. Wie Klammern aus glühendem Stahl presste sie seinen Hals zusammen, zog sich immer enger, bis er rote Kreise vor den Augen sah und keine Luft mehr bekam.

Die beiden Frauen lächelten überlegen. Zum ersten Mal sah Clayborn eine bewusste Mimik in ihren kühlen Gesichtern.

„Besteigen Sie jetzt den Gleiter!“, hörte Clayborn wie aus weiter Ferne ihre Stimme.

Seine Hände fuhren zum Hals, versuchten, zwischen Hals und die elektronische Fessel zu greifen, um den mörderischen Würgegriff zu lockern.

Aber die Fessel zog sich nur noch mehr zusammen.

Und dann erhielt er den ersten elektrischen Schlag. Er war so stark und brannte so heiß durch seinen Körper, dass es ihn fast umwarf. Elektrische Entladungen durchtobten ihn.

Da erst gab er nach, widerwillig und in dem Gefühl, der Unterlegene zu sein.

Saratow knirschte mit den Zähnen, als sie im Gleiter Platz nahmen. Die beiden weiblichen Polizisten schenkten ihnen keinen Blick. Während die eine den Gleiter steuerte, war die andere damit beschäftigt, ihr Gesicht anzumalen. Eine typisch weibliche Eigenart, dachte Clayborn. So schnell konnte die nichts erschüttern.

Er musterte die Frau genauer und unauffällig, wie er glaubte. Aber dann merkte sie es doch und gab den Blick kühl und überlegen zurück.

„Starren Sie mich nicht so an!“, fauchte sie. „Was fällt Ihnen ein! Drehen Sie sich um!“

„Sie sind wunderschön“, grinsend.

„Das Kompliment kann nicht zurückgeben!“, kam es aus ihrem Mund.

„Dann machen Sie es so wie ich: Lügen Sie einfach!“

Er sah, wie sich ihre Stirn krauste, die Augen einen harten Schimmer bekamen und ihre Lippen ganz schmal wurden. Da scheine ich eine schwache Stelle erwischt zu haben, dachte er. Aber gleich darauf schrie er leise auf. Diesmal rasten tausend Volt durch seinen Körper, schienen ihn von innen her aufzufressen, auszuhöhlen und zu verbrennen. Eine Sekunde lang hielt der Schock an, eine Sekunde, von der er glaubte, sie würde eine Ewigkeit dauern.

Dann erst klang der Schmerz in einem letzten Zucken langsam ab. Commander Clayborn konnte wieder einigermaßen klar denken.

Saratow sagte nichts. Nur der Blick seiner Augen sprach mehr als alle Worte.

Was tief unter ihnen vorbeizog, sahen sie nicht. Nur aus den Augenwinkeln gewahrte Clayborn einmal flache Häuser oder Fabrikationshallen. So genau ließ sich das nicht unterscheiden. Es war ein Bild der Monotonie, kaum durch etwas Augenfälliges verändert.

Dann landeten sie. Der Gleiter kam vor einem hohen Gebäude zum Stillstand. Das Gebäude schätzte Clayborn auf achtzig Meter Höhe. Es stand an der Peripherie einer mittelgroßen Stadt, die völlig nichtssagend wirkte. Ein paar Warhols beiderlei Geschlechts kamen aus dem Gebäude, einem schmucklosen Bau in einer ebenso schmucklosen Landschaft ohne sonderliche Vegetation.

Ein Lift brachte sie nach oben, ein Schwebelift, in dem man sich an Griffen festhalten musste.

Gegen die Warholer Robottechnik wirkte dieses Gebäude mit seinen Einrichtungen veraltet und primitiv.

Auf dem Gang, der in einen Saal führte, kamen ihnen zwei Männer entgegen. Sie unterschieden sich von den Polizisten durch ihre Gesichter. Sie wirkten nicht so hochmütig oder abweisend. Fast freundlich nickten sie den beiden Gefangenen zu.

Clayborn erhaschte einen schnellen Blick in ihre Augen. Sie hatten große Pupillen und dunkelblaue schmale Schlitze darin.

„Dort hinein!“, sagte die Frau und machte eine schnelle Bewegung mit der Hand. Die beiden Fesseln fielen schlagartig ab, wanden sich zuckend in die Hände ihrer Besitzerinnen zurück und verschwanden wie durch Zauberei in den Taschen.

Hinter ihnen schloss sich eine Tür mit leisem Zischen. Clayborn und Penza waren in dem großen Saal allein. Niemand anderes befand sich mehr darin, auch die beiden Frauen nicht.

Der Raum hatte Landschaftsfenster. Einige zeigten eine wild wuchernde Flora, andere eine Landschaft, die aus Strand und Wasser bestand.

Ein Computer stand an der Wand. Seine Höhe betrug knapp drei Meter, die Länge etwa sechs Meter. Soviel Clayborn erkannte, war die elektronische Maschine nicht aktiviert. Keine einzige Birne brannte.

„Sollen wir uns etwa mit dem Kasten unterhalten?“, fragte Penza angriffslustig. „Oder was hat der Zirkus zu bedeuten?“

„Vielleicht ist das der oberste Richter“, vermutete Clayborn. Er rieb sich seinen Hals, der immer noch brannte. Ein schmaler, dunkler Streifen zog sich dort entlang.

„Der oberste Richter? Verdammt, Barry, du könntest recht haben. Aber ... wir können doch nicht durch ein Elektronengehirn abgeurteilt werden. Eine Maschine, die Menschen verurteilt?“

„Das ist nur eine Vermutung von mir. Sie muss nicht stimmen.“

Drei, vier Minuten vergingen, in denen nichts geschah.

Dann flammten ein paar Lichter an der Stirnseite des Computers auf, flackerten, erloschen wieder. Leises Summen erfüllte den großen Saal.

Clayborn und Saratow wichen zurück, als vor ihnen ein Energiefeld zu flimmern begann. Die Barriere entstand sekundenschnell und bildete eine Front, die man nicht überschreiten konnte.

Und dann begann eine der seltsamsten Verhandlungen, die Clayborn je erlebt hatte. Es gab keinen Verteidiger, keine Beisitzer, nur einen Richter, der nach Tatsachen urteilte, nach den Daten, die man ihm eingegeben hatte.

Aber grundsätzlich falsche Daten führten in letzter Konsequenz immer zu unrichtigen Ergebnissen. Und daher war es für die beiden Gefangenen klar, dass der Computer nur subjektiv urteilen konnte.

„Commander Barry Clayborn, Terra!“, erklang eine laut hallende Stimme, die den ganzen Saal füllte.

„Penza Saratow, Ingenieur, Droom“, brüllte es weiter. „Beide sind angeklagt, die Hoheitsrechte Warhols willkürlich verletzt zu haben. Sie sind mit einem Raumschiff in die Sphäre eingedrungen. Ein Grund dazu war nicht vorhanden.“ Die Stimme schwieg, sie kam noch einmal schwach als Echo von den Wänden zurück und erstarb dann.

„Jetzt sind wir dran“, sagte Clayborn, nachdem der Tatbestand enthüllt war. Er drehte seinen Kopf in die Richtung, aus der die Stimme gesprochen hatte.

„Wir erklären uns für nicht schuldig. Wir haben niemals bewusst das Hoheitsgebiet Warhols verletzt. Die Daten wurden gefälscht. Wir protestieren gegen unsere Festnahme und fordern, unverzüglich freigelassen zu werden.“

Das Summen wurde lauter, wieder flackerten Lampen. Aus einem Schlitz schob sich ein Lochstreifen, der in einem anderen Gerät verschwand.

„Die Anklage beruht auf Tatsachen. Die Anflugkurve des Schiffes wurde registriert. Man hat Sie durch Schüsse gewarnt!“

„Heimtückischerweise“, sagte Clayborn. „Man hätte uns auch durch Lichtsignale warnen können, anstatt uns zu beschießen. Das geschah, als wir noch weit entfernt vom Hoheitsgebiet waren. Außerdem ist dieses Hoheitsgebiet willkürlich erweitert worden. Sollten Sie uns verurteilen, wird das schwerwiegende Folgen nach sich ziehen.“

Der Computer, ein Fachidiot für rein juristische Angelegenheiten, ging auf die Worte nicht ein. Das Ganze war eine reine Formsache, überlegte Barry, und ihre Verurteilung stand von vornherein fest. Da halfen alle Argumente nicht. Die Programmierung kannte es gar nicht anders.

Clayborn ballte die Hände zu Fäusten. Wenn diese elektronische Sicherheitsbarriere nicht gewesen wäre, hätte er den Kasten vor lauter Wut zertrümmert.

„Zum Urteil!“, erklang es wieder. „Es wird hiermit Folgendes beschlossen: Barry Clayborn, Terra, Penza Saratow, Droom, werden zum Tode durch den Konverter verurteilt. Das Urteil wird nach Schluss der Verhandlung sofort rechtskräftig.“

Barry wollte etwas erwidern, aber er fand einfach keine Worte. Er sah, wie Penza nach Luft rang. Der Riese warf verständnislose Blicke auf den Kasten und tippte sich gegen die Stirn.

„Wahnsinn“, knirschte er. „Ich nehme das Urteil nicht an.“

Die Maschine summte wieder lauter. Die Stimme erklang.

„Zum Alternativ-Urteil! Urteil zwei: Barry Clayborn, Terra, Penza Saratow, Droom, werden zur Deportation auf Warhol zwei verurteilt. Zur Erklärung: Warhol zwei ist die vor langer Zeit entdeckte Parallelwelt Warhols. Diese Welt ist stofflich instabil. Alle zeitlichen Abläufe, die hier korrigiert werden, geschehen auf einer anderen Zeitebene auf Warhol zwei. Die Angeklagten werden zeitlich versetzt und in die Stadt der Deportierten gebracht.“

Wieder schwieg die Stimme. Barry und Penza blickten sich verstört an und wagten kaum zu atmen.

Die Lautsprecherstimme sprach schon wieder weiter.

„Die beiden Angeklagten haben vorzutreten und sich für eins der beiden, Urteile zu entscheiden. Die Entscheidung muss sofort gefällt werden. Ein Einspruch ist sinnlos. Bei einem Protest tritt Urteil eins automatisch in Kraft.“

„Das nenne ich eine ausgewogene Gerechtigkeit“, meinte Clayborn und trat einen Schritt nach vorn, gefolgt von Penza.

Hasserfüllt starrte er den Kasten an, der so wahllos mit Menschenleben spielte, als hätten sie nicht den geringsten Wert.

Clayborn sprach für sie beide, höhnisch und kalt.

„Da wir voraussetzen, dass es im Konverter zu heiß ist und unser Metabolismus dabei zu Schaden kommen kann, entscheiden wir uns für das zweite Urteil.“

„Clayborn, Terra! Entscheidung für Urteil zwei“, bestätigte der Kasten.

„Du musst deinen Spruch leider selbst aufsagen“, meinte Clayborn.

„Ich entscheide mich für Urteil zwei!“, brüllte der Riese mit seiner grollenden Stimme, die im ganzen Saal widerhallte.

„Saratow, Droom“, kam umgehend die Bestätigung. „Entscheidung für Urteil zwei. Damit ist der Tatbestand als Verbrechen schwerster Art fixiert und gespeichert. Das Urteil ist genehmigt und wird sofort vollstreckt. Die Verhandlung ist geschlossen!“

Das Summen in dem großen Kasten erstarb zu einem Flüstern. Gleichzeitig erloschen die Lampen. Nur die flimmernde Energiebarriere blieb noch weiterhin bestehen.

„Die Verhandlung ist geschlossen“, höhnte der Commander. „Hast du schon mal eine solche Verhandlung erlebt?“

„Bis jetzt noch nicht. Ich möchte wissen, was uns erwartet.“

„Schlimmer als im Konverter kann es auch nicht werden.“

„Aber die Frau hat gesagt ...“

„Abwarten“, meinte Clayborn. „Noch ist alles offen. Ich kann mir unter der Parallelwelt nicht viel vorstellen. Aber jetzt habe ich die Erklärung für das merkwürdige Abzeichen an der Brust der einen Frau. Es handelt sich ...“

Die Tür fuhr mit einem Zischen zurück. Barry sprach nicht weiter. Diesmal waren es vier Uniformierte, die sie empfingen.

„Sie haben Glück, dass Sie noch am Leben sind“, sagte einer hochmütig.

„Hätten Sie das erste Urteil angenommen, so wären Sie jetzt schon verbrannt. Ich darf Ihnen das einmal demonstrieren!“

Er zeigte auf die Barriere, auf jene Stelle, zu der sie vortreten mussten, um das Urteil zu empfangen. Der Mann machte an einem kleinen unscheinbaren Gerät in seiner Hand eine Bewegung.

Eine schwere Platte versank augenblicklich im Boden. Es war haargenau die Stelle, an der sie gestanden hatten.

Tief darunter, in dem Kellergeschoss des Gebäudes, lohte grünliches Licht, wie ein gefesselter Atombrand. Eine bestialische Hitze breitete sich schlagartig aus. Dort unten loderte die Hölle in der Form eines Konverterfeuers.

Eine zweite Bewegung ließ die Platte wieder hochschnellen.

„Damit hätten Sie sich eine Menge Unangenehmes erspart. Ein schneller, ein schmerzloser Tod. Aber Sie wollten es ja nicht anders. Und jetzt folgen Sie uns!“

„Kommen wir sofort nach Warhol zwei?“, fragte Barry.

„Das haben Sie doch eben selbst gehört“, kam es arrogant zurück.

„Was ist das für ein Planet und was hat es mit der Stadt der Deportierten auf sich?“

„Das werden Sie noch früh genug erfahren. Auf Warhol zwei herrschen strengere Gesetze als bei uns.“

Sie nahmen Penza und Clayborn in die Mitte und schritten auf den Lift zu, der sie wieder nach unten bringen sollte, zur Verschickung auf die Parallelwelt.

Aber in Clayborn kochte eine unbeschreibliche Wut. Er war nicht in der Lage, sich einfach in sein Schicksal zu fügen. Vermutlich gab es von Warhol zwei nie wieder eine Rückkehr.

Er suchte unauffällig Penzas Blick und nickte dem bulligen Ingenieur kurz zu. Saratow begriff sofort.

Der Riese schlug zu. Ganz plötzlich kam seine gewaltige mächtige Faust vorgeschossen. Im gleichen Moment griff auch Clayborn an.

Er schlug dem ihm am nächsten stehenden Uniformierten die Handkante gegen den Hals. Normalerweise hätte der Hieb dem Mann das Genick zerschmettert. Aber der reagierte mit unglaublicher Schnelligkeit.

Der Schlag fegte ihn über den Gang, wo er an die Wand krachte. Er schüttelte sich, kam aber sofort wieder hoch. Da hatte Clayborn schon den zweiten zwischen den Händen.

Hart schlug er zu. Der Mann ging zu Boden, blieb da hocken und stierte vor sich hin. Dabei schüttelte er immer wieder den Kopf.

Saratow hatte seinen Gegner hochgehoben. Sein Gesicht war vor Anstrengung gerötet, als er ihn als Keule benutzte und damit auf den vierten Mann einschlug. Alle beide flogen zu Boden, aber mit einer Behändigkeit, die Penza ihnen nicht zugetraut hatte, kamen sie wieder hoch und griffen an.

Selbst der Riese von Droom, ein Mann mit gewaltigen Körperkräften, musste zwei harte Brocken einstecken.

Clayborn erwartete seinen Gegner, ließ ihn kommen und hob dann das Bein hoch. Mit einem schnellen Hebelgriff packte er die Handgelenke, hielt sie fest und ließ sich rückwärts zu Boden fallen. Gleichzeitig ließ er den Mann los.

Der flog ihm über die Schulter, beschrieb in der Luft eine halbe Drehung und krachte an die Wand.

Der andere hockte immer noch am Boden. Clayborn glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er den Mann grinsen sah. Er machte auch keinerlei Anstalten, wieder aufzustehen. Er grinste ausgesprochen dämlich, fand Clayborn und fand keine Erklärung dafür.

Noch einmal traf er den einen hart, aber der Schlag zeigte keine sonderliche Wirkung. Sofort war der Mann wieder auf den Beinen.

Dann war der Kampf zu Ende, noch bevor er richtig begonnen hatte.

Plötzlich wimmelte es von Uniformierten in dem Gang. Zwei elektronische Fesseln kamen angeflogen und zwangen die beiden Freunde zu Boden. Strom durchfloss ihre Körper sekundenlang.

Clayborn bäumte sich auf, Saratow ballte die Hände zu Fäusten und schlug wild um sich.

Aber gegen die höllische Fessel waren sie machtlos. Waffen, die man auf sie richtete, zwangen sie zum Aufstehen.

Clayborn kam vom Boden hoch, lehnte sich gegen die Wand. Da sah er wieder den Mann sitzen, der vor sich hinstarrte, immer noch das gleiche dumme Grinsen auf den Lippen. Zwei andere halfen ihm hoch, sahen sich besorgt an und lehnten ihn gegen die Wand. Aber der Mann fiel gleich darauf wieder um und grinste noch immer.

Schließlich nahmen ihn zwei andere in die Mitte, hakten ihn unter und schleiften ihn fort.

Clayborn sah, dass die Füße des Mannes über den Boden schleiften, als wäre er betrunken.

Dann wurden sie in den Lift gestoßen, begleitet von einem ganzen Trupp Polizisten und einigen Frauen, die kalt und hoheitsvoll auf die Gefangenen sahen.

Merkwürdigerweise verlor niemand ein Wort über den Kampf. Es war, als hätte er nie stattgefunden.

Clayborn klammerte sich an den Griff und hatte das Gefühl ewigen Fallens. Irgendetwas stimmte mit der Anlage nicht. Sie schien unregelmäßig zu arbeiten.

Etwas später landeten sie tief unter der Erde. Der Lift spie sie aus, und sie befanden sich in einer riesengroßen Halle, die kein Ende zu nehmen schien.

„Die beiden letzten Gefangenen“, sagte jemand.

Clayborn drehte sich um. Er sah in starre, hochmütige Gesichter, aus denen er eine gewisse Schadenfreude herauslas.

Ein Mann in einer grauen Uniform kam näher, blieb vor den beiden stehen und sah sie an. Auch sein Blick war kalt, abweisend und überheblich. Er schien sehr von sich eingenommen zu sein.

„In Ordnung“, sagte er mit einer schnarrenden Stimme. „Ihr könnt jetzt die Röhre aktivieren. Alles andere erledige ich.“

Die Halle begann sich zu leeren, die Polizisten verschwanden, oder was immer sie sein mochten.

Dafür sah Clayborn die beiden Männer wieder, die ihm schon auf dem Gang aufgefallen waren. Sie hatten freundliche Gesichter und gehörten offenbar einer anderen Rasse an, weil sie sich in einigen Punkten von den anderen unterschieden. Offensichtlich hatte man sie ebenfalls zur Deportation verurteilt, dachte er.

Noch sechzehn weitere Männer sah er. Frauen waren keine dabei. Zusammen also zwanzig, überlegte er. Zwanzig Männer, die irgendeine Verfehlung hinter sich hatten und die dafür bestraft wurden; nach den unmöglichen Gesetzen von Warhol eins.

Seltsamerweise gehörten sie bis auf zwei alle der anderen Rasse an. In manchen Augen flackerte es. Clayborn erkannte die Angst vor dem Unbekannten, das sie erwartete.

Er schob sich näher an die beiden heran, die vorhin so freundlich genickt hatten.

„Wissen Sie, was uns erwartet?“, fragte er. „Mein Name ist Clayborn, Peruaner, mein Freund Saratow, Droomer.“

„Ich habe gleich gesehen, dass Sie Terraner sind“, sagte der Mann. „Ich gehörte früher einer Raumpatrouille an, aber das ist schon lange her. Mein Name ist Medith hundertvier. Der andere ist Varrh siebenelf. Nein, ich weiß nicht, was uns erwartet. Ich weiß nur, dass wir durch Warhols goldene Röhre müssen.“

„Sie sind Warholer?“, fragte Clayborn.

Ein tiefes Brummen unterbrach ihr Gespräch für Augenblicke. Das Brummen wurde lauter und steigerte sich zu einem zermürbenden Tosen und Rumoren. Danach wurde der Ton höher und singender, bis er sich auf einem Schallniveau einpegelte, das gerade noch an der Hörgrenze lag.

Jetzt wurden Meiler hochgefahren, die die Arbeitsenergie für die Röhre lieferten für Warhols goldene Röhre, die nach Clayborns Ansicht direkt auf die Parallelwelt führte.

„Ich bin Warholer“, sagte Medith nicht ohne Stolz. „Allerdings ein echter Warhol.“

„Heißt das, es gibt Warhols, die nicht echt sind?“, wollte Clayborn verblüfft wissen.

„Natürlich, das sehen Sie doch, Clayborn. Haben Sie eine Nummer?“

„Nein, keine Nummer, das ist bei uns nicht üblich. Wir haben dafür zwei Namen, Barry Clayborn.“

„Interessant. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Die meisten Warhols sind nicht echt. Beispielsweise die sogenannten Polizisten. Sie sind keine Ureinwohner.“

„Was sind sie dann?“

„Androiden, natürlich“, lächelte Medith.

„Androiden! Hast du das gehört, Penza?“

Clayborn war ehrlich verblüfft. Penza schüttelte staunend den Kopf.

„Jetzt wird mir manches klar“, sagte der Commander. „Zum Beispiel die Schlägerei vorhin. Dem einen sind buchstäblich sämtliche Gesichtszüge durcheinandergeraten. Er hockte still am Boden und grinste ständig, nachdem ich ihn getroffen hatte.“

Clayborn warf einen schnellen Blick in die Runde. Niemand kümmerte sich um sie. Weit hinter ihnen war eine Energiebarriere entstanden, die den Lift abschirmte. Vor ihnen lag alles in tiefer Finsternis. Er hatte keine Ahnung, welche Ausmaße die riesengroße Kaverne hatte. Überall standen sie in kleinen Gruppen herum und unterhielten sich.

„Androiden“, wiederholte er leise, als könne er es nicht glauben. „Es gibt anscheinend mehr Androiden als Warhols.“

„Ja, das stimmt. Bei der Polizei sind nur Androiden. Weibliche und männliche. Sie können sich sogar vermehren, auf der gleichen biologischen Basis wie wir auch. Früher hatte man einfache Exemplare gebaut, die im Laufe der Zeit immer mehr verfeinert wurden. Heute sind sie perfekter als wir. Langsam aber sicher gewannen sie die Oberhand über uns, drängten sich in die höchsten Positionen, übernahmen Regierungsfunktionen und verbesserten sich ständig selbst. Und jetzt haben sie einen Grad der Reife erreicht, gegen den wir nicht mehr ankommen. Nicht mehr lange, und ganz Warhol wird ausschließlich von Androiden bevölkert sein.“

„Und das nehmt ihr hin?“

„Wir müssen es hinnehmen. Wir müssen sogar hinnehmen, dass sie uns wegen Geringfügigkeiten auf Warhol zwei abschieben, oder in die Konverterkammern jagen. Wir sind nur noch eine Minderheit, die den Androiden geistig in jeder Hinsicht unterlegen ist.“ Mediths Stimme klang bitter.

„Haben Sie Familie?“, fragte Clayborn.

„Nein, kaum noch ein Warhol hat Familie. Die meisten sind unfruchtbar geworden.“

„Dabei haben die Androiden mitgeholfen, wie ich annehme?“

„Ganz sicher sogar. Man führt es auf eine Strahlungsart zurück, die ihnen selbst nichts ausmacht. Wir sterben aus, und dann gehört Warhol [den Androiden. Welche Verfehlung haben Sie begannen, Clayborn?“

„Wir haben angeblich das Hoheitsgebiet Warhols verletzt. Natürlich stimmt das nicht, und der Grund unserer Verurteilung ist mir jetzt auch klar. Man will nicht, dass sich andere Rassen hier umsehen und etwas feststellen, was die Androiden ängstlich verbergen. Man könnte sonst intervenieren, weil man befürchten muss, dass sich diese neue Rasse in der Galaxis breitmacht. Daher die totale Abschirmung, das absolute Tabu und die drastischen Strafen.“

„Ruhe!“, donnerte die Stimme des Grauuniformierten. „Ihr könnt euch später auf Warhol zwei unterhalten. In ein paar Minuten steht das Transmissionsfeld nach drüben.“

„Sind die beiden Andros auch verurteilt worden?“, flüsterte Clayborn dem Warhol zu.

„Nein, die gehen nur zur Begleitung mit. Später kehren sie sicher wieder zurück.“

„Ruhe habe ich gesagt!“, brüllte der Mann wieder. „Ich will euch eine Information geben. Fragen werden nicht beantwortet.“

Jetzt schwieg jeder, denn keiner wollte sich durch ein belangloses Gespräch eine vielleicht wertvolle Information entgehen lassen, die über sein weiteres Schicksal entschied.

„Drüben erwartet euch die Stadt der Deportierten. Die Gesetze dort sind sehr streng. Wer sich nicht in die Ordnung fügt, wird augenblicklich durch Hinrichtungsautomaten getötet. Damit es keine Zusammenschlüsse von Interessengruppen gibt, haben wir einen Mi-Projektor auf Warhol zwei installiert. Das Gerät arbeitet pausenlos, Tag und Nacht. Es verkleinert jegliches biologische Leben bis ins Extrem. Damit ist eine gewaltsame Rückkehr nach Warhol ausgeschlossen. Sie werden in der ersten Zeit das Stadium der zwergenhaften Wuchses kennenlernen. Danach verkleinern Sie sich immer weiter, bis sie vom Makrokosmos in den Mikrokosmos überwechseln. Damit sind Sie so gut wie unsterblich geworden, falls Sie alles gut überstehen. Natürlich wird die dort ansässige biologische Lebensform von diesem Prozess nicht betroffen.“

Der Androide lachte leise, zum ersten Mal, dass Clayborn überhaupt einen von ihnen lachen sah, ausgenommen den Mann, den er zusammengeschlagen hatte.

„Sie hatten ja die Wahl“, sagte er abschließend. „Es werden immer zwei Urteile gefällt, damit der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Viel Glück auf Warhol zwei!“

Er trat zur Seite. Sofort setzte lautes Gemurmel ein. Flüche erklangen, einer der Warhols trat vor, griff nach dem Androiden und schlug ihm die Faust ins Gesicht.

Dafür wurde er mit der Fessel bestraft, Strom durchzuckte seinen Körper, und er wand sich hilflos am Boden.

„Es hat keinen Zweck, ihn anzugreifen“, meinte Barry. „Erstens kommen wir hier nicht heraus und zweitens haben wir nicht die geringste Chance gegen diese Übermacht. Ob das wirklich stimmt mit dem Mi-Projektor, oder handelt es sich dabei nur um einen sadistischen Scherz?“

„Die Andros kennen keine Späße“, hauchte Medith einsnullvier. „Ich nehme mit Sicherheit an, dass es stimmt. In technischer Hinsicht sind sie unglaublich weit, auch wenn sie das nach Möglichkeit immer wieder zu verbergen versuchen.“

Clayborn sah mit wachsendem Unbehagen, wie sich der Hintergrund langsam erhellte. Er trug immer noch seine Waffe. Penza ebenfalls, niemand hatte sie ihm abgenommen.

Aber selbst das war Berechnung. Hier funktionierten die Strahler nicht, weil sie blockiert wurden, und auf der anderen Seite, drüben, konnten sie mit den Waffen nach Einsetzung des Verkleinerungsprozesses nicht mehr viel anfangen.

Wieder schüttelte ihn die Wut, wie er sah, dass die Leute sich zum größten Teil in ihr Schicksal fügten.

Aber erging es ihm nicht genauso? Er konnte auch nichts tun, um das Unheil abzuwenden. Er sah keine Möglichkeit. Sie waren hilflos einem unmenschlichen Schicksal ausgeliefert.

Der Hintergrund erhellte sich nun immer mehr. Was anfangs nach einem Kessel ohne Ende aussah, nahm jetzt Gestalt an.

Der erste Teil der goldenen Röhre begann sichtbar zu werden.

Sie wuchs in einen Berg hinein, schraubte sich dort weiter in ungeahnte Tiefen und kehrte sich dann zu einem Möbiusstreifen um, der keinen Anfang und kein Ende hatte.

Das Aufgebot an Technik mutete unwahrscheinlich an. Clayborn sah nicht einmal die Maschinen, die dieses Wunderwerk der Technik in Gang setzten.

Dann war der Goldton da. In der Luft lag ein unwirkliches Summen.

„Dort hinein!“, sagte die Stimme.

Der erste Mann trat zögernd vor.

6

Veem Chemile starrte auf die Borduhr.

„Es ist so weit“, sagte er zu Luden. „Die Zeit ist überschritten, wir werden etwas unternehmen.“

„Wir haben mehr als drei Stunden dazugegeben“, meinte Jarl. „Und von den beiden kam kein Lebenszeichen. Wir lassen die Mordain verriegelt zurück und fliegen mit dem Boot los.“

Was sie erwartete, wussten sie nicht. Es war bestimmt nichts Gutes. Aber sie mussten den beiden Freunden helfen, der Einsatz, ihr Leben, war selbstverständlich.

Chemile verzichtete auf einen Raumanzug. Er konnte keinen anlegen, um den Plan nicht zu gefährden. Ein Raumanzug hätte ihn vorzeitig verraten.

Der schlanke Mann vom Planeten Okulu setzte seine ganze Hoffnung auf sich selbst und auf seine Eigenschaft.

Veem war auf einer Welt aufgewachsen, die mehr als umweltfeindlich war. Diese Welt drehte sich als einziger Planet um eine sterbende rote Sonne. Die Intelligenzen, die ihn in nur noch einigen Exemplaren bevölkerten, kannten bereits seit Jahrtausenden die Technik der Körperveränderung.

Darauf hatte Veem Chemile seinen Plan aufgebaut. Einen anderen gab es nicht, er jedenfalls sah keine andere Lösung.

Chemile konnte über lange Zeiträume hinweg reglos dastehen, seine natürlichen Lebensfunktionen verlangsamen und die Körperhaut, die mit winzigen, fotosensitiven Zellen versehen war, die Farbe des jeweiligen Hintergrundes annehmen lassen.

Den Prozess konnte er beliebig schnell ablaufen lassen und steuern.

Das Beiboot flog los.

Es kam nur ein paar hundert Kilometer weit, als genau das eintrat, was die beiden sich insgeheim ausgerechnet hatten.

Eine der ansonsten unsichtbaren Robotstaffeln schob sich heran, die Sensoren blickten in das Innere des Schiffes und registrierten einen einzelnen Mann, der mit der größten Unverfrorenheit dem Planeten Warhol entgegenflog.

Von Veem Chemile sahen sie nichts. Er hatte sich dem Hintergrund noch besser und prächtiger als ein Chamäleon angepasst und blieb somit für alle anderen unsichtbar.

Außerdem reagierten die Sensoren nur auf optisches Sehen.

Fesselfelder übernahmen das Beiboot, richteten es auf einen anderen Kurs und jagten es mit überhöhter Geschwindigkeit dem Planeten entgegen.

Für die Androiden war der Fall klar.

Der Mann kam, um nach den beiden anderen zu sehen, nachdem der Funkkontakt unterbrochen war und sie sich nicht mehr meldeten.

Alles lief reibungslos und nach Plan ab. Das dumme Gefühl, das Veem bei dem Anflug hatte, ließ sich nicht unterdrücken.

Und dann wurde er plötzlich bewusstlos.

Sein letzter Gedanke galt seiner sensitiven Haut. Hoffentlich veränderte sie sich nicht, während er bewusstlos war, denn dann war der ganze schöne Plan beendet, noch ehe er begonnen hatte.

Etwas später war auch das Beiboot zwangsgelandet und befand sich in einem Fesselfeld.

Danach kamen sie wieder zu sich.

7

Clayborn starrte gebannt auf das goldene Gleißen, das den gesamten Tunnel erhellte. Warhols goldene Röhre war, optisch gesehen, ein Meisterwerk. In technischer Hinsicht war es durch nichts mehr zu überbieten.

Die Röhre schraubte sich nun in langen Windungen in eine unsichtbare Materie hinein, ihre Ränder glühten in Farben, für die der Commander einfach keine Bezeichnung fand.

Fasziniert sah er zu dem Mann, der zögernd weiterschritt. Er hatte die Röhre kaum betreten, als sein Körper sich auch schon Bruchteile einer Sekunde rasend schnell entfernte. Perspektivisch gesehen, wurde er blitzschnell so klein, dass er fast verschwand. Er ging auch nicht über den Boden der Röhre, er schwebte wie von unsichtbaren Fäden gehalten auf einem Untergrund, der in ständiger, fließender Bewegung war.

Der zweite Mann verschwand wie ein Geist, dann der dritte, der vierte.

Endlich waren Clayborn und Saratow an der Reihe.

Aus der Nähe wirkte die Röhre unheimlich. Ein Zeittunnel ohne Ende, der in eine stofflich instabile Welt führte, von der kaum jemand eine bewusste Vorstellung hatte.

Dicht vor Clayborn verschwanden Medith und Varrh. Ihre Gesichter wirkten verkniffen. Die Angst fraß sie bald auf.

„Soll ich zuerst gehen, Barry?“, fragte der Riese. In seinen Augen spiegelte sich das wider, was auch die anderen in ihrem Blick hatten: Angst vor dem, was da auf sie zukam. Die kreatürliche Angst des Individuums vor dem Unbekannten.

„Wir gehen natürlich zusammen“, antwortete Clayborn mit belegter Stimme. Noch einmal sah er in das blinkende technische Gebilde, dann trat er entschlossen einen Schritt vor. Saratow folgte ihm Schulter an Schulter.

Sofort verspürte Clayborn ein sanftes Gleiten und Ziehen, das ihn mit sanfter, aber unwiderstehlicher Gewalt nach vorn zog, in die gewundene Spirale hinein, ins zeitliche Nichts.

Seine Füße berührten den Boden nicht, dessen war er sich ganz sicher. Er schwebte, von unsichtbaren Fäden gehalten, einem fernen Ziel entgegen, das jetzt plötzlich verlockend schien, ohne dass er sich den Umschwung erklären konnte.

Er tat das, was die anderen nicht getan hatten. Er blieb stehen und drehte sich um.

Ganz schwach und nur als winziges Etwas erkannte er das Ende der goldenen Röhre, von den Männern war nichts mehr zu sehen.

„Nicht stehen bleiben!“, warnte eine Stimme, die wie weit entfernter Donner klang. „Wenn Sie stehen bleiben, werden Sie auf der Stelle annulliert!“

Clayborn konnte gar nicht stehen bleiben. Der unsichtbare Drang war wieder da, der ihn vorwärtstrieb, der ihn mit aller Gewalt immer noch sanft nach vorn zog.

Er sah Saratow neben sich, der mit steinernem Gesicht ein Bein vor das andere setzte.

Dann schien die goldene Röhre einen Knick zu machen, der in einer gewundenen Spirale sanft nach links oben führte.

Wohl oder übel mussten sie dem Weg folgen, denn die wellenförmige Bewegung trieb sie dazu.

Clayborn ging die schräg geneigte Ebene hinauf. Er hatte jedes Gefühl für Zeit und Raum verloren. Er fühlte sich körperlos und unbeschwert, losgelöst von allem.

Als er schon fast auf dem Kopf stand, sah er wieder zu Penza Saratow hinüber.

Der Riese von Droom hing in Schräglage, und aus Clayborns Perspektive sah es aus, als würde er jeden Augenblick den Halt verlieren und abstürzen.

Dann erkannte er, dass sie sich auf einem breiten, gewundenen Möbius’schen Streifen befanden, der sich zweimal umkehrte, bevor er wieder zu der Spirale zusammenlief. Wenn Clayborn nicht alles täuschte, mussten sie gleich das Ende des Transmissionsfeldes erreicht haben.

Aber dann erkannte er die Wahrheit, und sie durchfuhr ihn wie ein heißer Blitz.

Wenn sie drüben ankamen, existierten sie zwar weiterhin als Menschen, aber sie existierten spiegelverkehrt in der anderen Zeitebene. Die Umkehrung auf der Möbius-Spirale bewirkte diesen Effekt.

Wie war es, wenn man spiegelverkehrt existierte, überlegte er. Er fand keine befriedigende Antwort. Vielleicht war drüben auf der Parallelwelt alles spiegelverkehrt. Dann war es in Ordnung.

War es nicht so, war ihre Existenz in Frage gestellt.

Er blieb stehen, zögerte noch, aber der fließende Strom trug ihn weiter. Oder nicht?

Was, zum Beispiel, war eine Annullierung?

Hörte damit gleichzeitig die Existenz auf?

Viele Fragen, auf die er keine Antwort erhielt, bewegten ihn pausenlos. Jetzt schimmerte der Spiralbogen in allen Farben des bekannten Spektrums. Der Goldton verblasste und wurde schwächer, nahm immer mehr ab.

Neben ihm begann Saratow verhalten zu stöhnen.

„Wir müssen gleich da sein“, keuchte er. „Sieh mal, dort vorn!“

Die Röhre war zu Ende, die letzte Windung lag vor ihnen.

Und vor ihnen lag eine neue Welt, die sie nicht kannten.

Zuerst sah Clayborn die Männer, die vor ihm durch den Zeittunnel gewandert waren. Ratlos standen sie herum und warteten auf die anderen, die nachkamen und ebenso ratlos waren.

Es schien, als kämen auf die letzten Meter die Männer wie Raketen herausgeschossen. Aber das war ein optischer Betrug.

Sie glitten sanft und langsam heraus.

Warme, würzige Luft empfing sie. Der Himmel war von einer undefinierbaren Farbe. Grautöne, Blau und ein zarter Schimmer aus mehreren Farben, die harmonisch zueinander passten.

Nicht weit vor ihnen lag die Stadt, die Stadt der Deportierten, von Androiden erbaut, Strafkolonie der eigentlichen Herren.

8

Das erste was Luden sah, war das gelandete Beiboot. Einsam und verlassen lag es inmitten einer trostlosen Einöde, die dem Auge keinerlei Abwechslung bot.

Ihnen bot sich genau das gleiche Bild, das Clayborn und Saratow schon bewundert hatten. Die Hügel, davor die beiden terranischen Raumschiffe, das dichte Feld, durch das man nicht hindurchkam.

Er suchte nach Veem, aber er entdeckte ihn nicht. So sehr er seine Augen anstrengte, der Mann von Okulu hatte sich meisterhaft der Umgebung angepasst und blieb somit unsichtbar.

Die Schleuse des Bootes war offen, was den Wissenschaftler sehr erstaunte. Er entsann sich nicht, sie geöffnet zu haben. Ob Veem es getan hatte? Er glaubte es nicht.

Er wollte den Namen des Navigators rufen, doch nach reiflicher Überlegung unterließ er es. Es war besser, wenn er so tat, als wäre er wirklich ganz allein.

Er wartete und wartete. Schließlich, als sich immer noch nichts rührte, hielt er es nicht mehr aus und ging hinaus.

Dass Veem ihm folgte, merkte er nicht. Der Navigator passte sich augenblicklich immer der jeweiligen Umgebung an.

Luden ging hinüber zu dem verlassenen Beiboot. Die Schleuse war weit geöffnet. Er trat ein. Veem blieb draußen stehen.

Plötzlich zuckte er zusammen.

Aus dem Nichts heraus kristallisierten sich die Gestalten zweier Frauen mit hochmütigen Gesichtern und verächtlich blickenden Augen.

Starr sahen sie genau in seine Richtung.

Veem rührte sich nicht. Er hatte teilweise die Hintergrundfarbe des Bootes angenommen, den Teil, der an der Seite herausragte, hatte er dem Hintergrund der Wüstenwelt angepasst. Er war sich seiner Sache ganz sicher. Sie entdeckten ihn nicht.

Gleich darauf kehrte Jarl Luden aus dem Schiff zurück, sah sich um und schrak zusammen, als er die beiden Frauen erkannte.

„Sie sind verhaftet, Terraner!“, sagte die eine kalt. „Ihr Name?“

„Jarl Luden!“

„Dienstgrad?“

„Ich bin Wissenschaftler.“

Jarl verbarg sein Erschrecken so gut er konnte. Jetzt also war es so weit, sie hatten ihn.

Er wusste nicht, ob Clayborn und Saratow das Gleiche durchgemacht hatten, aber er nahm es als wahrscheinlich an. Der Vorgang würde sich immer wiederholen, solange hier ein Schiff in die verbotene Zone eindrang.

„Sie wissen, dass Sie sich eines der schwersten Verbrechen schuldig gemacht haben, Luden.“

„Mir blieb keine andere Wahl. Mein Funkspruch wurde nicht beantwortet, ich war allein an Bord und bin nicht in der Lage, das Schiff zu fliegen. Wenn ich ...“

„Hören Sie auf! Sie suchen Ihre Kameraden, und wir werden Ihnen Gelegenheit geben, sie zu finden. Aber anders, als Sie sich das vorstellen. Befinden sich noch mehr Personen an Bord des Schiffes?“

„Nein, ich sagte schon, ich bin ...“

„Beschränken Sie sich auf knappe Formulierungen! Antworten Sie immer kurz und klar. Haben Sie das verstanden?“

„Ich glaube schon“, sagte Luden aggressiv.

„Gehen Sie in Ihr Schiff zurück! Sie werden später abgeholt.“

„Werde ich meine Kameraden sehen?“

„Wahrscheinlich. Drehen Sie sich um!“

Luden gehorchte. Er drehte sich um. Ein Stein war ihm vom Herzen gefallen.

Sie hatten die Anwesenheit Veems nicht bemerkt.

In der spiegelnden Metallhülle des Schiffes erkannte er noch die Umrisse der beiden Frauen. Dann begann die Luft zu flimmern und sie waren so plötzlich verschwunden wie sie gekommen waren.

„Meine Art, Selbstgespräche zu führen, grenzt an Verrücktheit“, murmelte der Wissenschaftler vor sich hin. „Aber ich glaube, diese Frauen waren nicht echt. Eine holografische Erscheinung, die man in jede beliebige Richtung projizieren kann.“

Damit gab er Veem gleichzeitig das Zeichen, kein Wort zu reden, weil er annahm, dass jedes Wort abgehört wurde, was hier gesprochen wurde.

Seinen Selbstgesprächen jedoch ließ sich nichts weiter entnehmen, als die Gedanken, die ihn persönlich bewegten.

Veem hatte ihn sicherlich verstanden, denn Jarl zuckte leicht zusammen, als ihn plötzlich etwas berührte, ohne dass er es sah.

Er strengte seine Augen an und suchte den Navigator, der dicht hinter ihm stehen musste. Sorgsam fixierte er jede Stelle. Keine Spur von Veem. Genau darauf kam es auch an. Er musste absolut unsichtbar bleiben, sonst war alles aus.

Der Tag verging in quälender Langeweile und nichts geschah.

Erst am nächsten Tag kamen sie, diesmal ein Mann und eine Frau, und holten den Wissenschaftler ab.

Dass sie noch einen unsichtbaren Gast an Bord hatten, merkte niemand, nicht einmal Luden.

9

Das, was sie Stadt der Deportierten nannten, entpuppte sich aus der Nähe als ein paar Häuser mit schlechten Straßen. Aber seltsamerweise gab es Ampelanlagen in gebogener Form, die willkürlich aufleuchteten und das Überqueren der Straße verboten, sobald sich jemand näherte.

Die Androiden blieben stehen, drehten sich dann um und verzogen ihre Gesichter zu einem höhnischen Grinsen.

„Es wird euch hier gefallen“, sagte einer gehässig. „Und haltet euch immer an die Regeln. Viele unserer Leute werden euch ständig überwachen.“

Damit drehten sie sich um und gingen davon.

„Ein Hohn ist das“, sagte Clayborn zu Medith. „Eine Stadt, in der kaum jemand lebt. Sobald der Verkleinerungsprozess einsetzt, ist alles sinnlos geworden. Die Leute sterben nach kurzer Zeit, weil sie gar nicht in der Lage sind, sich zu ernähren.“

„Damit wollen sie uns ihre Überlegenheit beweisen. Wie klein und hässlich wir doch gegen sie sind. Aber hier gibt es auch Androiden, die das Gesetz gebrochen haben. Sie unterliegen diesem Prozess nicht und existieren hier weiter, während alle anderen Warhols elend zugrunde gehen. Die Andros haben hier alles, was sie brauchen, vor allem viel Zeit, um sich Schikanen für die Neuankömmlinge auszudenken. Wenn man sie doch nur vernichten könnte!“

Medith sprach mit Hass in der Stimme. Er hasste aus vollem Herzen.

„Irgendwie müsste es doch ein Mittel geben“, sann Clayborn.

Sie standen immer noch vor einer Ampel, die das Überqueren der Straße verbot.

„Man müsste dort ansetzen, wo sie am empfindlichsten sind, Clayborn. Das ist kurz nach ihrer Geburt. Jedem Andro wird nach der Geburt ein Schablonenmuster in das Gehirn gepflanzt. Wir haben noch nie herausbekommen, weshalb das so ist. Aber wenn man dieses Muster vorher verändern könnte, dann ...“

Clayborn ließ sich das durch den Kopf gehen, aber dann verwarf er diesen Gedanken wieder, weil er unausführbar war. Die Andros lebten auf Warhol eins, sie jedoch auf der Parallelwelt. Und solange es keine Rückkehr gab, war jeder Plan sinnlos.

Varrh stieß den Commander leicht an. Er hatte sich die ganze Zeit mit Saratow unterhalten.

„Wir werden am besten gleich eins der Häuser mit Beschlag belegen, Clayborn“, sagte er. „Meiner Meinung nach dürfte die Strahlung dort nicht sofort wirksam werden. Damit könnten wir den Prozess hinauszögern und ihn verlängern.“

„Hoffentlich klappt es.“

Die Ampel zeigte an, dass die Straße jetzt frei war. Einer der Warhols hatte es eilig und spurtete los. Vermutlich wollte er auch eins der Häuser erreichen, weil er sich dadurch eine Verlängerung seines Lebens erhoffte.

Er machte den ersten Schritt auf die Straße, dann den zweiten. Die Ampel schaltete in genau diesem Moment um.

Der Mann wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Zuerst blieb er stehen, als die anderen ihm etwas zuriefen, dann verlor er anscheinend die Nerven.

Er rannte los zur anderen Seite hinüber.

In diesem Augenblick geschah es. Er hatte die andere Seite gerade erreicht, als die Ampel in den Boden fuhr, bis sie nur noch einen guten Meter| herausragte.

Ein Schlitz öffnete sich, der Lauf einer Desintegratorwaffe schob sich heraus.

Ein fauchender, brüllender Abschuss!

Der Mann warf sich zu Boden. Zu spät. Gegen den lichtschnellen Blitz hatte er keine Chance. Er hörte auch nicht mehr, wie röhrend die Luft zerschnitten wurde, entlang der Schussbahn ionisierte Luftmoleküle grell aufleuchteten.

Der Schuss traf ihn voll, verwandelte ihn in enorm kurzer Zeit in eine schwarze Rauchwolke und löste ihn auf. Was übrig blieb, war ein Häufchen Asche, das der leichte Wind zerstreute.

Die erste der automatischen Hinrichtungsmaschinen hatte mit absoluter Perfektion funktioniert.

Jetzt waren sie noch siebzehn Leute, abgerechnet die beiden Androiden, die nicht mehr dazugehörten.

Das Entsetzen lastete wie eine schwarze Wand auf ihnen. Niemand sprach, niemand machte eine Bewegung. Die Menge war wie erstarrt.

Clayborn blickte aus schmalen Augen zu dem Tötungsmechanismus hinüber. Die Waffe verschwand gerade in der Versenkung, der Schlitz schloss sich, und die Ampel fuhr auf ihre normale Länge zurück.

Welches teuflische Gehirn entsann solche Methoden?, fragte er sich immer wieder. Und wer erließ diese seltsamen Gesetze? Wirklich nur die hier ansässigen Androiden?

„Man sollte sie sofort umbringen, sobald man sie sieht“, sagte Penza. „Mit der Zeit hört dann alles auf, und hier kehrt Ruhe und Frieden ein.“ Die anderen gaben ihm recht. Immer noch standen sie wie Unglücksraben vor der Ampel und wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten.

Gingen sie hinüber, zur anderen Seite, wo die Häuser waren, und die Ampel verbot das Überqueren, wurden sie erschossen. Das Schlimme war nur, dass man nie wusste, wann die Ampel schaltete.

Clayborn fühlte eine unbändige Wut in sich aufsteigen. Aber er war hilflos, genau wie die anderen, und er konnte nichts unternehmen, um das Unheil abzuwenden.

Er hatte jetzt Zeit, sich umzublicken.

Dort, wo sich die goldene Röhre befand, war das Flimmern erloschen. Das Transmissionsfeld war zusammengebrochen, die Röhre wurde vorerst nicht mehr benötigt.

Hinter der Röhre erhob sich ein Berg und rechts und links davon wucherte Wildnis, dschungelartiges Gewächs, undurchdringlich erscheinend. Aber Clayborn sah noch etwas anderes und er stieß Saratow an, der verloren auf den Ascherest auf der Straße stierte.

„Das könnte der Mi-Projektor sein, Penza. Das Ding sieht wie ein vorsintflutlicher Leuchtturm aus.“

„Schwer, das genau zu erkennen“, meinte Penza. „Aber einen anderen Zweck sehe ich auch nicht Wenn es stimmt, dass wir von nun an ständig verkleinert werden, wird mir angst und bange. Vielleicht gelingt es uns, das Ding zu zerstören oder zu beschädigen, sodass der Einfluss der Strahlung erlischt.“

„Der Projektor dürfte schwer bewacht sein. Was meinen Sie, Varrh?“

Varrh sah den Commander geistesabwesend an.

„Es dürfte wirklich schwer sein. Vermutlich birgt schon der Dschungel so viel Gefahren, dass man gar nicht erst bis zu dem Berg hinkommt.“

„Trotzdem wäre es einen Versuch wert.“

In diesem Moment überquerten gleich acht Leute gleichzeitig die Straße und kamen auf der anderen Seite ungehindert an.

Clayborn sah, wie sie in den leer stehenden Häusern verschwanden. „Gehen wir ebenfalls hinüber“, sagte er entschlossen.

Sie hatten dreiviertel der Straße hinter sich gebracht, als die tödliche Ampel umschaltete.

Clayborn verlor nicht eine Sekunde lang die Nerven.

„Links hinüber“, brüllte er die Männer an. Die Warhols wirkten total verstört und verängstigt. Jeden Augenblick erwarteten sie den tödlichen Schuss aus der Desintegratorwaffe.

Clayborn warf sich nach links, in einer schnellen, geschmeidigen Bewegung. Er flog auf die Straße, überschlug sich, rollte nach links ab und kam mit einem heiteren Hechtsprung auf der anderen Seite an, außerhalb des tödlichen Bereiches.

Penza stand schon neben ihm. Der Riese schnaufte erregt.

Die beiden Warhols schafften es ebenfalls. Der eine blutete leicht im Gesicht. Sein rechtes Auge schwoll langsam zu.

Da öffnete sich der Schlitz, die Waffe kam zum Vorschein, diesmal blitzschnell und schwenkte herum, als suche sie ihr Ziel.

Clayborn zog die Männer mit sich, in Deckung hinter ein Haus.

Alle anderen hatten sich bereits verloren. Jeder ging seinen eigenen Weg, anstatt vorerst in der Gemeinschaft zu bleiben, die doch etwas mehr Schutz bot. Lediglich Medith und Varrh hielten sich bei Clayborn und Penza auf.

„Hier gibt’s ja sogar Kinder“, staunte Penza. Er wies auf die Gestalt, die aus einer Nebenstraße auftauchte. Sie hielt sich immer eng an die Häuser, blickte misstrauisch nach allen Seiten und wollte gerade in einem Haus verschwinden.

„Halt!“, rief Medith. „Komm einmal her!“

Der Kleine blieb stehen, sah ihnen entgegen und kam dann langsam und zögernd näher.

„Von wegen Kind“, sagte Clayborn bitter. „Das war einmal ein ausgewachsener Mann. Seht ihn euch an!“

Ein eingefallenes Gesicht starrte sie an. Der Mann war etwa halb so groß wie Clayborn. Seine Kleidung schlotterte ihm um die Glieder. Er hatte sie provisorisch kürzer gemacht und abgeschnitten. Hart vor ihnen blieb er stehen und sah sie aus traurigen Augen an.

Clayborn war froh, endlich jemanden gefunden zu haben, der etwas mehr über die eigentümlichen Verhältnisse Bescheid wusste, die auf der Parallelwelt herrschten.

„Wie lange bist du schon hier?“, fragte Medith tonlos. Seine Stimme klang wie ein verwehender Hauch bei der bangen Frage.

Der Kleine nannte mit dünner Stimme einen Begriff, den Clayborn zunächst nicht definieren konnte. Etwas umständlich übersetzte Medith die Angaben.

Demnach war der Mann vor vier Tagen deportiert worden, wie Clayborn umrechnete.

„Fragen Sie ihn, wie groß er vorher war, Varrh!“

„Wir haben alle die gleiche Größe, Clayborn. Es gibt bei uns keine Unterschiede. Ein Warhol ist wie der andere.“

„Stimmt! Das ist mir auch auf gefallen, besonders wo Sie es jetzt noch einmal erwähnen. Was weiß er über das Leben hier?“

Der kleine Mann mit dem eingefallenen Gesicht verstand kein Wort Intergalaktisch. Varrh oder Medith übersetzten immer wieder.

„Es gibt hier sogenannte Geschäfte, Lebensmittellager aus denen man sich bedienen kann, um nicht zu verhungern. Das geht natürlich nur solange, wie man sich noch selbst versorgen kann. Später wird es immer unmöglicher, alles wird zu schwer.“

„Was ist mit den tödlichen Fallen?“

„Er kennt keine mehr. Es kann passieren, dass die Andros Jagd auf die Männer machen, wenn sie kleiner geworden sind. Dann können sie sich auch nicht mehr zur Wehr setzen.“

„Dann sollten wir versuchen, die Andros vorher auszurotten, wenn das möglich ist. Wir müssen jeden als unseren Feind betrachten, der uns begegnet. Greifen wir nicht an, dann tun sie es später.“

Medith nickte. „Er sagt, er hätte ein paar Männer gesehen, die alles überlebt haben und die jetzt nicht größer sind als die Hälfte einer Hand. Er weiß nicht, wo sie jetzt sind. Vermutlich haben sie sich in die Wildnis gewagt.“

Viel mehr war aus dem Kleinen nicht herauszuholen. Er hatte sich die meiste Zeit seines Hierseins versteckt gehalten. Er zeigte ihnen jedoch die Vorratslager.

Danach verschwand er, drehte sich noch einmal um, winkte ihnen zu und war weg. Ein ausgewachsener Mann, jetzt nicht größer als ein Kind und fast noch hilfloser.

„Ich schlage vor, wir verschwinden aus dieser Stadt, nachdem wir uns mit Lebensmitteln versorgt haben“, überlegte der Commander.

„Wir brauchen nicht viel mitzunehmen, es wird trotzdem eine ganze Weile reichen, weil wir ja logischerweise immer weniger zu essen benötigen, je kleiner wir werden.“

„Ein guter Vorschlag“, grollte Penza. „Dann sind wir wenigstens die Andros los und die Hinrichtungsmaschinen.“

Medith und Varrh machten zweifelhafte Gesichter.

„Und dann wollen Sie womöglich in die Wildnis hinaus, Clayborn?“

Barry nickte heftig. Seine Hand machte eine Bewegung zu dem Berg hin, auf dem der seltsame Turm stand.

„Wenn wir schon hier sind, können wir auch versuchen, das Ding zu vernichten“, sagte er.

„Man wird kommen und neue bauen!“

„Aber das braucht Zeit und geht nicht von heute auf morgen. Inzwischen verkleinern wir uns nicht.“

„Mich brauchst du erst gar nicht zu fragen, Barry. Ich gehe auf jeden Fall lieber in die Wildnis, als in diese Stadt. Wenn Sie sich anschließen wollen, kommen Sie mit.“

„Außerdem muss es bei diesem Mi-Projektor einen toten Winkel geben“, erläuterte Clayborn. „Wenn wir den ungehindert erreichen, haben wir einen großen Vorteil errungen.“

Das gab den Ausschlag. Die beiden sahen sich an, nickten dann.

„Gut, wir kommen auch mit. Aber zunächst sollten wir uns hier noch ein wenig umsehen und uns mit Vorräten versorgen.“

Die Stelle, die der zwergenhafte Mann bezeichnet hatte, war ein halb verfallenes Haus, mehr eine Hütte, die aus verschiedenen Plastikteilen zusammengeschweißt war. Irgendwann einmal hatte sie ein Strahlschuss getroffen, das Plastik geschmolzen und so eine bizarre Form übrig gelassen.

Synthetische Lebensmittel waren hier gelagert. Es war ein Haufen wüster Unordnung, alles lag durcheinander.

Weder Clayborn noch Saratow kannten sich mit den verschiedenartigen Konzentraten aus.

„Das nehmen wir mit, das da und vor allem die Nährtabletten, die sämtliche Vitamine enthalten“, sagte Varrh. Er suchte auf dem Boden nach den Aufschriften der Kassetten und stapelte sie neben sich zu einem kleinen Berg zusammen.

Viel war es nicht, was sie zu tragen hatten. Man konnte es fast in den Taschen verstecken. Aber es würde eine ganze Weile reichen.

Medith reichte die kleinen Päckchen weiter an Saratow und den Commander, der die Aufschriften las und nichts damit anfangen konnte.

Hoffentlich war das Zeug nicht vergiftet, dachte er, denn auch hier konnte es tödliche Fallen geben. Und vielleicht hatten es die Andros extra darauf angelegt.

Er hörte Mediths Aufschrei und fuhr herum. Der Warhol hatte die Gesichtsfarbe gewechselt. Er war grau im Gesicht und seine Augen waren weit aufgerissen.

„Da ...“, stammelte er. Seine Hand deutete zögernd zwischen die Kassetten, die wüst herumlagen.

Clayborn bückte sich. Zwischen den Konzentraten lag etwas auf dem Boden. Schon wollte er die Hand ausstrecken und es hochheben, als er erkannte, was es war. Erschreckt fuhr er zurück.

Vor ihm auf dem Boden lag ein Warhol. Er war nicht größer als ein Finger. Er lag neben einer Konzentratkassette, in die winzige Löcher hineingebohrt waren. Vermutlich hatte er versucht, sie aufzureißen, aber das war ihm nicht mehr gelungen, weil er zu klein war und seine Kräfte nicht ausreichten, das Päckchen zu öffnen.

Clayborn hob ihn vorsichtig hoch, nachdem er seinen ersten Schreck überwunden hatte.

Er starrte in ein runzeliges, mumifiziertes Gesicht, das kleiner war als das einer Puppe. Die Gesichtszüge ließen sich dennoch deutlich erkennen.

Clayborn konnte ihm nicht mehr helfen. Der Mann war tot, verhungert, inmitten einer für ihn riesenhaften Menge Nahrungsmittel.

Vorsichtig, als könne er ihn beschädigen, legte er ihn wieder auf den Boden zurück.

„Jetzt wissen wir, was uns bevorsteht“, sagte er leise.

Die anderen blickten ihn an. Ja, jetzt wussten sie, was ihnen bevorstand. Die Hölle selbst erwartete sie.

10

Luden stand vor dem obersten Richter und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, als er die beiden Urteile vernahm. Auch er wollte protestieren, doch die Maschine schnitt ihm sofort das Wort ab und unterbrach ihn.

Veem geisterte in dem Saal umher, unsichtbar für jeden. Vor der Barriere blieb er stehen, er kam nicht weiter.

„Luden, Terra!“, hörte er die harte Stimme aus dem Lautsprecher schallen.

„Entscheidung für Urteil zwei. Der Tatbestand eines besonders schwerwiegenden Verbrechens ist fixiert und gespeichert. Das Urteil ist genehmigt und wird vollstreckt, sobald zwanzig Deportierte beieinander sind.“

Danach schwieg die Stimme. Luden stand da und wusste nicht, was er sagen sollte.

Als das Flimmerfeld erlosch, öffnete sich die Tür und vier Polizisten treten ein.

Veem geisterte weiter durch den Saal und versuchte, den schwachen Punkt herauszufinden, den jede Anlage dieser Art besaß.

Wenn er den Computer sabotierte, würde man den Fehler schnell finden und beheben. Damit kam er nicht weiter, und er sah keinen großen Nutzen darin.

Also folgte er Luden. Beinahe wäre er zu spät gekommen, denn hart vor ihm zischte die Tür in die Wand.

Im allerletzten Augenblick gelang es Veem, noch schnell hindurchzuschlüpfen. Er atmete erleichtert auf. Beinahe wäre er in dem Saal eingeschlossen worden.

Er passte auf, dass er niemanden berührte, und hielt immer einen gewissen Abstand ein.

Luden wurde in einen Raum geführt, der mit einer elektronischen Barriere abgesichert war. Dort hockte er sich auf ein hartes Bett und starrte zu Veem hinaus.

Der Navigator konnte den Raum nicht betreten. Er wollte es auch gar nicht.

Er lief herum, nach einem genauen Plan, den er sich zurechtgelegt hatte, damit er sich in dem großen Gebäude nicht verirrte.

Er fand sich schnell zurecht. Und in der kurzen Zeit erfuhr er mehr über die ganzen Zusammenhänge als er erhofft hatte.

Er entdeckte auch die schwachen Punkte der Anlage. Und etwas später wusste er, dass es hier von Androiden nur so wimmelte.

Aber noch konnte er nichts unternehmen. Er musste abwarten, bis die Deportierten zusammen waren und die goldene Röhre aktiviert wurde. Erst dann konnte er seinen Plan in die Tat umsetzen.

11

Sie umgingen die paar Häuser in einem weiten Bogen, um nicht unverhofft einer Gruppe Androiden in die Hände zu fallen.

In ein paar Häuser blickten sie hinein. Einige der mit ihnen angekommenen Deportierten hatten sich bereits häuslich eingerichtet.

Aber keiner wollte mit. Alle hatten Angst vor dem, was sie dort draußen in der Wildnis erwarten würde.

„Hier erwartet euch noch viel Schlimmeres“, sagte Medith zu den Leuten. „Die Andros werden die Häuser durchsuchen und euch töten oder zumindest schikanieren.“

„Sie sollen nur kommen“, sagte ein Warhol grimmig. „Wir werden uns zu verteidigen wissen.“

„Sie kommen erst, wenn ihr klein und hilflos seid, wenn ihr nicht mehr in der Lage seid, euch zu wehren.“

Er sprach vergeblich zu ihnen. Sie blieben stur.

Immer wieder sahen sie sich vorsichtig um. Ab und zu entdeckten sie Männer, die bei ihrem Anblick blitzschnell verschwanden und sich in die Hütten zurückzogen.

Clayborn blieb an einer Hauswand stehen und blickte zu dem Berg hinauf. Dort stand die schlanke Säule und verströmte ihr silbriges Licht gleichmäßig nach allen Seiten. Clayborn schluckte trocken, dann sah er an sich hinab, aber er bemerkte noch keine Veränderung.

Waren die Ärmel seiner Jacke nicht bereits etwas länger geworden? Penza bemerkte seinen kritischen Blick.

„Du siehst noch genau so aus wie vorher“, meinte er. „So schnell scheint das nicht zu gehen.“

„Wir sind auch erst seit ein paar Stunden hier. Gehen wir! Das Schlimme ist, dass wir uns nicht wehren können.“

Die Hauswand gab plötzlich nach und drückte sich nach innen.

Clayborn wirbelte blitzschnell herum. Penza stand da, sprungbereit, falls irgendetwas auf sie zukommen sollte. Aber es geschah nichts, und Clayborn schob es auf seine überreizten Nerven, die ihm bereits etwas vorgaukelten.

Sie wollten die Straße an einer Stelle überqueren, die staubig und dreckig war, aber Medith hielt sie im letzten Augenblick davor zurück und zeigte zur rechten Seite.

„Dort vorn sind Schlitze im Boden“, warnte er. „Ich weiß nicht, welchem Zweck sie dienen, aber sicher steckt etwas dahinter.“

Clayborn nahm den Dione in die Hand und zielte in die Richtung. Dann versuchte er abzudrücken.

Nichts! Es hatte sich nichts geändert. Der Strahler funktionierte nicht. Er versuchte es noch einmal, untersuchte die Waffe flüchtig. Sie war in Ordnung, schussbereit, aber sie löste nicht aus. Achselzuckend steckte er sie wieder ein.

Der Desintegrator funktionierte jedenfalls, aber ihre eigenen Waffen versagten.

„Bleibt hier stehen, ich gehe zuerst!“, sagte er. Er behielt die Schlitze im Auge, obwohl er wusste, dass es nichts nützen würde, wenn eine Waffe zu feuern begann. Es gab hier keine Ampel und keine Anzeichen von irgendwelchen technischen Einrichtungen. Was mochte dann dahinterstecken? Eine neue teuflische Spielerei der Andros?

Er hatte die staubige Straße zur Hälfte überquert, als Penza ihm eine Warnung zubrüllte.

Die Schlitze öffnete sich, wurden breiter. Eine Öffnung, die weit in den Boden reichte, wurde sichtbar.

Clayborn blieb stehen, kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, um besser sehen zu können was da auf ihn zukam.

Ein schwarzes Gebilde schob sich heraus, einer riesenhaften Spinne mit einem Kugelleib nicht unähnlich.

Ein kybernetisches Gebilde! Ein Roboter, zur Ergötzung der Andros konstruiert.

Die Kugelspinne schleuderte einen Faden nach ihm, wie einen langen blauen Blitz. Der Faden zischte an ihm vorbei, er war aus einem unerhört widerstandsfähigem Material, wie Clayborn erkannte. Hart peitschte es vor ihm auf den Boden, ringelte sich, traf seinen Stiefel und hinterließ eine Kerbe darauf.

Der zweite Faden kam mit enormer Wucht an. Clayborn konnte ihm gerade noch ausweichen, bevor er ihn streifte. Er zerschnitt seine Jacke oben am Ärmel.

Clayborn rannte wieder zurück. Weitere Fäden wurden nach ihm geschleudert, aber er lief Zickzack und konnte ihnen ausweichen.

Gerade wollte er erleichtert aufatmen, als das schwarze Ding sich in Bewegung setzte und die Straße herunterrollte.

„Schnell, durch das Haus dort drüben!“, schrie der Commander.

Penza drehte sich als Erster um, aber rannte nicht durch das Haus. Er schlug einen Haken, näherte sich dem Roboter von hinten und packte mit seinen großen Fäusten zu.

Die Spinne hatte gerade drei weitere Fäden nach ihnen geschleudert. Zwei verfehlten ihr Ziel, der dritte traf und wickelte sich Varrh um die Beine.

Der Mann kam zu Fall und stieß einen erstickten Schrei aus.

Da war der Riese von Droom in seinem Element. Seine mächtigen Arme spannten sich, seine Hände hoben den Spinnenrobot ruckartig an, griffen noch fester zu und stemmten ihn hoch. Penza benötigte alle Kräfte, um das Ding hochzuwuchten. Es wog so viel wie drei ausgewachsene Männer.

Sein Gesicht war verzerrt, die Muskeln an seinem Hals traten wie dicke Stränge hervor, er keuchte.

Fäden schossen jetzt aus allen Öffnungen der Spinne heraus und versuchten den Riesen zu umklammern, ihn in einer tödlichen Umarmung zu erwürgen.

Penza warf die Kugelgestalt mit aller Kraft auf das Pflaster. Es gab einen dumpfen Schlag. Der Robot zerbrach in drei Teile, eine dichte Wolke weißlichen Qualms entströmte ihm und er fing von innen her an zu glühen.

Die ausgeworfenen Fäden zerschmolzen, Varrh war wieder frei.

Die Stille, die danach herrschte, war bedrückend. Kein Lufthauch war zu spüren, nichts schien sich zu bewegen.

Varrh umklammerte sein Bein. Der geschmolzene Faden hatte eine tiefe Spur hinterlassen.

„Vielen Dank“, stammelte er immer wieder. „Ohne Sie wäre ich jetzt nicht mehr am Leben.“

„Schon gut“, murmelte der Riese verdrossen. „So was ist für mich eine Kleinigkeit.“

Die zerstörten Teile qualmten immer noch. Die Glut fraß den Roboter von innen her auf. Es blieb nicht mehr viel übrig.

„Einen sind sie los“, meinte Clayborn. „Der kann niemandem mehr schaden. Wenn wir jetzt nur noch die halbe Größe hätten, wäre es ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, die Spinne zu zerstören. Ich denke, wir können jetzt gehen.“

Ohne aufgehalten zu werden, überquerten sie die Straße. Offenbar hatten die Andros nur dieses eine Teufelsding besessen. Bis sie ein neues konstruiert hatten, würde eine Weile vergehen.

Ungehindert gingen sie weiter in Richtung auf die Wildnis, die sich weit vor ihnen auftürmte. Einmal sah Clayborn einen Andro und setzte ihm nach. Aber wenig später hatte ihn buchstäblich der Boden verschluckt, er war spurlos verschwunden.

„Vor ausgewachsenen Männern haben sie Angst“, meinte der Commander verächtlich. „Ich hätte den Kerl zu gern in die Hände gekriegt und ihn ein bisschen ausgequetscht.“

Hinter ihnen verschwanden die Häuser, die Straßen und die Bewohner. Die Wildnis begann.

Und oben stand der Projektor und sandte pausenlos seine tödliche Strahlung herunter.

Clayborn musterte die anderen genauer. Sie waren erst seit ein paar Stunden hier, aber er glaubte doch schon die ersten Auswirkungen zu spüren.

Alle drei waren etwas kleiner geworden. Verzweifelt blickte er Saratow an, der den Blick richtig deutete.

„Der Prozess setzt ein“, sagte der Riese schwer. „Jetzt wird es ein Wettlauf gegen den Tod.“

12

Veem hatte wertvolle Informationen sammeln können und kannte nun den größten Teil der Anlage.

Schwierig für ihn wurde es, als sie in das Untergeschoss hinabfuhren und er sich eng an die Wand drücken musste. Er stellte sich hinter Luden und ließ sich in die Ecke pressen.

Einer der Androiden starrte ständig in seine Richtung.

Zu Veems Entsetzen kam er näher heran, starrte an Luden vorbei, als suche er etwas. Er musste ganz besonders scharfe Augen haben, dachte Veem erschreckt.

Luden rettete die Situation, indem er einen Schritt vortrat und den Androiden verächtlich ansah.

„Wann werde ich endlich meine Kameraden sehen?“, fragte er.

Das lenkte den Androiden vorübergehend ab. Veem nutzte die Gelegenheit, sich ganz an der Wand herabrutschen zu lassen, bis er fast auf dem Boden hockte. Wahrscheinlich hat der Kerl ein paar verräterische Punkte gesehen, dachte er. Auf diese kurze Entfernung war das kein Wunder, da konnte er sich an seine Umgebung anpassen wie er wollte.

„Sie werden bald dazu Gelegenheit haben“, fauchte der Androide. „Und jetzt schweigen Sie gefälligst!“

„Ich rede solange es mir passt“, meuterte der Wissenschaftler. „Das wird mir niemand verbieten können.“

Durch seine aggressiven Fragen schaffte er es, den Andro so lange zu unterhalten, bis der Lift stoppte. Aber der Kerl hatte anscheinend doch etwas gemerkt.

Er blieb neben dem Lift stehen, als Luden heraustrat, starrte dann wieder an die Wand. Seine Hände schossen vor, griffen an die Stelle, wo er eben noch die Punkte gesehen hatte.

Sie griffen ins Leere. Kopfschüttelnd wandte er sich um, musterte die Gefangenen der Reihe nach.

Veem gestattete sich ein Grinsen. Er war blitzschnell an Luden vorbeigegangen, hatte sich dann umgedreht und den Wissenschaftler als Deckung genutzt.

Luden grinste den verstört wirkenden Mann an, der sich im Kreis drehte, bald in diese Richtung starrte, bald in jene, ohne etwas zu entdecken. Dann gab er es endlich auf und kümmerte sich um die Gefangenen.

Veem gelangte wieder in einen Nebenraum. Hinter ihm trat noch ein anderer ein, und dann schloss sich das Schott.

Hier schien das Herz der eigentlichen Anlage zu sein, denn er stand auf einer Galerie, die um gewaltige Meiler herumlief. Unter ihm ging es mehr als siebzig Meter in die Tiefe.

Der Saal, mehr ein domartiges Gebilde, war mit Maschinen angefüllt, deren Sinn und Zweck Veem nicht gleich begriff. Es musste etwas mit dem Aufbau der Zeitröhre zu tun haben, dem Prozess der Umkehrung in eine stofflich stabile Zone.

Auf der Galerie befanden sich Computeranlagen von titanenhaften Ausmaßen. Sieben oder acht Androiden liefen geschäftig hin und her, programmierten Bänder, gaben Daten ein und stellten Berechnungen an.

Veem unterdrückte gewaltsam den Gedanken, diese Anlage zu sabotieren. Ihm boten sich hier glänzende Möglichkeiten. Aber wenn er etwas unternahm, war Barrys und Penzas Rückkehr infrage gestellt.

Zuerst mussten sie gefunden werden, dann konnte er hier alles auf den Kopf stellen.

Er streifte umher, lief die Galerie entlang und sah sich alles an. Die Computer begannen zu arbeiten. Auf einem Monitor erkannte Veem den großen Raum, in dem Luden und die anderen standen und darauf warteten, dass sich die Röhre erhellte und der Tunnel in die andere Zeit stabil wurde.

Die hochgefahrenen Meiler, die den Arbeitsstrom lieferten, begannen zu rumoren. Noch zwei weitere Meiler wurden hochgefahren und nahmen die Arbeit auf.

Und dann stand die Röhre!

Veem starrte fasziniert auf das golden schimmernde Gebilde, das sich immer stärker heraushob und stabil zu werden schien.

Jetzt wurde es Zeit, dass er hinauskam, sonst verpasste er den Anschluss an Luden. Er musste mit hinüber.

Die ersten beiden Männer verschwanden bereits in dem Tunnel, wie er auf dem Monitor sah. Der Schreck fuhr ihm in die Knochen. Er fand den Öffnungsmechanismus für die Tür nicht. Und von den anderen machte niemand Anstalten, hinauszugehen.

Verzweifelt begann er, die Wand nach einer Schaltung abzusuchen. Es gab keine, wie er zu seinem Entsetzen feststellte. Aber irgendwo musste sich die Tür doch öffnen lassen!

Er ging wieder ein paar Schritte zurück, starrte auf den Monitor. Luden blickte sich nach allen Richtungen um, schob sich dann an ein paar anderen vorbei und wartete. Er sah, dass Luden nervös war und nicht wusste, wie er sich verhalten sollte.

Und jetzt, als Veem wieder vorging, klappte es. Der Auslösekontakt für das Schott funktionierte nur dann, wenn man dicht an der Wand entlangging.

Das Schott ging auf, zwei Androiden blickten herüber, sahen sich an und warteten, dass jemand hereinkam.

Dann lief einer hinter ihm her und starrte fassungslos auf die Tür, sah niemanden und ging wieder zurück.

Hinter ihm schloss sich das Schott. Veem befand sich wieder in der großen Halle.

Ein paar Männer waren in Warhols goldener Röhre verschwunden und nicht mehr zum Vorschein gekommen. Veem lief zu dem Wissenschaftler hinüber und stieß ihn leicht an.

Er sah, wie Luden erleichtert aufatmete. Jarl stieß die Luft aus und seufzte zum Zeichen, dass er verstanden hatte.

Aber dann kam alles ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatten.

Noch acht Leute waren übrig, als der Uniformierte ein Zeichen mit der Hand gab.

„Stehenbleiben!“, befahl er. „Es darf keiner mehr durch die Röhre. Zurück! Los, zurück!“

Augenblicklich wurde das Flimmern schwächer, der Goldton verlor sich zu einem blassen Rosa, der Möbiusstreifen sank in sich zusammen und erlosch. Das ganze Feld verschwand und begann instabil zu werden.

„Sie haben etwas gemerkt“, hauchte Veem dicht an Ludens Ohr. „Ich verschwinde in der Röhre.“

Luden wollte etwas sagen, weil ihnen niemand Aufmerksamkeit schenkte. Er brachte den Mund nicht mehr auf.

Uniformierte strömten in die Halle. Es wurden immer mehr. In den Händen trugen sie Lähmwaffen.

Veem rannte jetzt in den Tunnel hinein. Er wusste nicht, wie weit er kommen würde, oder ob ihn der Schockstrahl der Lähmwaffen noch erreichte. Er wusste nicht einmal, was passierte, wenn er die Röhre betrat, nachdem die Energie ausgefallen war.

Er befand sich ein paar Meter in dem erlöschenden Feld, fühlte den Widerstand, der ihn von allen Seiten einschloss, und hatte das Gefühl, in einen zähen Brei zu rennen, der nach jedem Schritt zu fester Materie wurde.

Dann ging es nicht mehr weiter. Sein Körper blieb hilflos stecken. Er wollte wieder zurück. Es ging nicht. Eine feste Masse umschloss ihn nun von allen Seiten und drückte ihn langsam zusammen.

Und dann verschmolz er mit dem Gestein des Felsens zu einer festen Einheit. Er hatte das Gefühl, sterben zu müssen. Aber er konnte alles sehen, was in der Halle vorging.

Regungslos erstarrt, Bestandteil einer festen Materieform, sah er, wie die Uniformierten die Männer aus der Halle und in den Lift trieben. Luden war auch dabei.

Einer nach dem anderen bestieg den Lift. Für Veem wäre es unmöglich gewesen, sich vorbeizudrücken. Die Androiden hatten etwas gemerkt und siebten jetzt regelrecht die Luft. Alles wurde abgetastet, als sie ausschwärmten.

Und dann war die Halle leer. Die Gefangenen waren verschwunden.

Da traten die Lähmstrahler in Aktion, bestrichen die ganze Halle pausenlos nach allen Seiten.

Veem Chemile merkte nichts von den Strahlen. Sein Körper war gefangen, aber er selbst schien losgelöst von allem.

Eine Gruppe Androiden tastete den Boden ab, ging Schritt für Schritt immer weiter vor. Erst vor dem Tunnel, der jetzt wieder feste Materie war, machten sie halt.

Dann kehrten sie um, gingen wieder zurück. Darauf, dass er in dem Tunnel steckte, kamen sie nicht.

13

Die erste Nacht, die nicht mehr war als eine Dämmerung von nur einigen Stunden, hatten sie im Schutz blaugrüner Büsche verbracht.

Als Clayborn erwachte, war es heiß. Die Luft war wie ein feuchter Schwamm, der sich beklemmend auf die Lungen legte.

Und der Berg, auf dem der Mi-Projektor stand, erschien ihm weiter als je zuvor.

Er weckte Penza, der zusammengerollt auf dem Boden lag und schlief.

Der Riese vom Droom war sofort hellwach, als Clayborn ihn berührte.

„Bei allen Geistern“, stöhnte er, „wie siehst du denn aus? Und die anderen erst?“

Clayborn war sekundenlang wie gelähmt, als er an sich herabblickte. Seine Kleidung war viel zu groß geworden, seine Strahlwaffe schien ihm überdimensionale Maße angenommen zu haben.

Sein Blick streifte Medith und Varrh. Die beiden Warholer waren förmlich in den Boden geschrumpft. Bei ihnen lief der Prozess der Verkleinerung anscheinend noch schneller ab.

Und Penza! Clayborn sah den Riesen fassungslos an, als er vom Boden aufstand und sich reckte.

Saratows Gestalt, ohnehin breit und wuchtig, wirkte jetzt noch kompakter. Seine Säulenbeine waren merklich kürzer geworden, sein Körper geschrumpft.

Penza versuchte zu grinsen, doch es wurde nicht mehr als eine klägliche Grimasse. Er kam sich hilflos und verloren vor, genau wie die anderen,auch, die dem unheimlichen Prozess machtlos ausgeliefert waren.

„Wir müssen weiter“, stöhnte Clayborn. „Wenn es uns nicht bald gelingt, das verdammte Ding zu zerstören, sind wir erledigt.“

Hoch über ihnen blitzte es in regelmäßigen Abständen. Der Projektor schleuderte seine Strahlen auf den Pseudoplaneten, unaufhörlich, pausenlos, nach allen Seiten.

„Dort gibt es tatsächlich einen toten Winkel“, meinte Varrh und deutete auf undurchdringliches Dickicht. „Aber ich denke, dass auch andere schon auf diesen Gedanken gekommen sind.“

„Ja, das ist richtig!“ Clayborn nahm sein Messer und schnitt die Ärmel ab, die immer länger wurden und ihn nur behinderten. Dasselbe machte er mit seinen Hosenbeinen. Dann reichte er das Messer weiter an die anderen.

„Jedes logisch denkende Wesen wird auf diese Idee gekommen sein“, sagte er. „Aber es ist keinem gelungen.“

„Wer weiß?“ Penza hob die mächtigen Schultern. „Es könnte ja sein, dass dort oben welche leben, die sich versteckt haben.“

„Daran wage ich kaum zu denken.“

Sie nahmen ein paar Konzentrate zu sich und gingen weiter.

Die Wildnis begann dichter zu werden. Unbekannte Pflanzen gerieten in ihr Blickfeld.

Einmal blieb Clayborn stehen, als er ein leises Rascheln vernahm.

„Vorsicht!“, rief er. „Nicht weitergehen, sonst zertreten wir womöglich einen Warhol.“

Er ließ sich auf die Knie nieder und suchte den Boden ab. Das Rascheln kam jetzt von links.

Clayborn drehte sich vorsichtig um.

Etwas schraubte sich aus dem Boden, das wie ein Kaktus ohne Stacheln aussah. Nur war es wesentlich länger. Während Clayborn noch auf das unbekannte Ding starrte, bog es sich weit zurück, bis es wieder auf der anderen Seite den Boden berührte.

Plötzlich spürte Clayborn eine harte Faust im Genick, die ihn zurückriss. Penza hatte die Gefahr aus größerer Höhe besser erkannt.

Der jetzt armdicke Stängel schnellte vor mit einer Wucht, die Clayborn für unmöglich gehalten hätte. Peitschend und knallend fuhr das Ding an jene Stelle, wo Clayborn gerade auf dem Boden gekniet hatte.

Die Einbuchtung war immerhin so stark, dass sie in dem harten Boden eine zentimetertiefe Delle zurückließ.

Jetzt schwang der Knüppel ratlos hin und her und holte dann zum zweiten Schlag aus. Die Unterkante war scharf wie ein Schwert, als sie erneut in den Boden fuhr.

Clayborn legte den Strahler an die Stelle auf den Boden. Es gab ein hartes, metallisches Klicken, als das Etwas auftraf.

Sofort schob es sich noch weiter aus dem Boden, und dann öffnete sich an der Unterseite der Pflanze oder des Tieres etwas.

Eine ganze Armee winziger Käfer rannte heraus und stürzte sich auf die Strahlwaffe. Erst, als sie merkten, dass es sich um einen unverdaulichen Gegenstand handelte, ließen sie wieder ab und verschwanden in dem geöffneten Schaft der Pflanze.

„Eine ähnliche Pflanze wurde vor Jahren auf Warhol ausgerottet“, ließ sich Medith vernehmen. „Sie existiert jetzt auf der Parallelwelt weiter und hat sich stärker entwickelt. Sie lebt in einer Art Symbiose mit den kleinen Tieren zusammen. Während die Pflanze ihre Beute erschlägt, holen die Käfer Brocken von dem Stück und tragen es zu ihr hin. So ist einer auf den anderen angewiesen.“

„Sie kann schon einem ausgewachsenen Mann gefährlich werden“, sagte Clayborn. „Wie gefährlich wird sie dann für uns, wenn wir noch kleiner sind! Also Vorsicht vor allem, was uns hier begegnet. Gibt es noch ähnliche, heimtückische Biester, Varrh?“

„Uns sind kaum welche bekannt. Aber ich glaube schon. Vor allem Tiere, Flugdrachen und Flugechsen.“

Einen Flugdrachen konnten sie schon ein paar Minuten später aus der Nähe bewundern, obwohl sie gern darauf verzichtet hätten, seine Bekanntschaft zu machen.

Sie erreichten eine Lichtung, als das fliegende Ungeheuer sich plötzlich mit schwerfälligen Bewegungen auf sie stürzte.

Es hatte einen großen hornartigen Schnabel, dessen Unterseite mit scharfen Zähnen besetzt war. Es taumelte herab, seine scharfen Krallen packten nach. Varrh und streiften ihn leicht. Einer der schweren Flügel klatschte Penza gegen die Schulter.

Clayborn riss einen Ast von einem Strauch ab, drehte ihn um und stieß mit der Spitze nach dem Flugdrachen. Er traf die Unterseite, musste aber in Kauf nehmen, dass das Biest jetzt von Varrh abließ und sich ihm näherte. Gelbe, große Augen glitzerten ihn kalt an. Der Hornschnabel öffnete sieh, das Biest stieß krächzende Schreie aus.

Dann hüpfte es mit grotesken Sprüngen auf dem Boden herum, schlug mit den mächtigen Flügeln und ging auf Clayborn los.

Penza ergriff den Ast, der Clayborn aus der Hand gefallen war. Er holte aus. Sein mächtiger Schlag traf das Tier mit solcher Gewalt, dass der Knüppel zerbrach.

Mit einem Kreischen gelang es dem Flugdrachen, sich schwerfällig in die Höhe zu schwingen. Seine Flügel streiften die Bäume, er torkelte, kreischte wieder und glitt dann davon, langsam an Höhe gewinnend. Dann war er außer Sicht.

„Der kommt so schnell nicht wieder“, vermutete Penza. „Erst wenn wir kleiner geworden sind. Aber wir sollten uns wirklich mit guten, starken Knüppeln bewaffnen, seit die Strahler wertlos geworden sind. Sonst können wir uns überhaupt nicht mehr verteidigen. Sollen wir die Strahler nicht einfach hier zurücklassen, Barry?“

„Ich behalte ihn, solange ich kann, obwohl er ständig schwerer wird. Es ist bestimmt nur eine Angewohnheit, aber ich kann mich von der Dione nicht trennen.“

„Hm, mir geht es genauso. Ich denke, morgen oder übermorgen werden wir ihn zurücklassen müssen.“

Bitterkeit klang aus den Worten heraus. Clayborn verstand das, ihm ging es nicht anders. Es war ein Zustand, an den sich wohl niemand gewöhnen konnte.

Auch an diesem Tag schien sich in der Entfernung immer noch nichts geändert zu haben. Zwar hatten sie schon ein beachtliches Stück zurückgelegt, aber der Projektor stand immer noch scheinbar an der gleichen Stelle. Und der Berg auf dem er stand und seine tödlichen Strahlen verschickte, schien immer steiler zu werden.

Als es zu dämmern begann, fanden sie endlich Wasser. Es war nur eine schwache kleine Quelle, aber sie genügte, um den größten Durst zu löschen.

Und hier fanden sie auch die geeigneten Waffen, wenn sie auch noch so primitiv waren.

Clayborn schnitt sie mit dem Messer von einem Baum. Er gab jedem einen Holzprügel, nur Saratow nicht. Der Riese hatte sich schon selbst versorgt. Da er auf einer Welt mit dreifacher, irdischer Schwerkraft aufgewachsen war, sah seine Holzkeule auch dementsprechend aus: Sie war dreimal so stark wie die anderen und sie wog auch das Dreifache.

In einem Gebüsch suchten sie Unterschlupf, um ein paar Stunden zu schlafen.

Penza übernahm die erste Wache, danach war Barry an der Reihe.

In dem ungewissen Dämmerlicht sahen sie sich noch einmal an und machten erneut eine erschreckende Entdeckung. Sie waren wieder etwas kleiner geworden. Nur ein paar Zentimeter, aber immerhin ...

14

In Warhols unterirdischen Anlagen wurde alles mit peinlicher Genauigkeit abgesucht. Immer wieder schwärmten Androiden aus, die die Gebäude systematisch durchkämmten und Schulter an Schulter gingen, bis sie wieder vor der nächsten Wand standen.

Zwei Tage später wurde die Röhre aktiviert.

Veem Chemile war dem Verdursten nahe. Hunger plagte ihn, obwohl er in der Lage war, seine Lebensfunktionen zu verlangsamen. Hier, in dem Felsen, in dem er steckte, ging das jedoch nicht. Er wusste nicht einmal, ob er sich unsichtbar angepasst hatte. Aber es musste wohl so sein, sonst hätten sie ihn längst bemerkt.

Als das goldene Licht erstrahlte, setzte der rückläufige Prozess ganz allmählich ein.

Die Materie gab ihn frei, zögernd erst, dann spürte er, wie die harte Klammer wich und er sich wieder bewegen konnte.

Er trat aus der Wand und brach vor Erschöpfung fast zusammen. Ihn interessierte nicht das goldene Glosen, der bunte Möbiusstreifen, der in eine andere Welt führte, und auch nicht die gebrüllten Kommandos, als die ersten Männer die Röhre betraten.

Er hatte Durst, ein Verlangen nach Wasser, das ihn fast in den Wahnsinn trieb. Veem hatte nie ein ähnliches Gefühl empfunden.

Doch kaum bewegte er sich wieder, verschwand es so abrupt, wie es gekommen war. Er verstand das nicht. Eben war dieses Durstgefühl noch übermächtig, dann hörte es von einer Sekunde zur anderen schlagartig auf. Irgendeine Gewalt, die von der goldenen Röhre ausging oder mit ihr zusammenhing, musste das bewirkt haben.

Luden ging an ihm vorbei, immer die Augen suchend umherrichtend. Veem stieß ihn wieder leicht an. Er sah die grenzenlose Erleichterung in den Zügen seines Kameraden.

„Keine Angst“, raunte er Jarl zu. „Ich weiß alles über diese Anlage. Es wird schon gutgehen. Wir müssen nur zuerst Barry und Penza finden.“

Niemand hörte sie. Luden nickte nur vorsichtig mit dem Kopf. Er hatte das Gefühl, ständig beobachtet zu werden.

Der Möbiusstreifen kam, die Umkehrung erfolgte, und dann standen sie in einer anderen Welt.

Vor ihnen lag das Dorf der Deportierten, die Straße mit den Ampeln und Fallen.

Sofort strömten die anderen Deportierten Warhols darauf zu. Nur Luden blieb stehen und Veem — unsichtbar für die anderen.

Als das goldene Licht erlosch, war Luden scheinbar allein zurückgeblieben und drückte sich an die Wand des Felsens.

Er sah sich gelassen um. Dem Felsen, an dem er stand, war nicht anzusehen, dass er in eine andere Dimension führte. Hinter dem Felsen begann Wildnis, Hügel und noch weiter ein undefinierbarer Himmel, in dem keine Sonne schien, und der dennoch von einer grünlichen Farbe erfüllt war.

Gegenüber sah er zwei Androiden, die die Ankömmlinge beobachteten.

Veem rückte dicht an den Wissenschaftler heran und raunte:

„Versetz dich mal in Barrys Lage, Jarl. Dort oben auf dem Berg steht ein Sender, dort drüben ist die Stadt, in der es von Fallen und Androiden wimmelt. Was, glaubst du, würde Barry tun, um den Prozess der Verkleinerung zu verhindern?“

„Eine leichte Antwort“, wisperte Luden. „Barry würde natürlich den Weg zum Berg wählen und Penza ebenfalls. Ihnen würde es nur darum gehen, den Projektor lahmzulegen.“

„Genau das Gleiche denke ich auch. Dann ist es am besten, wir umgehen den Ort und schlagen uns zu dem Berg durch, obwohl das nicht einfach sein wird. Vermutlich beobachtet man uns.“

„Wir werden es schon schaffen. Kannst du solange unsichtbar bleiben, oder strengt es dich an?“

„Ich kann es ziemlich lange aushalten, obwohl es natürlich auch anstrengend ist. Ich bin sicher, wir werden Barry und Penza bald finden. Ich habe mich genügend umgesehen.“

„Die Station wird bewacht werden, Veem.“

„Und wenn schon! Ich habe den Vorteil, dass sie mich nicht sehen. Du wirst dich eben rechtzeitig verstecken müssen.“

„Wir werden ständig kleiner werden“, erinnerte Luden sanft.

Veem lächelte nur. Er hatte da eine Idee, die realisierbar schien.

„Wir müssen eben rechtzeitig oben ankommen“, sagte er nur.

Luden nickte, nicht gerade begeistert. Er wurde das Gefühl nicht los, auf dieser Welt elend zugrunde gehen zu müssen.

Sie machten sich sofort auf den Weg. Niemand kümmerte sich um sie.

15

Der Prozess schritt erschreckend schnell fort. Sie waren jetzt nicht größer als Kinder, und da sie alle gleichzeitig schrumpften, fiel es ihnen nicht so auf. Sie konnten keine Vergleiche ziehen.

Sie kämpften sich durch eine immer dichter und unheimlicher werdende Wildnis. Die Luft war feucht und warm, auf den Pflanzen schillerte Nässe.

Grotesk aussehende Bäume, die in den Himmel zu wachsen schienen, behangen mit zottigen grauen Flechten, versperrten ihnen den Weg und erschwerten das Vorwärtskommen.

Überall schimmerten riesige Blüten, wuchsen felsenähnliche Gebilde aus dem Boden.

Nach einer Stunde Marsch lehnte Medith sich erschöpft an ein bizarres Gebilde aus vielen Stängeln, Blättern, Blüten und haarigen Stacheln.

„Ich kann nicht mehr weiter“, klagte er. „Ich bin es nicht gewöhnt, so lange zu laufen. Geht weiter, ich komme nach!“

Clayborn hatte schon seit einer ganzen Weile daran gedacht, die beiden Warhols in einem sicheren Versteck zurückzulassen und mit Penza allein weiterzugehen. Die beiden Warhols waren einfach nicht in der Lage, größere Strapazen zu ertragen. Bei Medith zeigte sich das am deutlichsten. Varrhs Kondition dagegen war etwas besser. Aber auch er machte bald schlapp.

Clayborn und Penza wechselten einen Blick. Clayborn wurde fast übel, wenn er den Riesen ansah. Saratow glich nur noch einem Zwerg mit ungewöhnlich breitem Körperwuchs. Auf den massigen Schultern saß ein kugelähnlicher Schädel. Penza wirkte verzerrt und missgebildet.

„Gut“, entschied Clayborn, „dann sollen die beiden hierbleiben und sich verstecken. Der Weg wird zu beschwerlich. Wir gehen dann allein weiter und wir ...“

Der grauenhafte Schrei kam von links und gellte ihnen in den Ohren.

Clayborn wirbelte herum, Penza hob den Knüppel.

Er sah nur Varrh, der auf dem Boden hockte und mit zitternden Fingern auf das Gebilde aus Stängeln und Blüten deutete.

Eine der Fangfesseln hatte sich um Medith geschlungen, ihn mühelos hochgehoben und in den haarigen Schlund mit den vielen Stacheln hineingeworfen.

Die Pflanze glich einer Venusfliegenfalle, nur dass sie hier fast vier Meter hoch war.

Medith schrie immer noch, als sich die gegenüberliegenden Stacheln um seinen Körper schlossen und ihn einsponnen. Sein rechtes Bein ragte noch heraus, dann verschwand es langsam. Seine Schreie klangen jetzt dumpf und erstickt.

Eine Sekunde lang stand Clayborn reglos da. Er hatte die Pflanze nicht als Falle erkannt. Dann kam Leben in ihn.

Er hieb nach dem starken Stängel, aber sofort schoss die Pflanze klebrige Fäden ab, fingerstark und mehrere Meter lang. Spitze Stacheln reckten sich den beiden angreifenden Männern abwehrend entgegen.

Penza umging das gefräßige Monstrum von der anderen Seite, hob seinen Knüppel und schlug zu. Die Pflanze zuckte zusammen, schoss klebrige Fäden nach der anderen Seite ab. Aber Medith gab sie nicht frei. Er war jetzt vollständig in der Falle verschwunden.

Selbst Penzas harte Schläge zeigten keine Wirkung. Die Blattstiele waren zu hart und unempfindlich.

Clayborn wagte sich noch weiter vor. Klebrige Fäden sponnen ihn von allen Seiten ein, er griff zum Messer, versuchte die Pflanze von der Seite her zu verletzen. Es gelang ihm, das Messer hineinzubohren, aber der einzige Erfolg war der, dass die Falle nun eine grünliche Flüssigkeit absonderte, die stark ätzte.

Und dann setzte sie ihre Fallen ein. Riesige Blätter mit spitzen Dornen öffneten sich weit, die Kontaktstacheln bogen sich weit herunter.

Clayborn musste zur Seite springen. Hart vor seinem Gesicht schnappte die tödliche Falle zu.

Die Pflanze wehrte sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Gleichzeitig wurde sie immer undurchdringlicher. Sie spann sich jetzt selbst ein, sodass niemand mehr herankommen konnte. Sie verteidigte sich und griff an, ihre Beute hielt sie fest.

Penza fand einen Stein, hob ihn hoch und schleuderte ihn in eine der offenen Fallen hinein. Sie schloss sich sofort, als die Stacheln Kontakt bekamen.

Mediths Schreie waren inzwischen verstummt. Die stark ätzende Säure hatte seinen Körper bereits beträchtlich angegriffen.

„Das Biest muss doch irgendwo eine verwundbare Stelle haben“, knirschte Clayborn und hieb immer wieder nach den Stängeln.

Er versuchte es von der linken Seite. Dort ragte ein termitenähnlicher Bau auf, hart wie Stein und mit vielen kleinen Öffnungen versehen. Er versuchte, das obere spitze Ende abzubrechen und als Waffe zu benutzen.

Dabei warf er einen Blick auf Varrh, der immer noch am Boden hockte und wie gelähmt dem schaurigen Drama zusah, das vor seinen Augen ablief. Er war nicht fähig, sich zu bewegen.

Wenn sie jetzt noch ihre normale Körpergröße besessen hätten, überlegte der Commander, wäre es kein Problem gewesen, mit der Pflanze fertig zu werden. So aber ...

Immer wieder riss und zerrte er an der Spitze, hieb dabei mit dem Knüppel nach der Pflanze, die sie nun aus allen Richtungen attackierte und die jetzt planvoll vorging, um ihre Feinde zu fangen.

Es wurde immer gefährlicher, und mehr als einmal sah Clayborn sich genötigt, auszuweichen. Drüben kämpfte Penza wie besessen mit dem Holzknüppel. Sein Gesicht war schweißüberströmt.

Da flatterten aus dem termitenähnlichen Bau kleine, bepelzte Wesen mit einem spitzen Horn über dem Schnabel. Wie rasend stürzten sie sich auf Clayborn und Penza.

Die beiden Männer mussten flüchten und im Gebüsch Schutz suchen. Die aggressiven Pelzwesen fielen wütend über sie her.

Clayborn wusste nicht, ob sie giftig waren, jedenfalls waren sie in ihrer Ruhe gestört worden und zeigten sich dementsprechend angriffslustig. Die Schnäbel hieben nach ihnen. Clayborns Gesicht war zerkratzt als sie endlich von ihm abließen, sich formierten und wieder in ihren Bau zurückflogen.

Penza wischte sich Blut aus dem Gesicht. Seine rechte Wange war auf gerissen und blutete. Der Droomer war wütend darüber, weil sie nicht gegen die Pflanze ankamen. Sie konnten Medith nicht mehr helfen, der jetzt nur noch als formloser Klumpen in der geschlossenen Falle zu erkennen war.

Gegenseitig rissen sie sich die klebrigen Fäden vom Körper. Sie waren wie zähe Spinnweben, nur stärker und noch klebriger.

Varrh taumelte ihnen entgegen. Der Warhol war vor hilfloser Angst dem Wahnsinn nahe.

„Können wir denn gar nichts machen?“, schrie er.

Clayborn schaute in hilfloser Wut zu dem Biest hinüber, das sich restlos eingesponnen hatte und nun mit der Verdauung von Mediths Körper begann. Der Stängel mit der Falle bewegte sich lautlos hin und her.

„Wir sind zu klein, Varrh, wir kommen gegen die Pflanze nicht mehr an. Wenn wir Waffen hätten ...“

Clayborn brach hilflos ab. Er gab Penza einen Wink.

„Scheint so, als hätte sie sich jetzt beruhigt. Wir versuchen es noch einmal. Du von dort drüben, ich von links und Varrh geht sie von vorn an. Hast du dein Messer noch?“

Penza nickte. Er wollte sich die Niederlage vor einer Pflanze, auch wenn sie eine fleischfressende war, nicht eingestehen. In seinem Innern kochte und brodelte es.

„Gut. Varrh, Sie nehmen diesen Knüppel und lenken die Aufmerksamkeit auf sich. Passen Sie auf, dass Sie nicht zu nahe an die Fallen kommen. Wenn die zuschnappen, kommt jede Hilfe zu spät.“

„Ich habe Angst“, gestand der Warhol. Seine Stimme bebte, seine Hände zitterten und seine Augen waren weit aufgerissen.

„Ein Mann muss seine Angst überwinden können. Ich fühle mich auch nicht gerade wohl in meiner Haut. Hier, nehmen Sie den Knüppel!“

Er drückte dem zitternden Warhol den Prügel in die Hand und schob ihn sacht nach vorn.

Clayborn nahm sein Messer, riss ein paar faserige Stängel von einer Pflanze ab und band das Messer auf dem Knüppel fest. Jetzt hatte er eine Waffe, die etwas weiter reichte und dazu noch scharf war.

Penza griff die Pflanze vorsichtig von der rechten Seite an. Sie reagierte auch sofort und schoss Fäden ab, immer mehr, bis Penza sich kaum noch rühren konnte.

Dann griff Clayborn an. Der Stock mit dem Messer schoss vor, bohrte sich in den Schaft und trennte ein dickes Stück ab. Klagende Töne kamen aus dem Ding, die sich wie das Wimmern eines Tieres anhörten.

Der Commander achtete nicht darauf. Mit aller Kraft führte er den nächsten Hieb.

Die Pflanze blutete jetzt, und der Stängel war angeknickt. Sofort näherten sich Clayborn die tödlichen Fallen. Hart vor ihm schlugen sie krachend zu.

Der dritte Schlag fetzte die Falle herunter. Es gab einen dumpfen Ton, als sie auf dem Boden aufschlug und sich öffnete.

Sie gab Medith frei, aber ein Blick genügte, um Clayborn wissen zu lassen, dass hier jede Hilfe zu spät kam.

Der Warhol sah aus, als wäre er in ätzende Säure gefallen. Sein Gesicht war unkenntlich, die Haut verbrannt, Teile seiner Kleidung bestanden nur noch aus faserigen Fetzen. Niemand konnte ihm mehr helfen.

„Es hilft nichts, wir müssen weiter, Varrh“, wandte er sich an den bestürzten Warhol, der fassungslos auf die Überreste Mediths blickte und von krampfartigen Zuckungen geschüttelt wurde.

„Kommen Sie! Schauen Sie da nicht hin!“

Wieder sah Clayborn an sich herunter. Das silbrige Licht war stärker und greller geworden, und in der Luft lag ein gleichmäßiger Summton, der von oben kam und langsam anschwoll, je höher sie kamen.

Erstmals ließ sich das Gebilde deutlicher erkennen. Es stand auf einem stählernen Sockel, der von Schlingpflanzen umwuchert wurde.

Drei Parabolspiegel rotierten pausenlos um ihre Achse und blitzten jedes Mal grell auf, wenn sie in ihre Richtung schienen.

Alle drei Sekunden erschien ein orangefarbener Ton dazwischen. Nach zehn Sekunden blitzte es einmal violett, danach wieder gleichmäßig silberhell und gleißend. Clayborn schätzte die Höhe des Turmes auf etwa vierzig Meter.

Fenster gab es keine, der Turm war glatt und aus einem unbekannten Material erbaut.

Immer wieder ertappte sich Clayborn dabei, wie er nach seiner Dione tastete. Der Strahler wog schwer und zog ihn nach unten, er schien mit jeder Stunde schwerer zu werden.

„Nicht nur dir geht es so“, knurrte Penza an seiner Seite. „Meine Dione ist ein lästiges Anhängsel geworden. Und in meinen Stiefeln kann ich mich bald verstecken, sie werden immer größer.“

„Ja, so scheint es, obwohl es umgekehrt ist. Wie groß würdest du mich schätzen, Penza?“

„Hm, man hat keine richtige Vergleichsmöglichkeit.“ Saratow maß den Commander mit kritischen Blicken. Dann rieb er sich mit der Hand über das Kinn.

„Einen Meter vielleicht“, vermutete er.

„Was!“ Clayborn sah seinen Ingenieur zweifelnd an.

„Nun ja, ich schätze ja nur. Anhand deiner Kleidung, oder an meiner kann man so ungefähr ... ah, das haben wir gleich“, unterbrach er sich und nestelte die Dione aus dem Gürtel.

„Der Strahler ist genau fünfundzwanzig Zentimeter lang, und anorganische Materie unterliegt ja hier bekanntlich keiner Veränderung. Bleib mal gerade stehen, dann wissen wir es genau.“

Er maß mit der Dione vom Boden an aufwärts. Anschließend zeigte sein Gesicht tiefe Betroffenheit.

„Das ist doch nicht möglich, Barry. Du bist sozusagen nicht mal vier Dionen groß. Aber das Maß stimmt“, rief er verblüfft.

Clayborn sagte gar nichts. Er schwieg eine Weile. Auf seinem Gesicht perlten kleine Schweißtropfen. Dann starrte er auf seine Hände. Sie erschienen ihm klein und zierlich, wie die Finger eines Kindes. Oder bildete er sich das nur ein?

„Dann bin ich also nicht mal mehr einen Meter groß“, stöhnte er schließlich. „Mein Gott, wir müssen diesen Prozess stoppen. Aber ob uns das jemals gelingt? Ich wage es zu bezweifeln. Und wenn wir jemals zurückkehren ..

Er sprach nicht weiter. Im Geiste sah er, was sich hier für unmenschliche Tragödien abgespielt haben mussten.

Schon jetzt waren die Pflanzen übermächtig stark wie die Venusfliegenfalle. Ein ausgewachsener Mann konnte ihr noch entkommen, oder sie bezwingen, aber ein halber Mann? Seine Kräfte würden proportional nachlassen, im Quadrat seiner Schrumpfung genau.

Überhaupt war der Prozess in wahnsinnigem Tempo fortgeschritten. Und jetzt hatte er das Gefühl, als würde er mit jeder Minute, jeder Sekunde um Zentimeter kleiner werden.

Diesmal war es Penza, der seinem Commander die Hand auf die Schulter legte und ihn zu trösten versuchte.

„Nimm’s nicht so schwer, Barry“, grollte es tief aus seiner Kehle. „Bisher haben wir uns immer durchgeschlagen. Diesmal wird es nicht anders sein.“

Sie legten die Strahlwaffen auf den Boden, schoben sie mit dem Fuß unter ein Gebüsch. Clayborn zog seine Stiefel aus, sie waren viel zu groß und zu schwer geworden.

Auch Penza entledigte sich seiner Schuhe. Jacke und Hose schnitten sie wieder mit dem Messer ab. Es würde vermutlich das letzte Mal sein, dann konnten sie ihre Kleidung wegwerfen, weil sie nutzlos geworden war.

Sie mussten weiter, so schnell wie möglich. Der Shrinking-Effekt, wie Clayborn ihn nannte, musste gestoppt und unterbrochen werden. Sonst waren sie hilflos verloren.

Varrh folgte ihnen. Langsam aber sicher wurde er zur Belastung. Er war den Strapazen einfach nicht gewachsen.

16

Am zweiten Tag erging es Veem und Luden nicht viel anders als Clayborn und Saratow.

Der verdammte Turm schien nicht näher zu kommen. Immer wieder strahlte er sein tödliches Licht ungehindert nach allen Seiten aus.

Veem musste ab und zu ausruhen. Nicht weil ihn das Laufen erschöpfte, seine Anpassung an die Umgebung machte ihm zu schaffen.

Er setzte sich unter einen leicht überhängenden Felsen, aus dem grüne Pflanzen wuchsen, und nahm seine gewohnte Gestalt an.

„Nett, dich wieder mal zu sehen“, versuchte Luden zu scherzen. „Ich komme mir ziemlich einsam vor. Bisher sind wir noch keiner Menschenseele begegnet. Ich verstehe einfach nicht, weshalb sich nicht alle Deportierten sofort auf den Weg hierher machen. Das müsste doch ihre größte Sorge sein.“

„Die meisten glauben es nicht. Und wenn sie es merken, ist es schon zu spät. Dann wird der Weg zum Berg sinnlos, denn niemand schafft es. So finden sie sich mit ihrem Schicksal ab.“ Luden gab dem Navigator eine Konzentrationstablette. Er hatte eine Handvoll der Konzentrate aus dem Kleinraumer mitgenommen.

„Schmeckt nach Fisch“, meinte Luden. „Nach rohem Fisch würde ich sagen. Aber nicht übel. Wenigstens braucht man kein Besteck.“

„Du kannst auch Gemüse dazu haben“, spottete Veem. „Ich habe gepresste Algentabletten dabei.“

„Vielen Dank. Die Dinger schwemmen im Mund immer so auf. Man kommt sich dann vor wie ein Rindvieh!“

Von einer Veränderung hatten sie bisher noch nicht viel bemerkt. Abgesehen davon, dass auch Luden bei sich längere Ärmel und Hosenbeine feststellte. Er wusste nicht, wie lange der Prozess lief und wann es so weit war, bis sie in den Boden schrumpften, was seiner Ansicht nach nur theoretisch möglich war. Schließlich musste der Prozess einmal von selbst aufhören. Sie konnten nicht irgendwo als Bakterien im Mikrokosmos weiterexistieren.

Veem saß ihm jetzt gegenüber, aber seinen wachsamen Augen entging nichts. Er fühlte sich etwas wohler, denn die ständige Anpassung über längere Zeiträume war mehr als anstrengend.

Solange sie niemandem begegneten, war alles gut. Wenn die Andros aber entdeckten, dass es hier einen Mann gab, der sich nach Belieben unsichtbar machen konnte, würden sie eine gnadenlose Jagd veranstalten. Den ersten Vorgeschmack davon hatte Chemile bereits auf Warhol erhalten. Dort war es nichts als reines Glück gewesen, dass sie ihn nicht erwischt hatten.

Um sie her waren tausend Geräusche unterschiedlicher Art. Unbekannte Tiere schrien, wisperten, kreischten und schnatterten.

Sie waren bisher jedem gefährlich aussehenden Ding aus dem Weg gegangen. Die Bekanntschaft mit der Venusfliegenfalle hatten sie ebenfalls gemacht, sich aber rechtzeitig absetzen können, als sie die klebrigen Fäden warf.

Zweimal hatten sie kleine Quellen frischen Wassers entdeckt und getrunken.

Veem erhob sich nach einer Viertelstunde.

„Weiter, Jarl. Ich bedaure nur, dass ich nicht deine oder Penzas Fähigkeiten habe, falls es mir gelingt, in den Turm zu kommen. Ich glaube, mir fehlt da einiges in technischer Hinsicht.“

„Wenn wir überhaupt dort hinaufkommen“, meinte Luden. „Ich würde behaupten, dass dort oben Roboter stehen, die alles vernichten, was auch nur in ihre unmittelbare Nähe kommt.“

„Abgesichert haben sie das Ding“, überlegte Veem. „Nur über das Wie bin ich mir noch nicht im Klaren. Wenn sie keine hochempfindlichen Ortergeräte haben, werden sie mich nicht entdecken. Und du bleibst irgendwo vorher in Sicherheit.“

„Es könnte auch genauso gut eine Strahlensperre sein“, vermutete der Wissenschaftler. „Dann haben wir kaum eine Chance.“

„Wir werden sehen.“

Es ging weiter bergauf. Durch dichten Dschungel, vorbei an gefährlicher Fauna und Flora. Manche Pflanzen sahen ganz harmlos aus und zeigten ihre tödliche Gefährlichkeit erst dann, wenn man in unmittelbarer Nähe stand. Hier oben war alles aggressiv, was lebte und wuchs. Tier oder Pflanze.

Im dichten Gehölz vor ihnen regte sich etwas. Was es war, ließ sich noch nicht erkennen.

„Stell dich dort hinter den Felsen“, raunte Veem. „Ich werde mich ebenfalls zurückziehen.“

Luden verschwand augenblicklich. Fasziniert sah er zu, wie Veem sich „zurückzog“, obwohl er den Augenblick schon mehr als hundertmal erlebt hatte.

Yeems Umrisse verschwanden und zerflossen. Ein dunkelgrüner Schattenriss zeigte sich jetzt dort, wo er stand. Dann verschmolz er übergangslos mit den Riesenfarnen und dem Stamm eines Baumes zu einer Einheit. Ob er sich bewegte, konnte Luden nicht beurteilen. Vielleicht war der Navigator aber auch schon ganz woanders.

Veem wartete ab. Im reglosen Warten hatte er es zu einer wahren Meisterschaft gebracht. Seine Augen suchten das Gelände ab.

Das Rascheln wurde stärker, ein raupenähnliches Tier glitt aus dem feuchten Gebüsch und kämpfte verbissen mit etwas, das Veem nicht erkennen konnte.

Er hörte einen leisen Schrei, ganz entfernt schien er, dann wieder einen Schrei, danach war Stille.

Veem ging vorsichtig weiter und starrte die Raupe an. Das haarige Geschöpf war knapp einen Meter lang und mit großen Stacheln von oben bis unten besetzt. Drei grüne Augen glitzerten genau in Veems Richtung. Der Kopf hob sich unruhig, pendelte hin und her, als hätte die Raupe ihn erspäht. Veem sah, dass sie ungemein scharfe Kieferknochen besaß, als sie einmal kurz das Maul öffnete.

Und dann fuhr ihm der Schock so in die Knochen, dass er zu keiner Bewegung mehr fähig war.

Die Raupe hielt etwas in ihren Greifwerkzeugen, einer Ansammlung von mindestens acht Greifarmen, die unruhig durcheinanderquirlten.

Das Geschöpf, das sie gerade getötet hatte, war nicht größer als eine Hand. Veem sah den Kopf eines Warhols, eines winzig kleinen Mannes, der sich nicht mehr bewegte.

Das gefräßige Tier hatte die Beute geschlagen und ihm die rechte Schulter abgebissen.

Veem Chemile schüttelte sich. Seine Kehle war plötzlich trocken, und in seinem Hals hing ein dicker Kloß, der ihm das Atmen zur Qual machte.

Der letzte Akt des Dramas begann, als die Raupe den Kopf senkte und ihre Kiefer wieder in den Warhol schlug.

Da erst kam wieder Leben in Veem. Er konnte nicht mehr helfen, aber ein Hassgefühl wallte in ihm auf, und er dachte daran, dass auch sie bald schon Opfer einer Riesenraupe werden könnten. Oder andere, die nach ihnen kamen.

Er warf einen Blick in Ludens Richtung und sah, wie der Wissenschaftler sich angeekelt schüttelte. Wahrscheinlich dachte er das Gleiche wie er.

Veem zog sein Messer, schnitt einen dünnen langen Zweig ab und spitzte ihn scharf an. Diesem Biest sollte kein weiteres Leben mehr zum Opfer fallen. Schon gar keine hilflosen Männer, die sich nicht mehr wehren konnten.

Luden sah nur, dass es seitlich von ihm raschelte und sich ein Busch bewegte. Veem selbst sah er nicht. Aber er begriff, als er den langen Stab sah, der scheinbar selbständig durch die Luft zu wandern begann.

„Veem!“, rief er leise. „Bleib hier! Das Tier kann gefährlich sein, komm zurück!“

„Noch kann es mir nicht gefährlich werden“, wisperte eine Stimme aus der Luft. „Noch nicht! Hier geht es ums nackte Überleben. Jeder tötet jeden, das ist hier Gesetz.“

Veem ging weiter, blieb zwei Meter von der Raupe stehen und starrte angewidert auf das schmatzende Maul, das sich den Warhol als willkommene Beute genüsslich einverleibte.

Veem hob den provisorischen Speer und holte aus. In diesem Augenblick hob die Raupe den Kopf, zischte laut und warnend und schlängelte sich blitzschnell vorwärts. Sie sah ihren Feind nicht, aber sie schien ihn zu fühlen.

Veem sah ein weit aufgerissenes Maul vor sich, die harten Kiefer schnappten einmal zusammen, die Augen glitzerten böse.

Da stieß er zu, mit aller Kraft. Das scharfe Holz durchdrang den Körper der Raupe und nagelte sie am Boden fest. Wild zuckte ihr monströser Hinterleib hin und her, rollte sich zusammen, ringelte sich und glättete sich wieder.

Nach ein paar wilden Zuckungen war alles vorbei.

Veem zog den Speer aus dem Leib der Raupe, stieß ihn einmal in die Erde und ging dann zu Luden zurück.

„Weiter, Jarl“, sagte er und seine Stimme klang wie ein heiseres Krächzen. „Ich hoffe, du verstehst, weshalb ich keine Kompromisse schließe.“

„Du denkst an Barry und Penza!“

„Richtig! Vielleicht ist es ihnen auch schon so ergangen. Möchte wissen, wie groß sie jetzt sind. Vielleicht nicht mehr viel größer als dieser Warhol.“

„Deshalb sollten wir sorgfältig auf jeden unserer Schritte achten. Im Verhältnis zur Zeit müssen wir Riesen gegen sie sein.“

Ludens besorgter Blick fiel nach oben zum Gipfel. Müde wischte er mit der Hand über die Augen.

„Wer weiß, von welcher Seite sie hinaufgekommen sind und ob sie überhaupt schon oben sind“, meinte er. „Es wäre schrecklich, wenn wir aneinander vorbeiliefen.“

Dieser Gedanke bedrückte auch Chemile schon seit einer Weile.

Bevor sie weitergingen, sahen sie sich noch einmal um.

Aus dem Gebüsch hinter ihnen war ein zottiges Wesen getreten. Es ähnelte in der Form einem Bär, aber es war kleiner und seine Fellhaare standen steil ab.

„Nun sieh dir das an!“, sagte Luden.

Das zottige Tier packte die Raupe, als hätte es nur darauf gewartet, hob sie mit seinen Pranken hoch und begann zu schmatzen.

„Ekelhaft!“ Veem schüttelte sich.

Stunden später fanden sie wieder Wasser. Wiederum nur ein schmales Rinnsal, das aus dem Boden kam und ein paar Schritte weiter auch wieder darin versickerte.

Sie löschten ihren Durst und setzten ihren Weg zum Berg weiter fort. Der Turm kam nicht näher, er blieb scheinbar ewig in der selben Entfernung hängen.

Sie verzweifelten fast. Nur der Gedanke an ihre Gefährten gab ihnen wieder Auftrieb.

17

Drei kleine Männer bewegten sich durch eine alptraumhaft anmutende Landschaft. Sie kamen nur noch langsam voran. Grashalme, Käfer, kleine Spinnen und anderes Getier stellte sich ihnen ständig in den Weg.

Sie waren nicht größer als ein menschlicher Finger, und jeder Schritt wurde für sie zur Qual.

Clayborn schaute zu den Bäumen hoch. Die Kronen waren nicht mehr zu erkennen, so hoch wuchsen sie in den Himmel.

Sie bewegten sich am Rande einer anderen Dimension. Nicht mehr lange und sie würden sich nur noch zweidimensional bewegen können.

Schon jetzt kämpften sie mühsam gegen Halme an, normales blaues Gras, teilten sie, schnitten sie ab, oder schoben sich seitlich daran vorbei.

Sie waren bewaffnet. Jeder trug einen Speer, einen abgerissenen im Sand zugespitzten kleinen Zweig, womit sie sich verteidigten.

Sie wussten nicht mehr, seit wann sie auf Warhol zwei waren. Zeit spielte jetzt keine Rolle mehr, sie war unbedeutend, und ein Tag war für sie so lang wie früher ein Monat.

Die Umwelt war absolut lebensfeindlich geworden. Was sie früher an Kleintieren achtlos und unabsichtlich unter ihren Stiefeln zertreten hatten, wurde jetzt zum Risikofaktor.

Das schlimmste waren die kleinen spinnenähnlichen Tiere, die eine lebensbedrohende Neugier an den Tag legten. Jetzt waren Clayborn, Penza und der Warhol nur noch doppelt so groß wie die Spinnen, aber die scheuten sich nicht und griffen pausenlos an.

Penza hatte eins der angreifenden Ungetüme mit dem Speer durchbohrt. Er hatte das tobende Untier kaum bändigen können. Erst Clayborn und Varrh war es dann gemeinsam gelungen, die Spinne zu erschlagen.

Jetzt ruhten sie sich von den Anstrengungen aus und lagen ausgestreckt im Gras, das wie ein Polster wirkte.

„Wir leben jetzt in einer völlig anderen Welt“, sagte Clayborn. „Nicht mehr lange und wir werden uns selbst durch das Gras kaum noch bewegen können.“

„Und den Gipfel haben wir immer noch nicht erreicht“, stellte Penza fest. „Davon abgesehen, werden wir ihn auch nie mehr erreichen. Keiner hat es geschafft. Diese Strahlung, die immer stärker zu werden scheint, vereitelt jeden Plan.“

„Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, wieder umzukehren“, überlegte der Commander. „Nur ist uns damit auch nicht geholfen. Was meinen Sie, Varrh?“

„Wir sind erledigt, Commander“, flüsterte der Warhol. „Ob wir hier oben jämmerlich zugrunde gehen oder dort unten, bleibt sich schließlich gleich. Es gibt ja doch keinen Ausweg.“

Penza bröckelte von der Konzentrattablette etwas mit dem Speer ab und schob sich ein paar winzige Krümel in den Mund. Sein Bedarf an Nahrung war damit für den ganzen Tag gedeckt. Von einem Grashalm leckte er ein paar Tropfen ab.

„Angenommen“, begann er, „es gelingt uns, in den Strahlenturm einzudringen, Barry. Was können Winzlinge wie wir dort noch ausrichten? Ein paar Kabel beschädigen? Wir haben über die Technik wegen ihrer Größenordnung keinen Überblick, selbst wenn wir sie begreifen. Der Boden zittert“, sagte er dann übergangslos.

„Stimmt. Hört sich an wie ein kleines Erdbeben“, gab Varrh zu. „Vorhin hat es schon ein paarmal gesummt, ein Vibrieren. Vermutlich wird es durch die dort oben laufenden Maschinen hervorgerufen.“

Clayborn lauschte nun ebenfalls.

In kurzen Abständen lief ein Rumoren durch den Boden. Danach verstummte es wieder.

„Maschinen würden nicht so unregelmäßig laufen“, zweifelte er. „Das muss etwas anderes sein. Aber was?“

Sie rätselten lange daran herum. Mittlerweile hatte das Vibrieren ganz aufgehört. Wie viel Zeit inzwischen vergangen war, wussten sie nicht.

Keiner von ihnen trug eine Armbanduhr. Clayborn dachte flüchtig daran, dass er jetzt nicht mehr viel größer als seine Uhr war. Er verwarf den Gedanken sofort wieder, um nicht in Verzweiflung zu geraten.

„Gehen wir weiter“, sagte er, „auch wenn es keinen Zweck mehr hat. Bevor ich in den Boden wachse, möchte ich wenigstens noch versuchen, in diese rätselhafte Anlage hineinzukommen.“

„Pass auf, Barry!“, schrie Penza.

Über ihnen schwebte etwas, ein dunkler Schatten, so groß, dass man ihn in seiner Gesamtheit nicht gleich erfasste.

Clayborn sah ein riesiges Auge. Dann kam mit mächtigem Flügelschlag das Etwas im Sturzflug heruntergeschossen. Riesige Klauen streckten sich vor, griffen dicht neben Clayborn ins Gras.

Im allerletzten Moment hatte der Commander sich zur Seite geworfen und war dem zustoßenden Griff gerade noch entgangen.

Der Wind, den die tobenden Vogelschwingen verursachten, wirbelte sie hilflos durcheinander. Penza und Varrh stießen zusammen, torkelten davon, versuchten sich festzuhalten.

Clayborn rannte zwischen den mächtigen Greifklauen hindurch. Sie erschienen ihm wie Baumstämme.

Kurz vor dem fürchterlichen Krummschnabel machte er einen Satz nach links und rannte weiter.

Der Vogel, der sich um seine Beute betrogen sah, begann wieder mit den Schwingen zu schlagen. Das Gras wurde in langen Wellen gepeitscht. Clayborn konnte sich nicht mehr festhalten. Der Luftstrom der entstand, trug ihn ein paar Zentimeter in die Höhe und ließ ihn zurückwirbeln.

Immer noch waren die Luftturbulenzen zu spüren, als das Tier sich längst entfernt hatte.

Clayborn rief ein paarmal Penzas Namen. Eine dünne Stimme antwortete schließlich aus weiter Ferne.

Etwas später hatten sie sich unter vielen Mühen wieder zusammengefunden.

„Das ging gerade noch einmal gut“, stammelte der Droomer, der Clayborn jetzt immer mehr an eine Kugel erinnerte. „Ich hab das Biest gar nicht gesehen. Zuerst hielt ich es für eine Wolke.“

Varrh schlotterte an allen Gliedern. Schließlich raffte er sich auf und suchte die Brocken der Tabletten zusammen.

„Es wird immer schlimmer“, stöhnte er. „Mit unseren Waffen können wir nichts mehr ausrichten.“

Clayborn setzte sich wieder ins Gras. Die Kräfte ließen immer sehr schnell nach, und sie brauchten immer länger, um sich zu erholen.

Vor ihnen wuchs ein riesenhafter Berg in den Himmel, und wenn Clayborn den Kopf in den Nacken legte, konnte er das grelle Schimmern und Gleißen sehen, das von dem Turm ausging.

Der Turm selbst erschien ihm als das Gewaltigste, was er jemals in seinem Leben erblickt hatte. Er schien ständig seine Form zu ändern und immer größer und wuchtiger zu werden.

Natürlich war das nichts weiter als eine optische Täuschung. Das wusste er, aber die Dimensionsverzerrungen wirkten psychisch auf ihn ein und trieben ihn fast an den Rand des Wahnsinns.

Er begegnete Penzas Blick, der das Gleiche ausdrückte. Der vormals gigantische Droomer sagte nichts. Aber sein verzerrtes Lächeln sagte Clayborn mehr als alle Worte.

Und dann ging es schon wieder los, kaum dass ihnen Zeit zum Luftholen blieb.

Wie aus dem Boden gewachsen, stand ein Käfer vor ihnen. Seine Fühler waren so lang wie die Körper der drei Männer zusammen.

Clayborn tastete nach seinem Speer, den er nach langem Suchen wieder gefunden hatte. Er gab Penza ein schnelles Zeichen und Varrh schickte er mit einer Handbewegung zur anderen Seite hinüber.

Der Käfer war weitaus größer als sie. Sein gewölbter Rücken sah wie die Kuppel eines schimmernden Domes aus. Seine Fühlerpaare vibrierten erregt und tasteten sich weiter vor, dann nach links hinüber.

Clayborn suchte nach der verletzlichen Stelle. Er fand sie nicht. Der Käfer war glatt, ohne Haare, ohne weiche Teile. Sein Körper schien aus einem einzigen Panzer zu bestehen.

Seine zwölf Beine schoben ihn weiter voran, genau auf sie zu.

„Keine schnellen Bewegungen“, warnte Clayborn. „Zieht euch ganz langsam zurück. Vielleicht sieht er uns nicht.“

Varrh wich weiter nach links aus. Ganz langsam nur, damit die Grashalme nicht in Bewegung gerieten. Penza hielt die Luft an und ging mit kleinen Schritten weiter zurück. Seinen Speer hielt er weit vor sich gestreckt.

Zögernd und immer wieder mit den Fühlerpaaren nach allen Seiten tastend, setzte sich der Käfer in Bewegung. Er schien die Anwesenheit leichter Beute zu spüren, denn immer wieder verharrte er und tastete.

Clayborn blieb mit angehaltenem Atem stehen. Er sah das gewaltige Maul, das drohend auf und zuschnappte, erkannte den dunklen Schlund dahinter und hörte das Schaben und Knistern, wenn sich die Beine bewegten.

Die Zeit blieb stehen. Sie verging einfach nicht und wurde zur Ewigkeit, einer Spanne voller Angst und Erwartung.

Der Käfer hatte Zeit. Lange blieb er stehen, ließ seine Fühler wirbeln, ging dann wieder ein paar Zentimeter.

Clayborn bog den Kopf zurück, als der Fühler sich dicht an sein Gesicht herantastete. Zum Glück sah das Tier nicht gut.

Clayborn hob den Speer noch höher, als das Riesenmaul näher kam. Penza war unbemerkt hinter ihn getreten.

„Wenn wir beide die Speers in sein Maul schleudern, können wir ungeschoren davonkommen“, raunte er. „Aber wir müssen treffen.“

Das war die beste Lösung, dachte der Commander. Hatte das Tier erst einmal die beiden Speere im Maul, war es beschäftigt und sie konnten fliehen.

Er nickte hastig. Penzas Speer war weitaus größer und länger.

Er bog den Arm weit zurück und holte aus. Der Fühler glitt zwischen sie und tastete über den Boden. Dann berührte er Clayborn.

Die Berührung löste den Impuls aus. Im Sekundenbruchteil musste der Käfer seine Beute erkannt und für genießbar befunden haben, denn sofort griffen zwei kleine Arme zu. Das Maul klaffte weit auf, als erwartete es die Beute.

Clayborn und Barry schleuderten ihre Waffen gleichzeitig los.

Alle beide Speere trafen, verschwanden in dem schwarzen Tunnel.

Sofort blieb das Tier reglos stehen, die kleinen Greifarme sanken kraftlos herab. Dann schloss sich das Maul mit einem lauten Geräusch.

Diesen Augenblick nutzten die beiden Männer, um davonzulaufen.

Jetzt erst kam Leben in den Käfer. Er schüttelte sich, sein mächtiger Körper erbebte, die Beine schlugen rasend auf den Boden.

Er wälzte sich auf die Seite und zuckte wie im Krampf. Seine Greifarme packten zu und rissen an den Speeren. Es dauerte lange, ehe er sie wieder herausziehen konnte.

Danach hatte er jedes Interesse an seiner Beute verloren. Er drehte ab und torkelte zurück, verletzt und ängstlich und irgendwie verwirrt.

Sie sahen ihm nach, wie er im Unterholz verschwand, bis die Bewegungen der Gräser und Büsche aufhörten. Danach sammelten sie ihre Waffen wieder ein.

Varrh gesellte sich wieder zu ihnen. Der Warhol brachte vor Angst kein Wort hervor.

„Er ist weg“, sagte Clayborn, „und er kommt auch bestimmt nicht so schnell wieder. Sie können sich ausruhen.“ Penza kletterte auf den Stängel einer Pflanze und hielt Ausschau nach weiteren Feinden. Er konzentrierte sich ganz darauf, immer die Gräser im Auge zu behalten, denn so sah er schon von Weitem, wenn es eine Bewegung gab und sich etwas näherte.

„Das wäre übrigens ein Platz zum Übernachten“, rief er aus seiner luftigen Höhe herunter. „Die Pflanze hat große Blüten, in denen man bequem schlafen kann.“

„Das nützt uns nicht viel, Penza. Morgen oder übermorgen wird auch das vorbei sein und dann sind wir immer noch keinen einzigen Schritt weitergekommen. Kannst du etwas sehen?“

„Nicht viel. Ich habe kein Gefühl mehr für die Größen. Hier oben ist alles genauso groß wie dort unten. Ich kenne aber die ungefähre Richtung, in die wir laufen müssen.“

„Dann komm wieder herunter, wir müssen weiter. Außerdem sollten wir nach Wasser Ausschau halten. Kannst du irgendwo einen Bach oder eine Quelle entdecken?“

„Nein!“ Penzas Stimme klang verzweifelt. Mühsam rutschte er an dem Stängel herunter, bis er wieder auf festem Boden stand.

Weiter ging der Marsch der drei kleinen Männer. Es war nicht mehr als ein mühsames Vorwärtskommen und die Strecke, die sie in vielen Stunden zurücklegten, war vergleichsweise winzig.

Wasser entdeckten sie erst viele Stunden später. Ein Rinnsal, das aus dem Boden schoss. Ihnen kam es wie ein reißender Strom vor.

Ganz vorsichtig ließen sie sich am Ufer nieder und tranken. Dabei hörte Clayborn wieder das Vibrieren. Es war jetzt stärker geworden, und es schien näher zu kommen.

„Pass gut auf, Penza“, riet er. „Irgendetwas kommt hier auf uns zu. Es kann ein riesiges Tier sein, das uns zwar nicht entdecken, aber zufällig unter seinen Pranken zerquetschen wird. Wir müssen versuchen, immer dicht an den Baumstämmen zu bleiben.“

„Verdammter Planet“, knirschte Saratow. „Wie lange soll das denn noch weitergehen?“

„Nicht mehr lange“, sagte Clayborn bitter. „In ein paar Tagen ist alles vorbei. Vielleicht morgen schon, vielleicht sogar noch heute. Es kommt nicht mehr darauf an.“

18

Ludens scharfe Augen suchten das Gebüsch ab. Hier gab es hohe Farne, verschlungene Lianen, Pflanzen, die sich bewegten und auf dem Boden dahinkrochen, und viele kleine Tiere.

„Dort drüben regt sich wieder etwas“, sagte er zu Veem.

Der Navigator blieb stehen. Größere Tiere hatten sie in der letzten Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen. Vermutlich hielten sich auch hier oben kaum noch größere Tiere auf.

Dennoch mussten sie äußerst vorsichtig sein, denn auch die kleinen Tiere waren mehr als gefährlich.

In den Büschen vor ihnen raschelte es immer noch leicht. Aber ein Tier ließ sich nicht blicken.

Sie befanden sich jetzt kurz vor dem Gipfel. Das Schimmern der Säule war mitunter so stark, dass sie geblendet die Augen schlossen.

Luden war nicht zu sehen. War es möglich, dass die Anlage gar nicht bewacht wurde? Dass die Androiden sich einfach darauf verließen, dass es doch niemandem gelang, nach oben zu kommen?

Er teilte Veem seine Gedanken mit. „Möglich ist es schon“, meinte der Navigator. „Sie haben es vielleicht in mehreren Experimenten erprobt, und niemand hat es geschafft, den Gipfel in normaler Größe zu erreichen. Und was will ein kleines Wesen schon sabotieren?“

„Wie weit schätzt du die Entfernung noch, Veem?“

„In ein paar Stunden müssten wir oben sein. Es wird allerdings auch höchste Zeit. Ich spüre förmlich, wie ich in den Boden hineinwachse und immer kleiner werde.“

Luden sah an sich herab. Schnell blickte er wieder zum Gipfel. Sie waren vermutlich die Einzigen, denen es gelungen war, so hoch hinauf zu kommen, ehe der Schrumpfprozess voll einzusetzen begann. Alle anderen hatten den Fehler gemacht, sich zuerst in der Stadt aufzuhalten. Und damit war ihr Schicksal dann endgültig besiegelt.

Veem ging wieder vor und übernahm die Führung. Für einen kurzen Augenblick war er sichtbar geworden, aber jetzt wusste Luden schon nicht mehr, wo er sich befand. Er erkannte es nur am Rascheln der Gräser, oder wenn sich ein Zweig bewegte, wo der Freund entlangging.

Dann prallte er unvermittelt mit ihm zusammen. Erschreckt blieb er stehen.

„Geh ganz langsam nach links“, hörte er Veems Stimme wie einen Hauch an seinem Ohr. „Mach kein Geräusch, bewege dich nicht zu hastig und gehe hinter dem Baum in Deckung.“

Luden war wie erstarrt.

„Was ist denn?“, flüsterte er.

„Androiden. Zwei Männer. Sie stehen da oben und unterhalten sich. Du kannst sie jetzt noch nicht sehen.“

„Hoffentlich sehen sie uns auch nicht.“

Luden verschwand wie ein Schemen und ging hinter einem Baum in Deckung.

Gleich darauf stieß auch Veem wieder zu ihm.

„Wir schlagen einen Bogen nach links und folgen dem dunklen Streifen Gebüsch, das sich dort hinaufschlängelt“, sagte er. „Und du bleibst nachher zurück. Ich gehe allein nach oben.“

Sie machten einen kleinen Umweg, ein paar hundert Meter zurück, um nicht vorzeitig entdeckt zu werden.

Ludens Hoffnungen zerstoben wieder mit einem Schlag. Also war die Anlage doch bewacht. Er hatte es sich fast gedacht. Alle Hoffnungen konnten schließlich nicht in Erfüllung gehen.

Vorsichtig traten sie in die Büsche.

Da hörte Veem es wieder rascheln. Aber seine Sorge galt nicht den Lebewesen von Warhol zwei, sondern vor allem den Androiden.

Wenn die sie entdeckten, war alles aus.

19

Die drei kleinen Männer fuhren erschreckt zusammen. Ihr. Gehör hatte sich ungemein geschärft. Jeden noch so kleinen Laut nahmen sie klar und deutlich auf.

Das Vibrieren war zu einem Rumoren geworden. Der ganze Planet schien zu beben, als stünde eine gewaltige Eruption bevor. Es klang wie das Grollen eines unterirdischen Vulkans.

„Dort vorn fallen Bäume um“, stieß Penza ungläubig hervor.

Clayborn sah sich um. Zu entdecken war nichts. Sie befanden sich in einem Urwald ohne Ende. Längst hatten sie die Orientierung verloren und wussten nicht mehr, wie es weiterging.

Das helle Lohen nahmen sie gar nicht mehr wahr. Es war unwahrscheinlich hoch über ihnen und schien zu einem Bestandteil des Himmels zu gehören.

Um sie herum wuchsen mächtige Bäume in den Himmel. Es war die gleiche Landschaft, die sie noch vor ein paar Tagen unter ihren Stiefeln zertreten hatten. Jetzt hatten sich die Dimensionen gewandelt. Das Unterholz war der eigentliche Dschungel, der andere Wald gehörte nicht mehr in ihre Welt.

Er war unwirklich und abstrakt geworden, wegen seiner enormen Höhe und Ausdehnung.

Jetzt war deutliches Krachen zu hören;

Clayborn sprang mit einem schnellen Satz zurück. Nicht weit vor ihnen stürzten einige Bäume um.

Ein alptraumhafter Stamm trampelte mitten durch den Wald. Ein zweiter folgte, walzte rücksichtslos alles nieder, was sich ihm in den Weg stellte!

Clayborn erkannte gleich darauf, um was es sich handelte. Die riesigen Stämme waren nichts anderes als Stiefel wie die Beine eines Sauriers, die alles zermalmten.

Ein Mensch oder ein Warhol, vielleicht auch ein Androide, das ließ sich nicht erkennen.

Der Riese wuchs weit in den Himmel hinein. Über den plumpen Säulen wölbte sich ein tonnenartiger Körper. Vom Gesicht war nichts zu sehen. Es ragte irgendwo weit nach oben in den Himmel hinein.

Es hätte nicht mehr viel gefehlt, und die Männer hätten die Nerven verloren.

Überall trampelten die schweren Säulen herum, und mehr als einmal gelang es den drei Männern gerade noch, mit einem verzweifelten Sprung zu entkommen.

„Dort, auf den Baum!“, brüllte Clayborn außer sich.

So schnell sie konnten, erklommen sie den nächsten Baum, zogen sich schnaufend und keuchend hoch und suchten Halt in den Zweigen.

Sie kletterten bis fast in die Krone hinein und sahen ängstlich auf den Stiefel, der jetzt wieder näher kam.

„Das ist Veem, oder Jarl!“, brüllte Penza mit überkippender Stimme.

Clayborn versuchte, das Gesicht zu erkennen. Es war unmöglich, jedenfalls aus dieser Höhe.

Das Gesicht, soweit es sich erkennen ließ, war ein Riesenkrater mit einer Knolle darin und Augen, die wie Untertassen blitzten.

„Es kann nur einer von uns sein“, meinte Clayborn. „Du hast vermutlich recht, Penza.“

Der gigantische Stiefel verharrte jetzt. Die ganze unförmige Gestalt drehte sich herum. Der monströse Riesenschädel reckte sich noch weiter in den Himmel hinauf.

Und dann gellte ihnen ein homerisches Gebrüll in den Ohren.

Die Stimme dröhnte so laut, dass Clayborn sich entsetzt die Ohren zuhielt. Penza verzog schmerzhaft das Gesicht, und der Warhol riss ängstlich den Mund auf.

Was der Riese da brüllte, ergab keinen Sinn. Es hörte sich so an, als wollte er nur seine Stimme ausprobieren.

Und dann sah Clayborn etwas, das ihm endgültig Gewissheit gab.

Weiter drüben stürzten Bäume um, sie bogen sich bis auf den Boden und wurden dort rücksichtslos zertrampelt.

Ein anderer Riese tauchte auf, aber er war nicht sichtbar. Clayborn sah nur die verheerende Spur, die er durch den Wald zog, und die Verwüstungen, die er hinterließ.

„Veem!“, flüsterte er mit halb erstickter Stimme. „Und die beiden haben noch ihre ursprüngliche Größe! Es ist nicht zu fassen!“

Der Unsichtbare kam näher. Ganz langsam und vorsichtig, obwohl unter seinen Schritten immer noch alles zerfetzt wurde.

„Das ... das sind Ihre Freunde?“, stammelte der Warhol.

„Ja, das müssen sie sein. Aber wir müssen trotzdem sehr vorsichtig sein. Ein falscher Tritt von ihnen und wir sind erledigt. Sie sehen uns nicht, und sie wissen natürlich auch nicht, dass wir hier sind. Achtung!“

Clayborn brüllte das letzte Wort.

Luden, wenn er es war, woran kaum noch ein Zweifel bestand, drehte sich gerade herum und ließ sich neben einem unwahrscheinlich breitem Etwas nieder. Vermutlich war es einer der normalen Bäume, dachte Barry.

Und dann brüllte wieder seine Stimme auf, die wie rollender Donner klang.

Auch diesmal verstanden sie nicht, was gesagt wurde. Es war ein Rumoren, ein Brüllen, ein kleines Gewitter.

Clayborn brachte sich schleunigst in Sicherheit. Penza gelang es ebenfalls noch, unter dem herabstürzenden Riesen unterzutauchen.

Eine Hand, riesig und voller schwarzer Haare, legte sich auf den Boden und zermalmte das Gras.

Clayborn starrte voller Entsetzen auf die gigantischen Finger, Gebilde, die fraglos nur einem Riesenmonster, gehören konnten.

Und dann tickte eine Uhr, ein riesiger Zeiger bewegte sich dicht neben seinem Gesicht. Das Ticken erklang wie Glockenschläge.

„Um Himmels willen, sind wir klein geworden“, stöhnte Saratow und kroch in die Nähe der Hand, um sich bemerkbar zu machen. „Ludens Uhr ist ja größer als eine Kirchturmuhr.“

Er musste schreien, um sich verständlich zu machen.

Von der Hand hielt er einen Sicherheitsabstand ein, stemmte dann die Arme in die Hüften und holte tief Luft.

„Jarl!“, brüllte er mit allem Stimmaufwand.

Luden rührte sich nicht. Auch Veem schien sich nicht mehr zu bewegen, denn die niedergetrampelte Spur aus Bäumen und Büschen war nicht mehr zu sehen. Sie bewegte sich auch nicht mehr.

Worauf mochten die beiden hier warten?, fragte sich Clayborn immer wieder.

Oder machten sie einfach nur eine Rast?

Jarl Luden verstand das gebrüllte Wort nicht.

„Dann schreien wir alle drei zusammen“, meinte Clayborn.

Wieder riefen sie seinen Namen. Keine Reaktion.

Der Riese stierte irgendwo nach oben in den Himmel. Was es da zu sehen gab, konnte Clayborn nicht erkennen.

„Näher herangehen können wir nicht. Wenn er nur einmal die Hand bewegt, hat er uns zerquetscht.“

„Dann versuchen wir es mit dem Speer. Auf seinen Handrücken“, schlug Penza vor.

Er hob das Ding hoch, legte alle Kraft in den Wurf hinein und schleuderte dem Riesen das primitive Gerät auf den Handrücken.

Die Reaktion ließ ihn fast verzweifeln.

Ludens Hand fuhr kurz nach oben, schüttelte den Speer mit einer lässigen Handbewegung ab.

Ein Windstoß erfasste Saratow, der verblüfft auf die Hand starrte. Er torkelte durch das Gras und kam wieder auf Clayborn zu.

„Wenn ich ihm nur in den Finger beißen könnte“, knurrte Saratow verzweifelt. „Sieht der Kerl uns denn nicht!“

„Fallen dir vielleicht drei Ameisen auf, wenn du im Gras auf einer Wiese sitzt, Penza? Genauso geht es ihm.“

„Ich steige auf seinen Handrücken“, sagte Penza. „Irgendwie müssen wir uns schließlich bemerkbar machen.“

„Lass es sein“, warnte Barry. „Wir müssen es anders versuchen. Wenn er zufällig mit der anderen Hand auf seinen Handrücken schlägt, bist du nur noch eine Masse aus undefinierbarem Brei.“

„Und wenn er weggeht, ohne uns zu bemerken?“

Er hatte das Wort kaum ausgesprochen, als der gewaltige Riese sich wie auf ein Kommando erhob.

Penza nahm allen Mut zusammen.

Die Hand war noch nicht ganz vom Boden gelöst, als er mit einem gewaltigen Satz an das Armband der Uhr sprang und sich mit einem schnellen Klimmzug emporzog.

Verzweifelt krallte er sich an dem Metall fest, denn der Riese machte gerade einen gewaltigen Schlenker mit der Hand. Penza fühlte sich wie in einer Zentrifuge herumgewirbelt.

Seine Fingernägel hakten sich in das Fleisch, die andere Hand hielt das Metallarmband eisern fest. Ihm wurde schwindlig, als die zweite Bewegung er folgte.

„Jarl!“, brüllte er.

Da sah er wie der Gigant leicht mit der anderen Hand ausholte. Es war ein genau dosierter Schlag, wie wenn man ein lästiges Insekt totschlug.

Penza hielt sich an den Haaren fest, hüpfte weiter, bis er den Ärmel der Jacke erreichte.

Im gleichen Moment landete der Schlag auf der Stelle, an der er eben noch gehangen hatte. Eine dumpfe Erschütterung durchlief den Riesen nach dem Schlag.

Penza stob in gewaltigen Sätzen nach oben, bis er die Schulter erreichte. Aus schwindelnder Höhe blickte er hinunter. Vor sich sah er einen riesigen Wald dunkler Haare. Er ergriff ein paar davon, machte einen weiteren Klimmzug und war oben.

Von hier sah alles ganz anders aus. Clayborn und Varrh waren verschwunden, und er selbst stand auf einem Turm, der sich schaukelnd bewegte, und von dem er jeden Augenblick herabstürzen konnte.

Er hatte Angst vor der gewaltigen Hand, die immer so schnell zum Zuschlagen bereit war. Zum Glück bewegte sich der Riese in Zeitlupe und er sah den Schlag schon im Ansatz kommen.

Wahrscheinlich sehe ich „schneller“, dachte Penza.

Jetzt hatte er das Ohr des Riesen erreichte, ein gewaltiger Teller mit einem langen, gewundenen Tunnel. Dort hinein brüllte er noch einmal mit aller Kraft Jarls Namen.

Anschließend kam ein gewaltiger Finger auf ihn zu, dick und groß wie das Rohr einer Thermo-Kanone.

Penza schloss die Augen. Jetzt war alles aus. Er ließ sich fallen und landete auf der Schulter.

Es gab keine Möglichkeit, sich diesem Monstrum gegenüber verständlich zu machen.

Luden blieb plötzlich wie erstarrt stehen. Irgendetwas hatte ihn gezwickt. Sein Finger schoss zum Ohr, doch da war das kleine Ding schon wieder weg und bewegte sich ziemlich schnell seine Schulter entlang.

Verblüfft starrte er es an, schob die linke Schulter leicht nach vorn und bekam große Augen.

Er hörte etwas zwitschern, aber das Geräusch war so leise, dass er es für das Zirpen eines winzigen Tieres hielt.

Er zog vor Verblüffung tief die Luft ein. Das kleine Ding auf seiner Schulter ähnelte mit seinem kugelförmigen winzigen Kopf und dem fassartigen Rumpf einer Miniaturpuppe.

Luden kniff die Augen zusammen, und dann stieß er einen leisen, gurgelnden Schrei aus.

Das gab es doch nicht! Das war doch nicht möglich!

Der kleine Wicht auf seiner Schulter ähnelte verblüffend Penza Saratow. Das erschreckend winzige Gesicht wies jedenfalls die gleichen Züge auf.

Und wie der Wicht sich benahm! Er stemmte die Arme in die Hüften und riss den Mund auf. Wieder vernahm Luden das Zirpen, diesmal etwas deutlicher.

„Penza!“, sagte er. „Oder sehe ich Gespenster?“

Der Kleine zuckte zusammen. Seine winzigen Fäuste pressten sich auf die Ohren.

Da wusste Luden Bescheid. Stocksteif blieb er stehen und sah an sich hinunter. Wenn Penza hier war, konnte Clayborn auch nicht weit sein. Hoffentlich hatte er ihn in seiner grenzenlosen Ahnungslosigkeit nicht zertreten.

Er schob die Hand zur Schulter. Penza sprang hinauf und gestikulierte wild.

„Ja ja, ich pass schon auf“, stammelte der Wissenschaftler, der sich von dem Schock immer noch nicht richtig erholt hatte. Er flüsterte so leise, wie er konnte. Dennoch klang es in den Ohren des Kleinen wie gewaltiges Grollen.

„So klein bist du geworden“, hauchte er so leise wie möglich. „Kannst du mich verstehen?“

Penza hielt sich wieder die Ohren zu. Dann deutete er nach unten.

Mit unendlicher Vorsicht ließ Luden sich ins Gras hinunter. Seine Beine bewegte er dabei um keinen Millimeter.

Clayborn musste die Hand sehen, die er vorsichtig ins Gras steckte. Außerdem saß Penza darauf.

Wieder brüllte der Droomer etwas, wahrscheinlich rief er Clayborns Namen, dachte Luden verstört.

Und dann, es dauerte nur ein paar Sekunden, krabbelte etwas auf seinen Handrücken. Luden wollte die Hand vorsichtig wieder hochheben, da zog sich noch jemand im letzten Augenblick daran hoch. Der Wissenschaftler wartete noch eine Weile; jetzt standen drei Leute auf seinem Handrücken, Penza, Clayborn und ein anderer, den er nicht kannte. Sonst folgte niemand mehr.

Er bewegte sich wie in Trance, ganz vorsichtig, damit die drei knopfgroßen Wichte nicht herunterfielen.

Und dann tauchte neben ihm Veems Gestalt auf. Der Navigator war wieder zurückgekommen.

„Sag mal, was machst du denn da für eigenartige Verrenkungen?“, fragte er verblüfft. „Ich beobachte dich schon seit einer Weile. Was soll das?“

Luden hielt ihm die ausgestreckte Hand hin.

Veem starrte sie ungläubig an, kniff die Augen zusammen und konnte es nicht glauben.

„Sie verstehen uns nicht“, sagte er so leise, dass Luden ihn kaum verstand. „Wenn wir reden, erschrecken sie vermutlich. Und wir können sie auch nicht verstehen. Noch einen Tag später und wir hätten sie nicht mehr gefunden.“ Sein Gesicht drückte Freude aus. Sein Zeigefinger schoss vor und deutete auf Varrh.

„Ein Warhol, der sich ihnen angeschlossen hat. Bleib hier, Jarl, und pass gut auf sie auf. Den letzten Teil erledige ich jetzt allein. Du versteckst dich am besten hier. Ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin.“

„Wir dürfen keine Sekunde mehr verlieren“, warnte Luden. „Wenn es dir gelingt, die beiden Andros zu überwältigen, komme ich nach. Die drei verstecke ich dann in einer Höhle und sichere sie ab.“

Veem grinste, zum ersten Mal seit sie hier waren. Er nahm eine der Konzentrattabletten und aß sie langsam.

Noch war gar nichts gewonnen, sagte er sich. Er kannte die technischen Einrichtungen nicht und wusste nicht, wie er damit fertigwerden sollte. Und was ihm am meisten Kopfzerbrechen machte: Ließ der Prozess sich umkehren?

Wenn das nicht möglich war, blieben ihnen nur noch wenige Tage. Danach würde es nichts mehr geben, absolut nichts mehr!

20

Unsichtbar für alle anderen ging er weiter. Nach etwa zehn Minuten entdeckte er die beiden Andros und ging auf sie zu.

Sie sahen ihn nicht. Sie unterhielten sich in ihrer Sprache, von der Veem nur wenige Worte verstand.

Ziemlich dicht ging er an ihnen vorbei, sah ihre Waffen, die sie um die Hüfte trugen, und dachte daran, dass sie sich zwar biologisch fortpflanzten, in Wirklichkeit jedoch von der Technik abhängig waren, weil ihnen nach der Geburt ein bestimmtes Muster in das Gehirn gesetzt wurde. War das Muster gestört, wurden die Andros zu hilflosen, abhängigen Gestalten, die nicht lebten und auch nicht tot waren.

Er sah sich den Turm an, suchte nach weiteren Wächtern. Es gab keine. Nur die beiden hier bewachten und unterhielten die Anlage.

Er suchte nach einer Tür, die in den Turm hineinführen musste. Aber es gab nur ein Flimmerfeld und dahinter ein schwarzes Rechteck, in dem nichts zu erkennen war.

Er trat auf den einen Andro zu, riss ihm mit einem Ruck die Desintegratorwaffe aus dem Gürtel und hielt sie dem anderen vor das entsetzte Gesicht.

Zum Glück kannten sie Angst, wie er feststellte. Und ihr Entsetzen wurde noch größer, als sie niemanden sahen, nur die Waffe, die sich selbständig gemacht hatte und in der Luft schwebte.

Veem dirigierte die beiden auf das Flimmerfeld zu. Dem anderen nahm er ebenfalls noch die Waffe ab.

„Öffnen!“, befahl er. Ob sie das Wort verstanden, wusste er nicht, aber sie begriffen was er wollte.

Der eine deutete auf seine Tasche. Veem griff zu und brachte ein kleines Kästchen zum Vorschein. Außer eine Skala gab es nur zwei kleine Knöpfe. Einer ließ das Flimmerfeld erlöschen, drückte man den anderen, so baute es sich wieder auf.

Chemile stieß die beiden in den Raum hinein, als das Feld erloschen war. Dann nahm er langsam Gestalt an.

Es befriedigte ihn zu sehen, wie sehr die Angst an den beiden Andros fraß. Hier hatten sie es mit einer Macht zu tun, die sie einfach nicht begriffen. Der Vorgang musste ihnen unerklärlich bleiben.

Sie wichen vor ihm zurück, entsetzt und schockiert, hoben die Arme und starrten ihn nur wortlos an.

Veem stand da und blickte in einen saalartigen Raum, der angefüllt war mit leise summenden Maschinen, einem Schaltpult, das dem in der Mordain ähnlich sah, und einer konischen Säule, die in den Turm hineinwuchs und durch alle Stockwerke ging.

Neben dem Schaltpult stand ein computerähnliches Gebilde, das eigentliche Herz der Anlage, wie Veem vermutete.

Schnell sah er sich um, versuchte den Sinn zu begreifen.

Aber er verstand nicht viel davon. In die Maschinerie eines Raumschiffes konnte er sich hineindenken, hier war das weitaus schwieriger und komplizierter.

Luden musste her. Saratow, der geniale Techniker und Ingenieur wäre hier noch angebrachter gewesen, aber Penza kam dafür nicht mehr in Betracht. Ein Winzling wie er, hatte nicht den geringsten Überblick über diese Anlage.

Während er noch starrte, griff der eine Andro plötzlich in die Tasche und feuerte durch den Stoff hindurch.

Ein kleiner blauer Blitz zischte neben Veem in die Wand, und ein Stückchen Metall wurde zu einer kochenden Blase.

Veems Waffe in seiner Rechten brüllte auf.

Der Andro glühte für den Bruchteil einer Sekunde grell auf, dann löste er sich in einer glutenden Wolke in seine Bestandteile auf und verblasste. Ein winziges Stückchen geschmolzenen Metalls polterte auf den Boden.

„Genau so wird es dir auch gehen“, versprach Veem und sah, dass die Worte gewirkt hatten. Der Andro zitterte an allen Gliedern. Veem interessierte sich für das Stückchen Metall. Aber es war verformt, und es war nicht mehr zu erkennen, welchem Zweck es gedient hatte.

Wahrscheinlich saß in diesem kristallähnlichen Ding die ganze Intelligenz. Oder der Metallbrocken steuerte den Andro, das wusste Veem leider nicht genau.

Immer noch saß der Andro zitternd am Boden.

„Steh auf!“, sagte Veem kalt. „Wenn du mich nicht verstehst, werde ich dich töten. Solltest du jedoch Intergalaktisch verstehen, dann lasse ich dich am Leben!“

Die Reaktion überraschte ihn. Hier hatten die Andros in ihrer Planung ganz offensichtlich einen Fehler gemacht, weil sie den Selbsterhaltungstrieb zu stark programmiert hatten.

Er hatte selten solche Angstzustände gesehen.

„Ich ... verstehe ... Sie ...“, kam es stotternd und langsam aus dem verzogenen Mund des Andros. „Töten ... Sie ... mich ... nicht!“

„Sieh mal an. Dann, sind wir der Sache ja schon ein mächtiges Stück näher gekommen. Ich werde dich am Leben lassen, aber nur unter gewissen Bedingungen.“

Wie zufällig richtete er den Lauf der Waffe auf den Mann und sah das nervöse Zwinkern und die grauenhafte Angst, die sich auf den Zügen ausbreitete.

„Welches ... sind ... die ... Bedingungen?“ Der Andro sprach abgehackt, stockend und suchte nach Worten, die ihm in seinem Sprachschatz fehlten.

„Du wirst uns helfen und diesen Prozess umkehren. Nur dann bleibst du am Leben, sonst ...“

Er machte wieder eine Bewegung mit der Waffe.

Da sah er, wie die Augen des Mannes größer wurden, und er an seiner Schulter vorbei, zum Eingang blickte.

„Auf den Trick falle ich nicht herein“, sagte er kalt. „Der ist schon älter als eure Welt.“

„Es ... kommt ... jemand!“

Der spiralige Lauf richtete sich wieder auf den Andro. Im gleichen Augenblick vernahm Veem hinter sich eine Stimme.

Voller Nervosität hätte er fast den Sensor der Waffe berührt.

„Ich bin es, Veem“, vernahm er dann Ludens vertraute Stimme. Der Wissenschaftler kam näher. Er hörte wie Veem erleichtert die Luft ausstieß.

„Ich habe den Knall vorhin gehört. Barry, Penza und der Warhol sind in Sicherheit. Ich hielt den Knall für ein Zeichen, dass du hier eingedrungen bist. Ich war nicht weit weg.“

„Fein, Jarl. Dieser Bursche hier wird uns helfen; seinen Kollegen habe ich erschießen müssen, als er auf mich feuerte.“

„Sie ... haben ... den ... falschen ... Mann getötet“, sagte der Andro leise. „Er ... ist ... der ... Techniker.“

„Soll das heißen, Sie verstehen nichts von dieser Anlage“, brüllte Veem den Andro an.

„Nur ... ein ... wenig. Nicht ... genug.“

„Wenn es nicht genug ist, wirst du schon sehen, was dir passiert. Halt mal die Waffe, Jarl!“

Veem gab Luden die Waffe und ging zu dem Andro hinüber.

„Hält sich noch jemand in der Anlage auf?“, fragte er.

„Niemand ... nur ... wir zwei“, kam die Antwort sofort.

„Kommen andere hier herauf?“

„Niemand ... keiner ... kann es.“ Veem wandte sich wieder an den Wissenschaftler.

„Diese Andros haben etwas im Schädel, das sie abhängig macht. Den Burschen vorhin, den ich erschießen musste, hatte das hier im Kopf, ein Stückchen Metall oder Kristall, vermutlich mit einer Schaltung, die tausende von Funktionen erfüllt. Von Geburt an scheinen diese Geschöpfe schwachsinnig zu sein. Dann pflanzt man ihnen den Kristall ein und sie beginnen zu denken und zu handeln.“

„Das ist ihre schwache Stelle. Aber darum machen wir uns später Sorgen. Zuerst muss dieser Prozess gestoppt werden. Unterbrechen Sie den Prozess!“, fuhr er den Andro an.

Der Mann kam bereitwillig näher. Seine Angst war unbeschreiblich.

Er ging zu dem Schaltpult hinüber, blieb davor stehen und blickte auf die Schalter.

Veem bohrte ihm wieder nachdrücklich die Waffe ins Kreuz.

„Ein falscher Handgriff und du stirbst“, warnte er. „Auch wenn wir dabei sterben, uns macht es nicht so viel aus wie dir.“

Seine Gestalt zerfloss und passte sich dem Hintergrund an. Nur die Waffe hing reglos in der Luft.

Das war dem Andro unheimlicher als alles andere. Dass jemand sich nach Belieben unsichtbar machen konnte, begriff er nicht.

Luden ließ sich die Schaltung erklären.

„Was passiert, wenn der Prozess gestoppt wird?“, fragte er. Er musste seine Worte langsam wählen und aussprechen, sonst begriff der Andro ihren Sinn nicht richtig.

„Das Feld baut sich ... ab. Es ... erlischt“, erklärte er mühsam.

„Das kann ich mir denken. Ich will etwas anderes wissen. Wenn das Feld erloschen ist, wer kommt dann, um nachzusehen? Ist es schon einmal abgestellt worden?“

„Ja ... wegen ... Energiemangel. Niemand merkt es. Keiner ... kommt ... um zu ... prüfen.“

Veem und Luden wechselten einen schnellen Blick. Luden sah seinen Gefährten zwar nicht, aber durch die Waffe in der Hand wusste er genau wo er stand.

„Schalten Sie das Feld ab!“

Vier Sensorschaltungen wurden betätigt. Der Andro hatte sich jetzt ganz in ihre Hand gegeben.

Veem ging hinaus, sah an dem monströsen Turm hoch.

Das Feld war nicht erloschen, aber er bemerkte, dass die farbigen Strahlen nicht mehr erschienen. Gerade als er sich abwenden wollte, verblasste auch das silberhelle Licht langsam. Ein paar Sekunden noch hing es wie eine Glocke um den Turm, dann verschwand es.

Der Shrinking-Prozess war vorerst beendet. Aber gleichzeitig würde das auch die anderen Andros warnen, die in der Stadt hausten, überlegte Chemile besorgt. Er musste dafür sorgen, dass das Feld so schnell wie möglich wieder stabilisiert wurde, allerdings in umgekehrter Richtung.

Wenn das überhaupt ging!

Als er wieder hereinkam, hatte der Andro Luden gegenüber Erklärungen abgegeben. Der Wissenschaftler hatte Geräte auf dem Boden liegen, feine Werkzeuge, und hantierte damit an der Rückseite der Programm Schaltung des Computers herum.

„Was ist das?“, fragte Veem.

„Stell dir vor, sie haben das schon einmal gemacht. Wahrscheinlich aus Langeweile.“

„Was?“, fragte Veem begriffsstutzig. „Das Feld umgepolt. Aus normalen Leuten werden nach einer gewissen Weile Überriesen. Aber das war ihnen zu gefährlich. Sie haben sie nie größer als zwei Meter werden lassen, ehe sie die Kontakte wieder veränderten.“

„Und das ging ohne Weiteres?“

„Ja, das Feld vergrößert und verkleinert, ganz wie man es wünscht. Er kennt sich allerdings mit der Programmschaltung nicht aus.“

„Wirklich nicht?“, fragte Veem drohend, der jetzt wieder seine Gestalt angenommen hatte und sichtbar, war.

„Wirklich ... nicht!“, bibberte der Andro.

Veem glaubte ihm. Der Mann hatte wahnsinnige Angst. Er deutete auf einen integrierten Schaltblock, und nickte dann.

„Der ... war ... es“, behauptete er. „Man muss ihn umsetzen, dann ... geht ... es.“

Luden hantierte weiter, besah sich die gedruckten Schaltmuster und arbeitete nach genauen Überlegungen.

„Komm mal her, mein Sohn“, sagte Veem zu dem Andro. „Du gefällst mir einfach nicht. Ich glaube, ich werde dich doch noch töten.“

Er lachte leise, als die Angst sich in dem ausdruckslosen Gesicht widerspiegelte und es schrecklich veränderte. „Keine Angst! Das Töten geht ganz schnell. Und es bringt auch keine großen Schmerzen mit sich.“

„Ich ... will... nicht sterben!“

„Wer will das schon. Ich könnte dir vielleicht zum Weiterleben verhelfen“, lockte er. „Aber dann muss ich noch eine ganze Menge wissen.“

„Fragen ... Sie!“

„Als der andere Andro starb“, begann Veem langsam und ruhig zu sprechen, „da sind durch deinen Schädel elektronische Entladungen gegangen, nicht wahr? Das kommt davon, weil ihr alle an einen ganz bestimmten Schaltkreis angeschlossen seid. Zerstört man den, gerät bei euch etwas in Unordnung. Es ist nicht weiter schlimm, und ihr werdet den Fehler sicher später wieder beheben können. Aber ihr seid dann eine Zeit lang hilflos, und euer Denken erlischt zum großen Teil. Ist es so?“

„Es ... ist... so ... ähnlich.“

„Die Impulsgebung wird gestört?“, fragte Veem.

„Es ... ist ... so!“

Veem fragte den Andro eine halbe Stunde lang nach scheinbaren Nebensächlichkeiten aus. In seiner grenzenlosen Angst vor der Waffe verriet der Andro mehr als er eigentlich wollte.

Veem klopfte ihm abschließend auf die Schulter.

„Sei froh, dass ich dir nicht auf den Schädel geklopft habe“, sagte er. „Sonst würdest du ein paar Tage lang nicht mehr gehen können. Dann verwirrt sich das Muster und die Impulse bleiben zeitweilig aus. Ihr seid empfindlich.“

„Wir ... sind ... empfindlich“, antwortete der Mann. „Aber wir sind Menschen ... wie ... Ihr. Wir denken ... handeln ... planen. Unsere ... Aufnahmekapazität ... ist größer als ... die eure.“

Veem ließ den Andro stehen. Er hatte es jetzt plötzlich sehr eilig. Er ging zu Luden hinüber.

„Ich weiß fast alles über sie“, flüsterte er. „Ich kenne auch ihre verwundbaren Stellen. Ich gehe jetzt, sobald das Feld umgepolt ist. Barry, Penza und den anderen bringe ich vorher noch hier herauf.“

„Was hast du vor?“

„Ich gehe durch den Tunnel zurück, sobald er aufgebaut ist, wechsele die Richtung und werde auf Warhol eins alles durcheinanderbringen. Du wirst dich wundern.“

„Gut, dann warte noch solange. Und pass auf diesen Burschen auf. Ich traue ihm nicht so richtig.“

„Das machen wir mit einem Trick, sobald das Feld steht“, versprach der Navigator lächelnd.

Zwanzig Minuten später stand das Feld.

Der Andro betätigte die Sensorschaltungen. Etwas später war das Flimmern wieder da.

„So müsste es klappen. Die Schaltung steht. Jetzt können wir nicht mehr tun als abwarten.“

„Gut, ich mache mich dann auf den Weg. Ich lasse dir den Strahler hier, damit der Bursche keinen Verdacht schöpft.“

Veem stellte sich vor den Andro hin und grinste niederträchtig.

„Komm nicht auf dumme Gedanken“, sagte er. „Ich werde immer in deiner Nähe sein und dich im Auge behalten.“ Wieder zerflossen seine Umrisse, als würde sein Körper in gasförmigen Stoff verwandelt.

Dann war er vor dem fassungslosen Blick des Andros zu einem Schemen geworden, verblasste — und ging hinaus, ohne gesehen zu werden.

Er fand Barry, Penza und den kleinen Warhol an der von Luden bezeichneten Stelle. Vorsichtig streckte er einen Finger in die Höhle und wartete, bis die drei sich darauf versammelt hatten.

Er musste grinsen, und er konnte sich nicht einmal vorstellen, wie schrecklich er dabei aussah, wenigstens für die drei.

„Noch nie habe ich vor diesem Burschen eine derartige Angst gehabt“, behauptete Penza, der es sich auf Veems Schulter bequem gemacht hatte. „Nur gut, dass er nicht versteht, was hier gesprochen wird.“

„Ich glaube, sie haben es geschafft“, sagte Barry Clayborn. „Sonst würde er nicht auf so hässliche Weise lachen. Schrecklich sieht dieser Bursche aus.“

„Wo bringt er uns denn hin?“

„Zum Turm vermutlich. Oder jedenfalls in die Nähe.“

Er klopfte Veem auf die Schulter, aber der Navigator spürte nichts davon. Vorerst war er mit sich und den anderen zufrieden. Alles weitere hing nun von ihm selbst ab.

Er trug sie hinauf zu dem strahlenden Turm, setzte sie dann mit aller Vorsicht auf dem Boden ab und deutete hinein.

Barry blickte in den offenen Eingang. Ein gewaltiges Gebäude war das. Weit hinten sah er einen Riesen stehen, und daneben noch einen anderen. Aus seiner Sicht ließen sich die Gestalten kaum auseinanderhalten.

Dann kam Luden heraus, und Veem war plötzlich verschwunden.

Weder Clayborn noch Penza begriffen so richtig was hier vorging.

Auch Luden grinste so schrecklich, fand der Commander. Das war es wohl, was er ansonsten als Lächeln bezeichnete. Aus ihrem Gesicht wirkte es furchteinflößend.

Der Wissenschaftler wies ihnen ein Versteck zu.

Dort mussten sie erst einmal abwarten, was weiter geschah.

21

Einen vollen Tag benötigte Veem Chemile, ehe er wieder an dem Felsen ankam.

Er sah weit und breit keinen Menschen, auch kein Andro ließ sich blicken.

Stundenlang durchstöberte er das Dorf mit den seltsamen Einrichten, versorgte sich mit Nahrungskonzentraten und Wasser.

Er wartete darauf, dass die goldene Röhre Warhols wieder entstand, um den nächsten Schub Deportierter zu bringen.

Diesmal würden die Andros ihr blaues Wunder erleben.

Einmal sah er zwei Männer, die sich aus irgendeinem ihm unbekannten Grund prügelten. Es waren Warholer.

Veem umging sie in einem großen Bogen. Er wollte nicht durch irgendeinen dummen Zufall entdeckt werden.

Seine einzige Sorge war der Effekt der Röhre, dieser Zeittunnel von einer Parallelwelt auf die andere.

Was passierte, wenn man ihn von der anderen Seite her durchquerte?

Ging die Umkehrung genau so glatt vonstatten?

Er dachte an die Andros, die als Begleitung mitkamen und wieder den Weg zurückgingen.

Es musste einfach klappen.

Die kurze Dämmerung auf Warhol zwei begann. Die goldene Röhre war nicht erschienen.

Auch am anderen Tag geschah nichts.

Veem hatte das Empfinden, als würde sein ganzes Vorhaben nun ins Wasser fallen. War es möglich, dass die Deportationen endgültig aufgehört hatten?

Blieb der Rückweg für immer versperrt? Tausend bange Fragen, auf die er keine Antwort bekam.

Und oben, vom Berg, strahlte der Projektor wieder pausenlos seine schimmernden Lichtfinger über Warhol zwei.

Die Intervallzeit war geändert. Das Licht kam jetzt in einer anderen Reihenfolge.

Veem konnte nichts weiter tun, als immer noch warten, warten und nochmals warten. Es zerrte an seinen Nerven.

Er untersuchte den Felsen, aus dem die Röhre kam, wenn sie stabilisiert wurde. Er entdeckte nichts als nacktes Gestein. Nichts deutete auf den Tunnel hin.

Er versuchte, das zu verstehen. Es war nicht so einfach. Hier entstand aus dem Nichts heraus eine Röhre, die in ein anderes Universum führte. Und man sah nichts, gar nichts. Genauso gut hätte es jede andere Stelle sein können.

Der nächste Tag brachte die ersehnte Erlösung.

In dem Berg war ein feines Vibrieren. Es klang weit entfernt, ein gleichmäßiges Summen, das nicht mehr aufhörte.

Er ging langsam zurück und starrte den Felsen an.

Das Summen änderte sich jetzt. Es wurde ein hohes, pfeifendes Geräusch, das sich eine Zeit lang konstant hielt und dann in ein dumpfes Brummen überging.

An den Wänden des Felsens brachen sich Strahlen. Wie mit Blattgold wurde der Berg überzogen und begann in hellem Licht zu erstrahlen.

Veem fieberte vor Ungeduld.

Und dann entstand aus dem Nichts heraus eine Öffnung, in der es schimmerte und gleißte. Goldenes Licht brach strahlenförmig nach allen Seiten.

Veem starrte in die Röhre, sah, wie sich der Möbiusstreifen bildete, und lauschte dem saugenden Geräusch, das aus dem Tunnel drang. Die Verbindung zur anderen Dimension war hergestellt!

Nach einer Weile kamen zögernd die ersten Männer heraus. Ängstliche, verkniffene Gesichter blickten misstrauisch in eine für sie fremde Umgebung. Sie formierten sich, gestikulierten lebhaft und redeten laut miteinander.

Unsichtbar stand Veem dicht neben ihnen. Er hatte Angst, dass man das Feld zu schnell abbaute, wenn der letzte Mann aus dem Tunnel heraus war.

Aber er konnte jetzt auch noch nicht hineingehen, denn auf der Möbius’schen Brücke konnten sich unmöglich zwei Männer begegnen.

Dann war auch der Letzte heraus und stand vor dem Felsen.

Veem zögerte jetzt nicht länger. Das ungute Gefühl, das er hatte, versuchte er zu unterdrücken. Er wusste nicht genau, was ihn auf der anderen Seite erwartete.

Er schwebte mehr als er ging, und er fühlte diesmal überdeutlich den schwachen Sog, der ihn zurückdrängte.

Panik wallte in ihm auf. Wurde das Flimmern des Feldes nicht schon etwas schwächer?

Er rannte jetzt, erreichte den schimmernden Rand der Möbiusbrücke und lief weiter, wie gehetzt. Hinter ihm verschwammen die Konturen, wurden gegenstandslos und verwischten.

Jetzt hing er mit dem Kopf schräg nach unten. Aber das Gefühl des Fallens blieb aus.

Hastig rannte er weiter, kehrte oben auf dem Streifen wieder um und erblickte zum ersten Mal die große Halle.

Ein Androide war gerade dabei, die Projektoren abzuschalten.

Veem rannte so schnell es die seltsame, gleitende Masse unter ihm zuließ. Schweiß perlte in seine Augen, seine Lungen keuchten von der ungewohnten Anstrengung.

Gleich, gleich, musste das Feld verschwinden, und dann war er für die nächsten Tage oder Wochen in dem Felsen gefangen.

Sein Fluch blieb in der Kehle stecken. Ein ungeheurer Sog erfasste ihn und schien ihn mit aller Macht wieder in das nun erlöschende Feld zurückzudrängen.

Er merkte, wie er auf der Stelle trat und nicht mehr vorwärtskam.

Nur noch zwei Meter, mehr hatte er nicht vor sich, dann befand er sich auf Warhol eins.

Er nahm alle Kraft zusammen, fluchte wieder unterdrückt und vor Angst, lebendig eingefangen zu werden und schaffte es im allerletzten Augenblick.

In der Halle lehnte er sich erschöpft an die Wand. Er war fertig, seelisch und körperlich. Die grenzenlose Angst hatte ihn die letzten zwei Meter buchstäblich aus dem Tunnel katapultiert.

Das Summen erlosch, in der Felswand erschien ein langer schwarzer Schatten und überdeckte den Goldton.

Dann war auch das vorbei. Der Andro, der die Anlage bediente, wandte sich ab und schritt auf den Lift zu.

Jetzt kam wieder der kritische Moment. Wenn der Mann aufpasste, würde er ihn entdecken.

Veem war schon vor ihm im Lift, wartete bis der Andro eintrat und die Fahrt in eine andere Region ging.

Auch dieser Bursche blickte immer wieder misstrauisch in die Ecke, in der er stand, als würde er seine Anwesenheit fühlen.

Veem hatte keine Lust, wieder durch sämtliche Zentren gehetzt zu werden.

Einmal würden sie ihn dann doch finden.

Der Lift hielt im Herzen der Anlage, wie Veem erleichtert feststellte. Bis hierhin stimmte der Weg. Er befand sich auf dem Korridor zur Steueranlage. Von hier erhielten die Andros ihre lebenswichtigen Impulse.

Er entschloss sich zu einem gewagten Schritt, als der Andro blitzschnell das Schott zugleiten lassen wollte.

Er holte aus und schlug ihm die geballte Faust an den Schädel.

Die Reaktion war erstaunlich. Aber sie überraschte den Navigator nicht sonderlich.

Der Schlag hatte gerade sein Ziel erreicht, als der Andro plötzlich grundlos zu grinsen begann. Langsam rutschte er an der Wand entlang und setzte sich auf den Boden. Er stierte die Platten an und grinste.

Es war ein dümmliches Grinsen, fand Veem. So, als hätte man eine grinsende Marionette auf den Boden geworfen, wo sie liegen blieb.

Er grinste ebenfalls und lief weiter.

22

Alle paar Stunden sah Luden nach den drei kleinen Männern.

Und seine Freude wurde immer größer, je mehr Zeit verging.

Der Prozess kehrte sich tatsächlich um!

Die kleinen Männer, wie Luden sie insgeheim nannte, waren jetzt länger als seine Hand. Sie wuchsen wie künstlich gezüchtete Lebewesen in einem Brutkasten. So schnell der Prozess anfangs gelaufen war, so schnell kehrte er sich jetzt mit reziproken Werten um.

Am anderen Tag konnte Luden sich zum ersten Mal mit ihnen unterhalten, ohne dass sie den lauten Donner seiner Stimme fürchten mussten.

„Veem ist unterwegs, Barry“, sagte er leise. „Ich denke, er wird es schaffen. Wir bleiben vorerst hier oben und warten, bis der Prozess sicher abgelaufen ist. Danach schalten wir die Anlage aus und kehren zurück. Tun wir das nicht, werden wir nämlich größer und wachsen ins Riesenhafte.“

Clayborn nickte. Penza schien gerührt zu sein.

„Ich erwarte voller Sehnsucht den Tag, an dem ich wieder ein normaler Mensch bin“, sagte er.

„Es wird nicht mehr lange dauern.“ Luden grinste plötzlich. „Ich fürchte, ihr werdet kein sehr gutes Bild abgeben, wenn wir zurückkommen. Eure Kleidung!“

Clayborn sah auf seinen „Anzug“, der aus Grashalmen bestand und der nicht mitwuchs.

„Das interessiert mich am wenigsten“, behauptete er mit dünner, piepsender Stimme. „Der Andro wird uns schon einkleiden, wenn es erst so weit ist. Du hättest mich übrigens beinahe zertreten, mein Freund. Und Penza auch!“

„Ich weiß! Wer rechnete schließlich damit, dass ihr so klein geworden seid! Ich hoffte immer, kindergroße Geschöpfe anzutreffen. Aber jetzt wachst ihr mit jeder Minute.“

„Was ist mit dem Andro, Jarl?“, fragte Penza. „Wird er nichts sabotieren, solange du weg bist?“

„Bestimmt nicht. Der Mann besteht nur aus Angst. Veem muss ihn zu Tode erschreckt haben mit seiner Unsichtbarkeit. Aber ich glaube, ich muss euch das alles genauer erzählen. Zeit genug haben wir ja.“

„Aber brüll nicht so laut“, beschwerte sich Penza. „Sonst bin ich später taub.“ Luden setzte sich auf den Boden und gab einen kurzen Abriss dessen wider, was inzwischen passiert war.

23

Veem benötigte nochmals einen vollen Tag, um in das Kernzentrum der Anlage vorzustoßen.

Hier entdeckte er biomedizinische Abteilungen von unglaublicher Perfektion.

Er wanderte weiter, prägte sich alles ein, was er sah, und kam etwas später in einem Raum, der sofort seine Aufmerksamkeit erregte.

Eine regelrechte Brutstätte! Hier wurden Tausende von Andros vorgezüchtet, den weiblichen Androiden eingepflanzt und von ihnen ausgetragen.

Hier unten gab es kaum männliche Androiden. Er sah fast überall die gleichen ausdruckslosen Gesichter, mit einer gewissen Gleichgültigkeit und unglaublicher Arroganz.

Eine hochmütige Gesellschaft, fand er. Hier wurden Gene mutiert, aufgepfropft und eine neue Rasse herangezüchtet. Das Austragen im Mutterleib schien ebenfalls eine besondere Aufgabe zu sein. Vermutlich hing es mit der Anpassung zusammen. Nach und nach waren die Androiden dann durch geschickte Genmanipulationen in der Lage, ihren Nachwuchs selbst zu erzeugen, und nicht mehr von Maschinen abhängig.

Veem betrat wieder den Raum, in dem die seltsamen Kristalle allen Neugeborenen eingepflanzt wurden. Auch hier würde das eines Tages entfallen, sobald die Anpassung perfekt war. Dann stand der Beherrschung eines ganzen Planetensystems absolut nichts mehr im Weg.

Veem entschloss sich jetzt zur letzten Handlung. Er näherte sich dem Riesenkristall, der mit den einzelnen Mustern in Verbindung stand und streckte die Hand aus.

Es ging alles ganz einfach, einfacher als er geglaubt hatte.

Er riss den Block heraus und schmetterte ihn auf den Boden, wo er in tausend Stücke zersprang.

Ein gewaltiger Lichtblitz zuckte aus der Anlage, eine Überschlagsspannung zerschmolz den riesigen Kasten in Sekundenschnelle.

Etwas hellgrauer Rauch kam heraus, mehr nicht.

Die Reaktion war im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend.

Auf Millionen Gesichtern zugleich erschien ein dümmlicher Ausdruck und das stupide Grinsen. Überall sackten Androiden lautlos zusammen und setzten sich auf den Boden.

Es wurde unheimlich still und ruhig. Veem kam sich vor wie in einer riesigen Gruft.

Er stieß einen der Andros leicht an und sagte etwas.

Nichtbegreifend starrte er ihn an, grinsend und den Kopf schüttelnd. So würde es auch für die nächste Zeit bleiben. Die Warhols selbst sollten sich um ihre lahmgelegten Bewacher kümmern. Und Veem war davon überzeugt, dass sie ihre Lage ausnutzen und das Richtige tun würden.

Ihm blieb nicht mehr viel zu tun. Er musste hinüber nach Warhol zwei, nachdem er die Röhre aktiviert hatte. Ihm fehlten noch ein paar Zentimeter an seiner normalen Größe, wie er verblüfft festgestellt hatte.

Alles andere war für ihn nur noch ein Kinderspiel.

Das Hochfahren der Meiler, das Aktivieren der Röhre und das Warten auf seine Kameraden.

24

Zwei Tage später waren sie da. In voller Größe! Auch die anderen Deportierten kamen und konnten es nicht fassen. Und immer noch lagen überall die Androiden herum, lallten vor sich hin und grinsten, wenn sie angeredet wurden.

Veem war der Held des Tages, als sie zu ihren Kleinraumern zurückkehrten.

„Die Warhols werden schon das Richtige unternehmen“, meinte Barry, der die Kleidung eines Androiden trug. „Und für uns ist es noch einmal glimpflich abgelaufen. Allerdings haben wir noch ein Problem: Wir existieren spiegelverkehrt und sind vorerst nicht in der Lage, uns zu ernähren. Der Effekt muss durch den Möbiusstreifen entstanden sein, anders kann ich mir das nicht erklären.“

„Dann lasst uns so schnell wie möglich zur MALACA-Einheit zurückfliegen“, drängte Luden. „Ein paar Tage halten wir es sicher aus.“

Es wurden zwei harte Tage, bis sie den Planeten verlassen und die Station erreicht hatten.

Dann nahm ein intergalaktisches Ärzte-Team sich ihrer an, versetzte sie in Tiefschlaf und schickte sie durch einen Möbius’schen Transmitterstreifen, wie er auf Orda III noch in zwei Ausführungen existierte.

Danach waren sie wieder normale Menschen.

Clayborn sah sich im Kreis seiner Kameraden um.

„Dann steht unserer Reise in den Rigel-Sektor nichts mehr entgegen“, meinte er lässig.

„Nicht das Geringste“, versicherte Penza. „Schließlich sind wir erwachsene Leute.“

––––––––


ENDE

11 tolle Science Fiction Romane November 2021

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