Читать книгу Hamanyalas – Weisheiten des leichten Lebens - Ilona Friederici - Страница 8

AUF DEM HÜGEL

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Behutsam lenkte Leni ihren Kleinwagen aus der Garage und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Bloß kein Aufsehen erregen, nicht dass noch jemand sie fragte, wie es ihr gehe. Das wäre jetzt die Hölle für sie.

Während sie die Auffahrt hinunterrollte, kamen die Erinnerungen hoch. An die Zeit, als sie zusammen mit ihrem Mann das Haus geplant und gebaut hatte. An den Tag, an dem sie gemeinsam den Vorgarten gestaltet hatten. Wieder kamen ihr die Tränen. Leni stoppte kurz, wischte sie ab und fuhr dann gleich wieder los.

Wie automatisiert bog sie links auf die Straße ab und nahm den gewohnten Weg zur Arbeit – zunächst durch die Stadt und dann über eine Landstraße, die in den benachbarten Ort führte.

Ein paar Kilometer hinter der Ortsausfahrt registrierte sie plötzlich eine Weggabelung. Irritiert überlegte sie: Den Weg kenne ich ja noch gar nicht. Warum ist er mir bisher nie aufgefallen? Sie sah sich um, schaute in alle Richtungen, um sich zu vergewissern, dass sie sich auf der richtigen Straße befand. Ja, sie war auf der Straße, die sie seit mehr als sechs Jahren jeden Morgen und jeden Mittag auf dem Weg zur Arbeit und zurück befuhr. Sie wohnte schon so lange in dieser Gegend, aber diese Abzweigung war ihr noch nie aufgefallen. Verwirrt bremste sie vor der Gabelung leicht ab. Dann glitt ihr Blick zur Uhr.

Sie hatte, wie jeden Morgen, mehr als genug Zeit. Leni war immer gern rechtzeitig an ihrem Arbeitsplatz. Niemand sollte ihr je nachsagen können, dass sie auch nur ein einziges Mal zu spät gekommen sei. Es könnte ja unterwegs auch mal etwas passieren, was sie aufhalten würde.

Ohne groß über ihre Entscheidung nachzudenken, lenkte sie ihren Wagen an der Gabelung nach links, um herauszufinden, wohin der Weg führte. Kopfschüttelnd, weil sie sich absolut nicht an diesen Weg erinnerte, fuhr sie weiter. Die Straße wurde nach kurzer Zeit etwas schmaler und führte leicht bergauf an einem großen Rapsfeld und einer mit verschiedenen Blumen übersäten Wiese vorbei.

Schon nach kurzer Zeit bog der Weg noch einmal links ab und schlängelte sich den Hügel hinauf. Oben angekommen, befand sich auf der rechten Seite eine kleine Parkbucht. Leni entdeckte eine Holzbank sowie einen kleinen Grillplatz. Kurz entschlossen hielt sie den Wagen an, stieg aus und war verblüfft, was für einen schönen Ausblick man von hier über das Tal hatte. Warum hatte sie das nicht gewusst? Warum war sie bisher noch nie hier gewesen?

Der leichte Wind, die Sonne am strahlend blauen Himmel und das leise Rascheln der Blätter einer großen Kastanie am Ende der Parkbucht taten ihr gut. Sie atmete zwei Mal ganz tief durch.

Plötzlich sagte eine Stimme hinter ihr: »Guten Morgen, genießt du auch eine kleine Auszeit?«

Als Leni sich umdrehte, sah sie auf der Holzbank eine alte Frau sitzen. Wo kommt die denn auf einmal her?, fragte sie sich. Eben war die Bank doch noch leer gewesen, als Leni ihr Auto angehalten hatte. Aber das Lächeln der Frau war so freundlich und einladend, dass sie nicht unhöflich sein wollte. »Guten Morgen«, erwiderte sie. »Nein, ich weiß auch nicht, eigentlich bin ich auf dem Weg zur Arbeit und war gerade über mich selbst erstaunt, dass ich diesen schönen Platz gar nicht kenne. Und das, obwohl ich schon so lange in dieser Gegend lebe.« Sie sog noch einmal die frische Luft in sich ein. »Sie sind nicht von hier, oder?«, platzte es plötzlich aus ihr heraus, denn sie kannte die Frau nicht. Und sie kannte sonst fast jeden hier in der Umgebung, zumindest vom Sehen. Sie lebten ja schließlich auf dem Land. Dann registrierte sie neben der Frau einen auffälligen roten Rucksack, der irgendwie so gar nicht zu ihr passte, weil sie eher unauffällig gekleidet war. Leni ertappte sich dabei, für einen kleinen Moment in sich hineinzuschmunzeln.

»Ich komme öfter mal hierher, wenn dieser Ort mich braucht«, sagte die alte Frau. »Übrigens, ich heiße Samira.« Sie streckte Leni ihre rechte Hand entgegen und forderte sie mit einer einladenden Geste auf, sich neben sie zu setzen.

»Eh, oh, ja, ich bin Leni«, stotterte Leni und dachte: Was für ein komischer Tag heute! Sie nahm neben der Unbekannten Platz. »Ich weiß«, hörte sie diese sagen. Leni stutzte. Woher kennt sie mich?, überlegte sie. Sie war sich sicher, die alte Frau noch nie in ihrem Leben gesehen zu haben.

Dann schwiegen beide eine ganze Weile, während Leni die Augen schloss und die wärmende Sonne in ihrem Gesicht spürte. Plötzlich tauchte das Gesicht ihres Mannes vor ihrem geistigen Auge auf. Sie schluckte, und ohne das Gefühl von Traurigkeit aufhalten zu können, rannen ihr Tränen die Wange herunter. Eilig versuchte sie, sich zusammenzureißen, und wischte die Tränen mit einem Taschentuch fort.

»Das Leben ist nicht immer einfach, Leni, richtig?«

Leni horchte auf und wandte ihren Blick zu Samira. Obwohl sie diese Frau noch nie zuvor hier im Ort gesehen hatte, war sie ihr irgendwie vertraut. Sie konnte es sich nicht erklären, aber die grau–haarige Alte, deren Haut etwas dunkler war als ihre eigene, wirkte aufrichtig und vertrauenswürdig – warum auch immer. Leni nickte. »Und heute ist ein besonders schlimmer Tag«, rutschte es ihr heraus.

Samira blickte sie mitfühlend an, erwiderte aber zunächst nichts darauf. Sie lächelte ihr einfach nur zu.

Dann saßen die zwei wieder eine Weile still nebeneinander. Leni versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten, damit die Frau neben ihr nichts davon bemerkte. Aber es arbeitete in ihrem Kopf. Die vielen Fragen, die sie schon am vorigen Abend nicht losgelassen hatten, flogen nur so von links nach rechts und von rechts nach links: Niemandem kann ich es recht machen! Ich tue doch alles, was man von mir erwartet. Ich helfe jedem. Aber offenbar bin ich nicht gut genug. Was habe ich nur falsch gemacht? Sie konnte es noch immer nicht fassen, dass ihr Mann ihr das für sie Schlimmste – eine neue Liebe und die Trennung – offenbart hatte.

»Man kann es nicht allen Menschen recht machen!«, sagte plötzlich Samira neben ihr.

Ups, habe ich meine Gedanken gerade laut ausgesprochen?, schoss es Leni durch den Kopf. Nein, das hatte sie nicht. Aber warum hatte die alte Frau genau diese Worte gesagt? Irritiert schüttelte Leni den Kopf. Dieser Tag erschien ihr wirklich unheimlich. Sie hob ihren Blick, schaute in die mitfühlend wirkenden Augen der Grauhaarigen und wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit erwiderte sie: »Das möchte man aber doch!«

Samira lächelte erneut. »Ich würde gern einen kleinen Spaziergang über den Hügel machen. Hast du Lust, eine alte Frau wie mich zu begleiten? Ich könnte Gesellschaft gut gebrauchen.« Sie erhob sich von der Bank, setzte sich den roten Rucksack auf und deutete mit einer kurzen Bewegung an, dass sie losgehen wolle. Der Rucksack – er war tatsächlich knallrot – auf dem Rücken der Frau, das sah schon irgendwie lustig aus, dachte Leni. Als wäre sie ferngelenkt, stand sie ebenfalls auf. »Ja, gerne«, hörte sie sich sagen.

Einige Zeit folgten die beiden Frauen schweigend dem Pfad über den Hügel, bis sie zu einem angrenzenden kleinen Waldstück kamen. Warum kenne ich diesen Weg eigentlich nicht? Diese Frage kam Leni immer wieder in den Sinn. Genauso oft wurde die Vergangenheit gegenwärtig und sie dachte zurück an den vorangegangenen Abend und all die Jahre davor, die sie zusammen mit ihrem Mann verbracht hatte.

Aber dann traute sie sich doch auszusprechen, was ihr auf der Seele brannte: »Woher kennen Sie mich eigentlich?«

Ein Lächeln huschte über das Gesicht der alten Frau. »Ich kenne deinen Namen, ja. Doch wichtiger ist, wer du bist. Ich darf doch du sagen, oder?«

Jetzt war Leni noch mehr verwirrt. »Eh, ja, ja klar«, stotterte sie. »Das dürfen Sie, nein darfst du …« Sie zwang sich zur Ruhe. »Mir kommt das gerade alles so seltsam vor. Wer sind Sie?«

Obwohl Samira schmunzelte, fühlte Leni sich nicht ausgelacht. Im Gegenteil, sie spürte einen offenen, freundlichen Blick auf sich ruhen.

»Rede doch einfach ganz normal mit mir«, sagte Samira. »Dazu gehört auch das Du. Ich bin eine Freundin.«

»Trotzdem weiß ich nicht, wer Sie, eh, wer du bist und woher du mich kennst.«

Wieder lächelte Samira, und Leni konnte nicht anders, als zurückzulächeln.

»Ich sagte doch, ich bin Samira.«

Jetzt wurde Leni ein wenig verlegen. Was war das gerade für ein Gefühl, das sie überkam?

»Du fühlst dich unwohl?«, fragte Samira.

»Nein, nicht wirklich unwohl, eher verwirrt und seltsam. Das hier ist so ungewohnt. Irgendwas ist mit mir nicht in Ordnung. Erst das alles mit meinem Mann, und nun befinde ich mich hier mit einer fremden Frau an einem Ort, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Und das, obwohl ich schon so viele Jahre hier lebe.«

Samira lachte herzlich.

Bisher hatte Leni angenommen, die Frau sei im Rentenalter, aber jetzt, als sie lachte, schien sie ihr so jung und frisch, fast jugendlich.

»Wer bist du, Leni?«, fragte die Grauhaarige aus dem Lachen heraus.

Obwohl Leni die Frage völlig verblüffte, klang sie nicht aufdringlich oder plump. Die Art, wie Samira ihr dabei fest in die Augen schaute, war äußerst angenehm und fühlte sich so vertraut an. Im Geiste wiederholte Leni die Frage der Unbekannten: Wer bist du, Leni?

Ja, wer war sie eigentlich? Das war eine gute Frage.

Schweigend gingen sie eine ganze Weile weiter den Weg entlang. Die Stille war nicht unangenehm, sondern wirkte entspannend auf Leni. Samira strahlte eine ungewohnte Ruhe aus, die ihr guttat. Die Sonne schien durch Bäume und Büsche und Leni sog die frische Waldluft in sich ein. Sie fühlte, dass sie innerlich immer ruhiger wurde. Was lebe ich doch in einer schönen Gegend, dachte sie, als ihre Gedanken durch die Worte von Samira unterbrochen wurden.

»Viele Menschen kennen die Vorlieben, Wünsche und Träume ihrer Familie, die der Kinder, die der Eltern, die des Partners und vielleicht auch die der Freunde. Sie wissen, was deren Leidenschaft ist, was sie mögen, was sie lieben. Aber wenn man sie fragt, wer sie selbst sind, dann kennen sie ganz oft die Antwort nicht.«

Schweigen folgte, doch nun kam Leni ins Grübeln. Ja, wer war sie eigentlich? Für ihre Kinder war sie Mutter, für ihre Eltern, die sie oft um Hilfe und Unterstützung baten, war sie die Tochter. Sie war Ehefrau und Elternvertreterin in den Klassen ihrer Kinder. Das war es, was ihr im ersten Moment einfiel.

Leise sprach Samira weiter. »Es geht nicht immer nur um die Rollen, die man im Leben einnimmt. Es geht vielmehr darum, wer man selbst ist. Du selbst. Was macht dich aus? Was packt deine Leidenschaft? Was sind deine inneren Sehnsüchte?«

Wieder erschrak Leni. Woher weiß die Alte, was ich gedacht habe? Kann sie etwa meine Gedanken lesen? Oder habe ich gerade laut gesprochen und es nicht gemerkt? Werde ich langsam verrückt? Leni wusste nicht, wie ihr geschah. Das wurde ja immer unheimlicher hier.

Während sie weitergingen, lichtete sich der Wald und sie kamen auf einen schmalen Weg, der um eine große Rhododendronhecke herumführte. Ungewöhnlich, so ein Rhododendron am Wegesrand, dachte Leni und blieb kurz stehen.

Sie konnte Samiras Fragen gerade nicht beantworten, war irgendwie sprachlos, aber die Gedanken kreisten. Als sie zu der Grauhaarigen hinüberschaute, registrierte sie, dass diese auch gar nicht auf ihre Antwort wartete. Sie schien in sich zu ruhen. Wirkte so ausgeglichen und in sich gekehrt. Sie schenkte ihr nur ein kleines Lächeln, das Leni sofort erwiderte. Immer noch schweigend gingen sie weiter.

Was war das nur für ein merkwürdiger Tag? Leni lief hier mit einer alten Frau, die sie nicht kannte, durch den Wald, fühlte sich dabei aber nicht unwohl. Ganz im Gegenteil, es tat ihr gut, in der Natur und in ihrer augenblicklichen Situation nicht allein zu sein. Doch trotz der Ruhe, die sich in ihr ausbreitete, wollten die Plagegeister in ihrem Inneren keine Ruhe geben. Immer wieder schossen ihr Fragen durch den Kopf, auf die sie keine Antworten wusste.

Zeitweise hatte Leni Schwierigkeiten, Samira zu folgen, vielleicht weil sie oft stehen blieb, um die Landschaft und die friedliche Stille zu genießen, oder weil die alte Frau trotz ihres vermuteten Alters ziemlich flott auf den Beinen war. Samiras Schritte machten einen leichten und federnden, fast schon beschwingten Eindruck. Sie ging nicht wie eine alte Frau. Es kam Leni vor, als wäre Samira beim Gehen mit vollem Herzen dabei, ganz ins Gehen vertieft.

Der Ort war wunderschön und die friedliche Ruhe hatte etwas Magisches an sich. Außer dem leisen Zwitschern einiger Vögel waren keine Geräusche zu hören.

Plötzlich wurde die Sicht weit und erlaubte einen Blick über einen großen Teil des Tals. Sie mussten sich auf der anderen Seite des Hügels befinden. Leni nahm sich vor, bald mal wieder hierherzukommen. Die Sonne lachte immer noch hell und warf leichte Schatten. Es war irgendwie ein schöner Ausblick.

»Lass uns hier eine Pause machen, Leni. Dort drüben auf der rustikalen Holzbank. Sie lädt geradezu zu einer Rast ein. Und eine alte Frau, wie ich sie bin, sollte sich ja nicht überanstrengen.« Samira lenkte ihre Schritte in Richtung Bank und setzte sich.

Leni, die ihr wortlos gefolgt war, nahm neben ihr Platz. Die wärmende Sonne auf ihrem Gesicht, schloss sie für einen Moment die Augen und dachte zum wiederholten Mal: Wie schön es hier ist!

Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, dass jetzt ihre Begleiterin die Augen geschlossen hatte und ganz in sich gekehrt wirkte. Schlief sie womöglich? Liebend gern hätte sie ihr noch so viele Fragen gestellt, doch nun hielt sie es für angebracht, Samira in Ruhe zu lassen.

So saßen sie einige Zeit still auf der Bank, bis Samira ihre Augen wieder öffnete und in ihrem Rucksack kramte. Nachdem sie zwei Brote und zwei Birnenhälften herausgenommen hatte, hielt sie Leni, ohne ein Wort zu sagen, eines der Brote und eine Birnenhälfte hin.

Leni spürte, dass die alte Frau jetzt nicht reden wollte. Deshalb nickte sie nur zum Dank, nahm das Angebotene, lehnte sich wieder zurück und aß in Ruhe das Stück Birne. Nachdem sie am Morgen keinen Appetit gehabt hatte und ohne Frühstück aus dem Haus gegangen war, genoss sie jetzt das saftige Obst.

Sie versuchte, ein Gespräch anzufangen, merkte aber sofort, dass Samira ihr nicht zuhörte. Sie schien ganz auf ihr Brot konzentriert zu sein. Also verstummte Leni und widmete sich ebenfalls ihrem Essen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit sagte Samira: »Ich sitze, wenn ich sitze; ich esse, wenn ich esse; ich gehe, wenn ich gehe, und ich stehe, wenn ich stehe.« Wieder lehnte sie sich zurück.

Ja, so kam es Leni auch vor. Samira schien bei allem, was sie tat, hundertprozentig dabei zu sein und sich von nichts und niemandem ablenken zu lassen. Wie es schien, war sie die ganze Zeit über im Hier und Jetzt. Mit einem tiefen Blick in ihre Augen fing Samira dann doch wieder an zu sprechen: »Du erinnerst dich an meine Frage von vorhin? Du hast sie noch gar nicht beantwortet. Die Frage lautete: Wer bist du?« Ihr Blick war warm und mitfühlend.

Leni musste noch ein wenig über diese Frage nachdenken. Wusste sie überhaupt, wer sie war? Hatte sie sich jemals Gedanken über ihre eigenen Wünsche und Träume gemacht? Ja, jetzt erinnerte sie sich: Ein paarmal hatte sie daran gedacht, wie schön es wäre, wenn sie Klavier spielen könnte. Den Gedanken hatte sie jedes Mal aber auch schnell wieder verworfen. Dafür war bisher einfach keine Zeit und kein Geld da gewesen. Sie hatte auch schon mal darüber nachgedacht, Spanisch zu lernen. Sie liebte den Klang dieser Sprache, hatte sich aber noch nie richtig damit auseinandergesetzt. Dafür wusste sie, wie Samira vorhin angedeutet hatte, sehr genau, was ihre Kinder und ihr Mann liebten.

Sie blieb noch eine ganze Weile stumm auf der Bank sitzen und ließ diese Gedanken auf sich wirken, während Samira sie, ebenfalls ohne ein Wort zu sagen, einfach nur liebevoll ansah.

Schließlich sagte Samira: »Dort, wo ich herkomme, gibt es die zehn Hölzer, die das Feuer des Glücks entfachen. Sie symbolisieren die zehn Dinge, die wichtig sind, um glücklich zu sein. Es sind die Hamanyalas. Wenn es dich interessiert, erzähle ich dir gern von ihnen. Ansonsten geht es hier gleich rechts den schmalen Pfad entlang zu deinem Auto. Du kannst den Weg nicht verfehlen.«

Leni musste nicht lange überlegen. Sie wollte mehr über diese Frau wissen, die ihr zwar irgendwie eigenartig vorkam, die etwas unheimlich war, gegenüber der sie aber ein so warmherziges Gefühl verspürte. Ihr war klar, dass es falsch wäre, jetzt zu gehen. »Ja, gerne!«, sagte sie daher und lächelte.

Also begann Samira zu erzählen: »Das erste Hamanyala sagt dir: Lerne deine Leidenschaften, Sehnsüchte und Träume kennen, denn diese führen dich auf den Weg zu dir selbst. Spüre in dich hinein und schaue, wobei dein Herz aufgeregt höher schlägt. Wobei verlierst du dich in Raum und Zeit? Was zaubert ganz automatisch ein Lächeln in dein Gesicht, wenn du es tust, siehst oder erlebst?« Sie hielt kurz inne. »Aber nun muss sich die alte Frau ein wenig ausruhen. Geh doch für eine Weile über die Wiese da vorne und genieße die bunten Schmetterlinge, die sich auf die verschiedenen kleinen Blüten setzen. Wir sprechen dann etwas später weiter.«

Leni konnte zwar kein Anzeichen von Müdigkeit in Samiras Gesicht erkennen, aber sie wollte auch nicht unhöflich sein und machte sich deshalb auf, um ein paar Schritte über die Wiese zu gehen. Dabei lauschte sie dem Zwitschern der Vögel und dem Summen der Libellen.

Hamanyalas – Weisheiten des leichten Lebens

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