Читать книгу Funkelsee – Der Ruf der wilden Pferde (Band 4) - Ina Krabbe - Страница 6

Оглавление

3. Kapitel

Stocksteif saß Malu im Bett und lauschte. Und dann hörte sie es wieder – eine Mischung aus Quietschen und Heulen, wie von einem gequälten Tier, weit entfernt, aber doch klar und deutlich. Malu sprang aus dem Bett, mit drei Schritten war sie am Fenster und versuchte auszumachen, woher diese grauenhaften Schreie kamen. Ob etwas mit den Pfer­den war? Wie ein dickes Tau legte sich die Angst um ihre Brust. Doch im nächsten Moment war ihr klar, dass die Geräusche von viel weiter weg kamen, dass sie über den See zu ihr herübergetragen wurden. Die Schreie kamen von der Pferde­insel!

Malus erster Gedanke war, zu ihrer Mutter zu rennen, aber dann fiel ihr ein, dass Rebekka im Moment gänzlich andere Prioritäten hatte. Edgar! Ihr Bruder hatte die Schreie bestimmt auch gehört.

Schon stürzte sie auf den Flur und die Treppe hoch in das Zimmer ihres Bruders. Hier war es noch stickiger als bei ihr. Unsanft rüttelte sie Edgar an der Schulter.

»Wach auf! Los, komm schon!«

Mühsam öffnete ihr Bruder die Augen und starrte Malu an, als sei sie ein Geist. Aber als sie ihm hastig von den schrecklichen Geräuschen auf der Insel erzählte, war Edgar sofort hellwach und gemeinsam lauschten sie in die Nacht.

Nichts!

Die Minuten zogen sich wie Kaugummi.

Stille. Selbst die Grillen waren hier oben kaum zu hören.

Schließlich gähnte Edgar laut. »Du hast wahrscheinlich schlecht geträumt, Schwesterchen«, sagte er und ließ sich wieder ins Bett fallen.

Malu schlang die Arme um ihren Körper. Sie schauderte, als sie an die gruseligen Geräusche dachte. Nein, das hatte sie sich ganz bestimmt nicht eingebildet!

Edgar war schon wieder im Halbschlaf, als sie leise seine Tür schloss und zurück in ihr Zimmer ging. Aber Malu blieb wach, ihre Gedanken kreisten immerzu um die Frage, was es mit diesem Kreischen auf sich hatte. Hoffentlich war mit den Pferden auf der Insel alles in Ordnung. Sollte sie der Horapez morgen davon erzählen? Andererseits hatte sie doch zwei Angestellte auf der Insel, die sich um die Pfer­de­­herde kümmerten. Die mussten das Heulen ja auch ge­­hört haben. Was aber, wenn die selber etwas damit zu tun hat­­ten? Schließlich fiel Malu doch noch in einen unruhigen Schlaf.

Der Wecker klingelte am Sonntagmorgen schon um sieben Uhr, denn Malu hatte heute Vormittag Dienst am Empfangstresen. Mühsam quälte sie sich aus dem Bett. Sie fühlte sich nicht gerade ausgeruht, sondern vielmehr als wäre sie einen Marathon gelaufen. Sofort fielen ihr diese schrecklichen Schreie von der Insel wieder ein. Wirklich gruselig! Sie verspürte plötzlich das dringende Bedürfnis nach Papilopulus, Schneechen und den anderen zu sehen.

Wenn sie sich beeilte, konnte sie vielleicht noch einen kleinen Abstecher zu ihren Pferden machen, bevor sie die Empfangsdame spielen musste. In Windeseile putzte sie sich die Zähne, zog Jeans und T-Shirt über und flitzte die Treppe herunter.

Als sie in ihre Wohnküche kam und den kritischen Blick ihrer Mutter sah, war klar, dass irgendetwas nicht stimmte.

»Du weißt schon, dass du heute Morgen den Empfang übernehmen sollst, oder?«, fragte ihre Mutter. »Ich muss ja gleich weg.« Rebekka hätte die Gäste lieber selbst begrüßt, aber sie hatte Gesine versprochen, sie auf eine Beerdigung zu be­­glei­­ten. So mussten Malu und Edgar heute Vormittag alleine zurecht­kommen.

»Woher sollte ich das wissen, du hast es mir ja erst zwan­­zig­­­mal gesagt.« Malu griff nach einem Brötchen und schnitt es auf.

»Aber doch nicht so!« Ihre Mutter betrachtete missbilligend Malus Outfit.

»Was ist denn an Jeans und T-Shirt auszusetzen? Ich laufe doch immer so rum«, sagte Malu mit einem leicht ge­nervten Unterton. »Oder hast du vielleicht auch noch eine Uniform für mich?!«

»Keine schlechte Idee«, überlegte Rebekka. »Aber fürs Erste reicht eine saubere Hose und eine Bluse. Die findest du bestimmt noch irgendwo in deinem Schrank.«

Malu nickte ergeben und biss in ihr Brötchen.

»Hast du auch diese schrecklichen Geräusche heute Nacht von der Insel gehört?«, fragte sie.

»Was für Geräusche?« Rebekka schüttelte den Kopf.

In diesem Moment kam Edgar in die Küche. »Malu hat schlecht geträumt«, sagte er und plumpste vor ihr auf den Stuhl.

»Kein Wunder bei der Hitze.« Rebekka öffnete die Spül­maschine und begann das saubere Geschirr auszuräumen. »Es hat sich ja kaum abgekühlt heute Nacht.«

Malu merkte, wie sich ein dicker, heißer Klumpen Wut in ihrem Magen bildete. »Ich habe nicht geträumt! Es war echt gruselig. Vielleicht hat jemand den Pferden auf der Insel etwas angetan!« Ihre Stimme überschlug sich. »Aber hier interessiert ja niemanden mehr etwas, außer das blöde Hotel!«

Rebekka sah ihre Tochter entgeistert an. »Jetzt ist aber Schluss, Malu. Wenn Pferde irgendwo in Sicherheit sind, dann ja wohl auf der Insel. Außerdem sind noch zwei Männer zur Aufsicht mit dort. Vielleicht hast du das ja wirklich geträumt.«

»Hab ich nicht!«, zischte Malu. »Ich finde, du solltest es dieser Frau Horapez sagen, dann könnte sie wenigstens mal nachsehen, ob es ihren Pferden gut geht. Ich würde auch mitfahren«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.

»Das glaube ich dir gerne«, lachte ihre Mutter. »Aber du hast heute Vormittag etwas anderes zu tun und Señora Horapez sollten wir mit diesen Gespenstergeschichten nicht belästigen.«

»Pedro hat mir erzählt, dass in zwei Tagen noch mehr Pferde zur Insel gebracht werden und zwar nachts! Ich glaube, die Señora hat Angst davor ausspioniert zu werden«, sagte Edgar und schüttete sich eine Riesenportion Müsli in die Schüssel. »Die kommen direkt von diesem Gestüt in Jordanien. Megawertvolle Tiere. Wenn die so schön sind, wie die schwarze Stute, die Señora Horapez bei uns im Stall hat ...« Ihr Bruder pfiff leise durch die Zähne.

»Ich finde dieses ganze Getue, dass niemand die Pferde sehen darf, ziemlich albern«, erklärte Malu. »Was soll das überhaupt? Man kann denen ja nichts weggucken. Warum versteckt sie die auf der Insel?«

Ihr Bruder sah sie so begeistert an, als würden die Pferde ihm gehören. »Señora Horapez will mit den Arabern auf der Insel Rennpferde züchten und es sollen die schönsten und schnellsten Fohlen der Welt werden. Wahrscheinlich geht es da einfach um wahnsinnig viel Geld und niemand soll sehen, mit welchen Pferden sie züchtet.«

»Trotzdem albern. Aber diese Geräusche von der Insel, die waren nicht albern, sondern einfach schrecklich!«

»Vielleicht hast du auch eine Eule gehört, deren Schreie klingen auch ganz schön gruselig«, sagte Rebekka be­stimmt und damit war das Thema für sie endgültig beendet.

Eine Stunde später stand Malu hinter dem Empfangs-­tresen in der Schlosshalle. Sie hatte tatsächlich noch eine schwarze Bluse in der hintersten Ecke ihres Klei­der­­­schrankes gefunden. Leider hatte die ein grässliches beiges Blumen­­muster, aber für einen Tag würde es wohl gehen. Die Bluse hatte sie letztes Jahr zur Beerdigung von Sybill von Funkelfeld getragen. Seitdem war sie zwar gewachsen und die Ärmel waren viel zu kurz, aber die hatte sie kurzerhand hochgekrempelt.

Unglaublich, dass das erst in den letzten Sommerferien gewesen war. Mit dem Tod von Sybill hatte sich ihr Leben komplett umgekrempelt und jetzt stand sie hier am Empfang eines Pferdehotels. Sie seufzte. Eigentlich hatte sie allen Grund zufrieden zu sein. Warum nur war sie in letzter Zeit trotzdem ständig schlecht gelaunt?! Laut Rebekka war das ganz klar: Hormone. (Also konnte sie ja gar nichts dafür!)

Gedankenverloren wischte Malu über die matt schimmernde Holzplatte des Tresens. Dann wanderte ihr Blick hoch zu dem Portrait des alten Barons, das nach der Reno­vierung wieder in die Halle zurückgekehrt war. Gesine war sich sicher, dass ihr menschenscheuer Vater es nicht gut­geheißen hätte, dass sein Schloss in ein Hotel umgewandelt worden war. Andererseits hatte der Baron keinerlei Ver­­mögen hinterlassen, mit dem der Betrieb des Schlosses auf­rechterhalten werden konnte, und ihre Großtante war der Ansicht, dass man neue Wege gehen musste und nicht immer im Alten verharren sollte. Aus ihrer Hosentasche dudelte Musik: HEY GIRL, LET ME KNOW. Schnell zog sie es heraus, um Leas Nachricht zu lesen.

Lea:

Wir fahren gerade los. Wo bist du?

Malu:

Bei der Arbeit. Da kannst du dich gleich nützlich machen

HEY GIRL, LET ME KNOW - Lea:

Beim Ausmisten bin ich raus!!!! Wenn du nichts anderes für mich zu tun hast, dreh ich gleich wieder um.

Malu:

Empfangsdame im Hotel?

HEY GIRL, LET ME KNOW - Lea:

Schon eher. Erwartet ihr denn ein paar Promis???

Malu:

Wohl nicht.

HEY GIRL, LET ME KNOW - Lea:

Menno!!! Kein Glitzer, Glamour, Paparazzo??? Nur Stallgeruch? Puh!!!

Ein Auto fuhr auf den Schlossplatz.

Malu:

Muss Schluss machen. Kundschaft.

Jetzt war Malu doch ein bisschen nervös. Edgar hätte doch auch prima den Empfangschef geben können. Hallo, ich bin Edgar von Funkelfeld, äffte sie ihn lautlos nach. Aber ihr Bruder musste beim Ausladen der Pferde helfen (hätte sie viel lieber gemacht!).

HEY GIRL, LET ME KNOW - Lea:

Wir sind in der Kastanienallee ...

Malu stellte ihr Handy auf lautlos und schob es unter die erhöhte Holzumrandung, damit es von der Gästeseite aus nicht zu sehen war. Wo blieben die denn nur? Geschäftig sortierte sie Papiere von der einen Seite des Tresens auf die andere.

Leises Surren - Lea:

Ganz schön was los bei euch auf dem Schlossplatz.

Malu grinste. Es war so schön, dass Lea kam. Die nächsten zwei Wochen waren auf jeden Fall gerettet.

Leises Surren - Lea:

Bin da!

Die große Holztür öffnete sich und ihre Freundin stürmte herein. Als sie vor Malu stand, riss sie ihre riesige Sonnen­brille herunter und lehnte sich über den Tresen. »Weißt du, wer da draußen steht?«, fragte sie ganz außer Atem.

»Äh ... Moment ...« Malu blätterte schnell im Empfangs­buch. »Thorwald und Jelena Kampari.«

Lea tippte sich an die Stirn. »Klar, Kampari, von wegen. Das ist doch nicht deren richtiger Name, die sind inkognito hier!«

»Wer soll das denn –«

Die Tür öffnete sich erneut und Edgar trat in die Halle. Hinter ihm folgten ein Mann und eine Frau, beide mit dunklen Sonnenbrillen und jeweils einer schwarzen Reisetasche in der Hand. Der Mann hatte kurze, dunkle Haare, einen ordentlich gestutzten Bart und wirkte ziemlich muskulös. Die Frau hatte ihre langen hellblonden Haare zu einem Dutt zusammengezwirbelt, sie war groß und schmal und schien ebenfalls ziemlich durchtrainiert zu sein. Die beiden sahen ein bisschen so aus, als ob sie einem Fitnessmagazin entsprungen wären.

Lea war um den Tresen herum zu Malu gegangen und zupfte ihrer Freundin von hinten an der Bluse. »Siehst du?«, zischte sie. »Erkennst du sie?«

Malu versuchte ihre Freundin zu ignorieren und sich auf ihren Job zu konzentrieren. »Herr und Frau Kampari? Herzlich willkommen bei uns im Reit­hotel Funkelfeld.« Sie lächelte das Ehepaar so freundlich an, wie man es eben kann, wenn einem die beste Freundin gerade ins Ohr quietscht.

Frau Kampari stellte ihre Tasche ab und schob die Son­nen­­brille auf die Stirn. »Hallo, das ist ja wunderbar kühl hier bei Ihnen.«

Malu musste sich ein Grinsen verkneifen. Sie war noch nie von jemandem gesiezt worden.

»Hoffentlich sind die Zimmer genauso angenehm tempe­riert«, ließ sich Herr Kamparis dunkle Stimme vernehmen.

»Na ja, leider ist es in den oberen Stockwerken schon etwas wärmer.« Malu zuckte entschuldigend die Schultern und drehte sich zur Schlüsselwand. Dort nahm sie die Nummer fünf vom Haken und schob sie über den Tresen. »Wir haben Zimmer fünf für Sie vorbereitet.«

Edgar räusperte sich. »Sollen Ihre Pferde in den Stall oder auf die Weide gebracht werden?«

»Oh«, die Frau griff nach dem Schlüssel und drehte sich zu Edgar um, »da kommen wir besser mit, nicht wahr, Thorwald? Dann können Sie uns gleich mal den Stall und das Gelände zeigen.«

Herr Kampari nickte. Er hatte immer noch seine Sonnen­brille auf und Malu war sicher, dass er damit in der Halle nicht viel sehen konnte.

»Ich bringe Ihre Taschen dann schon mal nach oben«, schlug Malu vor. »Dann können Sie sich in Ruhe um Ihre Pferde kümmern.«

Frau Kampari sah ihren Mann etwas unentschlossen an. Der nickte zwar, stellte seine Tasche dennoch widerstrebend ab.

Als Edgar mit den beiden verschwunden war, atmete Malu erleichtert auf. »Und, wie war ich?«, fragte sie ihre Freundin und breitete theatralisch die Arme aus, als würde sie tosenden Applaus erwarten.

»Wahnsinn, wie du da so cool bleiben kannst«, hauchte Lea und schlug die Hände zusammen. »Ich wäre gestorben an deiner Stelle!«

»So schwer war das nun auch wieder nicht«, beschwichtigte Malu. »Ich hab doch nur –«

»Du hast sie gar nicht erkannt, oder?« Lea grinste.

»Nun sag schon, wer sind die zwei denn jetzt?«

Lea senkte ihre Stimme noch mehr. »Das ist Danni Morilla.« Sie sah Malu mit großen Augen an.

»Danni wer?«

»Danni Morilla!«

»Kenn ich nicht«, sagte Malu. »Und warum sollte diese Danni sich mit falschem Namen bei uns anmelden?«

Lea verdrehte die Augen. »Das ist doch nur Tarnung. Danni Morilla spielt doch die Hauptrolle in Zusammen für alle Zeiten. Und wenn jeder wüsste, dass sie sich bei euch aufhält, dann würde es hier ja bald vor Paparazzi nur so wimmeln.«

Malu war davon nicht wirklich überzeugt. Aber ganz egal, wie die Leute hießen, sie musste jetzt diese Taschen nach oben verfrachten.

»Komm, fass mal mit an«, sagte Malu und deutete auf die Taschen.

»Ich nehm Dannis!« Lea sprang vor und griff sich die Tasche der Frau.

Malu sah ihrer Freundin grinsend hinterher, die die Reise­tasche vor sich hertrug, als ob es sich um die Kron­ju­­welen der Königin von England handelte. Mit dem General­schlüssel und der Reisetasche des (offenbar nicht ganz so berühmten) Ehemanns folgte sie ihrer Freundin die Treppe hoch.

Im ersten Stockwerk angekommen, öffnete Malu die frisch lackierte weiße Holztür mit der goldenen Fünf und stellte die Tasche vor dem Kleiderschrank ab.

»Echt schick geworden«, stellte Lea fest, als sie sich im Zimmer umsah. Die Wände waren mit einer blauweiß gestreiften Tapete bespannt und auf dem gewaltigen Doppelbett lag eine Überdecke in den gleichen Farben. Die Möbel waren allesamt Antiquitäten, die noch aus dem Besitz des Barons stammten. Jetzt waren sie neu geschliffen, lackiert und poliert und strahlten den Glanz vergangener Zeiten aus.

Das Zimmer lag im hinteren Teil des Schlosses. Durch das große Doppelfenster mit den weißen Sprossen konnte man auf die Pferdewiese mit dem neuen Offenstall sehen. Daneben verlief der Feldweg, den gestern die schwarze Araberstute entlanggaloppiert war. Malu warf einen Blick auf ihre friedlich grasende Herde. Papilopulus stand wieder dösend mit hängendem Kopf am Zaun. Malu zog es ein bisschen im Herzen, wenn sie ihn so sah. Das erinnerte sie daran, dass er schon ziemlich alt war und seine Kräfte langsam nachließen. Schnell schaute sie nach Alibaba und dem kleinen Stutenfohlen, um die düsteren Gedanken loszuwerden. Die beiden standen am anderen Ende der Wiese – Alibaba jedenfalls, Lapislazuli jagte in wilden Bocksprüngen um ihre Mutter herum. Malu lächelte. Das Fohlen war einfach Lebensfreude pur!

Plötzlich huschte etwas durch den Offenstall. Was war das? Doch Ratten? Nein, das war etwas Größeres gewesen. Sie kniff die Augen zusammen, um im schummrigen Licht des Stalls etwas zu erkennen. War das ein Mensch?!

Funkelsee – Der Ruf der wilden Pferde (Band 4)

Подняться наверх