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Clayborn und der PSI-Spion

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Space Agent 1

SF-Roman von Horst Pukallus

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Der Umfang dieses Buchs entspricht 131 Taschenbuchseiten.

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Sieben namhafte terranische Wissenschaftler werden gleichzeitig von einer rätselhaften Krankheit befallen. In regelmäßigen Zeitabständen werden sie von grauenhaften Visionen heimgesucht, welche dazu führen, dass die Wissenschaftler nach und nach ihren Verstand verlieren. Da die Wissenschaftler zu den besten der Erde gehören und ihre Arbeit wichtig für die Zukunft der Pax Terra ist, werden Commander Clayborn und seine Leute mit der Aufklärung dieses Falles beauftragt. Doch sie stehen vor einem Rätsel. Wie wurde diese Krankheit hervorgerufen oder übertragen? Ist es eine Seuche, die von den Außenwelten eingeschleppt wurde? Oder ist sie das Werk einer nichtirdischen Spezies?

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

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1

Ihre bleischweren Stiefel verursachten auf dem elastischen Bodenbelag des Korridors keinen Laut, und dieser Umstand ließ die Ruhe, die in der Asteroidenklinik herrschte, noch unheimlicher erscheinen. Es gab keine Bilder oder Fotos an den Wänden und keine Grünpflanzen, nur Türen, eine neben der anderen, in mattgrüner trostloser Reihenfolge. Die Atmosphäre der Abgeschiedenheit erregte in Clayborn intensives Unbehagen.

Die MORDAIN lag auf der Oberfläche des Asteroiden in einem Magnetfeld verankert. Betrachtete man den Himmelskörper vom Raumschiff aus, zeugte nur ein schimmerndes Netz von Antennen davon, daß sich Menschen darin eingegraben hatten.

Clayborn spürte, wie das Gewicht der Bleisohlen unter seinen Stiefeln beständig zunahm; offenbar näherten sie sich dem Schwerkraftzentrum des Asteroiden. Leise, kaum wahrnehmbare Vibration entfernter Maschinerie durchlief den Korridor. »Vielleicht bin ich zu sehr Amateurpsychologe, um das beurteilen zu können, Professor«, bemerkte Clayborn und brach das bedrückende Schweigen, »aber ich war immer der Meinung, daß psychisch Erkrankten eine... nun, eine etwas freundlichere Umgebung besser bekommt. Freier Himmel, frische Luft. Lange Spaziergänge. Gärten und kleine Tiere, die das Gemüt aufheitern. Sie wissen ja.« Professor Wellington, Direktor der psychiatrischen Asteroidenklinik, blieb nicht stehen und wandte nur halb den Kopf. Clayborn musterte das Profil des kahlen, dunkelbraunen Schädels; Wellington war nicht unbedingt schwarz, aber ganz sicher teilweise afrikanischer Abstammung. Die dunkle Schädelwölbung war mit hellen Altersflecken übersät.

»Grundsätzlich haben Sie recht«, antwortete der Professor. Seine Baßstimme besaß einen angenehmen, beruhigenden Klang. »Für die meisten psychischen Störungen - vor allem solche, die durch streßbedingt sind - reicht die konventionelle Therapie aus. Unsere Klinik allerdings ist auf extreme Isolierfälle spezialisiert. Beispielsweise ausgeprägte paranoide Symptomatik und schwere Neurosen.«

Clayborn überlegte. Gewiß, eine Periode weitgehender Isolation vermochte, wenn sonst nichts mehr half, den menschlichen Verstand von der Nichtexistenz eingebildeter Dinge zu überzeugen, vorausgesetzt, der Patient war rational zugänglich. Aber bei Neurosen? Und wenn tatsächlich Isolation erforderlich war, warum gerade auf einem Asteroiden? Clayborn neigte zu der Auffassung, daß diese Klinik mehr so etwas wie ein Verbannungsort war, wohin wohlhabende Leute psychisch erkrankte Verwandte abschoben, weil sie ihnen auf die Nerven fielen. Seine Informationen besagten jedoch, daß die Asteroidenklinik die uneingeschränkte Anerkennung und Förderung der solaren Gesundheitsorganisation genoß. »Aber in allen Psychiatrien des Solsystems gibt es doch Isolierabteilungen«, sagte er, inzwischen wirklich interessiert. »Was spricht für eine Klinik im Weltraum?«

Professor Wellington seufzte. »Also... aus prinzipiellen Erwägungen plaudere ich nur ungern über Krankengeschichten...« Er zögerte und räusperte sich. »Wir haben da gegenwärtig eine Patientin, bei der es sich um eine sogenannte Nucklerin handelt. Eine sehr schlimme Neurose. Vor ihrer Einlieferung trank sie täglich bis zu vierzig Liter Wasser. Angehörige und Ärzte mögen sorgfältig vorsorgen, aber ein Mensch, den es suchtmäßig danach verlangt, findet überall tausenderlei Möglichkeiten, an Wasser zu gelangen. Hier nicht. Hier ist Wasser knapp. Keine Hähne, keine Duschen, keine Wannen.«

Clayborn stutzte und öffnete den Mund. aber bevor er seine Frage nach den hygienischen Konsequenzen aussprach, fiel ihm die Antwort ein. Auch auf vielen Raumschiffen war es üblich. sich mit imprägnierten Tüchern zu reinigen; nur sehr große und teure Typen verfügten über eine RecyclingAnlage, hauptsächlich Passagierschiffe. Er vermutete, daß chemische Hindernisse gegen die Installierung einer Recycling-Anlage standen. Anscheinend existierte keine Anlage dieser Art, die mit der Vielfalt psychopharmazeutischer Rückstände, wie sie in der Klinik anfiel, fertig werden konnte. Wahrscheinlich ließ man jeden Liter Wasser von der Erde kommen, und das war kostspielig.

Sie erreichten eine breite Flügeltür. Wellington drückte einen Knopf, und die Tür klaffte knarrend auseinander. Erstmals sah Clayborn, als er ihn einholte, den Professor lächeln. »Bitte.«

Clayborn tat zwei Schritte in den Saal hinein, vergaß das mittlerweile sehr lästige Gewicht seiner Stiefel und verharrte in höchster Verblüffung. Wellington trat neben ihn und verschränkte gelassen die Hände auf dem Rücken. Etwas verärgert fixierte Clayborn den Wissenschaftler, dessen Lächeln jetzt Selbstzufriedenheit und Stolz verriet, von der Seite. »Erzählten Sie nicht eben, Sie verfügten über nur wenig Wasser? Aber das sind... das müssen zehntausend Liter sein!«

In dem großen Saal standen mehrere gemütliche Sitzgarnituren und zahlreiche Topfpalmen; der Gegenstand von Clayborns Verwunderung jedoch war die mächtige Glasscheibe, die eine ganze Seite des Saals ausfüllte. Dahinter, zwischen dichtem Algenund Pflanzengestrüpp, schwammen, segelten und schlängelten sich viele hundert Fische aller Gattungen bis zu Mannslänge. Das riesige Aquarium bot einen faszinierenden Anblick. »Eine einmalige Anschaffung«, erklärte der Professor. »Dieses Wasser zirkuliert selbstverständlich. Glauben Sie mir, für das menschliche Gemüt ist es eine der besten Medizinen, friedlich dahergleitenden Fischen zuzuschauen.«

Clayborn gestand sich ein, daß es Wellington gelungen war, ihn außer Fassung zu bringen. Er blickte zu den drei Männern und zwei Frauen hinüber, die zwischen den Topfpalmen saßen und sich gedämpft, aber durchaus lebhaft unterhielten. Äußerlich wirkten sie völlig gesund.

Schmerzhafter Druck in seinen Fußknöcheln erinnerte ihn an die schweren Bleisohlen. Er erkundigte sich nach einer Möglichkeit, das Schuhwerk zu wechseln. Wellington deutete auf eine Tür, ging voran und versicherte, Clayborn werde die Stiefel während seines Aufenthalts nicht mehr brauchen, weil man ihm ein Zimmer im Bereich des Schwerkraftzentrums reserviert habe. Sie betraten einen kleinen Nebenraum, in dem mehrere niedrige Schränke mit einer Auswahl von Schuhpaaren standen.

»Für das Zimmer Ihres Mitarbeiters gilt das gleiche«, ergänzte der Professor und schloß die Tür. »Wie war doch sein Name...? Wann trifft er ein?« Clayborn öffnete die Reißverschlüsse seiner Stiefel. »Penza Saratow«, half er Wellington, der seine Stiefel ebenfalls gegen bequeme Schuhe austauschte. »Er befindet sich noch auf der Mordain. Einige Reparaturen sind notwendig. Es dürfte nicht allzu lange dauern.«

»Ich stelle Ihnen umgehend die bereits angefertigten Bänder und Filme zur Verfügung, Commander«, versicherte Wellington, während sie den Abstellraum verließen. Clayborn nickte befriedigt; solche Vorarbeiten ersparten ihm Zeit und Aufwand. Offenbar war der Wissenschaftler ein durchaus praktischer und umsichtiger Mann. Wieder durchquerten sie die Halle mit dem gewaltigen Aquarium - Clayborn versuchte, seinen Wert zu schätzen und gelangte zu der Überzeugung, daß man dafür auch ein Raumschiff hätte kaufen können - und verließen sie durch eine andere Tür, hinter der ein geräumiges, freundlich eingerichtetes Büro lag. Am Schreibtisch murmelte ein ungewöhnlich hochgewachsener Asiate in ein Diktafon; als die beiden Männer eintraten, erhob er sich und knöpfte seinen lindgrünen Kittel zu.

»Dr. Li«, stellte der Professor vor. »Commander Clayborn.« Sie schüttelten sich die Hände, und Clayborn empfand den Druck der feingliedrigen Hand wie den Zugriff einer Robotzange. Unwillkürlich zuckte er zusammen. »Dr. Li ist mein Stellvertreter«, erläuterte Wellington. »Sollte ich einmal nicht abkömmlich sein, können Sie sich mit allen Fragen und Problemen an Ihn wenden.«

Clayborn sah sich veranlaßt, sein Handgelenk zu massieren. Li bemerkte es und lächelte heiter. »Ich war einmal Ringer«, sagte er, »aber nachdem ich ein paar Preise gewonnen hatte, finanzierte ich damit mein Studium.« Seine Stimme war hell und angenehm. »Der Geist des Menschen interessierte mich mehr als seine Muskeln.«

Gedankenverloren nickte Clayborn. »Mir scheint, dies ist eine Klinik der pausenlosen Überraschungen.« Der Professor schüttelte ernst den Kopf. Er wirkte plötzlich älter, und die Falten seines Gesichts schienen wie tiefe Narben. »Eher eine Klinik des menschlichen Elends. Fälle, die erst einmal hier eingeliefert werden... gelinde formuliert, es gibt nicht immer Hoffnung. Sie werden sehen...« Wellington ließ den Satz vielsagend unvollendet und faltete die Hände über seinem Bauch. Forschend sah Clayborn ihn an.

»Der ehrenwerte Professor ist stets zu bescheiden«, behauptete Dr. Li. »Unsere Klinik erzielt im Jahr eine durchschnittliche Heilungsziffer von zwanzig Prozent.«

Clayborn schluckte schwer und blickte zur Seite; in seinen Handflächen spürte er plötzlich Schweiß. »Zwanzig Prozent«, wiederholte er rauh.

Dies gehörte zu jenen Dingen am Rande des Lebens, geschah unter dem Desinteresse der Öffentlichkeit. Ja, seine Ausbildung hatte psychologische Studien erfordert - aber über Psychiatrien, über psychisch Erkrankte und ihre Chance hatte er nie viel gewußt; und nun begriff er, daß er nichts gewußt hatte. Nichts von diesen endlos erscheinenden Korridoren mit den zahllosen Türen, von den Sälen mit den Topfpalmen oder Gummibäumen; von der Not eines menschlichen Verstandes, der seiner selbst nicht sicher sein konnte,. von der Einsamkeit der Gemiedenen. Seine Gedanken schweiften ab. Das menschliche Hirn und der menschliche Geist gehörten auch in diesem Zeitalter noch zu den kompliziertesten Gebilden, die man sich vorstellen konnte. Natürlich galt das um so Mehr, wenn sie ernste Defekte hatten. Die Erweiterung der Kenntnisse brauchte Geduld, man durfte keine Mühe scheuen, und jede Generation bereicherte die Wissenschaft; und trotzdem...

»Ich wäre froh, Ihnen helfen zu können«, sagte er schließlich. »Wie lange sind die Patienten jetzt in Ihrer Obhut?«

»Seit zwei Wochen. Ohne Besserung.« Der Professor zögerte für einen Augenblick, dann seufzte er vernehmlich. »Wir sind schlichtweg außerstande, diese aberwitzigen Halluzinationen zu interpretieren. Anscheinend haben sie jedoch irgend etwas mit dem Weltraum und der Raumfahrt zu tun.«

Wellington straffte sich und schob die Hände in die Seitentaschen seines Kittels. Clayborn gewann den Eindruck, daß das Ausbleiben auch eines Teilerfolgs den Professor außerordentlich grämte. Wahrscheinlich verletzte dies seinen fachspezifischen Ehrgeiz, aber Clayborn hielt diese Haltung für gesund, weil sie einer der Motoren des wissenschaftlichen Fortschritts war. »Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie bereit sind, uns zu beraten«, bekannte Wellington. Er trat vor einen rechteckigen Wandschrank, kramte darin und reichte Clayborn einen Schlüssel, an dem ein kleines Schild mit einer eingestanzten 10 baumelte. Clayborn nahm den Schlüssel und winkte ab. »Keine Ursache. Die terranischen Sicherheitsbehörden vermuten eine brisante Sache. Einzelheiten darf ich Ihnen leider nicht mitteilen.«

Wellington lächelte nur verständnisvoll. Clayborn nickte Dr. Li zu und folgte dem Professor aus dem Büro. In der Zentralhalle ertönte ein verhaltener Gong. Es war Mittagszeit.

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2

Das Zimmer besaß keine Bullaugen oder andere Sichtflächen, war jedoch geräumig und durchaus von Hotelniveau. Es' enthielt ein breites, bequemes Bett, zwei gepolsterte Stühle, einen Sessel, zwei Schränke und ein Regal für Bücher und Kassetten. In einer Nische befand sich ein quadratischer Tisch. Zimmerschmuck - Bilder, Vasen und sonstige Ziergegenstände - waren nicht vorhanden; Clayborn nahm an, daß die Patienten sich damit nach eigenen Vorstellungen einrichten durften. Dann gab es einige Geräte, die gewiß nicht zur üblichen Ausstattung gehörten und die der Professor anscheinend zusätzlich hatte bereitstellen lassen: ein Diktafon, Schreibzeug, Bandund Filmabtaster und ein TV-Apparat.

Mehr aus Routine - nicht aus echtem Mißtrauen - durchforschte er das Zimmer nach optischakustischen Spionen. Um so überraschter war er, als er bereits nach wenigen Minuten im Schloß der Tür eine fest installierte Kamera/Mikrofon-Einheit entdeckte. Clayborn nahm den miniaturirsierten UKWReceiver aus seiner Gürteltasche und prüfte das gesamte Frequenzspektrum - ohne Erfolg; der Sender war offenbar gegenwärtig außer Betrieb. Er bezweifelte, daß die Anlage eigens für ihn installiert worden war. Der Professor hatte etwas davon erwähnt, daß Patienten gefilmt würden, und womöglich waren alle Krankenzimmer mit solchen Anlagen versehen. In diesem Fall interessierte Clayborn lediglich der juristische Sachverhalt. Während er noch vor der Tür stand, klopfte es laut. Er öffnete, und Penza Saratow schob seinen mächtigen Körper ins Zimmer.

»So schnell?« fragte der Ingenieur verwundert. »Woher wußtest du, daß ich draußen stehe?« Clayborn grinste breit. »Was würdest du sagen, wenn ich erkläre, daß ich auf einmal telepathische Fähigkeiten besitze?« Er schloß die Tür hinter dem Ingenieur und nahm in dem Sessel Platz, bevor Saratow ihn okkupieren konnte.

»Ich würde unverzüglich deine Krankenversicherung benachrichtigen und dich hier einsperren lassen«, grollte der Riese. Umständlich ließ er sich auf die für sein Gesäß viel zu schmale Sitzfläche eines Stuhls nieder. Das Plastikmaterial ächzte.

»Du solltest nicht so davon sprechen«, mahnte Clayborn, wieder ernst, sehr sogar. »Es gibt hier eine Frau, die...« Er verstummte; schließlich hatte er keinerlei Recht, vertrauliche Äußerungen des Professors auszuplaudern, und solche schon gar nicht. Der von Wellington geschilderte Fall hatte selbst einen so abgebrühten Mann wie ihn, der bereits vieles gesehen und noch mehr erlebt hatte, zu erschüttern vermocht.

»Ein paar sind mir schon begegnet«, berichtete Saratow mit betrübter Miene. »Zu mager. Wie Heuschrecken.«

Mißbilligend schüttelte er den kahlen Schädel, dann fixierte er Clayborn.

Gelassen und mit harmloser Miene ertrug Clayborn den eindringlichen Blick des Ingenieurs. Das Lauern, das in den Augenwinkeln des anderen glitzerte, entging ihm keineswegs. Saratow erwartete offenbar eine Stellungnahme zu einem bestimmten Problem.

Clayborn ahnte, was den Ingenieur beschäftigte. In seinem Zimmer befanden sich ebenfalls elektrische Spione. Dennoch sah Clayborn keine Veranlassung, seine Einschätzung zu ändern. Niemand, der Leute mit ihren Erfahrungen und Qualitäten erwartete, würde es wagen, auf eine so stümperhafte Tarnung zu vertrauen.

Bedächtig nickte er Saratow zu, der sich, durch Clayborns Ruhe verunsichert, nervös auf dem Stuhl wand. »Ich habe noch keine endgültige Meinung von diesen Installationen, aber vorerst messe ich ihnen keine Bedeutung bei. Wellington wird sich äußern müssen.«

Wenn er es tat. Selbstverständlich besaßen sie gegenwärtig keine rechtliche Handhabe, den Professor, seinen Stellvertreter oder Personalangehörige der Klinik zu irgend etwas, zu zwingen. Unbedachte Handlungen mußten unterbleiben, leichtfertige Bemerkungen vermieden werden. Wellington war zweifellos eine weithin bekannte Kapazität und einflußreiche Persönlichkeit. Die Sicherheitsbehörden würden es dem Team kaum positiv anrechnen, wurden sie durch ungerechtfertigtes Vorgehen in der Öffentlichkeit ins Zwielicht gesetzt. Von solchen Erwägungen einmal abgesehen, empfand Clayborn ohnehin Sympathie für den Professor. Schon aus diesem Grund, nicht allein im Interesse einer zweckdienlichen Zusammenarbeit, war ihm daran gelegen, Streitigkeiten zu umgehen.

Saratow kniff die Augen zusammen und murmelte etwas von Nachlässigkeit. Clayborn ignorierte es. Seine Überlegungen galten dem vorliegenden Fall, und der war seltsam genug.

Ungefähr zwei. Wochen waren nun vergangen, seit sieben namhafte terranische Wissenschaftler unterschiedlicher Fachgebiete plötzlich und gleichzeitig von geistigen Defekten befallen wurden, die sich vornehmlich in undeutbaren Halluzinationen äußerten. Die auffälligen Umstände - nämlich die Gleichzeitigkeit der Erkrankung und die Gleichartigkeit der Symptome - hatten bald die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden erregt. Zwar unterhielten die meisten extraterrestrischen Mächte mehr oder weniger freundschaftliche Beziehungen zur Menschheit, doch bildeten jene wenigen sensationellen Spionagefälle, die gelegentlich aufgedeckt wurden, nur die Spitze des riesigen Eisberges von reger gegenseitiger Agententätigkeit. Und. das wußte wahrscheinlich kaum jemand besser als Clayborn. Man hegte den Verdacht, daß irgendeine Macht die sieben Wissenschaftler zu bestechen oder zu erpressen versucht hatte und dabei auf Ablehnung oder Widerstand gestoßen war, worauf die sieben mit Drogen oder ähnlichem skrupellos in den Wahnsinn gestürzt wurden. Allerdings schienen die etwaigen Hintergründe eines derartigen Anschlags nur allzu unklar, und es gab keine Beweise und keine Spuren.

Typischer Fall für einen Freien Terranischen Agenten, dachte Clayborn sarkastisch. Falls der Verdacht sich als unbegründet erwies, wollte sich niemand die Finger verbrennen.

Er fuhr aus seinen Überlegungen auf, als Penza Saratow unvermittelt die rechte Faust in die linke Handfläche schlug. Verärgert sah er den Schiffsingenieur an.

»Hast du Wellingtons Stellvertreter kennengelernt?« fragte Saratow.

»Dr. Li? Ein höchst sympathischer Mann! Einen Händedruck wie ein Gorilla hat er! Vielleicht kann ich ihn zu einem Freundschaftskampf überreden. Hatte in letzter Zeit wenig Training.«

»Seine Patienten dürften es dir kaum danken, wenn du ihm die Glieder verrenkst«, dämpfte Clayborn die Begeisterung des Riesen.

Saratow schnaufte verächtlich und stand auf. »Übrigens - ich habe gewaltigen Hunger.« Mit beiden Fäusten trommelte er auf seinen Bauch und stieß einen lauten Grunzer aus.

Clayborn erhob sich ebenfalls. Wir essen mit dem Professor. In der Zentralhalle.« Er beabsichtigte, mit Wellington nach einige Fragen zu klären und wollte die Möglichkeit wahrnehmen, die ihm das Essen dazu bot.

Der Schiffsingenieur stutzte und starrte ihn an. »In der Halle? Mit den Verrückten?«

Die Hand, die Clayborn bereits auf den Türgriff gelegt hatte, sank herab, und er drehte sich um. »Ingenieur Saratow«, sagte er streng, und diese Anrede war das Zeichen, mit dem er jeden Widerspruch ausschloß, »ich wünsche, daß Sie dieses Wort nicht mehr gebrauchen. Nie mehr.«

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3

Das riesige Aquarium hatte auch den übermütigen Saratow stark beeindruckt, und er nutzte die Gelegenheit, um dem Professor und Dr. Li ausführlich von seinen angeblichen mörderischen Kämpfen mit allen möglichen und unmöglichen Tiefseemonstern der Galaxis zu erzählen. Wie üblich legte er seinem Drang zu maßlosen Übertreibungen nicht die geringsten Beschränkungen auf, und das Lächeln der beiden Ärzte wurde in gleichem Maße breiter, wie die Ungeheuer, die er schilderte, immer bizarrere Formen annahmen. Clayborn hatte alle Mühe, das Gespräch in die von ihm angestrebte Richtung zu lenken.

»Mein Mitarbeiter war erstaunt, daß die Mahlzeiten gemeinschaftlich stattfinden«, flocht er ein, als Saratow die Beschreibung eines vorgeblichen Hypno-Kraken unterbrach, um kurz Luft zu holen und einen Bissen zu schlucken. »Hat sich diese Praxis bewährt?«

Saratow räusperte sich. Unter dem Tisch versetzte Clayborn ihm einen wuchtigen Tritt ans Schienbein und grinste ihm scheinheilig zu. »Diese Problematik, hat dich doch ungemein interessiert, nicht wahr?«

»Gewiß, brennend«, versicherte Saratow prompt. Mit einem halblauten Knurren widmete er sich der Mahlzeit. Das Essen bestand einheitlich aus nicht zu üppigen Portionen von gegrilltem Fleisch, Gemüsen und vitaminreichen Obstbeigaben. Die einzigen erhältlichen Getränke waren Mineralwasser, Limonade und verschiedene Fruchtsäfte.

Wellington senkte die Gabel und lehnte sich zurück. »Wir legen erheblichen Wert auf ein vertrauliches Verhältnis zwischen den Patienten und dem Personal«, erklärte er. Clayborn erlaubte sich ein beifälliges Nicken. Natürlich, Ungezwungenheit und zwischenmenschliche Kontakte konnten sich bei psychisch Erkrankten entscheidend auswirken. Andererseits eigneten sich wohl nicht alle Patienten dafür. Ohne Zweifel ging der Professor bisweilen beachtliche Risiken ein.

»Bedauerlicherweise können von unseren... äh, sieben Sonderfällen nur zwei am Gemeinschaftsleben teilnehmen«, sagte Dr. Li. »Mr. Henning sitzt dort drüben.«

Vorsichtig blickte Clayborn zur Seite und musterte den dunkelblonden, schnurrbärtigen Mann, der an einem Nebentisch saß, mit offensichtlichem Appetit kaute und sich mit seinen Tischnachbarn unterhielt. Auffällig war nichts an ihm, lediglich seine Augen waren tiefbraun umrändert wie nach vielen schlaflosen Nächten.

Dr. Li sah sich um. »Madame Durand sehe ich nicht, aber sie muß anwesend sein. Meistens sitzt sie beim Aquarium.«

Während er aß, ließ Clayborn seinen Blick durch den Saal schweifen. Die Mehrzahl der versammelten Patienten war vom Leid gezeichnet. Nur ein Teil davon wies körperliche Anomalien auf, aber die Mißbildungen und Asymmetrien der Gesichtsschädel und die Formabweichungen der Schädelgewölbe, die Clayborn bei dieser relativ kleinen Gruppe bemerkte, waren von erstaunlicher und zugleich erschütternder Vielfalt. Clayborn sah hektische Grimassen, leeres, läppisches Grinsen, ratlos irrende Augenpaare, mumienhaft erstarrte Mienen. Zwei oder drei Patienten mußten gefüttert werden. Einer, verborgen hinter einer Dreiergruppe von Topfpalmen, kicherte anhaltend. Ringsum war halblautes Gemurmel. Man hörte Saratow mit dem Besteck auf seinem Teller kratzen; offenbar stellten die ausgewogenen Klinikportionen den gefräßigen Riesen nicht zufrieden.

»Steht es so schlimm?« erkundigte sich Clayborn wie beiläufig und legte sein Plastikbesteck auf den leeren Teller.

Wellington beendete seine Mahlzeit ebenfalls, mußte ein Rülpsen unterdrücken und lächelte verlegen. Er antwortete nicht sofort, sondern starrte versonnen an Clayborn vorbei. Dr. Li schwieg. »Sehr ernst«, sagte Wellington schließlich, und Clayborn hielt diese Auskunft für ebenso knapp wie ausweichend. Sein Beruf zwang ihn, die Angelegenheit unter anderen als bloß menschlichen und medizinischen Aspekten zu betrachten, aber er wußte nicht recht, wie er sich verständlich machen sollte. Er suchte nach eine] unverfänglichen Formulierung.

»Glauben Sie, daß man posthypnotischen Einfluß oder... nun, Drogenmißbrauch völlig ausschließen kann?«

Nachdrücklich vollführte der Professor eine abwehrende Geste »Selbstverständlich wurden diese Möglichkeiten geprüft. Doch weder die noch die Laboruntersuchungen haben bestätigende Hinweise geliefert.« Hilflos hob Wellington die Schultern.

Unruhig ballte Clayborn die Fäuste aul der Tischplatte. »Aber zwischen dieser sieben Fällen müssen doch Zusammenhänge bestehen!«

»Wir hoffen, diese Zusammenhänge mit Ihrer Hilfe aufdecken zu können« sagte der Professor. »Sollte das nicht gelingen...«

Clayborn sah ihn an. Er wußte, was Wellington nicht aussprach. Hatten sie keinen Erfolg, würde die Menschheit künftig auf sieben hochqualifizierte Wissenschaftler verzichten müssen. Und schlimmer noch, weitere waren in Gefahr...

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4

Als sie etwas später Clayborns Zimmer betraten; hatte der Ingenieur sein Murren über die lächerlich winzigen Rationen, wie er die Klinikverpflegung nannte, noch nicht eingestellt. Er behauptete, nicht begreifen zu können, wie jemand mit solcher Nahrung gesunden solle.

Clayborn enthielt sich jeden Kommentars. Seine Gedanken beschäftigten sich mit anderen Problemen. Er warf den Stapel Mikrospulen, den Dr. Li ihm ausgehändigt hatte, auf den Tisch und rückte zwei Stühle heran.

»Wir beginnen sofort, uns, mit den Basisinformationen vertraut zu machen«, erklärte er. »Zuerst sichten wir die Personalien. Du weißt, worauf zu achten ist. Verschuldung, Liebschaften, sexuelle Extremeigenschaften, neuartige Forschungsprojekte - was immer geeignet ist, Erpressung oder Bestechung zu begünstigen.« Er setzte sich und sortierte die Spulen. Saratow näherte sich zögernd dem Tisch, blieb jedoch stehen. »Ich habe Hunger«, klagte der Riese. »Ach?« Clayborn blickte auf. »Wir wollen keine Zeit vergeuden. Diese Menschen erleiden Qualen.«

»Nicht solchen Hunger«, widersprach der Ingenieur.

Clayborn schaltete den Abtaster ein; der kleine Bildschirm glomm auf.

»Aber alle zwei Stunden«, sagte er und legte die erste Spule ein.

So unterschiedlich die sieben betroffenen Persönlichkeiten natürlich waren, es gab einige Gemeinsamkeiten. Sie alle waren Vertreter unmittelbar praktischer Wissenschaften; keiner war Geisteswissenschaftler. Alle waren zur gleichen Zeit erkrankt - wahrscheinlich sogar in derselben Minute, obwohl sich das später nicht mehr exakt ermitteln ließ - und litten unter den gleichen Symptomen. Seit zwei Wochen wurden sie gleichzeitig in Abständen von genau zwei Stunden von unerklärlichen Halluzinationen heimgesucht; ein solcher Anfall dauerte etwa dreißig bis fünfzig Sekunden.

Damit waren die Gemeinsamkeiten jedoch bereits erschöpft. Die sieben Personen - vier Männer und drei Frauen - übten nicht nur verschiedene Berufe aus, sondern unterschieden sich selbstverständlich auch in ihren sozialen und persönlichen Verhältnissen. Vor ihrer Erkrankung waren sie einander kaum namentlich bekannt gewesen, und jeder war, obschon zum gleichen Zeitpunkt, an einem anderen Ort erkrankt. Bell, Alice; 36, verheiratet, Kybernetikerin, packte es an ihrem Arbeitsplatz in einer südenglischen Positronikafabrik. Ihre Kollegen glaubten zunächst an einen Nervenzusamenbruch infolge Überarbeitung.

Durand, Yvette; 48, verheiratet, 2 Kinder, Konstrukteurin in einer Fabrik für Raumschiffelemente. Der erste Anfall trat in ihrer Pariser Wohnung auf, und man hielt ihn zuerst für die Folge einer Lebensmittelvergiftung, da die übrigen Familienmitglieder am Vortag unter Magenbeschwerden gelitten hatten.

Fellini, Antonio; 27, ledig, Kernphysiker, stürzte während des ersten Anfalls in Venedig eine Treppe hinunter und brach sich den rechten Arm zweimal. Henning, Sven; 31, geschieden, Neurologe in Apollo-City auf dem Mars, wurde in seinem Büro bewußtlos aufgefunden und in eine Unfallklinik befördert.

Johnson, Mike; 42, verheiratet, 1 Kind, Triebwerksexperte. Er brach schreiend in einer Konstruktionshalle auf der Venus zusammen. Kern, Walter; 37, geschieden, Biologe. Erstmals überkam es ihn bei einem Flug von Terra zum Mond, und die anderen Passagiere und die Mannschaft hatten alle Mühe, ihn daran zu hindern, die Schleuse der Fähre zu öffnen und sich in den luftleeren Raum zu stürzen.

Panowa, Vera; 56, ledig, Hirnchirurgin in Kiew. Reagierte nüchtern und begab sich in die Behandlung von Kollegen.

Clayborn fluchte unterdrückt vor sich hin, während er die Lebensläufe der sieben Patienten studierte. Langweiligeres als diese Aneinanderreihung von emsig absolvierten Studienjahren, eifrig errungenen Diplomen und geduldig erklommenen beruflichen Positionen konnte er sich kaum vorstellen. Es handelte sich geradezu um Musterakademiker, die ihrem gewählten Beruf vorbildlich und erfolgreich nachgingen. Keiner hatte sich jemals in zwielichtige Angelegenheiten eingelassen, war jemals in zweifelhafter Gesellschaft gesehen worden. Keiner war süchtig, keiner vorbestraft. Die beiden Scheidungen lagen Jahre zurück und waren längst vergessene Episoden. Alle sieben befanden sich in sicheren sozialen Verhältnissen und kannten keine finanziellen Schwierigkeiten.

Clayborn seufzte abgrundtief und faltete die Hände auf der Tischplatte. Anscheinend lieferten die persönlichen Geschichten keinerlei Anhaltspunkte. Falls er jedoch etwas übersehen hatte, bestand die Möglichkeit, daß es Saratow auffiel.

Der Ingenieur beschäftigte sich mit den Unterlagen über die Berufspraxis der sieben Leute. Er hockte mit gebeugtem Nacken vor dem kleinen Abtaster und wandte die Augen nicht vom Bildschirm. Gelegentlich schüttelte er brummend den Kopf. Clayborn sah Fotos, Tabellen, Formeln und umfangreiche Texte über die Mattscheibe wandern. Unruhig erhob sich der Commander, streckte seine Glieder und schlenderte einige Schritte im Zimmer auf und ab. Das Spektrum der Berufe, die die Betroffenen ausübten, war einfach zu breit, um den Schluß auf einen organisierten Fall von Wirtschaftsspionage zuzulassen. Jemand konnte sich für neuere Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Kernphysik interessieren und sieh diese Ergebnisse mit unlauteren Mitteln anzueignen versuchen.

Aber welches Interesse konnte er zugleich an Hirnchirurgie, Biologie und Neurologie haben? Wellington hatte behauptet, daß keine Hinweise auf den Mißbrauch von Drogen oder Hypnose existierten. Dennoch waren diese Leute auf rätselhafte Weise erkrankt, und zwar gleichzeitig, wenn auch an verschiedenen Orten.

Bloßer Zufall? Nun, die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zufalls hing von drei Faktoren ab - der Gleichartigkeit der Symptomatik und dem Intervallcharakter der Symptome; und Clayborn schätzte bei selbst grober Kalkulation den Wahrscheinlichkeitsgrad eines derartigen Zufalls nicht höher als eins zu einer Billion ein, womöglich sogar ungünstiger. Ein Zufall dieser Art gehörte in den Bereich des Undenkbaren und war eher eine abstrakte Größe als eine Möglichkeit, mit der man in der Realität wirklich zu rechnen hatte. Aber Clayborn war Realist.

Die drei zu berücksichtigenden Faktoren sprachen also nicht für eine Zufälligkeit, sondern vielmehr für einen kausalen Zusammenhang. Gegenwärtig jedoch fehlte jeder erkennbare Sinn. Nichts fügte sich ineinander.

Clayborn hörte, wie Saratow das Abtastgerät knackend ausschaltete, und drehte sich um. Der Riese lehnte sich zurück und gähnte furchterregend.

»Aufschlußreiche Erkenntnisse?« erkundigte sich Clayborn kurz. Er kannte die Gleichmütigkeit des Ingenieurs und wußte erfahrungsgemäß, daß Saratow ein Mann war, der sich durch nichts und niemand in seiner unerschütterlichen Gefaßtheit stören ließ.

Wie um Clayborn zu ärgern, sagte er für eine Weile nichts. Seine stämmigen Fingerkuppen trommelten auf das Gehäuse des Abtasters. Immerhin - er dachte ernsthaft nach. Sein Stirnrunzeln und sein nach innen gekehrter Blick bewiesen es. Clayborn kam nicht umhin, verhalten zu schmunzeln. Es wäre ihm lieber gewesen, sich diese unvermeidliche Kleinarbeit mit dem sanftmütigen und weniger nervenaufreibenden Professor Luden zu teilen, aber dem Wissenschaftler ermangelte leider der kriminalistische Scharfsinn, den der schwerfällige Ingenieur besaß.

»Mein Überblick ist teilweise nur allgemeiner Natur«, sagte Saratow schließlich, indem er das Trommeln seiner Finger beendete und aufblickte, »weil ich kein Fachmann für Biologie und dergleichen bin, doch was Kernphysik, Kybernetik und Raumfahrttechnik angeht, kann ich mit Sicherheit feststellen, daß keiner der entsprechenden Leute bisher an umwälzenden Projekten gearbeitet hat. Ihre Tätigkeit beschränkte sich auf die Produktionssphäre und nebensächliche Entwicklungsarbeiten. Etwas allerdings ist verdächtig...«

Er winkte, und Clayborn setzte sich wieder an den Tisch. Saratow nahm eine Spule, die er beiseite gelegt hatte, schob sie in den Abtaster, spulte einige Meter ab und schaltete dann auf Wiedergabe. Die Mattscheibe flackerte eine Zehntelsekunde lang, bevor sich das. Bild klärte.

Die Magnetnotiz betraf Alice Bell, die Kybernetikerin englischer Herkunft. Die Aufzeichnung ihrer Personalakte enthielt unter anderem die Kopie eines Protokolls - unterzeichnet von der Frau, dem Personalchef der Positronikafabrik und zwei Beamten des Sicherheitsdienstes, Abteilung Industriespionage - über ein Ereignis, seit dem nunmehr fast zwei Jahre verstrichen waren.

Alice Bell war Mitglied einer Delegation gewesen, die im Rahmen eines Datenaustauschabkommens Butterfly VI besucht hatte, den im Dreifachsystem 40 Eridani gelegenen Heimatplaneten der KhetRagar, einer raumfahrenden Spezies insektoiden Ursprungs.

Im Verlauf dieser Begegnung hatten kompetente Kreise des Wissenschaftsrates der Khet-Ragar versucht, die Kybernetikerin abzuwerben. Auf den ersten Blick mutete das lächerlich und unglaubwürdig an, da diese hochgradig durchorganisierte Gemeinschaft insektoider Intelligenzen mit der Kybernetik geradezu verwachsen schien und der Menschheit auf diesem Gebiet ohnehin weit voraus war. Der Grund für das Ansinnen mußte in den Verständnisschwierigkeiten liegen, die zwischen Humanoiden und andersgearteten Sternenvölkern existierten. Diese Probleme waren nicht allein sprachlicher, sondern vorwiegend inhaltlicher Natur, weil die exotische Mentalität der Khet-Ragar auch bereits umgesetzte Symbole nicht immer korrekt zu definieren vermochte.

Die junge Frau hatte das Angebot nachdrücklich abgelehnt - nicht nur, weil sie damals schon verheiratet war - und nach der Rückkehr der Delegation ihren Vorgesetzten Meldung erstattete. Ob über die Anfertigung des Protokolls hinaus weitere Maßnahmen getroffen wurden, war aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich. Klar, dachte Clayborn bitter.

Nach Übergabe der Angelegenheit in den Zuständigkeitsbereich der Behörden hatte es in dieser Sache, wie es gewöhnlich kam, keinen Informationsrückfluß gegeben. Möglicherweise war die Frau später nochmals vernommen worden. Er würde einen Bericht anfordern müssen. Zu allem Unglück befand sich auf dem Protokoll kein Aktenzeichen.

Mit einer bedächtigen Handbewegung schaltete Clayborn das Gerät aus. Ja, das war eine Spur, und zwar eine solche, die die Vermutungen der Sicherheitsbehörden genau zu bestätigen schien. Aber die Spur betraf nur einen der sieben Fälle, und selbst in diesem konnte sich Clayborn nicht des Eindrucks erwehren, daß die Lösung, die sich anbot, etwas zu glatt und unkompliziert war. Er neigte keineswegs dazu, es sich einfach zu machen und die naheliegendste Lösung umstandslos zu akzeptieren. Sein Beruf erlaubte eine derartige Haltung nicht; sie verleitete zu Schlamperei und führte unweigerlich zu Fehlschlägen und Mißerfolgen. Und die waren für einen Freien Terranischen Agenten gleichbedeutend mit leeren Konten und dem Abstieg auf den Status eines viertklassigen Privatdetektivs, der Indizien gegen Erbschleicher und Heiratsschwindler sammelte. Penza Saratwo mißverstand das Schweigen des Commanders. Bedauernd breitete er seine muskulösen Arme aus. »Gewiß, nicht unbedingt eine heiße Fährte, aber vielleicht...«

Clayborn nickte. »Genug für einen Verdacht, für weitere Nachforschungen.« Er machte sich eine Notiz und schob den Zettel in die Brusttasche seiner hellblauen Kombination.

Die beiden Männer tauschten die zuvor gesichteten Spulen aus. Clayborn besaß auf den Gebieten der Humanmedizin einige Kenntnisse mehr als der riesenhafte, eher technisch begabte Ingenieur. Dennoch gelang es ihm nicht, aus den beruflichen Werdegängen der übrigen Betroffenen neue Aufschlüsse zu gewinnen.

Unterdessen prüfte Saratow seinerseits die persönlichen Daten der Erkrankten. Bei dieser Tätigkeit ließ er sich entschieden mehr Zeit als es vorher Clayborn getan hatte. Ab und zu brummte oder knurrte er, und bei mancherlei heiklen Episoden, die er wohl - berechtigterweise oder nicht - als delikat empfand, grinste er breit und unverhohlen. Clayborn, der seine Arbeit früher beendete als Saratow, kontrollierte mit seinem UKW-Receiver nochmals die Übermittler-Einheit im Türschloß. Noch immer befand sich die Anlage außer Betrieb. Clayborn zuckte die Achseln; er wußte nicht recht, was er davon halten sollte.

Plötzlich begann Saratow scheußlich zu pfeifen und ließ die gerade eingelegte Spule um einige Meter rückwärts laufen, um diesen Teil ein zweites Mal anzusehen. Während er es tat; nickte er verschmitzt grinsend vor sich hin.

»Ist es lustig?« forschte Clayborn humorlos. Er war nicht eben gut gelaunt und sich dessen bewußt; dieser Fall unterschied sich von anderen dadurch, daß sie diesmal nicht greifbaren Widersachern gegenüberstanden, sondern eine Klärung anscheinend nur auf dem Weg durch das verschlungene Labyrinth der menschlichen Psyche erreichbar war. Sie mußten ergründen, was diesen sieben Personen widerfahren war, was sie zu quälen fortfuhr. Er sah keine andere Chance. Und Wellington hatte bereits halb eingestanden, daß er und die übrigen Experten der Asteroidenklinik hilflos waren.

»Kaum«, sagte der Ingenieur. ohne auf Clayborns anzügliche Bemerkung einzugehen. »Aber interessant. Dieser Mike Johnson... bis vor einem Jahr war er geschäftsführendes Mitglied der Außenhandelsvereinigung Interstellar, einer Interessengemeinschaft der Raumfahrtindustrie. Er pflegte besonders gute Kontakte zu Butterfly VI.«

»Das ist mir nicht entgangen«, meinte Clayborn ungeduldig. »Na und?«

»Allein besagt das gar nichts«, räumte Saratow gelassen ein. »In seiner Lebensgeschichte gibt es jedoch etwas, das die Sache in ein anderes Licht rückt. Vor seiner Hochzeit war er schon einmal verlobt, und zwar mit einem Mädchen namens Alice Carnell.«

»Deshalb geht mir noch immer nicht das Licht auf, von dem du sprichst.«

Saratow grinste. »Ganz einfach. Alice Bell ist eine geborene Carnell. Und Johnson hatte in seiner Position natürlich Einfluß auf die Zusammensetzung von Delegationen. Er könnte Alice Bells Teilnahme arrangiert und den Khet-Ragar zugleich einen Tip gegeben haben.«

»Hmm...« Clayborn rieb sein Kinn. Sicherlich, dieser Gedanke war nicht abwegig. Handelsbeziehungen umfaßten gewöhnlich kleine, von an entscheidender Stelle befindlichen Personen gewährte Gefälligkeiten, die eigentlich unstatthaft waren. Auf jeden Fall war dies ein Hinweis, der verdiente, genauer unter die Lupe genommen zu werden. Falls sich herausstellte, daß Johnson umfangreichere Manipulationen getätigt hatte... War irgendwo in zweifelhaften Geschäftskreisen eine Blöße aufgetreten, die es um jeden Preis zu vertuschen galt? Hatte man Johnson - und Alice Bell - aus solchen Gründen um die geistige Gesundheit gebracht? Wie - mit Hypnose? Auch derartige Praktiken waren nicht eben ungewöhnlich.

Zwischen zwei der Betroffenen gab es also eine Verbindung. Aber die fünf anderen? Hatten sie alle ein und demselben Ring angehört, beispielsweise einem interdisziplinären Ring von illegalen Datenhändlern? Dergleichen hatte es schon häufig gegeben.

»Wellington hat den Gebrauch von Hypnose oder Drogen ausgeschlossen«, sagte Clayborn finster. »Allerdings kennt man gewisse andere Methoden, den menschlichen Verstand zu vergewaltigen, über deren wissenschaftliche Anerkennung lediglich keine Einigkeit besteht.«

Saratow hob die Brauen. »Du meinst...?«

»Ja.« Clayborns Miene war sehr ernst. »Parapsychische Kräfte.«

––––––––


5

Die Filme, von denen Wellington gesprochen hatte, zeigten die Patienten während der Anfälle, wenn die rätselhaften Halluzinationen sie überfielen. Das Studium dieser Aufzeichnungen, obschon sie hauptsächlich aus Wiederholungen einander ohnehin sehr ähnlicher Verhaltensabläufe bestanden, war zermürbend. Die Patienten reagierten auch nach zwei Wochen noch zutiefst erregt; selbst wenn die Anfälle durch einen äußeren Einfluß ausgelöst wurden oder auf eine gemeinsame äußere Ursache zurückzuführen waren, also keine echte geistige Erkrankung vorlag, so war doch offensichtlich, daß diese Leute nervlich am Rande des Zusammenbruchs standen. Nicht mehr lange, und sie mußten tatsächlich psychische Schäden davontragen. Clayborn und Saratow sahen erschütternde Szenen, hörten entnervende Äußerungen - Schluchzen, Flüche, Gebete - verzweifelter, gepeinigter Menschen.

Als einziger der sieben verhielt sich der Biologe Walter Kern aggressiv. Er brüllte und tobte häufig, behauptete, sich in der Gewalt von Verbrechern zu befinden, die von mißgünstigen Neidern und Rivalen gemietet worden seien, verweigerte bisweilen tagelang jede Nahrungsaufnahme und erwies sich als allen vernünftigen Argumenten unzugänglich. Er stand unter ständiger Beobachtung.

Clayborn registrierte beiläufig, daß alle Filme aus einer Perspektive aufgenommen worden waren, die dem Kamerawinkel der Übermittleranlage im Türschloß seines Zimmers gänzlich entsprach. Er sah seine Vermutung nunmehr bestätigt.

Die Anlagen waren fester Bestandteil der Krankenzimmer, wurden jedoch nur bei Bedarf eingesetzt.

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6

Schweigend, noch ganz im Bann der soeben erfahrenen Eindrücke, ordneten Clayborn und Saratow die Spulen. Plötzlich ertönte ein Knacken von der Decke. Der Ingenieur zuckte auf, wogegen Clayborn völlig ungerührt blieb. Den winzigen Lautsprecher in der Decke hatte er bei der anfänglichen Inspektion des Zimmers sofort bemerkt.

»Mr. Clayborn bitte nach Zimmer 29«, sagte eine etwas heisere männliche Stimme. »Ich wiederhole.« Das geschah. Mit neuerlichem Knacken verstummte der Lautsprecher.

»Gib Dr. Li die Unterlagen zurück«, bat Clayborn den Ingenieur und stand auf. »Sicher dauert es nicht lange. Vielleicht hat Wellington etwas entdeckt, das weiterhilft.«

Der Commander betrat den Korridor, orientierte sich an der Anordnung der Zimmernummern und machte sich auf den Weg. Der Korridor verlief leicht gekrümmt. Zwei oder drei Patienten und ein paar hübsche Schwestern begegneten Clayborn, grüßten ihn. Er lächelte unverbindlich.

Wenigstens, so dachte er, war dieser Auftrag keiner von jener Sorte, die ihn unvermittelt in eine feindselige, lebensgefährliche Umgebung stieß. Es gab angenehmere Aufenthaltsorte als Kliniken, erst recht Psychiatrien, doch immerhin ging es hier friedlich zu.

Er fand die Tür mit der Nummer 29 und klopfte. Niemand gab Antwort. Niemand kam. Er klopfte nochmals, diesmal energischer. Wieder regte sich nichts.

Clayborn packte den Türknopf, stellte fest, daß die Tür unverschlossen war und öffnete sie einen Spalt breit. Im Innern des Zimmers brannte kein Licht. Hinter dem Spalt lag nur Dunkelheit. Nichts war zu hören.

Was konnte dieser Unfug zu bedeuten haben? Wie auch immer, Clayborn war nicht der Mann, der sich vor einem dunklen Zimmer fürchtete, wer oder was sich auch darin verbergen mochte. Er stieß die Tür weit auf und trat einen Schritt vor.

Das Licht des Korridors fiel in den Raum und beleuchtete einen Teil des Innern. Clayborn sah die Umrisse des Mobiliars. Zwischen den Schatten rührte sich nichts. Der Raum schien verlassen, offenbar ein gegenwärtig nicht belegtes Krankenzimmer.

Clayborn lauschte mit angespannten Sinnen, während sein Mißtrauen instinktiv erwachte. Hier war etwas nicht in Ordnung. Jemand hatte ihn absichtlich hierher gelockt. Warum?

Nur eine Sekunde verstrich, bevor er es erfuhr. Er tat noch einen Schritt und hörte zugleich das Aufheulen eines kleinen Elektromotors neben seinem Kopf. Reflexartig duckte er sich. In der Höhe, in der sich zuvor seine Kehle befunden hatte, fraß sich die blitzende, gegenläufige Doppelklinge eines Elektromessers, so lang wie ein Unterarm, röhrend in die Türkante. Plastiksplitter spritzten nach allen Seiten.

Clayborn reagierte sofort und ohne Zögern. Mit beiden Händen packte er den Arm, der den Messergriff hielt, drehte ihn um, so daß der Angreifer das Instrument aufbrüllend losließ, und zerrte die gewichtige Gestalt mit einem kräftigen Ruck aus dem Zwielicht auf den Korridor. Mit mächtigem Schwung warf er den Mann über die Schulter. Der Korridor bot nicht genug Platz für einen weiten Flug. Der Mann prallte rücklings, mit dem Kopf nach unten, gegen die Wand, hing dort für eine Zehntelsekunde wie eine Fliege und stürzte dann polternd zu Boden.

Bewußtlos blieb der Mann liegen. Er war groß, besaß jedoch einen unförmigen Bauch und feiste Wangen. Seine Stirnglatze ließ auf ein Alter von ungefähr vierzig Jahren schließen. Der lindgrüne Kittel verriet, daß er zum Personal gehörte oder es zumindest vorzutäuschen beabsichtigt hatte. Aus seiner Nase quoll helles Blut. Unglücklichstenfalls hatte er sich einen Schädelbasisbruch zugezogen. Das Elektromesser - ein Gerät, wie man es gewöhnlich in Küchen verwendete - stak noch in der Tür und sägte rumorend, aber da ihm der Druck einer menschlichen Hand fehlte, drang es nicht tiefer ein. Clayborn schaltete das Instrument aus.

Er wandte sich dem Besinnungslosen zu, als hinter ihm ein schepperndes Krachen ertönte. Heftig fuhr er herum, die Fäuste geballt. Doch da stand nur eine junge rothaarige Schwester, Augen und Mund weit aufgerissen, die Hände an die Schläfen gepreßt, zu ihren Füßen ein Tablett, das ihr vor Schreck entglitten war. Ringsum lagen Schachteln und Röhrchen verstreut.

»Beruhigen Sie sich«, sagte Clayborn sanft und sammelte die Medikamente ein. »Wer ist das?« Er stapelte die kleinen Behältnisse auf das Tablett und reichte es dem Mädchen.

»Das... ich...« Die Schwester stammelte verwirrt. Sie zitterte, so daß die Röhrchen auf dem Tablett anhaltend klapperten. »Das ist Mr. Deller - unser Oberpfleger.«

»So?« Stirnrunzelnd musterte Clayborn den Ohnmächtigen, der schwer und rasselnd atmete. Nein, kein Schädelbasisbruch - sonst wären die Augenhöhlen schon von Blutergüssen verquollen gewesen. Höchstens eine Gehirnerschütterung. Er hatte anscheinend mehr Glück als Verstand gehabt - vielleicht auch mehr als er verdiente. Nicht jeder, der überraschend in Clayborns Fäuste geriet, kam so glimpflich davon. Schon mancher Gauner hatte seine Vermessenheit, den Commander als leicht zu überrumpelndes Opfer zu betrachten, mit dem Leben bezahlen müssen. »Benachrichtigen Sie Professor Wellington«, forderte er die Schwester auf. »Ich bin in Zimmer 29. Es ist dringend.«

Das Mädchen stotterte etwas, das wohl als Bestätigung gedacht war, und entfernte sich eilig.. Clayborn betrat das Zimmer, schaltete die Beleuchtung ein und sah sich kurz um. Tatsächlich handelte es sich um ein zur Zeit unbewohntes Krankenzimmer. Es konnte kaum einen Zweifel geben - dieser Mann, angeblich der Oberpfleger der Asteroidenklinik, hatte ihn in der Absicht in diesen Raum gelockt, ihn buchstäblich um einen Kopf - seinen Kopf - kürzer zu machen. Und das mit einem Elektromesser - der Tatort hätte anschließend einem Schlachthaus geähnelt. Clayborn knurrte grimmig.

Vom Korridor erscholl ein dumpfes Stöhnen. Clayborn ging hinaus. Der Mann regte sich schwerfällig. Seine Lider flatterten. Offenbar kam er allmählich wieder zu Bewußtsein. Also konnte er kaum innere Verletzungen erlitten haben. Clayborn beschloß, keine Zeit zu verlieren. Er packte den Mann am Kittel, richtete ihn auf und lehnte ihn gegen die Wand. Ächzend schlug der Bursche die Augen auf und stierte Clayborn verständnislos an. Der Commander gab ihm eine klatschende Ohrfeige.

»Gnade....« Deller - falls er es wirklich war - wankte hin und her, und es schien, als wolle er alsbald wieder zu Boden fallen. »Ich sage alles... ich spreche freiwillig«, sprudelte es über seine aufgesprungenen Lippen. »Ich gestehe...«

»Dazu erhalten Sie Gelegenheit«, kommentierte Clayborn zornig das Geplapper. Am Kragen zerrte er den Attentäter in das Zimmer mit der Nummer 29 und stieß ihn rücklings in den Sessel, in dem der Mann jämmerlich stöhnend zusammen sank. Clayborn grub die Finger seiner Rechten in den gelichteten Haarschopf des anderen und bog den Kopf weit zurück. Aus unmittelbarer Nähe begutachtete er Halsansatz, Mundwinkel, Augenpartien, Nasenflügel und Ohren, ohne sich vom Gewinsel des dicken Schwächlings stören zu lassen. Obwohl er seine Augen erheblich strapazierte, vermochte er keine Spur von jenen haarfeinen Narben zu entdecken, die eine kosmetische Operation zurückließ, Dieser Mann war entweder Oberpfleger Deller oder nicht, und die rothaarige Schwester hatte ihn so genannt. Keinesfalls aber war es ein Fremder in der Maske des Oberpflegers Deller. Das grobschlächtige Gesicht war einwandfrei. Unwillig ließ Clayborn den Mann los, kehrte ihm verächtlich den Rücken zu und schob die Hände in seine Taschen. Wie auch sein wirklicher Name lautete, dieser schlaffe Kerl war kein berufsmäßiger Krimineller, kein honorarträchtiger Killer, kein kaltblütiger Gangster. Der Anschlag war anfängerhaft vorbereitet und stümperhaft ausgeführt worden - und deshalb mißlungen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hatte der Mann seine Absicht, ihn zu ermorden, zwar vorsätzlich, aber überstürzt und in panikartigem Zustand gefaßt. Das bedeutete andererseits, daß er, Clayborn, der Anlaß seiner Verstörung, seines schlechten Gewissens war. Nun, von diesem Waschlappen würde man rasch alles erfahren, das eine Klärung ermöglichte.

Zweifellos, das Attentat hatte ihm gegolten. Ein Irrtum war unmöglich. Die Stimme aus dem Lautsprecher - höchstwahrscheinlich die des Oberpflegers, falls er keine Komplizen besaß - hatte seinen Namen genannt. Aber das mußte nicht zwangsläufig bedeuten, daß der Mordversuch mit dem mysteriösen Fall in Zusammenhang stand, den er gegenwärtig bearbeitete. Dieser Mann war beileibe nicht der richtige für eine große, verästelte Sache, die viel Geschicklichkeit erforderte.

Clayborn vermochte eine gewisse Enttäuschung nicht zu unterdrücken. Endlich geschah etwas, und nun... Er war fest überzeugt, vor einer Sackgasse zu stehen.

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7

»Lieber Mr. Deller! Was haben Sie nur getan?!« Professor Wellington rang die Hände, als sei soeben sein Todesurteil gesprochen worden. Aufgebracht umkreiste er den Sessel, in dem Deller noch immer ermattet ruhte. »Habe ich Ihnen nicht vertraut wie einem Sohn? Habe ich Ihnen nicht hohe Verantwortung übertragen?«

Dr. Li, der nur kühl lächelte, und Clayborn standen peinlich berührt neben der Tür. Es gab kaum etwas zu sagen. Deller begleitete die Klagen des Professors mit heiserem Röcheln.

"Die Kartei...«, murmelte der ,Oberpfleger, »ich gebe Ihnen die Namen...«

»Sie hatten es nicht nötig, unsere Patienten zu bestehlen«, jammerte Wellington. »Ihre Gehaltswünsche wurden alle erfüllt. Alle!« Es klopfte, und ein Techniker in blauem Arbeitsanzug trat ins Zimmer. »Der Polizeikreuzer trifft in einer halben Stunde ein«, meldete er. »Kann ich noch etwas tun?«

»Danke.« Wellington winkte ab und entließ den Mann. Unverzüglich holte der Professor tief Luft und räusperte sich, um sein Wehgschrei fortzusetzen. Clayborn sah ein, daß er den Wissenschaftler bremsen mußte, damit dieser leidige Zwischenfall endlich zum Abschluß kam. Er ließ Wellington nicht mehr zu Wort kommen und riet ihm, Deller ein Geständnis auf Band sprechen zu lassen, bevor der Mann sich anders überlegte und verstockt wurde, und ihn anschließend in sichere Obhut zu geben.

Wellington pflichtete ihm bei, entschuldigte sich - mehrfach bei dem Commander und dann auch bei Deller, weil er ihn nach Geständnisaufnahme leider vorerst einsperren müsse. Der Professor war außer sich vor Erregung.

Kopfschüttelnd verließ Clayborn das Zimmer und suchte das eigene auf. Nun, Dr. Li verfügte über bessere Nerven und würde die Situation schon zu handhaben wissen.

»Wo warst du?« schnauzte Saratow gespielt grob, als er zurückkehrte. »Du wolltest doch keine Zeit verlieren.«

Clayborn grinste nur. »Jemand war nicht einverstanden. Er glaubte, ich sei seinen lächerlichen Diebstählen auf der Spur, und wollte mir den Köpf absägen.«

"Hä?« Der breite Unterkiefer des Ingenieurs sank herab. Mit knappen Worten klärte Clayborn ihn über das Ereignis auf. Penza Saratow geriet ins Staunen, beruhigte sich aber schließlich. »Entschuldige, Barry«, bat er, nachdem Clayborn seinen Bericht beendet hatte. Er schnaufte durch die Nase. »So ein Dummkopf! Ohne den Mordversuch wäre er womöglich mit einer Geldstrafe davongekommen. Jetzt landet er wohl in den Bergwerken auf einem der Jupiter-Monde.« Hilflos hob Clayborn die Schultern. »Jedenfalls hat diese gedankenlose Tat ihm mehr geschadet als uns genutzt.« Er seufzte schwer. »Du mußt mich noch für ein paar Minuten entbehren. Ich brauche einige Informationen.«

In der Radiostation der Asteroidenklinik setzte er sich mit der Mordain in Verbindung und erklärte Chemile, dem chamäleonhaften Navigator, welche Angaben er anfordern solle und daß es eilig sei. Dann kehrte er zu Saratow zurück. Inzwischen hatte Dr. Li dem Ingenieur weiteres Material übergeben. Es handelte sich um Bänder, auf denen die Erkrankten den Inhalt ihrer Halluzinationen darzustellen versucht hatten.

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8

»Ehrlich gesagt«, stöhnte Saratow, »allmählich beginne ich mich fürchterlich zu langweilen.« Allerdings sah man ihm an, daß er diesen Punkt schon lange überschritten hatte und es fast nicht mehr aushielt.

Das war nur zu verständlich. Der Inhalt der Halluzinationen ähnelte sich bei allen sieben Betroffenen ungemein. Es gab geringfügige Abweichungen, die aus Täuschungen oder mangelhaftem Gedächtnis resultieren konnten, aber grundsätzlich stimmten sämtliche Schilderungen weitgehend überein.

»Ruhe«, zischte Clayborn ungehalten. Er lauschte angestrengt. Das Band knisterte und surrte. »Sie sagten, Sie standen gerade neben, dem Tisch, als es wieder anfing?« Das war Professor Wellingtons besänftigende Stimme.

»Ja... ich...« Die helle Stimme Antonio Fellinis kam leise, zitterte. Er strengte sich an, ruhig und zusammenhängend zu sprechen, aber unmittelbar nach dem vorhergegangenen Anfall war er natürlich hochgradig nervös. Häufig hörte man ihn schnaufen und schwer ausatmen. Wahrscheinlich hatte er eine Zigarette geraucht.

»Und dann?«

»Dann... also, es war wieder da... ich meine, plötzlich war es wieder fort... das Zimmer - Wogen einer zähflüssigen roten Masse... es blubberte, blubberte, blubberte .!«

»Haben Sie das gehört?« Wellington, so hatte Clayborn bereits bemerkt, ließ sich durch nichts beirren, wenn er sich inmitten seiner Arbeit befand. Seine Zwischenfragen waren gezielt und knapp. »Nein, nein! Hundertmal habe ich schon gesagt, daß ich nie etwas höre, wenn es losgeht... ich sehe nur... plötzlich bin ich allein... in diesen roten Wogen...«

»Bitte erzählen Sie weiter, Mr. Fellini. Ich möchte Ihnen helfen. Das wissen Sie doch.«

»Ja, ja. . . dann erschienen wieder diese geometrischen Gebilde, übermächtig, alles ausfüllend... blau, vielleicht grau... heller Schimmer dazwischen, wie von metallischen Flächen und Kanten...«

»So wie bei den vorherigen Malen?« kam Wellingtons warmherzige Stimme.

»Ja, natürlich!« An dieser Stelle war Fellini, ansonsten ein friedfertiger und kooperationsbereiter Patient, zornig aufgebraust. »Wenn Sie schon alles wissen, wozu fragen Sie überhaupt? Nichts als Fragen, den ganzen Tag hindurch! Warum tun Sie denn nicht endlich etwas?«

Klick, machte das Band Die Aufnahme war unterbrochen worden, vermutlich, weil der Professor dem jungen Mann ein paar ermutigende Worte gesagt hatte. Clayborn ließ das Band laufen. Nach einigen Sekunden knackte es erneut, bevor Penza Saratow die Gelegenheit wahrnehmen konnte, ungeduldig auf den Commander einzureden.

»... nun fortsetzen«, drang Wellingtons dunkle Stimme aus dem Gerät. »Wir unterbrachen bei diesen seltsamen Gebilden, Mr. Fellini.«

»Weiß ich... es ging weiter wie immer... nur noch Sterne, zahllose Sterne, als schwebte ich körperlos im Weltraum... dieses Glitzern... diese Kälte... ja, und dann... vorbei - ich stand am Tisch, hatte mich gerade noch mit beiden Händen festgeklammert...«

Clayborn drückte eine Taste, und das Band stoppte. Anscheinend hatte Saratow recht mit seiner Meinung, daß sich nach einigen Dutzend derartiger Aufzeichnungen, die sie nun gehört hatten, keine neuen Erkenntnisse mehr gewinnen ließen. Bei allen sieben Personen war es das gleiche. Zuerst schienen die Betroffenen von roten Wogen - oder purpurnen, wie es manchmal hieß - einer zähen Masse überrollt zu werden. Anschließend tauchten vor ihren geistigen Augen alles beherrschende geometrische Gebilde auf - Clayborn mußte bei dieser Beschreibung unwillkürlich an einen fremdartigen Maschinensaal denken, von jener bizarren Art, wie er sie schon auf den Planeten nichtmenschlicher Zivilisationen gesehen hatte. Dann fühlten sie sich scheinbar nur noch von Sternen umgeben, vom freien Weltraum. Damit war ein solcher Anfall vorüber, und mit etwas Glück hatte der Patient einen Sturz vermeiden können, wenn sein rezeptorischer Kontakt zur Realität plötzlich abbrach. Zwar traten die Anfälle regelmäßig alle zwei Stunden auf, so daß die bemitleidenswerten Männer und Frauen entsprechend vorbeugen konnten, indem sie sich in die Sessel setzten oder auf die Betten legten. Doch diese beängstigende Regelmäßigkeit war nicht identisch mit einer Pünktlichkeit, nach der man die Uhr zu stellen vermochte. Es gab Differenzen von jeweils mehreren Minuten, und auch diese Verschiebungen galten einheitlich für alle sieben; nie kam es vor, daß es einen früher oder später als die anderen erwischte.

»Nun?« Herausfordern sah Penza Saratow den Commander an. Seine Miene verriet Übellaunigkeit. »Bist du jetzt klüger als nach dem ersten Protokoll?«

»Nein«, erwiderte Clayborn wahrheitsgemäß, stapelte die Bänder und schob sie mit einer laschen, fast resigniert wirkenden Armbewegung zur Seite. Er fügte seiner Antwort nichts hinzu. Seine Wortkargheit veranlaßte den Schiffsingenieur zu einem verwirrten Blinzeln. Trotz der nahezu aussichtlos anmutenden Situation mußte Clayborn erneut grinsen, als er in Saratows verblüfftes Gesicht blickte.

»Und was machen wir jetzt?« drängte der Riese. »Wir können doch unmöglich die Hände in den Schoß legen und dem Professor sagen, lieber Professor, es tut uns leid, aber wir wissen auch keinen Rat.«

»Nein«, wiederholte Clayborn ernsthaft. »Aber ich kann mich vor das Aquarium setzen und einige Überlegungen anstellen, bis der Professor Zeit für ein ausgedehntes Gespräch hat. Weißt du, für das menschliche Gemüt sind friedlich dahingleitende Fische eine der besten Medizinen.« Er grinste nochmals, als er Wellington zitierte, erhob sich und ging hinaus.

Mit offenem Mund starrte Penza Saratow ihm nach.

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9

Nachdem der Commander eine Weile in einem der bequemen Sessel vor dem Aquarium zugebracht hatte, mußte er einräumen, daß die Wirkung, die Wellington dem Anblick der Fische zuschrieb, zumindest teilweise auch auf ihn Einfluß nahm. Seine fieberhaften Gedankengänge fielen ihm keineswegs leichter, und die besorgte Unruhe, die ihn bedrängte, wich nicht ganz, doch unleugbar fühlte er sich bald entspannter und gelassener. Für ihn stand fest, daß eine äußere Kraft psionischer Art intervallmäßig auf die sieben Patienten einwirkte. Jede andere Erklärung war schlichtweg unlogisch. In der Galaxis existierten Fremdspezies mit mehr oder weniger ausgeprägten telepathischen Fähigkeiten, über die Zeugnisse mit wissenschaftlicher Beweiskraft zur Genüge vorlagen. Hier allerdings, im Solsystem, fernab von unmittelbaren Kontakten mit diesen Spezies, brachte man diesen Tatsachen noch erhebliche Zweifel und Vorbehalte entgegen. Es gab eine solche Vielfalt einander widerstreitender Einschätzungen darüber, daß es auch wissenschaftlich gebildeten Leuten äußerst schwer fiel, eine eigene Entscheidung zu erringen, sich eine persönliche Meinung zu bilden.

Gegenwärtig, in dieser besonderen Angelegenheit, hing alles davon ab, wie Professor Wellington zum Problem der parapsychischen Erscheinungen stand. War, seine Haltung ablehnend, ließ sich weder mit vorurteilsloser Unterstützung noch mit wesentlichen Fortschritten in der Untersuchung rechnen. Nachdenklich verfolgte er das behäbige Klaffen und Gähnen der Fischmäuler hinter der wohl fast zwei Meter dicker Scheibe, bis ihn eine rüde Stimme aufschreckte.

»Mr. Clayborn?«

Den Ton kannte Clayborn. Er wartete eine halbe Minute lang, bevor er nachlässig und sehr langsam den Kopf wandte. Ja, natürlich - ein junger Polizeioffizier in geschniegelter Uniform stand hinter ihm, den buckligen Helm unter den linken Arm geklemmt, die Handschuhe in der Rechten, die stocksteif über dem rechten Knie schwebte. Die lederne Pistolentasche glänzte wie eine Speckseite. Sicherlich ein korrekter und vertrauenswürdiger junger Beamter, aber mit dem in seiner Dienstaltersklasse häufigen Fehler - einer gewissen Verachtung für Zivilpersonen. Nun, dem konnte abgeholfen werden.

»Rühren«, sagte Clayborn freundlich. Gnädig sah er den Polizeioffizier von unten herauf an. »Rang und Name?«

»Lieutenant Frey!« platzte es zackig aus dem jungen Mann heraus, ehe er begriff, wie ihm geschah. Dann überzog sich sein breites Gesicht, dessen Oberlippe ein dünnet schwarzer Bart zierte, in plötzlicher Erkenntnis mit tiefem Rot. »Was fällt Ihnen...?« Verunsichert unterbrach er sich, von einer Sekunde zur andern nicht mehr überzeugt, daß es angebracht sei, diesen Mann anzuschnauzen.

»Freut mich.« Clayborn stand auf und schüttelte dem verwirrten Lieutenant die Hand. »Commander Clayborn, FTA. Ich vermute, Sie möchten mich wegen Mr. Deller sprechen?«

Der Lieutenant nickte mehrmals und nahm endlich eine gelockerte Haltung an. »jawohl äh, Sir. Der Verhaftete wurde bereits an Bord genommen. Wir benötigen lediglich noch Ihre Aussage. Möchten Sie Anzeige erstatten?«

Clayborn winkte ab. »Mir fehlt die Zeit. Der Mann ist unwichtig. Ich überlasse die Erstattung der Anzeige dem terranischen Oberstaatsanwalt, der bei Mordversuch ohnehin dazu verpflichtet ist. Haben Sie einen Recorder?«

»Selbstverständlich, Sir.« Der Lieutenant holte das handtellergroße Gerät aus seiner Gürteltasche und reichte Clayborn das kleine Mikrofon. Eilig sprach der Commander einen kurzen Bericht auf das Band und gab zum Schluß seine zentral registrierte IDNummer an. Er bemühte sieh, den unglückseligen Oberpfleger nicht zu sehr zu belasten, um ihm die schlimmsten Folgen zu ersparen. Schließlich war der Mann kein Schwerverbrecher, sondern hatte sich nur in seiner Angst vorübergehend wie ein Narr verhalten. Damit war Clayborns Pflicht und Schuldigkeit getan; alles andere war Sache des Oberstaatsanwalts und des Gerichtshofes. Umständlich, durch Clayborns Anwesenheit etwas in Verlegenheit gestürzt, packte der Polizist das Gerät ein, salutierte und machte Anstalten, sieh zu entfernen. Der Commander hielt ihn auf. »Woher wissen Sie eigentlich, daß ich wirklich Freier Terranischer Agent bin?« forschte er mit unüberhörbarem Tadel. »Sind Sie immer so unvorsichtig und leichtgläubig?«

Der junge Offizier errötete nochmals und stammelte eine Verneinung. Clayborn zwinkerte ihm zu. »Sie haben Glück«, meinte er, »daß Sie tatsächlich vor einem FTA stehen. Aber das nächste Mal überzeugen Sie sich lieber.«

»Jawohl... Sir.« Nervös umklammerte der Lieutenant « seinen Helm, straffte sich schließlich und schritt durch den Saal davon, wobei er sich noch mehrere Male umblickte.

Noch ehe Clayborn wieder im Sessel Platz nehmen konnte, kam eine Durchsage über das Lautsprechersystem, die ihn in die Funkzentrale der Klinik bat. Unverzüglich machte er sich auf den Weg dorthin.

Die Funkzentrale war ein kleiner runder Raum, ringsum mit einem Gewirr von Pulten, Bildschirmen, Mikrofonen und Kabeln ausgefüllt, in dessen Mitte mit größter Seelenruhe ein stämmiger Techniker hockte. Bei seinem ersten Aufenthalt in der Radiostation hatte Clayborn bereits feststellen können, daß der Mann sich selbst durch das größte Chaos von Rufsignalen, Dauergesprächen und Bildschirmflimmern kaum beeindrucken ließ.

»Ihr Schiff, Mr. Clayborn«, sagte der Techniker und hielt ihm ein Paar Kopfhörer entgegen. Clayborn streifte sie über. Er hatte mit Wellington vereinbart, daß er sämtliche erforderlichen Funkgespräche direkt über die Radiostation führen konnte statt eine Verbindung mit seinem Zimmer herstellen zu lassen. Die Verwendung der Kopfhörer sicherte, daß auch der Techniker keine Dinge erfuhr, die ihn nichts angingen. Durch diese Vorsichtsmaßnahme war eine Abhörgefahr weitgehend ausgeschaltet. Allerdings maß Clayborn ihnen nun nicht mehr die gleiche Bedeutung zu wie noch vor wenigen Stunden, da der Fall höchstwahrscheinlich anders gelagert war als vermutet. »Hallo, Barry«, drang Chemiles Stimme aus den Muscheln.. »Die angeforderten Informationen sind eingegangen.«

Clayborn beugte sich über ein Mikrofon und nickte jenem Bildschirm zu, auf dem der Kopf des humanoiden Chamäelons aufgetaucht war. »Okay. Faß zusammen.«

»Nach der Protokollanfertigung ist Alice Bell noch zweimal vernommen worden. Dabei ergaben sich allerdings keine neuen Erkenntnisse. Was diesen Johnson angeht, so wurde er seines Postens als geschäftsführendes Mitglied der Außenhandelsvereinigung Interstellar enthoben, weil er dazu neigte, unseren extraterrestrischen Handelspartnern vertrauliche Informationen zuzuspielen, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen. Regelrechte Bestechung konnte man ihm nicht nachweisen, aber selbstverständlich war er ein Unsicherheitsfaktor und wurde daher aus seiner Funktion entfernt.«

Während Clayborn lauschte, beobachtete er den Funktechniker. Naturgemäß zeigte der Mann an Chemiles fremdartigem Porträt erhebliches Interesse, obwohl er darüber nicht seine Arbeit vergaß. Oder las er von Chemiles Lippen...? Unsinn. Clayborn bemühte sich, das aufwallende Mißtrauen zu verdrängen. In seiner Tätigkeit war nicht allein Vorsicht, sondern auch Nüchternheit angebracht. Dieser Mann war ein unschuldiger Techniker, sonst nichts.

»Und?« fragte er wortkarg.

Chemiles glattes, ovales Gesicht nahm einen Ausdruck von Bedauern an. »Leider ist das bereits alles, Barry. Mehr war nicht zu ermitteln.« Die winzigen Augen des humanoiden Chamäleons ruhten stechend auf dem Commander. »Weyburn ist ungeduldig. Hast du eine Spur?«

»Vielleicht.« Clayborn vollführte eine unbestimmte Geste. »Vielen Dank, Veem.« Er nickte, zog das Kopfhörerpaar vom Schädel und reichte es dem Techniker, der die Verbindung unterbrach. Auf dem Bildschirm verblaßten Chemiles Umrisse. Fiepen und Zwitschern erfüllte die Funkzentrale.

»Was war denn das für ein Katzenkopf?« erkundigte der Techniker sich mit deutlichem Mangel an Respekt. Knapp sah Clayborn ihn ah. Offenbar meinte er es nicht übel.

»Sorgen Sie sich nicht darum«, antwortete Clayborn mit gespieltem Ernst. »Die Dame wird in Kürze einer kosmetischen Operation unterzogen.« Der Techniker zuckte sichtlich zusammen. Bevor er seinen Schock überwunden hatte, verließ Clayborn die Radiostation. Ihm war beileibe nicht so humorig zumute wie er sich gegeben hatte. Vielmehr sah er sich wiederum enttäuscht. Gewiß, die Einschätzung, die er über Johnson getroffen hatte, war nunmehr bestätigt, aber ein Zusammenhang zwischen dem Abwerbungsversuch der Khet-Ragar und Johnsons damaliger Funktion war nach wie vor unbewiesen. Bestand die Möglichkeit, die Wahrheit von Johnson selbst zu erfahren? Fragen kostete natürlich nichts. Einem scharfen Verhör allerdings würde Professor Wellington, daran hegte Clayborn nicht den leisesten Zweifel, niemals zustimmen. Und das war sogar verständlich.

Er informierte Saratow über das kärgliche Ergebnis der Anfrage und begab sich anschließend in das Büro des Professors. Es schien ihm an der Zeit, sich mit einigen dieser sieben Patienten persönlich zu unterhalten.

Wider Erwarten machten weder Professor Wellington noch Dr. Li irgend welche Einwände.

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10

Mit aufrichtiger Sympathie musterte Clayborn die zierliche Frau, die ihm gegenüber an dem kleinen Tisch ihres Krankenzimmers saß. Yvette Durand, die fähige Konstrukteurin, wirkte mehr als zerbrechlich. Ihre Erscheinung war, trotz der ungewöhnlichen Situation, in der die Frau sich befand, sorgfältig gepflegt, war das kurze, kräftige, kastanienbraune Haar ordentlich, vielleicht um eine Note zu streng, zurecht gebürstet. Dennoch entging es dem vorzüglichen Gedächtnis des Commanders keineswegs, daß ihr Gesicht einige winzige Falten mehr aufwies als er es von ihrem Foto her in Erinnerung hatte.

»Madame Durand«, sagte Clayborn, indem er sich Mühe gab, seine Stimme ähnlich besänftigend klingen zu lassen wie es Wellington so leicht fiel, »Dr. Li hat mich auf einen Aspekt hingewiesen, der mich sehr interessiert. Wie er erzählte, besitzen diese geometrischen Gebilde, die Sie nun schon wiederholt halluziniert haben, für Sie eine auffallende Ähnlichkeit mit Raumschiffelementen.« Die Konstrukteurin blickte kurz zu dem Arzt hinüber, der im Sessel saß und sein stetiges Lächeln zeigte. Dr. Li nickte ihr freundlich zu. »Haben Sie volles Vertrauen zu Mr. Clayborn«, bat er. »Als erfahrener Raumschiffer kann er uns unersetzliche Hinweise zur Aufschlüsselung der Symptomatik liefern.«

Trotz dieser aufmunternden Worte zögerte sie noch einen Moment lang, bevor sie die schmalen Lippen öffnete. Wahrscheinlich empfand sie begreifliches Unbehagen darüber, daß sich nun ein Fremder ohne humanmedizinische Kompetenz mit ihrer rätselhaften Erkrankung beschäftigte. Dr. Lis Argument war jedoch einleuchtend genug. »Es stimmt«, meinte sie knapp und etwas gequält. »Dieses... dieses Bild erinnert mich jedesmal an das Durcheinander von Bauelementen und Fertigteilen, wie ich es aus den Lagerhallen kenne.«

»Und wie erklären Sie sich diese Ähnlichkeit?« Madame Durand zögerte erneut. Sie schloß die Augen. Anscheinend überlegte sie. Clayborn drängte sie nicht, obwohl das Schweigen an seinen Nerven zerrte. Er haßte Untätigkeit und Hilflosigkeit, und genau diesen sah er sich gegenwärtig ausgesetzt. Zum Teufel, warum hatte Weyburn nicht irgend einen Raumpsychologen angeheuert? Doch schließlich hatte auch der Direktor nicht ahnen können, wie der Fall sich entwickeln würde. Nun - es war noch früh genug, um die Sache zuständigkeitshalber abzugeben...

Nein. Er hatte die Herausforderung schon angenommen. Er war es sich schuldig, jetzt nicht zurückzuweichen. Sich und diesen sieben Leuten. »Ich weiß es nicht«, sagte die Frau schlicht. Als sie die Augen wieder aufschlug, war ihr Blick unendlich entrückt und müde. Clayborn bemerkte das leise Beben ihrer Hände.

»Haben Sie eine Vorstellung, worum es sich bei dieser roten Masse handeln könnte, mit der die Halluzinationen beginnen?« forschte Clayborn weiter. »Pfifft!« Madame Durand blies den Atem aus und winkte verächtlich ab, eine Art der Entgegnung, die eine Eigentümlichkeit ihrer französischen Herkunft war und sie unzweideutig verriet. Clayborn lächelte, matt. »Keine Ahnung. Wolken oder dergleichen.«

»Wolken?« Clayborn stutzte, zog dann aber gewohnheitsgemäß eine unbeteiligte Miene, wie immer, wenn ihm etwas auffiel.

Er hörte, daß Dr. Li etwas sagte, achtete jedoch nicht darauf. Er mußte seinen Gedanken logisch weiterführen, bevor ihm entscheidende Eingebungen entglitten.

Die Reihenfolge der Halluzinationsinhalte war gleichbleibend und einheitlich. Zuerst kam die rote oder purpurne Masse, dann die geometrischen, metallisch glänzenden Gebilde... und zuletzt - Sterne!

Wolken, Raumschiffteile und Sterne...?

Auf Planeten, die eine Atmosphäre besaßen, gleich welcher Zusammensetzung, gab es natürlich Wolken. Im Innern eines Raumschiffs wimmelte es selbstverständlich von geometrischen, metallischen Gegenständen. Und ein Raumschiff befand sich meistens zwischen den Sternen.

Ja, diese Vergleichskette ergab einen Sinn. Wenn die angeblichen Halluzinationen in Wirklichkeit die bildhafte Widerspiegelung eines telepathischen Impulses in den Hirnen der sieben Personen waren, so konnte dieser Impuls durchaus folgendes Besagen: Planet X sandte Raumschiff Y nach Position Z. eine Botschaft also? Zu welchem Zweck?

Falls es sich tatsächlich um eine telepathische Botschaft handelte - und die Regelmäßigkeit der sogenannten Anfälle sprach dafür -, dann mußte sie von einem Individium stammen, das keine menschliche Sprache beherrschte. Clayborn wußte, daß Gedanken keineswegs nur aus Bildern bestanden, die vor das geistige Auge projeziert wurden, sondern untrennbar auch aus Wortbeziehungsweise Begriffsimpulsen. Einem Menschen, der eine telepahtische Botschaft mit Begriffsimpulsen einer fremden Sprache empfing, mußten diese unverständlich bleiben, und in seinem Bewußtsein erschienen lediglich die zugleich enthaltenen Bildimpulse. Nichts lag näher, als an Halluzinationen zu glauben... Fast wäre Clayborn hastig aufgesprungen, aber er fing sich rechtzeitig. Er. wollte die Frau nicht beunruhigen und sich außerdem nicht unhöflich benehmen.

»Vorerst danke ich Ihnen, Madame Durand«, sagte er mit jenem Maß an äußerer Gelassenheit, das seine Erregung ihm gestattete. Er war nahezu völlig sicher, der Lesung des Rätsels bedeutend näher gekommen zu sein.

Selbstverständlich blieben noch zahlreiche Fragen offen, und neue stellten sich. Wer schickte diese verhängnisvolle telepathische Nachricht? Warum? Und weshalb nur diesen sieben Menschen? Auf diese Fragen mußte es Antworten geben, wie auf alle Fragen im gesamten Universum. Manchmal waren sie nur schwer zu finden. »Ich möchte baldmöglichst mit dem Professor und seinen besten Experten eine Besprechung führen«, verlangte Clayborn, als er und Dr. Li wieder im Korridor standen. »Bitte veranlassen Sie das.«

»Das wird schwierig sein«, gab Dr. Li zu bedenken. »Der Klinikbetrieb dürfte dadurch nachteilige Störungen erleiden.« Der Arzt seufzte und schüttelte betrübt den Kopf.

»Machen Sie den Herrschaften klar, daß diese Konferenz unumgänglich notwendig ist«, sagte Clayborn hart. »Jetzt hängt alles von einem gemeinsamen und richtigen Vorgehen ab.«

»Sie haben etwas herausgefunden"? Dr. Lis Tonfall schwankte zwischen Frage und Feststellung. Clayborn hob zögernd die Schultern. Waren seine Vermutungen zu fantastisch? Erste Zweifel befielen ihn.

»Vielleicht«, murmelte er.

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11

Diesmal wartete ein wuchtiger Pfleger vor der Tür, während Dr. Li und Clayborn das Zimmer mit der Nummer 22 betraten. Der gedrungene Mann, der geduckt auf dem Bett gekauert hatte, richtete sich heftig auf und sprang auf die Füße. Schwarze Haarsträhnen fielen über die Stirn des Mannes; ein unrasiertes Kinn schob sich dem Commander aggressiv entgegen.

»Mr. Kern«, begann Dr. Li mit wohl bemessener Strenge, »das ist Mr. Clayborn, der mit Ihnen sprechen möchte. In seiner Eigenschaft als...«

Der Biologe unterbrach ihn mit einem lästerlichen Fluch, dem er eine Reihe grober Beschimpfungen anschloß. »Clayborn?« äffte er schrill. »Clayborn? Es ist mir gleichgültig, welche Namen Sie sich zulegen!« Er trat vor, stemmte die Arme in die Hüften und starrte dem Commander aus unmittelbarer Nähe ins Gesicht. Sein Atem ging stoßweise. »Mit mir reden wollen Sie? Bequemt sich das Haupt dieser Verschwörung endlich, mir seine Forderungen zu eröffnen? Oder sind Sie nur gekommen, um mich zu verhöhnen?«

Ungerührt erwiderte Clayborn den düsteren Blick des anderen. Die Miene des Biologen war ein Zerrbild aus tief eingefressenem Mißtrauen, menschenfeindlicher Überheblichkeit und irrationalem Haß. Kein Zweifel, dieser Mann war schon vorher ein hochgradiger Neurotiker gewesen. Und nun fühlte er sich verfolgt.

»Ich kenne die Halunken, die meine Entführung angezettelt haben und mich seit Monaten mit Drogen foltern«, lärmte er, wandte sich ab und fuchtelte mit den Armen. Er nannte einige Namen, bei denen es sich wahrscheinlich um solche von Arbeitskollegen handelte, und spie bei jeder Namensnennung aus. »Diese Kriecher! Neid, nichts als Neid hat sie dazu getrieben! Würmer!« Auf dem Absatz fuhr er herum und schüttelte drohend die Faust gegen Clayborn. »Aber mich kriegen Sie nicht klein! Sie elender Schuft! Ich werde...«

»Beruhigen Sie sich«, forderte Dr. Li sachlich. »Niemand hat Sie entführt. Außerdem sind Sie erst seit zwei Wochen in der Klinik. Bitte hören Sie Mr. Clayborn an.«

»Ich denke überhaupt nicht daran!« brüllte Kern. »Hinaus! Oder...« Er sprach die Drohung nicht aus, doch man sah ihm an, daß das Auftauchen des Gangsterbosses, den er in Clayborns Person annahm, ihn aufgewühlt und eine erhöhte Bereitschaft zu Tätlichkeiten verursacht hatte. Clayborn blieb stehen. Der Biologe war kräftig und überdies wütend, aber wohl kaum nahkampfgeschult; zumindest enthielt sein Dossier keinen diesbezüglichen Vermerk.

»Oder?« wiederholte Clayborn leise. Die beiden Männer maßen einander erneut, Clayborn ruhig und in lockerer Haltung, der Biologe verkrampf vorgebeugt, bebend.

Schließlich sanken Kerns Schultern ein. »Ich bezweifle nicht, daß Ihre Meute vor der Tür lauert«, sagte er gehässig. Nach einem weiteren obszönen Fluch nahm er wieder auf dem Bett Platz und begann stumpfsinnig, mit mahlenden Kiefern, vor sich hin zu brüten.

Noch mehrmals versuchte Dr. Li, den Patienten zu einem Gespräch zu bewegen, aber der Biologe erwies sich auch den intensivsten Bemühungen gegenüber als unzugänglich. In diesem Zustand haßerfüllten Brütens, der seine hysterischen Wutausbrüche abzulösen pflegte, schien er wie blind und taub. Der Verständigungsversuch war, wie Clayborn begriff, vorerst gescheitert. Immerhin konnte er davon ausgehen, daß die übrigen fünf Betroffenen weniger problematisch waren, und ihre Aussagen würden genügen, um das Bild, das sich in seinem Kopf zu formen begann, hinreichend abzurunden.

Zum ersten Mal seit der Ankunft in der Asteroidenklinik empfand der Commander wieder gemäßigte Zuversicht.

Verhalten klopfte Dr. Li an eine andere der vielen mattgrünen Türen, die einander auf so trostlose Weise glichen.

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12

Gedämpftes Gemurmel erfüllte den Konferenzsaal, als Clayborn, gefolgt von Penza Saratow, den er inzwischen in seine Vermutung eingeweiht hatte, eintrat und nach einem knappen Nikken den hufeisenförmigen Tisch umrundete, um sich in einen der noch nicht belegten Sessel zu setzen. Saratow tat das gleiche.

Ringsum war Gezischel. Jemand pochte mit den Knöcheln der Faust auf die Tischplatte. Aha, da ging es schon los.

»Herr Professor«, ertönte eine nörgelnde Männerstimme, »dürften wir vielleicht den Anlaß dieser - gelinde formuliert - etwas überraschenden Zusammenkunft erfahren?« Der Sprecher war ein hagerer, hellblonder Mann. Spöttisch musterte er den Professor.

Zustimmendes, forderndes Gemurmel kam auf. »Ich glaube schon«, antwortete Wellington seelenruhig. Er streckte einen Arm aus und wies über den Tisch. »Ich empfehle Ihnen, sich mit Ihrer Frage an Commander Clayborn zu wenden, Dr. Knut.« Clayborn blickte von seinen Papieren auf, als habe ihn erst die Erwähnung seines Namens daran erinnert, daß er sich in Gesellschaft befand. Er hatte mit Wellington abgesprochen, vor diesem Gremium seine halboffizielle Stellung als FTA zu enthüllen. Davon versprach er sich für die bevorstehende Diskussion einen psychologischen Vorteil, welcher der Arroganz einiger Experten entgegenwirken mochte.

»Bitte?« Leutselig schaute Clayborn in die Runde. »Ich wüßte gerne den Grund für die Anberaumung dieser Sitzung, Commander«, wandte der Hellblonde namens Knut sieh nun an ihn. »In zwanzig Minuten beginnt meine Freizeit.«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Bereitschaft, mir Gehör zu schenken«, beteuerte Clayborn unvermittelt. Dr. Knut riß die Augen auf, doch der Commander räumte ihm keine Chance zu weiteren Protesten ein. »Eine fremde Macht hat über Raum und Zeit mit sieben Auserwählten der Menschheit telepathischen Kontakt aufgenommen«, fuhr er mit erhobener Stimme fort, in die er einen nicht zu übertriebenen Klang von Feierlichkeit legte. »Ihnen, meine Damen und Herren, fällt die verantwortungsvolle Aufgabe zu, diese geheimnisvolle Botschaft, deren Sinn leider noch im Dunkeln verborgen ist, zu entschlüsseln.«

Er schwieg für eine halbe Minute, um sie diesen Brocken verdauen zu lassen. Dann rollte er den Fall von vorn auf und erläuterte seine Schlußfolgerungen, wobei er nicht zögerte, seine Meinung als die der zuständigen terranischen Ministerien auszugeben. Er ergänzte seine Darlegungen durch detaillierte Erfahrungsberichte über die Verbreitung parapsychischer Fähigkeiten unter den Fremdspezies der Galaxis und berief sich zudem auf die Gutachten zahlreicher prominenter Wissenschaftler. Schließlich appellierte er an das ärztliche Pflichtbewußtsein, indem er weitschweifig ausführte, warum die Entschlüsselung der Botschaft die einzige Möglichkeit sei, den sieben Patienten dauerhaft zu helfen und mit dem Urheber ihrer Leiden in Kontakt zu treten. Er vergaß nicht zu erwähnen, welche große Bedeutung ein solcher Kontakt für die gesamte Menschheit haben könne.

Während seines Vortrags hatte die Versammlung völlige Ruhe bewahrt. Nun begann eine allgemeine Diskussion, die alsbald heftige Formen annahm. Clayborn und Saratow lauschten dem Durcheinander mit verhaltenem Grinsen. Die Versammlungsteilnehmer hatten sich unverzüglich in zwei Lager gespalten. Ein Teil wollte nicht die geringste Zeit an diese - wie man es nannte - wilden Spekulationen verschwenden, wogegen der andere, der durchaus überwog, von wahrem Forschungseifer gepackt worden war. Manche fantasierten bereits von intergalaktischen telepathischen Ringkontakten und galaktischem Kollektivbewußtsein.

Professor Wellington unterbrach das Stimmengewirr, indem er ungewohnt lautstark um Ruhe bat. Die Versammlung folgte seiner Bitte, jedoch kamen sofort mehrere Wortmeldungen. Zuerst sprach Dr. Li.

»Wenn wir von der Voraussetzung ausgehen«, erklärte er, »daß tatsächlich eine äußere Kraft psionischer Natur auf unsere sieben Sonderfälle einwirkt, so muß sieh diese Einwirkung feststellen lassen, da sie unabdingbar bestimmte Hirnzonen zu anomaler neurophysiologischer Tätigkeit anregt. Wir sind imstande, solche Hirnaktivitäten zu registrieren, und ich schlage vor, genau das zu tun. Der Aufwand ist nicht groß, gestattet uns jedoch, innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zu ermitteln, ob die soeben vorgetragenen Mutmaßungen eine reale Grundlage besitzen oder nicht. Ich bin der Meinung, daß die Testserie bei den Anfällen, zu denen es in der bevorstehenden Nachtperiode kommen wird, durchgeführt werden sollte, da wir aufgrund der Gegebenheiten weitere Verzögerungen nicht verantworten können.«

Die Mehrheit der Versammelten gewährte dem Stellvertreter des Professors beifälliges Nicken. Seinen Worten entgegneten einige Redner, die Einwände prinzipieller Art erhoben, aber niemand ging darauf ein.

Clayborn war mit dem vorläufigen Ergebnis der Sitzung zufrieden. Er hatte das hochqualizierte Team Wellingtons immerhin dafür gewinnen können, sich mit einer Problematik zu beschäftigen, die aufzulösen seine eigenen Möglichkeiten als FTA erheblich überstieg. Selbstverständlich hatte dazu wesentlich die Tatsache beigetragen, daß Professor Wellington und Dr. Li weitgehend auf seiner Seite standen.

Die Experten besprachen die für die Testserie erforderlichen Vorbereitungen und einzelnen Maßnahmen und gerieten dabei in kaum verständliches Fachsimpeln. Clayborn hörte Saratow neben sich unruhig mit den Füßen scharren. Der respektlose Riese langweilte sich anscheinend wieder einmal.

Die Konferenz nahm einen konstruktiven Fortgang, bis der Gong ertönte, der Personal und Patienten zum Abendessen rief. Natürlich war Penza Saratow der erste, der aus dem Sitzungssaal stürzte. Diesmal bereitete ihm die zugeteilte Nahrungsmenge eine noch herbere Enttäuschung als die Mittagsmahlzeit.

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13

Inzwischen wälzte das gepeinigte Bewußtsein des Biologen Walter Kern fieberhafte Pläne. Im Mittelpunkt seiner Empfindungen brannte wie eine riesige Sonne glühender Haß, während in seinen quasi-paranoiden Vorstellungen die Überzeugung wuchs, daß seine Standhaftigkeit, mit der er seinen Bewachern begegnete, in Kürze zu seiner Ermordung führen werde. Deshalb richtete er seine gesamten Überlegungen auf einen Weg, aus dieser Todesfalle, für die er die Asteroidenklinik hielt, zu entkommen. Er wußte nicht, daß er ununterbrochen beobachtet wurde.

Aus seiner Zelle - Zimmer 22 - zu gelangen, war einfach. Die Tür wurde nur während der Nachtperiode abgeschlossen, 'und nach deren Ablauf konnte er sich wieder für sechzehn Stunden frei bewegen – allerdings, wie ihm keineswegs entgangen war, in unauffälliger Begleitung eines muskulösen Pflegers. Nun, als der Gong das Abendessen ankündigte, hatte er sich entschlossen, den Ausbruch zu wagen, in der Auffassung, daß es am nächsten Tag zu spät und sein Leben verloren sein konnte.

Da er an der Gemeinschaftsspeisung nicht teilnehmen durfte, bekam er seine Mahlzeit ins Zimmer gebracht, und die ältliche Schwester, die ihn betreute, pflegte zu warten, bis er seine Portion in ihrer Gegenwart verzehrt hatte. Kern vermutete, daß in diesen Minuten kein Pfleger vor seiner Tür lauerte, weil er in seinem Wahn nicht den geringsten Zweifel hegte, daß die Schwester bewaffnet war. Selbstverständlich konnte er nicht wissen, daß sein unauffälliger Begleiter erst dann auf ihn angesetzt wurde, wenn der Diensthabende im Monitorraum auf dem zu Zimmer 22 gehörigen Bildschirm bemerkte, daß Kern eben dies Zimmer verließ.

Als die Schwester mit dem Essen kam, sah der gegenwärtig Diensthabende sich gehalten, die Gelegenheit zu nutzen, um die nahe Toilette aufzusuchen. Der Patient war für die nächste Viertelstunde nicht allein und außerdem der einzige, der zur Zeit ständiger Beobachtung unterlag, so daß der Diensthabende kein Risiko darin sah, den Monitorraum für jene wenigen Augenblicke zu verlassen, die sein Bedürfnis erfordern würde. Unglücklicherweise wählte er damit genau den falschen Zeitpunkt.

Voller Abscheu starrte Walter Kern das appetitlich dampfende Reisgericht an, das die Schwester auf einen Tablett auf den Tisch schob. Ja, eine neue Dosis der teuflischen Droge, mit der man seinen Verstand zu zerstören beabsichtigte! Aber es sollte ihnen nicht gelingen, ihn gefügig zu machen... Nur undeutlich drangen die freundlichen Worte der Schwester in sein umnachtetes Bewußtsein. Seine Gedanken kreisten einzig und allein um das Problem, auf eines der Raumschiffe zu gelangen, die mit Gewißheit auf der Oberfläche des Asteroiden verankert lagen. Ohne Bewacher würde es ihm rasch möglich sein, sich im Korridorgewirr der Klinik zu orientieren, die Hangar- und Schleusensektion zu finden, in einen Räumanzug zu steigen...

Dann, später... oh, seine Rache würde furchtbar sein!

Sein düsterer Blick glitt über den grünen Kittel der Schwester. Wo verbarg sie die Waffe?

Wahrscheinlich war es eine Injektionspistole, vielleicht auch ein Lähmstrahler. Er mußte blitzartig zugreifen...

Die linke Seitentasche des Kittels war stark ausgebeult. Ganz bestimmt eine Injektionspistole, gefüllt mit betäubendem Gift - das paßte zu diesen Schurken, die Moral und Ethik des Ärztestandes restlos verraten und entehrt hatten! »So essen Sie doch, Mr. Kern«, sagte die Schwester ermutigend. »Es schmeckt ganz ausgezeichnet.«

»Ich hoffe, das behaupten Sie nachher auch noch«, höhnte Kern, wobei er allerdings an das Betäubungsmittel dachte. Er erhob sich aus dem Sessel und trat an den Tisch. Ahnungslos legte die Schwester das Plastikbesteck zurecht.

Die Rechte des Biologen schnellte vor, glitt in die Kitteltasche, bevor die Schwester begriff, was geschah. Sie fuhr auf, als der Mann mit einem triumphierenden Kichern einen Satz rückwärts tat. Das Kichern erstickte in einem verblüfften Grunzen. Fassungslos stierte Kern die Musikkassette an, die in seiner Hand lag. Seine Mundwinkel zuckten. Langsam hob er den Blick, sein Arm sank herab, schlaff öffneten sich die Finger, und die Kassette fiel scheppernd zu Boden. »Mr. Kern...«, begann die Schwester mit gelindem Tadel, aber der Biologe gab ihr keine Chance, den Satz zu beenden. Ein brutaler Faustschlag trat die Schläfe der Frau, und sie kippte mit einem Seufzer rücklings auf das Bett.

Noch immer verwirrt, stand Kern für einige Sekunden reglos inmitten des Zimmers. Dann stieß er einen wilden Fluch aus. Zum Teufel, eine Waffe hätte er gut gebrauchen können! Aber er mußte es auch ohne versuchen - es ging um Tod oder Leben. Wenigstens glaubte er das.

Hastig schob er den leichten Körper der besinnungslosen Frau unter das Bett, löschte die Lampe und huschte auf den Korridor. Niemand war zu sehen. Die Mehrzahl des Personals und der Patienten hielt sich noch in der Zentralhalle auf und widmete sich dem Abendessen.

Als der Diensthabende in den Monitorraum zurückkehrte, fand er den Bildschirm von Zimmer 22 dunkel. Erüberprüfte die Kontrollen; die Anlage war intakt. Offensichtlich hatte der Patient sieh zur Ruhe gelegt.

Um so besser, dachte der Diensthabende. Voller Bauch schafft Gemütlichkeit. Damit holte er einen Stapel Zeitschriften aus einer Schublade und fing zu lesen an.

Die zahlreichen Hinweisschilder an den Abzweigungen und Kreuzungen der Korridore halfen dem unterdessen durch die verzweigte Klinik irrenden Biologen, sich ohne wesentlichen Zeitverlust zurechtzufinden. Auf seinem Weg traf er zwei- oder dreimal Mitglieder des Personals, doch sie schenkten ihm keine Beachtung, obwohl er anhaltend niederträchtige Verwünschungen murmelte. In der Asteroidenklinik, worin die Patienten sich relativ ungehindert bewegen durften, war sein Verhalten keineswegs aufsehen erregend.

Er gelangte in einen kleinen, runden Saal ohne jede Einrichtung, aber mit mehreren Türen. Die Aufschrift an einer davon besagte, daß es sich um das Schutzanzugsarsenal handelte. Eine zweite war mit dem Schild Anmeldung gekennzeichnet, eine dritte mit dem Hinweis Zu den Hangars versehen. Die breiteste der Türen, massiv und stählern, statt mit einem Griff mit einem Handrad zu öffnen, trug die leuchtend rote Aufschrift: Achtung! Personenschleuse. Nur für technisches Personal!

Ein haßglühendes Grinsen verzerrte das Gesicht des Biologen zu einer mörderischen Grimasse. Wie wenig trennte ihn noch von der Freiheit... er hatte bewiesen, daß er diesen heimtückischen Verbrechern überlegen war! Der Tag der Rache lag nicht mehr fern. Er würde mit seinen Neidern abzurechnen wissen!

Ruckartig verharrte er und lauschte. In der Anmeldung näherten sich Stimmen der Tür. Kern zog sich eilig in den Gang zurück, aus dem er gekommen war. Ein Mann in blauer Montur verließ das Büro, durchquerte pfeifend den Saal und verschwand durch die Tür, die zu den Raumboothangars führte.

Erleichtert atmete Kern auf.

Nun schnell, bevor ihm weitere Leute in die Quere kamen! Seine wachsende Zuversicht verlieh dem Wissenschaftler energische Tatkraft. Keuchend, mit einer Anstrengung, in die er sein ganzes Körpergewicht legte, drehte er das Handrad der verbotenen Personenschleuse bis zum Anschlag, Der Öffnungsmechanismus reagierte, und die innere Tür schwang auf, mit einem lauten Knarren, das Kern zusammenfahren ließ. Hastig, ohne sich umzublicken, betrat er den engen Schleusenraum und zog die Tür hinter sich ins Schloß, kurbelte am Handrad der anderen Seite. Dann wandte er sich zur äußeren Schleusentür, deren Öffnungsmechanismus ebenfalls manuell bedient werden mußte.

Verdammt, diese Schleuse war ja geradezu unzulässig primitiv! Kern schwitzte, obwohl es in der engen Kammer recht kühl war.

Er hörte das Schloß knacken. Die äußere Tür öffnete sich. Zischend entwich die Luft.

Walter Kern starrte für einen winzigen Augenblick hinaus in das samtdunkle All und auf die Vielzahl glitzernder Sterne, ehe der Sog der geringen Luftmenge, die aus der Schleusenkammer entwich, ihn langsam, in fast behäbig zu nennender Rotation, auf die zerklüftete Oberfläche des Asteroiden trieb.

Tot.

Er hatte vergessen, einen Raumanzug anzulegen.

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14

»Commander! Commander Clayborn!«

Clayborn richtete sich blitzschnell auf und schwang die Beine aus dem Bett. Er blinzelte zur Uhr hinüber. Es war fast drei Uhr, Terrazeit. Der gedämpfte Ruf vor seiner Tür wurde wiederholt, unterstützt vom Pochen einer Faust. Die Stimme gehörte Professor Wellington persönlich. Clayborn vernahm andere Stimmen, die im Korridor raunten, weiter entfernt.

Er knipste das Licht an, streifte den bereitliegenden Morgenmantel über und öffnete. »Was gibt es?«

Professor Wellingtons aufgelöste Miene zeigte ihm an, daß sich wieder ein unvorhergesehener Zwischenfall ereignet hatte. Wissenschaftliche Probleme oder Entdeckungen vermochten den Professor nicht in solche Erregung zu versetzen.

»Herrgott...« Wellington betupfte seine schweißglänzende Stirn. »Ich bin froh, daß alles in Ordnung ist...«

»Warum sollte es nicht?« Clayborn trat auf den Korridor und schaute nach beiden Seiten. Pfleger hasteten vorüber. Irgendwo dröhnte Saratows rauhes Organ. Er stritt mit Dr. Li. Offenbar hatte die nächtliche Störung den Riesen ziemlich gereizt.

»Unser Patient, Mr. Kern... der Biologe, Sie wissen doch«, stammelte Wellington. »Er ist unauffindbar... ich befürchtete schon, er werde in Ihr Zimmer eindringen! Er hielt Sie für einen Gangsterboß, wie Dr. Li mir berichtete...« Er seufzte schwer. »Einen zweiten Anschlag auf Ihre Person - in meiner Klinik... das hätte mir niemand verziehen!«

»Er ist verschwunden?« Clayborn konnte ein Gähnen nicht unterdrücken. »Einen Moment, bitte.«

Eilends kleidete der Commander sich an und suchte umgehend das Büro des Professors auf, wo sich bereits eine Art Krisenstab versammelt hatte, den Dr. Li leitete. Der Arzt informierte Clayborn kurz über die Tatsachen. Die Schwester, welche Kern niedergeschlagen hatte, war noch nicht vernehmungsfähig; sie hatte eine Gehirnerschütterung mit bedenklichen inneren Blutungen erlitten, befand sich jedoch nicht in Lebensgefahr. Gegenwärtig wurde sie einer Notoperation zwecks Entfernung eines Blutgerinsels unterzogen.

Wellington telefonierte ununterbrochen mit dem Monitorraum. Alle belegten Krankenzimmer wurden kontrolliert. Der Professor erhielt in kurzen Abständen Meldungen. Bis jetzt waren keine Außergewöhnlichkeiten festgestellt worden. Zwar lagen die meisten Zimmer im Dunkeln, da die Patienten schliefen, aber; der Stab hatte sich darauf geeinigt, von den Mikrofonen übermittelte Schnarchlaute als Zeichen zu werten, daß im jeweiligen Zimmer nichts geschehen war. Einige Zimmer, aus denen nichts zu hören und zu sehen war, wurden zwecks näherer Überprüfung notiert, und die anwesenden Experten diskutierten, ob man beim Zustand der betreffenden Patienten eine Unterbrechung der Nachtruhe, wie sie mit persönlicher Zimmerkontrolle unvermeidlich einherging, riskieren konnte. Auch das technische Personal war alarmiert worden. Die Energiestationen, Hangars und Werkstätten wurden durchsucht, die Büros auf den Kopf gestellt, und in den Magazinen durchleuchtete man jede Kiste, jeden Behälter einzeln.

»Wo mag sich der Knabe nur versteckt halten?« knurrte Saratow erbost. Lautstark schlürfte er schwarzen, heißen Kaffee. Dem Krisenstab waren mehrere Thermokannen mit dem belebenden terranischen Getränk bereitgestellt worden, und der Ingenieur war unverschämt genug gewesen, eine ganze Kanne für den eigenen Bedarf in Besitz zu nehmen. »Was denkt er sich bloß dabei?«

»Seit seiner Einlieferung hat er einen aggressiven Verfolgungswahn entwickelt«, bemerkte Dr. Li. »Deshalb dachten wir zunächst, er habe irgend eine Gewalttat im Sinn... aber wie es ausschaut, handelt es sich wohl eher um einen Fluchtversuch. Das Personal prüft gerade, ob ein Raumanzug fehlt. Ein Raumboot hat nicht abgelegt, soviel steht bereits fest.«

»Also muß er sich noch innerhalb des Asteroiden befinden. Gibt es natürliche Hohlräume, zu denen ein Zugang existiert?«

Der Asiate schüttelte den Kopf, wobei ihm eine dünne Haarsträhne bis auf die Nasenspitze fiel. Seine Miene drückte ernste Besorgnis aus. »Beim Bau dieser Klinik wurden alle vorhandenen Hohlräume in die Konstruktion einbezogen. Nein, er muß sich in den Klinikräumen aufhalten.« Im Gegensatz zu Penza Saratow, der halb froh war, daß sich endlich wieder etwas ereignet hatte, wenn er auch ungern aus dem Schlaf gerissen wurde, interessierte sich Clayborn nur beiläufig für das Verschwinden des Biologen. Er unterhielt sich mit Dr. Knut über die angesetzte Testserie.

»Verdammt noch mal!«

Die beiden Männer fuhren herum. Der unbeherrschte Ausruf war von Professor Wellington gekommen. Verzweifelt strich der Wissenschaftler mit beiden Händen über seine Glatze, da er mangels Kopfhaar keine Haare raufen konnte.

»Er ist wie ausradiert«, stöhnte der Professor; »wie in Luft aufgelöst! Was sollen wir nur tun?«

»Alles durchsucht?« fragte Saratow. »Alles kontrolliert?«

Wellington bestätigte weinerlich, das sei der Fall. Erschöpft nahm er hinter seinem Schreibtisch Platz und knetete verbittert seine Finger. Sein dunkles Gesicht hatte deutlich einen blassen Farbton angenommen. »Unbegreiflich«, murmelte er. Jemand reichte ihm Kaffee. Die Anwesenden schwiegen betreten.

Es war Penza Saratow, der sieh schließlich räusperte. Diese Angelegenheit ließ sein kriminalistisches Interesse nicht ruhen. »Fassen wir einmal zusammen«, sagte er. »In der Klinik befindet er sich angeblich nicht. Verlassen kann er sie nicht haben, weil angeblich kein Raumboot gestartet ist und kein Raumanzug fehlt. Tja, nach den Gesetzen der Logik kann aber nur eines davon zutreffen.«

Im Hintergrund murmelte jemand, das sei eine wahnsinnig intelligente Feststellung. Man lachte verhalten. Saratow handelte sich einige mitleidige Blicke ein, die ihn allerdings kalt ließen.

»Was nur besagt«, bemerkte Clayborn, indem er sich umdrehte, »daß ein entscheidender Faktor übersehen wurde. Ich erachte die angebliche Vollständigkeit der Raumanzüge als fraglich.«

Geduldig erläuterte er, daß ein umfangreicher Bestand von Raumanzügen, der von einer größeren Personenzahl benutzt wurde, sich erfahrungsgemäß einer exakten Bestandskontrolle entziehe, da der Überblick leicht verloren ginge. Nicht jeder Techniker werde immer denselben Anzug anlegen, ein Teil befinde sich stets zur Ausbesserung, so daß schließlich niemand mehr Rechenschaft über den Verbleib jedes einzelnen Raumanzugs ablegen könne. Deshalb, so ergänzte er, sei die Wahrscheinlichkeit groß, daß der Biologe sich einen Anzug angeeignet habe und nun auf der Oberfläche des Asteroiden auf eine Gelegenheit warte, unbemerkt an Bord eines der dort verankerten Raumschiffe zu gelangen. Für diesen Zweck sei ein Frachter am besten, da solche Schiffe zahlreiche ungesicherte Entladeschächte besäßen

»Nun stehen zwei Möglichkeiten offen«, beendete er seine Worte. »Entweder lassen Sie sämtliche verfügbaren Raumboote bemannen und die Oberfläche des Asteroiden Meter für Meter absuchen. Oder Sie bitten einen der Raumschiffskapitäne, den Asteroiden mit Teleskopen und Massetastern zu sondieren.«

»Die Mordain besitzt ganz hervorragende Instrumente«, mischte Saratow sich ein. Und damit war die Entscheidung schon gefallen. Wellington bohrte seinen Zeigefinger in die Wählscheibe und wies den Funker grob an, ihn mit der Mordain zu verbinden.

Es dauerte, nachdem Professor Luden und Veem Chemile erst einmal den Schlaf abgeschüttelt hatten, kaum zehn Minuten, bis das Resultat der Ortungen vorlag.

Mit einem Raumboot wurde der tote Körper des unglücklichen Biologen geborgen.

Der Leichnam bot beileibe keinen schönen Anblick. Manche Laien, die die Raumfahrt lediglich unter romantischen und abenteuerlichen Aspekten betrachteten, pflegten sich den Dekompressionstod im freien Raum als sehr saubere Sache vorzustellen. Selbstverständlich, der Mann war binnen einer halben Sekunde mausetot gewesen. Aber dann hatten die ultravioletten Strahlen der Sonne die eine Körperhälfte verschmort, während die andere Hälfte in der Raumkälte einen kristallischen Zustand angenommen hatte. Worauf man entschied, daß eine Aufbahrung des Toten unzumutbar sei und den Zinksarg unverzüglich versiegelte.

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15

In aller Frühe stand Clayborn auf, obwohl er sich reichlich unausgeschlafen fühlte. Er weckte Saratow, der wie ein bösartiger Hund reagierte, sich aber bald abregte. Nach dem Frühstück, das natürlich so wenig wie die anderen Klinikmahlzeiten seinen Gepflogenheiten entsprach, hatte seine Stimmung sich fast normalisiert, das heißt, er war gemütlich und friedfertig. Allerdings gähnte er nahezu unaufhörlich. Die Arbeit konnte leider nicht sogleich fortgesetzt werden. Wie an jedem Vormittag, gingen die Experten zunächst ihren Routineaufgaben nach, wozu auch das tägliche Gespräch mit den Patienten gehörte. Und natürlich, obwohl den Sonderfällen eine gewisse Vorrangigkeit zukam, besaßen die anderen auf das offene Ohr und die Hilfe ihrer Betreuer ein uneinschränkbares Recht. Über Anleitung des Personals und Durchführung der Visiten vergingen Stunden. Für Clayborn und Saratow war das Warten zermürbend, aber nicht nur für sie nachteilig - zwangsläufig mußten die sechs restlichen Betroffenen zwei weitere Male die Halluzinationen hinnehmen.

Wie lange noch, dachte Clayborn, können sie es ertragen? Für einen von ihnen war es bereits zuviel gewesen. Ihre Situation mußte schnellstmöglich ein Ende finden. Clayborn machte sich keine Illusionen. Eigentlich standen sie erst am Anfang. Er und Saratow saßen untätig in der Zentralhalle und sahen den Fischen zu. Der Ingenieur nickte wiederholt ein. Endlich tauchte Dr. Li auf und teilte mit, es sei nun möglich, sich den Nachforschungen wieder zuzuwenden.

Die Zusammenkunft fand im Computerraum der Asteroidenklinik statt. Neben Clayborn und Saratow und den beiden Klinikleitern waren alle gerade abkömmlichen Experten anwesend. Der Computer, ein hochmodernes Modell, wurde bereits auf die bevorstehende Aufgabe programmiert.

Der Psycholinguist erläuterte Clayborn das Umsetzungsprinzip. »Wie Sie hier sehen, werden die neurophysiologischen Impulse - wir messen sie übrigens mit goldenen Tiefenelektroden - auf den Diagrammen in Form von Steilkurven registriert. Diese speziellen Diagrammstreifen sind mit Symbolen ausgedruckt, von denen jedes einen tabellarisch erfaßten Sprachoberbegriff entspricht. Da jede Kurvenhöhe ein bestimmtes Symbol markiert, läßt sich der mit gewissen neurophysiologischen Aktivitäten einhergehende Gedankeninhalt in eine rohe sprachliche Form übersetzen. Roh deshalb, weil das Symbolarsenal - der linguistische Code - noch zu wenig differenziert ist.«

»Wo ist die Tabelle?« knurrte Saratow mürrisch. »Am besten kümmere ich mich selbst darum.«

»Die Tabelle«, sagte der Psycholinguist, nachdem er mehrmals schwer geschluckt hatte, »befindet sich in den Speicherbänken des Computers. Sie umfaßt nämlich ungefähr 600 Trillionen Begriffseinheiten aus allen bekannten Sprachen der Galaxis.« Wortlos wandte Penza Saratow sich um und verließ den Computerraum. Anscheinend hielt er es nunmehr für aussichtslos, in diesem Fall noch eine nützliche Rolle einnehmen zu können.

Wahrscheinlich würde er nun versuchen, das Küchenpersonal zu bestechen, um endlich seinen Hunger zu stillen.

»Wieviel Zeit benötigt der Computer zur Verarbeitung dieser Datenmenge?« forschte Clayborn, der sich über das vorlaute Verhalten des Ingenieurs ein wenig ärgerte.

»Maximal drei Stunden«, konstatierte der Chefprogrammierer. »Liegt kein Resultat vor, wiederholt er die Aufrasterung automatisch bis zu dreimal. Diese Praxis, empfiehlt sich, weil es zu den meisten Begriffen sogar in jeder Sprache abweichende Definitionen gibt.«

»Wenn die in der angenommenen telepahtischen Botschaft enthaltenen Begriffsimpulse aber keiner bekannten Sprache entstammen?«

»Dann dauert es um einen unbestimmbaren Zeitraum länger«, sagte der Psycholinguist, »weil der Computer das gesamte Datenmaterial nach dem Negativsystem aussieben muß. Das sich auf dieser Grundlage ergebende Resultat kann Nullwert haben, wenn die Wahrscheinlichkeit sich nur in Stellen hinter dem Komma ausdrücken läßt. Das Kriterium des Ausleseprozesses ist dann nicht mehr der tabellarische Code, sondern der empirische Häufigkeitsgrad der Übereinstimmung von neurophysiologischem Impuls und Gedankeninhalt.«

»Schöne Bescherung«, murmelte Clayborn. In dieser Beziehung mußte er Penza Saratow Genüge tun - nach dem Geschmack eines FTA war dieser Fall wirklich nicht! Er wappnete sich nochmals mit Geduld.

Die Computertechniker ließen, von dem Problem ganz und gar fasziniert, das Mittagessen ausfallen und spulten immer neue rastersystematische Varianten durch die Apparatur. Der Commander aß lustlos. Saratow, der sich zum Essen selbstverständlich einfand, sprach kein Wort. Als die Zentralhalle sich nach Beendigung der Gemeinschaftsspeisung leerte, blieben die beiden sitzen und starrten die Fische an, die sich sorglos in ihrem Element tummelten. Qualvoll langsam verstrichen die Minuten, wurden zu Stunden.

Endlich rief die Lautsprecheranlage sie in den Computerraum. Erregtes Stimmengewirr empfing die beiden Männer, als sie eilig eintraten. Professor Wellington stürzte ihnen entgegen. In seiner Hand flatterte eine Folie.

»Hier.« Seine Stimme klang gepreßt. Die Finger zitterten. Beinahe grob entriß Clayborn ihm den Streifen, las den vom Computer ausgeworfenen Klartext.

A 'Diffusmasse' plus B Geometrika plus C 'Sternkonstellationen' = Ego plus Technika plus Position 'vgl. Raumkubus K 123-657 -903 - Qualifikation: 28, 953416 Oh). Ende.

Clayborn ließ den Streifen sinken und blickte verwundert auf. »Das ist mir nur teilweise klar. Was halten Sie davon?«

Der Psycholinguist trat vor. Er entrollte einen Durchdruck des Streifens. »Die rote Masse, A, wird hier als Ego, als Wesensidentität bewertet - recht merkwürdig, wie ich zugebe. Zu B nun, es lag nahe, die geometrischen Gebilde als Maschinerie oder ähnliches zu deuten. C ist völlig unmißverständlich.«

Unwillig runzelte Clayborn die Stirn. »Wesensidentität? Soll ich das so verstehen, daß die rote Masse die bildliche Wiedergabe jenes Geschöpfes ist, das den telepathischen Ruf sendet?«

»Genau. Ich teile Ihr Erstaunen. Nach herkömmlichen Vorstellungen dürfte ein intelligentes Wesen nicht bloß wie roter Schaumstoff aussehen... Andererseits ist der Wahrscheinlichkeitsgrad mit fast dreißig Prozent ausgeworfen. Das ist, im Verhältnis zum Schwierigkeitsgrad des Problems, außerordentlich hoch.«

Nachdenklich musterte Clayborn die Kennziffern, die den Raumkubus bezeichneten, in welchem der Urheber des telepathischen Impulses sich befinden sollte. Penza Saratwo schaute ihm über die Schulter. Der Atem des riesigen Ingenieurs ging plötzlich schneller.

»Barry... dieser Raumkubus liegt in unmittelbarer Nähe des Solsystems - wahrscheinlich zwischen Sol und Alpha Centauri...« Er zögerte für einen Augenblick. »Falls dieser Jemand - oder dieses Etwas - eine Gefahr ist, Barry, dann ist er eine Bedrohung für Terra selbst. Nach galaktischen Maßstäben hält er sich in der Nachbarschaft von Terra und den anderen Solplaneten auf.« Saratow wog bedächtig seinen wuchtigen, kahlen Schädel und stemmte die Arme in die Hüften. »Die Sache mißfällt mir.«

»Du hast recht.« Clayborn straffte sich. »Das Wesen muß jedoch nicht unbedingt gefährlich sein. Vielleicht ist es in Not.« Er wandte sich wieder an den Psycholinguisten und erkundigte sich, ob die Umsetzung aus einer der bekannten galaktischen Sprachen erfolgt sei. Der Experte verneinte. Darauf wollte der Commander wissen, ob die Positionsangabe wirklich über jeden Zweifel erhaben sei. Er könne sieh vorstellen, daß die Umsetzung numerischer Daten sich schwieriger gestalte. Vom Chefprogrammierer mit detaillierten Argumenten unterstützt, versicherte der Psychlinguist, das exakte Gegenteil treffe zu. Clayborn wartete nicht mehr, bis die beiden Männer ihre ausgedehnten Exkursionen über binarische und andere Zahlensysteme beendeten. Er begann zu handeln, schnell, überlegt, mehrgleisig und mit kaltblütiger Entschlossenheit.

Während er dem Professor und Dr. Li die Hände schüttelte, wies er Saratow an, sich mit der Mordain in Verbindung zu setzen und das Schiffstartklar machen zu lassen. Er stürmte hinaus, den Computerstreifen in der Hand. »Luden - er möchte einen HybeamKontakt mit Weyburn herstellen«, rief er noch, bevor er die Tür des Computerraums zuschlug.

Jetzt, jetzt war es soweit! Der eigentliche Einsatz lief an.

––––––––


16

Professor Luden und Veem Chemile lauschten schweigend, in größter Aufmerksamkeit, dem kurzen, aber alles berücksichtigenden Bericht, den Clayborn gab. Saratow kommentierte manche Aspekte auf seine Weise.

Das ungewöhnlich hohe Beschleunigungsvermögen der Mordain stürzte das Raumschiff, obschon seit dem Abflug kaum dreißig Minuten vergangen waren, bereits der Plutobahn entgegen. Eine Vielzahl hastiger Funksprüche und HybeamImpulse zwitscherte durch den solaren Raum. Planetare Stationen auf Pluto und Satellitenvorposten bedrängten die Mordain mit wütenden Anfragen, ob sich ein Amokläufer der' Kontrollen bemächtigt habe. Chemile hatte die Steuerung jedoch längst dem Schiffscomputer übergeben und beschränkte sich darauf, die eingehenden Funksendungen zu registrieren. Nur gelegentlich erteilte er knappe Auskünfte, um die gröbsten Mißverständnisse auszuräumen.

»Weyburn«, meldete der Navigator etwas später »Ich schalte hinüber. Barry.«

Clayborn schwenkte den Kommandosessel um neunzig Grad und sah, wie das bullige, hakennasige Gesicht des Direktors verzerrt über den HybeamSchirm flimmerte, dann klärte sich das Bild. Weyburns Miene war gereizt.

Natürlich hatte die überraschende Wendung, die. der Fall genommen hatte, ihn ziemlich außer Fassung gebracht, aber er war kein Mann, der aus persönlichem Erstaunen auch nur die geringste Zeit verlor. Sofort nachdem Clayborn ihn verständigt hatte, war er an die Entfaltung reger dienstlicher Tätigkeiten gegangen. Man sah ihm an, daß das Resultat ihn nicht befriedigte. »Die Hybeam-Konferenz wurde gerade beendet, Barry«, eröffnete der Direktor des terranischen Überwachungsdienstes übellaunig. »Das Flottenoberkommando gebärdete sich natürlich wie rasend. Ich habe vergeblich klarzumachen versucht, daß für das Solsystem keine unmittelbare Gefahr besteht, aber wie du weißt, kann ich in rein militärische Zuständigkeiten nicht eingreifen. Die Admiralität hat trotz meiner gegenteiligen Ratschläge darauf bestanden, Verbände der Heimatflotte zu alarmieren und nach K 123-657-903 zu schicken.«

Clayborn stieß einen erbitterten Fluch aus. »Mit welchen Befehlen?«

»Das Objekt orten und restlos vernichten, falls erforderlich.« Die dicken Tränensäcke unter den Augen des Direktors hatten eine dunkle Färbung angenommen. Offenbar beeinträchtigte der Ärger seinen Kreislauf. »Ich kann es nicht ändern, Barry. Versuch du, an Ort und Stelle etwas zu erreichen. Viel Glück. Ende.«

»Das nenne ich Overkill«, sagte Luden schleppend. »Ein einziges Objekt im externen Solbereich, von dem die Admiralität nichts wußte - und man schickt Flottenverbände, die ganze Sonnensysteme in glühende Gase aufzulösen vermögen.« Traurig schüttelte er den Kopf.

Nervös kaute Clayborn auf seiner Unterlippe. Die Lage war, was seine Absichten betraf, wenig verheißungsvoll. Wenn die Kampfraumer das Objekt früher orteten als die Instrumente der Mordain, würden sie es, falls es auf den ersten Kontaktversuch nicht unverzüglich reagierte, schon aus großer Entfernung vernichten. Der Commander wußte über die Leistungsfähigkeit der Waffen, die den MALACA-Flotten zur Verfügung standen, nur zu gut Bescheid. Er durfte nicht länger zögern.

»Verbindung mit den Kommandanten«, befahl er knapp, fast unfreundlich. »Veem, beeile dich.« Ungeduldig hörte er den Navigator in seine Mikrofone murmeln. Aus den Lautsprechern pfiffen und zwitscherten Radioimpulse, die von fremden Funkgesprächen und galaktischen Strahlungsquellen stammten. Das Brummen und Zirpen von strahlungsintensiven Sonnen - eine ständige Ursache von Störungen - schwoll auf und nieder.

»Verdammt, was ist denn?«

»Eine Sekunde noch.« Der chamäleonhafte Navigator ließ sich nicht beirren. Trotz seiner Ungeduld wußte Clayborn das zu schätzen. Er stellte das Mahlen seiner Kiefer ein und straffte sich in seinem Kommandosessel.

Der Hybeam-Schirm erhellte sich erneut. Ein Uniformierter war am Apparat kühläugig, gelassen - natürlich, wie sonst? Der Mann identifizierte sich als Funkoffizier Mertens von MALACA 1 und erkundigte sich nach den Wünschen des Commanders.

Bevor Clayborn sich äußern konnte, würde die Hybeam-Verbindung doppelt geschaltet.

Funkoberoffizier Mertens Abbild schrumpfte zusammen, und plötzlich füllte ein anderes Porträt die eine Bildschirmhälfte aus, vom andern durch eine dünne schimmernde Naht getrennt. Der zuletzt eingeblendete Offizier meldete sich ebenfalls. Es war der Funkoffizier von MALACA 2. Clayborn faltete in unnachahmlicher sorgloser Geste, die keineswegs seinem Gemütszustand entsprach, die Hände auf der Brust, so daß die beiden Offiziere es sehen mußten. Er musterte die beiden mit einem Blick, aus dem nichts sprach als Unnachgiebigkeit und Härte. »FTA Clayborn«, stellte er sich vor. ,,Sonderauftrag. Ihre Kommandanten.« Zugleich legten die beiden Offiziere die Stirnen in Falten. Mertens lächelte spröde. Die Männer wußten nicht, daß sie sich einen Hybeam-Schirm teilten. »Commander Ngrombo ist beschäftigt«, sagte Mertens, und eine halbe Sekunde später näselte der andere: »Unmöglich.« Dann fragten beide wie aus einem Munde: »Kann ich etwas ausrichten?«

Clayborn enthielt sich eines Grinsens. Genau das hatte er erwartet - schließlich waren solche Schwierigkeiten ihm alles andere als neu. Das typische Verhalten der beiden Offiziere erheiterte ihn lediglich, weil er es bei dieser Gelegenheit einmal synchron studieren konnte.

»Keine Diskussion«, schnarrte der Commander. »Vergessen Sie nicht, daß die Sicherheitsbehörden mehr wissen als Sie. Es geht um höhere Belange. Also...« Er widmete ihnen ein kollegiales Lächeln. Einen Moment lang starrten die beiden ihn mit Mienen an, die erhöhte Feindseligkeit, aber auch wachsende Unsicherheit signalisierten. Dann verschwand der Funkoffizier mit dem Namen Mertens vom Bildschirm; der andere knurrte, Clayborn werde sich zu verantworten haben, gab aber ebenfalls nach.

Veem Chemile aktivierte einen Nebenbildschirm der Hybeam-Anlage. Die Schirme flackerten und summten. Schließlich schälten die markanten Gesichter der Befehlshaber von MALACA 1 und 2 sich auf den Mattscheiben heraus. Commander Ngrombo von MALACA 1 war ein dunkelbrauner Afrikaner hohen Alters, ein weit über den militärischen Bereich hinaus bekannter, außerordentlich erfahrener Raumsoldat, der im Verlauf seines ereignisreichen Lebens die halbe Galaxis kennengelernt hatte - ein Mann, vor dem auch Clayborn hohen Respekt empfand. Ngrombos kurzes, krauses Haar war schlohweiß und stand zu seiner dunklen Haut in seltsamem Kontrast. Seine hellen Augen schienen wie in Blut getaucht, so viele winzige Äderchen waren im ehemaligen Weiß der Augäpfel geplatzt - Folge von abrupten Manövern, welche die Gravitationsstabilisatoren der Raumschiffe überfordert hatten. Clayborn kannte nur Filmaufnahmen dieses bedeutenden Terraners, aber er sah sofort, daß stimmte, was man dem Mann sagte. Es war unmöglich, seinem durchdringenden, furchterregenden Blick standzuhalten.

Der Befehlshaber von MALACA 2 - der zweiten Heimatflotte der Großräume Sol und Alpha Centauri - war Commander Xot, ein gebürtiger Marsianer, der zumindest innerhalb der Flotten des um Terra gescharten Weltenbundes einen gewissen Ruf besaß. In mehreren waghalsigen Einsätzen hatte er sich hervorragend ausgezeichnet. Allerdings galt er als rücksichtslos und starrsinnig. Sein hellhäutiges Gesicht, das auf dem Nebenbildschirm flimmerte, drückte Mißgunst aus. Clayborn wußte, daß er ein Höchstmaß an Langmut und Sachlichkeit brauchen würde, um diese beiden soldatischen Persönlichkeiten überzeugen zu können. Für sie stand die absolute Sicherheit Terras, des ganzen Solsystems und der Nachbarsektoren, im Vordergrund. Und das war schließlich verständlich und anerkennenswert; ohne Männer wie Ngrombo und Xot wäre die Situation des terranisch orientierten Weltenbundes in der Galaxis politisch und militärisch womöglich bedeutend ungünstiger. Clayborn besaß Vertrauen zu ihnen, wenn auch kein schrankenloses.

»Wir haben ein gemeinsames Ziel«, konstatierte Clayborn, nachdem er sich nochmals identifiziert hatte, »nämlich das in K 123-657-093 gemeldete Objekt. Ich möchte, daß keine voreiligen Aktionen stattfinden. Kurz gesagt, ich bestehe ausdrücklich darauf, alle Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme zu nutzen, solange unseren Einheiten keine offenen und unmißverständlichen Feindseligkeiten entgegen gebracht werden.«

»Die Admiralität hat dies Vorgehen bereits erwogen und als zu riskant verworfen«, antwortete Ngrombo. »Können Sie neue Argumente nennen?«

»Selbstverständlich«, begann Clayborn zu bluffen. »Nach Auffassung der wissenschaftlichen Berater meines Teams haben Sie einen erheblichen Risikofaktor mißachtet, der mit Ihrer Absicht verbunden ist. In dem Objekt - höchstwahrscheinlich ein Raumschiff befinden sich telepathisch befähigte Wesen. Ein Alarmruf an ihre Heimatwelt dürfte auf telepahtischem Wege in Sekundenschnelle erfolgen können - schneller jedenfalls, als Sie in der Lage sind, das Objekt zu vernichten.«

In Wirklichkeit war der Commander von der Schlüssigkeit seiner Argumentation wenig überzeugt. Die Logik stimmte, aber wie stand es um die Voraussetzungen? Details über telepathische Praktiken, die ihm bekannt waren, ergaben kein einheitliches Bild. Niemand wußte, ob die Reichweite telepathischer Impulse beschränkt oder unbegrenzt war. Seine Argumentation war auf eine militärische Denkweise kalkuliert.

»Die Folgen könnten in der Tat verheerend sein.« Commander Ngrombo murmelte nur. Der Blick seiner blutumränderten Augen wirkte gleichbleibend starr. Clayborn verzichtete auf eine Ergänzung, um keinen übereifrigen Eindruck zu erwecken. Er nickte bloß.

»Es ist anzunehmen, daß das fremde Schiff einen Späherauftrag erfüllt«, behauptete Commander Xot unverfroren. Seine Stimme klang hart. »Unverzügliche Eliminierung könnte der Übermittlung wertvoller Daten an die Heimatwelt zuvorkommen.«

»Falls der Fremde tatsächlich einer Spionagetätigkeit nachgeht, dürfte die Übermittlung wichtiger Informationen bereits laufend erfolgt sein«, erwiderte Clayborn. Er verbarg seine Nervosität. »Dies läge im Interesse einer raschen Auswertung.«

»Ich pflichte Ihnen bei.« Ngrombo wandte seinen unangenehmen Blick seitwärts, zum HybeamNebenschirm seiner Kommandozentrale, auf dem er Xot sah. »Ich schlage vor, Commander Clayborns Hinweise zu berücksichtigen.«

Der Marsianer knurrte halblaut. »Was beabsichtigen Sie, Commander?«

»Reagiert das Schiff nicht auf Kontaktversuche, werde ich mich mit meinen Leuten bemühen, an Bord zu gelangen. Zu diesem Zweck bedinge ich mir eine Frist von sechs Stunden aus. Mißlingt meine Aktion, bin ich damit einverstanden, daß Sie den Fremden vernichten.«

»Eine unnötige Gefährdung Ihres Lebens«, kommentierte der weißhaarige Afrikaner. »Aber da Sie Freier Terranischer Agent sind, steht es Ihnen auch frei, Ihren Hals zu riskieren.« Nichts in seiner Miene oder seiner Stimme erlaubte den Schluß, daß er sich lustig machte, und wahrscheinlich war es ihm mit dieser Feststellung völlig ernst. »Ich akzeptiere. Finden Sie sich jedoch damit ab, daß wir das Objekt auch vernichten, wenn Sie an Bord gelangen, wir aber nach Ablauf der Frist keinen Kontakt mehr mit Ihnen bekommen.«

»In Ordnung.« Clayborn hatte nicht im geringsten gezögert. Hinter sich vernahm er Saratows unwilliges Grunzen.

Commander Xot erklärte ebenfalls sein Einverständnis mit dieser Regelung. Clayborn vermutete allerdings, daß er es mehr aus Rücksicht auf die Meinung des älteren Ngrombo tat. Die Verbindung wurde unterbrochen. Penza Saratow begann zu murren. Er sei kein Feigling und jedermann wisse das, aber die Aussicht, eventuell von den eigenen Leuten in seine Atome aufgelöst zu werden, mißfalle ihm ganz besonders.

»Verstehe ich dich richtig?« gab Clayborn sich enttäuscht. »Du möchtest an Bord der Mordain bleiben?«

»Ich?« Der Reise von Droom brauste auf. »Barry - wie kannst du so etwas überhaupt nur denken! Natürlich begleite ich dich! Wenn es sein muß, folge ich dir in die Hölle.«

»Versprich nicht zuviel«, antwortete Clayborn lächelnd. »Kann sein, daß du es heute schon tun mußt.« Aber natürlich wußte er, daß er sich auf den Schiffsingenieur voll verlassen konnte.

Er drehte seinen Sessel und wandte sich an Chemile. »Position?«

Die Mordain war vor fünf Minuten in den Bereich des Raumkubus K 123 -657-903 eingedrungen, und der mit dem zentralen Schiffscomputer gekoppelte Autopilot verminderte schubweise die Geschwindigkeit, als sie in das programmierte Zielgebiet einflogen. Die Ortungsinstrumente arbeiteten mit Maximalleistung. Sie erfaßten eine Vielzahl von Meteoren verschiedener Größen, außer Betriebbefindliche Relaissatelliten und hier und dort das Trümmerstück eines verunglückten Raumschiffs.

Dann erschien das Echo eines größeren Objekts auf den Ortungsschirmen.

»Saratow - manuelles Bremsmanöver, schnell« Clayborn hörte, daß seine Stimme plötzlich belegt klang. »Chemile - die Instrumente einpeilen. Die Teleskopkameras.«

Der Navigator richtete die Antennen der Ortungsinstrumente direkt auf das Objekt und justierte die Teleskopkameras, die auf der Hülle der Mordain montiert waren, auf maximale Vergrößerung.

Zuerst liefen die Daten über Clayborns Monitor. Das Objekt war grob walzenförmig, besaß keine nennenswerten Extremitäten, jedoch eine Länge von ungefähr achthundert Metern und einen Durchmesser von einhundertzwanzig. Im Innern des Körpers ließen sich lediglich schwache energetische Aktivitäten anmessen. In einigen Abschnitten der Walze waren Wärmequellen nachweisbar, andere, ausgedehntere Teile standen unter Weltraumtemperatur.. Das Objekt rotierte sehr langsam um die Längsachse.

Ein langgestreckter Schatten flimmerte verschwommen, vor dem Hintergrund verwaschener Sterne, über den Großbildschirm des Kontrollraums, dann optimalisierte sich die Bildschärfe.

»Bei allen...«

Ja, es war ein Raumschiff, woran Clayborn eigentlich nie gezweifelt hatte, weder besonders auffällig geformt noch von erdrückender Größe, aber schon der erste Blick verriet, daß es -

zumindest in technischer Hinsicht - keine Gefahr bedeutete. Was sich im Innern verbergen mochte, war eine andere Frage.

Es war alt, uralt. Die Hülle war rundum eine wahre Kraterlandschaft, pockennarbig, durchlöchert und oberflächlich zerbröckelt. An mehreren Stellen des Rumpfes klafften ausgezackte Lecks. Wie lange mußte ein Schiff durch den Raum treiben, um mit einer solchen Menge von Meteoren zu kollidieren? Diese Zerstörung, diese stückweise Zertrümmerung war das beharrliche Werk von Jahrtausenden, vielleicht zehntausend Jahren oder mehr. Man traf nicht eben selten auf Meteore, die zufällig auf Kollisionskurs lagen, aber das...

Vielleicht war dieses Schiff älter als die Menschheit. Konnte noch Leben darin existieren? Einen Moment lang hatte Clayborn die erschütternde Vision einer verschollenen Raumschiffsbesatzung, die, von aller Hilfe abgeschnitten, in endloser Generationenfolge, ohne Hoffnung, aber auch ohne Furcht, ein kümmerliches Leben an Bord eines Wracks weitervererbte, ein Leben, das kein Ziel und keine Freude kannte, dessen einzige Abwechslung Meteoreinschläge waren. Wesen, geformt von Kälte, Dunkelheit und harten Strahlungen... mußten es nicht ungefüge Monster sein, die den letzten funktionierenden Speiseautomaten anbeteten wie einen Gott, der Leben spendete? Telepathisch begabte Mutanten? Clayborn schüttelte seine beunruhigenden Spekulationen ab. Sie waren sinnlos. Es galt, sich mit eigenen Augen zu überzeugen, eine Methode, der er schon immer vertraut hatte.

Chemile unterrichtete MALACA 1 und 2 von der Entdeckung. Dort hatte man das Schiff mittlerweile ebenfalls ausgemacht. Beiläufig bemerkte Clayborn die energetischen Ausbrüche, als die Flotteneinheiten ihre Bremsmanöver einleiteten. Die fernen Treibwerksmissionen wirkten wie ein Wetterleuchten am Rande der Galaxis. Wenn in diesem Wrack jemand lebte und nur einen intakten Bildschirm hatte, war es ihm geradezu unmöglich, die einfliegenden Verbände zu übersehen. Vielleicht, dachte Clayborn sarkastisch, brüllt er jetzt vor Lachen über dieses Aufgebot.

Aber ein solches Lachen konnte zwei Gründe haben. Nein, fügte er dann in Gedanken hinzu. Wer in diesem halb toten Apparat vegetieren mußte, hat das Lachen, falls er es je konnte, inzwischen verlernt.

––––––––


17

Der graue, fast zerklüftet zu nennende Rumpf des Wracks wuchs vor ihnen zu bedrohlichen Dimensionen an, füllte schon fast den ganzen Gesichtskreis aus. Die Mordain hatte fünf Kilometer entfernt Warteposition bezogen. Der längere Teil der Strecke lag hinter ihnen.

Die Rückstoßdüsen der Raumanzüge trugen Clayborn, Saratow und Chemile rasch der mißhandelten Hülle des fremden Raumers entgegen. Einige Dutzend Kilometer entfernt bildeten die Flotteneinheiten einen dichten Ring, der das Wrack und die Mordain einschloß. Es war eine Falle, aus der es kein Entrinnen gab, und nun empfand auch Clayborn das Bewußtsein, sich im Zielgebiet terranischer Superwaffen aufzuhalten, als unangenehm. Jeder der Kampfraumer für sich wäre gegen das sternenübersäte All kaum zu sehen gewesen, aber es war ihre Menge, die sie schimmern ließ wie ein Schwarm silberner Fische. Voraus sah man keine Sterne mehr, nur Krater, Beulen, Einschläge und Risse, grau, eintönig und abweisend wie die Oberfläche des terranischen Mondes, Luna. Clayborn blickte auf den Chronometer im Handgelenk des Raumanzugs. Die Frist lief seit vierundzwanzig Minuten.

Weder auf die Anrufe der beiden Flotten noch auf die der Mordain war von Seiten des Fremden auch nur die geringste Reaktion erfolgt, obwohl man es im Hybeam-Bereich sowie in allen üblichen Unterlichtfrequenzen versucht hatte. Auch am Wrack selbst rührte sich nichts. Es schien leblos, verlassen. Kein einziger Lichtfunken fiel aus dem mächtigen Rumpf.

Und dennoch mußte dieses uralte Wrack die Quelle telepathischer Impulse sein, die sieben Menschen Unglück gebracht, einen davon sogar indirekt getötet hatten.

Clayborn glaubte nicht an Geister und Gespenster. Wenn der Urheber jener Impulse sich in diesen Tonnenmillionen von Schrott verbarg, so mußte er Fleisch und Blut besitzen - oder wenigstens einen Körper aus vergleichbaren Stoffen - und greifbar sein. Notfalls also auch angreifbar.

Er desaktivierte die Rückstoßdüse, und die beiden anderen, die ihm in geringer Entfernung folgten, taten es ebenfalls. Die erreichte Schubkraft trieb sie in freiem Fall näher.

Unmittelbar vor der Oberfläche des Wracks streckte er die Beine aus, um den Aufprall abzufangen. Mit einem heftigen Stoß berührten die Magnetsohlen seines Raumanzugs das graue Material - und Clayborn fühlte sich von einer unsichtbaren Gewalt rückwärts geschleudert. Er trudelt haltlos ab, überschlug sich mehrfach und geriet in eine rasche Schraubenbewegung, bevor er reagierte und die Rückstoßdüse wieder einschaltete. Als er sich orientierte, sah er, daß es Saratow ähnlich ergangen war, aber auch der Ingenieur begann seinen Fall bereits aufzufangen. Aus Clayborns winzigem Helmlautsprecher drang das rohe Fluchen des Riesen.

»Barry an Mordain«, murmelte der Commander in sein Kehlkopfmikrofon. »Objekt erreicht. Antimagnetische Hülle. Suchen Leck. Ende.«

Professor Luden, der an Bord der Mordain zurückgeblieben war, bestätigte. Allen Mitgliedern des Teams war klar, daß ihre Kommunikation auf den Flaggschiffen von MALACA 1 und 2 mitgehört wurde, so klar, daß keiner der vier auch nur eine Bemerkung dazu machte. Clayborn hatte nicht einmal etwas dagegen. Er betrachtete solche Dinge nüchtern. Außerdem ersparte dieser Umstand ihm später - falls es dazu kam - weitläufige Erklärungen. Er war kein Freund vieler Worte. Aufmerksam studierte er die Hülle, die nur wenige Meter entfernt war und sich bis an die Grenzen seines Blickfelds erstreckte. Ähnlich war es, stand man auf der Oberfläche eines Asteroiden. Oberhalb ihrer Position, wo die Wölbung des Walzenrumpfes mit dem Nachtschwarz des Alls verschmolz, gähnte eine Öffnung mit einwärts gefransten Rändern, schätzungsweise vom Durchmesser eines Garagentors. Dieses Loch bot sich als Einstieg geradezu an, wenn es auch nicht unbedingt einladend wirkte. Die Zeit drängte; schließlich ließ sich nicht vorausschauen, auf welche Hindernisse sie noch im Schiffsinnern treffen würden.

Mit eingeschalteten Helmscheinwerfern, die Rückstoßdüsen auf Minimalleistung gestellt, schwebten sie auf das Loch zu. Das graue Material war auch rings um die Ränder der Einschlagstelle stark verformt. Beim Aufprall mußte es zu einer enormen Hitzeentwicklung gekommen sein. Die Randfransen schillerten glasiert.

Behutsam tauchten die drei in die Finsternis ein. Die Lichtkegel ihrer Scheinwerfer erhellten den mehrere Meter breiten Schacht, den der Meteor, vermutlich ein Exemplar mitmassivem Eisenerzkern, mit ungeheurer Wucht in das Raumschiff gebohrt hatte. Er mußte noch im Innern stecken. Die Schachtwände waren fast rundum aus verhärteter Schmelzmasse, in der sich die Umrisse von undefinierbaren Gegenständen abzeichneten, die das interstellare Geschoß mit gewaltigem Druck zerteilt und seitwärts geschoben hatte. Es gab zahlreiche, unregelmäßige Lücken, aber keine war groß genug, einem Mann Durchlaß zu gewähren. Clayborn informierte Luden von ihren Eindrücken, während sie in den Schacht vordrangen.

Er blickte auf dir Uhr, murmelte eine halblaute Verwünschung. Schon dreiundfünfzig Minuten nach Fristbeginn!

»Keine Zeit zum Gaffen«, schnarrte er. »Penza, schaffe uns freien Weg. Wir müssen in die intakten Schiffszellen.«

Der Ingenieur wußte Bescheid. Während Clayborn und Chemile sich um einige Meter zurückzogen, richtete der Riese seine Dione auf die Schachtwand, ein Vorgehen, das nicht ungefährlich war, denn falls das Material sich widerstandsfähiger zeigte als erwartet, konnte es zu heftigen Energiereflektionen kommen.

Ein fingerdicker Energiestrahl zuckte auf. Das Material erglühte, erst rot, dann grellweiß. Eine Hitzewelle breitete sich aus. Saratow winkte beruhigend. Anscheinend klappte es.

Clayborn spürte nach einer Weile, obwohl die Klimaanlage des Schutzanzugs auf Hochtouren lief, Schweiß in den Achselhöhlen. Der Ingenieur setze die Dione als Schneidbrenner ein, um eine etwa eineinhalb Meter durchmessende, runde Scheibe aus der Schmelzmasse zu lösen.

Sie warteten, bis die Glut erkaltete. Unterdessen berichtete Clayborn an die Mordain. Luden war von ihrer Metthode, sich einen Zugang zu machen, wenig begeistert.

»Stellt euch vor«, seufzte er,,, neben dem. Schacht befände sich ein Saal, in dem fremde Lebewesen in Tiefschlafbehältern ruhen. Welchen Schaden hätte die Dione anrichten können! Von der Art, euch als Stellvertreter der Menschheit einzuführen, will ich gar nicht reden. Solche Leichtfertigkeiten können interstellare Kriege verursachen.«

»Gewiß«, brummte Clayborn. »Falls es jedoch in diesem Abschnitt des Raumers jemals Leben gegeben hat, so ist es durch den Meteor schon seit langem ausgelöscht.« Er beugte, sich vor. Der Lichtkegel seines Helmscheinwerfers fiel durch das runde Loch. Die herausgelöste Scheibe sank langsam, noch Hitze ausstrahlend, in die Tiefe des Tunnels hinab. »Ich sehe zwar einen Saal, aber keine Spur von Leben. Er scheint sogar leer zu sein.« Clayborn schob sich zuerst durch die Öffnung. Abgesehen von Deformationen der dem Schacht zugekehrten Saalwand. zweifellos entstanden durch den Meteoreinschlag, war die langgestreckte, rechteckige Räumlichkeit, in die er gelangte, als weitgehend intakte Konstruktion zu bezeichnen. Nach Länge und Höhe handelte es sich tatsächlich um einen riesigen Saal. Er enthielt keinerlei Einrichtung oder Maschinerie, nicht einmal kleinere Geräte oder Apparaturen. Dennoch war er nicht völlig leer.

Der Boden war von einem weichen, vormals wahrscheinlich schleimigen Belag bedeckt, ungleichmäßig hoch, aber so weit, wie das Scheinwerferlicht es erkennen ließ. Es schien so, als sei dies der Rückstand von Objekten, die ursprünglich ganz anderer Natur gewesen waren, bis sie, im Verlauf von Jahrtausenden, verfielen oder vertrockneten. Jedenfalls hatte es sich demnach nicht um metallene Gegenstände gehandelt, aber auch nicht um organische Verbindungen, denn der Belag war keineswegs pilzartig, wie es nach einem langen Prozeß des Verschimmele und Modems zu erwarten gewesen wäre.

Clayborn bemerkte, daß auch hier, im Innern des Wracks, Nullschwerkraft herrschte. Die Gravitationsgeneratoren funktionierten nicht mehr. Saratow und Chemile waren ihm in die ausgedehnte Räumlichkeit gefolgt. Im Licht ihrer Scheinwerfer erkannten sie auf der gegenüber liegenden Seite die Umrisse eines mächtigen, quadratischen Schotts.

»Sauerei«, schimpfte Penza Saratow. »Das erinnert mich an eingedickte Marmelade.«

»Gar kein übler Vergleich«, bestärkte Chemile den Ingenieur. »Deine bildhafte Sprache ist so bewundernswürdig, daß ich mich frage, warum du nicht Philosoph geworden bist.«

»Was? Und ich dachte immer, Penza sei einer«, frotzelte Clayborn. Es schien ihm angebracht, ein wenig für die Moral zu tun. Akute Gefahr bestand augenscheinlich nicht, aber der finstere, schweigende Bauch des vorzeitlichen Schiffsriesen wirkte außerordentlich bedrückend.

Der Ingenieur antwortete nicht, sondern fing an, das große Schott eingehend zu untersuchen. Seine behandschuhten Finger glitten über die metallisch glänzende Fläche, betasteten den Rahmen. »Eine molekularverdichtete Leichtmetallegierung«, verkündete er im Tonfall absoluter Sicherheit. »Völlig korrosionsfrei, wie ich sehe. Sehr bemerkenswert.« Er grunzte. »Mir scheint, das Ding läßt sich nur von der anderen Seite her öffnen. Ich fürchte, wir müssen nochmals Gewalt anwenden.«

Diesmal dauerte das Zerstörungswerk nur wenige Sekunden. Das Schott war großflächig, aber dünnwandig. Im Hitzestrahl der Dione verpuffte das Leichtmetall - es besaß sehr starke Ähnlichkeit mit Aluminium - wie eine Motte in offenem Feuer. Im Auflodern einer blauen Stichflamme brannte das Schott bis auf die Umrandung aus. Heiße, silberne Tröpfchen spritzten nach allen Seiten davon.

Dahinter glomm schwaches Licht. Sie blickten in einen schmalen Gang mit gewölbter Decke, an der, befestigt an dünnen Verstrebungen, eine Art Schiene entlanglief. Das matte Licht entstammte einer ovalen Leuchtfläche; es gab eine Reihe weiterer solcher Flächen, die aber dunkel waren. Ihre Magnetsohlen hafteten nun. Schwerfällig stapfend folgten die drei dem Verlauf, den der Gang nahm. Er führte geradeaus. Nirgendwo trafen sie auf Abzweigungen. Auch hier, wie in dem Saal, den sie durchquert hatten, fehlte jede Atmosphäre. Das allerdings war das geringste Problem. Die Konzentratvorräte der Sauerstoffbehälter reichten für einen Zeitraum von 48 Stunden, bei Drosselung der Zufuhr sogar etwa 60 Stunden. Bis dahin konnte viel geschehen.

Unterwegs berichtete Clayborn wiederum an Professor Luden. Schließlich, nachdem sie beinahe zehn Minuten lang marschiert waren, endete der Gang. Vor ihnen erhob sich erneut ein Schott aus jener hellen Legierung. Wieder entdeckten sie keinen Öffnungsmechanismus.

Obwohl Clayborn allmählich Bedenken empfand, auf diese Weise fortzufahren, ließ er das neue Hindernis ebenfalls mit Saratows Dione zerstrahlen.

Und wieder gelangten sie in einen riesigen Raum, dessen Boden eine zähe Ablagerung überzog. Ansonsten war dieser zweite Saal so kahl wie der vorherige.

Clayborn öffnete den Mund, um seiner Enttäuschung Ausdruck zu geben, aber er kam nicht dazu, diese Absicht zu verwirklichen.

Denn in diesem Moment klaffte vor seinen Augen ein gewaltiges Maul auseinander, bleckte messerscharfe Zahnreihen, hinter denen ein gefleckter Schlund zuckte. Der ungeheure Rachen überragte alles... Clayborn fühlte sich wanken, ruderte mit den Armen. Wo waren...?

»Barry!« Ein heiseres Aufbrüllen von Saratow, dem die sich explosionsartig ausbreitende Hitzewelle eines neuen Strahlenbündels aus der Dione folgte.

––––––––


18

»Was... was war das?« Die leise Stimme des Ingenieurs glich dem Wispern unendlich ferner Sterne.

Sie hatten es alle drei gesehen, für vier oder fünf Sekunden, aber es war keine dingliche Wirklichkeit gewesen.

»Eine Halluzination«, krächzte Clayborn, »absichtlich und gleichzeitig in unsere Hirne projiziert...« Seine weiteren Gedanken verschwieg er. Wesen, denen eine solche Fähigkeit eigen war, geboten über eine furchtbare Waffe. Was vermochte jemand schon auszurichten, der seiner eigenen Sinne nicht sicher sein konnte?

Der Strahlschuß aus Saratows Dione hatte in der Umgebung einige verkohlte Flecken hinterlassen, sonst aber keinen erheblichen Schaden verursacht. Die Hauptgefahr bestand in solchen übereilten Reaktionen, überlegte Clayborn. Wie leicht konnte, unter dem Eindruck einer plötzlichen Halluzination, einer den anderen vom Leben zum Tode befördern...

Noch viereinhalb Stunden dauerte die Frist. Sie durchquerten den zweiten Saal nicht der Länge nach, sondern schnitten einen Durchstieg in die rechte Seitenwand. Der erste Ansatz mißlang. Offenbar hatten sie an dieser Stelle die Innereien einer computerähnlichen Maschine enthüllt, denn hinter der Wand konnten sie auf viele Meter nichts ausmachen als ein dichtes Gewirr von Kontakten, Relais, Kabeln und Schaltungen. Die Apparatur lag still und kalt.

Der zweite Versuch verschaffte ihnen Zutritt in eine winzige Nebenkammer, die absolut nichts enthielt; sie besaß einen Ausgang, der einer konventionellen Tür ähnelte. Der Zweck der Kammer blieb unklar.

Der Ausgang führte sie eine Art Korridor, breiter und höher als der Gang, den sie zuvor benutzt hatten. Er war hell erleuchtet; fast alle der ovalen Leuchtflächen brannten noch. Unter der gewölbten Decke verlief ebenfalls eine Schiene. Beide Wände wiesen quadratische, in Hüfthöhe gelegene Nischen auf diese Konstruktionen erinnerten stark an Schiebetüren.

Sie schritten den Korridor hinunter. Clayborn schilderte Professor Luden, was sich inzwischen ereignet hatte. Der Wissenschaftler riet zu äußerster Vorsicht, aber konnte sich natürlich nicht dem Einwand verschließen, daß Eile genauso angebracht war.

Der Korridor war sehr lang. Nach einer Weile erreichten sie eine Biegung - und standen überraschend vor einer stahlgrauen, glatten Wand, die ihnen den Weg versperrte. Das Hindernis wirkte außerordentlich massiv.

»Eine Sackgasse in einem Raumschiff?« wunderte sich Chemile. »Ich kenne viele raumfahrende Spezies mit recht eigenwilligen Konstruktionsprinzipien, aber so etwas ist doch sehr seltsam.«

»Egal, wir müssen hindurch«, drängte Saratow. »Irgendwo muß es doch eine Zentrale geben, einen Kontrollraum. Wenn jemand an Bord ist, hält er sich höchstwahrscheinlich dort auf.« Erneut zog der Riese seine Dione.

Das Resultat bereitete ihnen einen Schock. Die stahlgraue Wand schien den fingerdicken Hitzestrahl der Waffe ohne Umstände zu absorbieren. Das Strahlenbündel verschwand reflektionsfrei in dem Material, das nicht den geringsten Schaden erlitt, sich nicht einmal verfärbte. Nach einigen Minuten, als die Hitze im Korridor nahezu unerträglich geworden war, gab Saratow den Beschuß auf. Die Wand war glatt und wies keine Spur von Einwirkung auf.

»Verdammt, so etwas gibt es doch nicht!« lärmte der Ingenieur. Clayborn sah, daß sein mächtiger, kahler Schädel unter der Sichtscheibe des Raumhelms von Schweiß glitzerte. »Das ist einfach unmöglich.«

Wutschnaubend trat Saratow einige Schritte vor und holte mit der rechten Faust weit aus, um einen kräftigen Schlag gegen das erstaunlich widerstandsfähige Material zu führen. Sein Arm schoß vor, ehe der Commander den Wutausbruch lindern konnte... und Saratows Faust drang ungehindert durch die stahlgraue Fläche! Das eigene Körpergewicht ließ den Ingenieur - Clayborn hörte ihn verblüfft aufkeuchen - vorwärts taumeln. Sein Oberkörper sank in die Wand ein, als bestünde sie aus Luft, und dann sah man nur noch in Bodenhöhe die ausgestreckten Beine herausragen. Ein metallisches Scheppern erreichte die Außenmikrofone.

Clayborn und der Navigator standen fassungslos. Eine Zehntelsekunde später existierte die Wand nicht mehr; es hatte sie nie gegeben, außer als Trugbild vor dem geistigen Auge der drei Eindringlinge. Hinter der Biegung nahm der Korridor seinen Fortgang. Am Boden lag bäuchlings Penza Saratow und ächzte. Die beiden anderen halfen ihm auf die Beine, und der Riese betastete wehleidig seine Gliedmaßen, so weit die flexiblen Umhüllungen des Schutzanzugs es zuließen. Er war jedoch unverletzt.

»Der erste Scherz war nicht schlecht«, knurrte der Riese gereizt, »aber das war eine richtige Gemeinheit.«

»Ich hoffe nur, du erhältst noch Gelegenheit, ihm deine allzu menschlichen Vorstellungen von Fairneß zu erläutern«, sagte Clayborn.

»Ihm?«

Der Commander antwortete nicht. Seit sie, in das fremdartige Wrack eingedrungen waren, bemühte er seinen Verstand um eine vernünftige Einschätzung der Dinge, die sie im Innern vorgefunden hatten. Nichts gestattete ihnen, Rückschlüsse auf Größe und Körperform jener Wesen zu ziehen, die dieses Raumschiff bauten. Ein Geschöpf, welche Form und welche anderen Bedürfnisse es auch haben mochte, brauchte ein bestimmtes Sortiment recht elementarer Gegenstände, Vorrichtungen, auf denen man saß, lag oder stand, Geräte zum Verzehr von Nahrung... Clayborn kannte kaum ein Räumschiff, in dem es nicht in jedem Korridor, in jedem Winkel, in jedem Laderaum eine Vielzahl von Knöpfen, Hebeln, Schaltern Und Sprechanlagen gab. Alles das fehlte hier.

Hatten die Gescheiterten nützliche Apparaturen und Geräte demontiert, bevor sie das Wrack mit Raumbooten verließen und sich einem nicht minder ungewissen Schicksal auslieferten? Aber wozu? Außerdem - man sah keine Spuren von Demontage. Eine Ahnung beschlich den Commander, die allmählich zur Überzeugung anwuchs.

Das Schiff war nicht für lebende Wesen gebaut. Der Gedanke, Raumtransporte völlig robotronischen Hirnen zu überlassen, war weder sehr neu noch allzu fremdartig. Wie Clayborn wußte, befanden sich bei mehreren Raumfahrtministerien im Bereich des an Terra orientierten Weltenbundes Prototypen derartiger Frachtraumer in der Erprobungsphase. Noch stieß man in zahlreichen technischen Details auf enorme Schwierigkeiten, obwohl die Basisprobleme als grundsätzlich gelöst betrachtet werden konnten.

Aber wenn das Wrack tatsächlich nur ein Robotraumer war, gesteuert und kontrolliert von einem fest installierten robotronischem Hirn - woher stammten dann die telepathischen Impulse? Nein, es war blanker Unsinn, ihre Quelle woanders suchen zu wollen als in dieser Schrottröhre. Die mentalen Attacken, denen sie seit Be treten des Schiffs ausgesetzt worden waren, bewiesen es. Ein Robothirn konnte keine telepathischen Impulse erzeugen. Dennoch kamen die Impulse aus diesem Schiff. Und das Schiff war - nach Clayborns Überzeugung - ein robotgesteuerter Frachter. Dieser Widerspruch blieb zunächst einmal bestehen.

Die Unheilvollen Halluzinationen, denen man sie unterworfen hatte, bewiesen aber noch etwas anderes. Nämlich, daß man ihr Eindringen bemerkt hatte und sich für sie interessierte. Ob dies Interesse freundschaftlicher oder feindseliger Natur war, würde sich zeigen.

Vielleicht ist es kein größeres Interesse, dachte Clayborn, als jenes, das ein Mensch für eine Ameise aufbringt.

Dann korrigierte er sich. Das Raumschiff war wohl kaum noch geeignet, seinen Besitzer zum Hochmut zu verführen.. Eigentlich, wenn man sachlich nachdachte, war es nur sein Alter, das einen kurzlebigen Menschen beeindruckte, die »Tatsache, daß es Produkt einer Technologie war, die vielleicht schon existiert hatte, bevor auf Terra die ersten Menschen auftauchten. Aber das Alter dieser Technologie bewies nicht zwangsläufig ihre Überlegenheit.

Zwei volle Stunden ihrer Frist waren abgelaufen. Clayborns Ungeduld wuchs, und er spürte, daß auch seine Begleiter von zunehmender Unruhe erfaßt wurden. Der Korridor schien nicht enden zu wollen. Ihre Erkundung gewann einen irgendwie ziellosen Charakter, den Anschein als liefen sie sinnlos ins Leere...

»Aaaah!«

Clayborn fuhr herum, so schnell es ihm in dem relativ plumpen Schutzanzug möglich war, und starrte in Saratows entsetzt verzerrtes Gesicht. Sein nächster Blick machte ihn mit der Mündung einer Dione näher vertraut als er es für notwendig hielt. Mehr instinktiv als rational reagierte er auf die einzige Weise, die noch Rettung versprach. Mit beiden Füßen stieß er sich vom Boden ab.

Sein Raumhelm prallte wuchtig gegen die gewölbte Decke, während unter ihm die Glut des tödlichen Strahlers waberte. Der Ingenieur schoß wie ein Wahnsinniger, bis die Wände Blasen warfen. Clayborn umklammerte die seltsame Schiene, die unter der Decke verlief, um zu verhindern, daß er wieder abwärts schwebte.

»Noch etwas?« fragte Clayborn freundlich, als das Tosen der hitzeenergetischen Glut erlosch. Der Ingenieur stierte zu ihm empor, mit Augen, die dazu neigten, sich zu verdrehen, einwärts zur Nasenwurzel oder nach oben zu kippen. Seine Mundwinkel zuckten hektisch.

»Barry, ich... ich wollte das nicht«, stammelte der Riese weinerlich wie ein Kind. »Du warst plötzlich fort, und... vor mir eine Bestie, mit Klauen und...« Er verstummte und schluckte schwer, so hart, daß man es sogar über Helmfunk deutlich hörte. »Fast hätte ich dich ermordet!«

»Schon gut.« Clayborn vollführte eine Drehung um die Schiene und ließ sich nach unten sinken, bis er wieder mit beiden Füßen auf dem Boden haftete. »Du wärst unschuldig gewesen.«

Der Unbekannte begann, sich ihrer einzeln anzunehmen. Das war doppelt gefährlich. Allerdings bestätigte es Clayborn in seiner insgeheimen Auffassung, daß sie es lediglich mit einem Gegner zu tun hatten. Eine ganze Mannschaft oder auch nur mehrere halbwegs geschickte Individuen wären wohl kaum auf solche Tricks angewiesen, um sich lästiger Besucher zu entledigen. Man hätte kurz und wirksam zugeschlagen.

»Wir dürfen uns nicht zum Narren halten lassen«, mahnte Clayborn ernst. »Bei allem, das uns unter die Augen kommt, müssen wir berücksichtigen, wo wir uns befinden, bevor wir etwas unternehmen. Der gesamte Schiffskörper steht unter Nullschwerkraft, und wahrscheinlich ist die Atmosphäre, falls das Schiff je eine enthielt, längst aus dem ganzen Rumpf entwichen. Also gibt es hier keine Tiere, ob Bestien oder Schoßhündchen. Begegnet uns ein intelligentes Lebewesen, werden wir es an seinem Verhalten erkennen. Auf jeden Fall, enthaltet euch voreiliger Schießerei.«

»Leicht gesagt«, gab Saratow einen überflüssigen Kommentar ab. Seine Stimme bebte noch. Der Schock mußte ihn tief getroffen haben.

Sie setzten den Weg fort. Clayborn schritt weiter voraus. Seine Nervenknoten vibrierten. Was mochte nun geschehen? Belauerten die beiden ihn? Und er - konnte er wirklich sicher sein, daß es noch Chemile und Saratow waren, die hinter ihm gingen?

Wenn es dem Gegner möglich war, ihn, Clayborn, vor den Augen seiner Kameraden scheinbar in eine Bestie zu verwandeln, warum sollte er außerstande sein, sich selbst als Trugbild in Saratows oder Chemiles Gestalt zu nähern?

Der Commander spürte, wie ein Schweißtropfen ihn über der linken Braue kitzelte. Gegen diese furchtbaren Gedanken half nur eines - sich auf gar keinen Fall umzudrehen! Um nichts in der Welt. Er biß die Zähne zusammen.

Der Korridor mündete in ein unübersichtliches Chaos das wohl vor langer Zeit ein Maschinenraum gewesen war. Sein gegenwärtiger Zustand vermochte jedoch nicht die leiseste Hoffnung zu nähren, die Maschinerie jemals rekonstruieren zu können. Ein weiterer Meteoreinschlag hatte zerschmettert, was sich zwischen Maschinenraum und Schiffshülle im Weg befunden hatte, es dann, zu einem Klumpen zerdrückt, durch die Decke getrieben. Daraufhin mußten Maschinen explodiert sein. Verbogenes Metall, blaue erstarrte Schmelzmassen sowie zu bizarren Schlangenformen verkrümmtes Rohr- undLeitungsmaterial türmten sich rings um einen gähnenden Trichter im Boden auf, durch den der harte Meteorkern anschließend geschlagen war, um sein Zerstörungswerk tiefer im Innern des Rumpfes fortzusetzen.

Vorsichtig tasteten sie sich durch das Trümmergewirr. Von der Mitte aus, als sie neben dem Trichter standen, konnten sie oben, durch den vom Meteor gebahnten. Kanal, die Sternesehen. Die Vernichtung war komplett. Hier waren keine technologischen Erkenntnisse mehr zu gewinnen. Aber im Schiff mußte es andere Maschinenräume, andere technische Einrichtungen geben, und nicht zuletzt einen Zentralcomputer mit einer Fülle von Daten in seinen Speichern...

Es kostete sie fast eine halbe Stunde, das Trümmerfeld zu überwinden. Jenseitig fanden sie einen Gang, der sich finster - und endlos, wie es den Anschein hatte - bis tief ins Schiffsinnere erstreckte. Ein kurzes Stück weiter jedoch erreichten sie eine Gabelung. Die linke Seite war, wie sie im Licht der Scheinwerfer feststellten, nach wenigen Metern Tiefe durch irgendeine Druckeinwirkung zu Fladenbreite zusammengepreßt worden und damit unpassierbar. Am Ende der anderen Strebe erkannten sie einen schwachen Lichtschimmer.

»Clayborn an Mordain«, meldete sich Clayborn. »Zerstörten Maschinenraum entdeckt. Trotz mentaler Attacken bisher keine Spur von Leben. Dringen weiter von Erde.«

Einzelheiten wollte er sich ersparen. Das Sprechen lenkte ihn ab, verminderte seine angespannte Wachsamkeit. Immer häufiger ertappte er sich, dabei, daß seine Hand unbewußt nach der eigenen Dione tastete.

Hinter dem Gang lag eine größere, matt erleuchtete Räumlichkeit, in deren Mittelpunkt sich eine runde Säule vom Boden bis zur Decke erhob. Ein Schacht? Eine Röhre, die Bestandteil eines Beförderungssystems war? Die Säule besaß nicht die kleinste Unebenheit, keinen Schlitz, hinter dem man eine Öffnung hätte vermuten können. An den Wänden war etwa ein Dutzend Mattscheiben verteilt, offensichtlich Bildschirme; über die Hälfte war infolge von Erschütterungen ganz oder teilweise zerborsten. Unter jedem Schirm waren kleine rechteckige Erhebungen eingelassen. Sie ließen sich in ihre Fassungen drücken. Wahrscheinlich Kontaktflächen - aber ihre Betätigung löste keine Funktionen mehr aus.

»Ich glaube, in diesem verdammten Kahn funktioniert überhaupt nichts mehr«, grollte Penza Saratow. »Der, ganze Aufwand lohnt sich nicht, Barry. Soll die solare Raumschrottverwertung sich mit dem Zeug befassen!«

»Und die Halluzinationen schnauzte Clayborn. »Haben keine Ursache, was? Geht uns nichts an, wie?«

Sein Tonfall war grober als man es je zuvor von ihm vernommen hatte, doch ihm war klar, daß ein hartes Wort die Stimmung des Ingenieurs eher zu heben geeignet war als alle gutmütigen Zureden. Dennoch verstand er den Riesen nur zu gut. Länger als drei Stunden irrten sie nun durch die düsteren Eingeweide des fremden Wracks, ohne greifbares Resultat, ohne wesentliche Erkenntnisse gewonnen zu haben, belauert von einer anscheinend mit parapsychischen Kräften ausgestatteten, unbekannten Macht. Es war kaum verwunderlich, daß, in dieser Situation der Wunsch übermächtig zu werden drohte, das Unternehmen aufzugeben, an Bord der sicheren Mordain zurückzukehren.

Verzweifelt klammerte Clayborn sich an den Gedanken, daß der Gegner, wenn er sich im Wrack befand, auch zu stellen sein mußte. Das Problem war bloß, ihn rechtzeitig zu finden, also vor Ablauf der gesetzten Frist.

Und bis dahin verblieben nur noch zwei Stunden und neunundzwanzig Minuten. Ihr Unternehmen entwickelte sich immer mehr zu einem Wettlauf mit der Zeit - zu einem Wettlauf um ihr Leben. Denn trotz allem guten Willen, den die Befehlshaber von MALACA 1 und 2 gezeigt hatten, sie würden nicht eine Minute länger warten. Vielleicht nicht einmal eine halbe Minute. Der Rest war eine Sache des Tod und Vernichtung auslösenden Knopfdrucks...

Die Untersuchung der Räumlichkeit erwies sich als unergiebig. Zwar verliehen die Bildschirme ihr gewisse Ähnlichkeit mit einem Kontrollraum, aber andere Geräte und Instrumente fehlten auch hier. Clayborn wollte soeben die Anweisung erteilen, nach einem Ausgang zu forschen, als sich plötzlich in der Säule eine ovale, reichlich mehr als mannshohe Öffnung auftat, aus der helles, aber angenehmes Licht fiel. Tatsächlich verbarg die Säule einen Schacht.

»Täusche ich mich«, meinte Saratow, »oder ist das eine Einladung?«

»Vermutlich hat unser telepathischer Freund deine Schwäche für exzessive Gelage in Gesellschaft von halbnackten Mädchen etwas zu spät bemerkt«, spottete Veem Chemile.

»Ich wollte, es wäre so«, seufzte der Ingenieur. »Allerdings kannte ich schon Leute, die mich zu meiner eigenen Totenfeier einluden.«

»Und hast du dich, amüsiert?«

»Ja, vor allem bei der Feuerbestattung, meiner Gastgeber.« Saratows Faust, die ihm Handschuh des Raumanzugs noch klobiger wirkte als sonst, tätschelte wohlwollend den Griff seiner Dione. Der Schacht war rund und leer. Die herrschende Nullschwerkraft machte es ihnen möglich, sanft abwärts zu schweben. Die ovale Tür schloß sich hinter ihnen.

Es dauerte nicht lange, bis ihre Magnetsohlen wieder Boden berührten, und in diesem Moment öffnete sich ihnen eine zweite, ähnliche Tür. Sie traten hindurch, und die Tür verschwand auf ebenso geheimnisvolle Weise wie die andere, ohne auch nur einen haarfeinen Schlitz zu hinterlassen. Die Kammer, in der sie nun standen, war klein, quadratisch und finster. Aber das war weniger besorgniserregend.

Die in ihre Schutzanzüge eingearbeiteten Instrumente begannen gleichzeitig unüberhörbar zu reagieren. Ihre Geigerzähler knarrten laut und heftig. Clayborn prüfte die Werte. Sie lagen weit über dem vorübergehend erträglichen Durchschnitt. »Ungleichmäßige Strahlung«, berichtete Saratow, der die andere Seite der Kammer untersuchte. Wände, Boden und Decke glänzten matt und leer. »Radioaktivität stellenweise bis zu fünfzehnhundert Einheiten.«

»Hier verhält es sich ähnlich«, kam Chemiles Stimme. »Das ist eine hochgradig verseuchte Todesfalle, Barry. Lange' dürfte die Schutzbeschichtung unserer Anzüge dieser Strahlung nicht standhalten.«

»Ja...« Clayborn musterte seine Anzuginstrumente. Er täuschte sich nicht. Der Raum enthielt eine atmosphärische Verbindung geringer Dichte; der Sauerstoffanteil war niedrig, hoch dagegen die Anteile von Stickstoff und Chlor. Er machte seine Kameraden darauf aufmerksam.

»Zum Atmen ungeeignet«, sagte Veem Chemile. »Eines verstehe ich nicht. Wozu ist dieser Raum, den ich ohne zu zögern als Lager für Spaltmaterial bezeichnen würde, mit Luft gefüllt? Andere, auch unbeschädigte Räume haben wir luftleer vorgefunden.«

Sekunden später erhielt er die Antwort. Sie kam weder vom Commander noch von Penza Saratow. Es war eine teils fistelnde, teils dumpf verzerrte Stimme, mechanisch und blechern, die zu ihnen sprach.

»Achtung! Euer membranfixiertes Kommunikationssystem wurde analysiert. Ein schwingungstragendes Medium und ein Schwingungsübermittler Verhandlungsphase ein. Mißerfolge bedeutet eure kurzfristige Eliminierung. Diese tritt ein, falls ihr euch nicht freiwillig entfernt.

Einige Augenblicke lang war es totenstill. Lautlos glitten die Lichtkegel der Scheinwerfer durch die verhängnisvolle Kammer.

»Da haben wir es«, stöhnte Saratow.

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19

Wortlos deutete Clayborn auf die ungefähr faustgroße Kugel, die metallisch schimmernd über ihnen schwebte. Offenbar war sie es, die der Unbekannte als Schwingungsübermittler bezeichnet hatte. Zweifellos handelte es sich um eine Apparatur, die ein Mikrofon und einen Lautsprecher enthielt. Clayborn schaltete den Außenlautsprecher seines Raumhelms ein. »Warum sollen wir das Raumschiff verlassen?« fragte er laut und deutlich. »Wir sind nicht in böser Absicht gekommen.«

»Ihr seid nicht jene, die ich rief«, schrillte die mechanische Stimme. »Eure Absicht ist gleichgültig. Ihr habt zusätzliche Zerstörungen angerichtet Eure Anwesenheit ist eine Gefahr und unerwünscht.«

»Die du gerufen hast, verstanden dich nicht«, erklärte Clayborn wahrheitsgemäß. »Sie litten darunter. Einer starb.« Er bemühte sich, seine Stimme nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen, obwohl er annahm, daß ihr geheimnisvoller Gesprächspartner gegenüber solchen Regungen unempfindlich war. Ich weiß.

Natürlich, dachte Clayborn bitter. Gab es etwas, das dieses Geschöpf nicht wüßte?

Nein, beantwortete die Lautsprecherstimme seinen Gedanken.

Clayborn lauschte dem mit jedem seiner Schritte aufund abschwellenden Knattern seines Geigerzählers. Auch Saratows und Chemiles Geräte schnarrten anhaltend. Sie durften sich nicht mehr lange in der Kammer aufhalten. »Wir möchten, daß du mit unserer Spezies friedliche Beziehungen aufnimmst«, meinte der Commander. »Uns ist an einem Informationsaustausch gelegen.« Nervös musterte er die schimmernde Kugel. Es besteht kein Bedarf. Jene Bewußtseinseinheiten, mit denen ich Kontakt aufzunehmen versuchte, besitzen die notwendigen Qualitäten zur Reparatur der Schiffseinheit und zur Restauration meines Egos. Weitergehende Kontakte erübrigen sich, da sie nicht zur Erfüllung meiner Mission beitragen, die Fracht an ihren Bestimmungsort zu befördern. Außerdem stelle ich fest, daß die Absicht einer allgemeinen Kontaktaufnahme keineswegs die einheitliche Absicht eurer Spezies ist, sondern lediglich die deine.

Unwillkürlich empfand Clayborn eine Aufwallung von Ärger. Es war schwierig, mit einem Wesen zu argumentieren, dem kein Gedanke verborgen blieb. Der Unbekannte hatte im Grund genommen recht - selbst wenn er, Clayborn, eine Vermittlerrolle übernahm, gab es keine Garantie dafür, daß die terranische Regierung den Fremden zu akzeptieren gewillt war ..

Saratow unterbrach die Überlegungen des Commanders.

»Deine Fracht!« brüllte der Ingenieur die unschuldige Kugel, die reglos über ihnen hing, mit ohrenbetäubender Lautstärke an. »Deine Fracht ist seit Jahrtausenden nur noch ein Haufen glitschigen Drecks!« Der Riese schwieg einige Sekunden lang und schnaufte erregt, bevor er sich an Clayborn wandte. »Barry, wir müssen hier raus! Wenn wir uns noch länger der Radioaktivität aussetzen, werden wir elend verrecken.«

Über die Verwendbarkeit der Fracht entscheiden die Empfänger, beharrte die Stimme krächzend. Eine kurze Pause folgte. Dann erklärte der Unbekannte: »Wie ich euren Bewußtseinsinhalten entnehme, besteht keine Bereitschaft, die Schiffseinheit freiwillig zu verlassen. Daher werdet ihr eliminiert. Dies geschieht mittels der Radioaktivität der Kammer, in der ihr euch befindet.«

»In eine Falle hat man uns gelockt«, knirschte Saratow, begleitet vom nervenaufreibenden Rattern der Geigerzähler. Clayborn nickte nur unter seinem Raumhelm.

Ja, alles andere war jetzt zweitrangig. Zuerst einmal mußten sie aus dieser Kammer hinaus. Das ist unmöglich, beschied der Unbekannte leidenschaftslos.

Clayborn beachtete es nicht. »Strahlt ein Loch in die Wand«, sagte er ungerührt und schickte sich an, mit Professor Luden Verbindung aufzunehmen. Der Energiestrahl von Saratows Dione tauchte die Kammer in grelles Licht.

»Clayborn an Mordain«, murmelte der Commander. »Hallo...? Clayborn an Mordain, Clayborn...« Er verstummte. Aus dem Gerät drang nur ein blechern fegendes Rauschen. »Bitte kommen. Clayborn an Mordain, Clayborn an Mord ..ain«

Er bemerkte, daß der Strahl der Dione erloschen war und drehte sich um. Saratow und Chemile starrten schweigend zu ihm herüber. Nur das unheilverkündende Geknatter der Geigerzähler durchdrang noch die atemlose Stille. Clayborn fühlte etwas wie Frost durch seine Glieder sickern. »Wir sind abgeschnitten«, sagte er schleppend. Sonst nichts.

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20

Professor Luden musterte den dunklen, kahlen Schädel, der den Hybeam-Bildschirm der Mordain fast ausfüllte. Er sah, daß Wellington besorgt auf seiner leicht wulstigen Unterlippe kaute, und wußte, daß auch sein Gesicht vom Ausdruck tiefer Sorge geprägt war. Er seufzte.

»Die Halluzinationen sind also in den letzten vier Stunden ausgeblieben? Kein Irrtum möglich, Herr Kollege?«

»Ich bitte Sie!« Weder Wellingtons Miene noch sein Tonfall ließen anmerken, ob er sich durch Ludens Äußerung gekränkt fühlte. »Ich dachte, die Neuigkeit würde Commander Clayborn interessieren... Sie haben keine Vorstellung, was sich ereignet haben könnte?«

Luden schüttelte bedauernd den Kopf. »Die Verbindung ist seit einer Viertelstunde vollständig unterbrochen, und die Frist, welche die Flottenkommandanten eingeräumt haben, nähert sich ihrem Ende. Ich muß gestehen, daß ich ziemlich ratlos bin.« Wie zur Bekräftigung seiner Worte hob er mehrmals hilflos die schmalen Schultern. »Diese Entwicklung betrifft mich sehr«, gestand Wellington. »Ich habe Commander Clayborn während seines Aufenthalts in meiner Klinik schätzen gelernt... Ich wollte, ich könne etwas tun.« Er zögerte, dann sah er Luden fest in die Augen. »Ich habe eine Bitte. Informieren Sie mich, wenn das Schicksal des Commanders und seiner Gefährten geklärt ist.«

Professor Luden versprach es, und nach einigen abschließenden Höflichkeitsformeln trennten die beiden Wissenschaftler die Hybeam-Verbindung. Luden massierte, erschöpft vom nervenzerrüttenden Warten, seine Schläfen. Es war schön, gelegentlich noch Freunde zu finden, wenn man am wenigsten damit rechnete; und als Wissenschaftler, den seine Zugehörigkeit zum Team des Commanders zwang, häufiger in schmutzigen Kreisen zu verkehren als ihm gefiel, war dafür besonders dankbar.

Er straffte sich und bemühte sich weiter, Kontakt mit der Dreiergruppe zu bekommen. Aber die Frequenz, die sie vereinbart hatten, ließ nichts als prasselndes Rauschen hören. Der Professor setzte seine Anstrengungen pausenlos fort, bis ein neues Rufsignal ihn unterbrach.

Es stammte von MALACA 1. Die Funkzentrale des Flaggschiffs schaltete nach militärisch knapper Anmeldung zum Kommandoraum um. Commander Ngrombo tauchte auf dem Bildschirm auf. Luden hörte, daß im Hintergrund des Kommandoraums eine lärmende Diskussion geführt wurde. Der Wissenschaftler empfand für den schon zu Lebzeiten geradezu sagenumwobenen Flottenbefehlshaber eine eigentümliche Mischung aus Abneigung und widerwilligem Respekt. Wann, wo, wie und warum auch immer - Töten als Handwerk war keine Sache, die er, da ihm von Kindesbeinen an eine konstruktive Grundhaltung anerzogen worden war, als seiner Sympathie würdig betrachten konnte. Andererseits sah er ohne Einschränkung ein, daß bestimmte Zeiten, bestimmte historische Umstände solche Männer verlangten und sie folglich erzeugten. Und Luden gehörte beileibe nicht zu jenen Wissenschaftlern, denen sich Weltfremdheit nachsagen ließ. Er wußte um die äußerst komplizierten und gespannten politischen und militärischen Verhältnisse in der Galaxis.

Betont sachlich erkundigte er sich nach dem Begehr des Flottenbefehlshabers. Dem starren Blick der Blutgerinnsel standzuhalten, die die Augen des furchterregenden Mannes waren, kostete auch ihn allerhöchste Beherrschtheit. »Ich möchte Informationen«, behauptete Ngrombo schlicht.

Ludens dünne Lippen lächelten unmerklich. Zweifellos wußte Ngrombo nicht weniger als er. Der Professor verspürte keine Lust zu Spiegelfechtereien.

»Ihnen ist bekannt, daß mein Funkkontakt zu der Dreiergruppe unterbrochen ist«, erklärte er dreist, war jedoch bestrebt, die Schroffheit, die unwillkürlich in seinen Tonfall einfloß, sofort zu dämpfen. »Vorläufig kann ich Ihnen also nicht behilflich sein.«

Die Bluthundaugen Ngrombos fixierten ihn, so schien es, mit einem Anflug von Humor, aber das konnte eine Täuschung sein' »Tatsächlich?« Das kaffeebraune Gesicht mit dem weißen krausen Schopf blieb ausdruckslos. »Nun, dann darf ich Sie darauf hinweisen, daß die mit Commander Clayborn verabredete Frist in fast genau fünfundachtzig Minuten abläuft. Bitte denken Sie daran, die Mordain rechtzeitig aus dem Zielgebiet unserer Waffen zu steuern. Ich bin außerstande, eine Fristüberschreitung zu verantworten.«

Professor Luden hob, ganz gegen seinen Willen, die Brauen. Er spürte, daß er die Nervenbelastung nicht mehr lange durchhalten konnte.

»Soll ich das als Drohung verstehen?« forschte er langsam und deutlich.

»Nein«, sagte Ngrombo. »Ich habe mir erlaubt, die Lage restlos klarzustellen, Professor Luden. Ende.« Der Bildschirm verblaßte. Luden lehnte sich zurück in den Sessel und schloß die Augen. Er mußte gegen ein Schwindelgefühl ankämpfen. Jetzt konnte er nur noch dreierlei tun. Erstens, weiter versuchen, den Funkkontakt mit der im Wrack befindlichen Gruppe wiederherzustellen. Zweitens mußte er sich an Direktor Weyburn wenden, damit dieser alles unternahm, um die Militärs von ihrer Starrsinnigkeit abzubringen. Und er konnte hoffen.

Es war gut, noch Hoffnung haben zu können. Aber als nüchterner Wissenschaftler wußte er, wie wenig Hoffnungen taugten und daß sie den Lauf der Ereignisse nicht zu beeinflussen vermochten. Müde tasteten seine Hände nach den Funkkontrollen.

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21

Die Kammer glich einem Vulkan. Saratow, Chemile und Clayborn selbst hatten die Strahlbahnen ihrer Diones auf einen Punkt der Wand konzentriert. Ein grellweißer Glutball kochte über dem Material. Die Hitze, die den Raum erfüllte, erinnerte längst nicht mehr an eine Sauna, sondern an einen Schmelzofen. Clayborn war von Kopf bis Fuß in Schweiß gebadet, triefnaß im Sinne des Wortes, und er wußte, daß es um die beiden anderen nicht besser stand. Die Klimaanlage des Raumanzugs röhrte laut. Die Belastung war viel zu groß. Wenn die Geräte jetzt versagten - nun, die Reste ihrer Körper samt der Schutzanzüge würden bequem in nur eine Urne passen.

»Aufhören«, sagte Clayborn rauh. »Es hat keinen Zweck.« Er senkte die Waffe, sog einen kleinen Schluck aus dem dünnen Schlauch seines Wasserbehälters und kontrollierte die Zeit. Kaum noch eine Stunde!

Es war sinnlos, ableugnen zu wollen, daß das Unternehmen so gut wie gescheitert war. Der Zeitdruck ließ ihnen gar keine andere Wahl mehr, als baldmöglichst das Wrack zu verlassen, bevor die Einheiten von MALACA 1 und 2 aus allen Rohren das Feuer eröffneten. Und selbst, wenn es ihnen gelang, früh genug aus dem Zielbereich zu entkommen, blieb es fraglich, ob ihre Organismen den bis dahin erlittenen Grad radioaktiver Verseuchung noch verkraften konnten. Die Situation war beinahe aussichtslos.

Chemile und Saratow hatten den Beschuß der Wand ebenfalls eingestellt. Das Material glühte in dunklem Rot, aber um es zu zerstrahlen, hätte man vielleicht noch Stunden benötigt.

Der Ingenieur japste. »So etwas habe ich noch niemals gesehen«, krächzte er zwischen zwei röchelnden Atemzügen. »Die Hitze machte dem Riesen offensichtlich noch weitaus stärker zu schaffen als seinen Kameraden.

Der kugelförmige Kommunikator schwebte nach wie vor unbeteiligt unter der Decke der Kammer. Dem seltsamen Gerät schien die hohe Temperatur keinerlei Schaden zuzufügen.

»Wir sind verloren«, konstatierte Veem Chemile. Seine wenig erquickliche Feststellung beeindruckte ihn anscheinend überhaupt nicht, als spräche er von Fremden am anderen Ende der Welt. »Sehr bedauerlich.«

Clayborn blinzelte den Navigator aus schweißverklebten Augen an. Dies war kaum der richtige Moment für pseudophilophische Betrachtungen, aber er vermochte sich der drängenden Frage nicht zu erwehren, was wohl nun in dem humanoiden Chamäleon rätselhafter Abstammung vorging. Er hatte immer den Eindruck gehabt, daß Chemile menschliche Gefühle wie Trauer, Mitleid, Zuneigung, Furcht und Haß ebenfalls kannte. Und jetzt? Der Navigator sprach von ihrem bevorstehenden Tod wie vom Verlust einer Mütze, die der Wind in den Fluß geweht hat. Clayborn begriff, wie wenig sie eigentlich von Chemile wußten, wie wenig sie ihn vielleicht verstanden.

Unter seinem Raumanzug zuckte er die Achseln und wandte sich an den Ingenieur. »Was ist deine Meinung, Penza? Gibt es eine andere Chance?« Saratow antwortete nicht sofort. Sein Stirnrunzeln zeugte von angestrengten Gedanken.

»Eine winzige«, sagte er schließlich halblaut. Sein Atem ging gepreßt. »Sie ist mit einem Selbstmordrisiko verbunden, aber die einzige Möglichkeit, die noch Erfolgsaussichten hat.« Er hustete gequält.

»Heraus mit der Sprache«, forderte Clayborn. Sein Blick wanderte zum Chronometer an seinem Handgelenk. Die Sichtfläche hatte sich unter der Hitzeeinwirkung verflüchtigt, aber das Uhrwerk selbst funktionierte noch. Herrgott, wie die Zeit verrann! Sie hatten noch neunundfünfzig Minuten...

»Wir könnten die Wand durch eine Explosion zu durchbrechen versuchen«, begann der Ingenieur seine Idee zu erläutern. »Unsere Atembehälter sind mit hochkomprimiertem flüssigem Sauerstoff gefüllt. Jeder von uns sollte einen seiner Tanks opfern. Mit einer Dione bringen wir sie zur Explosion. Es könnte uns schon weiterhelfen, wenn bloß ein Riß entstünde.«

»Wogegen wir uns in Pulver auflösen«, mutmaßte Clayborn. »Besser als tatenlos auf das Ende zu warten«, ergänzte er sofort. »Also an die Arbeit. Es ist ohnehin fast zu spät.«

In fieberhafter Eile löste jeder einen seiner beiden Sauerstofftanks aus der Befestigung seines Raumanzugs. An der Wand bildeten sie aus den drei unterarmlangen Tanks einen Stapel. Dann zogen sie sich in den entferntesten Winkel der Kammer zurück. Clayborn packte seine Dione. »Jetzt können wir uns bloß noch gegenseitig viel Glück wünschen«, sagte er durch das Prasseln der Geigerzähler, das an ihren Nerven zerrte. Allerdings wartete er nicht, ob jemand seiner Empfehlung nachkam.

Er richtete die Mündung der Waffe auf den unteren linken Tank. Sein Zögern währte nur eine Sekunde. War er dabei, eine Wahnsinnstat auszuführen? War er noch bei Verstand? Vermutlich - diese verdammte Kammer, davon hatten sie sich überzeugen können, war harte, gnadenlose Wirklichkeit. Clayborn drückte ab. Seine Kehle war heiß und trocken.

Der Energiestrahl bohrte sich fauchend in das stahlplastikumreifte Leichtmetall des Behälters. Einen scheinbar endlosen Augenblick lang geschah nichts.

Dann loderte die mächtige Flammenzunge der. Explosion auf, zuckte durch die Kammer, verschlang die ganze jenseitige Wand in wabernder Glut. Sie hatten die Außenmikrofone ihrer Raumanzüge desaktiviert, aber die Erschütterung, die das gesamte Gefüge durchlief, verriet genug von der Wucht der Explosion. Die Druckwelle warf die drei rücklings übereinander. Clayborn hörte, wie an seinem Schutzanzug Instrumente klirrend zersprangen. Aus seinem Helmlautsprecher drang ein Ächzen, das wohl von Saratow stammte. Die Flamme flackerte, tanzte noch, genährt vom geringen Sauerstoffanteil der atmosphärischen Verbindung innerhalb der Kammer, dann erlosch sie. Dichter Qualm breitete sich aus, quoll unter die Decke, begann alles zu überlagern.

Schwerfällig, mit schmerzenden Gelenken, stützte Clayborn sich auf die Hände und sah sich um. Neben ihm brannte nur ein Helmscheinwerfer, schwankte, während die Gestalt sich aufrichtete. Der Commander taumelte auf die Beine. Die Waffe war seiner Hand entfallen - gleichgültig, zum Teufel mit dem Ding!

Keine Zeit, hämmerte es durch Clayborns Hirn, keine Zeit!

»Veem?«

»Hier. Unverletzt.«

»Penza? Wo steckst du? Penza?«

Am Rand des Lichtkegels aus Clayborns Raumhelm schob sich ein breiter Schatten näher. Clayborn drehte den Kopf um einige Zentimeter zur Seite. Es war der Ingenieur. Seine Helmlampe war zersplittert. »Hier«, meldete sich der Riese schnaufend. »Meine Knochen sind noch beisammen.«

"Dann los.« Clayborn verschwendete keine Minute; sie hatten zu wenig davon. Auf müde, schmerzende Glieder konnte jetzt keine Rücksicht genommen werden.

In der schwelenden Wand klaffte ein ausgezacktes Loch von ungefähr einem Meter Durchmesser. Für einen ausgewachsenen Mann, der zudem in einem Raumanzug steckte, war das reichlich eng, aber es mußte genügen. Der schmale Navigator hatte die geringsten Schwierigkeiten, durch die Bresche zu gelangen. Clayborn mußte sich bereits in artistischen Windungen üben, um zu verhindern, daß die Anzughülle beschädigt wurde. Saratow durch die Lücke zu zwängen, erwies sich nicht nur als problematisch, sondern auch als zeitraubend. »Penza!« Der Kopf, eine Schulter und ein Arm des Riesen ragten aus der Öffnung. Clayborn zerrte mit beiden Händen am Raumhelm des Riesen. »Um Gotteswillen, zieh doch die Schultern ein! Ja, so... Gib mir den Arm! Jetzt der Bauch! Mach dich dünn... Verdammt, was ist denn?!«

»Laßt mich zurück«, flehte der Ingenieur. »Rettet euch! Zwei Überlebende sind besser als keiner... Barry, ihr habt noch eine Chance!«

»Du sollst deinen ungewachsenen Bauch einziehen!« brüllte Clayborn hemmungslos. »Noch ein Wort, und ich verjage dich aus dem Team! Hörst du das? Ich werfe dich hinaus, du Waschlappen!« Insgeheim verfluchte Clayborn den Raumhelm, der es unmöglich machte, dem Ingenieur ein halbes Dutzend Ohrfeigen zu geben. Diese Therapie hätte den Freund garantiert aufgemöbelt, dafür kannte er ihn.

Aber seine Drohung tat ihre Wirkung auch ohne flankierende Maßnahmen. Der Riese straffte sich, und unter ungeheuren Mühen gelang es ihm, ne Hüften in etwas zu verformen, das sich rechtens als Taille bezeichnen ließ. Endlich glitt der Körper durch die Lücke. Keuchend richtete Saratow sich auf.

»Danke«, stöhnte er. »Barry, ich...«

»Schluß damit!« schnauzte Clayborn. Er wagte es nicht, erneut auf die Uhr zu blicken. »Von jetzt an kennen wir nur noch eine Richtung - geradeaus! Penza, du gehst voran und zerstrahlst alles im Weg befindliche, Wände, Maschinen, Türen, alles, bis wir draußen sind! Ich versuche inzwischen, die Mordain zu erreichen. Los!«

»Okay, Barry.« Der Riese zog seine Dione. Offensichtlich hatte er sich gefaßt. Es wurde gehandelt, und das war nach seinem Geschmack. Aus der Todeskammer wären sie in einen rechteckigen Raum geraten, in dem eine Anzahl pultähnlicher Kästen stand, an denen verschiedenfarbige Lämpchen blinkten. Sie achteten nicht darauf - für wissenschaftliches Interesse war es zu spät. Zwei halbdunkle Gänge führten hinaus. Saratow wählte kurzentschlossen den näheren. Im Laufschritt stürmten sie vorwärts, eine Fortbewegungsart, die sich - sich - trotz der Nullschwerkraft - infolge ihrer Magnetsohlen bald als strapaziös erwies.

»Barry an Mordain, Barry an Mordain...« Clayborn strengte sich an, gleichmäßig und tief zu atmen. »Bitte kommen. Barry an Mordain, Barry an...« Es kam keine Antwort. Der Unbekannte mußte über eine effektive Methode verfügen, jeden Funkkontakt zu unterbinden.

»Barry.« Das war Chemiles ruhige, nur etwas kurzatmige Stimme. »Die Kugel - sie folgt uns.« Im Laufen wandte Clayborn den Kopf. Tatsächlich, da war der faustgroße, wie ein Ballon daherschwebene Kommunikator. Er hatte sich ihrem Tempo angepaßt. Seine metallische Oberfläche schimmerte tückisch.

Saratow hatte den Navigator gehört. Ohne seinen Lauf zu unterbrechen, begann er aus vollem Hals ein wildes Kampfgeschrei zu röhren, das er mit unglaublich obszönen Beschimpfungen untermischte. Der Commander rief ihm zu, er solle seine Lungen schonen, doch der Ingenieur mißachtete den Rat. Nach den ausgestandenen Gefahren bereitet es ihm Erleichterung, den Unbekannten zu schmähen.

»Abschaum des Universums!« schrie Saratow, während er stoßweise, mit pfeifenden Bronchien, Sauerstoff inhalierte. »Du glaubtest, schon mit uns fertig zu sein, was? Wer bist du überhaupt?«

Ich bin Cyborg C 597 n plus T aus der Serie 3 beantwortete die mechanische Stimme des Unbekannten mit verblüffender Bereitwilligkeit die eher rethorische Frage des Ingenieurs. Das war etwas, womit Saratow nicht im entferntesten gerechnet hatte. Mit einem Gluckser, der wohl sein Staunen ausdrückte, blieb er urplötzlich wie angewurzelt stehen. Hart prallte Clayborn gegen den breiten Rücken des Riesen.

»Weiter«, zischte er. Zugleich stieß er ihm eine Faust zwischen die Schulterblätter. Kein Verweilen, nicht das geringste Zögern war statthaft. Er war nicht minder überrascht von der abrupten Enthüllung, von ihrem erkenntnisschweren Inhalt sogar tief bestürzt. Er hatte ein Robothirn vermutet, ohne die Tatsache der telepathischen Impulse recht damit in Zusammenhang bringen zu können, aber nun war ihm alles klar. Ein Cyborg - ein organisches Gehirn, das man aus seinem natürlichen Körper entfernt oder womöglich künstlich gezüchtet hatte, dann, gebettet in eine Nährlösung, gekoppelt mit Kabeln, Elektroden und Schläuchen, in das Steuer- und Kontrollsystem dieses Raumschiffs installiert worden war... Die bloße Andeutung des Gedankens an die Konsequenzen überschwemmte seinen Verstand mit abgrundtiefem Entsetzen, das sogar eine physische Welle des Unbehagens durch seine Nerven und Muskelfasern jagte.

Sie hetzten weiter. Der Gang war von enormer Länge, aber das war ein Umstand, der ihre Flucht begünstigte. Jedes Hindernis mußte Zeit kosten, wertvolle Minuten...

Er weiß es, dachte Clayborn mit erschreckender Klarheit, die wie ein Blitz durch seine fieberhaft wirbelnden Überlegungen fuhr. Er wird alles in seiner Macht stehende tun, um uns aufzuhalten. Und was lag nicht alles in der Macht eines Hirns, das telepathische Kräfte besaß und über ein Arsenal zumindest teilweise einsatzfähiger Apparaturen und Maschinensysteme gebot? »Euer destruktives Verhalten zwingt mich, im Interesse der Fracht eure Eliminierung auf andere Weise herbeizuführen, bevor mein eigenes Ego zum Erlöschen kommt, bemerkte der Cyborg auf dem Umweg über den kugelförmigen Kommunikator. Die Schiffsräume, durch die sie gegenwärtig eilten, waren also ebenfalls mit jener sauerstoffarmen atmosphärischen Verbindung gefüllt, jedoch waren fast alle Anzuginstrumente Clayborns ausgefallen, so daß er sich davon nicht überzeugen konnte. »Dein Ego?« keuchte der Comander. Vor ihm löste Saratow mit der Dione eine Tür in Rußfahnen auf. »Was ist damit?«

»Neoplasma. Meine endogenen Funktionen erlöschen rapide.«

Clayborn fühlte sich von eiskaltem Grauen geschüttelt. Er empfand nur noch Mitleid für das fremde Geschöpf, dessen Hirn vielleicht schon seit Jahrzehntausenden in der Nährflüssigkeit schwamm, unfähig, sich anders zu verwirklichen als in der Steuerung und der Kontrolle des Raumschiffs. Das Schicksal tat diesem Wesen nun das Unrecht an, es hilflos an Wucherungen des letzten verbliebenen Organs, des Hirns, sterben zu lassen.

Manches war jetzt klar. Das Wesen hatte sich Hilfe von den sieben Wissenschaftlern versprochen, Hilfe für die Reparatur der zerstörten und defekten Maschinerie, Hilfe für sich, gegen den Krebs in seinen Zellen.

»Warum hast du dich nicht früher um Unterstützung bemüht?« rief Clayborn. Nicht zuviel denken, nicht stehenbleiben!

»Als der Triebwerkschaden eintrat, wurde ich automatisch in Tiefschlafversetzt, berichtete der Cyborg bereitwillig. Zeit verging, und die Automatik fiel aus. Ich erwachte. Die Zerstörung der Schiffseinheit war durch äußere Einwirkungen bedeutend fortgeschritten. Mein Ego hatte Neoplasma entwickelt. Ich rief sieben geeignete Bewußtseinseinheiten. Diese seid ihr nicht. Eure Bewußtseinsinhalte sind brutal und primitiv. Deshalb wird meine letzte Maßnahme sein, die Fracht vor eurem Zugriff zu schützen.

»Aber das ist Wahnsinn!« schrie der Commander. Sofort senkte er seine Stimme wieder, um Atem zu sparen. »Wir sind dabei, das Schiff zu verlassen, wie du es wünschtest. Kehren wir nicht zurück, wird man es in Kürze vernichten.«

Hastig durchquerten sie einen Raum, dessen Decke nach unten hing. Anscheinend war oberhalb ein weiterer Meteortreffer erfolgt. Mit der Dione bahnte Penza Saratow einen Weg durch ein verbeultes, niedergedrücktes Schott.

»Diese Absicht ist mir bekannt«, entgegnete der Cyborg. »Ich werde, falls mir genug Zeit bleibt, eine Gefahr nach der anderen ausschalten.«

Die Pläne eines Verzweifelten, dachte Clayborn. Aber mit uns dreien könnte er noch abrechnen. Hinter dem Schott lag ein weiterer Gang. Sie stürzten vorwärts. Ihr Keuchen wurde immer lauter. Clayborn spürte stechenden Schmerz in seiner Brust.

»Achtung!« Saratow verharrte und duckte sich. Auch unter der Deckenwölbung dieses Ganges verlief eine jener Schienen, die sie schon mehrfach bemerkt hatten, und nun erhielten sie über ihren Zweck Aufschluß.

Unterhalb der Schiene schoß ihnen, wie eine Schwebebahn, ein torpedoförmiges Objekt entgegen, das auf jeder Seite drei tentakelartige Extremitäten besaß. Clayborn erkannte werkzeugähnliche Instrumente an den Tentakelenden, Dinge, die wie Zangen, Schraubenzieher, Lötkolben und dergleichen Geräte aussahen.

Der Torpedo verminderte seine hohe Geschwindigkeit, während er sich näherte, und die beiden vorderen Arme streckten sich aus, wiesen auf Saratows Raumhelm. Die bedrohlichen Instrumente blitzten, schnappten zu. Man vernahm ein nervenzerfetzendes Quietschen, als eine scharfe Klinge über den Raumhelm des Ingenieurs schrammte.

Saratow tauchte unter dem Apparat weg und versuchte, .hinter ihn zu gelangen, aber der Torpedo schoß abrupt um einen oder zwei Meter rückwärts und kam wieder über den Ingenieur. Mit einem dumpfen Laut schoß einer der hinteren Tentakel aus einer Art Druckpistole einen Bolzen ab, der Saratows Kehle nur um Zentimeter verfehlte.

»Deckung, Penza!« rief Veem Chemile ihm zu. Clayborn drückte sich an die Wand und machte dem Navigator Platz, während Saratow sich kurzerhand zu Boden warf.

Chemile jagte die Energiebahn seiner Dione in den Bug des Torpedos. Es gab keine Explosion. Glühende: Metallsplitter tanzten wie Käfer durch den Gang. Dann hingen die Werkarme des Torpedos schlaff herab.

»War das alles?« höhnte Saratow, zu dem Kommunikator gewandt, der ihre Flucht beharrlich begleitete. Diesmal kam keine Antwort.

»Nicht herumstehen«, erinnerte Clayborn. »Bist du taub?«

»Nein«, stammelte der Riese, »nein, aber... Barry, ich bin verrückt geworden...«

»Keineswegs«, schnauzte der Commander. »Ich sehe es auch. Trotzdem Müssen wir weiter.« Es war ein Trugbild, zweifellos, und zugeschnitten auf den Ingenieur. Aber selbst für eine Sinnestäuschung war es eines der schönsten Mädchen, das Clayborn seit langem erblickt hatte, mit schwellenden Formen, kastanienbraunem, leicht rötlichem Haar, sehnsüchtigen Augen und verführerischem Lächeln. Es versperrte ihnen, scheinbar jedenfalls, den Weg. Dicht hinter der Erscheinung schimmerte matt die Fläche einer Tür.

Clayborn packte Saratow an der Schulter. »Du sollst nicht herumstehen! Zerstrahle die Tür!« Er versuchte, den wuchtig gebauten Ingenieur beiseite zu drängen. Die Waffe in Saratows Hand zitterte. »Ich... ich kann doch nicht...«, stammelte er. »Das Mädchen...« Ratlos schwieg er.

»Penza, sei vernünftig«, kam Veem Chemiles Stimme ruhig, aber eindringlich. »Diese Gestalt existiert nur in unseren Hirnen. Der Psi-Cyborg will uns ablenken, uns verwirren. Du mußt ihm widerstehen.«

»Penza«, beschwor Clayborn seinerseits den Ingenieur, »wir haben nur noch achtunddreißig Minuten!« Während er an Saratows Schulter rüttelte, streckte er den anderen Arm nach hinten aus, und Chemile legte ihm die Dione in die Hand.

Aber bevor er die Waffe in Anschlag bringen konnte, handelte der verstörte Riese endlich. Sein Arm hob sich wie unter einer ungeheuren Last, und im Helmlautsprecher hörte Clayborn den Freund mit den Zähnen knirschen. Mit einem qualvollen Stöhnen, das aus tiefster Seele kam, drückte Saratow den Abzug durch. Die Dione spie ihren fingerdicken Energiestrahl zwischen die halb entblößten Brüste des Mädchens.

Augenblicklich verschwand das Trugbild, und zwei Sekunden später die Tür, die sich in dem Bündel entfesselter Energie in ihre Atome auflöste. Clayborn stieß Saratow erbarmungslos vorwärts. Sie begannen wieder zu laufen.

»Barry, ich...« Er weinte fast. »Ich halte das nicht mehr aus...! Wie soll man nur...«

»Alles eine Zeitfrage«, unterbrach der Commander schweratmend. »Realistisch betrachtet, befindet der Cyborg sich in üblerer Lage als wir.«

Er meinte .es ernst. Der Cyborg, todkrank, wahrscheinlich schon sterbend, saß in dem fluguntüchtigen Wrack rettungslos gefangen. Seine fixe Idee, die ohnehin verdorbene Fracht vor der Dreiergruppe behüten zu müssen, stand in offensichtlichem Widerspruch zu seinem Überlebensinteresse - falls er es schaffte, die Eindringlinge zu eliminieren und damit zu verhindern, daß sie ' vor Ablauf der Frist das Wrack verließen, würden die Flotten MALACA 1 und 2 nach Fristablauf einen vernichtenden Schlag führen. lind sie würden es tun, ob die Dreiergruppe nun bereits eliminiert war oder nicht...

Außer, der Cyborg sah eine Möglichkeit, den Angriff zu vereiteln.

War er imstande - oder reichte seine Kraft noch aus - in die Hirne der Flottenmannschaften einzugreifen? Den Kommandanten Wahnideen einzugeben, die Feuerleitoffiziere irrezuführen? In diesem Fall konnte er eine Katastrophe auslösen. Dies war... meine Absicht, drang die blecherne Stimme aus dem kugelförmigen Kommunikator, der nach wie vor über ihnen schwebte. Eure Schiffseinheiten sollten sich gegenseitig eliminieren... Aber ich stelle fest... es ist alles aus... »Ich werde durchzusetzen versuchen, daß man dir hilft«, sagte Clayborn. »Die Flotten haben gute Chirurgen zur Verfügung. In einer Stunde kann die Operation stattfinden.«

Ich sterbe, versicherte der Cyborg. Täuschte Clayborn sich, oder schwang in der mechanischen Stimme ein Anklang von Furcht mit? Er wußte nichts zu antworten.

Saratow zerschmolz eine weitere Trennwand. Der Commander zuckte unwillkürlich zusammen, als der Riese aufbrüllte.

»Wir haben es geschafft! Barry, Veem - wir sind durch!«

Vor ihnen lag ein gewölbter Hohlraum, worin stählerne Verstrebungen aufragten, ein ungenutzter Winkel, wie er. zwischen Schiffshülle und den eigentlichen Nutzraumabschnitten bisweilen unvermeidlich war. In der Hülle klaffte ein rundes Loch mit Rändern aus erstarrter Schmelzmasse, wahrscheinlich durch den Aufschlag eines porösen Meteors entstanden. Die dünne Atmosphäre, die der Cyborg zum Zwecke der Kommunikation in die unbeschädigten Schiffszellen gelassen hatte, entwich nun mit einem rasch verklingenden Pfeifen, nachdem Saratow die letzte Trennwand beseitigt hatte. Der Kommunikator schwebte noch in ihrem Gefolge, aber jetzt war er nutzlos.

Die drei verließen das Wrack, stießen sich von dem zerkraterten Rumpf ab und aktivierten ihre Rückstoßdüsen. Das Schlimmste lag hinter ihnen. Es blieben noch etwa zwanzig Minuten, die sie brauchen würden, um die Mordain zu erreichen. Aber damit befanden sie sich noch nicht außerhalb des Zielgebiets.

Clayborn empfand einen plötzlichen Taumel, wie er einem Raumkoller vorausging, ein rasendes Gefühl des Stürzens und Verlorenseins. War dies eine Reaktion seiner überforderten Nerven - oder versuchte der todgeweihte Cyborg ein letztes Mal, diesmal auf telepathische Weise, sich mit ihm in Verbindung zu setzen? Diese Emotion, eine gräßliche Mischung aus Einsamkeit, Enttäuschung und Betrogensein konnte nur von jenem Geschöpf herrühren, das durch eine Ewigkeit von Leid gegangen war. Die Aufwallung verging so plötzlich wie sie gekommen war.

Voraus sah Clayborn den schimmernden Rumpf der Mordain. Von dieser Minute an besaßen sie wieder eine erfolgversprechende Chance. Der Commander aktivierte den Sender.

»Clayborn an Mordain«, begann er sein Schiff zu rufen, Clayborn an Mordain, bitte kommen...«

Eine Antwort blieb aus.

––––––––


22

»Es tut mir außerordentlich leid, Professor«, erklärte Weyburns Hamstergesicht auf dem Hybeam-Bildschirm. »Sie wissen, daß meine Möglichkeiten begrenzt sind. Ich habe alles getan.« Luden musterte ihn' aus eingesunkenen Augen. Am Kontrollpult brannten zwei andere Lämpchen, die darauf verwiesen, daß weitere Gespräche anstanden. Aber er konnte nur eins nach dem anderen erledigen.

»Alles?« echote der Professor. »Wirklich alles?«

Der Direktor nickte. »Ich habe sogar mit meinem Rücktritt gedroht. Ohne Erfolg. Die Sicherheitsbehörden wagen in die Entscheidungsfreiheit der Admiralität nicht hineinzureden, selbst auf die Gefahr hin, daß sie drei der besten Mitarbeiter verlieren. Klar. daß mir das am wenigstens gefällt. Aber es ist nicht mehr zu ändern.«

Professor Luden schwieg. Damit hatte er insgeheim gerechnet, da er die manchmal merkwürdigen Prinzipien der Ministerien und die Rivalität der terranischen Dienststellen zur Genüge kannte. Trotzdem war er zutiefst betroffen. Die vorliegende Entscheidung war identisch mit der Auslöschung ihres Teams. Luden wäre weniger erschüttert gewesen, wenn diese Vernichtung im Kampf mit einer feindlichen Macht erfolgt wäre, aber die immerhin fünfzigprozentige Möglichkeit, daß die Dreiergruppe, falls ihr an Bord des Wracks nichts zugestoßen war, das Opfer terranischer Waffen wurde, wirkte demoralisierend. Luden beschäftigte sich bereits - was seine Furcht um die Freunde und die bereits anklingende, resignierte Trauer keineswegs beeinträchtigte - mit dem Gedanken, wo in Zukunft sein Platz sein würde.

»Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen«, flüsterte er. Dann unterbrach er ohne ein weiteres Wort die Verbindung und drückte einen Knopf. Der Anruf kam auf einer Unterlichtfrequenz - jener, die er mit Barry zur Aufrechterhaltung des Kontakts vereinbart hatte! Ruckartig beugte der strapazierte Wissenschaftler sich vor... Kein Bild erschien auf dem Schirm.

»... an Mordain«, dräng die leicht nervöse Stimme des Commanders aus dem Lautsprecher. »Clayborn an Mordain, bitte kommen... Hallo?«

Es kostete Professor Luden, der ansonsten ein extrem ruhiger Mann war - seine melancholische Grundstimmung ließ sich wohl am besten mit dem alten Blues vergleichen -, große Überwindung, nicht in ein zeitverschwenderisches und unwürdiges Freudengeheul auszubrechen. Dennoch, dies war, obwohl er sich scheute, solche Regungen äußerlich auszudrücken, einer der glücklichsten Augenblicke seines Lebens. Hastig preßte er die Sprechtaste des Unterlichtfunks nieder.

»Mordain an Clayborn«, schrie er. »Barry, wo seid ihr...? Was ist los?«

»Alles in Ordnung«, kam Clayborns Stimme. Sie klang ungewöhnlich heiser und rauh. »Sind unterwegs zur Mordain. Durchgeben, daß Flotteneinsatz sich erübrigt. Näheres an Bord. Ende.«

»Seid ihr gesund?« fragte Professor Luden erregt. »Das Wrack - was ist damit?« Der Forschungsund Entdeckereifer des. Wissenschaftlers gewann die Oberhand. Er vergaß sogar, daß die kritische Lage noch nicht völlig entschärft war.

»Geduld.« Erst jetzt registrierte Luden die Müdigkeit seines Freundes. Er hatte den Eindruck, daß Clayborn erschöpfter und weniger befriedigt war als nach allen anderen Risikoeinsätzen, an denen der Professor schon teilgenommen hatte. In dem fremden Wrack mußte sich Außergewöhnliches ereignet haben.

Die Hände des Professors huschten in gezielter Eile über die Kontrollen des Kommunikatorsystems. Er rief MALACA 1 und 2; sicherlich war es den Funkzentralen der Flaggschiffe nicht entgangen, daß der Kontakt zwischen der Dreiergruppe und der Mordain wiederhergestellt war, aber Ludens wissenschaftliche Gesinnung räumte der militärischen Logik nur geringes Vertrauen ein. Welcher harmlose Zivilist konnte schon ahnen, zu was für monströsen Eingebungen taktische und strategische Erwägungen führen mochten? Auf jeden Fall wollte er ein Wort mitreden.

Keiner der beiden Flottenbefehlshaber, weder Ngrombo noch Xot, gab sich länger unschuldig. Mit größter, geradezu verblüffender Selbstverständlichkeit bestätigten die beiden, bereits davon informiert zu sein, daß die Dreiergruppe sich wieder gemeldet hatte. Professor Luden enthielt sich einer bissigen Bemerkung, die ihm auf der Zunge brannte. Diese Dinge waren jetzt gleichgültig.

Commander Xot, der Marsianer, begann unverzüglich eine lange Liste unverschämter Forderungen aufzusagen. Erstens, so meinte er, habe die Mordain den Raumkubus K 123-657 - 903 mit geringstmöglicher Verzögerung zu verlassen, da der Sondereinsatz, der sich in der Verantwortlichkeit der terranischen Sicherheitsbehörden vollzogen habe, nunmehr beendet sei und alle weiteren erforderlichen Maßnahmen ‚daher' dem Zuständigkeitsbereich der Admiralität zufielen, die jede weitergehende Einmischung mißbilligen werde. Es könne gar zu ,ernsten Differenzen' kommen. Zweitens benötige man umgehend einen ausführlichen Bericht, und zwar schriftlich in achtfacher, mündlich auf Magnetspule in zwölffacher Ausfertigung, wobei die schriftlichen Exemplare die persönliche, handschriftliche und eigenhändige Unterschrift von Commander Clayborn tragen müßten. Drittens sei sämtliches etwa gewonnenes Daten-, Film- und Tonmaterial sofort den Flottenexperten auszuhändigen. Dies, so erklärte der Kommandant kaltblütig, seien die wichtigsten einzuleitenden Schritte, außerdem sei es jedoch erforderlich, daß...

Professor Luden starrte ihn nur an.

»Wie ich sehe, habe ich mich in Ihnen keineswegs getäuscht, Commander Xot«, sagte Luden tonlos. Mochte der Mann die Äußerung auslegen, wie immer er wollte. Luden hatte keine Lust mehr, sich in sinnlosen Auseinandersetzungen zu verzetteln. Er brach den Funkkontakt zu MALACA 1 und 2 ab.

In der Tat hatten sie, nachdem Clayborn, Saratow und Chemile sich wieder an Bord der Mordain befanden, zunächst andere Sorgen als die, wie sie am schnellsten den Wünschen des Befehlshabers von MALACA 2 entsprechen sollten. Die drei waren nicht bloß hochgradig erschöpft und mit den Nerven am Ende, sondern auch stark radioaktiv verseucht. Ihre Raumanzüge und die Kleidung waren gänzlich unbrauchbar geworden.

Ohne Zeit zu versäumen, tat Luden alles Notwendige gleichzeitig. Er schickte sie, indem er ihre Müdigkeit mißachtete, unter die Absorberdusche, rieb ihre Körper von Kopf bis Fuß mit ebenfalls absorbierender Nährsalbe ein und verabreichte ihnen Blutplasma- und Knochenmarkinfusionen.

Unterdessen wurde das Wrack mit Traktorstrahlen aus seiner Position entfernt und auf der Hülle eines Kampfraumers verankert. Ein Heer von Spezialtrupps und Expertengruppen schwärmte an Bord, begann zu filmen, zu messen und zu analysieren, registrierte, demontierte und rekonstruierte, selbstverständlich nicht, ohne daß es dabei unverzüglich zu den heftigsten Kompetenzstreitigkeiten und Zerwürfnissen kam. Sie trafen auf keinen Widerstand und auf keine Hindernisse. Der PsiCyborg war tot.

Commander Ngrombo brachte immerhin soviel Kameradschaftlichkeit auf, um Clayborn seinen Glückwunsch auszusprechen. Er hätte es, betonte er, wirklich sehr bedauert, einen so mutigen und fähigen Mann ausradieren zu müssen.

Clayborn konnte kaum noch die Augen offenhalten. Chemile und Saratow lagen bereits in ihren Kabinen, waren auf der Stelle, nachdem Professor Luden ihnen entsprechende Injektionen gegeben hatte, in auf 48 Stunden bemessenen Heilschlaf versunken.

»Hoffentlich hätten Sie wenigstens anschließend noch eine Ehrensalve abgefeuert«, murmelte er. Seine Knie waren butterweich.

Ngrombo schwor, das hätte er sich keinesfalls nehmen lassen. übrigens, berichtete er, lägen bereits die ersten Resultate vor. Den Speicherbänken des mit dem Hirn gekoppelten Computers habe man entnommen, daß das Wrack außergalaktischer Herkunft sei, nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Sternhaufen der Pleiaden stamme. Die Experten behaupteten, sagte er, aus der Erforschung des Schiffes ergäben sich sehr interessante wissenschaftlich-technische Aufschlüsse, und man müsse unbedingt versuchen, mit der pleiadischen Fremdspezies, falls diese noch existiere, in friedlichen Kontakt zu treten.

»...aber vom militärischen Standpunkt ergeben sich natürlich mancherlei Bedenken«, ergänzte der weißhaarige Afrikaner. »Oh, Sie sind müde...? Ja, dann...«

Clayborn schickte sich soeben an, den Kontrollraum der Mordain zu verlassen, als Luden ihn nochmals zurückhielt.

»Barry, so leid es mir tut...« Er seufzte verständnisvoll. »Weyburn auf Hybeam-Frequenz.«

»Weyburn?« Clayborn stieß mit letzter Kraft ein rauhes Lachen aus, bevor er sich endgültig abwandte. »Er soll 'sich dorthin scheren, woher ich zurückgekehrt bin. In die Hölle.«

Er begab sich in seine Kabine und streckte sich auf dem Polster aus. Mit Hilfe der Clune-Disziplin, der Methode zur Selbsthypnose zwecks Minimierung der Körperfunktionen, bereitete er sich, was er jetzt am dringendsten benötigte - einen heilkräftigen, traumlosen Schlaf, in dem er den durchstandenen Horror vergessen konnte. Wenigstens für Stunden.

Ende

11 tolle Science Fiction Romane November 2021

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