Читать книгу Am Ende - die Hölle: Texas Wolf Band 69 - Horst Weymar Hübner - Страница 6

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Im Schein der untergehenden Sonne ritten Tom Cadburn und sein Freund Sheng Nobody nach San Antonio hinein. In den Gassen und Straßen stand noch die Tageshitze, nur aus den Gärten und vom San Antonio River herauf wehten die ersten milderen Lüftchen.

Unter den Bäumen vor dem alten spanischen Gouverneurspalast waren schon die Hahnenkämpfe im Gange. Auf dieses allabendliche Vergnügen wurde nie verzichtet. Eine bunt gekleidete Menschenmenge feuerte die gefiederten Kämpfer temperamentvoll an.

Sam, der Schwarztimber, trottete zwischen Toms Hengst und dem Braunen von Sheng. Er schaute begehrlich zu den kämpfenden Hähnen hinüber und leckte sich unmissverständlich die Schnauze. Aber er mischte sich nicht wieder ein.

Vor ein paar Wochen hatte er sich ungebeten an einem solchen Kampf beteiligt. Die Federn waren geflogen, dass es eine wahre Freude war. Nur waren weder die Besitzer der Hähne noch die Zuschauer über seine Einmischung entzückt gewesen.

Tom hatte die beiden aufgefressenen Kampfhähne bezahlt und ihm eine gesalzene Strafpredigt gehalten. Und obendrein einen Fastentag verordnet. Da hielt sich Sam nun doch lieber zurück. Und wenn er es recht bedachte, war an den Hähnen nicht viel dran gewesen. Das Geschäft hatte sich überhaupt nicht gelohnt.

Er schielte zu Tom hinauf. Natürlich – der beobachtete ihn argwöhnisch, das hätte er sich denken können.

Und auch die Kampfhahnbesitzer blickten voller Misstrauen herüber. Einige sperrten ihre gefiederten Matadore flugs in die luftigen Holzkäfige. Dem Schwarztimber trauten sie alles Schlechte zu.

Sheng gestattete sich ein dünnes Lächeln. Er registrierte alle Dinge mit größter Aufmerksamkeit. Es entging ihm auch nicht, dass Tom erleichtert seufzte, als sie am alten Palast vorbei waren.

Dann jedoch hatte er Ursache, sich über eine Gruppe Menschen zu wundern. Die Leute hatten sich gerade Tamales bei einem Garkoch am Straßenrand gekauft und kamen ihnen schwatzend und lachend entgegen – Amerikaner und Mexikaner in trauter Eintracht, was selten genug vorkam.

Plötzlich wich die Gruppe hastig aus, die Fröhlichkeit zerstob wie Asche im Sturm. Die Frauen bekreuzigten sich und zogen den Rebozo fester um die Schulter, die Männer bekamen verkniffene Gesichter, und einige fluchten halblaut.

Die düsteren Blicke galten aber weder Sheng noch dem Schwarztimber, sondern einzig und allein Tom.

Der Texas-Ranger spürte fast körperlich die Welle von Furcht und Ablehnung, die ihm entgegenschlug.

Zum Teufel, was hatte er diesen Leuten getan? Er kannte sie nicht einmal!

Als er vorbeigeritten war, wandte er den Kopf. Die Leute waren stehengeblieben und blickten hinter ihm her.

Ein beklemmendes Gefühl beschlich Tom.

Als sie die Houston Street hinaufritten, grübelte der Ranger noch immer darüber, was die Leute gegen ihn eingenommen hatte. Seit zwei Monaten war er nicht in San Antonio gewesen, er war sich keiner vernünftigen Ursache bewusst.

Ob da am Ende eine Verwechslung vorlag?

Sein Blick fiel auf den Kristallpalast, in dem Driscoll eine Spielhölle unterhalten hatte und wo er vor geraumer Zeit auf einer Kugel zur Hölle gefahren war.

Unangenehme Erinnerungen wurden in Tom wach. Aber die Vorgänge konnten doch unmöglich der Grund für das Erschrecken der Leute sein. Die Sache mit Driscoll lag zwei Monate zurück, und danach hatte Tom die Stadt gar nicht wieder betreten.

Schön, es hatte an dem Abend eine mörderische Schießerei gegeben mit ein paar Toten, aber wann wurde in der Stadt nicht geschossen? Fast jeden Morgen rumpelte der Leichenbestatter mit seinem Maultierkarren zum Friedhof hinaus und begrub die Toten der letzten Nacht.

Am Ende der Straße öffnete sich die Alamo Plaza. Die Militärkapelle aus dem nahen Fort Sam Houston hatte gerade Aufstellung genommen, um das abendliche Konzert zu eröffnen. Der weite Platz war mit Menschen gefüllt.

Der dicke Sergeant Hoddle schwang den Taktstock, die Kapelle legte los und blies aus allen Rohren. Schlagartig verkrochen sich die streunenden Hunde, an denen die Stadt wahrlich nicht arm war.

Sam sackte hinten nieder, als hätte ihn eine Keule getroffen. Dann reckte er den Kopf hoch in die warme Abendluft, spitzte die Ohren, riss den Fang weit auf – und sang mit. Nicht schön, aber laut.

Eine Menge Leute blickten irritiert her, ein paar lachten. Auch hier beobachtete Tom die Veränderung, sobald ihn die Leute erkannten.

Sergeant Hoddle entlarvte die schrägen Töne in seinem Rücken, dirigierte heftiger und wandte den Kopf. Sein Gesicht lief krebsrot an.

„Entfernen Sie Ihre unmusikalische Bestie, Cadburn!“, brüllte er zornentbrannt.

Tom war die Sache peinlich. Er pfiff kurz und scharf. Sam stellte seinen Jammergesang ein und musterte den dicken Sergeant feindselig. Den hatte er noch nie leiden können.

„Wir sind nirgendwo willkommen, scheint‘s!“, sagte Tom und trieb den Hengst an. „Die Leute tun, als brächten wir die Pest in die Stadt!“

Die Alamo Plaza, die Menschen und die schmetternde Musik blieben zurück. Tom steuerte eine Gasse an, die zum San Pedro River hinabführte. Eine klapprige Holzbrücke führte in das Stadtviertel auf der anderen Seite.

Zehn Minuten später zügelte er Thunder vor der bescheidenen Adobehütte, in der Old Joe immer noch seine schwere Schussverletzung und ihre üblen Folgen auskurierte. Die Heilung wollte und wollte nicht fortschreiten.

In den acht vergangenen Wochen hatte er nichts von dem alten Burschen gehört. Er sorgte sich mächtig um ihn. Darum galt sein erster Besuch ihm.

Sheng nickte. „Ich wusste sofort, dass du nach dem alten Mann siehst!“ Er legte den Kopf schief, lauschte und wies auf die Hütte: „Er scheint Besuch zu haben!“

Den Eindruck hatte Tom auch. Bei dem alten Biber drinnen war nämlich der Teufel los. Und die Tür war aus den Lederscharnieren gerissen und lag halb in der Hütte!

Old Joe wetterte mit jemandem herum: „Einen Dreck werde ich tun, verstehst du! Und ich glaube auch, dass du lügst! Du hast ihn nämlich nur einmal getroffen, und da war ich dabei. Danach bist du nach Kalifornien abgehauen. Es wäre gescheiter gewesen, du wärst dort geblieben …“

Im nächsten Augenblick zuckten die beiden Männer vor der Hütte und die Pferde und sogar Sam zusammen. Denn drinnen zeterte eine Frau los, dass die einzige Fensterscheibe klirrte und Old Joes weniges Geschirr auf dem Brett an der Wand klapperte. „Der verdammte Stinkstiefel hat versprochen, mich zu heiraten! Daran werde ich ihn erinnern! Notfalls werde ich mir einen Revolver kaufen und ihn zum Friedensrichter treiben …“

„Es hat schon zärtlichere Werbungen um einen Bräutigam gegeben!“, brüllte nun auch Old Joe. „Aber abgesehen davon ist es dir sechs Jahre lang nicht eingefallen, dich um ihn zu kümmern. Mächtig seltsam. Darüber muss ich mal scharf nachdenken. Du bist hartherzig und abgebrüht wie ein betrügerischer Maultierhändler. Und du bist habgierig wie eh und je. Hat es einen bestimmten Grund, dass dein Herz plötzlich für den Jungen entflammt, he?“

„Geh zur Hölle, du alter Teufel!“, wünschte die Frau. „Schade, dass sie dich nicht ganz totgeschossen haben!“ Ein Stuhl stürzte um.

Tom und Sheng tauschten Blicke und saßen ab.

„Ich finde ihn schon!“, rief drinnen die Frau. Es hörte sich wie eine handfeste Drohung an.

„Was der Himmel verhüten möge!“, lärmte Old Joe.

Im nächsten Moment tappten Schritte heraus. Röcke rauschten. Eine Frau mit erhitztem und mächtig verkniffenem Gesicht trampelte über die eingeballerte Tür hinweg.

Tom wich gerade noch aus. Sheng schaffte es nicht mehr. Die Frau rannte ihn über den Haufen. Auf dem Hintern sitzend fand er sich am Boden wieder.

Die Frau hatte gerade einen halben bösen Blick für die beiden Männer übrig. „ ‘n Abend, ihr Idioten!“, wünschte sie und wackelte mit aufreizendem Hüftschlag und ziemlich ordinärem Gang in Richtung Brücke davon.

Die Stimme war Tom schon irgendwie bekannt vorgekommen. Nur das Gesicht hatte ihn irritiert, denn er hatte es als schmal und ausdrucksstark in Erinnerung. Der verbotene Gang brachte ihn auf die richtige Fährte. So hatte sie sich früher schon bewegt – weil das vielen Männern gefiel und alle Frauen bis aufs Blut reizte.

Fett war sie geworden. Darüber täuschte auch nicht der Umstand hinweg, dass sie ihre Figur in ein Reisekostüm gezwängt hatte. Die Reise schien sie hinter sich zu haben, denn Tom hatte Spuren von Staub auf der Kleidung bemerkt.

„Was war denn das?“, wunderte sich Sheng und stand auf. „So stelle ich mir einen Tornado vor!“

Tom schob den Hut aus der Stirn, guckte unfroh hinter der Gestalt her und sagte: „Das war Drei-Finger-Kate, und ich will in der Hölle braten, wenn das eine erfreuliche Begegnung war.“

Er packte die Tür, zog sie heraus und lehnte sie gegen die gekalkte Adobewand. Die Lederaufhängungen waren mit Gewalt abgerissen. Das musste er gleich reparieren. Sonst tappte ja jeder zu Old Joe hinein.

Der Alte hatte sie gehört und sah durchs Fenster wohl auch die Pferde. Er stieß einen Schrei aus, der einem drei Tage toten Indianer die Haare aufgerichtet hätte.

„Kommt rein!“, rief er voller Freude. „Kommt nur herein! Endlich auch mal ein guter Anblick für meine alten Augen.“

„Yeah, gleich, du alter Biber, ich bringe nur deine Tür in Ordnung!“ Tom kramte Hufzange, Hammer und ein paar Hufnägel aus der Satteltasche und schnitt von einem zähen Rohlederstück zwei passende Streifen ab.

„Das war dieser widerliche Drachen!“, schimpfte der Alte drinnen. „Eine Dame war das liederliche Weib noch nie. Tritt mir glatt die Tür ein und steht schon im Zimmer. – He, ist die Giftnudel auch weg?“

„Runter zum San Pedro. Und beleidigt wie ein Ochsenfrosch, dem jemand die Wasserpfütze leer gesoffen hat.“ Tom entfernte die alten Lederbänder, stellte die Tür in die Öffnung und nagelte sie fest. Er probierte sein Werk aus. Die Tür ging wie geschmiert auf und zu.

„Na also!“, brummte er und stopfte das Werkzeug in die Satteltasche zurück. „Schätze, sie hält jetzt zehn Besuche von Drei-Finger-Kate aus.“

„Mal den Teufel nicht an die Wand!“, schimpfte Old Joe. „Dieses Weib lässt nichts anbrennen! Wenn meine Taschenzwiebel nicht spinnt, ist sie vor ‘ner Stunde mit der Kutsche aus Kalifornien angekommen. Ich sage dir, die hat ‘ne Nase wie der Schwarztimber. Nur ‘ne Stunde hat sie gebraucht, um mich zu finden.“

„Yeah, einen Riecher für lohnende Gelegenheiten hatte sie schon immer.“ Tom führte die beiden Pferde in den kleinen Hof. Unter dem Pecan-Baum war es schattig. Er lockerte den Tieren die Bauchgurte und winkte Sam herbei. „Du bleibst hier und passt auf, Bursche! Dass du mir nicht zu den Hahnenkämpfen und nicht zum Platzkonzert gehst, verstanden?“

Der Schwarztimber blinzelte scheinheilig, als hätte er noch nie etwas von Hahnenkämpfen oder Sergeant Hoddles Krachkapelle gehört.

Tom rückte die Hose zurecht und stapfte los. Sheng war schon hineingegangen und hatte den Alten begrüßt, der durch viele Jahre Tom Cadburn auf gefahrvollen Ritten und bei haarsträubenden Abenteuern begleitet hatte.

Sheng stellte gerade den Stuhl auf, den diese seltsame Drei-Finger-Kate umgestoßen hatte, als Tom eintrat.

„Hallo, Alter!“ Er schüttelte Old Joe herzlich und lange die Hand. „Gut siehst du aus.“

Old Joes silbergrauer Dachsbart zuckte, in den Augen brannte ein düsteres Feuer, ein schmerzliches Lächeln glitt über das runzlige Gesicht. „Sie mästen mich. Torreons Töchter bringen mir jeden Tag reichlich zu essen, und die Frau von Chavez und La hija waschen mir die Wäsche und besorgen das Haus. Aber mit dem Bein wird‘s nicht besser. Der Knochen, verstehst du? Deswegen geht die Wunde nicht zu.“

„Was sagt der Doc?“

„Ich sei eben ein altes Stück Fleisch, ich könnte keine Wunder verlangen, und soweit er wüsste, seien alle bei lebendigem Leib verfault, bei denen die Heilung so lange keine Fortschritte hätte machen wollen. So was muntert einen ja unheimlich auf!“, sagte Old Joe giftig. „Ich habe den Verdacht, der Kerl kriegt vom Sargmacher Prozente und besorgt ihm die Kundschaft.“

Wütend hieb der Alte mit der Faust auf die Armlehne des Sessels. An der Wand lehnten die derben Holzkrücken, auf denen er sich mühsam fortbewegen konnte.

Tom sah die Qual in den Augen des Alten. Es waren weniger die Schmerzen, sondern mehr die Umstände. Er war ans Haus gefesselt, wo er längere Aufenthalte in einem Haus ohnehin nicht ausstehen konnte. Und es war die abgrundtiefe Angst, dass er nie mehr reiten konnte.

Tom wollte nicht noch darin herumrühren. Ein Mann, der ein Menschenleben lang mit und in der Natur gelebt hatte, der sich nachts mit dem Sternenhimmel zudeckte, der verkümmerte innerlich, wenn er plötzlich auf fremde Hilfe angewiesen war, kaum einen Schritt tun konnte und sich eingesperrt vorkam. Ohne Hoffnung, dass sich dieser Zustand bald bessern würde.

Daran änderte auch nichts, dass ihn doch Freunde im weiteren Sinne liebevoll betreuten. Die Torreon-Familie war Old Joe herzlich zugetan – er hatte einst mit der Hawken-Büchse ein paar Schurken vertrieben, die Torreon schon die Schlinge um den Hals gelegt hatten. Das war früher eine beliebte Methode gewesen, einem Mexikaner sein gutgehendes Geschäft abzunehmen.

Ganz ähnlich war es bei Chavez. Der handelte immer noch mit Maultieren, und das Geschäft warf guten Profit ab. So viel jedenfalls, um habgierige Halunken anzuziehen. Und da war auch noch La hija, die Tochter von Chavez. Eigentlich hieß sie Liza Marina. Old Joe hatte sie als Kind schon auf den Knien geschaukelt und La hija genannt. Er tat‘s immer noch, nur das Schaukeln ließ er bleiben. Denn das Mädchen war inzwischen achtzehn und erblüht wie eine wundervolle Rose. Was wiederum Halunken mit eindeutigen, wenn auch keineswegs ehrenhaften Absichten anlockte.

Old Joe hatte deswegen schon schießen müssen. Selbst Tom hatte mit dem Revolver Strolche in die Flucht geschlagen, und Chavez drehte nachts mit der Schrotflinte unter dem Arm Runden ums Haus.

Diese Leute trugen die Schuld ab, in der sie bei dem Alten standen. Aber sie konnten ihm nicht die ungezwungene Freiheit ersetzen.

„Koch ‘nen anständigen Kaffee, Junge!“, brabbelte Old Joe und machte eine umfassende Handbewegung. „Es ist alles da. Du wirst ‘nen starken Schluck verdammt nötig haben.“

„So? Ist was passiert? Die Leute haben mich angeguckt, als sei ich giftig.“ Tom stocherte in der Feuerstelle, legte Holz auf und füllte Wasser in den Kessel.

Old Joe kratzte sich im Bart „Dein famoser Captain war da und hat gespuckt wie ein Höllenvieh. Du sollst ihm vorerst besser nicht unter die Augen kommen, lässt er ausrichten. Die Rangertruppe hätte zwanzig Jahre gebraucht, um den Ruf loszuwerden, eine Horde blutrünstiger Teufel zu sein, und für dich hatte ein einziger Ritt nach Vernon hinauf genügt, um die Leute wieder vor Angst aus dem Fenster springen zu lassen, wenn sie hören, dass ein Ranger im Anmarsch ist. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, hast du da oben ein Blutbad angerichtet.‘‘

„Es war nicht meine Idee. Jemand schießt, jemand stirbt, und ich wollte am Leben bleiben. Hat er sonst noch was gesagt?“

„Das wiederhole ich lieber nicht“, brabbelte Old Joe. „He, waren es wirklich zwei Dutzend Tote, eh?“

„Ein Dutzend – vielleicht. Und ich bin verdammt nicht stolz darauf. Hat der Captain die Zahl genannt?“

„Nein, Frobisher war vor einiger Zeit in der Stadt. Er hat Stimmung gegen dich gemacht. Hast du dich mit dem jetzt auch in der Wolle?“

„Ah“, machte Tom, „aus dem Loch bläst der Sturm! Ich hätte es mir denken können. Seit Frobisher beim Gouverneur rausgeflogen ist, hat er einen neuen Brotherrn. Stedman, verstehst du? Stedman hat seine Freunde in der hohen Politik angespitzt, und die setzen jetzt den Captain unter Druck. Hm, da ist die Suppe natürlich ganz schön am dampfen.“

Old Joe wedelte ungeduldig mit der Hand. „Ich will keine Suppe, jetzt ist auch überhaupt nicht die Zeit dafür. Mach den Kaffee fertig, Junge.“

Tom langte die Büchse aus der Teekiste, die dem Alten das Wandregal ersetzte. Er schüttete reichlich Kaffeemehl in die verrußte Kanne, goss kochendes Wasser drauf und rückte die Kanne über das Feuer, um den Inhalt noch einmal aufwallen zu lassen. Danach teilte er Blechbecher aus.

Der Alte störte ihn nicht. Kaffeezubereitung war immer so etwas wie eine heilige Handlung gewesen. Früher, als sie noch zusammen ritten. Wenigstens daran sollte sich nichts ändern.

Erst als die dunkelbraune Brühe in den Bechern dampfte, sagte Old Joe: „Du hast auch Mackinac weggeputzt, wird erzählt. Stimmt das?“

Tom nickte sparsam. „Er war schon halb aus dem Fenster, hatte den Revolver in der Hand, und zwei Kugeln daraus hatten mich ganz knapp verfehlt.“

„Du hättest auch Stedman umlegen sollen, dieses erbärmliche Stinktier!“ Old Joes Stimme klang unangenehm in Toms Ohren.

Bedächtig schüttelte Tom den Kopf. „Ein Stinktier erschießt man nicht. Man zertritt es unter den Füßen. Eines wie Stedman jedenfalls.“

„Dann zertritt es bald. Frobisher hat verbreiten lassen, du seist jetzt ein ganz dicker Freund der Comanchen. Vielen Leuten wird das gar nicht gefallen.“

„Deren Problem, nicht meines. Ich kann nicht verlangen, dass mich alle Leute mögen. Aber ich kann auf den Tod keine Ungerechtigkeiten leiden.“

„Deshalb hängst du auch immer wieder in dem Verdruss drin, den andere Leute haben. Du mischst dich zu oft ein. – Jedenfalls habe ich dir ausgerichtet, was der Captain will.“

„Ich hab‘s gehört.“ Tom trank schlürfend einen Schluck. „Und weswegen war Kate hier? Was will sie? Sie sagte was von Heiraten. Da braucht sie doch deinen Ratschlag nicht.“

„Es ist wegen Pike.“ Old Joe schob die Nase über den Becher und schnupperte den Duft. „Pike Leverty, verstehst du? Sie haben ihn jetzt rausgelassen. Kate hat davon in Kalifornien erfahren und kam sofort wie der Teufel auf vier Rädern angebraust. Diesmal hat sie sich geschnitten.“ Der Alte kicherte schadenfroh.

„So?“, machte Tom interessiert.

Old Joe nickte wild. „In sechs Jahren haben sie Pike nicht weichklopfen können, und jetzt glaubten die schlauen Burschen, es mal anders herum versuchen zu müssen. Dachten, er saust los und führt sie geradewegs zu dem Versteck, das sie ihm immer wieder einzureden versucht hatten.“

„Und er ist nicht losgesaust?“, staunte Tom. „Ich habe den Eindruck, Pike weiß noch immer nicht genau, worum es geht. Er hat bei Cradle-Sam – das ist der Schmied an der Ecke Houston und Arkansas Street – eine Beschäftigung als Gehilfe angenommen. Schuftet von früh bis spät in die Nacht in Hitze und Qualm und Ruß und kriegt ganze zwei Dollar in der Woche dafür. Cradle-Sam gibt ihm aber das Essen und ein Lager. Und er hilft ihm, wenn‘s nötig ist.“

„Ist es das?“ Tom rollte sich eine Zigarette und rauchte.

Old Joe trank genüsslich schlürfend vom Kaffee. „Zwei Tage, nachdem du nach Vernon hinauf bist und dich mit einer mordsmäßigen Schießerei aus der Stadt verabschiedet hast, kam Pike hier an. Direkt aus dem Höllenzuchthaus von Yuma. Und mit Bewachung. Der Sheriff sperrte ihn noch eine Nacht lang ein. Genau in der Zelle neben Bakersfield. Der wurde übrigens gehenkt und …“

„Ich hab‘s gehört, Joe, und du kommst vom Thema ab. Pike interessiert mich.“

Old Joe wischte sich Kaffee aus dem Bart „Jedenfalls kam Pike am anderen Tag frei. Und da stand er nun wie bestellt und nicht abgeholt. Er fragte überall um Arbeit. Niemand wollte ihn beschäftigen, du weißt ja, wie das ist. Yuma – das klebt an dir wie Pech, du kriegst den Dreck nicht mehr herunter – einerlei, ob du unschuldig bist oder nicht. Bis er dann an Cradle-Sam geriet. Der fragte nicht lang und drückte ihm einen Hammer in die Hand und sagte, für zwei Dollar könnte er einen Mann einstellen. Pike hat aber nicht bedacht, dass immer noch oder schon wieder hartgesottene Burschen auf der Lauer liegen könnten. Ein paar Tage später kamen welche in die Schmiede und wollten ihn mitnehmen. Um aus ihm herauszukitzeln, ob er nicht vielleicht doch mehr wusste, als er vor Gericht damals ausgesagt hat. Cradle-Sam stach einen mit einem glühenden Stück Eisen an, und Pike hat den zweiten Mann mit dem Hintern ins Schmiedefeuer gesetzt. Der dritte wollte schießen. Dem hat Pike mit dem Hammer die Rippen eingeschlagen. Die Sache hat viel Staub aufgewirbelt. Außerdem schleichen Leute von der Wells Fargo herum. Sie überwachen Pike und die Schmiede pausenlos. Und ein Mann von Pinkerton ist auch da.“

„Von Pinkerton? Bist du sicher?“ Tom rauchte hastiger.

„Der Mann kam einen Tag vor Pike hier an. Er fragt nichts, er redet nicht, er ist einfach nur da. Solche schweigsamen Burschen sind gefährlich. Aber er speist bei Torreon. Jeden Tag. Ysabel hat ihn bei Tisch ein Telegramm lesen sehen. Abgeschickt war es von der Pinkerton Agentur, und er war der Empfänger. Sie hat mir das brühwarm erzählt.“

„Und der Mann hat auch ein Auge auf Pike?“

„Ich muss mich auf das verlassen, was ich von den Leuten höre, Tom. Zum Henker, warum kann ich nicht wenigstens herumhumpeln? Es ist schlimm, wenn es erst mal soweit mit einem gekommen ist. Ysabel ist mein verlängertes Ohr draußen. Und mein scharfes Auge. Ezra Britten heißt der Knilch von der Pinkerton Agentur. Den lieben langen Tag sitzt er auf der Veranda vom New Maverick Hotel und hält den Bauch in die Sonne. Weißt du, wo das ist?“

„Gegenüber der Schmiede von Cradle-Sam, ich kenne mich in der Stadt hinreichend aus“, brummte Tom.

„Und hinter dem Hotel steht immer ein gesatteltes Pferd für Britten. Als wollte er für den Ernstfall gewappnet sein. Er wartet. Die Wells-Fargo-Leute warten. Und sicher noch ein paar andere Burschen. Aber Pike Leverty denkt nicht daran, die Kurve zu kratzen. Das wird nicht mal Drei-Finger-Kate schaffen. Nicht mit Revolver und nicht ohne. Ich halte ihn nämlich für unschuldig – obwohl – es hat schon die unmöglichsten Sachen gegeben.“

„Pike ist nicht auf den Kopf gefallen“, gab Tom zu bedenken. „Er hat lebenslänglich in den Steinbrüchen von Yuma bekommen, weil dem Richter ein schlimmerer Ort nicht eingefallen ist. Also wird er sich fragen, was dahintersteckt, dass man ihn nach sechs Jahren laufen lässt. Vielleicht hat er größere Geduld und Ausdauer, als alle glauben. Er lässt Gras über die Sache wachsen, wartet, bis jede Aufmerksamkeit eingeschlafen ist, und verschwindet dann aus der Stadt, um sich das zu holen, was sie alle haben wollen.“

Old Joe hob die Achseln. „Die Wahrheit kennt nur Pike, und ich bezweifle, ob jemand sie je erfährt.“

Sheng hatte fasziniert zugehört. Der Mann, um den es ging, schien ein besonderes Kaliber zu sein.

„Wer ist dieser Pike Leverty eigentlich?“, fragte er. „Ein Bankräuber?“

Tom lächelte milde und schüttelte den Kopf.

„Pike Leverty, das ist eine lange und ganz verzwickte Geschichte.“

„Lange Geschichten interessieren mich immer, und verzwickte ganz besonders.“ Sheng legte den Hut aufs Knie.

„Lang und verzwickt – das trifft es genau“, bestätigte Old Joe. „Und tragisch. Er hat nicht mal nach Sugar gefragt.“

„Hätte ich auch nicht an seiner Stelle. Schließlich hat sie ihn am meisten belastet“, sagte Tom und rollte sich eine neue Zigarette.

„Wer ist nun wieder Sugar?“, wunderte sich Sheng.

„Sein Mädchen. Er liebte sie über alles. Es war schon alles klar für die Hochzeit. Und dann ist es passiert.“

Old Joe strich durch den Bart „Cradle-Sam hat ihm am zweiten Tag in der Schmiede gesagt, dass Sugar hier in der Stadt verheiratet ist und mittlerweile drei Kinder hat. Und weißt du, was Pike geantwortet hat, nachdem er fast fünf Minuten stocksteif dagestanden hatte? Ich wünsche ihr alles Gute, hat er gesagt. Und kein Wort mehr. Was hat Yuma bloß aus ihm gemacht?“

„Wer Yuma überlebt, ist danach anders, vielleicht sogar ein total anderer Mensch. Und in jedem Falle eisenhart.“ Tom langte einen brennenden Ast aus dem Herd und zündete die Zigarette an.

„Zum Teufel, und was ist denn nun damals passiert?“, fragte Sheng fast ärgerlich.

Am Ende - die Hölle: Texas Wolf  Band 69

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