Читать книгу Das kleine Paradies - Ida Uhlich - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеJulia genoss den Flug und entspannte sich. Noch eine gute Eigenschaft, die sie hatte. Die Herausforderung konnte noch so groß sein, nervös wurde sie immer erst kurz vor dem Arbeitsbeginn. Dies wiederum machte Rose oft nervös. Manchmal arbeiteten sie zusammen. Julia als Fotografin und Rose als Assistentin in der Agentur von Dr. Schmidt; Werbemanagement. Sie lehnte sich zurück und las ihre Klatsch-Zeitschriften. Sie musste sich auf die Stars und Sternchen vorbereiten. Ihr neuer Auftrag hatte ja mit ihnen zu tun. Sie wusste nichts genaues, jedoch ging es immer um irgendeinen Promi. Nach der Landung und der Abholung ihres Koffers, löste sie ihr Versprechen ein und rief Rose an. Es klingelte nur 1x, Rose war sofort dran.
»Hey Kleines, du bist also gut in Aberdeen gelandet?«
Bei dem Wort Kleines zuckte sie zusammen.
»Oh nein, Kleines versucht gerade aus dem brennenden Flugzeug rauszukommen.«
»Julia! Hör auf mit dem Scheiß! Ich find das nicht witzig!«
»Schon gut, schon gut. Es ist alles in Ordnung. Es ist nichts passiert. Ich stehe hier in der großen Ankunftshalle und stell dir vor, ich habe sogar meinen Koffer gefunden. Keiner hat mich angesprochen und ich habe keinen verletzt. Bin ich gut oder bin ich gut?«
Julia grinste und stand in Gedanken neben Rose. Sie konnte sich ihre Mine genau vorstellen und musste kichern. Sie bemerkte nicht, dass sich ein Mann näherte. Er blieb vor ihr stehen und wartete höflich. Unbemerkt und auf Abstand. Er wusste nicht, ob er sie ansprechen sollte. Er war unsicher, ob sie die Person ist, die er abholen sollte.
Julia kreischte vergnügt, als sie das Gemeckere von Rose vernahm. Sie drehte sich dabei um und stolperte über ihren Koffer. Sie verlor das Gleichgewicht und wäre der Länge nach hingeknallt, wenn der Fremde sie nicht aufgefangen hätte. Sie spürte starke Arme um ihre Taille und vernahm ein leises Lachen. Noch in seinen Armen hob sie ihren Kopf nach hinten und blickte in zwei kristallblaue Augen. Für zwei, drei Sekunden erstarrte sie und versuchte sich dieses Bild vorzustellen.
Der Koffer unter ihren Füßen, ihr Oberkörper gegen seine Brust, die Haare wirr im Gesicht und der Mund offen.
Ein ganz normales Julia-Willkommens-Bild!
»Oh...«, entfuhr es ihr leise.
Er stellte sie ohne Mühe wieder auf die Beine. Sie zog ihre Klamotten wieder gerade und sagte verlegen: »Danke! Es tut mir leid, dass ich sie genötigt habe, mich aufzufangen.«
Seine Stimme war tiefer als sie angenommen hatte.
»Gern geschehen! Sind sie Julia Montana?«
Auf seiner Stirn bildeten sich drei Falten und seine Augen kniff er zusammen, so dass sie nur noch einen Strich bildeten. Für einen Moment dachte sie, dass er die Augen geschlossen hatte.
»Ja, die bin ich!«
Sichtlich erleichtert, dass er die richtige Person angesprochen hatte, streckte er seine Hand aus.
»Ich bin Kevin Brown, also Kevin. Ich bin hier um dich abzuholen. Leider war der Chauffeur von Jack, äh ich meine Mr. John, unabkömmlich.«
»Oh...«, entfuhr es ihr wieder.
Oh Gott, er denkt bestimmt, ich bin bescheuert. Mensch Julia, reiß dich zusammen und bilde ganze Sätze.
»Okay, dann fährst du mich also zu Lord McDerby?«
Er legte seine Stirn wieder in Falten und fasste sich verlegen an die Stirn.
»Nein, das muss ein Missverständnis sein. Ich soll dich zum Anwesen mitnehmen.«
Sie überlegte kurz. Das fing alles schon wieder eigenartig an und sie musste grinsend an Rose denken. Durch ihr Lächeln war er nun erst recht skeptisch.
Pikiert und etwas lauter als gewollt, fragte er: »Bist du doch nicht Julia Montana?«
Sie legte ihren Kopf schief, stemmte ihre Arme gegen die Hüfte und fragte verblüfft: »Würde ich sonst mit dir mitgehen?«
»Ja! Du wärst nicht die erste«, schnaubte er verächtlich.
»Vielleicht wäre ich es aber doch!«, konterte sie.
Sie biss sich auf die Lippe und verstand seine Andeutung nicht. Unsicher schaute sie ihn an und wartete auf eine grimmige Reaktion. Wie sie so dastand, frech und doch unbeholfen, schlicht und doch interessant, einfach und doch undurchschaubar, verursachte sie in ihm ein kleines Gefühl von Neugier. Er konnte die Frauen, die sich um Promis rissen, nicht ausstehen. Jack wusste es und trotzdem lud er immer wieder einige Mädels ein, damit er sich amüsieren sollte. Jack fand nämlich, dass er viel zu wenig Frauenkontakt hatte. Er war froh, dass diese Frau anscheinend nicht dazugehörte. Er wollte Jack diesen Gefallen erst nicht tun, da er dachte, er solle wieder so eine affektierte Schnecke abholen. Doch Jack hatte ihn angefleht für den Chauffeur einzuspringen. Erst als Jack hoch und heilig versprochen hatte, dass es kein Model oder Ähnliches sein würde, willigte er ein. Er hatte sowieso gerade hier in Aberdeen zu tun. Nun stand er vor dieser Frau, die ihn anscheinend nicht erkannte, oder nicht erkennen wollte und die nicht aussah wie eine aufgedonnerte Promijägerin.
Die Pause dauerte ihr zu lange und skeptisch fragte sie: »Äh... du wurdest doch von Mr. John beauftragt mich abzuholen?«
Dabei zog sie die linke Braue hoch.
Süß, fand er und brachte nur ein zaghaftes Nicken zustande.
Hoffentlich entpuppt sie sich nicht doch noch als Nervensäge. Das wäre schade, da ich gerade anfange sie zu mögen.
Er war so in seinen Gedanken vertieft, dass er sie ansah, nein er starrte sie an. Julia wurde langsam nervös.
»Mr. Brown? ...äh, ich meine Kevin, ist alles in Ordnung? Soll ich lieber ein Taxi nehmen? Das macht mir wirklich nichts aus. Ich möchte dich nicht davon abhalten, etwas Wichtigeres zu tun.«
Tsss, das sind ja mal ganz neue Töne, dachte er. Diese Frau zog ein Taxi ihm vor.
Schnell sagte er: »Nein, nein, ich habe Jack versprochen dich abzuholen. Ich halte meine Versprechen.«
Sie nickte und wollte ihren Koffer nehmen. Doch er kam ihr zuvor und griff danach.
»Danke, aber ich kann das auch alleine.«
»Ich zweifle nicht daran!«
Er lief grinsend vor und sie musste sich anstrengen, dass sie Schritt halten konnte.
Was für ein komischer Mensch, dachte sie. Verdammt gutaussehend, aber eigenartig. Oh Gott, hoffentlich wird das hier nicht die größte Verarsche aller Zeiten. Ich werde Rose gleich anrufen, wenn ich angekommen bin. Sie wird sich bestimmt Gedanken machen, weil ich vorhin so schnell auflegt habe.
Kaum hatte sie das zu Ende gedacht, klingelte ihr Smartphone. Ein Blick aufs Display bestätigte ihre Vermutung.
Rose!
Sie ließ es klingeln und machte große Schritte, da der Abstand zwischen ihnen bereits größer wurde. Kevin drehte sich um.
»Möchtest du nicht rangehen?«
»Oh nein, ich rufe später zurück. Rennen und telefonieren geht gar nicht!«
Erst jetzt bemerkte er, dass sie Schwierigkeiten hatte, hinterher zu kommen.
»Entschuldige«, sagte er grinsend, »ich laufe zu schnell?«
»Nein, ist schon okay.«
Sie log und er sah es ihr an. Er drehte sich zur Seite und zeigte mit der Hand zu einem Auto.
»Wir sind schon da.«
Er öffnete ihr die Tür und sie stieg ein. Das war kein Auto, das war eine sündhaft teure Limousine. Er startete und sie hörte nichts. Rein gar nichts. Sie fragte sich, ob es überhaupt einen Motor gab. Sie blickte aus dem Fenster und betrachtete die Häuser und Straßen. Sie spürte, dass er sie beobachtete. Das machte sie nervös.
Um überhaupt etwas zu sagen, denn die Stille war fast unerträglicher als seine Blicke, fragte sie: »Wie lange müssen wir denn fahren?«
Er wandte sich wieder dem Verkehr zu und manövrierte das große Schlachtschiff gekonnt durch die Straßen.
»Ca. 1 Stunde. Wenn wir aus der Stadt heraus sind, fängt der schöne Teil Schottlands an.«
»Oh, Schönheit findet man auch hier«, sie zeigte mit der Hand zum Fenster, »man muss sie nur erkennen. Sie ist überall.«
Ihre Antwort gefiel ihm. Das war kein hochnäsiges Geschwafel. Sie hatte ihre eigene Sicht.
»Warst du schon einmal in Schottland?«
Sie schüttelte mit dem Kopf. Sie fuhren gerade über eine Brücke und sie schaute fasziniert hinunter zum Fluss. Plötzlich schrie sie: »Kannst du hier anhalten, oder ist es verboten?«
»Was hast du vor?«
»Ich möchte fotografieren.«
Ihre Augen leuchteten und ihre Wangen wurden rot. Wenn sie ein gutes Motiv erkannte, war sie immer sehr aufgeregt. Wie ein kleines Kind, das gerade etwas Neues zum Spielen gefunden hatte.
»Kein Problem!«
Er bremste langsam ab. Währenddessen holte sie bereits die Kamera aus dem kleinen Koffer. Sie zappelte herum und er sagte lächelnd: »Lass mich wenigstens anhalten.«
»Fällt mir schwer, aber ich warte!«
Der Wagen stand und sie sprang raus. Er schüttelte den Kopf und stieg dann auch aus. Er lief ihr nach und stellte sich hinter sie. Er versuchte krampfhaft ein schönes Motiv zu erkennen. Jedoch sah er nur Wasser und Häuser, die sich kaum im Fluss spiegelten, da die Oberfläche durch den leichten Wind krisselig war.
»Was fotografierst du in Gottesnamen da nur?«
Sie ließ sich nicht stören und schoss vier Bilder. Beim ersten Bild legte sie ihren Oberkörper über die Brüstung und fokussierte nur das Wasser an. Er machte einen Schritt nach vorne und hielt sie am Arm fest. Erschrocken fuhr sie herum.
»Ich dachte schon, du wolltest springen?«, sagte er etwas panisch.
»Sehr witzig!«
Sie drehte sich wieder um und schoss das nächste Bild aus der Hocke.
»Warum durch das Geländer, wenn du oberhalb freie Sicht hast?«
»Weil ich die reine Schönheit einfangen möchte.«
Für das dritte Bild musste sie zwei Schritte zurücktreten. Sie stieß an seine Brust und er wich nicht zurück. Sie bemerkte es vor Eifer gar nicht. Er atmete tief ein… sie roch verdammt gut und ihre Haare kitzelten ihm am Hals. Es war für ihn eine eigenartige Situation. Es war schon lange her, dass er eine fremde Frau so dicht hat an sich herankommen lassen. Zu allem Ärger von Jack.
»Was fotografierst du jetzt?«, fragte er neugierig.
»Siehst du dort hinten den Baum, wo der Ast leicht das Wasser berührt?«
Er beugte sich ein wenig hinunter und legte sein Kinn auf ihre rechte Schulter. Nun hatte er die gleiche Sichthöhe wie sie. Leicht berührte er ihre Wange. Sie roch noch immer gut.
»Ja, jetzt schon!«
»Der Ast wirft einen Schatten. Da das Wasser aber keine glatte Oberfläche hat, ist der Schatten verzerrt. Dadurch wirkt das Motiv sehr bizarr.«
Für das vierte Bild, drehte sie sich blitzschnell um und drückte ab. Kevin starrte noch in Richtung Baum. Verwirrt schaute er sie an.
»Warum mich?«, brummte er.
»Weil du jetzt das erste Mal ein entspanntes Gesicht hast. Kein Zusammenkneifen der Augen, keine Falten an der Stirn und kein grimmiger Blick.«
»Ich habe grimmig geschaut?«
Nun war er doch ein wenig irritiert. Sie lächelte nur.
»Kann ich sie sehen?«
»Moment, ich zeig sie dir gleich.«
Geduldig wartete er.
»So, fertig!«
Sie wollte zum Auto marschieren, doch er protestierte.
»Hey, du wolltest mir doch die Bilder zeigen.«
»Ja doch, im Auto.«
Etwas verwirrt, da ihn sonst nie einer warten ließ, lief er ihr hinterher. Kaum saß er, da hielt sie ihm die Kamera hin. Er starrte auf die Bilder und konnte es nicht fassen. Er erkannte die Motive kaum wieder. Bewundernd starrte er sie an.
»Hey, du hast wirklich ein geschultes Auge für die Schönheit.«
Sie schüttelte ihren Kopf.
»Was hast du erwartet? Ich bin Fotografin. Das ist die Voraussetzung für diesen Beruf.«
Sie packte sorgsam ihre Kamera wieder in den Koffer.
»Ja schon, aber es gibt auch viele Schauspieler, die nicht schauspielern können.«
»Wieso den Vergleich mit Schauspielern?«
»Weil ich mich da auskenne.«
Wieder hob sie die Braue und er musste grinsen. Er fand das einfach zu süß.
Vorsichtig fragte sie: »Wieso, bist du auch einer?«
»Hmhmm.«
»Ein richtiger? Ich... ich meine ein bekannter?«
Er nickte ruhig und beobachtete sie von der Seite. Sie schaute auf ihre Schuhe und flüsterte in Deutsch: »Mist, verdammter... Da schaue ich mir die blöden Klatschblätter an und erkenne ihn nicht.«
Was sie nicht wusste... er konnte deutsch. Also grinste er in sich hinein und ließ sie in dem Glauben, dass er nichts verstand. Sie biss sich auf die Lippen und schaute verlegen zu ihm.
»Ein echter Promi also?«
Er nickte wieder ganz ruhig und fand das recht amüsant. Sie wiederum flüsterte weiter in Deutsch.
»Na toll, das nenne ich doch mal einen super Start. Ohne Fettnapf geht bei mir aber auch gar nichts.«
Er hielt an einer roten Ampel und fragte: »Hey, was redest du da?«
Verlegen blickte sie auf ihre Hände, die ständig auf und ab wippten, als wenn sie Musik hören würde. Sie wechselte wieder ins Englisch.
»Oh entschuldige bitte, das war unhöflich von mir. Aber ich ärgere mich darüber, dass ich nicht weiß, wer du bist.«
Er ignorierte ihre Verlegenheit.
»Ist schon okay. Oftmals wäre es mir sehr recht, wenn die Leute mich nicht erkennen würden. Also mach keine große Sache daraus.«
Sie hielten wieder an einer roten Ampel. Sie wandte sich zu ihm und fragte verlegen: »Darf ich es noch einmal versuchen? Ich meine, wenn du mich mal anschauen würdest?«
Diesen Wunsch erfüllte er ihr sehr gerne.
»Aber ohne Stirnrunzeln und ohne die Augen zuzukneifen«, verlangte sie schnell.
Er grinste. Er war Schauspieler, das dürfte wohl kein Problem sein. Er schaute sie an und versuchte so lässig wie möglich auszusehen. Sie flog mit ihren Augen über die Stirn, zur Nase, über die Wangenknochen zum Mund und dann blickte sie in seine Augen. Dies machte sie so hochkonzentriert und mit weitaufgerissenen Augen, dass er schallend lachen musste. Verwirrt und wütend starrte sie ihn an: »Was ist?«
Er konnte noch immer nicht aufhören zu lachen. Die Ampel schaltete auf grün und er fuhr rasant an.
»Oh man, habe ich etwas Falsches gemacht?«
Vor Lachen konnte er kaum sprechen: »Nein,.... nein ehrlich nicht... hast du nicht... aber du hast ausgesehen, als wenn du gerade eine Skulptur ausgebuddelt hättest und sie nun nach dem Wert prüfen wolltest.«
Er grinste noch immer. Sie wurde knallrot und legte ihre Hände vors Gesicht. Sie dachte nur ‚Oh lieber Gott, mach, dass er nicht mehr da ist. Bitte, bitte!‘.
Sein grinsen hörte nicht auf. Vorsichtig ergriff er ihre Hand und drückte sie sanft runter.
»Hey, bist du noch da?«
»Nein, Scotty beamt mich gerade weg.«
Er hielt ihre Hand weiterhin fest.
»Oh nein, bleib bei mir. Du bist so... so amüsant.«
»Danke! So nett hat das noch keiner umschrieben.«
»Hey, schau mich an.«
Sie schüttelte ihren Kopf.
»Bitte! Ich lach auch nicht mehr, versprochen!«
»Glaub ich dir nicht!«
»Ich sagte doch vorhin schon, ich halte meine Versprechen.«
»Pah, ich kenne dich doch gar nicht. Das kann jeder sagen.«
Sie blickte schmollend aus dem Fenster. Die Verlegenheit trieb ihr die Hitze ins Gesicht. Ihre Wangen glühten.
Erst jetzt bemerkte sie, dass er ihre Hand noch hielt. Ohne ihn anzuschauen fragte sie: »Bekomme ich meine Hand wieder?«
»Nein. Erst wenn du mich anschaust.«
»Okay, behalte sie. Ich brauche sie nicht.«
Sie hörte ihn nicht lachen, aber ihre Hand vernahm ein Vibrieren.
»Du lachst schon wieder. Toll deine Versprechen!«, zischte sie.
»Nein«, versuchte er sich rauszureden, »das ist der Motor.«
»Von wegen, das Auto hat gar keinen Motor. Ich höre nichts!«
Er kicherte und sie blickte ihn wütend an.
»Höre bitte auf zu lachen!«
»Okay, okay... Hey, ich mach es wieder gut.«, sagte er schnell.
Er ließ ihre Hand los, bremste kurz ab und wendete.
»Was hast du vor?«
»Lass Dich überraschen!«
»Habe ich schon erwähnt, dass ich Überraschungen hasse?«
»Nein, aber das wäre auch egal.«
»Na super. Der Tag wird immer besser.«
Sie schielte zu ihm rüber. Sein breites Grinsen verhieß nichts Gutes.
»Nun sag schon, wohin fahren wir? Wartet Mr. John denn nicht auf uns?«
Sie fühlte sich plötzlich unwohl. Wer weiß, wo er sie hinbrachte.
»Oh ja, stimmt! Danke!«
Er nahm sein Smartphone aus der Brustinnentasche und wählte. Nach ein paar Sekunden: »Hi Jack. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich Julia etwas später zu dir bringe. Wir werden gegen 15:00 Uhr da sein. Ist das okay?«
Es war einen Moment still.
»Das erzähle ich dir später.«
Wieder Stille.
»Nein!«
Stille.
»Das kannst du ihr alles nachher erzählen. Ich werde noch mit ihr Essen gehen und komme dann zu dir.«
Er legte auf. Ihr Unbehagen wuchs. Jetzt wollte er auch noch essen mir ihr gehen.
»Bitte sage mir, was du vorhast.«
Ihre Stimme klang zaghaft und unsicher. Sie versank förmlich in ihrem Sitz und verschloss die Arme vor ihrer Brust. Er dagegen fühlte sich wohl. Er genoss ihre Anwesenheit und die Leichtigkeit mit ihr zu reden.
»Vertrau mir! Du wirst es nicht bereuen. Ich sagte doch, ich mach es wieder gut.«
Sie stieß die Luft schnell aus: »Puh, ich glaube das ist zu viel für den ersten Tag.«
»So wie ich meine Versprechen halte, so kannst du mir auch vertrauen«, versuchte er sie zu beruhigen.
»Das sagte der Kater zur Maus?«
Es sollte ironisch klingen, verfehlte jedoch die Wirkung… er musste wieder schmunzeln.
»Ich glaube, es ist an der Zeit, dass ich meine sorgenvolle Freundin anrufe«, lenkte sie ab.
»Nur zu.«
Sie nahm das Smartphone und wählte wieder die 1. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, begann der Redeschwall von Rose.
»Kleines, bist du verrückt? Warum bist du nicht ran gegangen? Ich wollte schon Scotland Yard anrufen. Was ist denn passiert? Warum wurden wir unterbrochen? Ich kann nicht glauben...«
»Hey Rose, schön deine liebliche Stimme zu hören«, unterbrach sie Rose forsch.
Wenn sie Deutsch sprach, fühlte sie sich sicher. Schließlich war sie hier in Schottland und es war kaum vorstellbar, dass hier einer Deutsch sprach. Am allerwenigsten der sonderbare Mann, der neben ihr saß.
»Ist alles in Ordnung? Nun rede schon.«
»Also wenn du mich zu Wort kommen lassen würdest, könnte ich reden«
Am anderen Ende schnaufte jemand.
»Mir geht es gut. Ich wurde auch, wie versprochen, vom Flughafen abgeholt. Ich sitze jetzt im Auto und wir fahren zum Anwesen... glaube ich jedenfalls. Es ist nichts passiert und ich habe es wieder geschafft, niemanden zu verletzen.«
»Braves Mädchen. Und, sieht er gut aus... ich meine der Typ, der dich abgeholt hat?«
Julia stöhnte und trotz der deutschen Sprache flüsterte sie: »Oh man Rose. Ist es wichtig wie er aussieht? Frage lieber, ob er nett ist.«
»Oh Gott Julia. Ist er etwa nicht nett? Hast du noch das Pfefferspray, dass ich dir gegeben habe?«
»Jaaa doch. Das brauche ich aber nicht. Er ist ja nett.«
»Mensch Julia, erschrecke mich doch nicht so. Dann sieht er also doch gut aus? Nun sag schon... ist er ein Sahneschnittchen?«
Julia musste grinsen. Sie drehte sich weg von ihm und flüsterte so leise wie sie konnte: »Herrje Rose, du bist unmöglich. Jaaaaa, er ist ein Sahneschnittchen.«
Kevin grinste in sich hinein. Schön zu wissen, was sie über ihn dachte. Dass er seine Deutschkenntnisse vor ihr verheimlichte, war zwar nicht okay, aber sehr amüsant für ihn. Er wollte unbedingt, dass es so blieb.
»Wie heißt er denn?«
Sie drehte sich kurz zu ihm und ihre Blicke trafen sich. Sie konnte nicht verhindern, dass sie rot wurde.
»Kevin Brown«, sagte sie mit fester Stimme und sein Blick hielt ihrem kurz stand.
Es herrschte am anderen Ende totale Stille.
»Hey Rose, bist du noch dran?«
Dann ein lautes Atmen.
»Rose? Alles klar bei dir?«
Dann ein lautes Kreischen. Julia erschrak und ihre Braue schoss wieder nach oben. Süß... einfach nur süß, dachte er und wich jetzt ihrem Blick nicht für eine Sekunde aus.
Sie rief ihm erschrocken zu: »Hey, Augen nach vorne, du fährst Auto.«
Brav aber kopfschüttelnd folgte er ihrem Befehl. Er fand diese Fahrt mehr als amüsant.
»Sage mal Kleines, er hat nicht zufällig wahnsinnsblaue Augen, einen supersüßen kleinen Mund, kurze braune Haare, ist groß und ist sehr höflich?«
»Ja, ja, ja, ja und ja“, antwortete sie knapp und gelangweilt auf die fünf Fragen.
«Oh Gott Kleines, ich werde gleich ohnmächtig. Ich glaube das alles nicht.«
»Was ist denn?«
»Du schnallst das nicht, oder? Das ist Kevin Brown. Klingelt es da nicht bei dir?«
»Du kennst ihn?«
Nun begann ihr Puls zu rasen. Sie erkannte, dass der Anruf peinlich enden würde. Und jetzt, wo sie seinen Namen genannt hatte, wusste er auch ohne Deutschkenntnisse, worum es ging. Sie verfluchte sich und ihre Ängstlichkeit. Sie hätte bestimmt nicht angerufen, wenn sie nicht so ein Angsthase gewesen wäre.
»Natürlich kenne ich ihn und du auch. Denke an die Serie Deadly Lies... der Hauptdarsteller.«
»Ich muss auflegen. Ich rufe dich heute Abend noch mal an. Hab dich lieb.«
Ohne auf die Antwort zu warten, beendete sie das Gespräch und warf das Smartphone verärgert in ihre Tasche. Das war wieder mal typisch für sie. Sie sah den Wald vor lauter Bäume nicht. Sie drehte sich zu ihm um und fauchte: »Hättest du mir nicht einfach sagen können, wer du bist?«
»Hab ich doch! Aber... schade, dass du es jetzt weißt.«
»Warum?«
»Weil ich befürchte, dass du jetzt anders bist. Nicht.... nicht mehr so natürlich«, gestand er sanft. Seine Stimme war wie Samt.
Oh Gott, Julia. Bleibe stark und bleibe sauer, dachte sie.
»Hmmm. Natürliche Wesen stehen dir also nicht oft zur Verfügung?«
»Eher selten!«
Seine Antwort kam verbittert rüber. Ihr Ärger verflog.
»Und hier bei Mr. John ist alles anders? Hier bekommst du was du suchst?«
Er verlangsamte die Geschwindigkeit und hielt auf einer kleinen Auffahrt. Er suchte ihren Blick und hielt ihn fest. Ein kleines Lächeln umspielte seinen Mund.
»Na ja, sagen wir mal so. Wenn er nicht gerade irgendwelche Promis einlädt, oder Frauen, die mir das Leben versüßen sollen... ja dann, dann finde ich hier Ruhe. Dann kann ich einfach nur Kevin sein.«
»Hmmm, verstehe! Aber dann hast du einen wirklich schlechten Zeitpunkt abgepasst. Denn ich soll Fotos von einem Promi machen. Da werden bestimmt viele schöne Frauen dabei sein.«
»Ich weiß, schlechtes Timing. Das ist Jack´s Schuld... aber egal. Komm, ich möchte dir was zeigen.«
Sie zögerte. Er schnallte sie ab und rief ihr beim Aussteigen zu: »Vergiss deine Kamera nicht!«
Das war Musik für ihre Ohren. Eilig griff sie nach der Tasche und folgte ihm. Erst jetzt sah sie, dass sie vor einem kleinen Haus standen. Es war alt und sah baufällig aus. Jedenfalls von außen. Ringsherum wucherte das Unkraut und die Bäume waren klein, aber wuchsen in die Breite. Er wartete geduldig und hielt ihr die Hand hin. Sie nahm sie spontan und ließ sich führen.
»Wo gehen wir hin?«
»Warte, gleich siehst du es.«
Er zog sie behutsam hinter sich her. Seine Hand war warm und der leichte Druck verstärkte sich, als sie über eine kleine Brücke liefen. Sie bestand aus vielen kleinen Steinen und sah fast so aus, als wenn sie von Kinderhand gebaut wurde. Etwas schief und total uneben. Man musste höllisch aufpassen, dass man nicht stolperte.
»Dürfen wir das denn überhaupt? Das ist doch bestimmt Privatbesitz.«
»Ja, ist es!«
»Und? Dürfen wir es betreten?«
»Ja, es gehört mir?«
»Oh!«, sagte sie überrascht.
Sie liefen über eine kleine Wiese, die von Hecken umsäumt war. Am Ende mussten sie sich bücken, um durch eine mit Unkraut überwucherte Holztür hindurchgehen zu können. Ab und zu drehte er sich um und schaute nach ihr.
Sie hob jedes Mal die Hand und sagte: »Ist schon okay!«
»Bin ich wieder zu schnell?«
»Nein!«
Hinter der Holztür bot sich ein Bild, das sie nie vermutet hätte. Als wenn hinter dieser alten Holztür eine andere Welt anfing. Sie sah eine riesige Wiese, die leicht anstieg. Rechts und links türmten sich kleine Steingebilde, die mit Moos bewachsen waren. Selbst die kurzen Baumstämme waren damit bedeckt. Es war eine unendliche Landschaft, die unsagbar viele Grüntöne freigab. Am Ende der Wiese sah sie das Meer. Sie ließ seine Hand los und versuchte schnell an die Kamera zu kommen.
»Hey, langsam. Die Aussicht rennt uns nicht weg.«
Er half ihr, da sie immer hektischer wurde.
»Ja schon, aber das Licht ist gerade so, wie ich es brauche. Bitte beeile dich!«
Sie griff nach der Kamera und kniete sich nieder. Sie schoss in allen Richtungen. Danach lief sie langsam näher an das Ende der Wiese heran, während sie unentwegt abdrückte. Er beobachtete sie vergnügt. Er hatte diesen Ort schon lange nicht mehr betreten und war überrascht, wie schön er noch immer war. Lag das an ihr?
Ihre Begeisterung steckte an. Er setzte sich auf einen Stein und beobachtete sie mit gemischten Gefühlen und mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Sie kletterte auf einen Stein, sie ging in die Hocke und im nächsten Moment stand sie wieder auf. Sie suchte mit ihren Augen nach immer neuen Motiven. Zwischendurch schoss sie auch Fotos von ihm. Oder er von ihr. Sie lief zu ihm und kniete sich vor ihm hin.
Es sprudelte aus ihr heraus: »Oh Gott Kevin, ich habe noch nie so ein schönes Fleckchen Erde gesehen. Ich kann gar nicht aufhören zu fotografieren... das alles gehört dir wirklich?«
»Jaaa«, sagte er lachend.
»Unglaublich!«
Sie sprang aufgeregt auf. Ihre Wangen glühten.
Er hielt sie am Handgelenk fest und fragte besorgt: »Hey, geht es dir gut? Nicht dass du mir hier umkippst.«
»Mir geht es traumhaft gut! Und das Haus? Gehört dir das auch?«
»Hmm... wieso?«
»Wohnst du hier manchmal?«
»Nein.«
»Nein? Ich meine, das ist doch paradiesisch hier. Warum suchst du die Ruhe bei deinem Jack, wenn du sie hier hast?«
»Das frag ich mich auch oft«, sagte er leise und eher zu sich als zu ihr. Er hielt noch immer ihr Handgelenk fest und sie machte eine Kopfbewegung in diese Richtung.
»Was?«
»Meine Hand? ... kann ich sie haben?«
»Oh, sorry. Natürlich.«
Verlegen ließ er sie los, setzte sich wieder ins Gras und sah ihr einfach nur zu. Sie ging langsam in Richtung Meer und vergewisserte sich, durch einen kurzen Blick in seine Richtung, ob er auch noch da war. Sie lief dicht an eine kleine Steinmauer heran und stützte sich ab. Sie blickte nach unten. Es ging steil abwärts. Die Klippe war, im Gegensatz zu der Landschaft hier oben, sehr karg. Einige riesige Felsbrocken lagen im Wasser und die Gischt peitschte an ihnen hoch. Sie drehte sich um und schrie: »Wie tief geht es hier runter?«
»30 Meter.«
Er stand auf und lief zu ihr. Vor Aufregung wurde ihr nicht bewusst, dass sie sich immer weiter über die Steinmauer lehnte. Er griff nach ihren Schultern und zog sie sachte zurück.
»Vorsicht, es ist zu gefährlich! Es kann vorkommen, dass sich Steine lösen.«
Sie trat einen Schritt zurück und stieß gegen seine Brust. Sie drehte den Kopf zu ihm und blickte ihn mit großen dunklen Augen an.
»Danke, dass du mir das gezeigt hast! Es ist einfach traumhaft hier... und... du hast es wieder gut gemacht, es sei dir verziehen.«
Er grinste.
»Na, das war ja leicht!«
»Ich kann gar nicht lange böse sein«, gestand sie verlegen.
Er nahm ihre Hand und zog sie weiter vom Abhang weg.
»Du machst mich nervös, wenn du so dicht dran stehst.«
»Oh Gott, du hörst dich schon an wie.....«
»Wie dein Freund?«
»Neiiin, wie meine Freundin Rose.«
Wie auf Kommando klingelte ihr Smartphone. Das war bestimmt Rose. Schlechtes Timing fand sie und ignorierte es.
»Willst du wieder nicht rangehen?«
»Nein«, sagte sie knapp.
»Wieso nicht? Vielleicht ist es dein Freund, der nur wissen möchte, ob es dir gut geht?«
Sie verdrehte die Augen.
»Hmm. Wenn du wissen möchtest, ob ich einen Freund habe, dann frage mich doch einfach.«
»Okay, hast du einen Freund?«, schoss es aus seinem Mund.
»Nein!«, gestand sie und lief an ihm vorbei.
Schmunzelnd lief er ihr nach und war froh über ihre Antwort und erstaunt über sich selbst, dass er ihr solch eine Frage gestellt hatte.
»Hey, hast du Hunger?«
»Ein wenig.«
»Super, ich kenne hier in der Nähe ein schönes kleines Restaurant. Das liegt direkt am Meer. Warte, ich zeig‘s dir.«
Er lief auf den kleinen Felsen zu, der links von ihnen lag. Er war nicht groß und man hätte ihn auch als Tisch nutzen können, wenn er nicht in der Mitte ein kantiges Loch gehabt hätte. Er sprang ohne Anstrengung hoch und bot ihr die Hand zur Hilfe an.
»Komm! Von hier oben kannst du das Restaurant sehen.«
Sie hing sich ihre Kamera um den Hals und griff nach seiner Hand. Er umschloss sie fest und zog sie kraftvoll, aber behutsam zu sich hoch.
»Sei vorsichtig, dass du nicht in das Loch fällst«, ermahnte er sie.
Sie nickte und er zog sie nah an sich heran. Ihre Blicke trafen sich und er musste schlucken.
Leise fragte sie: »Das Restaurant???«
Er räusperte sich. »Ach ja, das Restaurant. Schau, dort drüben. Siehst du die Klippe, die weit ins Meer ragt?«
Er zeigte mit der Hand in die vermeintliche Richtung.
»Ja, ich sehe es. Das liegt ja am äußersten Rand der Klippe. Aber nicht so hoch wie hier, oder?«
»Nein, aber hoch genug um sich in den Tod zu stürzen.«
Sie zog die Braue hoch. Er musste grinsen.
»Wieso sagst du das?«
»Damit du gewarnt bist und nicht so dicht an die Steinmauer herangehst.«
Sie stieß ihn in die Seite und er verlor das Gleichgewicht. Mit einer gekonnten Drehung sprang er hinunter und griff dabei ihre Hand. Sie kreischte auf: »Neeeiiiiiin!«
Zu spät.
Beide landeten gleichzeitig auf ihren Füßen, jedoch stolperte Julia und er verstärkte seinen Griff. Langsam zog er sie hoch und schaute in zwei lachende Augen. Sie grinste über das ganze Gesicht und kicherte unentwegt.
Kopfschüttelnd sagte er: »Was machst du nur?«
»Du bist schuld, schließlich hast du mich mit runtergezogen«, erwiderte sie gespielt empört.
Sie entzog sich seinem Griff und kicherte weiter.
»Du hast Recht, es tut mir leid.«
Übertrieben verbeugte er sich, um seine Entschuldigung noch zu unterstreichen.
»Schon gut, schon gut!«, sagte sie schnell, damit er nicht auch noch auf die Idee kam, auf die Knie zu fallen.
Sie liefen zurück zum Auto und er fand es schade, dass er nicht mehr ihre Hand hielt.
Sie schaute auf ihre Armbanduhr und fragte vorsichtig: »Es ist schon 14:00h. Kommen wir nicht zu spät zu mit Mr. John?«
Er blickte kurz auf die Uhr im Auto.
»Das ist nicht so schlimm. Ich rufe nach dem Essen noch mal an, dann ist er beruhigt.«
»Ich möchte nicht gleich am ersten Arbeitstag Ärger bekommen. Das kann ich mir nicht leisten.«
»Oh, ich bin mir sicher, dass er dir alles verzeihen wird.«
Das sagte er so sicher, dass sie aufhorchte. Er biss sich auf die Lippe und verfluchte sich. Er hatte laut gedacht, sie sollte es gar nicht hören. Denn er wusste, dass Jack sie mit offenen Armen aufnehmen wird. Schon alleine deswegen, weil sich ein „Kevin“ für „sie“ interessierte. Aber dies konnte er ihr wohl kaum sagen. Also lenkte er ab, bevor sie Fragen stellen konnte.
»Aber du hast Recht, ich werde kurz anrufen.«
Er nahm sein Smartphone und sie beobachtete ihn.
»Hi Jack. Wir sind jetzt erst auf dem Weg zum Restaurant. Es kann also später werden.«
Julia hielt die Luft an um eventuell die Antwort von dem „Jack“ zu hören. Vergeblich.
»In Little Castle!«
Nun hörte sie doch etwas. Mr. John schrie förmlich ins Telefon: »Das glaub ich jetzt nicht!«
»Hör zu, ich erzähl dir später alles. Bye«, sagte Kevin schnell und tippte auf den roten Hörer.
Er stieß die Luft pfeifend aus und versuchte seine Verlegenheit mit Coolness zu überspielen. Es misslang und er ärgerte sich.
Verdammt, ich bin Schauspieler. Warum kann ich meine Verlegenheit vor ihr nicht verbergen?
Sie fragte vorsichtig: »Ist es dir peinlich, dass du mit mir dort warst?«
»Nein!«
Seine Stimme klang hart.
»Also ich kann schweigen. Wenn du nicht möchtest...«
»Hey«, unterbrach er sie diesmal sanfter, »ich habe es dir gerne gezeigt. Jack kann es ruhig wissen.«
Sie fuhren schweigend weiter und Julia schaute aus dem Fenster. Die Straße führte direkt am Meer entlang; oberhalb der Klippen. Julia fand es atemberaubend. Nach 5 Minuten bog er in einen kleinen Weg ein, der hinauf zur Klippe führte.
Er fuhr langsamer und sagte: »Es wird dir dort gefallen.«
»Schöner, als dein kleines Paradies?«
Er lachte. »Nein, anders!«
Er mochte es, wie sie über Little Castle sprach. Auch er empfand es als paradiesisch. Sie parkten hinter dem Haus. Er half ihr aus dem Auto, hielt ihr die Tür vom Restaurant auf und beim Hineingehen umfasste er ihre Taille. Sie schmunzelte und er bemerkte es.
»Was ist?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Du bist so... na ja... so höflich.«
»Ist das etwas Schlimmes?«
Verlegen kratzte er sich am Kopf. Bevor Julia antworten konnte, stand plötzlich ein Mann vor ihnen. Er war Ende 50 und hatte noch volles, aber fast weißes Haar. Er hatte ein rundliches Gesicht und einen klaren Blick.
»Hey Kevin, schön dich mal wieder hier bei uns zu sehen«, sagte er freundlich und umarmte ihn väterlich.
Kevin erwiderte lächelnd: »Hallo Adam! Ja, es ist schön mal wieder hier zu sein.... Julia, das ist Adam.... Adam, das ist Julia.«
Er gab Julia die Hand und begrüßte sie sehr herzlich: »Julia, es freut mich sie hier begrüßen zu können.«
Sie lächelte ihn freundlich an.
»Adam, hast du noch ein Tisch direkt am Fenster frei?«
Er eilte voraus und sagte im Gehen: »Aber natürlich Kevin. Sogar deinen Lieblingsplatz.«
Kevin schob Julia sanft vor sich her. Sie drehte sich kurz um und flüsterte: »Ihr seid hier alle verdammt höflich. Und... du hast Recht. Es gefällt mir hier.«
Er grinste zufrieden. Das Restaurant war sehr gemütlich eingerichtet. In warmen Erdtönen und vielen Holzbalken. Obwohl der Raum sehr groß war, standen nur wenige Tische darin. Sehr großzügig angeordnet, so dass man ungestört reden konnte, ohne vom Nachbartisch gestört zu werden. Die Fenster gewährten einen Blick auf das, im Moment, unruhige Meer. Das Haus stand fast am Ende der Klippe und zwischen Hauswand und Steinmauer waren es nur 3 Meter.
Adam zog ihr den Stuhl vor und verteilte die Speisekarten: »Darf ich schon etwas zu trinken bringen?«
»Was möchtest du trinken Julia?«
»Einen Milchkaffee, bitte.«
»Aber gern. Kevin? So wie immer?«
»Ja, Danke Adam.«
Er verschwand lautlos und Julia beugte sich zu Kevin hinüber.
»Du bist oft hier?«
Er räuspert sich und antwortete lächelnd: »Na ja. Es gab mal eine Zeit, da war ich regelmäßig hier. Das ist aber schon lange her. Adam freut sich immer, wenn ich mal wieder vorbeischaue.«
»Das hat man gemerkt. Seine Augen glänzten ja richtig.«
»Er ist ein guter Freund meines Vaters. Ich kenne ihn schon seit meiner Kindheit.«
»Bist du eigentlich Schotte?«
»Nein, ich bin in England geboren. Als ich drei war, sind meine Eltern nach Amerika gezogen. Sie haben aber ihre Freunde nie aus den Augen verloren. Ich mache, wie du ja bereits schon weißt, oft hier Urlaub, bzw. nehme ich mir eine Auszeit vom Promirummel in Amerika.«
Adam kam mit den Getränken und fragte Julia höflich: »Gefällt es ihnen hier in Schottland?«
»Oh, ich bin erst vor wenigen Stunden angekommen«, sie schaute zu Kevin und zwinkerte ihm zu. Sein Puls raste.
»Aber das, was ich bis jetzt gesehen habe, ist einfach so paradiesisch, dass mir manchmal die Worte fehlen.«
Adam lächelte zufrieden und zu Kevin gewandt sagte er: »Ihr würde Little Castle bestimmt gefallen.«
Sie schwieg und er schaute ihr tief in die Augen und sagte: »Davon spricht sie!«
Adam schaute von einem zum anderen und dann breitete sich ein glückliches Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er legte seine kleine Hand auf Kevins Schulter und drückte sie kurz.
»Das ist gut so, mein Sohn!«, sagte er gerührt und verschwand.
Erst jetzt löste er seinen Blick von Julia und schaute verstohlen auf seine Hände. Sie bemerkte wieder die beklemmende Stimmung und sagte: »Du hättest es ihm nicht sagen müssen. Ich habe es extra nicht erwähnt. Nur du weißt, was ich beschreibe, wenn ich paradiesisch sage.«
»Das war auch sehr freundlich von dir. Wir müssen es aber nicht verheimlichen, ehrlich. Es kann wirklich jeder wissen, dass wir dort waren.«
»Okay! Wie du willst.«
Er berührte kurz ihre Hand. »Nun erzähl von dir ein wenig.«
»Oh je, da gibt es nicht viel zu erzählen. Mein Leben wird neben deinem recht langweilig klingen.«
»Das glaube ich nicht«, sagte er ruhig. „Okay, dann frage ich dich aus.«
Sie grinste und verdrehte die Augen. Sie stützte ihren Kopf mit den Händen ab und sagte: »Okay, was willst du wissen? Ich bin bereit!«
»Also... wo bist du geboren.«
»Hmm, das ist einfach. In Berlin.«
»Wo lebst du?«
»In Berlin.«
»Wo leben deine Eltern?«
»Meine Eltern leben nicht mehr.«
»Das tut mir leid. Bitte verzeih!«
Er nahm spontan Ihre Hand und hielt sie ganz fest. Er wollte sie nicht mehr loslassen und sie ließ es zu; leicht errötet. Sie musste sich eingestehen, dass sie seine Berührungen als sehr angenehm empfand. Schnell sagte sie: »Ist schon gut, das konntest du ja nicht wissen.«
Er schwieg und deshalb sprach sie weiter.
»Meine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ich war gerade 13 und ein unausstehlicher Teenager. Mein Onkel, der Bruder meines Vaters, hat mich großgezogen. Es wäre ungerecht zu sagen, dass ich mit ihm nicht glücklich war. Meine Eltern haben mir aber trotzdem sehr gefehlt. Ich liebe meinen Onkel über alles. Er ist ein warmherziger und gütiger Mensch. Ich habe ihm viel zu verdanken. Auch, dass ich meinen Traumberuf ausüben kann, ist allein sein Verdienst. Er hat mich immer in allem unterstützt. Er sagte immer ‚Julia, du weißt immer am besten, was für dich gut ist. Ich vertraue dir‘. Sein größtes Opfer allerdings war, dass er für mich nach Deutschland gezogen ist. Er verkaufte das Haus meiner Eltern und wir zogen in eine kleine Eigentumswohnung. Das restliche Geld hat er für mich angelegt. Erst als er der Meinung war, dass ich alleine klar komme, ist er wieder nach Spanien gezogen.«
»Es war wirklich sehr gütig und selbstlos von deinem Onkel, dass er sich um dich gekümmert hat.«
»Oh ja. Er hat ein großes Herz. Ich habe meine Eltern vermisst, aber keine Liebe.«
»Du bist auch sehr warmherzig und eine außergewöhnliche Frau. Deine Eltern wären stolz auf dich.«
»Hmm, vor allem darüber, dass ich Katastrophen anziehe?«, scherzte sie verlegen. Auf sein Kompliment war sie nicht vorbereitet. Außerdem konnte sie von jeher nicht mit so etwas umgehen.
»Sag das nicht, oder bin ich eine Katastrophe?«
Er zeigte mit der rechten Hand auf sich. Mit der linken hielt er ihre noch immer fest und dachte auch nicht im Traum daran, sie loszulassen.
»Nein, du nicht! Aber die Woche ist ja noch nicht vorbei.«
»Ich werde vielleicht die ganze Woche da sein. Soll ich auf dich aufpassen?«
Nichts würde er lieber tun. Dann müsste er ständig in ihrer Nähe sein. Der Gedanke war verlockend. Sie ignorierte seine Frage. Stattdessen stellte sie selber eine.
»Bist du fertig mit dem Verhör?«
Er legte seinen Kopf schief.
»Noch lange nicht. Aber wir werden erst einmal das Essen bestellen, nicht dass du mir kraftlos vom Stuhl fällst. Schließlich musst du noch viele Fragen beantworten.«
Plötzlich stand Adam neben ihr. Genau im richtigen Moment. Sie zuckte ein wenig zusammen, da sie ihn nicht hat kommen sehen. Konnte er etwa alles mithören?
Kevin sah ihren fragenden Blick und sagte ruhig: »Er ist ein Profi, weißt du. Er kann an unserer Körperhaltung genau erkennen, wann wir bestellen wollen.«
Adam verdrehte die Augen und stupste Kevin leicht an.
Zu Julia gewandt fragte er höflich: »Was möchtest du essen, Julia?«
»Oh, ich hätte gerne den Zander in Weißweinsoße.«
»Gute Wahl! Den nehme ich auch.«
Er nickte ihm zu und Adam verschwand so leise, wie er gekommen war.
Sie beugte sich wieder leicht über den Tisch und flüsterte: »Es ist ein wenig unheimlich.«
Er beugte sich auch vor und sein Gesicht war jetzt nur noch 20 cm von ihrem entfernt. Er versuchte nicht laut zu atmen, um sich nicht zu verraten, wie aufgewühlt er war. Diese Frau brachte so ziemlich alles an ihm außer Kontrolle. Wie schafft sie das nur?
»Warum flüsterst du?«, fragte er in einer normalen Lautstärke.
»Er kann uns bestimmt hören«, sagte sie weiter flüsternd.
Er passte sich ihrem Flüsterton an.
»Nein, kann er nicht.«
»Er kann Gedanken lesen?«, rät sie weiter.
»Nein, kann er nicht!«
»Dann liest er von den Lippen ab?«, fragte sie ungeduldig.
»Nein, kann er auch nicht.«
Er musste grinsen. Sie war echt amüsant. Und die Nähe zu ihr fand er aufregend. Er hoffte, dass sie noch lange flüsterte.
»Kevin Brown, erzählen Sie mir jetzt endlich, wie er das macht?«
»Na gut. Er hat einen magischen Stein in der Tasche. Wenn er warm wird, dann weiß er, dass die Gäste bestellen wollen.«
Verwirrt und noch leiser fragte sie: »Echt?«
Er riss sich zusammen, um nicht loszulachen: »Quatsch! Keine Ahnung, wie er es macht.«
»Blödmann!«, sagte sie laut und schmiss ihm die Serviette ins Gesicht. Jetzt musste er doch laut lachen.
Adam eilte herbei und fragte Julia: »Ist alles in Ordnung? War Kevin unhöflich zu ihnen?«
Kevin kniff leicht die Augen zusammen und wartete gespannt auf ihre Antwort.
»Oh nein«, sagte sie und hielt seinem Blick stand. »Ich muss mich entschuldigen. Es war nur ein Reflex.«
Adam schaute Kevin, der immer noch grinste, besorgt an: »Kevin, vermassle es nicht.«
Nun blickte Julia zu Adam. Was sollte er nicht vermasseln? Wieso der besorgte Blick? Kaum war Adam außer Sichtweite, fragte sie neugierig: »Was meint er damit... vermassle es nicht?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung? Ich kann auch keine Gedanken lesen.«
Sie wurde langsam wütend.
»Halt, ich weiß es. Du schleppst hier jede Frau her? Ist es das? Ohrfeigen dich die Frauen dann immer zum Schluss und rennen raus? Ich meine, ich könnte die Frauen verstehen? Ich bin kurz davor.«
Er lachte und sagte lässig: »Du bist lustig. Ich glaube, mich hat schon lange keine Frau mehr so oft zum Lachen gebracht, wie du. Und nein... du bist die erste Frau nach 3 Jahren, die ich hier... wie sagtest du? ...die ich hier herschleppe.«
»Oh!«
Es entstand eine kleine Pause.
»Wieso sollte ich dir glauben?«
»Frage Adam!«, sagte er laut und zeigte in Richtung Bar.
»Schscht«, zischte sie. »Ist ja schon gut. Ich glaub dir ja!«
Siegessicher lehnte er sich entspannt zurück. Um seinen Mund lag das berüchtigte charmante Lächeln, für das so manche Frauen sterben würden, um nur einmal von ihm so angelächelt zu werden. Sie wurde verlegen, denn auch sie konnte sich seinem Charme nicht entziehen. Sie schob den Stuhl zurück.
Erschrocken fragte er: »Hey, wo willst du hin?«
»Für kleine Mädchen?«
»Sorry. Ich dachte schon, du wolltest gehen.«
»Mach nur weiter so und ich werde es vielleicht noch tun... nach der Ohrfeige.«
Ihr Lächeln allerdings überzeugte ihn, dass sie es nicht ernst meinte. Trotzdem stand er mit ihr auf, höflich wie er war, und wartete mit dem sich wieder Hinsetzen, bis sie hinter der Tür verschwand. Kaum saß er, kam Adam zu ihm. Neugierig und kurz vor dem Platzen fragte er: »Wer ist sie? Wo hast du sie kennen gelernt? Erzähl schon, ansonsten muss ich sie fragen.«
Kevin war darauf gefasst. Schließlich kannte er Adam gut genug um das vorauszusehen. Er holte tief Luft und sagte lächelnd: »Oh man Adam, ich kenne sie wirklich erst seit zwei Stunden. Ich habe nur Jack einen Gefallen getan und sie vom Flughafen abgeholt. Sie wird für eine Woche für Jack arbeiten. Dass sich das so entwickelt hat, ist reiner Zufall.«
Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und sprach weiter.
»Es ist so einfach mit ihr zu reden. Sie sieht mich als Mensch. Sie bringt mich zum Lachen. Und... sie bringt mich total aus der Fassung, wenn sie mich so ansieht wie sie mich ansieht.«
Es bildeten sich wieder die Falten auf seiner Stirn. Verlegen blickte er zu Adam. Der legte wieder väterlich die Hand auf seine Schulter und sagte ohne Umschweife: »Sie ist eine reizende Person. Ich mag sie schon deshalb, weil ich dich schon lange nicht mehr so unbeschwert habe lachen hören. Sie vermag etwas, was uns allen bis jetzt nicht gelungen ist. Ich bin froh, dass du es zulässt.«
»Hmmm. Ich bin selber überrascht, dass es mir bei ihr so leicht fällt. Ich dachte nämlich am Anfang, dass sie wieder eine von diesen Frauen ist, die ich Jack zu verdanken habe. Aber gleich von der ersten Sekunde an, spürte ich, dass sie anders war.«
Kevin sah von der Seite, dass Julia auf den Tisch zusteuerte. Schnell sagte er zu Adam: »Bitte lass dir nichts anmerken. Ich möchte nicht, dass sie ihre Natürlichkeit ablegt. Denn gerade das ist es, was ich so faszinierend an ihr finde.«
Bevor er ging flüsterte er Kevin zu: »Versprochen!«
Sie setzte sich und Kevin beugte sich wieder nach vorne, um ihr näher zu sein.
Aufgeregt erzählte sie: »Von dem Toilettenfenster aus, hat man einen sagenhaften Ausblick. Hast du ihn schon mal gesehen?«
Kevin musste kichern. Sie blickte ihn düster an.
Er hob zur Entschuldigung die Hände.
»Hey, ich kann nichts dafür. Du bringst mich immer wieder zum Lachen.«
»Was hab ich denn jetzt schon wieder lustiges gesagt?«
»Na ja, ich war natürlich noch nie auf der Damentoilette. Aber wenn du es unbedingt möchtest, dann....«
Sein kichern war unerträglich, fand sie. Aber sie musste ihm Recht geben. Die Frage war blöd und musste deshalb ebenfalls lachen.
»Herrje, du musst denken, ich habe sie nicht mehr alle. Aber weißt du, diese Landschaft bringt mich noch um den Verstand. Überall ist es hier so wunderschön.«
Er konnte sie gut verstehen, auch er liebte Schottland für die Schönheit, die es hervorbrachte.
»Ich verstehe dich. Nach dem Essen, gehen wir raus. Von dort aus kannst du alles überblicken... siehst du den kleinen Felsen dort rechts?«
Er zeigte mit der Hand zum Fenster. Erst jetzt viel ihr auf, dass es eine Terrassentür gab.
»Ja.«
»In diesem Felsen sind zwei Namen eingemeißelt. Sophie und Ryan.«
»Was bedeuten sie?«
»Sie waren zwei junge Menschen, die sich sehr geliebt haben, aber es nicht durften.«
»Irgendwie hört sich das traurig an, obwohl es doch etwas Schönes ist, wenn sich zwei Menschen lieben.«
»Ja, es ist eine traurige Geschichte. Möchtest du sie hören?«
»Wenn es dich nicht stört, dass ich heule? Ich bin nämlich eine Heulsuse.«
Er schüttelte mit dem Kopf.
»Dann ist es besser, wenn ich sie dir nicht erzähle. Adam würde wütend werden, wenn er sieht, dass ich dich zum Weinen bringe.«
Bevor sie antworten konnte, kam Adam mit dem Essen und es roch appetitlich. Er stellte die Teller ab und sagte zufrieden: »Lasst es euch schmecken!«
Beide bedankten sich und Julia fügte hinzu: »Das sieht ja köstlich aus.«
Grinsend ließ er die beiden wieder alleine. Sie aßen eine Weile schweigend. Doch Kevin hatte noch so viele Fragen. Er befürchtete, dass er später keine Zeit mehr dafür haben würde, um sie zu stellen. Also stellte er sie jetzt.
»Hast du ein Haustier?«
»Nein! ...Geht das Verhör weiter?«
Er nickte.
»Magst du keine Tiere?«
»Doch. Aber ich habe keine Zeit für Tiere. Hast du ein Tier?«
»Ja, einen Hund und er heißt Max.«
Diesmal schob sie beide Augenbrauen zusammen. Auch das sah süß aus, fand er.
»Max? Nicht Mäx ausgesprochen?«
»Ähm, ich fand Max schon immer lustiger als Mäx.«
»Aber das ist ein deutscher Name. Wieso?«
Verdammt, dachte er. Sollte er ihr jetzt gestehen, dass er einen deutschen Großvater hatte, der ihm Deutsch beibrachte? Dass sein Großvater früher einen Schäferhund hatte, der ebenfalls Max hieß? Nein. Das war nicht der richtige Augenblick. Er befürchtete, dass er dann doch noch die Ohrfeige bekam und dass sie verschwand.
»Irgendwie passt das zu meinem Hund«, versuchte er zu erklären.
»Hmm. Was für eine Rasse?«
»Labrador. Er hat kurzes, dunkelbraunes Fell und hellbraune Augen. Er ist wirklich sehr süß. Du wirst ihn mögen.«
»Wieso, ist er auch hier?«
»Er bleibt immer bei Jack... ich habe, wie du weißt, auch kaum Zeit. Er ist hier bestens aufgehoben. Er hat hier viel Auslauf und ist gleichzeitig ein Wachhund für Jack.«
»Woher kennst du eigentlich Mr. John?«
»Wir haben zusammen in Harvard studiert.«
Sie schaute ihn mit großen Augen an und legte ihre Hand an die Stirn.
»Was?«, fragte er erschrocken.
»Harvard? ....Respekt! Oh Gott, und da gibst du dich mit mir ab? Wie peinlich ist das denn? Und ich dachte, es gibt heute keine Steigerung an Peinlichkeiten mehr.«
Er nahm ihre Hand (es war wieder eine Gelegenheit danach zu greifen) und drückte sie sanft auf den Tisch.
»Bitte hör auf damit! Es ist weder peinlich noch möchte ich deinen Respekt haben.«
Sie vernahm das erste Mal einen ernsten Ton in seiner Stimme. Schaute er jetzt etwa wütend? Nein, seine Augen waren viel zu warm dafür, entschied sie.
Adam musste einen siebten Sinn dafür haben, dass er immer im richtigen Moment auftauchte.
»Na, hat es euch geschmeckt?«
Julia, diesmal sichtlich erleichtert über seine Anwesenheit, nickte eifrig und sagte: »Oh ja. Bitte sagen sie ihrem Koch, dass es mir sehr gut geschmeckt hat.«
Jetzt grinste Kevin wieder und sie atmete tief aus. Puh, irgendwie konnte sie nicht ertragen, ihn sauer oder verärgert zu sehen. Komischer Tag... Rose wird mir nichts davon glauben.
»Adam, dem kann ich mich nur anschließen. Richte bitte Tom aus, dass es ein Hochgenuss war.«
Lächelnd und fast schwebend entfernte sich Adam.
»Jetzt wieder zu dir.«
»Oh, dein Verhör! ...hätte ich beinahe vergessen.«
»Ich nicht. Also... wer passt jetzt auf dich auf? Ich meine, wo doch dein Onkel nicht mehr bei dir ist?«
»Rose und ... und Edgar.«
»Edgar?«, fragte er skeptisch. Seine Stimme klang ernst und sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Ja Edgar. Er ist mein Nachbar und wird von Rose ständig instruiert, wann er wo und wie auf mich aufpassen soll. Das ist wirklich manchmal lästig.«
»So, so... du hast also einen Aufpasser.«
»Jaaaa und er ist sehr nett.«
Er runzelte die Stirn. Unbewusst drückte er ihre Hand stärker und sein Lächeln verringerte sich. Es ärgerte ihn maßlos, wie sie es sagte. Was war bloß los mit ihm?
»Okay! Er ist also nett. Gut!«
»Verhör beendet?«
»Ganz bestimmt nicht!«
»Uff. Und ich dachte schon, du hast genug.«
»Hey, ich fange gerade erst an.«
»Warum?«
»Warum was?«
»Na diese vielen Fragen?«
»Ich... ich möchte dich... na ja, ich möchte dich einfach besser kennen lernen.«
»Warum?«
»Warum was?«
»... mich besser kennen lernen?«
Er schluckte. Was sollte er jetzt sagen? Verdammt, ich bin doch selten sprachlos. Er hatte eine Eingebung.
»Ich habe nur eine Woche Zeit. Wenn überhaupt. Vielleicht muss ich ja morgen schon abreisen.«
»Warum?«
»Hey, diese Warums erinnern mich an meine Nichte. Sie ist allerdings erst 4!«
Julia kicherte.
»T´schuldigung! Du musst also wieder zurück in die Staaten?«
»Vielleicht. Aber egal. Wie ist deine Freundin Rose so? Ähnelt sie dir?«
»Oh Gott nein! Sie ist das ganze Gegenteil von mir. Deshalb ergänzen wir uns ja auch so gut.«
Eine Frage brannte in seinem Hirn, doch er wusste nicht, wie er sie verpacken sollte.
»Ist... also ist Edgar nur dein Nachbar?«
Pah, die Frage habe ich ja super umschrieben... direkter ging es wirklich nicht, dachte er.
»Ja.«
Die Antwort genügte ihm nicht.
»Ich meine, er passt wirklich nur auf dich auf? Er hat keine anderen Absichten?«
Sie verstand die Frage nicht.
»Ja doch. Er passt nur auf mich auf«, sagte sie verwundert. »Wieso sollte er andere Absichten haben?«
»Also das kann nur eine Frau fragen!«, sagte er leise.
Er lehnte sich nach hinten und durchwühlte mit seinen Händen sein kurzes Haar. Sein Herz raste und er hätte es am liebsten abgestellt, damit sie es nicht hörte. Er wurde verrückt... ja es konnte nicht anders sein. Er war so lange nicht mehr an einer Frau interessiert, dass er jetzt den Verstand verlor. Und diese Frau raubte ihm den Verstand. Und das nach wenigen Stunden. Wie würde es erst nach einer Woche sein? Diese Frage wollte er sich lieber nicht beantworten.
»Entschuldige. Ich habe nicht das Recht dich so etwas zu fragen.«
»Oh, ist schon okay.«
Er war einen Moment lang still.
Julia versuchte es zu erklären.
»Weißt du, viele denken, eine Freundschaft zwischen Mann und Frau gibt es nicht. Aber sie gibt es doch. Es darf nur keiner von beiden mehr als Freundschaft empfinden.«
»Da stimme ich dir zu. Aber ich glaube einfach nicht, dass man von dir nur Freundschaft will? Verstehe mich jetzt bitte nicht falsch.«
Nun lächelte sie ihr herzallerliebstes Lächeln und stieß gegen seine Hand.
»Hey, du übertreibst.«
Sie rümpfte die Nase und sprach weiter: »Er ist mit meiner Freundschaft wirklich zufrieden, da er nämlich in Rose verknallt ist. Er gibt es nur nicht zu. Er ist dafür viel zu schüchtern. Und Rose... meine Güte Rose... sie checkt es nicht oder will es einfach nicht wahrhaben. Nur deshalb lässt er sich so viel von ihr gefallen.«
Er atmete tief ein und stieß die Luft pfeifend wieder aus. Das Glück stand doch auf seiner Seite und er fand, dass er allen Grund dazu hatte, sich auf die kommende Woche zu freuen.
Adam kam langsam an den Tisch und räusperte sich. Diesmal zuckte sie nicht zusammen. Er hatte ein Telefon in der Hand und reichte es Kevin.
»Es ist Jack. Er möchte wissen wo ihr bleibt.«
Julia schaute ängstlich zu Kevin. Er zwinkerte ihr zu und nahm den Hörer: »Hallo Jack, woher weißt du wo wir sind?«
Sie beobachtete ihn genau und bemerkte die Stirnfalte.
»Oh man Jack... später!«, stöhnte er genervt.
Es entstand eine lange Pause und Kevin schaute auf die Armbanduhr.
»Okay, wir sind in einer Stunde da.«
Er gab den Hörer an Adam zurück und lächelte sie an.
»Okay Julia, wo waren wir stehen geblieben!«
Schwupp... und ihre Augenbraue war oben.
Wenn sie das noch einmal macht, dachte er, dann muss ich sie küssen.
»Bitte lass uns sofort gehen. Du vergisst, dass ich mit ihm nicht befreundet bin, sondern für ihn arbeiten soll.«
Flehend schaute sie ihn an. Kann man(n) bei so einem Blick ablehnen? Nein... konnte er nicht!
»Schon gut! Ich zahle nur noch, dann gehen wir.«
In derselben Sekunde stand Adam wieder am Tisch. Kevin wollte bezahlen, aber Adam hob die Hände, als wenn er ihn im Kampf abwehren würde. Empört sagte er: »Kevin, willst du mich beleidigen? Ihr ward selbstverständlich meine Gäste.«
Kevin lächelte, er war es gewöhnt und nahm es dankend an. Julia jedoch fand das gar nicht so selbstverständlich.
»Oh nein, das kann ich nicht annehmen.... Kevin...?«
Nun hob Kevin abwehrend die Hände hoch. »Oh nein. Gegen Adam komme ich nicht an. Du hast ihn noch nicht wütend gesehen.«
»Aber...«, begann sie wieder.
Adam versuchte böse zu schauen, es gelang ihm aber nicht.
»Julia, bitte beschämen Sie mich nicht. Ich habe mich so gefreut, dass Kevin mich mal wieder besucht hat. Sie sind immer ein willkommener Gast. Und glauben sie mir, sie müssen etwas Besonderes sein, ansonsten hätte er sie nicht hierher gebracht.«
Verschmitzt schaute er zu Kevin. Kevin verdrehte die Augen und schnaubte: »Super Adam! Genau das hat mir gefehlt.«
Adam drehte sich um und lief eilig davon. Er bereute nichts! Er freute sich viel zu sehr darüber, dass Kevin endlich wieder mit einer Frau lachen konnte.
Julia kicherte und fragte: »Hey was hast du? Das war doch nett von Adam.«
Er überlegte kurz und sagte dann sanft: »Stimmt! Du bist wirklich etwas Besonders! ...und sehr natürlich!«
Nun war sie verlegen.
»Oh, ich bin natürlich?«
»Ja, das ist sehr angenehm und etwas Besonderes für mich.«
»Hmmm. Leider ist die Natürlichkeit verflogen, wenn ich mich verliebe«, platze sie heraus und bereute es auch gleich. Sie nahm die Hände vors Gesicht. Sie konnte nicht glauben, was sie gerade gesagt hatte.
Er grinste.
»Du bist auch sehr ehrlich«, fügte er leise hinzu.
Sie behielt die Hände dort wo sie waren und nuschelte: »Ja, das verfluche ich oft!«
»Du kannst sie jetzt wieder runter nehmen. Ich verstehe dich sonst nicht.«
Sie schüttelte den Kopf.
Lachend sagte er: »Das wird aber ein wenig eigenartig aussehen, wenn du so durchs Restaurant läufst.«
Sie schlug die Hände sanft auf dem Tisch und sagte entrüstet: »Mein Gott, deine Ehrlichkeit ist fast noch schlimmer als meine. Wie kannst du nur so hart sein?«
Er nahm ihre Hand, schon aus Gewohnheit, und zog Julia sachte hoch.
Immer noch lachend schlug er vor: »Lass eine Hand vor deinem Gesicht und ich führe dich hinaus, okay?«
Sie entzog ihm die Hand und zischte leise, während sie hinter ihm herlief: »Ich verstehe gar nicht, warum ich dir so viel erzähle. Ich kenn dich kaum. Wie machst du das? Hast du eine Gehirnwäsche bei mir durchgeführt?«
»Nein. Jedoch musst du mit mir irgendetwas angestellt haben. So gut wie heute habe ich mich schon lange nicht mehr amüsiert.«
»Na, da bin ich ja froh, dass ich zu deiner Belustigung beitragen konnte«, zischte sie wieder.
Sie liefen zur Tür, wo bereits Adam für die innige Verabschiedung bereit stand.
Er umarmte Kevin und sagte freundlich: »Grüße bitte deine Eltern von mir. Es war schön, dass du hier warst.«
Er wandte sich zu Julia und drückte sie herzlich.
»Bitte kommen sie bald wieder.«
Er zeigte auf Kevin. »Und ihn können sie gerne wieder mitbringen.«
Sie musste lachen und schaute zu Kevin, der Adam gegen die Schulter buffte.
»Vielen Dank! Es hat mich auch sehr gefreut, sie kennen gelernt zu haben. ...und wenn er nicht mehr so frech ist, dann bringe ich ihn vielleicht mit, versprochen!«
Adam grinste und schloss sie nochmals in die Arme.
Beim Hinausgehen, Kevin hielt ihr natürlich wieder die Tür auf, flüsterte Adam ihm zu: »Sie ist eine Perle, verliere sie nicht.«
Mit faltiger Stirn verließ er das Restaurant. Wenn er nur wüsste wie, dachte er. Am liebsten hätte er sie in eine Schatulle gepackt und in den Safe geschlossen. Er schaute sie an und verwarf den Plan.
Es hatte angefangen zu regnen und sie rannten zum Auto. Er hielt ihr die Tür auf.
»Das kann ich alleine.«
»Da bin ich mir sicher!«
Kopfschüttelnd setzte sie sich hinein.
Schmunzelnd ging er um das Auto herum. Er fuhr langsam an und Julia fragte sich wieder, ob dieses Auto überhaupt einen Motor hatte. Sie schwiegen. Dabei wollte er noch so viel über sie wissen. Außerdem wusste er nicht, ob er wirklich die ganze Woche noch in Schottland bleiben konnte. Das war gleich das erste, was er klären würde. Bevor Jack ihn in die Mangel nehmen konnte und ihn bis zur Besinnungslosigkeit ausfragen würde. Es graulte ihm davor.
»Woher kannst du so gut Englisch?«
»Ich war in meinen Schulferien immer bei einer Pflegefamilie in London.«
»Hast du noch Kontakt zu ihnen?«
»Nur zu meiner Pflegeschwester Kelly. Allerdings lebt sie jetzt in Alaska. Sie ist ein Jahr älter als ich. Leider sind ihre Eltern geschieden. Es wurde für mich immer schwerer, die Besuche gerecht aufzuteilen.«
»Scheidungen sind immer schlimm.«
»Sind deine Eltern noch zusammen?«
»Ja und ich bin überzeugt, dass sie sich auch noch lieben.«
Bei dem Wort Liebe blickte er zu ihr hinüber. Sie sah sehr ernst aus.
»Was ist?«
»Ich glaube, meine Eltern... na ja, meine Eltern würden sich auch bestimmt noch lieben, wenn sie noch leben würden.«
Ihre Stimme klang traurig.
»Hey«, sagte er fast zärtlich, »das wäre auch so. Glaube fest daran.«
Sie blickte verstohlen zu ihm und traf auf seinen sanftmütigen Blick. Es war ein seltsamer Moment. Er hätte sie jetzt gerne in die Arme genommen, doch er traute sich nicht. Er verkrampfte seine linke Hand um das Lenkrad und lehnte sich mit der rechten Schulter gegen die Tür. Der Abstand zwischen ihnen wurde größer. Er verfluchte seine Unsicherheit. Trotzdem schossen ihm tausend Fragen durch den Kopf und er wollte schon mit dem Sortieren anfangen, da stellte sie eine.
»Glaubst du an Gott?«
Das wäre auf seiner Liste die 987. gewesen. Er überlegte kurz.
»Na ja, ich glaube zumindest, dass da noch etwas Anderes, etwas Mächtiges und etwas Großes ist.«
»Du glaubst an Außerirdische?«, fragte sie erschrocken.
Er musste schon wieder grinsen. Sie schaffte es immer wieder, dachte er. Seine Hand entspannte sich und er setzte sich wieder aufrecht. Der Abstand verringerte sich.
Vorsichtig fragte er: »Wäre das schlimm?«
»Nein, aber das würde so gar nicht zu dir passen.«
Und da war sie, ihre Ehrlichkeit. Sein schmunzeln nahm kein Ende.
»Du hast Recht. Ich meine ja auch eine göttliche Macht.«
»Oh ja, das passt besser«, gestand sie und lächelte ihn an.
Und da war auch ihre Natürlichkeit wieder. Er überlegte kurz, ob er diese opfern würde. Wäre es nicht viel besser, wenn sie sich in ihn verlieben würde?
Kevin, reiß dich zusammen! Deine Phantasie geht gerade mit dir durch.
Er schüttelte kurz mit dem Kopf, als wenn er so seine Gedanken sortieren könnte. Doch es klappte nicht. Denn in seinen Gedanken näherte er sich ihr gerade, um sie zu küssen. Sie stieß ihn kurz gegen die Schulter.
»Spock an Erde! Du bist gerade weit weg?«
»Nein... ich bin ganz nah bei dir.«
Das war noch nicht mal gelogen, dachte er und grinste dabei über das ganze Gesicht.
»Glaubst du an Gott?«, gab er die Frage zurück.
»Ja und Nein. Nicht so, wie es die Kirche uns lehrt. Ich glaube an ein Leben nach dem Tod. Jeder wird wiedergeboren und ist dann ein etwas besserer Mensch, als er es im alten Leben war. Ohne es zu wissen, nimmt man die Erfahrungen, die Weisheit, die Güte, die Menschlichkeit und vor allem die Liebe ins neue Leben mit.«
Er war verwundert, dass sie eine so klare Meinung dazu hatte.
»Dann müssten es ja nur gute Menschen geben?«
»Nein. Man fängt bei Null an und muss sich durch viele Leben hocharbeiten. Es gibt Menschen, die lernen langsam und andere eben schnell. Einige nehmen das Erlernte komplett mit, andere nur einen Teil. In jedem Menschen steckt etwas Gutes. Wichtig ist aber, dass jeder Mensch eine Chance bekommt, es im nächsten Leben besser zu machen. Und die Menschen, die ihre Fehler nicht nur während des Daseins erkennen, sondern auch in der Todesstunde bereuen, die können sogar ein Leben überspringen. Sie werden schneller zu besseren Menschen.«
»Deine Sichtweise ist beneidenswert... Glaubst du wirklich daran?«
Sie verdrehte die Augen und sagte schelmisch: »Nö, das ist doch eine viel zu abgedrehte Theorie!«
Er pfiff leise durch die Zähne.
»Okayyyyyy, jetzt bin ich dir auf den Leim gegangen. Wir sind Quitt!«
Sie schlug sich selber auf die Schulter und jauchzte vor Vergnügen.
»Du bist verrückt!«, stellte er fest. »Aber ich habe trotzdem noch eine Frage zu deiner abgedrehten Theorie. Was wären denn deiner Meinung nach GUTE MENSCHEN?«
»Naja.... Menschen, die Liebe geben und annehmen können. Menschen, die das andere Leben respektieren. Vielleicht sogar Menschen, die nach den 10 Geboten leben. Obwohl diese zum Teil mal überholt werden sollten.«
Sie kräuselte ihre Nase. Er schaute sie vergnügt an und stellte fest, dass nicht nur die Augenbrauen-Bewegung süß aussah. Die gekräuselte Nase bekam den 2. Platz.
Um das Gespräch am Laufen zu halten fragte er: »Ach ja? Und welche?«
Wenn sie ein interessantes Thema hatte, sprach sie nicht nur mit dem Mund. Man hätte denken können, sie ergänzt alles durch die Gebärdensprache. Sein Grinsen ging bis Anschlag!
»Oh, ich glaube, du sollst nicht Ehebrechen, kann heute wohl kaum einer einhalten. Und wenn ja, dann sollte dieser Mensch gleich fünf Leben überspringen dürfen!«
Etwas verbittert klang das und er hakte nach.
»Du glaubst nicht an Treue?«
Gespannt wartete er auf ihre Antwort. Endlich verlief das Gespräch so, dass er mindestens fünf seiner wichtigsten Fragen stellen konnte. Ohne aufzufallen.
»Ich schon! Aber was nützt das, wenn sie einseitig ist?«
»Verstehe! Erfahrungswerte, oder?«
»Hmmm.«
Er spürte, dass sie nicht darüber reden wollte.
»Hey, schon gut. Wir wechseln das Thema.«
»Danke! Erzähl mir etwas von deiner Kindheit«, bat sie.
Er fing an zu erzählen und seine Stimme klang so sanft und tief, dass sie Gänsehaut bekam. Sie schloss die Augen und hörte ihm zu. Ganz auf seine Stimme konzentriert.
»Das Haus, was du ‚kleines Paradies‘ nennst, gehörte meinem Großvater. In den Ferien war ich oft dort und obwohl ich liebevolle Eltern und ein behütetes Zuhause hatte, genoss ich die Zeit mit meinen Großvater und es war für mich etwas Besonderes. Es war für mich ein kleines Stückchen Erde, dass nur ihm und mir gehörte.«
Er verstummte und Julia schlug die Augen auf. Sie schaute ihn an und bemerkte ein kleines Lächeln.
»Warum hörst du auf?«
»Oh, ich dachte du schläfst. Ich wollte dich nicht stören.«
Lächelnd erklärte sie: »Nein, ich habe nicht geschlafen. Ich schloss die Augen und stellte mir gerade einen kleinen frechen Jungen vor, der übermütig mit seinem Großvater auf der Wiese spielt. Sein Großvater ist bereits aus der Puste und der kleine Junge, also der freche Junge«, betonte sie laut, »der wollte immer weiter spielen.... Tja... weiter weiß ich nicht. Du hast meine Phantasie auf brutalste Weise unterbrochen.«
Er grinste in sich hinein und dankte Gott und auch den Außerirdischen dafür, dass genau diese Frau heute auf dem Flughafen in seine Arme fiel. Wenn es ein Schicksal gab, dann hatte es ihn endlich gefunden.
Er drehte sich wieder zu ihr um und stellte fest: »Du bist unglaublich, weißt du das?«
Um ihre Verlegenheit zu überspielen, bettelte sie: »Bitte erzähle weiter! Ich schließe auch nicht mehr meine Augen. Ich werde dich die ganze Zeit anschauen, aber bitte erzähle weiter.«
Er gab sich geschlagen; nach 2 Sekunden.
»Okay. Als mein Großvater starb, ich war gerade 20 Jahre alt, vererbte er mir das Haus mit Grundstück. Ich war leider zu dieser Zeit in Amerika und konnte ihn nicht mehr vor seinem Tod besuchen.«
Für einen Moment schwieg er. Er holte tief Luft und redete weiter.
»Er wusste, ich würde nichts verändern. Am Anfang, durfte es keiner betreten. Es war mein Heiligtum und unser kleines Paradies. So hatte es mein Großvater immer genannt.«
Sie berührte mit ihrer Hand seinen Arm und schaute ihn mit großen Augen an.
Mit viel Mitgefühl in ihrer Stimme flüsterte sie: »Bitte verzeih, dass ich es das kleine Paradies nannte. Ich hatte nicht das Recht dazu. Dieser Name sollte nur von dir und deinem Großvater benutzt werden. Wenn ich das gewusst hätte, glaube mir, ich hät...«
Er nahm ihre Hand (zum x-ten Mal), drückte sie zärtlich und legte behutsam seine Finger auf ihren Mund.
»Schsch... was redest du da. Ich war angenehm überrascht, dass du die gleichen Worte benutzt hast, um diesen Ort zu beschreiben.«
Sie merkte nicht, dass er angehalten hatte. Sie merkte auch nicht, dass ihr die Tränen in die Augen schossen.
Erschrocken fragte er: »Julia, du weinst? ...warum?«
Verstohlen wischte sie sie weg. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck erklärte sie: »Weil ich eine Heulsuse bin. Das habe ich dir doch erzählt. Ich kann nichts dafür.«
Bockig, wie ein kleines Kind, fügte sie hinzu: »Du bist Schuld. Wie kannst du mir nur so etwas Rührendes erzählen?«
Er hielt sein Schmunzeln zurück. Sie sah so süß aus und auch so verletzlich. Was sollte er tun? Es folgte ein Monolog.
Ich küsse ihre Tränen weg.
Gute Idee! …Nein, doch nicht!
Herrgott, warum tu ich es nicht einfach?
Weil ich ein Idiot bin!
Kevin? Wie alt bist du, hä?
Du schaffst es nicht, mit deinen 37 Jahren, eine Frau einfach zu küssen?
Du bist ein Loser!
Er war mit seinen Gedanken so beschäftigt, dass er nicht bemerkte, wie er sie bereits angrinste. Sie zog an ihrer Hand, doch er ließ sie nicht los. Sie sah sein Lächeln und musste es erwidern.
Empört fragte sie: »Wie schaffst du es nur, dass ich nicht lange auf dich sauer sein kann? ... und ... warum muss ich immer um meine Hand kämpfen. Lass sie bitte los!«
Widerwillig ließ er sie frei. Er stieg aus und sagte gequält: »Wir sind da! Leider! Ich gebe nur ungern deine Hand wieder her.«
Sie stieg schnell aus, da sie befürchtete, dass er um den Wagen herumlief um ihr die Tür zu öffnen. Kaum hatte sie den Gedanken beendet, stand er schon vor ihr.
»Und… ich werde sie vermissen?«
»Wen?«, fragte sie verblüfft. Sie konnte ihm gedanklich nicht folgen.
»Deine Hand! Sie wird mir fehlen!«
Sie stieß ihn leicht gegen den Bauch und versuchte an ihm vorbei zu kommen. Nicht einen Millimeter bewegte er sich. Er würde nicht nur ihre Hand vermissen, entschied er.
»Kevin, lass mich vorbei!«, bat sie lächelnd. »Was ist nur los mit dir?«
Er hob die Schultern.
»Keine Ahnung! ... Aber ich weiß, wenn wir jetzt dort reingehen«, er zeigte mit dem Finger in Richtung Haus, »dann sind wir umgeben von vielen Leuten. Dann können wir uns nie wieder so ungestört unterhalten. Und ich fand unsere Gespräche so angenehm. Ging es dir denn nicht genauso?«
Die letzten Worte flüsterte er und schaute ihr dabei tief in die Augen. Sie schaute verlegen auf ihre Hände. Sie fand ihn aufregend, interessant, liebenswert und auch sie hätte gerne den restlichen Tag mit ihm verbracht.
»Ja«, sagte sie zaghaft. Er berührte ihr Kinn, hob es an und zwang sie, ihn anzuschauen.
»Versprich mir etwas.«
»Was?«
»Versprich mir, dass du dich nicht änderst!«
Sie hatte das Gefühl, dass er nervös wurde. Sein Blick wechselte zwischen dem Haus und ihr. Anstatt die Frage zu beantworten, stellte sie ebenfalls eine.
»Aber warum denkst du nur, dass ich mich ändere?«
Er kam etwas näher an Julia heran und stemmte seine Hände rechts und links von ihr gegen das Auto. Seine Arme waren so dicht an ihren Schultern, dass es aussah, als wenn er sie umarmte.
Sie hielt den Atem an.
»Ich kenne die Leute, mit denen du arbeiten wirst. ...und ich habe DICH kennen gelernt. Das Geschäft ist knallhart und ich kann mir dich nur schwer unter all den Hyänen vorstellen. Bitte! Versprich mir, dass du so bleibst, wie ich dich kennen gelernt habe.«
Sie dachte wieder an das Atmen.
»Du machst mir Angst. Warum sollte ich mich ändern?«
Ungeduldig sagte er: »Versprich es mir einfach, ja?«
Sein Blick war so durchdringend, dass sie rot wurde.
Sie stotterte: »Aber... aber weißt du... ich bin... na ja, ich bin, wenn ich arbeite sowieso ganz anders. Ich... ich bin ein Profi, verstehst du? Du hast mich privat kennen gelernt. Das ist... ehrlich... das ist was ganz anderes, als wenn du mit mir beruflich zu tun hast.«
»Julia, bitte!«, stöhnte er.
»Ich verstehe dich zwar nicht, aber gut... ich verspreche es dir!«
»Gut!«
Sie hatte es kaum ausgesprochen, nahm er die Hände runter. Und während sie noch überlegte, dass sie noch ewig mit ihm so hätte stehen können, überlegte er, ob er sie jetzt küssen sollte. Er beugte sich langsam zu ihr vor und sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. Ihr Herz raste. Sie bewegte sich nicht, dachte sie zumindest. Sie bemerkte es nicht, aber er. Sie zog die Augenbraue nur ein Klitzekleines bisschen hoch. Ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Er schaute kurz zur Seite und gleich wieder in ihre Augen.
Unsicher fragte sie: »Was?«
Lachend sagte er: »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du süß aussiehst, wenn du deine Augenbraue hochziehst?«
Sie faste sich an die Stirn und war wütend über sich selber, dass sie diesen traumhaften Moment mit einer blöden Angewohnheit vernichtet hatte.
»Oh Gott, ich glaub das nicht, dass ich das getan habe!«
»Hey, wie gesagt... es sah süß aus.«
Wieder versuchte er sich zu nähern. Er wollte nicht so leicht aufgeben. Er berührte ihre Wange, ganz leicht nur. Sie bekam eine Gänsehaut und konzentrierte sich darauf, ihr Augenbrauen unter Kontrolle zu halten. Sie wollte schon ihre Augen schließen und seinen Kuss genießen, da hörte sie von weitem jemanden rufen. Erst leise und dann immer lauter. Es kam jemand, stellte sie erschreckend fest. Sofort schoss es ihr durch den Kopf, wie diese Situation wohl auf andere wirken musste. Sie ließ sich von einem fremden Mann küssen, der sie gerade vor ein paar Stunden vom Flughafen abgeholt hatte. Das macht sich besonders gut, wenn man vom neuen Boss gesehen wird. Sie stieß ihn sachte von sich. Er verdrehte die Augen, als er die Stimme von Jack vernahm. Einen blöderen Moment hätte er sich nicht aussuchen können, dachte er verärgert.
Kevin nahm schnell ihre Hand und sagte leise: »Schade!«
Sie zog ihre Hand zurück.
»Ich glaube, es ist besser so.«
Er nahm wieder ihre Hand und fragte enttäuscht: »Wieso sagst du das?«
Lächelnd zog sie die Hand ein zweites Mal aus der seinen und verschränkte sie zum Schutz hinter ihrem Rücken, so dass er nicht gleich wieder danach greifen konnte.
»Schon vergessen? Ich habe dir gerade ein Versprechen gegeben.«
Er verstand nicht.
»Ja, und? Das sollst du auch einhalten«, sagte er wie selbstverständlich. Er legte dabei seinen Arm um ihre Taille und zog sie leicht zu sich heran. Er wollte sie jetzt und hier küssen. Sie seufzte.
»Aber wenn ich mich verliebe, geht das nicht mehr!«
Sie blickte ihn schüchtern an und löste sich aus seiner Umarmung. Sie schlich sich an ihm vorbei. Er stand noch immer regungslos da. Drei Sekunden verschwendete er für die Aufnahme ihrer Worte. Zwei weitere für die Abwägung, war das gut oder war es schlecht? Und nur eine Sekunde um sich an ihren Satz bei Adam zu erinnern... leider ist meine Natürlichkeit verflogen, wenn ich mich verliebe...
Er schluckte und drehte sich schnell herum. Sie lief bereits Jack entgegen. Mit langsamen Schritten folgte er ihr. Aber im Inneren, machte er 5m-Sprünge. Sie würde sich in ihn verlieben? Durch einen Kuss? Von ihm?
Leise, so dass sie es nicht hören konnte, sagte er zu sich selber: »Julia Montana... du sollst ihn bekommen?«