Читать книгу Das kleine Paradies - Ida Uhlich - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеJack war nur wenige Meter von ihnen entfernt, als sie ein Kläffen und Jaulen hörte. Max rannte an Jack und Julia vorbei direkt in die Arme von Kevin, der bereits in einer hockenden Position auf ihn wartete. Julia drehte sich um und schaute dem Hund hinterher. Es war ein schönes Bild. Man konnte schwer erkennen, wer sich von den beiden mehr freute. Max sprang an ihm hoch und brachte Kevin kurz zum Schwanken. Nur mit viel Mühe konnte er verhindern, dass er rückwärts hinfiel.
»Ist ja gut mein großer... braver Hund... Max ist ja gut«, hörte sie ihn rufen. Sie musste lächeln. Ja, so hatte sie sich die Begrüßung mit seinem Hund vorgestellt. Max wedelte unaufhörlich mit dem Schwanz und rannte, nachdem er drei Mal um Kevin herumgelaufen ist, zu Julia und wollte sie gerade anspringen. Aber mit einem Satz stand Kevin neben ihr und hielt ihn zurück. Er schnupperte an ihr herum und sie hielt ihm die Hand hin. Er leckte daran und jaulte vor Freude. Kevin zog ihn von ihr weg und sagte: »Hör auf Max! Das macht kein braver Hund. Sitz!«
Er wedelte noch ein paar Mal mit dem Schwanz und setzte sich dann widerwillig hin. Kevin hockte sich neben ihn und flüsterte ihm ins Ohr: »Das ist Julia. Du musste ganz besonders lieb zu ihr sein.«
Ein Zungenschlecker quer über das Gesicht war die Antwort.
Julia kicherte und sagte leise zu ihm gewandt: »Na siehst du, jetzt hast du ja doch noch ein Kuss bekommen.«
Er stand auf und flüsterte lächelnd: »Freches Ding!«
Jack kam mit gestreckter Hand auf Julia zu. Sie war etwas unsicher, da sie nicht wusste, was er alles gesehen hatte.
»Hallo Julia, es freut mich, dass du endlich hier bist.«
»Hallo Mr. John, und ich freue mich über ihre Einladung. Danke nochmals!«
»Bitte nenne mich Jack«, sagte er freundlich.
Julia betrachtete ihn und musste sich eingestehen, dass auch dieser Mann sehr gut aussah. Er hatte dunkles, fast schwarzes Haar und grüne Augen. Er war etwas kleiner als Kevin, aber ebenso schlank. Fast muskulös. Er hatte ein freundliches Gesicht und sein Blick wirkte immer sehr aufmerksam. Julia bemerkte, dass sie in wenigen Sekunden abgescannt wurde. Eigentlich war es ihr egal, was ihr Boss von ihrem Aussehen hielt. Jedoch war er Kevins Freund. Dies ließ die Begutachtung in einem ganz anderen Licht rücken. Was, wenn Jack sie nicht attraktiv genug für Kevin fand? Würde er auf das Urteil seines Freundes hören? Sie versuchte durch ein tiefes Durchatmen, ihre Gedanken zu ordnen.
Julia, konzentriere dich nur auf deinen Job hier und lass die Männergeschichten, ermahnte sie sich.
»Ich wäre dumm gewesen, wenn ich dich nicht ausgewählt hätte. Du hast von allen Bewerberinnen die besten Qualitäten. Weißt du denn gar nicht, dass dein Name in Deutschland schon in aller Munde ist?«
Skeptisch schaute sie zu ihm auf.
»Oh!«, stieß sie hervor.
Kevin stand die ganze Zeit hinter ihr und musste bei dieser Frage schmunzeln. In Gedanken sah er ihre hochgezogene Braue. Jack bemerkte die Reaktion von Kevin. Seinem Blick entging nichts. Seine Frage behielt er jedoch für später auf.
Mit diesem „OH“ hatte unser Gespräch auch angefangen, dachte Kevin. Ob sie mit Jack auch solche Gespräche führen wird? Er merkte ein leichtes Kribbeln in der Bauchgegend. War er eifersüchtig? Nein, das Recht hatte er nicht. Aber fragt ein Gefühl nach dem Recht?
Jack blickte kurz zu Kevin.
»Und... war er ein angenehmer Chauffeur? Oder hat er dich gelangweilt?«
Kevin verdrehte die Augen.
»Hey, hör auf damit. Ich bin nicht langweilig«, protestierte er.
Julia drehte sich kurz um und musste an die letzten Minuten denken. Sie blickte in warme Augen, über die sich eine kleine Falte bildete. Sie lächelte ihm zu und drehte sich wieder um.
»Kevin war sehr amüsant. Ich hatte nicht eine einzige Minute Langeweile. Im Gegenteil, die Zeit verging viel zu schnell.«
Jack kniff die Augen zusammen.
»Du redest von diesem Kevin da?«, fragte er unglaubwürdig.
Er zeigte mit dem Finger auf Kevin. Sie drehte sich nochmals um und bestätigte es.
»Ja doch. Genau der Kevin.«
Nun grinste Jack und ging zu Kevin hinüber. Er legte seinen Arm auf seine Schulter und boxte ihm in die Rippen.
»Na so was mein Alter. Hätte ich gewusst, dass du auftaust, wenn ich dich als Chauffeur durch die Gegend schicke, dann hätte ich das schon viel früher getan.«
Julia verstand diese Andeutung nicht und war sich nicht sicher, ob sie die überhaupt verstehen wollte. Kevin schaute ihn verärgert an.
»Jack, konzentriere du dich lieber auf deine Arbeit und lass mich in Ruhe. Und Julia möchte bestimmt endlich das Team kennen lernen.«
Jack verdrehte die Augen.
»Ist ja schon gut. Habe verstanden.«
Er lief zu Julia zurück und sagte höflich: »Julia, das Team kann ich dir erst Morgen vorstellen und außerdem muss ich mich bei dir erst einmal entschuldigen.«
»Warum entschuldigen?«, fragte sie erschrocken.
»Es ist uns leider ein Fehler bei der Terminvergabe unterlaufen. Dein Auftrag ist erst nächste Woche.«
Während er ruhig mit ihr sprach, ging er voraus und beide folgten ihm.
Na toll, es wäre auch ein Wunder gewesen, wenn bei mir mal alles glatt laufen würde.
Es war wie verhext. Sie sah Rose vor sich, wie sie den Finger hob und sarkastisch sagen würde „Na, hab ich recht behalten?“.
Geduldig hörte sie zu und blickte dabei abwechselnd zu Jack und Kevin.
»Könntest du deinen Aufenthalt hier für eine Woche verlängern?«
Etwas hilflos sagte sie: »Na ja, das müsste ich erst klären und Daheim anrufen.«
»Natürlich! Es wäre aber wirklich schön, wenn du es ermöglichen könntest.«
Sie nickte, lenkte aber ein: »Aber ich möchte euch hier nicht im Weg stehen. Vielleicht sollte ich doch lieber wieder nach Deutschland fliegen und nächste Woche wieder kommen?«
Nein, dachte Kevin. Sie soll nicht wegfliegen. Hilfesuchend schaute er zu Jack und schüttelte kaum sichtbar mit dem Kopf. Er hoffte, dass Jack das richtig deutete und sie bittet, nicht zu fliegen. Jack verstand!
»Oh nein, du störst nicht. Im Gegenteil! Ich möchte, dass du uns bei der Arbeit zuschaust und ein Gefühl für unsere Zusammenarbeit bekommst. Es würde uns allen sehr helfen.«
»Okay, ich versuche es.«
Kevin stieß erleichtert die Luft aus und nickte Jack dankend zu. Sie hatten bereits die Tür erreicht und erst jetzt sah Julia, wie groß dieses Haus war. Sie hatte ein kleines Schloss oder eine kleine Burg erwartet; halt etwas, was typisch für Schottland ist. Dies jedoch war ein riesiges und modernes Haus. Zwei Stockwerke hoch und mit einem flachen Dach. Auffallend war die Eingangstür, die wie ein altes hölzernes Tor aussah, verziert mit Schnitzereien. Sie passte genauso wenig zum Haus, wie das Haus nach Schottland. Es passte aber zu Jack. Sie liefen die kleine Steintreppe hoch und als Jack die riesige Eingangstür öffnete, sagte er höflich: »Willkommen in meinem bescheidenen Haus, Julia.«
Kevin umfasste ihre Taille und schob sie sanft durch die Tür. Sie zögerte beim Eintreten
»Hey, ist alles in Ordnung?«, flüsterte er.
Sie lächelte ihn verlegen an und nickte.
»Ja, ich bin nur ein wenig überwältigt«, flüsterte sie zurück.
Dass es an seiner Berührung lag und nicht an dem Haus, verschwieg sie. Sie kam sich albern dabei vor. Wie ist das nur möglich, dachte sie. Wie konnte ein Mann, den sie gerade erst kennengelernt hatte, so auf sie wirken? Ihr schossen so viele Fragen gleichzeitig durch den Kopf. Doch die einzige, die ihr im Moment am wichtigsten schien, war die, ob dieser Job es wert war. Ob es wert war, sein Herz zu verlieren, das einem nach einer Woche wieder zurückgegeben wird.
Sie liefen durch einen großen, endlos langen Flur. Links gingen drei Räume und rechts fünf Räume ab. In einige konnte man hineinblicken. Ein großes Büro, ein riesiges Wohnzimmer, eine Küche, ein Computerzimmer, ein Esszimmer. Bewundernd blickte Julia in die Räume. Die Einrichtung war farblich aufeinander abgestimmt, sehr modern und sehr teuer. Davon war sie überzeugt. Am Ende des Flures ging rechts eine Treppe hinunter. Links kamen sie in einen großen Raum, der mit Licht geradezu durchflutet wurde. Sie blickte sich um. Das Zimmer war sehr hoch, ein Atelier. Es ging direkt hoch bis zum Dach, ohne Zwischendecke, und hatte über der Eingangstür eine integrierte Veranda. Man gelangte von der obersten Etage zu ihr und hatte so einen genauen Blick über das Geschehen im unten Bereich. Ihr geschultes Auge erkannte sofort den Wert der Fotoausrüstung und der dazugehörigen technischen Gegenstände. Dies war also das Arbeitszimmer, dachte sie. Es war mit Hightech ausgestattet, das jedes Fotografenherz höher schlagen ließ. Sie bekam rote Wangen. Aufgeregt streckte sie die Hand zu einer Kamera aus, die auf einem Stativ stand.
»Darf ich?«
Die Begeisterung in ihren Augen gefiel Jack.
»Aber natürlich. Schau dich ruhig um. Ich muss nur kurz mit Kevin reden. Wir sind gleich wieder bei dir.«
Sie lief im Raum umher und hörte ihn schon gar nicht mehr. Sie kam sich wie ein Kind vor, dass im Spielzeugladen eingeschlossen war. Jack schob Kevin ungeduldig ins gegenüberliegende Büro. Kaum hatte er die Tür geschlossen, ging das Verhör los.
»Erzähl schon! Warum bist du nicht gleich hierher gefahren? Warum hast du sie auf deine Klippe geführt und dann zu Adam? Das ist sehr ungewöhnlich, also was ist los mit dir?«
Es störte Kevin auf einmal, dass er von ihr erzählen sollte. Er wollte nicht, dass Jack alles über sie erfuhr. Und auf gar keinen Fall sollte er bemerken, dass er auf den besten Weg war, sich in sie zu verlieben. Also versuchte er davon abzulenken.
»Ist das so schwer zu erraten? Du selbst hast gesagt, sie sei eine gute Fotografin. Also dachte ich, dass sie die Schönheit meiner Klippe erkennt. Hat sie ja auch.«
Er wollte so belanglos wie möglich klingen. Es fiel ihm schwer, da er sofort wieder an die schönen Momente denken musste: Sein Herz fing an zu flattern. Einen Oskar hätte er für diese Vorstellung nicht gewonnen.
»Hör auf Kevin. Erzähl mir doch nichts. Du müsstest mal deinen Blick sehen.«
»Jack, es ist so, wie ich es gerade erzählt habe.«
»Ach ja? Und was sollte das vorhin da draußen? Dein flehender Blick? Du wolltest doch unbedingt, dass sie bleibt.«
Jack lief langsam um den Schreibtisch herum und setzte sich. Kevin stand noch immer an der Tür.
»Ja, weil ich denke, sie ist eine Bereicherung für dich. Sie ist wirklich gut als Fotografin. Ich hab´s gesehen.«
»Okay... dann kann ich sie ja nach Hause schicken und sie nächste Woche wieder anreisen lassen. Dann sehe ich echt keinen Grund, warum sie hier bleiben sollte.«
Diese Richtung gefiel Kevin gar nicht. Also gab er nach und sagte ironisch: »Du bist ein wahrer Freund.«
Jack grinste über das ganze Gesicht. Er bekam immer was er wollte.
»Was willst du wissen?«, fragte Kevin und zog eine Grimasse.
»Dafür, dass du sie am Anfang nicht abholen wolltest, hat die Fahrt ganz schön lange gedauert. Warum?«
Auch Kevin setzte sich jetzt. Er wühlte sich mit seinen Händen durchs Haar.
»Keine Ahnung! Es hat sich alles irgendwie so ergeben. Wir unterhielten uns und sie... na ja... sie ist so... Herrgott Jack, ich kann es nicht erklären.«
»Hey, bleib ruhig.«
Jack stand auf und lief um den Schreibtisch herum. Er blieb davor stehen und lehnte sich dagegen.
Kevin erzählte weiter: »Sie ist so natürlich, verstehst du? Mit ihr fällt mir alles leichter. Sie ist sehr ehrlich. Für sie bin ich Kevin der Mensch und nicht Kevin Brown der Schauspieler.«
Jack stieß zischend die Luft aus.
»Oh je, es ist ja ernster als ich dachte?«
Kevin sprang auf.
»Jack, ich kenne diesen Gesichtsausdruck. Du lässt sie in Ruhe, verstanden! Ich möchte nicht, dass du dazwischen funkst. Ich brauche keine Hilfe von dir. Sie ist deine Angestellte, mehr ist sie für dich nicht. Also behandle sie auch so. Selbst wenn sie sich auch für mich interessieren sollte, ist das allein unsere Sache. Du mischst dich diesmal nicht ein, verstanden!«
Jack hob die Hände zur Versöhnung.
»Hör mal, rege dich bitte nicht so auf. Ich bin dein Freund und wollte doch immer nur helfen.«
»Oh ja, daran kann ich mich gut erinnern. Deine Hilfe sah immer so aus, dass du mir die Frauen auf einem silbernen Tablett serviert hast. Sie waren bereits in mich verliebt, bevor ich sie kannte. Das ist immer sehr frustrierend für mich gewesen. Diese Frauen haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, mich kennenzulernen. Wie romantisch!«
»Du bist ungerecht«, sagte Jack zu seiner Verteidigung. »Was kann ich dafür, dass du so begehrt bist? Ich habe nie verstanden, warum du so zurückhaltend bist. Mensch Kevin, wenn ich du wäre, vorausgesetzt ich wäre nicht verheiratet, hätte ich jede Woche eine andere.«
Er grinste verträumt.
»Genau das ist der Punkt. Ich bin nicht wie du! Also versuche nicht mir deine Träume aufzudrücken. Dazu gehört auch, dass du dich aus meinem Liebesleben heraushältst.«
»Jaaaa. Ich habe verstanden!«
Beide verließen das Zimmer. Im Flur fragte Jack: »Musst du nicht wieder in die Staaten?«
»Eigentlich ja. Ich werde aber gleich telefonieren und das Ganze verschieben.«
»Wie, das geht so einfach? Ich denke, du musst zum Set? Die werden doch wegen dir die Dreharbeiten nicht verschieben?«
Kevin verdrehte die Augen. »Du wirst sehen... sie werden!«
Er ließ den verblüfften Jack stehen. Während er zum Smartphone griff, lief er in Richtung Ausgang, damit er ungestört reden konnte. Er wollte es sofort klären, damit er mit seinen Gedanken ganz bei ihr sein konnte.
Jack ging wieder zurück ins Atelier. Julia schaute sich gerade einige Bilder an, die auf dem Boden verstreut herum lagen.
»Gefallen sie dir?«
Sie erschrak, drehte sich zu schnell herum und knickte um, konnte sich jedoch fangen.
»Ups!«, rief sie verlegen und klemmte eine Strähne hinters Ohr zurück.
Grinsend sagte er: »Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken.«
»Oh, dazu gehört leider nicht viel«, kicherte sie.
»Und... was sagst du nun zu den Bildern?«
Sie schaute sich noch einmal kurz die Bilder an.
»Hmm, ich finde sie alle schlecht.«
Jack schluckte und starrte sie an.
»Ehrlich?«
»Total ehrlich!«
»Warum findest du sie schlecht?«, fragte er skeptisch und runzelte dabei die Stirn.
»Es wurde die falsche Linse genommen und das Licht kam von der falschen Seite. Selbst die Models sind nicht gut geschminkt worden. Die Farben passen einfach nicht zum Thema und nicht zum Licht.«
Sie legte den Kopf schief und stemmte die Hände wütend in die Hüfte: »Was soll das hier? Ist das ein Test? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du diese Fotos verwenden würdest.«
Über ihre Reaktion war er sehr erfreut. Diesen Test machte er immer mit den ‚Anfängern‘, jedoch war sie die erste, die erkannte, bzw. die sich traute zu sagen, dass die Bilder miserabel waren.
»Respekt Julia! Keiner hat bis heute das erkannt, oder sich getraut es so auszudrücken. Wieder einmal bestätigt sich meine Entscheidung, dich eingeladen zu haben.«
Grinsend ging er an der verblüfften Julia vorbei.
»Komm bitte mit!«
Missmutig folgte sie ihm. Was kommt jetzt, fragte sie sich. Ein Idiotentest?
Er ging durch den langen Flur bis zur ersten Tür, die noch verschlossen war. Bevor sie hineingingen, kam Kevin gerade durch die Eingangstür. Er sah Julias grimmigen Gesichtsausdruck und fragte besorgt: »Hey, was ist passiert?«
Jack bekam von Kevin einen wütenden Blick zugeworfen, der anstelle von Julia antwortete: »Nichts! Kevin, du hattest Recht. Sie ist wirklich verdammt ehrlich.«
Schmunzelnd und höchst zufrieden öffnete er die Tür und forderte, mit einer höflichen Geste, Julia auf ihm zu folgen.
Kevin flüsterte: »Julia? Ist wirklich alles in Ordnung?«
Sie nickte und flüsterte zurück: »Ja.«
Sie betraten ein großes Zimmer, dass ausschließlich in schwarz und weiß gehalten war. Die Wände waren weiß und der Fußboden war aus schwarzem Marmor. An den Wänden waren nur offene schwarze Regale, die mit vielen Büchern, moderne Skulpturen und alten Fotoapparate vollgestellt waren. In der Mitte stand ein riesiges weißes Sofa. Rechts und links jeweils passende Sessel. Vor dem Sofa standen mehrere kleine viereckige Würfel, die aus schwarzem Ebenholz waren und als Tisch dienten. Sie standen auf einem riesigen, weißen flauschigen Teppich. Die linke Seite des Raumes war mit einem gigantischen Fenster ausgestattet. Auch hier wurde der Raum von Licht durchflutet. Gegenüber der Tür stand eine High-Tech-Anlage, die größer war als sie selber. Etwas Edleres hatte sie bisher noch nicht gesehen. Vielleicht in Zeitschriften oder im Fernsehen, jedoch hatte sie noch nie leibhaftig in einem derartigen Zimmer gestanden.
Jack ging zur Anlage und legte eine CD ein. Julia fragte sich, was jetzt wohl kommen würde?
»Julia, setz dich doch«, bat er freundlich.
Sie nahm in einem der großen Sessel platz und wartete. Kevin blieb stehen und beobachtete sie von der Seite. Sie zeigte keine Nervosität, was er erstaunlich fand. Sie benahm sich kein bisschen wie die Julia, die er kannte.
Selbstbewusst fragte sie: »Habe ich nun den Test bestanden, oder bist du schockiert über meine Aussage?«
Er lächelte.
»Nein, ich bin nicht schockiert. Im Gegenteil. Es freut mich sehr, dass du die gleiche Sichtweise hast wie ich. Weißt du, das ist auch der Grund, warum ich manchmal Fotografen von außerhalb dazu nehme. Ich möchte meinem Team immer eine Herausforderung geben. Sie sollen sich weiter entwickeln. Verstehe mich nicht falsch. Mein Team ist sehr gut. Jedoch fördert ein wenig Konkurrenz die Denk- und Arbeitsweise.«
»Also soll ich hier nicht mein Können unter Beweis stellen, sondern dein Team in den Arsch treten?«
Kevin kicherte. Julias berufliche Seite war ebenfalls sehr amüsant für ihn. Jack dagegen verschluckte sich fast.
»Nein, du bist hier, weil ich dein Können sehen möchte. Und die anderen sollen es auch sehen. Unbedingt.«
»Aber warum soll ich jetzt hierbleiben? Soll ich nur zuschauen und nicht arbeiten?«
»Genau. Bleibe einfach im Hintergrund und studiere das Team. Es wird dir von Nutzen sein, wenn du nächste Woche mit ihnen arbeiten musst.«
Sie überlegte kurz.
»Okay. Aber ich stelle Bedingungen.«
»Hmm, das ist zwar sehr ungewöhnlich, aber gut. Welche?«
»Ich werde in nichts eingeschränkt, wenn ich arbeite.«
»Okay!«
»Ich werde über niemanden aus deinem Team eine Meinung abgeben müssen.«
Er überlegte kurz und sagte dann: »Okay! War´s das?«
»Nein. Du wirst nie in meinem Beisein ein Teammitglied zur Schnecke machen.«
»Hatte ich auch nicht vor.«
Er war über ihre Bedingung überrascht, ließ es sich aber nicht anmerken.
»Hast du noch Fragen, Julia?«
»Ja, wann soll es losgehen?«
»Morgen um 10:00!«
»Okay, ich werde pünktlich sein.«
»Das will ich hoffen, denn du brauchst nur die Treppe runter gehen.«
Er grinste sie breit an.
»Oh, das tut mir leid, aber ich werde nicht hier übernachten.«
Synchron fragten Kevin und Jack: »Wo dann?«
»In Aberdeen. In der Nähe von Aberdeen, glaube ich.«
Jack stand auf und sagte freundlich: »Aber warum hast du eine andere Unterkunft? Das Haus ist groß genug für uns alle. Es steht hier ein Zimmer für dich zur Verfügung.«
»Das ist sehr nett von dir, Danke. Leider hat man mir das nicht mitgeteilt und folglich habe ich mich um eine Unterkunft gekümmert. Ich möchte die Gastfreundschaft von Lord McDerby nicht abschlagen.«
Jack fragte skeptisch: »Lord McDerby?«
»Ja. Er ist ein guter Freund der Familie meiner Freundin. Kennst du ihn?«
»Also den alten Lord kenne ich. Aber soviel ich weiß, ist er gerade in den Staaten.«
»Das kann aber nicht sein? Er erwartet mich.«
Er schüttelte mit dem Kopf und fasste sich an die Stirn: »Vielleicht ist es ja auch nur eine Verwechslung. Aber ich glaube, dass zurzeit nur sein Sohn hier in Schottland ist.«
Sie schaute unsicher von einem zum anderen. Der Hund hatte die ganze Zeit still vor ihren Füssen gelegen und spürte jetzt die Aufregung. Er hob den Kopf und stupste sie leicht an. Automatisch streichelte sie ihn.
Aufgeregt sagte sie: »Ich werde meine Freundin anrufen. Vielleicht habe ich ja auch nur den falschen Namen aufgeschrieben.«
Sie stand auf. Max folgte ihr. Sie verließ das Zimmer und schloss die Tür. Sie wählte die vertraute 1 und musste auch diesmal nicht lange warten.
»Hey Kleines, alles in Ordnung? Erzähl schon.«
Ohne Umschweife stellte sie die Frage.
»Hieß der Freund von Tom Lord McDerby?«
»Ja, Schatz. Wieso?«
»Weil Jack, also Mr. John, glaubt zu wissen, dass er gar nicht in Schottland ist.«
»Das kann nicht sein. Tom hat doch letzte Woche mit ihm noch telefoniert.«
»Okay. Ich melde mich wieder bei dir. Bye!«
Bevor Rose protestieren konnte, legte sie auf und ging zurück ins Zimmer.
Zur selben Zeit:
Kaum hatte Julia die Tür hinter sich geschlossen, fragte Kevin neugierig: »Was ist mit dem Lord McDerby? Warum hast du so komisch reagiert?«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass der alte Lord abgereist ist. Irgendeine Familiensache in Amerika. Nur der Sohn ist noch hier.«
»Das erklärt aber nicht deine Reaktion auf den Namen McDerby.«
Jack kratzte sich verlegen hinter den Kopf.
»Ach, vielleicht irre ich mich ja auch.«
»Jaaaack... was ist los?«
»Na ja, sein Sohn ist ein arrogantes Arschloch! Der ist von Beruf Sohn, wenn du verstehst, was ich meine. Der hat in seinem Leben noch nie gearbeitet, außer Geld von Papa auszugeben. Ich glaube nicht, dass es gut wäre, Julia mit diesem Idioten alleine zu lassen.«
Kevin sprang entsetzt auf.
»Dann wird sie da nicht übernachten. Ganz einfach!«
»Kevin, sie kennt uns genauso wenig wie den Lord.«
»Na und. Aber von dem Typen wissen wir, dass er ein arrogantes Arschloch ist. Grund genug also.«
»Tssss«, Jack schüttelte den Kopf. »ICH finde ihn arrogant. Sie kann ihn vielleicht ganz nett finden. Das sollte sie alleine herausfinden. Außerdem sagte sie doch, dass es Freunde von ihrer Freundin sei. Die würde sie doch nicht in die Höhle des Löwen lassen. Außerdem«, er holte Luft und stieß sie wieder scharf aus, »wenn ich daran denke, wie sie mir vorhin ihre Bedingungen aufdrückte, klar und sachlich. Also da bezweifle ich, dass sie Hilfe benötigt.«
Kevin gab sich damit nicht zufrieden. Trotzdem musste er grinsen als er an ihren Gesichtsausdruck dachte. Hart und unbeugsam sah sie aus. Er war sich sicher, sie wäre abgereist, wenn Jack nicht ihren Bedingungen zugestimmt hätte. Diese Julia war neu für ihn.
»Ja, schon. Privat ist sie aber viel verletzlicher. Du kennst sie nicht. Sie ist, sie ist ...«
»Kevin, ich bitte dich. Willst du mir sagen, dass du sie kennst? In... warte mal«, er schaute auf seine Armbanduhr, »6 Stunden?«
Ironie klang in seiner Stimme mit. Jack hatte schon so viele Frauen für ihn angeschleppt. Keine konnte sein Interesse wecken. Keine war seiner Meinung nach fehlerfrei. Und nun wollte er in 6 Stunden diese Frau genau kennen? Unmöglich!
»Denk was du willst. Ich werde sie jedenfalls dort hinfahren und mir diesen Typen anschauen. Vielleicht bringe ich sie auch gleich wieder mit.«
Bei diesen Gedanken leuchteten seine Augen und eine Steigerung gab es, als Julia das Zimmer betrat.
Sofort fragte er: »Und? Ist es Lord McDerby?«
Sie zuckte verärgert mit den Schultern. »Ja, er ist es!«
»Ist er nun hier oder in den Staaten?«, fragte Kevin ungeduldig.
Wieder zuckte sie mit den Schultern: »Weiß sie nicht genau.«
Sie war auf Rose wütend. Sie war wütend über diese Situation. Sie war wütend auf sich. Warum musste sie auch auf Rose hören. Der Anfang mit Kevin war so schön, dass ihr jetzt dieser Teil wie ein Griff in die Verarschkiste vorkam.
»Egal, dann bleibst du eben hier. Jack hat doch gesagt, dass er hier extra für dich ein Zimmer hat herrichten lassen.«
Siegessicher lächelte er. Auf die Idee, dass sie ablehnen würde, kam er nicht. Sie schüttelte entschieden den Kopf.
»Aber das wäre unhöflich. Wenn Rose ihnen vertraut, dann kann ich es auch. Ich werde dort hinfahren.«
Kevin gab keine Ruhe: »Wieso? Ruf doch an. Wenn der alte Lord nicht da ist, kannst du doch dankend ablehnen.«
»Kevin«, sagte sie ruhig aber bestimmend, »ich werde dort hinfahren.«
Jack kam auf Julia zu und hakte sie unter. Beide liefen sie zur Tür.
»Du hast ganz Recht. Es wäre unhöflich, dieser Familie nicht wenigstens einen Besuch abzustatten. Sollte es dir dort irgendwie unheimlich oder eigenartig vorkommen, dann rufe an. Kevin wird dich dann sofort abholen, okay?«
Sie lächelte müde: »Danke Jack.«
Sie verstand jedoch nicht, warum sie sich dort unheimlich oder eigenartig vorkommen sollte. Es gab also noch eine Steigerung für die Verarsche?
Kevin lief hinter beiden her und hätte Jack gerne den Hals umgedreht.
Er mischt sich schon wieder ein . Es lief doch gut. Ich hätte sie schon noch überzeugt. Verdammt!, dachte.
Max lief dicht neben Julia und versuchte ihre Hand zu lecken. Es kitzelte und sie musste lachen. Kevin schmunzelte und tätschelte ihm den Kopf.
»Na mein Alter, gefällt dir die Hand auch so gut wie mir?«
Lachend drehte sich Julia um.
»Kevin, hör auf damit.«
»Was denn? Das stimmt doch«, sagte er leise.
Wohl mit der Absicht, dass sie es hörte. Jack öffnete für Julia die Autotür und hielt dabei den Hund fest, der gerade ins Auto springen wollte.
»Oh nein Max, du bleibst hier!«, befahl Kevin sanft.
Grinsend setzte Kevin sich hinters Lenkrad.
»Was ist? Warum grinst du schon wieder?«
»Max mag dich.«
»Ich ihn auch.«
»Ja, das spürt er. Deswegen ist er dir auch nicht von der Seite gewichen.«
»So wie du?«, fragte sie neckend.
Er warf ihr ein umwerfendes Lächeln zu und ihr schoss das Blut in die Wangen. Sie hoffte inständig, dass er das nicht bemerkte. Aber sein Grinsen wurde noch breiter. Mist, dachte sie. Ich hasse meine Blutzirkulation. Während sie noch mit ihrem Blut kämpfte, sprach er mit ruhiger Stimme weiter.
»Eigentlich ist er nie so anhänglich. Obwohl er daran gewöhnt ist immer fremde Frauen um sich zu haben. Schon alleine, weil Jack viele Aufträge bei sich zu Hause abwickelt. Aber du... du scheinst auf ihn anders zu wirken. Hm, da sind wir uns sehr ähnlich.«
»Wieso ähnlich? Bist du sonst nie so freundlich und höflich zu den Frauen, so wie du es zu mir bist?«
»Doch, höflich bin ich immer. So wurde ich erzogen. Aber....«
»Aber?«, fragte sie neugierig.
Wie bringe ich glaubwürdig rüber, dass ich sonst nie mit den Frauen so ausgelassen rede? Wie kann ich erklären, dass ich nur ihr das kleine Paradies gezeigt habe? Wie soll ich in Worte fassen, dass ich mich gerade in sie verliebe?
»Hey ...Kevin? Was ist?«
Er suchte kurz ihren Blick und schaute dann wieder zur Straße. Plötzlich fand er es albern, ihr all das zu sagen. Er hatte Angst, sie würde ihn missverstehen. Er zwang sich zur Ruhe und holte tief Luft. Nein, dachte er, dies wäre der falsche Moment für so ein Geständnis. Was würde sie wohl über ihn denken? Nein, entschied er, nicht jetzt und nicht heute. Er wechselte das Thema.
»Du bist wirklich ein Profi. Ich meine, wie du Jack deine Bedingungen aufgezwungen hast... du hast meinen Respekt!«
Zaghaft fragte sie: »Meinst du, ich war zu forsch«
Er schüttelte mit dem Kopf und war dankbar, dass sie auf sein Ablenkungsmanöver einging.
Ruhig sagte er: »Nein, bestimmt nicht!«
Skeptisch schaute sie zu ihm rüber.
»Du lügst mich jetzt auch nicht an?«
Beleidigt stieß er hervor: »Hey, was denkst du von mir? Warum sollte ich dich anlügen?«
»Verzeih! Es ist nur so, dass ich Lügen hasse.«
»Wer nicht! Wirklich, ich lüge nicht«, sagte er ernst. »Jack kann es verkraften, glaube mir. Im Gegenteil. Er mag es, wenn man weiß was man will.«
»Ja, das weiß ich in meinem Beruf. Ich weiß was ich kann und bin dadurch, ich muss es zugeben, sehr selbstbewusst. Privat sieht es dagegen anders aus.«
Flüchtig schaute er zu ihr rüber.
»Ich finde, du bist privat genau richtig. Der Tag mit dir war sehr schön. Ich habe mich schon lange nicht mehr so amüsiert.«
»Oh ja, stimmt. Warst du nicht der Mann, der ständig über mich lachte?«
Zu seiner Verteidigung hob er die Hand und richtete diese auf sie.
»Du bist schuld. Schau her... ich muss schon wieder grinsen.«
Sein Lächeln war umwerfend und sie stufte es als sehr gefährlich ein.
»Hör sofort auf, mich so anzulächeln«, fuhr sie ihn an.
»Was meinst du? Wie soll ich nicht lächeln?«
Sie zeigte mit ihrem Finger auf seinen Mund und rückte ein bisschen näher an ihn heran. Fast hätte sie seinen Mund berührt.
»Da..., da ist es wieder!«, rief sie.
Leider musste sie selber lachen und verfehlte somit die Wirkung.
»Soll ich lieber ernst gucken?«, sagte er übertrieben langsam und schaute sie diesmal durchdringend an. Sie musste schlucken. Dieser Blick war noch unerträglicher. Unerträglich umwerfend!
Sie merkte wieder das Kribbeln in der Brust. Als wenn sich dort ein Bienenschwarm eingenistet hätte und nun mit aller Kraft gegen ihre Brust flogen, um den Ausgang zu finden.
Was soll das Julia? Du kannst dich nicht verlieben. Du kannst kurze Affären nicht leiden. Schon vergessen? Jetzt reiß dich zusammen und reagiere auf sein Lächeln nicht so, als wenn du noch nie angelächelt wurdest!
»Mir egal. Mach was du willst. Ich werde nur noch aus dem Fenster schauen.«
»Wie jetzt? Kein Lächeln? Kein Grinsen?«
Sie nickte und drehte ihren Kopf in Richtung Seitenfenster. Sie hatte beschlossen, ihn nicht mehr anzusehen. Im Moment fiel ihr nichts Besseres ein, als sein Lächeln zu boykottieren.
Eine gute Idee, fand sie. Er nicht!
»Okay! Kein Lächeln?.. dann nehme ich eben deine Hand.«
Kaum hatte er es ausgesprochen, verschränkte sie ihre Hände.
»Nein, auch keine Hand!«
Er griff trotzdem nach links und umfasste mit seinen schlanken Fingern ihre gefalteten Hände.
Sie boxte ihm gegen den Arm und tadelte ihn: »Okay, ich gebe auf. Du hast gewonnen. Grinsen darfst du, aber meine Hand bekommst du nicht!«
„Na geht doch!“ –
„Ohne dein Grinsen würde mir was fehlen“, gestand sie leise.
Sie versuchte weiterhin seinem Blick auszuweichen. Sie wollte auf Nummer sicher gehen und ihren Puls zur Ruhe zwingen. Bloß keine unnötigen Hormonschübe verursachen. Das ist das Letzte, was sie jetzt in ihrer Situation bräuchte. Also schaute sie verträumt aus dem Fenster und stellte fest, dass es bereits dämmerte und man nur noch schemenhaft die Landschaft erkannte.
Während er noch überlegte, ob er ihr wieder Fragen aus seinem Fragenkatalog stellen sollte, klingelte ihr Smartphone.
Es war Rose und Julia zwang sich, nicht so verärgert zu klingen.
«Hi Rose!«
»Hi Kleines, du warst vorhin so kurz angebunden. Ist alles in Ordnung?«
»Rose!«, fauchte sie. »Du sollst mich nicht Kleines nennen!«
»Schon gut, schon gut. Erzähl endlich, was ist los bei dir? ...kannst du reden?«
Sie drehte sich automatisch zur Tür und ihre Stimme wurde leiser.
»Ja, ich kann reden. Deutsch versteht hier keiner.«
»Auch das Sahneschnittchen nicht?«
Kevin zuckte ein wenig zusammen. Er hatte ihr noch immer nicht gesagt, dass er sie verstand. Sollte er ihr jetzt einen Wink geben, bevor es peinlich für sie wird? Die Antwort bekam er von ihr.
»Nein Rose, er hätte es mir schon längst erzählt. Er versteht uns nicht, glaube mir.«
»Wieso bist du dir so sicher?«
»Weil er mich nicht anlügen würde.«
»Hallooooo... was hast du in deinen letzten Beziehungen gelernt? Männer lügen!«
»Rose, lass meine Beziehungen aus dem Spiel. Außerdem ist er nicht so wie die anderen.«
Es entstand eine kleine Pause.
Rose musste Luft holen, damit sie nicht platzte.
Julia lauschte auf das komische Geräusch am anderen Ende der Leitung. Kevin verkrampfte seine Hand am Lenkrad. Sollte er sie lieber unterbrechen? Nein. Er wollte unbedingt wissen, was sie über ihn dachte. Es war mordsmäßig gemein, das wusste er. Aber die Neugier war stärker als die Vernunft.
»Julia Montana! Nicht so wie die anderen...?«, kreischte sie . »Ich weiß, er ist ein Sahneschnittchen und ich weiß, dass ich gerne mit dir jetzt auf der Stelle tauschen würde. Aber versteh doch, du darfst dich nicht verlieben.«
»Also, das sagt jetzt die Richtige!«, stieß sie hervor.
Rose kicherte und räusperte sich.
»Okay, okay! Du hast ja Recht. Aber Schätzchen, ich leide auch nicht immer so lange, wenn es schief geht.«
»Das stimmt, sondern kürzer und lauter.«
»Ja? Das habe ich noch gar nicht so gesehen.«
Es wurde still um Rose. Sie musste diese Aussage erst einmal sacken lassen.
»Ach Rose. Entschuldige bitte. Das war nicht so gemeint. Du hast mich bloß so in die Enge getrieben«, sagte sie sanftmütig. Rose zu kränken, war das Letzte, was sie wollte. Doch Rose schwieg.
»Hey Rose... du darfst auch Kleines zu mir sagen«, lenkte sie ein.
Rose nahm sofort an.
»Hmm. Okay Kleines, erzähl mir jetzt, warum du denkst, dass er nicht so ist wie die Anderen.«
Jetzt schwieg Julia. Sie wusste nicht so recht, wie sie die letzten Stunden erklären sollte.
»Na ja, er ist sehr liebenswert. Wir lachen viel... oh nein, er lacht viel über mich«, dabei kicherte sie.
Kevin biss sich auf die Lippen, damit er nicht ebenfalls lachte und sich somit verriet.
»Wie? Das ist alles?«
»Ach Rose, du musst es ja auch nicht verstehen. Ich verstehe es ja selber nicht und kann es nicht mit ein paar Worten erklären. Jedenfalls musst du dir keine Sorgen machen, solange ich bei IHM bin.«
Sein Herz machte einen Luftsprung und kam unbeschadet wieder in der Brust an. Sie dachte also genauso wie er.
Rose wurde hellhörig bei dem Worten SORGEN.
»Warum hast du mich eigentlich nach dem Lord gefragt?«
Julia stöhnte.
»Verdammt Rose, du hast nicht erzählt, dass ich mit dem Sohn dort alleine bin. Der alte Lord ist in den Staaten. Nun sage mir bitte, was ich tun soll?«
Rose zögerte einen Moment.
»Nur Liam ist da?«
»Also wenn der Lord nur einen Sohn namens Liam hat... ja... nur er ist da. Ist er nett?«
»Natürlich ist er nett!«
Julia hätte schwören können, dass Rose Stimme etwas zitterte.
Rose schob hinterher: »Aber ich werde gleich mal Tom anrufen. Vielleicht weiß er etwas Genaueres.«
»Kennst du ihn persönlich?«
»Na ja, ich war doch letztes Jahr kurz in England. Weißt du noch? Ich hatte so eine Fortbildung. Na ja, da habe ich mich mit dem Lord und Tom getroffen und auch seinen Sohn kennen gelernt.«
»Wenn du mir sagst er ist okay, dann ist ja alles prima.«
»Könntest du denn auch bei diesem Mr. John übernachten?«
Julia verstand die Frage nicht. Rose war es schließlich, die nicht wollte, dass sie bei Mr. John übernachtete.
Bevor Julia antworten konnte, stupste Kevin ihr sanft gegen die Schulter und zeigte mit der Hand nach links.
»Julia, wir sind da.«
»Rose, ich muss Schluss machen. Du brauchst Tom auch nicht mehr anrufen. Ich werde gleich selber feststellen, ob der Lord da ist. Mir war nur wichtig, deine Meinung zu hören. Ich rufe dich vor dem Schlafengehen noch mal an. Hab dich lieb.«
Sie schob ihr Smartphone in ihre Jackentasche. Gespannt schaute sie aus dem Fenster und versuchte durch die Dunkelheit etwas zu erkennen. Sie fuhren in eine kleine Auffahrt bis zu einem schmiedeeisernen Tor. Es war verschlossen und Kevin fuhr bis zur Sprechanlage heran. Er hatte ein mieses Gefühl bei der Sache und konnte es nicht loswerden.
»Ja, wer ist da?«, fragte eine tiefe Männerstimme.
»Kevin Brown und Julia Montana. Ms. Montana wird von Lord McDerby erwartet.«
Ohne eine weitere Frage wurde das Tor durch ein Summen geöffnet. Kevin fuhr langsam hindurch und hielt vor dem riesigen Haus... oder war es doch ein Schloss?
»Julia, wenn der Typ nur alleine im Haus ist, dann nehme ich dich wieder mit.«
»Wieso? Meine Freundin hat mir gesagt, dass er nett ist. Sie kennt ihn. Es ist also alles in Ordnung.«
Er hätte sie am liebsten gar nicht erst aussteigen lassen. Wie sollte er es aber verhindern?
»Gut. Ich werde dich aber noch hinein begleiten und mir meine eigene Meinung über diese Typen machen.«
Auf seiner Stirn bildete sich eine Falte. Spontan fragte sie ihn: »Bist du immer um deine Begleiterin so besorgt?«
Ebenso spontan kam es zurück: »Nein!«
»Warum bei mir?«, forschte sie weiter.
Er nahm ihre Hand, diesmal jedoch, ohne es vorher anzukündigen, und drückte sie fest an seine Lippen. Sie spürte diesen Kuss wie ein Stromschlag. Jedoch bestand der Stromschlag nicht aus Schmerz. Sie starrte auf ihre Hand, als hätte er ihr den Ehering aufgezogen.
»Weil du Julia bist! Und weil du so wie du bist, mir gefällst.«
Sie hob die linke Augenbraue. Um seinen Mund zuckte es, da er krampfhaft versuchte nicht zu lächeln. Sofort begriff sie, was sie getan hatte. Sie griff mit ihrer freien Hand nach der Braue und versuchte sie zu verdecken, bzw. hinunterzuziehen. Das sah so verzweifelt komisch aus, dass er schallend lachen musste. Sie schlug ihm die Hand weg und sagte schmollend: »Blödmann! Ich habe gerade angefangen dich zu mögen. Pah, nun hast du es vermasselt. Selbst schuld!«
Sie schnallte sich los und wollte die Autotür öffnen. Er hielt sie an den Schultern fest und sagte mit einer warmen Stimme: »Warte! Geh nicht!«
Er drehte sie langsam zu sich herum und zog sie dicht an sich heran. Er legte seine Lippen auf ihre Lippen... vorsichtig... zaghaft... zärtlich. Sie traute sich nicht zu bewegen. Sie war froh, dass sie das Atmen nicht vergaß. Ihr Erstarren ermutigte ihn nicht gerade den Kuss leidenschaftlich werden zu lassen. Sanft schob er sie wieder weg. Er versuchte in ihren Augen den Grund ihres Verhaltens zu sehen, doch ihre Augen blieben geschlossen. Er legte seine Hand an ihre Wange und fragte: »Habe ich dich mit meinem Kuss sehr geschockt?«
Endlich öffnete sie ihre Augen. Stockend sagte sie: »Nein... nicht geschockt... eher verwirrt.«
Er räusperte sich: »Na gut. Das ist zwar nicht was ich wollte, aber immerhin eine Regung.«
Sie wurde rot und sagte leise: »Es ist nicht so wie du denkst.«
Sie umfasste seine Hand und zog sie langsam runter.
»Was denke ich denn?«
»Dass ich es nicht schön fand?«, fragte sie vorsichtig.
»Nein, das denke ich nicht. Einen Versuch hast du noch.«
Er fand es sehr anziehend, dass sie rot wurde und er sie mit einem Kuss aus der Fassung bringen konnte.
»Dass ich nicht küssen kann?«
Ihre Stimme versagte und sie rang nach Luft.
Atme Julia... atme, ermahnte sie sich.
»Nein, das denke ich auch nicht.«
Sie holte tief Luft.
»Herrgott, warum musst du mich so quälen? Ist es nicht schon peinlich genug?«
Wütend stieß sie ihn von sich und schlug ihn gegen seine Brust. Er hielt sie an den Handgelenken fest und sagte lächelnd: »Wenn du dich beruhigst, dann sage ich dir, was ich wirklich dachte.«
Sie hielt inne und schaute ihn erwartungsvoll an.
»Na los! Sag schon!«, forderte sie ihn auf.
»Deine Reaktion fand ich süß. Ganz du selbst, ganz Julia«, sagte er ruhig.
»Soll das ein Kompliment sein?«
»Ja, absolut! Ich sagte es dir bereits... so wie du bist, mag ich dich.«
Eigentlich wollte er noch viel mehr sagen. Er hob es sich für später auf.
Sie fand seine Worte lieb, aber auch peinlich. Um die Peinlichkeit nicht zu steigern, zog sie es vor auszusteigen. Er hielt sie nicht zurück und stieg ebenfalls aus. Er hoffte, dass er mit dem Kuss ihre Gefühle ins Schwanken gebracht hatte. Und sie schwankten... mehr als ihr lieb war. Zwischen Ärger, Peinlichkeit und Herzklopfen wusste sie noch nicht genau, wo sie mit ihren Gefühlen stand.
Beide liefen schweigsam die Eingangstreppe hoch. Bevor sie klingeln konnten, wurde die Tür geöffnet und ein Butler stand vor ihnen.
»Guten Abend Ms. Montana, Guten Abend Mr. Brown!«, sagte er höflich.
»Guten Abend! Wir möchten zu Lord McDerby«, sagte Kevin ebenfalls höflich.
»Kommen sie bitte herein!«
Mit einer einladenden Handbewegung unterstrich er seine Bitte.
»Lord McDerby ist leider auf Geschäftsreise. Aber sein Sohn, Liam McDerby, ist anwesend.«
Kevin blickte zu Julia. Sie spürte den Blick, schaute aber bewusst weiter den Butler an. Auch was Kevin dachte, wusste sie. Plötzlich ging gegenüber der Eingangstür eine Tür auf und Liam betrat den riesigen Flur. Mit ausgestreckter Hand kam er auf Julia zu.
»Herzlich Willkommen, Julia! ...ich darf doch Julia sagen?«
»Natürlich!«, mehr brachte sie nicht heraus. Er strahlte sie mit seinem Sonny-Boy-Lächeln an. Er hatte hellblonde Haare, blaue Augen und war etwas kleiner als Kevin. Er war teuer gekleidet und sehr gepflegt.
Warum mussten bloß alle Männer hier so gut aussehen, dachte sie. Er gab auch Kevin die Hand, nickte aber nur kurz. Kevin erwiderte das Nicken und urteilte... er konnte ihn nicht leiden!
»Bitte kommt doch herein«, sagte er fröhlich und zeigte mit der Hand auf die Tür, durch die er vor 10 Sekunden gekommen war. Und genau seit 10 Sekunden hatte Kevin schlechte Laune. Sie folgten ihm ins Wohnzimmer. Wenn Julia schon das Haus von Jack riesig fand, in dieses Wohnzimmer passte das von Jack bequem hinein. Es war genau so eingerichtet, wie man sich wohl eine Schlosseinrichtung vorstellen würde. Schwere dunkle Möbel, dicke Teppiche, viele teure Bilder, Standuhren, große Kerzenständer, Kronleuchter und ein überdimensionales Ledersofa. Selbst in den Ledersesseln hätten gut zwei Personen Platz gefunden. Rechts von der Fensterfront war eine große Bar; mit sechs Barhockern davor. Liam steuerte darauf zu und fragte im Gehen: »Möchtet ihr etwas trinken?«
Kevin: »Nein, danke!«
Julia: »Ein Wasser bitte!«
Liam drehte sich verwundert um.
»Ein Wasser?«, fragte er ironisch. »Der Abend ist doch noch lang. Wirklich nur ein Wasser?«
»Ja, nur Wasser«, betonte sie.
Kevin fragte sich, ob er jetzt schon zuschlagen sollte, oder erst später.
Liam gab Julia das Wasserglas und sagte: »Setz dich doch!«
Kevin ignorierte er. Sie blieb lieber stehen.
»Wie war dein Flug? Hat alles geklappt? Wer hat dich abgeholt?«
Anstelle von Julia antwortete Kevin stinkig: »Ich habe sie abgeholt. Mr. John hat ein Zimmer für Julia herrichten lassen und da Lord McDerby nicht da ist, werde ich sie gleich wieder mitnehmen.«
Warum warten, dachte sich Kevin. Er sollte gleich wissen, dass er es nicht zulassen wird, dass sie hier übernachtet. Aber Julia wäre nicht Julia, wenn sie nicht anders reagieren würde, als ihm lieb wäre.
»Meine Freundin Rose sagte mir, dass dein Vater hier sei.«
»Oh, er musste gestern in die Staaten fliegen... aus familiären Gründen. Leider konnte er es nicht verschieben. Deshalb bin ich hier. Er wollte nicht unhöflich sein und dir so kurzfristig absagen.«
»Du wohnst hier sonst nicht?«
»Nein. Ich bin extra für dich angereist.«
Was Julia nett fand, fand Kevin dagegen widerlich. Seine Alarmglocken schellten!
„Das ist sehr nett von dir. Aber eine kurzfristige Änderung hätte mir nichts ausgemacht. Kevin erwähnte es ja bereits. Ich kann auch bei Mr. John bleiben.«
Er kam auf Julia zu und nahm ihre Hand.
»Nein, nein. Es macht mir wirklich nichts aus. Ich habe gerne eine schöne Frau um mich.«
Kevin stieß ein Zischen aus. Am liebsten hätte er ihm die Hand von Julia entrissen und seine dafür gebrochen. Was bildete er sich überhaupt ein... es war seine Hand. Es war sein Vorrecht ihre Hand zu nehmen. Julia entzog ihm schnell die Hand und rückte ein wenig näher an Kevin heran. Schützend legte er seinen Arm um ihre Taille. Sie ließ es zu und Liam schaute lächelnd weg. Kevin genoss seinen Triumph. Liam lief wieder zur Bar um sich sein Glas erneut zu füllen. Es wurmte ihn, dass Kevin so besitzergreifend war.
Er drehte sich wieder um und setzte seinen Dackelblick auf: »Bitte gebe mir die Ehre und bleibe hier. Ich habe extra für dich meinen Urlaub unterbrochen. Es macht mir wirklich nichts aus. Mein Vater würde sonst denken, ich wäre nicht nett zu dir gewesen. Das kannst du mir doch nicht antun? Bitte bleib!«
Das waren genau die Worte, die Julia nicht hören wollte. Jetzt konnte sie nicht mehr ablehnen. Das wäre nicht nur unhöflich, sondern Tom gegenüber nicht fair. Schließlich war er mit dem Lord befreundet. Eigentlich war es ja sehr nett von Liam, dass er seinen Urlaub unterbrochen hatte. Fand sie jedenfalls.
Beide Männer bemerkten ihre Unsicherheit. Liam lächelte siegessicher, während Kevin sie am liebsten schütteln wollte.
Julia, dachte er, gehe nicht auf diese schmierigen Worte ein.
Kevins Griff wurde um ihre Taille fester.
»Kennt ihr euch schon lange?«
Beide waren so verblüfft über diese direkte Frage, dass es für 3 Sekunden ruhig war. Kevin wollte schon sagen, dass sie sich eine Ewigkeit kannten, aber umso absurder wäre es, dass sie nicht bei ihm schlief.
Julia, die Ehrlichkeit in Person, sagte dagegen: „Wir haben uns heute erst kennen gelernt.»
Sie warf Kevin ein Lächeln zu. Er fand es so zauberhaft, dass er sie, wenn sie alleine gewesen wären, am liebsten sofort geküsst hätte. Er verfluchte Liam und wollte ihm die andere Hand brechen.
Liam lief an Kevin vorbei und sagte arrogant und so leise, dass es nur Kevin hören konnte: »Na dann hast du ja nur ein paar Stunden Vorsprung.«
Im Gedanken brach er gerade Liams Genick. Julia schaute ihm hinterher und wunderte sich, dass Kevin sich verkrampfte. Sie flüsterte ihm zu: »Was ist?«
»Ich muss dich alleine sprechen... jetzt!«
Er schob sie zur Tür und sagte im Gehen zu Liam: »Ich muss kurz mit Julia unter vier Augen sprechen.«
Liam nickte nur und schaute ihnen lächelnd hinterher. Kaum waren sie draußen sagte Kevin gereizt: »Julia, du willst doch nicht wirklich bei diesem Widerling bleiben?«
»Aber es wäre unhöflich, wenn ich nicht hier bleiben würde.«
»Es wäre unhöflich, wenn ich ihm den Kiefer brechen würde!«, schnauzte er.
»Pscht, schrei nicht so. Er kann dich bestimmt hören.«
Sie musste sich ein Lächeln verkneifen.
»Na und!«, er holte tief Luft. »Julia... du kannst hier nicht bleiben. Du kennst ihn doch gar nicht.«
Lächelnd sagte sie: »Das gleiche hat Rose auch über dich gesagt.«
»Aber du kannst mir vertrauen. Ich würde nie etwas tun, was dich verletzen würde.«
»Und wieso bist du so sicher, dass er es tun würde? Du kennst ihn doch auch nicht. Aber Rose kennt ihn. Sie würde es nicht zulassen, wenn sie ihm nicht trauen würde.«
Dagegen kam er nicht an. Wieso sollte sie ihm mehr glauben als ihrer besten Freundin? Trotzdem hatte er kein gutes Gefühl und seine Nackenhaare standen hoch. Der Typ war ein Frauenheld wie er im Buche stand.
Grimmig und widerwillig sagte er: »Du hast ja Recht. Aber bitte versprich mir, dass du mich sofort anrufst, wenn er dir zu nahe kommt.«
Diesmal zog sie die Brauen bewusst hoch.
Er lachte bewusst nicht.
»Wie, wenn er mir zu nahe kommt? Meinst du so wie du?«
Sein Schweigen deutete sie als ein Ja. Sein Herz raste. Die Vorstellung, dass er sie küsste, machte ihn wahnsinnig. War er bereits jetzt schon eifersüchtig?
»Hey, schau mich an«, bat sie leise.
Er blickte in dunkle warme Augen.
»Dazu gehören immer noch zwei. Außerdem bin ich nicht so leicht zu haben. Du müsstest es doch wissen.«
Er zog einen Mundwinkel hoch und ein kleines Lächeln machte sich breit. Er gab sich aber noch nicht zufrieden. Was ist, wenn sie sich nun doch in diesen Typen verliebte? Bei diesen Gedanken gaben seine Lachmuskeln wieder auf. Seine Lippen waren nur noch ein Strich. Julia wurde wütend.
»Oh man Kevin, es reicht doch, wenn Rose mir immer eine Szene macht. Ich bin es echt leid ständig meine Entscheidungen zu rechtfertigen. Außerdem geht dich das nichts an. Ich kann gut auf mich selber aufpassen.«
Stimmt! Er hatte überhaupt kein Recht dazu, ihr etwas vorzuschreiben. Wie auch? Schloss man Freundschaft innerhalb weniger Stunden? Nein! Wieso sollte sie ihm vertrauen? Schließlich hatte er das gemacht, was er Liam auch zutraute. Sie küssen. Der Gedanke ließ ihn wieder an Knochenbrüche denken. Das war nicht gut.
»Ich weiß auch nicht, warum ich mir Sorgen um dich mache«, sagte er starrköpfig.
Sie verdrehte die Augen und sagte bissig: »Weil jeder denkt... wie hat sie nur 32 Jahre überlebt?«
Sie verschränkte ihre Arme und blickte ihn angriffslustig an. Er wollte aber nicht mit ihr streiten. Er wollte sie lieber küssen. Er kratzte sich am Kopf. Das wäre kein guter Moment, dachte er grinsend. Sein Grinsen bewirkte bei ihr einen Waffenstillstand. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, öffnete Liam die Tür.
»Julia, ich störe euch ja ungern, aber mein Vater ist am Telefon und möchte dich sprechen.«
Er gab ihr das Smartphone.
Kevin war sich sicher, dass dieser Typ seinen Vater selber angerufen hatte um Hilfe von ihm zu bekommen. Warmduscher!
»Hallo Lord McDerby.«
......
»Ja ich weiß. Es ist sehr freundlich von Liam.«
Kevin verzog das Gesicht.
......
»Vielen Dank nochmals für ihre Gastfreundschaft.«
Kevin räusperte sich.
.....
»Oh.«
Kevin fand, dieses >Oh< gehörte nur ihm.
.....
»Natürlich bleibe ich hier bei Liam.«
Kevin ballte seine Fäuste.
.....
»Vielen Dank, ich werde es ihm ausrichten.«
Kevin musste sich beherrschen, seinen Fäusten keinen Befehl zu erteilen. Sie gab das Smartphone zurück und wich Kevins Blick aus.
Sie schaute zu Liam, der grinsend sagte: »Nun gut. Dann können wir ja deinen Koffer holen. Ich zeige dir dein Zimmer und dann können wir zusammen zu Abendessen, okay?«
Sie nickte und lief mit Kevin zur Eingangstür. Leise fragte sie Kevin: »Bleibst du noch zum Essen?«
Ihre Stimme zitterte. Dass er jetzt wegfuhr gefiel ihr nicht. Sie hatte keine Angst vor Liam, aber sie wäre gerne noch länger mit ihm zusammen geblieben; in seiner Nähe.
Wütend teilte er ihr mit: »Keine gute Idee. Ich kann ihn nicht ausstehen. Meine Beherrschung kann ich gerade noch 3 Minuten halten.«
»Oh!«, entfuhr es ihr.
Lächelnd drehte er sich um.
»Weißt du eigentlich wie gerne ich dein „oh“ höre?«
Sie kicherte leise: »Und weißt du, wie oft ich Rose damit schon zum Wahnsinn getrieben habe?«
Er überlegte kurz.
»Es ist einfach unglaublich!«
»Was?«
»Dass ich nach so kurzer Zeit dir tausend Dinge aufzählen könnte, die ich an dir mag.«
Er blickte zu ihr runter. Sie zu ihm auf. Sie standen sich dicht gegenüber und keiner wollte diesen Augenblick mit Worten stören.
Außer Liam!
Er stand plötzlich vor ihnen und fragte schroff: »Es ist wohl besser, wenn ich den Koffer hole?«
Kevin überlegte kurz, welchen Knochen er ihm noch nicht gebrochen hatte. Er wollte es nachholen und lief ihm hinterher. Julia hielt ihn jedoch fest und schaute ihn lächelnd an.
»Kevin... nicht!«, befahl sie schmunzelnd.
»Du willst immer noch hier bleiben?«, fragte er verständnislos und verdrehte die Augen.
Sie flüsterte: »Ja! Und ich verspreche dir, ich pass auf mich auf.«
Er hob seine Hand, die Innenfläche nach oben und forderte streng: »Gib mir bitte dein Smartphone!«
»Aber wieso?«, protestierte sie.
»Gib mir bitte dein Smartphone!«, wiederholte er ungeduldig.
Sie biss sich auf die Lippe und suchte ihr Smartphone.
»Da bitte!«
Sie legte es in seine offene Hand und schaute skeptisch.
»Was willst du damit?«
»Ich speichere dir meine Nummer ein. Ich kann in 30 Minuten hier sein.«
Sie nickte und sagte genervt: »Wenn es dich beruhigt.«
Er beugte sich leicht zu ihr runter, seine Lippen berührten ihr Ohr und flüsterte: »Ja. Eigenartigerweise beruhigt mich das.«
Sie wollte ihm in die Augen schauen und drehte ihren Kopf. Ihre Lippen streiften seine Wange, was zufolge hatte, dass er erneut das Verlangen spürte, sie zu küssen. Diese Frau brachte ihn in weniger als einer halben Sekunde außer Kontrolle. Wie kann das nur sein, dachte er. Wie macht sie das nur? Bevor er dafür eine Erklärung hatte, mischte sich wieder Liam ein. Er stellte sich genau vor ihnen und hob den Koffer ein wenig an.
»Julia? ...können wir?«
Kevins Stirn zog sich zusammen. Seine Augen waren kleine Schlitze. Julia spürte, dass er sauer wurde und sagte zu Liam, ohne jedoch den Blick von Kevin zu nehmen: »Ich komme gleich nach, Liam. Gibst du mir bitte noch einen Moment?«
»Okay. Bis gleich!«, sagte er provokant.
Kevin versuchte diese Stimme zu überhören und ihr fesselnder Blick half ihm dabei. Es kam ihm fast vor, als wenn sie ihn hypnotisieren wollte.
Das ist es, dachte er. So macht sie es also... sie hypnotisiert mich.
Das Lächeln, was sie ihm schenkte, ließ seinen Puls ansteigen.
»Ich freue mich schon auf morgen«, sie stockte kurz. »Wenn ich endlich das Team kennenlerne. Und wenn ich ihnen bei der Arbeit zuschauen kann.«
Etwas enttäuscht, dass nicht ER der Grund war, fragte er: »Soll ich dich morgen abholen?«
»Dann müsstest du aber sehr früh aufstehen?«
»Das macht mir nichts aus. Ich gehe mit Max immer früh durch den Wald. Also? Soll ich dich abholen?«
»Das wäre wirklich sehr nett von dir, Danke!«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Er umfasste ihre Taille und wollte sie an sich heranziehen. Doch sie löste sich sanft aus seiner Umarmung.
»Bis Morgen um 8:00h!«
Sie lief langsam rückwärts zur Tür und hielt Blickkontakt. Sie sah wie er übertrieben die Arme hängen ließ. Wie er seinen Kopf nach vorne sinken ließ. Laut stieß er seinen Atem aus. Sie musste grinsen. Besser hätte er seine Enttäuschung nicht zeigen können.
Bevor sie sich umdrehte rief sie: »Hey!«
Er schaute hoch. Sie zwinkerte ihm zu und sagte fröhlich: »Ich freue mich auch auf dich!«
Sein Mund verzog sich zu einem leichten Grinsen.
»Wie doll?«, fragte er erwartungsvoll.
Sie zeigte mit ihren Fingern eine Spanne von zwei Zentimeter.
»So wenig?«, rief er entrüstet.
Sie nickte. Mit einem umwerfenden Lächeln rief er ihr zu: »Okay, daran muss ich wohl noch arbeiten.«
»Du hast eine Woche!«, sagte sie lächelnd.
Dann ging sie ins Haus. Er lief zum Auto und stieg ein. Er fuhr nicht gleich los, sondern dachte an ihre letzten Worte. Eine Woche! Er nahm sich vor, jede freie Minute mit ihr zu verbringen. Er wollte sie noch besser kennenlernen. Vor allem wollte er, dass sie IHN besser kennenlernt. Er hatte ihr noch so viel zu sagen. Auch seinen Fragenkatalog hatte er noch nicht durch. Bei diesen Gedanken musste er grinsen. Er schaute noch einmal zur Tür, hinter der sie vor wenigen Augenblicken verschwand. Langsam kam Wut in ihm hoch. Warum hatte er sie nur gehen lassen? Er ließ den Motor an und fuhr langsam los. Dabei fiel ihm ein, was Julia über das Auto sagte.
»Man hört nichts, das Auto hat gar keinen Motor .«
Ein Lächeln breitete sich aus... schon wieder dachte er an sie. Wie sollte er nur diese Nacht überstehen?