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2 - Regensburg

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Es war sein Platz, an dem er immer gesessen hatte. Hier in dem kleinen Cafe etwas abseits der Goliathstraße und Unter der Schwipp. Aber doch noch zentral gelegen im Regensburger Altstadtbereich. Peter mochte den Trubel und die Hektik des Vormittags einer typischen Fußgängerzone nicht sonderlich. Hier in seinem kleinen Cafe fühlte er sich dagegen ein bisschen abgeschottet von der geschäftigen Welt da draußen. Es war in den letzten drei Jahren ein kleines zweites Zuhause für ihn geworden. Ein kleines Zuhause, wo er sein Ritual zelebrierte. Es bestand darin, einen Espresso zu bestellen, anschließend die Tageszeitung von hinten bis vorne im Rückwärtsgang zu studieren, beim Wirtschaftsteil angekommen einen leichten Chardonnay zu trinken, zu guter Letzt den Rolling Stone oder eine andere Fachzeitschrift zu wälzen, und dazu noch ein weiteres Gläschen desselben Weines zu genießen.

Peter wirkte nachdenklich an diesem Novembervormittag. Das war nicht auffällig. Er war immer ein ruhiger Gast gewesen, jedes Mal wenn er hier war, zwei- oder dreimal die Woche. Manchmal auch mit längeren Pausen. Auch mit der Bedienung sprach er nur so viel wie erforderlich war, um seine Bestellung aufzugeben und zu bezahlen. Und sicher wusste er weder, dass sie Susi hieß, noch würde er sie auf der Straße wiedererkennen, obwohl sie ihn mehr oder weniger immer bediente.

Dafür machte Susi sich Gedanken über ihre Stammgäste. Natürlich auch über Peter. Sie arbeitete jeden Tag, außer Mittwoch und Sonntag. Sie kannte die Gewohnheiten ihrer Gäste und respektierte diese. Peter hatte die Marotte, sich immer auf den gleichen Tisch zu setzen und ebenso auf dieselbe kleine karogemusterte Bank. Einmal war es sogar vorgekommen, dass er wieder ging. Nur deshalb, weil sein Platz besetzt war, obwohl genügend andere Tische noch frei waren. Was tat Susi? Sie kannte die Uhrzeit um die er gewöhnlich auftauchte, das war meistens viertel nach neun vormittags. Und sie wusste an welchen Tagen er hauptsächlich aufkreuzte, das war dienstags, manchmal donnerstags, und fast immer am Freitag. Also nahm sie sich die Freiheit, den Tisch für ihn freizuhalten, natürlich ohne dass er es registrierte.

Susi hatte noch eine andere Angewohnheit. Sie malte sich in Gedanken immer aus, wer oder was ihre Gäste waren. Bei Peter tippte sie auf einen Schriftsteller, der vormittags seine Literatur wälzte um Stoff für ein spannendes Buch zu sammeln. Oder er könnte auch ein introvertierter Professor an der hiesigen Universität sein, der nachmittags und abends seine Vorlesungen für junge Studenten hielt. Zu seinen finanziellen Verhältnissen hatte sie keine Meinung. Sein Trinkgeld war nicht unbedingt großzügig. Aber das sollte nichts heißen. Dafür war sie sich sicher, dass Peter ein klassischer Single-Mann war. Es war die Regelmäßigkeit mit der er zwei bis drei mal die Woche auftauchte. Niemals in Begleitung, nie der penetrante Klingel- Summ- oder Brumm-Ton eines Handys. Peter war kein unattraktiver Mann in den Augen einer Frau. Nein, im Gegenteil. Er hatte etwas Interessantes und etwas Geheim-nisvolles an sich. Mittelgroß, schlank, dunkelhaarig. Sein Alter konnte Susi schlecht schätzen. Er konnte Mitte vierzig sein, aber auch Anfang fünfzig. Gekleidet war er eher leger und sportlich. Also vielleicht doch mehr der Schriftsteller als der Uni-Prof. Dass er nie ein Handy am Tisch liegen hatte sprach allerdings wieder eher für einen konservativen Professor mit einem Handy-Verweigerungs-Komplex. Was Susi nicht wissen konnte, Peter war weder Schrift-steller noch Uni-Prof. Er war Musikproduzent und hatte es in diesem Jahr endlich geschafft, den Titelsong für eine Serie zu schreiben. Sie konnte nicht wissen, dass er ver-dammt lange darauf hin gearbeitet hatte. Sie konnte nicht wissen, dass sich Peters Leben in den letzten Monaten gravierend verändert hatte. Und sie konnte ebenso wenig wissen, welche verrückte Geschichte hier in diesem Cafe ihren Anfang genommen hatte.

Ihr war es dafür aufgefallen, dass gerade heute etwas anders war als sonst. Nicht, dass Peter in den letzten Monaten nur mehr selten und unregelmäßig ins Cafe gekommen war. Nicht, dass er einige Wochen gar nicht hier war. Nein, ihr fiel auf, dass er heute weder eine Zeitung las noch eine Zeitschrift. Er saß einfach da, nippte an seinem Glas Chardonnay und schien mit seinen Gedanken so weit weg zu sein wie der Mond von der Erde. Welche Gedanken waren es, die ihn so beschäftigten?

Peters Gedanken waren tatsächlich weit vom heute und vom Jetzt entfernt. Zu sehr sah er sich an diesem für die Jahreszeit zu milden Vormittag zurückversetzt an den nach trügerischer Harmlosigkeit schmeckenden Dienstag im April vor sieben Monaten, wo das alles seinen Anfang nahm. Genau hier in diesem Cafe, an diesem Tisch und an diesem Platz. Diese verrückte Geschichte, die fast zu verrückt ist, um wahr sein zu können. So verrückt, dass essein Leben in diesen wenigen Monaten verändert hatte.

Aber bekanntlich schreibt gerade das Leben die verrücktesten Geschichten. So saß er da, wie in Trance, gedanklich abgeschnitten von der Außenwelt. Nur diesen Kultsong nahm er wahr, der gerade auf Bayern 1 gespielt wurde. Derselbe Song von John Lennon, den er auch an diesem Dienstag im April vor sieben Monaten gehört hatte.

Imagine, there`s no heaven it`s easy if you try no hell below us, above us only sky imagine all the people, living for today

you may say I`m a dreamer but I`m not the only one I hope someday you`ll join us and the world will be as one

-JOHN LENNON 1971-

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