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[8][9]»Wissenschaftliche Wahrheit kann nur für die gelten,

die Wahrheit wollen«

Max Weber

Vorwort zur dritten Auflage

Als dieses Buch vor zehn Jahren geschrieben wurde, schien die Wissenssoziologie nahezu vergessen zu sein. Heute hat man den Eindruck, als sei sie, aus einem langjährigen Dornröschenschlaf erwacht, lebendiger denn je zuvor. Dass es womöglich zur Wiederbelebung der Wissenssoziologie beigetragen hat, mag einer der Gründe für eine dritte Auflage dieses Buches sein. Ich möchte es deswegen in einer überarbeiteten Form vorlegen. Neben kleinere Ergänzungen im Text betrifft diese Überarbeitung vor allem einen Blick auf die jüngeren Entwicklungen der Wissenssoziologie (S. 341ff.), die sich seit der Erstveröffentlichung dieses Buches abgezeichnet haben. Entsprechend ist auch die Einleitung (S. 13ff.) überarbeitet worden.

Ziel des Buches bleibt, einen einführenden Überblick über die Wissenssoziologie zu bieten. Wer also wissen will, was denn zur Wissenssoziologie gehört und wer erwähnenswert ist, der sollte hier auf seine Kosten kommen. Freilich stellt sich dabei das Problem der Auswahl. Ich habe mich bemüht, die wichtigsten Begriffe, Theoreme und Autoren anzuführen und entsprechende Referenzen zu geben. Um den Literaturapparat nicht unnötig zu überfrachten, bietet der Text keinen Überblick der gesamten Forschungsliteratur, sondern beschränkt sich auf die wichtigste (meist auch im Text zitierte) Literatur.

Der Grund dafür ist, dass das Buch auch eine Einführung sein will. Wer also noch nicht weiß, worum es sich bei der Wissenssoziologie handelt, dem wird hier geholfen werden. Eine übermäßige Didaktisierung schien allerdings deswegen nicht ratsam, weil die Wissenssoziologie kein stark institutionalisiertes und geregeltes Forschungsfeld darstellt. Die Ränder und Fransen dieses dynamischen Feldes sollten ebenso sichtbar bleiben wie die noch offenen Fragen und Probleme. Die begefügten Grafiken und Übersichten dienen dazu, das Verständnis zu erleichtern.

Als Übersicht und Einführung trägt das Buch sicherlich auch dazu bei, zu bestimmen, was wir denn unter ›Wissenssoziologie‹ verstehen. Nun sind manche der Auffassung, die Soziologie sei in ihrer großen Breite Wissenssoziologie. Andere verstehen sie dagegen als eine Spezialdisziplin, die sich mit Ideologien und ähnlichen Formen »verzerrten« Wissens beschäftigt. Wie häufig dürfte auch hier die Wahrheit in der Mitte liegen. Weil weite Teile der Soziologie Wissen, Sinn und Bedeutung als grundlegende Eigenschaften menschlicher Gesellschaften erkennen, hat die Wissenssoziologie tatsächlich einen sehr weitgehenden Anspruch. Zugleich entwickelten sich jedoch auch besondere Linien des Denkens und Sprechens über diesen thematischen Zusammenhang, der durchaus eigene Begriffe, Modelle und Ansätze kennt. [10]Diese Linien bilden den Ausgangspunkt der Bestimmung der Wissenssoziologie. Sie sind der Grund für die anfangs historische Ausrichtung des Buches. Die Rekonstruktion ihrer Geschichte soll dazu dienen, diese Linien nachzuzeichnen und damit erkennbar zu machen. Dabei muss eingeräumt werden, dass lediglich den sehr markanten und namhaften Beiträgen auf dieser Linie Rechenschaft getragen werden kann. Allerdings lege ich großen Wert darauf, dass diese Linien in der gesamten Bandbreite der Wissenssoziologie zur Darstellung kommen, und zwar so, dass der Umfang einen Hinweis auf ihre Bedeutung im Feld gibt.

In der Gliederung habe ich mich bemüht, Prozess wie Struktur zu berücksichtigen. Der Vorgeschichte (I) ist ein ausführlicher Teil gewidmet, der deutlich machen soll, wie weit der Weg war. Auch das Herzstück der Wissenssoziologie wird weidlich gewürdigt, ohne jedoch auch nur annähernd in philologisch-exegetische Tiefen vorzustoßen. Die neueren Ansätze werden in thematische Blöcke gebündelt, welche die Hauptströmungen abbilden. Dabei bin ich weder rein nationalen Einteilungen gefolgt noch habe ich die deutsche klassische Wissenssoziologie als eigentlichen Nucleus des Unternehmens hingestellt.1 Im Vordergrund stehen theoretische oder thematische Gemeinsamkeiten. Die gegenwärtigen theoretischen Ansätze bilden den zweiten Block (II). Hier werden verschiedene Linien ausgebreitet, deren Wirkung die heutige Wissenssoziologie prägt. Der dritte Teil schließlich bietet eine systematische Übersicht zu den Themen und Forschungsbereichen der Wissenssoziologie. Weil gerade in diesem Bereich die größte Lebendigkeit der Forschung zu verzeichnen ist, weise ich – vor meiner Zusammenfassung – am Schluss auf die wichtigsten jüngeren Entwicklungen hin.

Das Wissen ist sicherlich der abstrakteste aller möglichen Gegenstände. Einem Buch über die Wissenssoziologie haftet deswegen unvermeidlich auch etwas von dieser Abstraktheit an. Eine der frühen Konkretionen des Abstrakten ist zweifellos die Religion, die für die Wissenssoziologie traditionell eine große Rolle spielte. Die Religion nimmt auch nach wie vor eine bedeutende Position in der Wissenssoziologie ein. Weil ich aber selbst ein Buch über die Religionssoziologie verfasst habe, in der die Wissenssoziologie einen wichtigen Platz einnimmt, wird die Behandlung des religiösen Wissens hier nur am Rande angesprochen. Interessierte Leserinnen und Leser möchte ich auf dieses Buch verweisen.2 Es kann auch nicht das Ziel dieses Buches sein, das Wissen, das gesellschaftlich relevant ist, auf enzyklopädische Weise umarmen zu wollen. Hier geht es vielmehr um die Begriffe, Konzepte und Modelle, mit denen wir soziologisch das Wissen in den Griff bekommen können. Denn die Beiträge der meisten Wissenssoziologen bestechen nicht nur durch ihr Material, [11]sondern in ihrer methodologischen Betrachtungsweise und ihren analytischen Begriffen und Theorien.

In offener Selbstkritik bin ich mir bewusst, dass ich mit der Abfassung einer einführenden Übersicht selbst eine wissenssoziologisch interessante Handlung vollziehe: Ich trage zur Erzeugung eines Kanons von Wissen bei. Das bedeutet, dass ich selbst von der Bedeutung des Wissens ausgehe, das ich vermittle. In der Tat habe ich gerade als Sozialkonstruktivist keinen Zweifel daran, dass das in der akademischen Wissenssoziologie geschaffene und vermittelte Wissen für eben jene akademisch Interessierten Geltung besitzt, die sich über die Wissenssoziologie informieren wollen. Zwar arbeiten wir fortwährend an der Wirklichkeit, doch wird die Welt nicht jeden Tag neu erfunden. Wir leben in einer Welt, in der es schon Stühle, Autos, Universitäten – und eben auch die Wissenssoziologie gibt. Und was sich hinter der Letzteren verbirgt, ist Gegenstand dieses Buches.

Die Annahme, dass sich hinter dem Buch ein einzelner Autor verbirgt, ist eine wohltuende Fiktion, an der wir gerne festhalten. Doch weben meist mehr als zwei fleißige Hände hinter dem Namen, der auf dem Titelblatt steht. Die Fertigstellung dieses Buches verdankt sich einmal mehr der Hilfe meiner Frau Barbara Goll, der ich gern noch mehr literarische Qualitäten geboten hätte. Delia und Urs waren mir wieder einmal gut gesonnen und haben mich meist zur rechten Zeit vom Schreiben abgehalten, um mir zu zeigen, wie lustig das Leben sein kann. Bernt Schnettler bin ich nicht nur für die mannigfaltigen und scharfsinnigen Anregungen dankbar, sondern auch für die massive Beihilfe zur Vorzeigbarkeit des Textes. Für Ihre Korrekturen, Anregungen und Arbeiten am Text bin ich auch Sonja Rothländer vom UVK, Nico Zerbian sowie dem genialischen Setzer Bernardo Fernández dankbar. Daneben erhielt ich zahlreiche Anregungen von meinen Studierenden an der Technischen Universität Berlin sowie an der Hochschule Sankt Gallen. Von Ilja Srubar habe ich Entscheidendes über Scheler und vor allem Schütz erfahren. Die gelebte Wissenssoziologie Ronald Hitzlers war ein Grund für diese Arbeit. Ein anderer war das Denken eines Menschen, der mir den Weg in und durch die Wissenssoziologie gewiesen hat: Thomas Luckmann.

Berlin, im April 2014

1 Die eine Vorgehensweise wird von McCarthy gewählt, die andere von Stark; vgl. E. Doyle McCarthy, Knowledge as Culture: the New Sociology of Knowledge, London 1996; Werner Stark, The Sociology of Knowledge. An Essay in Aid of a Deeper Understanding of the History of Ideas, London 1958

2 Hubert Knoblauch, Religionssoziologie, Berlin u. New York 1999

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