Читать книгу Geheimauftrag für SAX (4): SPECTATOR II - Hymer Georgy - Страница 10
Kapitel 2: Marschbefehl für eine Schattenmorelle
ОглавлениеParis, Frankreich. Freitagabend, 5. Dezember 2014. Zweieinhalb Wochen nach dem „VEGA/Spectator“-Zwischenfall. Institut Beauté de Garance, Quartier du Petit-Montrouge. Marschbefehl für eine Schattenmorelle.
Die bäuchlings auf der Massageliege ruhende Frau lag mit dem Kopf vom Fenster abgewandt. Ihr rotes, gegenwärtig etwas mehr als schulterlanges Haar trug sie aufgesteckt, es glänzte matt im hereinfallenden Licht der Nachmittagssonne. Sie war vollkommen entkleidet, lediglich ein quergelegtes weißes Frotteetuch bedeckte die Blöße ihres Unterkörpers um den kleinen Po herum. Ihre von einem gerade erst zurückliegenden mehrwöchigen Aufenthalt in Westafrika noch gebräunte Haut hatte einen roséfarbenen Schimmer angenommen. Auffälligstes Merkmal an ihr war eine etwa handtellergroße Tätowierung am rechten Schulterblatt: Ein zunehmender Halbmond, dessen Konturen sich zu einer dämonischen Fratze hin schlossen.
Der Masseur, ein erfahrener und muskulöser Bauchinhaber in den Fünfzigern, welcher die schwedische Massage meisterhaft beherrschte, versetzte sie seit etwa einer Viertelstunde mit seinen gekonnten Griffen allmählich in einen Zustand absoluter Entspannung. Er hatte an ihrem verlängerten Rückgrat begonnen und sich dann langsam, aber stetig, nach oben hin vorgearbeitet. Die Verspannungen ihrer Rückenpartie waren einer wohligen Durchblutung gewichen. Sie stöhnte leicht auf, als er gerade eine besonders empfindliche Stelle mit gefühlvollen Strichen knetete. Ein paar abschließende und mehr klopfende Einheiten an der unteren Nackenpartie bedeuteten ihr, das es nun Zeit wurde, sich zu wenden, um auch der Vorderseite ihres wohlgeformten und sportlich trainierten Körpers, eines insgesamt nicht viel mehr als 1,65m messenden großen Energiebündels, diese wunderbare Behandlung zu teil werden zu lassen.
Als sie sich jetzt geschickt umdrehte, lag ein befriedigtes Lächeln in ihrem herzförmigen Gesicht mit der etwas zu groß geratenen Nase. Sie leckte sich Ober- und Unterlippe, an dieser Stelle ein Zeichen erregter Freude, weniger des Durstes. Die Nippel ihrer kleinen Brüste waren sanft aufgerichtet, und als sie mit einer geschickten Handbewegung den Haarstecker löste, um die rote Pracht nach hinten über die etwas schräge Kante der Liege fallen zu lassen, wirkte dies selbst auf den langjährigen Profi in kaum zu ignorierender Weise erotisch. Der Masseur konnte sich daher eines kurzen männlichen Grinsens nicht erwehren, das aber in keiner Weise sexistisch anmutete.
„Mademoiselle sehen heute wieder ganz besonders reizvoll aus!“, gab er von sich. Seine Stimme klang bretonisch-rau, aber freundlich. Er trug eine Kombination aus hellem kurzärmeligem Hemd mit dem Emblem des Instituts – einer abgewandelten französischen Lilie - und seinem Namenszug auf der linken Brustseite, dazu eine kurze Hose gleicher Farbe sowie hellblaue Sandalen. Seine vor Kraft strotzenden oberen Gliedmaßen waren kaum behaart und die fleischigen Hände ölig.
„Das liegt nur an Ihnen, Monsieur Amias!“, gab Cathleen Conquête das Kompliment in ihrem eigenen leicht elsässischen Tonfall zurück und meinte es ehrlich.
Sie kam gern hierher, wenn Sie einen schwierigen Auftrag hinter sich gebracht hatte und besonderer Entspannung bedurfte, zählte aber nicht zu den Stammgästen. Das Institut, in einem weitläufigen, mehrfach renovierten Altbau der Jahrhundertwende mit hohen Fenstern unweit der Metrostation Mouton-Duvernet gelegen, wurde überwiegend von nicht mehr ganz taufrischen Damen des gehobenen Mittelstandes südlich des Pariser Zentrums und der näheren Umgebung aufgesucht, die sich hier wöchentlich ein paar erholsame Stunden vom Alltagsstress gönnten. Die gesamte Anlage bestand aus mehreren Saunen, Kalt-Heiß-Becken, Kneipp-Bädern, Massageräumen, Kosmetikkabinen und weiteren Wellness-Einrichtungen. Die Behandlungen hier waren im Vergleich zu anderen Salons dieser Güte nicht wirklich hochpreisig, aber gleichwohl verhältnismäßig exklusiv. Während ältere Patientinnen die Gelegenheit auch nutzten, hier mit dem diskreten Personal über ihre wohlfeinen Luxussorgen zu reden, genoss Cathleen Conquête die Zeit der Ruhe, und die Tatsache, dass ihre Schweigsamkeit respektiert wurde. Amias beugte sich gerade leicht über sie, um mit der Massage fortzufahren, als ein melodischer Mehrklang die Ankunft eines Telefonates anzeigte. Er blickte daher kurz hinüber zu einem kleinen Beistelltischchen, auf dem neben dem Pappkästchen mit sanften Einmaltüchlein ein aktuelles Samsung-Smartphone mit Gehäuse in der Farbe der Haare seiner Patientin lag.
Dessen Display war mit dem ersten Klingelton aufgeleuchtet, und letzterer wiederholte sich gerade noch einmal. Er nahm das Gerät spitz mit Daumen und Mittelfinger an den Seiten, um es nicht einzuölen, reichte es an Cathleen weiter und verließ dann direkt und höflich nach einem kurzen Kopfnicken den Raum. Solche Diskretion war selbstverständlich und gehörte zum Motto des Instituts.
´Rufnummer unbekannt´ war in der Anzeige zu lesen, aber sie ahnte bereits, wer sich am anderen Ende der Verbindung melden würde, denn es gab nicht allzu viele Menschen auf dieser Welt, die ihre Privatnummer kannten. Beim vierten Mehrklang nahm sie das Gespräch entgegen und meldete sich mit ihrem regulären Namen.
„LeMondes“, kam es sogleich zurück. Das war ihr direkter Vorgesetzter beim DGSE, dem französischen Geheimdienst. „Poire“, fügte er ohne große Pause hinzu. Wenn sie allein war, und sprechen konnte, würde sie mit „Griotte“ antworten, was sie nach einem kurzen Blick zur wieder verschlossenen Tür, durch welche der Masseur entschwunden war, auch tat.
In einem Anflug unbegründeter Scham zog sie trotz ihres Alleinseins das Frottee-handtuch längs bis über die Brüste, während sie sich leicht aufrichtete und mit einem Ellenbogen auf der Liege abstützte. Es machte sie nicht eben weniger aufreizend.
„Ich bedaure, aber sie müssen ihre Sitzung bei Garance leider abbrechen!“, klang es aus dem Apparat, sobald sie sich versichert hatten, dass die Verschlüsselung ihre Kommunikation auf dem Transmissionsweg unabhörbar machte. LeMondes klang äußerst ernst.
Cathleen „Katie“ Conquête wirkte nicht erstaunt, dass ihr Arbeitgeber genau wusste, wo sie sich gerade aufhielt. Wie alle operativ eingesetzten Agenten und Agentinnen des Auslandsgeheimdienstes Frankreichs trug sie einen subkutanen Minisender, mit dessen Hilfe ihr genauer Aufenthaltsort jederzeit exakt bestimmbar war. Über das aktivierte Smartphone war er es für die Zentrale ohnehin.
„Sie rufen mich sicher nicht an, weil ihre Sekretärin sich wieder mal krankgemeldet hat“, gab sie, beinahe ein wenig zu dreist witzelnd, zurück.
„Sie erinnern sich sicherlich an die Explosion der VEGA-Trägerrakete vor knapp drei Wochen, kurz nach dem Start in Kourou, oder?“, blieb LeMondes bei der Sache.
„Natürlich. Obwohl ich da bereits in Afrika weilte, wegen der Ebola-Sache. Das Unglück war ja weltweit in den Medien. Die VEGA gilt als sehr zuverlässig und sollte ein I.X.V.(*2) ´raufbringen, wenn ich mich nicht irre. Es wurde einem Blitzeinschlag mit nachfolgendem Softwarefehler zugeschrieben. Der Dienst dort ist doch sicher sofort tätig geworden, oder?“, fasste sie die Situation gut gelaunt zusammen.
„Ist er. Und auch ein Expertenteam aus der Zentrale der Agence Spatiale Européenne war natürlich zeitnah nach dem Unglück vor Ort. Die Medien haben allerdings lediglich die offizielle Version verbreitet. Von wegen I.X.V. - in Wirklichkeit befand sich das neue Spectator-System im Gepäck der VEGA!“ LeMondes klang sehr besorgt und schien nicht in scherzhafter Stimmung zu sein.
„Sabotage?“, fragte Cathleen und wurde schlagartig ebenfalls ernster.
„Das wissen wir leider nicht mit Bestimmtheit. Die Trägerrakete des Spectator explodierte zwanzig Meilen über dem atlantischen Ozean!“, stellte er mit energischer Stimme fest. „Die Trümmer sind dann in großem Radius rund um 8.25 Nord und 50.00 West niedergegangen. Etwa 220 Seemeilen vor der Küste.“
Sie überlegte kurz: „Also knapp außerhalb unserer Außenwirtschaftszone.“
„Leider. Das Gebiet wird von deutscher und französischer Marine weiträumig abgesperrt, aber wir befürchten eine Kollision mit amerikanischen Interessen. Es sind wohl zwei US-U-Boote in der Gegend. Einzelne Trümmer hat man inzwischen geborgen und nach Kourou geschafft. Aber noch nichts wirklich Wichtiges.“
„Und was ist dort meine Aufgabe?“
„Recherchieren, beobachten, handeln!“, brachte es LeMondes auf den Punkt.
„Was darf ich speziell darunter verstehen?“
„Die Belgier schicken jemanden, wie Brüssel uns mitteilte. Die Italiener als Haupt-finanzier der VEGA sowie die Engländer sind bereits von Anfang an vor Ort. Da sollten wir besser aufgestellt sein als nur durch ein paar Bürokraten, oder?“
„Die Engländer?“, hakte sie ein. „Aber die sind doch gar nicht beteiligt, weder an der VEGA noch an Spectator, wenn mich mein Wissen darüber nicht im Stich lässt.“
„Das stimmt nicht ganz. Es gibt da deren finanzielle Beteiligung an der letzten Trägerstufe um drei Ecken herum, durch ein privates Konsortium. Es sind also durchaus auch deren wirtschaftliche Interessen im Spiel. Wir nehmen aber eher an, dass die viel mehr für ihre amerikanischen Busenfreunde Augen und Ohren offen halten sollen.“
„Aus welchem Grund?“
„Die Amis haben Ende Oktober ebenfalls zwei Raumfahrzeuge verloren, das wissen sie doch! Erst die Cygnus bei ihrem Start zur ISS, dann die VSS Enterprise während eines Testfluges über der Mojave-Wüste.“(*3)
Cathleen nickte kurz vor sich hin, obwohl LeMondes es nicht sehen könnte. „Hatte es seinerzeit mitbekommen. Den Russen hingegen gelang es, ihre eigene Mission zeitgleich unbeschadet herauf bekommen. Glauben Sie, es gibt da eine Verbindung? Ich meine, haben wir es mit so etwas wie einem kalten Krieg zu tun – mit dem Ziel einer russischen Vorherrschaft bei Raumflügen? Gezielte Sabotage?“
„Soweit würde ich im Moment noch nicht gehen. Vergessen Sie nicht, dass die Russen im Mai erst ebenfalls einen Zwischenfall zu verzeichnen hatten“(*4), entkräftete LeMondes sogleich den aufkommenden Verdacht.
„Und zumindest offiziell war sowohl bei den US-Stellen als auch den Russen von Unfällen die Rede. Aber es ist schon ziemlich besorgniserregend. Das sind schon ziemlich viele Unfälle in so kurzer Zeit!“
„Und bei alledem schicken die Amerikaner keine eigenen Leute, sondern verlassen sich auf ihre Vasallen? Ich meine, auch wenn diesmal wir Europäer betroffen sind, stellt Langley(*5) doch bestimmt dieselben Überlegungen an wie wir“, meinte sie skeptisch.
„Ich möchte wetten, dass die CIA inzwischen selbst auch mit von der Partie ist. Nur sagen sie uns das natürlich nicht. Wie auch immer: Sie jedenfalls werden die Verbindungsagentin des DGSE dort sein und eng mit den anderen zusammen-arbeiten. Und tätig werden, wenn und wie auch immer es sein muss, im Interesse unserer Nation, versteht sich.“
„Bon. Klingt alles recht kompliziert“, meinte sie, und Le Mondes entgegnete schnell, kaum dass sie ausgesprochen hatte: „Wann war es das bei uns jemals nicht?“.
Cathleen versuchte es direkt noch einmal, ihren angenehmen Urlaub nicht unterbrechen zu müssen. Sie hatte eigentlich andere Pläne. „Aber wieso ich? Weltraumfahrt ist ja nun nicht gerade mein Spezialgebiet“, moserte sie daher.
Sie gehörte beim DGSE jener Abteilung an, die sich mit Wirtschaftsspionage und Terrorismus beschäftigte. Natürlich bestand immer die Möglichkeit, dass die Angelegenheit irgendwas damit zu tun hatte, aber es schien ihr gerade nicht so.
„Unter anderem, weil ein paar alte Freunde auch ihre Hand mit im Spiel haben.“
„Alte Freunde?“, fragte sie, skeptisch und misstrauisch zugleich. So wie ihr Chef das sagte und sie es wiederholte, handelte es sich eher um das genaue Gegenteil.
„Sie erinnern sich doch bestimmt noch an ihren ersten Auftrag für unsere Abteilung, diese etwas diffizile Operation gegen die DEMTAG Anfang des Jahres, oder?“
Wie könnte sie nicht! Schlagartig dachte sie an jene etwa neun Monate zurückliegende gefährliche Wirtschaftsspionage-Affäre - und mit hüpfendem Herzen an ihren Geliebten „Gunny“, Günter Freysing, den sie bei genau jenem Auftrag in der Türkei kennengelernt hatte. Seither waren beide das, was man landläufig ein „Fernbeziehungspaar“ nannte. Trotz ihres anderen Freundes hier in Paris. Ihre Dienststelle duldete das, zum einen, weil sie es sowieso nicht wirklich verhindern konnte, ohne eine ihrer besten Nachwuchs-Agentinnen zu vergällen, zum anderen, weil Beziehungen der Geheimdienste auf operativer Ebene manchmal viele Dinge vereinfachen, die auf bürokratischer Ebene als unmöglich erscheinen.
Als sie ihn zum letzten Mal in natura gesehen hatte, war er allerdings im Koma im Krankenhaus in Nürnberg gelegen – ebenfalls ein Resultat ihrer beider gefahrvoller Tätigkeit. Doch dann musste sie eilig los, wegen jenes neuen Jobs in Afrika aufgrund der Ebola-Epidemie, der nun seit wenigen Tagen erst hinter ihr lag.
„Sie meinen, die DEMTAG ist irgendwie darin verwickelt?“
„Wäre möglich. Das Unternehmen ist jedenfalls mit maritimem Gerät an der Suche nach den Trümmerteilen beteiligt. Der neben ein paar kleinen Kriegsschiffen einzige bisherige Beitrag auf deutscher Seite zu der Angelegenheit, nachdem der Start schiefgegangen ist! Und ich weiß nicht, ob das wirklich gut ist!“, stellte LeMondes fest.
„Aber bei der DEMTAG bin ich doch bekannt. Wäre es nicht besser, jemand anderen zu schicken?“, wagte sie letztmalig einen kleinen Einspruch.
„Gerade weil man sie auf der Führungsetage dort sicher noch in Erinnerung hat, wird das vielleicht etwas bewirken“, meinte jedoch LeMondes. „Nämlich Zurückhaltung!“
„Und der BND?“, frug sie, und irgendetwas Hoffnungsvolles schwang darin mit. „Erst im Mai der AM4P, jetzt Spectator… - die Deutschen müssen doch sauer sein!“
„Die Deutschen wollen sich offenbar in der Sache nicht zu sehr aus dem Fenster hängen, nach den ganzen Überwachungsskandalen der letzten Zeit(*6). Denken Sie an die wahre Aufgabe von Spectator!“
„Schade“, sagte sie trocken. „Ich habe zuletzt gern mit den Deutschen zusammen gearbeitet. Sie dringen stets ohne viel Drumherum schnell, hart, tief und gründlich in jede neue Materie ein.“
LeMondes am anderen Ende musste nun doch kurz auflachen. Trotzdem mochte er einen Moment lang überlegen, ob er überhaupt noch etwas dazu sagen wollte. Dann meinte er jedoch: „Sie leiden wohl unter Personalmangel. Aber ich habe meinen Amtskollegen beim BND nochmal deutlich gebeten, auch sobald wie möglich einen Mann zu schicken, aber dann jemandem, dem wir wirklich trauen können. Wäre sinnvoll, bei den ganzen Mitspielern. Er hat nach einigem Zögern grundsätzlich zugestimmt, will aber erst einmal abwarten, was die Untersuchung jener Trümmerteile ergibt, die bislang gefunden wurden.“ – Freundlichkeit lag in seiner Stimme, als er hinzufügte: „Es wird sie sicher sehr freuen, wenn ich ihnen verrate, um wen es sich dabei handeln wird – allerdings dauert es noch ein bisschen, bis er zu ihnen stößt. Er muss sich erst noch ein wenig länger von seinen schweren Verletzungen erholen und wird erst nach den Feiertagen zu ihnen stoßen. Bis dahin sollten sie daher alleine klar kommen. Halten sie sich derweil vorrangig an die Italiener.“
Die Vorfreude auf ein Wiedersehen mit Gunny, wie sie ihn nannte, stand ihr ins Gesicht geschrieben, nachdem LeMondes ihre Vermutung bestätigte und sie sich im weiteren Gespräch Einzelheiten für ihre Mission geben ließ. Dazu gehörten auch, soweit verfügbar, die Dossiers der anderen Agenten, über die er sie kurz informierte - Italien und Belgien. Über den Engländer gab es allerdings nicht viel. Angeblich eine Koryphäe. Wahrscheinlich hatten auch noch andere Parteien an der Sache Interesse: Ein Stelldichein der Geheimdienste auf der anderen Seite des Ozeans.
„Seien Sie bei allem vorsichtig!“, beendete LeMondes seine bisherige Einführung.
„Aber - warum jetzt? Ich meine, warum jetzt erst? Und dann so plötzlich?“
Sie hörte längere Zeit zu, bestätigte immer wieder mit „aha´s“ und „m-mh´s“, während ihr LeMondes Einzelheiten offenbarte. Dieser schloss dann mit den Worten:
„Die Sache ist heikel. Scheinbar kommen die Italiener in der Angelegenheit auch nicht weiter. Oder sie haben selbst etwas zu verbergen und verraten nichts. Sie wissen ja, in unserem Beruf ist alles möglich! Und der Minister macht richtig Druck!“
„Und die Spanier?“ – auch diese waren an der VEGA finanziell beteiligt, wusste sie.
„Sind auf den gleichen Gedanken gekommen wie wir, und wollen die Rital nicht mehr lange alleine alles machen lassen. Sie haben wohl nur keine geeigneten Ressourcen, um eigene Nachforschungen zu betreiben. Madrid hat noch nichts.“
„Genau wie die Schweden, hm? Ich soll mich also eigentlich nur darum kümmern, dass die Angelegenheit nicht aus dem Ruder läuft und die vielen Dienste sich nicht gegenseitig auf die Füße treten, oder uns. Mit weiblichem Charme?“
„Genau. Setzen Sie ein, was sie haben – aber, nochmal, trauen Sie niemandem!“
„Das kann ja heiter werden!“, seufzte sie, beinahe etwas resignierend. Danach unterhielten sie sich noch geraume Zeit über Nebenaspekte des Auftrages, die möglicherweise wichtig werden konnten. Schließlich beendeten sie eine Weile später das Telefonat.
„Vielleicht sind sie ja Weihnachten schon wieder an der Seine?“, bemerkte LeMondes hoffnungsvoll zum Schluss, aber sie mochte es nicht recht glauben. Und er selbst wohl auch nicht. Sie plante eigentlich, dann zu ihren Eltern in den Elsass zu fahren, die sie schon wieder viel zu lange nicht mehr gesehen hatte. Cathleen Conquête legte gedankenverloren das Telefon beiseite. Dann setzte sie sich über die seitliche Kante der Liege zum Fenster hin auf, ließ das Badetuch, mit dem sie sich eben noch bedeckt hatte, neben sich fallen, und glitt die wenigen Zentimeter herunter auf den steingefliesten Heizboden des Massageraumes.
Mit ein paar kurzen, leichten Schritten ihrer wohlgeformten kleinen Füße erreichte sie splitterfasernackt den Garderobenständer, über dem der geliehene Frotteebademantel in Institutsfarbe hing, welchen sie vor der angenehmen Behandlung dort ausgezogen hatte. Sie bekleidete sich schnell damit, ohne ihn vorne herum besonders fest zu schließen, und hielt dann längere Zeit nachdenklich inne.
Der Blick ihrer blaugesprenkelten Augen fiel durch die hellen Untergardinen vor der geschlossenen Doppelverglasung hinunter auf die stark befahrene Straße, deren Lärm nicht bis hier hereinzudringen vermochte. Aus dem zweiten Stock heraus wirkten die vorbeieilenden Menschen klein, arglos und geschäftig.
Ein als heiliger Nikolaus verkleideter falschbärtiger Mann ging inmitten des Trubels gerade auf der anderen Straßenseite den Bürgersteig entlang und schwang dabei seine große goldene Glocke, was bereits ein paar Kinder angezogen hatte, die ihm nun eiligen Schrittes auf seinem Weg folgten. Mit der linken Hand zog er einen kleinen Bollerwagen hinter sich her. Auf diesem befanden sich buntverschnürte glitzernde Geschenkpäckchen sowie die offensive Reklame eines nationalen Mobiltelefon-Netzbetreibers, welcher die absolute Sicherheit der darin geführten Verbindungen werbewirksam hervorhob.
Schöne neue Welt!
Niemand von denjenigen dort unten ahnte auch nur etwas von der internationalen Krise, die sich möglicherweise einmal mehr anbahnte, und die wieder ganz im Verborgenen ihren Lauf nehmen würde. Erst, wenn alles vorbei war, konnte der normale Bürger dann aus den Artikeln der Gazetten und den Nachrichtensendungen des Fernsehens die Hintergründe erahnen.
Oftmals war es dann nicht einmal ansatzweise die Wahrheit.
Was für ein Job, den sie da ausübte!
****