Читать книгу Funkelsee – Im Tal der verlorenen Pferde (Band 5) - Ina Krabbe - Страница 6

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3. Kapitel

Malu ließ sich in den weich gepolsterten Sitz am Fenster fallen. Inzwischen war ihr vor lauter Aufregung schon rich­tig übel. Vincent versuchte sie mit dem Hinweis zu be­­ruhigen, dass es hier Kotztüten gab, die sie zur Not be­­nutzen könnte. Alter Angeber. Da machte er einen auf cool, als ob er schon tausend Mal geflogen wäre. Für Malu je­den­f­­­alls war es der allererste Flug überhaupt und dann gleich bis nach Spanien.

Das Gestüt von Lenkas Stiefvater lag ziemlich einsam mitten in Zentralspanien, einziger Ort in der Nähe war ein Dörfchen namens Portocento. Porto bedeutete zwar Hafen, aber den gab es dort ganz bestimmt nicht – zu Leas großem Leidwesen war das Meer nämlich Hunderte von Kilometern entfernt. Aber dafür gab es ja einen türkisen Pool – denn auch wenn ihre Freundin nicht gern ins Wasser sprang, liebte sie es, am Pool zu chillen.

Sie hatten drei Sitzplätze nebeneinander. In der Mitte saß Lea, die schon so oft mit ihrer Mutter geflogen war, dass es nichts Besonderes mehr für sie war.

Rebekka und Gesine hatten sie zum Flughafen gebracht und Malu noch nervöser gemacht, als sie ohnehin schon war. Tausendmal hatte ihre Mutter gesagt, dass sie genug trinken solle und dass sie nicht vergessen durfte anzurufen, wenn sie angekommen waren. Gesine vergewisserte sich mindestens fünfmal, dass Malu und Lea auch wieder rechtzeitig zuhause sein würden, um mit ihr zu den Filmaufnahmen zu fahren. Da wollte sie auf keinen Fall alleine hin. Schließlich hatte Lea ihr die ganze Geschichte eingebrockt. Aber da brauchte sie keine Angst zu haben, Malu und Lea wollten das natürlich um keinen Preis der Welt verpassen.

Endlich rollte das Flugzeug auf die Startpiste. Es wurde schneller und schneller und als es abhob, sackte Malus Ma­­gen bis unter den Sitz.

»Du kannst mich jetzt loslassen«, sagte Lea, als sie die Flughöhe erreicht und der Druck im Flugzeug sich normalisiert hatte.

»Oh, sorry.« Malu zog ihre Hand weg und Lea rieb ihren roten Arm.

»Als Freundin muss man eben manchmal leiden, kein Problem.«

Vincent verdrehte die Augen und stopfte sich seine Kopf­­hörer in die Ohren, um sich dann in sein Handy zu ver­­tiefen.

Malu blickte fasziniert aus dem Fenster. Sie konnte gar nicht genug von diesem Anblick bekommen, von den Stra­ßen, Häusern und Bäumen, die von hier oben wie eine Spiel­­zeuglandschaft aussahen. Dann tauchte das Flugzeug durch eine Wolke und schwebte bald darauf über einer dicken weißen Watteschicht.

Lea räusperte sich laut neben ihr und als Malu sie mit glasigen Augen anblickte, sah sie ein aufwändig verschnürtes Päckchen in ihrer Hand.

»Tusch, tata«, trällerte Lea und reichte ihr das Paket. »Das – ist für dich.«

»Echt? Hab ich Geburtstag?«

»Nein, ich glaube nicht.« Lea grinste. »Aber ich schenk dir trotzdem was. Einfach weil du meine beste Freundin bist und ich ein so ausgesprochen netter, einfühlsamer Mensch.«

»Das Erste stimmt, aber das Zweite ...?«, lachte Malu und begann das Paket auszuwickeln.

Wenig später hielt sie eine schwarze Kappe in der Hand, auf der in goldenem Glitter Leas Logo prangte – ein L mit Punkt (Jetzt wusste sie ja zum Glück, was es bedeutete). Gerührt drehte sie die Kappe hin und her. »Die sieht super aus, Lea, danke.«

»Ja, find ich auch.« Lea beugte sich vor und zog aus ihrer Tasche ein zweite identische Kappe hervor. »BFF-Look!«, sagte sie grinsend und lehnte sich zurück. »Ich glaube, das mit mir und der Mode, das wird was.«

»Ganz bestimmt«, bekräftigte Malu und setzte ihr Käppi auf. Egal, was sie in Spanien erwartete, mit Lea würde sie alles meistern, das war so was von klar.

In der Flughafenhalle war es heiß und stickig, obwohl bestimmt eine Klimaanlage lief. Jede Menge Menschen drängten sich geschäftig an ihnen vorbei und Malu konnte die unterschiedlichsten Gerüche wahrnehmen, von Schweiß bis Käsebrötchen war so ziemlich alles dabei.

»Wir müssen erst mal unsere Koffer holen«, erklärte Lea und steuerte zielstrebig durch die Menschenmenge zu einem Transportband, das sich unablässig drehte und auf dem Unmengen von Reisetaschen und Koffern standen. Immer wieder schnappte jemand freudig zu, wenn er sein eigenes Gepäckstück entdeckte.

Sie hatten schon eine halbe Stunde gewartet, da trudelte Vincents Tasche vorbei. Wenig später der schwarze Koffer von Lea, dann der rote Koffer von Lea und schließlich Leas überdimensionale Reisetasche.

»Ich bin eben gerne auf alles vorbereitet«, erklärte Lea, als sie Vincents schrägen Blick bemerkte, der seine Reisetasche locker in der Hand hielt.

Zuletzt wuchtete Malu ihre eigene Tasche vom Band. In der Zwischenzeit hatte Lea einen Wagen besorgt, auf den sie ihr Gepäck stapeln konnten. So schoben sie sich langsam Richtung Ausgang durch die herumwuselnden Menschen, die in den unterschiedlichsten Sprachen redeten, die Malu alle nicht verstand. Sie hielt sich eng an Vincent und Lea, auf keinen Fall wollte sie plötzlich alleine in der Halle stehen. Trotzdem musste sie jetzt als Erstes ganz dringend auf Toilette. Die würde hier ja wohl irgendwo zu finden sein.

Endlich kamen sie an einem Schild vorbei, auf dem zwei Strichmännchen und ein Rollstuhl abgebildet waren. Wie gut, dass die Toilettenzeichen überall ähnlich aussahen.

»Ich geh mal eben aufs Klo«, sagte sie zu Lea und Vin­cent.

»Beeil dich, Gabriella und Lenka warten bestimmt schon auf uns.« Vincent parkte den Gepäckwagen nah an der Wand, damit er nicht im Weg stand.

Malu lief den kahlen Gang entlang bis zur Frauentoilette. Gerade wollte sie in der Tür verschwinden, da packte sie plötzlich eine Hand und zog sie zurück. Sie wirbelte herum und starrte in die kleinen Augen eines sehr alten Mannes. Sein ganzes Gesicht war unglaublich verschrumpelt und in der Mitte prangte eine große Hakennase. Trotz des Alters steckte noch eine Menge Kraft in ihm, mit seinen krallenartigen Händen umklammerte er Malus Oberarme. Malu war ganz starr vor Schreck, nur ihre Augen jagten hektisch hin und her, ob von irgendwoher Hilfe zu erwarten war.

Dann plapperte der Mann mit rauer Stimme auf sie ein. Worte zischten auf sie nieder und Spucketröpfchen landeten in ihrem Gesicht. Sie verstand kein Wort, Panik stieg in ihr hoch.

Endlich konnte Malu wieder reagieren. »Lassen Sie mich los!«, schrie sie und versuchte sich aus dem Klammergriff zu winden. »Verdammt, was soll das?! Was wollen Sie von mir?«

Erneut ergoss sich ein Schwall spanischer Worte über Malu. Fauliger Atem quoll dabei aus dem fast zahnlosen Mund. Ein heftiger Würgreiz erfasste Malu. Ihre Oberarme schmerzten.

»He, lassen Sie das Mädchen los!« Erleichtert vernahm Malu Vincents Stimme, Turnschuhe quietschten auf dem polierten Boden.

Endlich lockerte der Alte seinen Griff und blickte sich verwirrt um. Den Moment nutzte Malu und riss sich los. Plötzlich wimmelte es von Leuten um sie herum, die den Tumult bemerkt hatten. Auch zwei uniformierte Männer erschienen und alle redeten wild durcheinander. Da Malu sowieso kein Wort von dem verstand, was da gesprochen wurde, konnte sie sich darauf konzentrieren sich wieder zu beruhigen. Ihre Knie waren ganz wackelig, am liebsten hätte sie sich in eine Ecke gesetzt und geheult. Zum Glück konnte Vincent ein bisschen Spanisch, sodass er das Reden übernahm. Einer der Polizisten erklärte ihm gerade etwas und wedelte dabei wild mit der Hand vor dem Gesicht.

»Sie fragen, ob du den Mann anzeigen willst«, übersetzte Vincent. »Der Alte ist hier wohl schon bekannt, er ist ein bisschen verrückt, aber harmlos. Sagt der Wachmann jedenfalls.«

Malu schüttelte den Kopf. »Nein, lass uns lieber schnell verschwinden. Lenkas Mutter steht doch bestimmt schon vorm Flughafen.« Sie wollte nur weg von hier!

Vincent nickte und erklärte das den uniformierten Männern, die daraufhin beide ganz erleichtert aussahen.

Malu musterte den Alten, der jetzt, wo er zwischen den beiden Wachleuten stand, wirklich harmlos wirkte. Doch als ihre Blicke sich trafen, verdunkelten sich seine Augen und er spuckte ihr erneut drohend klingende Worte entgegen. Die Uniformierten konnten den Mann gerade noch festhalten, sonst hätte er sich erneut auf Malu gestürzt. Entsetzt drehte sie sich um und rannte mit zitternden Beinen zurück in die Flughafenhalle.

Lea saß ganz oben auf dem Kofferwagen und ließ die Beine baumeln, dabei wischte sie gelangweilt auf ihrem Smart­phone herum. Als sie Malu und Vincent kommen sah, stöhnte sie theatralisch. »Wo bleibt ihr denn? Das hat ja Stunden gedauert.« Doch als sie Malus bleiches Gesicht sah, stutzte sie. »Ist was passiert?«

»Erzähl ich dir gleich«, sagte Malu. »Lass uns erst mal von hier abhauen.«

Sie schoben den schweren Wagen durch die Menge und erreichten endlich den Ausgang. Die große Glastür schob sich in der Mitte auseinander und heiße, trockene Luft schlug ihnen entgegen.

»Hola, Spanien, wir kommen!«, rief Vincent und breitete die Arme aus.

Malu lächelte. In Anbetracht von Sonne und blauem Him­­­mel verschwand ihre düstere Stimmung allmählich wieder. Das war eben nur ein verrückter alter Mann gewesen und sie hatte einfach Pech gehabt, dass sie ihm vor die Füße gelaufen war. Das war’s. Kein Grund sich die Ur­­laubs­laune verderben zu lassen.

Sie zockelten mit dem Gepäckwagen an den verabredeten Treffpunkt und machten es sich auf Koffern und Taschen gemütlich.

»So, jetzt raus mit der Sprache«, verlangte Lea. »Was war da vorhin auf der Toilette los?«

Das Wort Toilette erinnerte Malu daran, dass sie da gar nicht gewesen war und eigentlich dringend mal musste. Aber in das Flughafengebäude würde sie auf keinen Fall zurückgehen, da würde sie lieber hinter einen Busch pinkeln! Sie erzählte Lea von dem alten Mann und Vincent von seinem Gespräch mit den Wachleuten.

»Hast du eigentlich verstanden, was der Alte gesagt hat?«, fragte Malu.

»Ein bisschen. Wirres Zeug, von einem Zeichen irgendeiner Bestie und dass sie dich holen wird. Und irgendwas von einem Tal und von verlorenen Seelen oder Pferden und dass du ein Opfer bringen musst.« Er blickte Malu schräg von der Seite an, dann riss er die Augen auf. »Oh Gott, ja, jetzt seh ich es auch. Du bist gezeichnet«, rief er und hielt schützend die Hände vor sich. »Weiche von mir!«

Malu versetzte ihm einen so heftigen Schubs, dass er vom Wagen rutschte. »Nicht witzig!«, grummelte sie, muss­­te aber trotzdem grinsen.

»Verlorene Seelen.« Lea schüttelte sich. »Da kann der Urlaub ja nur noch besser werden.«

Malu legte sich rücklings auf den Koffer und schloss die Augen. »Da hast du wohl recht.«

Dann warteten sie. Als nach einer Stunde weder Lenka noch Gabriella aufgetaucht war, wurden sie langsam unruhig. Die würden sie ja wohl nicht vergessen haben? Wohl kaum, Arno hatte schließlich selbst die Tickets besorgt.

Und wenn das doch alles eine Art Racheplan von Lenka war? Ein ungutes Gefühl machte sich in Malu breit. Viel­leicht wurde der Urlaub doch nicht zwangsläufig besser, sondern die Verwünschungen des Alten waren nur der An­­fang gewesen.

Funkelsee – Im Tal der verlorenen Pferde (Band 5)

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