Читать книгу Tödliche Zeitarbeit - Ines von Külmer - Страница 5
Kapitel 3: Pelzig erhält wichtige Hinweise
ОглавлениеRobert Pelzig war sehr erleichtert. Der Besuch beim Zahnarzt war nicht so grauenhaft gewesen, wie er sich das vorgestellt hatte. Schon der Geruch der in der Praxis wabernden Desinfektionsmittel verursachte immer ein flaues Gefühl in seiner Magengegend. Und dann diese sterile Atmosphäre und die in Weiß gekleideten Menschen! Schlechte Erfahrungen aus der Kindheit! Da hatte der Zahnarzt den kleinen Robert des Öfteren mit seinem Bohrgerät traktiert. Leider hatte er aus dieser Zeit zu viele Plomben! Na ja, früher hatte man das mit dem Zähneputzen wohl seitens der Eltern nicht so genau genommen. Dafür war er jetzt umso eifriger zugunsten seines Gebisses mit dem Zahnschrubber zu Gange. Nur den Zahnstein hatte die Assistentin des Zahnarztes entfernt. Er war froh, nach einer halben Stunde wieder aus der Arztpraxis raus zu sein. Er setzte sich ins Auto und sah erst einmal auf sein Smartphone, ob es irgendwelche Nachrichten für ihn gab. Nichts, zum Glück, es war aber auch erst 8:30 Uhr. Er hatte überhaupt keine Lust, zu dieser Personalleasingfirma zu fahren, um mit diesen Typen zu sprechen. Seine Mutter hatte ihn gefragt, als sie von dem Todesfall in dieser Firma erfuhr, ob er nicht mal wegen seiner Schwester nachfragen könne, ob sie nicht einen Job für sie dort hätten. ‚Niemals’, hatte Robert geantwortet, ‚ich verschachere doch meine Schwester nicht an solche Leute!’ Er fuhr los. Die Zahnarztpraxis, wo Robert Pelzig immer seine Zähne untersuchen ließ, befand sich im Norden von Nürnberg. Das war nicht so weit von seinem Wohnort entfernt und auf dem Weg ins Polizeipräsidium Mittelfranken.
Heute war wieder einmal die „rote Welle“ angesagt. Eine Fahrt über den Nordring war immer eine zeitaufwändige Sache, besonders zu Hauptverkehrszeiten. Aber es war immer noch besser, als sich über den Plärrer in die Stadt zu quälen. Trotzdem war heute offensichtlich kein guter Tag zum Autofahren. Manche Fahrer kämpften anscheinend noch gegen ihre Morgenmüdigkeit an. Jedenfalls war das vor ihm schon der dritte PKW-Lenker, der die nach langem Rot eintretende Grünphase beinahe verpennt hätte. Mein Gott, war das wieder nervig! Hinzu kam, dass Robert Pelzig am Morgen schon mit dem linken Bein aufgestanden war. Kein Wunder! Zuerst der „Maulklempner“ und dann noch Recherchieren in dieser Zeitarbeitsfirma! Er hatte in seiner bisherigen Laufbahn als Kriminalkommissar immer nur mit „normalen“ Firmen zu tun gehabt oder eben nur mit Privatpersonen. Diese Leiharbeiterbranche war ihm ganz besonders suspekt. Aber man konnte sich ja seine Mordfälle nicht aussuchen!
Als er in der Neumeyerstraße eintraf, scannten seine Augen die Hausnummern. Hier war es, Hausnummer 123. Bei diesem Bürokomplex handelte es sich um ein Konglomerat von verschiedenen Firmen. Eine Anwaltskanzlei war auch dabei. Und eine Arztpraxis, ein Ingenieurbüro. ‚Alles bessere Berufszweige als die PersonalLeasing GmbH’, dachte sich Pelzig, als er aus dem Auto stieg. Er hatte mühelos einen Parkplatz vor dem Bürogebäude finden können. Er blickte an sich herunter. Er hatte nach dem Aufstehen und Duschen nach den Klamotten gegriffen, die auf dem Stuhl neben seinem Bett lagen. Eine schwarze Jeans und ein hellblaues Hemd. Und dann noch eine Jeansjacke. Es war immer noch zu frisch für August. Seine hellbraunen, glatten Haare hatte er noch im Auto gekämmt. Zum Rasieren war er nicht mehr gekommen. Wie gestern auch. Aber ein Mehrtagesbart in seinem schmalen Gesicht war doch schick und modern! Und er war ja auch erst 33 Jahre alt. Und schlank. Er machte mit seinen 1,80 Metern eigentlich immer eine gute Figur, das fand auch seine Schwester. Eine feste Freundin hatte er im Moment nicht. Nur ein paar Bekanntschaften, die er über das Internet gemacht hatte. In einer Flirt-Börse. Die Trennung von seiner langjährigen Freundin lag neun Monate zurück. Es war für beide ein Befreiungsschlag gewesen. Die Beziehung hatte in den letzten beiden Jahren nur so vor sich hingedümpelt. Ihre Interessen waren im Laufe der Jahre zu sehr auseinander gedriftet. Leider hatte sich seine damalige große Liebe mehr und mehr in die Esoterik verkrochen. Warum – darauf hatte sich der Kriminalkommissar keinen Reim machen können. Okay, die Schmetterlinge im Bauch hatten sich nach acht Jahren Beziehung mehr oder weniger verflüchtigt, auch bei ihm. Lisa arbeitete in einer Bank und wollte erst einmal Karriere machen. Robert Pelzig war es recht gewesen. Sie waren ja noch jung gewesen mit Mitte zwanzig. Die Welt lag ihnen sozusagen vor den Füßen. So hatten sie jedenfalls den Eindruck. Wann sich die Unzufriedenheit in seiner Partnerin breit gemacht hatte, konnte Pelzig nicht mehr nachvollziehen. Auch die Gründe dafür nicht. Jedenfalls begannen sich dann in ihrem gemeinsamen Haushalt Bücher über Selbsterfahrung, alternative Medizin und Astrologie zu türmen. Wobei die alternative Medizin das einzige Thema war, mit dem sich Robert Pelzig anfreunden konnte, weil eine solche Therapie ihm in weniger gravierenden Krankheitsfällen einleuchtete. Und dann hatte sie ihn noch zu einem Klangschalen-Wochenende überreden wollen. Also, da hatte er die Notbremse gezogen! Dem Kriminalkommissar reichte eigentlich ein Glas Bier und eventuell der Fernsehapparat zum Entspannen. Gut, die Klangschale, die Lisa von einem anderen Kurs mitgebracht hatte, war ne tolle Deko. Mehr jedoch nicht! Früher hatte seine Freundin viel Spaß gehabt mit ihren gemeinsamen Freunden und bei ihren gemeinsamen Unternehmungen. Warum dann dieser Wandel? War ihre Beziehung gar nicht auf echter Liebe aufgebaut gewesen? Vielleicht war es nur eine Verliebtheit gewesen, die dann nach Jahren wie die Luft aus einem Reifen gewichen war. Und am Schluss blieb dann nur noch die große innere Leere. Oder Lisa hatte sich nicht damit abfinden können, dass irgendwann der Alltag in ihre Beziehung eingekehrt war. Seine Mutter war jedoch sehr enttäuscht gewesen. Sie hatte Lisa sehr gemocht. Und hatte sich schon so auf ein Enkelkind gefreut. Immer diese familiären Verpflichtungen! Auch sein Vater hatte auf einen so genannten Stammhalter gehofft. Aber den Hof von seinen Eltern wollte er doch eh nicht übernehmen! Wegen seiner Berufswahl hatte Robert Pelzig auch viele Gefechte mit seinem Vater ausgetragen. Vielleicht heiratete seine Schwester Johanna ja mal einen Landwirt? Frau sucht Bauern! Pelzig versuchte, die Gedanken an seine ehemalige Freundin aus seinen Gedanken zu verbannen. Leider spukte sie noch immer in seinem Gehirn herum.
Er öffnete die Eingangstür und suchte nach dem Aufzug. Davor stand bereits ein Mann in einem gut sitzenden, dunklen Anzug mit Krawatte. ‚Bestimmt der Anwalt’, dachte Pelzig.
„Haben Sie von dem Mordfall im vierten Stock gehört?“
„Ja, ich bin Kriminalkommissar Pelzig und mit der Aufklärung dieses Falles betraut“.
„Oh, gut. Ich bin Dr. Grabowski, ich habe mit Kollegen eine Kanzlei im dritten Stock, direkt unter der PersonalLeasing GmbH. Ich war gestern wieder sehr lange bei der Arbeit – neuer Mandant. So gegen 21:00 Uhr habe ich mein Büro verlassen, weil ich im Restaurant gegenüber noch eine Kleinigkeit essen wollte. Und weil ich sportlich sein wollte, habe ich die Treppen genommen.“
„Ja, und?“
„Ja, und normalerweise ist um diese Zeit das Bürogebäude komplett menschenleer. Aber da habe ich eine Frau gesehen, die anscheinend vom vierten Stock kam. Dieses Gebäude hat ja nur vier Stockwerke. Irgendwie kam sie mir merkwürdig vor, die ganze Sache kam mir seltsam vor. Die Firma hat einen regen Publikumsverkehr, deshalb sieht man hier viele fremde Gesichter, vor allem aber im Aufzug. Aber zu dieser späten Stunde habe ich noch nie jemanden vom vierten Stock kommen sehen. Und die Haare dieser Frau, die sahen irgendwie so künstlich aus. Es schien sich um eine Perücke zu handeln. Und sie war auffallend dünn. Ihr Gesicht habe ich nur kurz gesehen, die Stirn war verdeckt durch einen dichten Pony, und die seitlichen Haare des Pagenkopfes hingen ihr ins Gesicht.“
Damit hatte der Anwalt Pelzigs Aufmerksamkeit nun vollends auf sich gezogen.
„Wollen Sie kurz in mein Büro, oder haben Sie oben einen Termin?“
„Nein, ich wollte einfach mal so vorbeischauen, wenn alle Mitarbeiter da sind, und diese befragen. Ich komme gerne mit Ihnen. Klingt interessant, was Sie da sagen.“
„Dann fahren wir in mein Büro?“
Pelzig nickte, und der Anwalt drückte auf die Taste drei. Er stand jetzt neben dem Anwalt, der wirklich irgendwie nach Jurist aussah. Mit seinem graumelierten Haar befand er sich altersmäßig zwischen Ende Vierzig und Anfang Fünfzig. Seine Gesichtshaut war gut gebräunt und sah sehr gepflegt aus. Na, heute gab es ja auch etliche Edel-Pflegeserien für den Herrn, der etwas auf sich hielt. Robert Pelzig hatte nach seinem Abitur auch mal mit dem Gedanken gespielt, Jura zu studieren. Aber eine anwaltliche Karriere hätte er ausgeklammert. Immer picobello angezogen herumlaufen, das war nicht sein Ding. Er fühlte sich in legerer Kleidung einfach wohler. Manchmal überkam es ihn. Und dann hatte er auch mal Lust, sich wirklich super rauszuputzen. Aber eben nicht täglich, und es sollte nicht zur lästigen Pflicht werden. Pelzig freute sich jetzt aber, dass es anscheinend eine erste Spur in diesem Mordfall gab. Sie betraten die Anwaltskanzlei. Sie gingen an der Empfangstheke vorbei. Zwei junge Damen saßen beschäftigt aussehend vor ihren Computern. Jung und hübsch, wie es sich für eine Juristen-Bude gehörte.
„Ich möchte nicht gestört werden. Und bringen Sie uns bitte Kaffee und Mineralwasser.“
Das Büro des Anwalts war sehr geräumig, große Fenster mit modernen Kunststoffrahmen zeigten zur Neumeyerstraße.
„Bitte nehmen Sie doch Platz.“
Der Anwalt wies auf einen Sessel, der an einem Glastisch stand. Er ließ sich selbst auf einem der Sessel gegenüber nieder. Seinen Aktenkoffer stellte er neben sich ab.
„Also, obwohl wir direkt unter der Zeitarbeitsfirma unsere Kanzlei haben, habe ich gestern keine ungewöhnlichen Geräusche von oben gehört. Ich meine, da muss doch ein Kampf stattgefunden haben. Die Ermordete muss doch geschrien haben. Und ich war gestern allein hier. Die Assistentinnen gehen so gegen 17:00 nach Hause. Und meine beiden Kollegen waren bei einem auswärtigen Termin.“
„Wie sah die Frau denn genau aus, die Sie gestern Abend gesehen haben? Können Sie das noch mal noch genauer schildern?“
„Also, wie ich schon sagte, die Frisur war auffällig, weil man von weitem sah, dass es eine Perücke war, offenbar ein billiges Modell, sonst wäre mir der Unterschied zu Naturhaar nicht aufgefallen. Und sehr dünn war die Frau. Sie trug eine dunkelrote Wolljacke.“
‚Gut zu wissen’, dachte sich Pelzig. Vielleicht hatte die Spurensicherung ja rote Fasern sicherstellen können, sofern diese Frau gestern tatsächlich in den Büroräumen der Personalleasingfirma war. Vier Stockwerke hatte dieses Bürogebäude. Wenn diese Verdächtige von oben kam, wie der Anwalt sagte, dann war die Zeitarbeitsfirma tatsächlich die einzig mögliche Adresse, die die „Frau in Rot“ hätte ansteuern können. Im dritten Stock gab es außer der Anwaltskanzlei noch ein Ingenieurbüro. Die Leiharbeiterfirma erstreckte sich jedoch über die gesamte vierte Etage. Das Alter der Frau konnte der Jurist nur schwer schätzen, sie habe krank ausgesehen, meinte er, schwer krank. Seine Schwägerin sei im vergangenen Jahr an Krebs gestorben. Die Frau von gestern habe ihn irgendwie an die nun tote Schwester seiner Frau erinnert, auch sie habe eine Perücke tragen müssen, weil ihr durch die Chemotherapie alle Haare ausgefallen waren. Die Chemotherapie hatte das Leben der Schwester seiner Frau nur verlängert, die Ärzte hatten sie nicht heilen können. Und wie sie gelitten hatte! Der Anblick dieser schmalen Person gestern Abend hatte in dem Anwalt die Erinnerung an das Siechtum seiner Schwägerin wieder heraufbeschworen.
Was wollte eine schwer kranke Frau jedoch in einer Zeitarbeitsfirma? Robert Pelzig konnte sich keinen Reim darauf machen. Oder aber es war wirklich so, dass Dr. Grabowski unbewusst von den Gedanken an seine verstorbene Schwägerin auf eine falsche Fährte gelenkt worden war. Vielleicht war diese Frau ja auch magersüchtig? Egal, der Kriminalkommissar aus Nürnberg hatte gerade einen für seine Ermittlungstätigkeit sehr wichtigen Hinweis erhalten. Handelte es sich vielleicht um eine ehemalige Mitarbeiterin, die gefeuert worden war, nachdem sie erkrankt war? Gut vorstellbar. Oder aus einem anderen Grund? Wollte sie sich an der Personaldisponentin rächen, weil sie so schwer erkrankt war, und weil sie dieses Leiden auf das Arbeitsverhältnis bei der PersonalLeasing GmbH zurückführte? Dann würde die Vermutung des Anwalts einen Sinn ergeben. Dass Krebs auch psychosomatisch bedingt war, daran glaubte der Kripomann aus Neunhof mittlerweile auch. Oder hatte die Frau noch Gehaltsforderungen geltend zu machen? Aber dann wäre es ratsamer gewesen, einen Anwalt aufzusuchen.
„Kennen Sie die Leute da oben?“
Fragend blickte der junge Kommissar Dr. Grabowski an.
„Nicht wirklich, aber ich haben einen Freund in der Stadt, der ist Fachanwalt für Arbeitsrecht, und der hatte schon mehrere Klagen gegen Zeitarbeitsfirmen laufen, wegen Kündigungsschutz, wegen nicht ausbezahlter Überstunden und so weiter. Man bekommt ja so einiges mit in den Medien über diese Branche. Mein Freund ist über solche Mandanten nicht begeistert. Aber er kann sich seine Klienten leider auch nicht immer aussuchen. Aber jetzt gibt es die Möglichkeit, bei Dumping-Leiharbeitergehältern die Differenz zum Entleiherbetrieb-Gehalt einzuklagen. Wenn es in dem Vertrag eine Klausel in Bezug auf christliche Gewerkschaften gibt. Wussten Sie das? Eigentlich sollten ja prinzipiell alle Zeitarbeiter wie ihre fest angestellten Kollegen bezahlt werden. Aber dann kam der „Trick“ der Leiharbeiterbranche mit den „Manteltarifverträgen“ für Leiharbeiter. Und das wurde sogar mit den Gewerkschaften ausgehandelt. Aber nach europäischem Recht sind diese Endlos-Einsätze von Fremdmitarbeitern bei Entleihfirmen jetzt eigentlich auch nicht mehr erlaubt. Und prinzipiell sollten Leiharbeiter jetzt gleich gestellt sein mit ihren Kollegen des Einsatzbetriebs. Doch da kann man immer tricksen. Zum Beispiel den Zeitarbeiter dann in eine niedrigere Tarifgruppe einordnen.“
Ja, Pelzig wusste darüber etwas. Seit seine Schwester arbeitslos war, hatte er sich mit diesem Thema Leiharbeit näher beschäftigt. Gut, dass er solche Probleme im öffentlichen Dienst nicht hatte! Er war über seine Berufswahl wieder einmal mehr als zufrieden. Wie Keller war auch er Kriminaler mit Leib und Seele. Und die Messlatte für die Zulassung zu einer Ausbildung im gehobenen Kriminaldienst lag sehr hoch. Für sein gutes Abitur hatte er viele Stunden über seinen Büchern verbracht. Schon von Kindesbeinen an hatte er sehr gerne Fußball gespielt und trieb auch heute noch regelmäßig Sport, um sich für seinen Beruf fit zu halten. Das Auswahlverfahren hatte er erfolgreich absolviert. Darauf war er sehr stolz gewesen. Zusammen mit einem Schulfreund war er zu dieser Prüfung angetreten. Sein Freund hatte nicht bestanden. Irgendwie hatte Christian das wohl nicht richtig verkraftet, dass sein Freund Robert besser abgeschnitten hatte als er. Christian war jetzt Informatiker und arbeitete in München. Manchmal besuchte Pelzig seinen ehemaligen Schulfreund in München, wo Christian einen gut bezahlten Job gefunden hatte. Was Pelzig jedoch nervte war, dass Christian nie eine Gelegenheit ausließ, negative Bemerkungen über die Polizei als solche vom Stapel zu lassen. Schwierig aufzuklärende Mordfälle, die dann über die Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ ausgestrahlt wurden, weil man auf die Mithilfe der Öffentlichkeit hoffte, waren für den Informatiker ein gefundenes Fressen. Klar, laut Christian konnten diese Fälle ja nicht professionell gelöst werden, bei den „Nieten“, die sich da im öffentlichen Dienst tummelten. Bei dem Gedanken an seinen ehemaligen Schulkameraden kräuselten sich Pelzigs Lippen verächtlich. Aus Christian sprach doch nur der blanke Neid! Schließlich hatte er, Robert Pelzig, den Eignungstest bestanden, und Christian eben nicht. Da biss die Maus den Faden nicht ab! Irgendwie musste er rückblickend auf die Dauerdiskussionen mit seinem Kumpel an den Sketch von Loriot denken. An den nämlich, wo der Unternehmer Müller-Lüdenscheid mit dem Akademiker Dr. Klöbner in der Badewanne saß. „Aber ich kann länger als Sie!“ Ja, Robert Pelzig fand, er könne zu Recht stolz darauf sein, den Test für den gehobenen Kriminaldienst bestanden zu haben.
Der erstaunte Blick des Anwalts riss den Nürnberger Kommissar aus seinen Gedankenströmen. Hoffentlich dachte Grabowski jetzt nicht, Pelzig hätte sie nicht mehr alle! Also, das mit den „christlichen Gewerkschaften“, davon hatte Robert Pelzig auch gehört. Das lag schon ein paar Jahre zurück. Aber trotzdem! Die Opfer gab es ja immer noch. War diese Frau, die Dr. Grabowski gestern im Treppenhaus gesehen hatte, in die Fallstricke dieser Niedriglohn-Verträge geraten?
Was an Dumping-Löhnen christlich war, wollte einfach nicht in Pelzigs Kopf. Damit die armen Zeitarbeiter so eher in den Himmel kämen, weil es doch laut Bibel die Reichen so schwer hätten, von ihren irdischen Gütern zu lassen? ‚OK, sie verdienen hier zwar so gut wie nichts, aber dafür haben sie es später einfacher, in das Paradies zu gelangen. Und ich, der die satte Kohle abzockt, mache dann einen auf Paulus, bereue meine Sünden und komme auch in den Himmel, habe aber im Unterschied zu den armen Zeitarbeiterschweinen hier auf Erden in Saus und Braus auf deren Kosten gelebt.’ Pelzig rollten sich die Zehennägel hoch bei diesen Gedanken. Also, jedenfalls hatte man seit einiger Zeit die Möglichkeit zu klagen, wenn man einen solchen „prekären“ Zeitarbeitervertrag unterschrieben hatte. Es gab in diesem Zusammenhang ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Das Arbeitslosengeld wurde aber deshalb auch nicht mehr. Gut zu wissen, wenn Pelzigs Schwester gezwungenermaßen doch mal so einen Leiharbeiterjob annehmen musste, wenn ihr Arbeitslosengeld I auslief.
„Nein, mit den Mitarbeitern der Personalleasingfirma haben wir keinen Kontakt. Man grüßt sich im Aufzug, und das war es auch schon. Und mein Freund, der Anwalt für Arbeitsrecht, vertritt diese Firma nicht und hat auch noch keinen Mandanten gehabt, der bei dieser Firma angestellt war“.
Ludwig Pelzig bemerkte erst jetzt die Tasse Kaffee, welche eine der Assistentinnen vor ihm auf den Glastisch gestellt hatte. In zwei Schlucken schüttete er den mittlerweile lauwarmen Kaffee in sich hinein und spülte das Mineralwasser hinterher, das mit dem Kaffee gekommen war.
„Vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen, auch für Kaffee und Wasser.“
„Ich rufe Sie an, wenn mir noch was einfällt. Oder falls ich diese Frau zufälligerweise mal wiedersehen sollte“, rief der Anwalt noch, als der Nürnberger Kommissar die Bürotür hinter sich schloss.
Pelzig verließ die Anwaltskanzlei und nahm die Treppe, um zur Zeitarbeitsfirma zu gelangen.