Читать книгу Geheimauftrag für SAX (4): SPECTATOR II - Hymer Georgy - Страница 8
Prolog: Wohin uns der Wind weht…
ОглавлениеDie Zeit der Muße – vorüber! Bilder seines früheren Lebens waren Günter Freysing alias Sax während seiner langen Zeit im Krankenlager durch den Kopf gegangen. Mit Wehmut erinnerte er sich dabei an Sieglinde Stern, seine Jugendliebe. Nostalgie kam in ihm auf, wenn er an August dachte, jenen Menschen, der ihn vor vielen Jahren in der spannenden Wendezeit für den Geheimdienst des Klassenfeindes angeworben hatte. Traurigkeit und Zorn bemächtigte sich seiner, wenn er an die Hinterlist und Tücke einiger anderer Menschen dachte, die ihm zu jener Zeit begegneten. Doch das war vorbei. Geschichte! Wenngleich Freysing nicht ungern die damalige Zeit rekapitulierte, so verspürte er nun doch deutlich wieder jenen unbändigen Tatendrang, der ihn im Laufe der beiden letzten Jahrzehnte in immer gefährlichere Aufträge gestürzt hatte. Er wusste allerdings nur allzu gut, dass der Bundesnachrichtendienst durch diverse Umstrukturierungen zu einem müden Beamtenhaufen verkommen war. So konnte er eigentlich kaum auf einen wirklich wichtigen Fall hoffen. Seine Arbeit bestand seit vielen Jahren in der Regel aus nachrichtendienstlicher Routine.
Als er daher, inzwischen bereits um die fünfundvierzig Jahre alt, in Erwartung dessen - eigentlich noch ohne besonderen Elan und desillusioniert von seiner Tätigkeit - am Morgen des leicht verschneiten Dreikönigstages 2015 das BND-Gebäude in Berlin betrat und dort jene Etage aufsuchte, in der sein gegenwärtiger Vorgesetzter residierte, verdrängte er endgültig die schwermütigen Gedanken an sein früheres Leben, die ihn während seiner Auszeit nun so lange beschäftigt hatten.
Sax ging, einen neuen Gehstock aus der Spezialabteilung des BND mit gewissen Sondereigenschaften in der Hand, aber nicht wirklich darauf gestützt, durch das von einem ihm lediglich kurz zunickenden bulligen Unteroffizier OA besetzte Vorzimmer hindurch direkt zur Tür des Chefs. Dort klopfte er fest an.
Sobald das undeutlich-knurrige „Herein“ ihn dazu aufforderte, öffnete er die dicke Tür und stand sogleich Generalmajor Stoessner gegenüber, der es sich hinter seinem Schreibtisch im wuchtigen Sessel bequem gemacht hatte und fast darin versank. Die technische Modernisierung war auch am Chefbüro nicht vorüber- gegangen: Nur ein paar wenige Akten lagen auf dem Tisch, ansonsten gab es lediglich einen etwas größeren, aufgeklappten Laptop. An den Wänden hingen die Portraits früherer und gegenwärtiger Deutscher Präsidenten sowie Kanzler. Natürlich war keines von Honecker oder Stoph darunter. Die DDR-Vergangenheit war längst gesamtdeutsch getilgt.
„Guten Morgen, Freysing!“, sagte Stoessner, dabei wohlwollend aufblickend, nachdem die Tür geschlossen war und sich der Agent um eine möglichst gerade Haltung bemühte.
„Guten Morgen, Herr Generalmajor! Ich melde mich zurück zum Dienst“, entgegnete der Begrüßte, obwohl er selbst keine Uniform trug, sondern lediglich gewöhnliche Straßenkleidung. Stoessner liebte es, mit seinem Rang angesprochen zu werden.
„Ich hoffe, Sie haben sich gut erholt in den letzten beiden Monaten!“, fuhr der Chef fort, ohne eine detaillierte Antwort zu erwarten. Freysing nickte daher auch nur knapp und entgegnete spontan: „In der Tat, Herr Generalmajor, das habe ich!“
„Fühlen Sie sich einigermaßen fit für einen neuen Auftrag? Nichts schwieriges, nur ein bisschen Nachforschung“, setzte der hohe Offizier hinter dem Schreibtisch hinzu, und bot mit einer Handbewegung Platz auf einem der Besucherstühle an.
„Selbstverständlich, Herr Generalmajor! Ich wäre froh, endlich wieder aktiv tätig werden zu können. Für Deutschland! In den letzten Wochen ist mir die Decke ziemlich auf den Kopf gefallen.“ Er setzte sich bequem nieder und legte den Stock quer vor sich über die Knie.
„Schön. Für Deutschland also. Mal wieder. Dann werde ich sie jetzt kurz instruieren. Während ihres Ausfalls ist einiges passiert, wie sie sich denken können.“
Freysing hob die Augenbrauen. Natürlich war eine Menge passiert. Ständig passierte irgendetwas irgendwo auf dieser Welt. Aber worauf spielte Stoessner explizit an?
„Spectator!“, gab der Generalmajor das Stichwort. Freysing überlegte kurz.
„Das ist doch dieses neue Weltraum-Überwachungssystem. Eine SIGINT-Kooperation mit Frankreich. Ich habe während der Instruktion für unsere Abteilung vor Weihnachten davon gehört.“
Stoessner nickte: „Eine wesentliche Komponente des Spectator-Systems sollte im November raufgebracht werden, oberflächlich getarnt als Wiedereintrittsphasen-Experiment, für die Medien und so. Aber die VEGA-Trägerrakete ist überraschend kurz nach dem Start in Französisch-Guayana explodiert.“
„Hab´s im Fernseher gesehen gehabt. Sabotage?“
„Möglicherweise. Ein Expertenteam befindet sich bereits seit dem November dort, um die Trümmerteile zu bergen und zu untersuchen. Ist nicht ganz einfach, die Reste sind im Atlantik außerhalb der französischen Hoheitszone runtergekommen und ziemlich weit verstreut. Aber den Satteliten hat man bislang nicht gefunden.“
„Und jetzt soll ich auch da rüber?“, hakte Freysing nach. Er schien nicht begeistert.
„Ja, genau. Betrachten Sie es nicht nur als Erholungsurlaub, aber überlassen sie den italienischen Kollegen vor Ort die Hauptarbeit. Die finanzieren schließlich das VEGA-Projekt, also sollen die auch was beitragen. Halten Sie bloß Augen und Ohren offen.“
„Klingt nicht sehr aufregend.“, murrte Sax. Er mochte nicht länger tatenlos bleiben.
„Soll es ja auch nicht sein. Sie sind ein Beobachter – schon vergessen?“
„Warum ich?“, erwiderte er resignierend. Befehl war allerdings Befehl.
„Die paar anderen aus unserer Abteilung sind beschäftigt. An der türkisch-syrischen Grenze ist der Teufel los, wie sie wissen. Und die Ukraine qualmt. So wie ich es sehe, sind Sie noch nicht wieder vollständig einsatzfähig. Also der richtige Job für Sie. Leichter Dienst. Und Sie sollten das Alles wirklich ganz ruhig angehen lassen“, beschwörte er seinen Mann. „Der tiefere Grund, warum ich genau sie schicke, ist aber noch ein anderer.“
„Als der wäre?“ Sax war bei Stoessners letzten Worten hellhörig geworden.
„Das Equipment für die Suche auf See wird von der DEMTAG gestellt.“
„Aua!“, meinte Freysing und verzog das Gesicht. Er erinnerte sich noch allzu gut an die Stahlmann-Verschwörung vom Anfang des letzten Jahres, bei der er bereits mit der DEMTAG aneinandergeraten war – einem führenden deutschen Unternehmen im Bereich der Marinetechnik.
„Ja, genau. Aua! Irgend so ein Wichtigtuer an leitender Stelle hat das als ´unbedenklich´ abgesegnet. Vielleicht hat von Lauenstein mal wieder seine Finger drinnen. Ich denke, wir sollten ein genaueres Auge darauf werfen.“
„Gab es niemand anderen? Für die Bergung, meine ich?“
„Wir hätten natürlich die Amerikaner bitten können. Aber angesichts des heiklen Frachtgutes haben wir lieber davon abgesehen. Spectator ist ein Joint-Venture allein von Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland!“, mahnte Stoessner eindringlich mit erhobenem Zeigefinger. „Die Amis wollen wir da mal schön raushalten.“
„Verständlich. Das heißt, die geheimen Details kennen auch die Italiener nicht?“
Stoessner nickte: „Das hoffen wir, und es sollte auch so bleiben. Halten sie sich wegen des Satteliten an die Franzosen.“
„Der Sattelit wurde in Frankreich gefertigt?“
„Zuständig für die Endmontage war das kleinere Zweigwerk eines sächsischen Unternehmens bei Paris“, führte Stoessner aus. „´German Space Robotics, GSR´. Der französische Inlandsgeheimdienst kümmert sich darum, und das BKA nimmt hier den Hauptsitz sicherheitshalber nochmal unter die Lupe. Nur zur Vollständigkeit!“
„Was wissen die Dienste über das Unternehmen?“, hakte Sax nach.
„Nichts Auffälliges. Ein Start-Up, das in der Zeit des Wiederaufbaus Ost groß geworden ist. Nicht unsere Zuständigkeit. Aber das Problem des VEGA-Zwischenfalls lag nach bisherigen Erkenntnissen nicht im Satteliten, sondern in den Antrieben des Launchers. VEGA wird von Arianespace vermarktet – einem soliden und seriösen Unternehmen. Wenn manipuliert wurde, dann auf der Abschussbasis drüben.“
„Oder unterwegs, auf dem Transport. Na schön. Also tatsächlich nach Guyane? Ist doch aber eigentlich gar nicht mein Arbeitsfeld!“, meinte Sax skeptisch. Gleichzeitig musste er allerdings an Augusts damalige Worte denken, als sie sich damals in Leipzig verabschiedeten: ´Wir gehen dahin, wohin uns der Wind weht.´
Stoessner winkte auch sogleich unwirsch ab und nickte abermals. „Egal. Sie finden in der geheimen Operation-Cloud alles, was sie erst mal brauchen, bis sie dort angekommen sind. Sie werden aber vor Ort auch von den Franzosen weiter informiert, die sind schon seit einiger Zeit in der Angelegenheit aktiv. Und noch etwas sollten Sie wissen: Sie sind mit der Sache im Hintergrund möglicherweise vor ein paar Monaten bereits kurz in Berührung gekommen. Der dritte Grund, warum ich ausgerechnet Sie schicke!“
„Aha?“, hakte Freysing skeptisch nach.
„Tschechien, letztes Jahr im Spätsommer. An den Auftrag erinnern Sie sich doch wohl noch? Sie haben schließlich nur einen Hüftschaden davon getragen, und keinen Dachschaden!“
Ja, Sax erinnerte sich: Das war im September 2014 gewesen, direkt vor der Geschichte, die ihn dann leider ins Nürnberger Krankenhaus beförderte. Von den Analysten des Geheimdienstes waren seine Ermittlungen im Nachbarland allerdings schnell als „nicht so bedeutend“ eingestuft worden, und er selbst sah es damals zumindest nicht sehr viel anders, auch wenn ein paar Fragen dort offen blieben.
Die Bilder von seinem erst kaum vier Monate zurückliegenden Aufenthalt in Tschechien waren Freysing sofort wieder präsent…
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