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2. Pop Art, Post-und Spätmoderne
Оглавление„Einige vitale Lektionen der Pop-Art hätten die Architekten aus ihren gekünstelten Träumen von der reinen Ordnung aufwecken sollen." Robert Venturi [52]
Die konventionelle und „konfektionierte" Architektur unserer Städte lag über Jahrzehnte in Dauerfehde mit der Gesellschaft und bisweilen muss man mit Verdruss feststellen, das sie das meistens immer noch tut. Die Realisierung der großen Utopie der Megastrukturen und der Space-Architektur, die in einem gigantischen Maßstab die flächenbezogene Stadtplanung tatsächlich in die dritte Dimension führen, also ganze Städte in geschlossene Körper auf Erden und im Weltenraum zwängen wollen (z. B. Le Corbusier, Paolo Soleri), muss weiterhin verschoben werden.
Die Architektur der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts war im Widerspruch zur großen Utopie wieder überschaubar geworden. Dieser Trend arbeitete mit dem Versatzstück aus der Baugeschichte und mit bodenständigen Bautraditionen: Metaphorisches und kommunikatives Bauen, sprechende Architektur, die mehr zu sagen scheint und verständlicher sein soll als ihre Vorgängerin.
Wie in der Pop Art der 60er Jahre wurden dabei die Unordnung und die Widersprüche in unserer Alltagsrealität akzeptiert und ihr Jargon in Architektur übersetzt. Was in der Architektur der 60er und frühen 70er Jahre allenfalls eine kaum beachtete Randerscheinung war, war plötzlich aktuell geworden. Die Fachliteratur dieser Jahrgänge hat den eigentlich für die Bildende Kunst reservierten Begriff „Pop" auch für die Architektur übernommen.
Pop Art war nicht nur der Oberbegriff für die vorherrschende Kunstrichtung der 60er Jahre, sondern „Pop" wurde über die Bildende Kunst hinaus zum Schlagwort, das wie kaum ein anderer Begriff der Kunstgeschichte in alle Bereiche drang und Eingang in die Umgangssprache fand: Pop-Musik, Pop-Literatur, Pop-Farben, Pop-Corn, Superflower-Pop-Op-Cola, poppig, Schocker-Pop, Op-Pop, Agit-Prop-Pop usw. Alles, was etwas bunt war, sich einen jugendlichen Appeal zulegte, sich nonkonformistisch gerierte, machte Anleihe bei diesen drei Buchstaben und das ist im allgemeinen Sprachgebrauch auch bis heute so geblieben. Für die Entwicklung der Kunst in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts war die Pop Art von ausschlaggebender Bedeutung. Die Folgezeit kennt eine Vielzahl von Kunstrichtungen, die teilweise direkte Bezüge zur Pop Art aufweisen: Op Art, Land Art, Eat-Art, Multimedia, Concept Art, Minimal Art, Happening, Fluxus usw.
In seinem Buch „Die vergeudete Moderne" schreibt der Bauhistoriker Frank Werner, dass das Thema „Pop-Architektur" zuallererst „terminologischen Verdruss" bereite [56]. Bei der Untersuchung des Begriffs erkennt man schnell, dass Pop anscheinend in jeder gewünschten Richtung deutbar ist.
Der Ursprung des Wortes „Pop" in der heutigen Bedeutung ist strittig. Pop wird entweder für eine Abkürzung von populär oder für eine englische Übersetzung des Wortes „Knall" gehalten. Für die zweite Version spricht eine frühe bildnerische Darstellung des Wortes Pop auf einem übergroßen Lutscher – einem Lolli-Pop – in einer Collage des Briten Richard Hamilton aus dem Jahre 1956, einem Schlüsselwerk der Pop-Art: „Was macht heute eigentlich unser Zuhause so anders, so anziehend?" (Abb. 2.1)
Anfang der 60er Jahre tauchten neue Bildsymbole in der Kunst auf: CocaCola-Flaschen, Campbell-Suppendosen, Marilyn Monroe und Elvis Presley neben Comic-Helden und anderem „Allerweltskram". Der Jargon der Straße, die Dinge des alltäglichen Lebens, die zu Kunstobjekten erhoben wurden, verdrängte die Ästhetik der bisher vorherrschenden Kunstrichtungen. Wer sah sich nicht irritiert von echten oder abgebildeten Plastikeimern, Eiscreme, Brillo-Kartons oder aufgehängten Besen, an denen auch noch geschrieben stand, dass sie nichts anderes als Besen seien (Jasper Johns)?
Eine neue Künstlergeneration hatte auf ihre Fahnen geschrieben, dass sie mit der Ästhetik im alten Sinne nichts mehr zu tun habe, dass jetzt Schluss sei mit der „edlen" Kunst, dass wirkliche Kunst vielmehr all das sei, mit dem uns die Realität umgebe, und wenn überhaupt, dann sei diese Warenwelt, das Industrieprodukt ästhetisch – also genau das Gegenteil von dem, was dem Kunstfreund lieb und teuer war. Indes – der Schock wurde überwunden. Die Pop Art wurde zu einem gewaltigen, auch geschäftlichen Erfolg. Hätte auch ein so wichtiges amerikanisches Institut wie das Museum of Modern Art diesen neuen Trend beinahe verpasst, so sorgten doch einflussreiche Kunsthändler dafür, allen voran Sidney Janis und Leo Castelli, dass die Pop Art zur bedeutendsten Kunstrichtung der Nachkriegszeit wurde. Andy Warhol, Roy Lichtenstein oder Claes Oldenburg, so lauten die zugkräftigen Namen in der Kunst der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. Andy Warhol allein war von offensichtlich so großer gesellschaftlicher Bedeutung, dass die Gründerin der „Society for Cutting up Men (SCUM)", Valerie Solanas, ihn als Repräsentanten der Männer-Erfolgsgesellschaft im Jahre 1968 zu erschießen versuchte und dabei schwer verletzte (verfilmt als „I shot Andy Warhol“). Es ist durchaus möglich, dass die Spätfolgen der Schussverletzung seinen Tod nach einer Gallenblasenoperation 1987 mit verursachten.
Mit der Pop Art wird oft nur das amerikanische Kunstgeschehen dieser Zeit gleichgesetzt. Obwohl Pop Art in den Vereinigten Staaten eine weitaus stärkere Durchschlagskraft hatte, stammt der Begriff selbst ursprünglich aus England. Nach Du Monts Lexikon der Pop Art soll der Kritiker Lawrence Alloway 1954 als erster den Ausdruck Pop im Sinne von Pop Culture benutzt haben [38]. In seinem Beitrag zum Buch „Pop Art" von Lucy Lippard sagte Alloway selbst dazu: „Der Begriff Pop Art' wird mir zugeschrieben, aber ich weiß nicht genau, wann er zuerst benutzt wurde. Ein Autor hat behauptet: Lawrence Alloway prägte als erster den Begriff Pop Art 1954. — Das ist zu früh" [30].
Nach Alloway ist diese Bezeichnung irgendwann zwischen 1955 und 1957 im Gespräch über die Arbeiten der Independent Group entstanden. Alloway selbst war Mitglied dieser Gruppe von Künstlern, Architekten und Kritikern, zu der unter anderen auch Eduardo Paolozzi und Reyner Banham gehörten. Die Independent Group repräsentierte sozusagen die erste Generation britischer Pop-Art-Künstler. Weitere Namen der britischen Szene sind Richard Hamilton, Allen Jones oder David Hockney. Ein Bindeglied zwischen der britischen und der amerikanischen Richtung der Pop Art ist die gemeinsame Begeisterung für die amerikanische populäre Kultur, die sie als Quelle der Inspiration benutzten. Einige britische Künstler, wie z. B. David Hockney, übersiedelten in die USA, wodurch die britische Szene an Bedeutung verlor und die amerikanische sich stärker entwickelte.
Erst 1962 taucht der Terminus „Pop" in den Vereinigten Staaten auf. Lucy Lippard stellt fest: „Pop Art ist ein amerikanisches Phänomen. Es wurde zweimal geboren, zuerst in England und dann wieder unabhängig in New York" [30]. Die wirklichen Pop-Künstler sind für sie lediglich die New Yorker Fünf: Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Tom Wesselmann, James Rosenquist und Claes Oldenburg. Alle anderen, sogar die West-Coast-Künstler, wie z. B. Mel Ramos, haben für sie nur mehr oder weniger stark ausgeprägte Bindungen zum Hauptgedanken des Pop. Bis auf England gebe es in Europa gleich gar keine Pop Art, auch wenn einige Künstler Parallelen zeigten. Eine prononciert amerikanische Sicht der Dinge, die aber der Vielfältigkeit der Pop-Szene nicht gerecht wird. Jede Diskussion über Pop muss zunächst von zumindest zwei verschiedenen Begriffsdefinitionen ausgehen. Der eigene Standort wird dadurch bestimmt, welche Definition man sich zu eigen macht. Nähert man sich dem Begriff über den Aspekt „populär", so ist er zweifellos überzeitlich und lässt sich für andere Epochen genauso gut anwenden. Pop und Pop Art meinen demnach nicht grundsätzlich immer das Gleiche. Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass der Begriff für diese Kunst in ihrer Zeit geprägt wurde, es deshalb dem Verständnis dient, wenn die Pop Art eine zeitlich begrenzbare Periode zeitgenössischer Kunst kennzeichnet.
Zwei unterschiedliche Begriffsdefinitionen deuten nur an, wie komplex das Phänomen Pop tatsächlich ist. In seinem Buch „Pop International" hat Germanist Jost Hermand den Versuch unternommen, das Phänomen kulturgeschichtlich umfassend zu deuten. Nach anfänglich sachlicher Strenge gerät das Werk zu einem Sittengemälde der späten 60er und frühen 70er Jahre. Im Nachwort distanziert er sich eigentlich von der ganzen Erscheinung des Pop; die Abhandlung ist eine vernichtende Analyse, wie es der Untertitel des Buches auch bereits einräumt.
Zitat Hermand: „Schließlich fordern wir ja auch auf anderen Gebieten, wenn man sich um etwas wirklich bemüht und es zu einer gewissen Vollendung bringen will, eine ästhetische Perfektion. Warum nicht auch eine Kunst der Kunst? Mit Non-Art oder Un-Art sind wir in letzter Zeit wahrlich genug versorgt worden" [18].
Dieses harte Urteil kann wohl nur im Hinblick auf extreme Folgeerscheinungen des Kunstbetriebes verstanden werden. Was ist nicht alles im Namen der Kunst geschehen: Schlachten von Schweinen mit anschließender Verricht der Notdurft auf nackten Frauenleibern durch Otto Muehl, Flugzeugabsturz über New Yorker Müll mit HA Schult, Brotstraßen, Fettecken, Honigpumpen, mit Leukoplast beklebte Badewannen von Joseph Beuys oder sukzessive Selbstverstümmelung mit anschließendem Selbstmord des Rudolf Schwarzkogler, (1969). Solche Extreme lassen sich nicht ohne komplizierte Herleitungen unter Kunst und schon gar nicht unter dem Begriff Pop-Art vereinen.
Lucy Lippards Buch „Pop Art" gilt als erstes Standardwerk über diese Kunstrichtung. Ihre Arbeit befasst sich wie die meisten vorwiegend mit dem Kerngebiet des Pop, der Bildenden Kunst. Vielfältige Publikationen sind seitdem über die Pop Art geschrieben worden. Besonders in den Vereinigten Staaten findet man viele kleine Bildbände, Paperbacks über bizarre Volkskunst, Handmade Houses, Hausboote, Supergrafiken, Wandmalereien, Auto-und Motorradschmuck und dergleichen mehr, die sich gerne an den Begriff „Pop“ anlehnen. So gibt es natürlich auch Architekturbücher, die die Pop Art zu den Einflussquellen der Architektur zählen, z. B. „Supermannerism" von C. Ray Smith [47] oder „Die Sprache der Postmodernen Architektur" von Charles Jencks [20]. Gemeinsame Aussage dieser Bücher: Der Jargon des Pop wird als ein lebendiges Element einer damals neuen Architekturrichtung verstanden, der sogenannten „postmodernen" Architektur.
Der Begriff „postmodern" stammt ursprünglich aus der amerikanischen Literatur. Charles Jencks verweist im Vorspann seines Buches „Die Sprache Postmodernen Architektur" auf eine Anzahl von Literaturquellen, beginnend mit einer Datierung von 1949. Im Gegensatz zur Moderne versteht man unter Postmoderne zweierlei: einerseits modern, andererseits der Tradition verpflichtet. Die Postmoderne ist eklektisch, d. h. sie arbeitet nach der Methode des Historismus, reproduziert Elemente früherer Stile und zitiert frühere Kunstepochen, sie belebt bodenständige Architektur wieder, schließt Adhocismus ein, d.h. man baut ohne exakte Vorplanung mit dem Material, das man gerade zur Hand hat. Im Gegensatz zur Architektur der Moderne verwendet sie Zeichen und Symbole aus der kommerziellen Welt und solche von Subkulturen. Die Postmoderne repräsentiert aber in Wirklichkeit nur einen kleinen Teil der Architekturszene und ist zudem nur ein Sammelbegriff für verschiedene Bestrebungen, keinesfalls die Bezeichnung eines Stils.
Als Gegenpol zur Postmoderne gilt die „Spätmoderne" oder wie manche Begriffe heißen: „High Tech" und „Slick Tech" (die Bedeutung slick reicht von spiegelglatt bis schlüpfrig, von großartig bis trügerisch). Der Begriff „Spätmoderne" ist nach Jencks angeblich 1977 entstanden, um diese Architektur von der Postmodernen zu unterscheiden. Sie steht noch in der Tradition des sog. International Style, indem sie die Ideen und Formen der Moderne übernimmt und zu extremer technischer Eleganz und Raffinesse steigert. Ein bekanntes Beispiel: die Hyatt-Hotels des John Portman (Abb. 2.2). In einem Artikel des „New York Art Examiner" von C. K. Laine wird Portman als Johnny Rotten (der verruchte John, Punkrocker der Sex Pistols) der Architektur bezeichnet und seine Bauten als „hässlich und kriegerisch wie todbringende Raumschiffe" qualifiziert. Man mag dieses Wortspiel wenig angemessen finden, aber ein Problem dieser Architektur wird angesprochen. Der Anblick des Bonaventure Hotels in Los Angeles oder des Renaissance Centers in Detroit ist zwar faszinierend, das Gebäudeinnere aber bereitet oft Orientierungsprobleme, und in all dem feudalen Komfort ist es nahezu unmöglich, einen Platz zu finden, den man mit dem urdeutschen Wort „gemütlich" bezeichnen könnte. Wenn man die Besucher in der Hotel-Lobby beobachtet, sei es beim Essen, beim Drink, beim Gespräch, fallen jene verräterischen Blicke nach rechts und links auf, die die Verhaltensforscher „Sichern“ nennen.
Da in beiden Fällen dem Namen nach schon direkte Beziehungen zur „Modernen Architektur" bestehen, muss dieser Schlüsselbegriff ebenfalls definiert werden. „Moderne Architektur" ist die globale Bezeichnung für die Baukunst von ca. 1914 bis 1972. Sie hat sich aus den Prinzipien des Internationalen Stils entwickelt. So nannten 1932 Henry Russel Hitchkock und Philip Johnson die neue Architektur der 20er Jahre. Innerhalb der Modernen lassen sich zwei Tendenzen erkennen: zum einen eine Linie der Rationalität und Funktionalität beginnend mit der Schule von Chicago, Wright, Perret, Loos, Behrens, Gropius bis Mies van der Rohe, zum anderen eine Linie expressionistischer Tendenz über den Jugendstil und den Expressionismus bis zu Scharoun, Saarinnen und Niemeyer. Der wohl bedeutendste Architekt der Moderne, Le Corbusier hat sich in beide Richtungen bewegt. Die Endphase wird je nach Standort unterschiedlich gesehen. Jencks diagnostiziert das Ende der Moderne auf das Jahr 1972, in dem der Gebäudekomplex Pruitt Igoe in St. Louis, zwischen 1952 und 1955 von Minoru Yamasaki gebaut, gesprengt wurde.
Die Nachfolger der Architektur der Moderne haben sich also in zwei Lager gespalten. Die Postmodernen werfen den späten Jüngern Mies van der Rohes vor, dass sie immer noch Baukunst auf Funktionalität und Ökonomie reduzieren. In umgekehrter Richtung wird den Vertretern der Postmodernen ihr Eklektizismus, also der bewusste Rückgriff auf bekannte Elemente der Baugeschichte, als Bankrotterklärung ihrer Kreativität ausgelegt. Man beruft sich dabei auf Frank Lloyd Wright und Walter Gropius, die im Stilzitat, der Übernahme historischer Elemente, einen elementaren Mangel an Kreativität sahen. Da dieser Vorwurf vor der Entwicklung der Postmodernen formuliert wurde, kann er sich wohl zunächst nur auf den Eklektizismus und Historismus des 19. Jahrhunderts beziehen. Der Vorwurf trifft jedoch damals wie heute zu, wenn lediglich eine Replik entsteht, wie z. B. das Getty-Museum als detailgetreue Nachbildung einer römischen Villa im kalifornischen Malibu (1970-75, Abb. 2.3). Weil eine reine Nachahmung ohne Überdenken der Inhalte sich nicht mit dem Popgedanken vereinbaren lässt, ist in der Jenks'schen Betrachtung der Postmoderne die Bezeichnung „Popkreation" für diese zwar aufwendige, aber ohne geistige Reflexion gebaute Imitation in Malibu nicht korrekt.
Man kann sich der Pop Art also nicht nur von der Bildenden Kunst, sondern auch von der Architekturgeschichte nähern. Unter dem Titel „Pop-Architektur“ haben Wolf Vostell und Dick Higgins als Herausgeber ein Buch veröffentlicht, das bereits eine Synthese beider Kräfte verspricht [54]. Die Autoren sind allesamt Künstler, die sich über Architektur äußern: Beispielsweise Joseph Beuys, der die Berliner Mauer mit einem fünf Zentimeter hohen Aufsatz versehen will, um ihr dadurch eine bessere Proportion zu geben, oder Wolf Vostell, der den Aachener Dom zu verschönern gedenkt, indem er ein überdimensionales Bügeleisen darauf placiert (Abb. 7.14).
Das Buch von Vostell und Higgins bietet keine konstruktiven Vorschläge für ein neues Bauen, sondern kommentiert in erster Linie bestehende Architektur, wobei es zwar einerseits soziales Engagement verspricht gegen eine "luxuriöse Repressionsarchitektur, in der man nichts anfassen, nicht spucken, nicht lachen, nicht rauchen, nicht denken und nicht leben darf" (Vostell), andererseits aber nichts zur Lösung konkreter sozialer Fragen beiträgt. Dieser Vorwurf wird allerdings regelmäßig immer dann erhoben, wenn sich engagierte Künstler gesellschaftskritisch äußern, weil das Verhältnis des Künstlers zur Gesellschaft kompliziert und der Nutzwert seines Beitrages nicht objektiv messbar ist.
Wer die Pop Art bislang als rein kunstgeschichtliches Phänomen betrachtet hat, darf hier schon vermuten, dass der Rahmen der Bildenden Kunst gesprengt wird und dass die Fixierung auf die bestenfalls zwanzig Jahre Pop Art vielleicht eine willkürliche Verkürzung des Themas ist. Das Nomen „Pop" als Prädikativum oder Attribut gebraucht, gewinnt eine neutrale, d. h. nicht zeitlich gebundene Bedeutung. Nach Jencks´ Verständnis kann z. B. ägyptische oder römische Baukunst Pop sein. Wenn ein Begriff aber so großzügig benutzt wird, verliert er seine Präzision. In späteren n dieses Buches werden zwar Parallelen der Pop Art zu früheren Kunstepochen deutlich werden, aber zunächst soll Pop als eine Erfindung des 20. Jahrhunderts verstanden werden.
Mit der Zeitspanne 20. Jahrhundert ist schon ein genügend breites Spektrum vorgegeben, so dass selbst der Versuch einer angemessenen Darstellung bereits Lücken aufweisen wird.
Innerhalb dieses Zeitrahmens bieten sich zwei Epochen zu einem direkten Vergleich an. Die Pop Art der 60er Jahre setzte die banale Alltagsrealität gegen die rationalen ästhetischen Standards der bis dato vorherrschenden Kunstrichtungen. Diese Absicht und besonders die Radikalität, mit der sie vorgetragen wurde, macht die Pop Art mit der Dada-Bewegung der 20er Jahre verwandt. Die Dada-Bewegung war die Rebellion gegen die kulturellen Formen der fadenscheinig gewordenen künstlerischen und gesellschaftlichen Konvention. Sie stellte sich damit auch gegen die zeitgleichen Ismen (Konstruktivismus, Kubismus, Suprematismus), die sich auf abstrakte Ordnungsprinzipien beschränkten. Für die Architektur bedeutete das: mit dem Beginn der Architektur der Moderne, in der Funktionalität und Ökonomie beinahe zu ausschließlichen Maßstäben wurden, gab man die bis dahin in der Architektur gültige Auffassung auf, nach der populäre und „hohe Kunst" ein allgemein verständliches Ganzes waren. In der Zeit um den Ersten Weltkrieg wurde der Grundstock gelegt für eine Architektur, die aber dann erst bestimmend für die Stadtlandschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde, obwohl sie doch ganz wesentliche Bedürfnisse ihrer Nutzer vernachlässigte. Zuerst in der Bildenden Kunst und hier besonders in der Pop Art fand der Verdruss über diese emotionale Unzulänglichkeit der von den Menschen selbst geschaffenen Umgebung ihren Ausdruck. Die Postmoderne hat dabei auch von der Pop Art gelernt und formierte sich als Reaktion auf den internationalen Einheitsstil.
Jede Kunsterscheinung hat mehr oder weniger Wurzeln in der Vergangenheit; die Pop Art hat sie vor allem in der Dada-Bewegung und im Surrealismus. (Genauso wie Dada und Surrealismus niemals Stile waren, ist auch Pop kein Stil.) Man kann selbst Picasso und Fernand Leger als Vorläufer der Pop Art bezeichnen.
Mit den Ready-mades von Marcel Duchamp hatte man die bislang radikalsten künstlerischen Kreationen zum Vorbild. Duchamp malte gar nicht erst das Industrieprodukt, sondern er nahm einen fertigen Gegenstand und erhob ihn durch seine Signatur zum Kunstobjekt. Geschehen 1917 — und immer noch scheiden sich am Flaschentrockner und am simplen Urinal die Geister, können viele nicht begreifen, dass es sich dabei um Kunst handeln soll.
In dem alltäglichen, lediglich ausgewählten Gegenstand Flaschentrockner manifestiert sich eine Idee: Das Ordinäre wird zur Kunst erklärt. Nicht der Gegenstand selbst ist Kunst und schon gar nicht die Signatur. Duchamp fasste es so: „Ich bin an Ideen interessiert, nicht in erster Linie an visuellen Produkten." Wie wenig sein Interesse an ein bestimmtes Objekt gebunden war, beweist die Tatsache, dass einige Ready-mades verlorengingen und Duchamp sie einfach durch neue ersetzte oder er die Erlaubnis gab, sie in kleinen Auflagen zu reproduzieren. Hier bereits eine Parallele zu Andy Warhols Kunstwerk-Massenproduktion.
Als ein weiteres Beispiel früher Vor-Pop-Art darf man das berühmte Pelzgeschirr von Meret Oppenheim betrachten. Da wurden so banale Gegenstände wie Teller, Tasse und Löffel mittels des sicher zur Nahrungsaufnahme untauglichen Materials Fell ähnlich verfremdet, wie später die weichen Toiletten und Zahnpastatuben von Claes Oldenburg mittels ungewöhnlichen Materials von der einfachen Verständnisebene ihrer Muster gelöst wurden. Eine Toilette aus weichem Stoff ist eben keine eindeutige Darstellung einer Toilette mehr, sondern ein eigenständiges, künstlerisches Objekt.
Es hat keinen Beginn der Pop Art in Form einer Initialzündung gegeben. Die Jahre der Pop Art, vornehmlich die 60er, waren den 20ern in Vielem ähnlich. Beide Dekaden waren einerseits Perioden der Unruhe und des Widerstandes gegen die bestehende Gesellschaftsordnung, andererseits waren sie Jahrzehnte reicher Kreativität. Das eine sah die Russische Revolution noch am Anfang, eine starke sozialistische Bewegung in Deutschland der Weimarer Republik und in ganz Europa eine aktive nonkonformistische Intelligenz. Die Jugend in den 60er Jahren stellte in einer weltweiten kulturkritischen Revolte die bürgerlichen Werte des „Establishments" in Frage. Das neue Selbstverständnis äußerte sich in Kleidung, Haartracht, sexueller Liberalität und gesellschaftskritischen Bewegungen wie der „neuen Linken".
Die Selbstbefreiung hatte jedoch ihre tragischen Seiten: In Berkeley, Kalifornien, wurde ein Student erschossen und über hundert weitere verletzt. In Kent, Ohio, gab es bei Ausschreitungen und Demonstrationen 1969 vier Tote. In Deutschland wurde der Tod des Studenten Benno Ohnesorg zum Beginn blutiger Straßenschlachten. Trotz brutaler Spätfolgen in Deutschland, Frankreich und Italien war der Geist der 60er Jahre im Kern auf friedliche gesellschaftliche Veränderung ausgerichtet, was die APO (außerparlamentarische Opposition) den „langen Marsch" durch die Institutionen nannte. Durch Überreaktion und gegenseitige Provokation eskalierte die Entwicklung.
Ein Element internationaler Kommunikation der protestierenden Jugend war die Rock-und Pop-Musik der Beatles, der Rolling Stones, der Doors, von Bob Dylan, Jimmy Hendrix, Janis Joplin, Frank Zappa und vielen anderen, die damit im Gegensatz zu den meisten anderen zeitgenössischen Musikrichtungen eine wirkliche gesellschaftliche Relevanz besaß. Die Schlüsselsätze „Give peace a Chance" und „Life is very short and there is no time for fuzzing and fighting" stammen von John Lennon. Die Pop-Musik war eine emotionale Entladung ähnlich wie die Pop Art in der Bildenden Kunst.
Ohne die Einbeziehung der Rahmenbedingungen der späten kapitalistischen Gesellschaft, besonders in den USA, ist Pop nicht zu erklären.
Vorwiegend der Besitz bestimmt hier den gesellschaftlichen Status eines Menschen, die Umwelt erlebt man durch die Windschutzscheibe seines Autos, der Fernseher wird zum Fetisch. Wer nicht konsumiert, hat nicht wirklich Anteil am Leben. Ohne ständig steigenden Konsum und phasenverschoben steigende Investitionen kann eine kapitalistische Gesellschaft nicht existieren. Deshalb wird der Konsument mit Werbereizen überflutet; es gibt keine Möglichkeit, sich dem „Big Brother" zu entziehen. Die „Coca-Colarisierung" ist total. Die permanente Aufforderung zum Konsum geht durch alle Medien. Die Reklametafeln prägen das Stadtbild. Sie sind so groß geworden, dass man das dazugehörende Gebäude kaum noch sieht.
Die Straßen von Los Angeles, der in diesem Sinne „amerikanischsten“ Stadt der USA (L. A. ist America's America) verlaufen zwischen einem Spalier von Werbetafeln (Abb. 2.4); diese „Außenmarkierungen" der Freeways sind oft aufwendig konstruiert und haben nichts als Werbung zu tragen. Die Regeln, nach denen die Tafeln gestaltet werden, sind einfach: je größer, desto besser, je knalliger die Farben, um so effektvoller, je mehr Bewegung und Geflacker, um so auffälliger. Die Welt der Reklame bestimmt die Stadtlandschaft des amerikanischen Westens oft mehr, als es die Architektur im eigentlichen Sinne vermag. Wie ein Vexierbild scheinen sich die Zeichen zur Erfüllung ihrer kommerziellen Aufgaben immer größer und aggressiver gebärden zu müssen. Ihrer Allgegenwart zu entfliehen, scheint unmöglich, solange das Auto die Stadtbild von Los Angeles so eindeutig bestimmt, solange ihm alle Opfer an verfügbarem Land, Energiereserven und der Gesundheit der Bewohner gebracht werden.
Der Gesamteindruck hat die Säuberungswelle des „Highway Beautification Act" aus dem Jahre 1965 überlebt. Damals wurde man sich der Umweltverschandelung durch die Bill Boards bewusst und im Verlaufe der Aktion wurden etwa 500 000 Reklametafeln entfernt. Ausgerechnet zu dieser Zeit verlangte der Architekt Robert Venturi, wenn überhaupt etwas vergrößert werden sollte, dann die Bill Boards. Venturi sieht in ihnen ein vitales Element der Stadtgestaltung. Der Literat Tom Wolfe drängt noch stärker in diese Richtung, indem er behauptet, die Werbedesigner seien den ernsten Künstlern um wenigstens eine Dekade voraus. Er empfiehlt letzteren, ein Jahr bei Raymond Loewy, dem bekanntesten Commercial Designer Amerikas, in die Lehre zu gehen.
Ein weiteres Paradebeispiel einer Stadt, deren Stadtbild durch Werbung bestimmt wird, ist das amerikanische Spielerparadies Las Vegas. Die populären Symbole des „Commercial Strip" (auf kommerziellen Gewinn ausgerichtete und dementsprechend gestaltete Straßenlandschaft) prägen diese Stadt wie keinen anderen Ort dieser Welt. Nach dem Motto „If you can't beat 'em, join 'em" (wenn du nicht dagegen ankommst – mach halt mit) haben die Pop-Künstler die so erfolgreichen Symbole der Bill Boards aufgenommen: das Markenprodukt, die Film-und Musikstars, Schrift und Zahl. Nur werden in der Pop Art die banalen Gegenstände oder menschlichen Gestalten in ihren Proportionen verzerrt oder das Material verändert oder sie in einen ungewöhnlichen Zusammenhang gestellt, um auf diese Weise einen Bewusstseinsprozess anzuregen. Pop Art ahmt nicht die Werbung nach, sondern benutzt ihre Ikonographie in neuen Arrangements, um zu Aussagen zu gelangen, die von naiver Verherrlichung bis zu beißender Satire reichen können. Weil hier ein typisch amerikanischer Wesenszug zu Tage tritt, lehnt Lucy Lippard den früher für Pop Art synonym gebrauchten europäischen Terminus „Neo-Dada" zu Recht ab.
Einer der ersten der amerikanischen Kulturszene, der die Kraft der Vulgär-Kunst akzeptierte, war der Komponist John Cage. Sein Einfluss auf die New Yorker Pop-Artisten ist nicht zu unterschätzen. Cage war mit einigen von ihnen befreundet, die sein Übernehmen von schlichten Geräuschen in die Musik in gedanklich parallele bildnerische Darstellung umsetzten.
Robert Venturi hat ähnliche Gedanken auf die Architektur übertragen. Er war der erste zeitgenössische Architekt, der bewusst Ansätze der Pop Art übernahm und in seiner Theorie des Bauens berücksichtigte.
Pop-Architektur hingegen gab es schon viel früher. Der Anfang liegt bereits im ersten Viertel dieses Jahrhunderts, und damit gleicht die zeitliche Distanz der, die zwischen den Pop-Artisten und dem Dadaisten Marcel Duchamp liegt. Der gleiche Zeitabstand ist wohl mehr Zufall, weil der qualitative Abstand von einer kalifornischen Würstchenbude zur Duchampschen Urinschüssel doch recht beträchtlich ist. Es soll hier keine künstlerische Querverbindung zwischen solch verschiedenen Beispielen konstruiert werden, aber im größeren Zusammenhang (s. 8: Das Symbol in der Architektur) wird das übereinstimmende Moment doch recht interessant.
Als ein weiteres wichtiges Element der Entwicklung hin zur Pop Art wird neben Dada, populärer Subkultur und der Ikonographie der Reklame eine geistige Orientierung der jungen Intellektuellen in den 50er Jahren in Amerika angesehen, die mit dem Namen „Camp" bezeichnet wird – ein Begriff der amerikanischen Gesellschaftskritik, der im Deutschen keine Parallele kennt. Der Begriff lässt sich einerseits aus dem allgemeinen Sprachgebrauch des englischen Wortes „camp" herleiten: Einerseits Lager, zeitweiliger Aufenthalt einer Gruppe. Andererseits geht der Ausdruck im speziellen Sinne auf „Campus" zurück, den geschlossenen Bereich der amerikanischen Universitäten. Der „Campus“ umschließt nicht nur Gebäude, Grünanlagen und Zuwege, sondern ist auch ein Ort für sämtliche studentischen Aktivitäten und gemeinschaftlichen Belange. Man studiert nicht nur auf dem Campus, man wohnt und lebt dort. Dieses Klima hat insofern einen Einfluss auf das Allgemeinverhalten der Studentenschaft, als tradierte Werte generell in Frage gestellt und für eine gewisse Zeit durch gemeinsam erlebte Moden und Launen neu bestimmt werden.
Zitat C. Ray Smith: „,Camp' bedeutet eine grundsätzliche Verhaltensweise und einen einzigartigen Humor in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Als losgelöste ästhetische Vision erlaubt Camp Umkehrungen der Beurteilung – von schlecht zu gut, von traurig zu lustig, von ernst zu heiter – und andere Grenzüberschreitungen. Respektlos verdreht Camp die Dinge zu einem humorvollen Ausgang."
In Bezug auf die Architektur bezeichnet Smith folglich die Verschmelzung der American Roadside-Pop-Architektur mit dem Impuls der kommerziellen Symbole der 60er Jahre als „Campopop" [47].
Als Abschluss meiner Erörterung des Begriffes Pop will ich eine Definition wagen:
Pop Art ist die Verschmelzung des geistigen Potentials von Dada und Surrealismus mit den Methoden des Industriedesigns und der Reklame unter dem Einfluss der besonderen sozialen Verhältnisse und der daraus resultierenden Verhaltensweisen der modernen Konsumgesellschaft. Mit den in dieser Gesellschaft üblichen Symbolen und Methoden versucht die Pop Art, einen zunächst wertungsfreien Sensibilisierungsprozess anzuregen, der bei Erfolg eine bewusstere Ablehnung, Toleranz oder Begeisterung für die Erscheinungsformen der Konsumgesellschaft bewirken kann.
An dieser Stelle lässt sich die Frage als Fazit aus meinen Überlegungen stellen: Erschöpft sich die Bedeutung des Pop für die Architektur darin, nur eine Vorstufe im Entwicklungsprozess oder Ideenreservoir der Postmoderne zu sein? Ich denke, es ist genauso legitim, den Pop aus diesem Kontext herauszulösen, ihn auf seine eigene Tradition zu untersuchen und seine Möglichkeiten zu diskutieren, und umgekehrt die Postmoderne ebenso wie andere Entwicklungen der Architektur auf ihre Bezüge zum Pop hin zu befragen.
Nachdem nun die wichtigsten Begriffe erörtert sind, könnte der Leser der Vollständigkeit halber auch noch eine Definition des Grundbegriffs „Architektur“ verlangen. Das ist jedoch ein äußerst diffiziles Problem – ganz ähnlich der kaum möglichen Eingrenzung des Begriffsinhalts von „Kunst“. In den Bibliotheken sind ganze Festmeter bedruckten Papieres dieser Aufgabe gewidmet. Dazu sei mir lediglich eine Anmerkung erlaubt, die mir zum weiteren Verständnis notwendig erscheint. Die Aufgabe der Architektur geht über das Erstellen von Gebäuden hinaus. Als räumliches Gestalten überschneidet sie sich mit der bildenden Kunst und mit dem Produktdesign. In diesem Sinne hoffe ich auch, dass mein Buch eine größere Aufgeschlossenheit der Architektur für die ihr doch in vielem verwandten Künste wecken kann.