Читать книгу Guten Rutsch, Elaine! - Inga Kozuruba - Страница 5

Der neue Boo

Оглавление

Elaine stupste ihren Begleiter leicht an und bewegte sanft ihre Lippen, als er sie ansah: „Kommt Euch das Kleid auf dem Bildnis nicht irgendwie bekannt vor?“

Der Graf sah zum Bild und da war tatsächlich so etwas wie Überraschung auf seinem Gesicht zu sehen, auch wenn er seine Mimik sehr gut unter Kontrolle hatte. Er nickte und antwortete ebenso kaum merklich: „Ist es etwa das Kleid, in dem ich Euch kennengelernt habe?“

Sie nickte leicht: „So ist es. Und seine ehemalige Eigentümerin, wie der Geist aus dem Kleid mir erzählte, ist verschwunden.“

Er zog kaum merklich eine Augenbraue hoch: „Tatsächlich? Das Kleid hattet Ihr von Kryss, nicht wahr?“

Sie lächelte: „So ist es. Allerdings habe ich keine Ahnung, wie er daran kam.“

Der Graf nickte: „Ich denke nicht, dass er an ihrem Verschwinden Schuld ist, das ist nicht sein Stil, aber Ihr solltet Ihn vielleicht fragen, wo er das Kleid her hat. Könnte interessant sein.“

Elaine nickte. Sie war froh, dass sie Lippen lesen konnte – die Musik war so laut, dass man sich vermutlich ohnehin nicht hätte normal unterhalten können und sie hatte keine Lust zu schreien.

Die Fürstin hatte offenbar ihre Pflichten als Gastgeberin so weit erledigt, da sie auf einmal beim Paar auftauchte. Sie sah wie eine Winterkönigin aus, ihr Kostüm aus Kristallen und feinen Federn schien wie Eis und Schnee. Ihre Maske war ebenso kunstvoll aus Kristall gearbeitet wie das Kostüm selbst und ging in eine Krone über.

Graf von Karpat verbeugte sich und gab der Fürstin die Andeutung eines Handkusses, den sie mit dem klaren Blick der grünen Augen und einem höflichen Lächeln blasser Lippen beantwortete. Ihr pechschwarzes Haar war kunstvoll geflochten, auch darin fanden sich Kristalle, und ihre edel blasse Haut glitzerte wie Schnee.

Sie sah zu Elaine und ihr Lächeln gefror für einen Augenblick auf ihrem Gesicht. „Die Träumerin, wie interessant.“ Dann bewegten sich ihre Lippen lautlos: „Sagt mir, wie kam es, dass man Euch im Kleid meiner Mutter gesehen hat?“

Der Graf schmunzelte und verbeugte sich noch einmal: „Ich denke, ich werde die Damen für einen Augenblick verlassen.“

Bevor Elaine etwas sagen konnte, war der Drache auch schon in der bunten Menge verschwunden. Sie sah zur Fürstin und lächelte, ihre Lippen formten die Antwort: „Bis heute hatte ich keine Ahnung, dass es das Kleid Eurer Mutter war, Fürstin. Und ich habe es von einem Freund bekommen.“

Die Winterkönigin nahm Elaine am Ellenbogen und setzte sich in Bewegung, Elaine daher ebenfalls: „Hat Euer Freund Euch gesagt, woher er es hatte?“

Elaine lächelte: „Leider nicht, aber wenn Ihr es wissen wollt, kann ich ihn sicherlich für Euch fragen.“

Die Fürstin lächelte jovial: „Es wäre mir eine Freude. Ich weiß nicht, ob Ihr vom Verschwinden meiner Mutter etwas wisst, aber Ihr wart offensichtlich schon einmal erfolgreich darin, eine entführte Frau zu finden. Wenn Ihr mir in dieser Angelegenheit helfen würdet, würde ich mich sicherlich erkenntlich zeigen.“

Elaine nickte: „Ich werde sehen, was ich tun kann, Fürstin.“

Jetzt strahlte das Lächeln: „Wie schön. Dann wünsche ich Euch noch einen unterhaltsamen Abend – und ich denke, Euer Begleiter wird bestens wissen, wie ich zu erreichen bin.“

Elaine nickte und bedankte sich, die Winterkönigin war plötzlich weg, dafür war der Drache wieder bei ihr. Für einen Augenblick war sie etwas überrascht, aber nicht länger.

„Und was wünscht die Fürstin von Euch?“, fragte der Graf, erneut lautlos.

„Sie würde gern wissen, wie Kryss an das Kleid kam. Ist das nicht seltsam, genau das habt Ihr vorhin gesagt.“

Er schmunzelte: „Nur ein Zufall, weiter nichts. Hauptsache, dass Ihr Euch keinen Ärger mit der Dame eingehandelt habt. Dann wiederum, nur die wenigsten hier hätten den Mut, sich mit einem Träumer anzulegen. Ich möchte wetten, die meisten hatten zu seiner Zeit bereits vor Cerebro gezittert, und dass er Euch nicht das Wasser reichen konnte, haben wir alle gesehen.“

Elaine lächelte: „Dann hab ich wohl noch mal Glück gehabt. Wäre nicht sehr gut gewesen, wenn man mich des Diebstahls bezichtigt hätte.“

Der Graf grinste und nickte. „Und nachdem das geklärt ist, sollten wir wohl nach Boo suchen, denke ich.“

Elaines Blick glitt durch die Menge, aber sie konnte den Jungen nicht entdecken und seufzte. Der Graf tippte sie leicht an: „Was ist los?“

„Er scheint nicht hier zu sein, Alexey.“

Ihr Begleiter schmunzelte: „Ich bezweifle, dass es so leicht ist, einen kostümierten Jugendlichen hier auszumachen, zudem er nicht mehr ganz so aussieht wie Ihr ihn in Erinnerung habt, Ellie. Lasst besser mich suchen.“

Also bewegten sie sich weiter durch die Menge. Die bunten Farben und vielfältigen Formen begannen vor Elaines Augen zu verschwimmen, die donnernde und schreiende Musik war schon fast zu viel für ihre Ohren. Eine Diskothek war nicht sehr viel lauter, schien ihr, zudem sich auch der Musikstil der Moderne angenähert hatte. Und doch, die pulsierenden Beats, die Hitze der Geschwindigkeit, die fast schon hypnotisierenden Sequenzen, irgendwie passten sie zu diesem Anlass.

Die antiquierten Adligen hatten also durchaus Sinn fürs Moderne, auch wenn sie sich meist eher an die Tradition hielten. Das eine oder andere Kostüm, das sie sah, hätte ebenso gut in einem Videoclip auftauchen können und manche von ihnen waren nicht weniger freizügig. Die Etikette schien beinahe vergessen, als die Masken aufgesetzt wurden, hatte Elaine das Gefühl. Und das bekannte Schwindelgefühl kehrte zu ihr zurück. Ein Glück, dass der Graf die stützte – und dass sie dieses Gefühl durch einen Gedanken unter Kontrolle bekam.

Elaine spürte kurze Zeit später, dass seine Bewegung jetzt nicht mehr suchend war, sondern zielstrebig wurde, und folgte. Sie verstand nicht, warum der Graf sie zu einem Pärchen abseits der feiernden Menge zog. Sie hatte gedacht, Boo wäre mitten unter den Leuten zu finden, dort wo es am heißesten zuging. Von Karpat hatte es dagegen nicht anders erwartet, er ging mit Elaine von der Menge weg. Dort steuerte er auf einen Jugendlichen in Gesellschaft eines hübschen Mädchens, wohl noch keine sechzehn Jahre alt, aber bereits eine aufblühende Schönheit. Und was wichtiger war, sie war definitiv eines der Dienstmädchen dieses Palastes. Auch sie trug eine Maske, aber ihre Kleidung war einfacher und wirkte ein wenig wie eine Uniform. Ihre Wangen waren gerötet und sie lächelte verlegen. Hier war die Musik leiser, so dass man reden und vielleicht sogar flüstern konnte. Der Graf blieb stehen und räusperte sich und dann drehte sich der Jugendliche, der so sehr die Nähe des Mädchens suchte, zu ihnen, nahm offensichtlich überrascht seine Maske ab, und Elaine blieb wie angewurzelt stehen. Das konnte doch nicht Boo sein!

Wo waren seine schwarzen, zerrissenen Kleider? Was war mit dem verwuschelten Haar passiert? Es war kein Junge vor ihr, er war fast schon ein Mann, so schien es Elaine. Sein farbenfrohes Harlekinkostüm war aus feinsten Stoffen gemacht, er unterschied sich da kaum noch von einem Adligen. Seine blonden Haare waren zu einer perfekten Frisur geformt und ließen ihn älter als seine sechzehn Jahre aussehen. Und das Gesicht, das Gesicht schien ein ganz anderes zu sein. Es waren seine Gesichtszüge, er war immer noch irgendwie niedlich, aber die Mimik und der Blick der Augen waren wie die eines Fremden. Diese zehn Jahre schienen einen gänzlich anderen Menschen aus ihm gemacht zu haben.

„Ellie!“, er musterte Elaine von Kopf bis Fuß mit einem Schmunzeln auf seinen Lippen. Wenn das kein Blick war, der einen auszog, wür¬de Elaine einen Besen fressen! „Du hast dich kein Bisschen verändert! Lass dich drücken!“ Noch bevor sie reagieren konnte, hatte er sie schon an sich gezogen.

„Behalt deine Hände besser bei dir“, zischte Elaine. Das war doch nicht Boo!

Er ließ sie wieder los und erwiderte den kalten Blick des Grafen mit einem unverschämten Lächeln: „Ist sie nicht witzig?“

Der Graf gab dem Dienstmädchen mit dem Kopf ein Zeichen, sie machte hastig einen Knicks und verschwand. Boo verzog den Mund: „Alexey, ich hatte noch etwas mit ihr vor.“

Der Blick des Grafen hätte töten können: „Keine unnötigen Familiaritäten, bitte. Wir haben etwas wichtiges zu besprechen.“

Boo zwinkerte ihm zu: „Besprechen, ach so nennt man das heute. Von mir aus. Sag mal, Ellie, was machst du eigentlich schon wieder hier?“ Sein Blick wanderte demonstrativ an ihren Kurven entlang.

Elaine sah zum Grafen und sein Blick schien ihr zu antworten: „Na, haben wir übertrieben?“ Dann sah sie zu Boo und antwortete kühl: „Darum wollten wir mit dir reden, du Sklave der Hormone.“

Er kicherte: „Ich sagte doch, sie ist witzig. Na schön, die Party wird eh langsam langweilig. Setzen wir uns ab, hm?“

Der Graf lächelte kühl: „Sieht so aus, Kleiner. Und jetzt komm mit.“

Boo lächelte breit und verbeugte sich übertrieben: „Wie Ihr wünscht, Graf. Ich stehe mit Leib und Seele zu Eurer Verfügung.“

Alexey von Karpat sah zu Elaine und sein Blick schien ihr zu sagen: „So schlimm war selbst ich nicht, nicht wahr?“ Sie nickte. Der Graf deutete mit seinem Kopf auf die Tür, Boo nickte und ging, das Paar folgte ihm.

So unangenehm es ihr war, so musste Elaine doch zugeben, Boo war brillant. Er hatte es tatsächlich geschafft, den Grafen zu übertreffen. Aber das war noch nicht alles. Wenn ihr Gefühl ihr nicht sagen würde, dass das in der Tat Boo war, dann hätte sie es nie geglaubt. Selbst seine Körpersprache hatte sich geändert. Sie hoffte nur, dass Leo recht hatte, dass das alles nur gespielt war. Dann wiederum, besonders stark war diese Hoffnung nicht. Der Gedanke daran, dass es nur eine Rolle war, beruhigte sie ebenso wenig.

Boo ging in einen kleineren Raum, gemütlich eingerichtet, und nahm auf einem Sessel Platz, betont lässig und irgendwie lasziv. „Also, was ist denn so wichtig?“

Der Graf sah zu Elaine und fragte sie mit seinem Blick und der kaum merklichen Bewegung seiner Lippen: „Soll ich dir helfen?“

Sie hätte eigentlich nichts dagegen gehabt, aber sie erinnerte sich an Leos Worte und schüttelte lächelnd den Kopf: „Das schaffe ich schon. Ich bin doch eine Träumerin und diesmal muss ich mich auch nicht verstecken. Aber danke.“

Er nickte und bewegte wiederum ganz leicht seine Lippen, darauf bedacht, dass Boo sie nicht sehen konnte: „Wenn etwas ist, dann ruft nach mir.“

Sie nickte und ging hinein, er schloss hinter ihr die Tür und stellte sich als Wache auf. Es war zwar nicht standesgemäß, aber der Graf musste sich eingestehen, dass er sicherlich noch weitaus weniger standesgemäße Aufgaben für seine Herzensdame übernehmen würde. Er hatte aufgehört, seine ritterliche Seite zurückzuhalten, jetzt war es wohl zu spät, um sie wieder zu unterdrücken. Dann wiederum, die Belohnung dafür wog einiges auf. Er schmunzelte bei dem Gedanken.

Als sich die Türen schlossen, setzte sich Elaine Boo gegenüber und sah ihn einfach nur an. Er schmunzelte: „Gefällt dir, was du siehst, Ellie?“

Sie verzog den Mund: „Wann bist du so ekelhaft geworden, Boo?“

Sie sah, dass ihre Worte ihn verwunderten und war erleichtert, weil es anscheinend schnell gehen würde. Doch seine Verwunderung wich im nächsten Augenblick dem Amüsement und ihre dafür dem Ärger. „Du bist wirklich verdammt witzig, hast es wohl von mir, hm?“

Sie atmete tief durch – nur nicht aus der Ruhe bringen lassen, denk an das, was Leo gesagt hat. „Hör auf mit diesem Unsinn, Boo. Das ist nicht die richtige Zeit dafür – ach was, du bist nicht der Typ dafür, schon vergessen? Was haben sie hier mit dir gemacht?“

Er grinste: „Nicht so laut, Ellie. Du weißt doch, das ist das Haus der Fürstin und sie hört sicherlich jedes Wort.“

Sie seufzte: „Weich mir nicht aus. Was ist hier los? Das mit dir ist ja noch schlimmer, als ich gehört habe.“

Er wirkte beleidigt: „Der Graf hat absolut keinen Grund, mich zu verpfeifen. Vielmehr, er sollte der letzte sein, der sich wegen mir aufregen sollte. Ist selbst ja kein unbeschriebenes Blatt, wie du ja bestens weißt. Wer hat mich verleumdet? Etwa dieses Gerippe Kryss?“

„Du weichst schon wieder aus, Boo. Und du solltest nicht in so einem Ton von Kryss sprechen.“

Boo rollte die Augen: „Warum nicht? Er ist doch selbst an allem Schuld. Wäre er Profi geworden, dann wäre er längst mit Corry zusammen gewesen, aber er hat’s vermasselt.“

Elaine seufzte: „Ich warte immer noch auf die Antwort darauf, was mit dir los ist. Kryss ist hier gänzlich uninteressant.“

Boo grinste: „Das glaubst aber auch nur du. Aber wenn du nicht willst, dann nicht. Mir geht es dagegen blendend!“ Er betonte jede Silbe in diesem letzten Wort, und grinste über das ganze Gesicht. „Ich meine, sieh mich doch an! Diese Klamotten, die Partys, die Weiber. Es ist das Traumland!“

Er breitete die Arme aus und grinste glücklich und für einen Augenblick sah er fast wieder so aus, wie damals auf der Straße, als er sie gefunden hatte. Aber nur fast. Die kindliche Unschuld, sie war weg.

Elaine seufzte: „So kommen wir nicht weiter. Weißt du, warum ich hier bin?“

Er zwinkerte: „Du wolltest mich, gib's zu.“

Sie schüttelte den Kopf: „Wem machst du hier etwas vor, Boo? Dem Adel etwa? Oder dir selbst?“

Er zog die Augenbrauen hoch und sah sie fragend an: „Wovon redest du bitteschön? Ich hab’ meinen Spaß, und falls es dir entgangen sein sollte, ich hab’s mir auch verdient. Malvina hat mich immer wieder foltern und von Ratten auffressen lassen. Das ist nicht witzig.“ Er setzte einen Schmollmund auf.

Sie seufzte wieder: „Und du redest immer wieder um den heißen Brei herum. Warum kannst du denn nicht einfach sagen, was du glaubst, weswegen ich hier bin?“

Er sah sie ruhig an: „Warum wohl – Kryss, die Vogelscheuche, ist neidisch. Er muss immer noch in seiner Kloake hausen, während meine Freunde und ich es uns verdammt gut gehen lassen. Weißt du, ich hab Corry noch nie so glücklich gesehen. Endlich hat sie das, was sie immer wollte. Und jetzt, wo Malvina auch da ist, wird alles perfekt. Sie wird sich bald an alles gewöhnen, dann den Prinzen heiraten und dann kann uns keiner mehr was anhaben. Ist das nicht klasse? Und ich kann den Prinzen was die Kleine angeht, verdammt gut verstehen“, er zwinkerte Elaine zu. „Ich meine, für mich ist sie viel zu mächtig, aber er wird mit ihr fertig, so als Prinz und künftiger König.“

Hatte er womöglich recht? Warum von Karpat sie hier haben wollte, das war klar. Malvina, sie hatte Schuldgefühle – die Kryss offensichtlich gut für sich ausnutzen konnte. Es war für sie alle gut gelaufen, außer für ihn. Malvina sagte zwar nicht genau, warum es ihm schlecht ging, aber dass dem so war, das hatte er selbst zugegeben. So wie früher, bedeutete das auch, dass Corry und Irony dann nicht mehr zusammen wären? Dass sie alle wieder in Armut leben würden, verbittert und vergessen? Es mochte sein, dass der Hof nicht voller Heiliger war, aber wenn der Graf in der Lage war, edel zu sein, konnten es die anderen vielleicht auch. Und der Prinz war offensichtlich jemand, der sich um sein Land kümmerte – und der ihren Freunden das alles erst ermöglicht hatte. Wieso sollte eine Belohnung denn so schlecht sein?

Boo sah sie immer noch an, fiel ihr auf. „Erde an Ellie! Was ist los? Bringe ich dich etwa so aus dem Konzept?“, er stand auf und ging zu ihr. Ihr fiel auf, dass er auch anders roch – wie ein Erwachsener. Er war hinter ihr und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich glaube, der Graf wäre dir nicht wirklich böse, wenn du mal etwas schwach wirst. Und – wenn es denn gar nicht anders geht, habe ich auch nichts dagegen, dass er auch dabei ist.“

Sie schloss die Augen und seufzte: „Boo, ich muss dich enttäuschen, aber wie es scheint, musst du noch einiges lernen. Es mag ja sein, dass du damit bei Dienstmädchen erfolgreich bist, aber ich bin doch wohl jemand anderes.“

Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und Elaine musste mit Entsetzen feststellen, dass da etwas war, das sie an den Grafen erinnerte: „Sei kein Frosch, Ellie. Ich dachte, du magst mich.“

Sie rührte sich immer noch nicht, auch wenn da ein leichter Anflug von Übelkeit war, gemischt mit einer angenehmen Empfindung: „Ich bin mir dessen bewusst, was du hier versuchst, Boo. Ich weiß nicht, von wem du das hast, aber so wie es schon beim Grafen war, es wird nicht funktionieren. Ich bin anders, schon vergessen?“

Boo ließ sie los und setzte sich wieder in den Sessel, in dem er vorhin gesessen hatte. Er schmollte: „Es ist ja wohl nicht meine Schuld. Ich gebe ja schon mein Bestes.“

Sie zog eine Augenbraue hoch: „Und wer hat dir eingeredet, dass du mich verführen musst?“

Er schmollte weiterhin: „Was interessiert dich das? Du hast ja deinen Grafen. Jeder hat seine große Liebe bekommen oder zumindest gefunden, nur ich nicht. Und wenn ich es versuche, wird mir auf die Finger geklopft. Aber ich bin nun mal kein Kind mehr.“

Sie sah ihn weiterhin an: „Und das ist alles? Wieso bist du überhaupt gealtert?“

Er sah sie nicht an, sondern sah auf den Boden und jetzt erinnerte er sie wieder etwas mehr an sein früheres Selbst: „Weil.... weil es nicht anders ging. Es gibt Dinge, die kann man nicht ewig aufhalten.“

Sie lächelte: „Na schön, aber warum musst du so übertreiben?“

Er sah sie wieder an und wieder schien er ihr fremd: „Übertreiben? Hast du auch nur eine Ahnung, was hier so passiert? Ich bin ein Chorknabe verglichen mit so manchen! Bleib noch bis nach Mitternacht hier und dann wirst du dein blaues Wunder erleben.“

Blaues Wunder. Dieser Ausdruck kam Elaine irgendwie bekannt vor. Sie hatte ihn selbst mal benutzt und damit letztlich den Stein ins Rollen gebracht. Doch jetzt ging es um etwas gänzlich anderes. „Was meinst du damit, Boo?“

Er setzte ein dreckiges Grinsen auf: „Na rate mal. Was sagt dir das Wort Dekadenz, hm? Und eines kannst du mir glauben, der gute Graf war während deiner Abwesenheit alles andere als abstinent. Ich bin hin und wieder sogar unfreiwilliger Zeuge geworden.“

Elaine stand auf, jetzt war sie wirklich sauer. Dieser Milchbubi vor ihr hatte tatsächlich die Frechheit, das zu sagen! Sie war von alleine darauf gekommen, dass der Graf wohl kaum trauernd auf sie gewartet hatte, es wäre naiv gewesen, das zu glauben. Aber dass Boo es ihr ins Gesicht sagte, vor allem, wie er es sagte, das war zu viel.

Der Jugendliche schmunzelte: „Setz dich wieder hin, Ellie. Es wäre dumm, ihm jetzt eine Szene zu machen.“

Sie sah ihn an und setzte sich tatsächlich: „Eigentlich wollte ich dir eine Szene machen – oder vielleicht sollte ich dich einfach mal übers Knie legen?“

Er formte einen Kuss mit seinen Lippen: „Nur zu, bitte sehr. Lass uns etwas spielen.“

Elaine ließ sich mit einem Seufzer der Enttäuschung nach hinten fallen. Sie hatte nicht gedacht, dass es so lange dauern würde. Sie hatte erwartet, dass allein ihre Anwesenheit genügen würde, wie Malvina es gesagt hatte. Aber das war offensichtlich noch lange nicht genug.

„Siehst müde aus, Ellie“, Boo stand wieder auf und ging zu ihr. Seine Hände legten sich auf ihre Schultern und massierten sie leicht. Und sie musste es ihm zugestehen, das konnte er. „Also, was ist denn so anstrengendes los, hm?“

Sie seufzte: „Wieso bist du so stur?“

Er lächelte, sie sah es zwar nicht, aber sie spürte es: „Ich war schon immer irgendwie stur, meine Ausdauer, schon vergessen? Übrigens, Lust auf eine Wette?“

Sie atmete tief durch: „Kein Bedarf, danke.“

Er beugte sich näher zu ihr und flüsterte in ihr Ohr: „Ich bin eigentlich schon 34, aber das vergessen die meisten. Ich sehe halt immer noch knackig jung aus.“

So gesehen hatte er sie überholt, dachte sich Elaine. Sie flüsterte: „Und was vergessen sie sonst noch?“

Sie hoffte, er würde darauf anspringen, aber auch jetzt wich er ihr aus: „Eine Menge Dinge, schätze ich. Gefällt es dir?“

Sie zuckte zusammen: „Ja – aber das hat nichts zu sagen.“

„Wirklich nicht?“, raunte er.

„Nein. Warum setzt du dich nicht wider hin?“

„Ich dachte, es gefällt dir.“

Sie verzog den Mund: „Es hat mir so lange gefallen, bis du gefragt hast. Was ist dein Problem?“

Er setzte sich tatsächlich wieder hin: „Du hast wirklich keine Ahnung?“ Dann brach er in schallendes Gelächter aus: „Und... und ich dachte... der Graf... hat dich eingeweiht...“

Sie tappte mehrmals mit dem Fuß auf den Boden: „Was ist so lustig?“

Boo schüttelte sich vor Lachen: „Man... man das ist... das ist krank...“

„Ich warte.“

Er hatte sich wieder halbwegs unter Kontrolle: „Okay... pass auf... diese ganzen Phantasien der Menschen über Liebe und Sex... hier können auch sie Realität werden. Diese unglaublichen Küsse, die Blicke, die einen verrückt machen – das ist hier real, wenn man weiß, wie es geht. Wenn man etwas besonderes ist. Und du musst zugeben, dass der Graf besonders ist, das weißt du sicherlich schon.“

Elaines Augen weiteten sich: „Willst du mir etwa sagen dass...“

Er schmunzelte: „Ich will dir gar nichts sagen. Denk mal nach.“

Jetzt machte einiges für sie Sinn, diese seltsamen Berührungen, die Blicke. „Und du übst inzwischen auch fleißig, ist das so?“

Boo grinste: „So ist es. Du würdest Augen machen, wenn ich dir erzähle, was ich inzwischen alles kann.“

Sie verzog das Gesicht: „Ich will es nur nicht hören, Boo.“

Er setzte ein fieses Grinsen auf: „Angst, es könnte dir gefallen?“

Sie seufzte: „Herrje, nein. Ich kann einfach nicht glauben, dass du an nichts anderes mehr denkst!“

Er zuckte die Schultern: „Ich kann nicht glauben, dass ich immer noch an etwas anderes denken kann! Und dabei werd' ich es wohl nie so weit bringen, wie der Graf oder unser lieber Barde“, er lächelte schelmisch und sah zu Elaine, gespannt auf ihre Reaktion.

„Irony etwa auch?“

Boo lachte: „Glaubst du, er hat seinen Ruf einzig und allein auf seinen schönen Worten aufgebaut?“

Elaine zog die Augenbrauen zusammen: „Sehr witzig. Was genau versuchst du hier?“

Er sah zur Decke: „Oh je, ich bin aufgeflogen! Schon gut, schon gut. Über Irony weiß ich nicht bescheid. Abgesehen davon, als Berater geht er allem aus dem Weg, was nicht gerade Corry ist.“ Er grinste wieder: „Dann wiederum, ich kann ihn verstehen. Corry hintergeht man nicht so einfach. Sie ist ziemlich rachsüchtig, musst du wissen.“

„Jetzt reicht es! Du solltest aufhören, deine Freunde mit Dreck zu bewerfen. Was soll denn das?“ Elaine sah nicht nur gekränkt aus, sie war es auch.

Boo zog eine Augenbraue hoch: „Ich? Sie? Mit Dreck? Also bitte, das ist doch nur die Wahrheit. Ist nicht meine Schuld, wenn du damit nicht leben kannst, dass deine Freunde auch nur Menschen sind, mit den dazugehörigen Schwächen.“

Elaine atmete tief durch. Es waren nur ihre Rollen, es waren nur die Rollen, musste sie sich wieder ermahnen. Aber was sollte sie nur mit Boo tun? Sie konnte jetzt nicht einfach so aufgeben, aber er war offensichtlich ganz und gar nicht dazu bereit, auf sie einzugehen, außer in einer ganz bestimmten Hinsicht. Musste sie ihn denn wirklich zu Leo bringen? Sie wünschte sich, sie könnte ihn einfach durch einen Gedanken zur Vernunft bringen, aber das ging nicht. Es war nicht nur die falsche Vorgehensweise, sie wusste nicht einmal, ob sie das wirklich könnte. Es war eine Sache, Boo von Malvinas Einfluss zu heilen, aber eine andere, auf ihn selbst einzuwirken. Er war eigentlich ein Mensch wie sie selbst, kein Bewohner dieser Welt, auch wenn er die größere Hälfte seines Lebens bereits hier verbracht hatte.

„Was ist, hat es dir die Sprache verschlagen? Ellie? Sag was!“ Sie sah ihn an und sah einen neugierigen, forschenden Blick. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren.

Sie lächelte: „Schon gut, ich kann damit leben. Es kam nur etwas plötzlich und zu viel auf einmal.“

Er grinste: „Na siehst du. Aber warum bist du denn jetzt eigentlich hier? Du hast doch nicht etwa beschlossen, hier zu bleiben?“

Sie musste sich selbst eingestehen, der Gedanke war verlockend. Hier wurde sie respektiert, geliebt und geschätzt. Hier war sie etwas besonderes. Zu Hause war sie nur eine von vielen, nur eine Frau, weiter nichts. Sie schüttelte den Kopf – das war nicht der richtige Augenblick für so etwas. Und sie würde sicherlich nicht einfach so hier bleiben wollen, mit Sicherheit nicht, ohne sich erst von ihrer Familie und ihren Freunden zu verabschieden.

„Nein, ich bin aus einem anderen Grund hier – wegen euch.“

Er grinste: „Ich wusste es doch. Du hast mich vermisst.“

Ja, das hatte sie in der Tat. Diese acht Tage, die für sie keinen halben Tag und für ihre Freunde schon über ein Jahrzehnt her waren, waren so seltsam, so intensiv gewesen. Sie hatte das Gefühl, sie hätte ihre neuen Freunde schon ihr ganzes Leben lang gekannt. Sie seufzte: „Wenn das nur alles wäre.“

Er zog die Augenbrauen hoch: „Es gibt ein Problem? Sag bloß, es gibt wieder ein Problem und ich weiß nichts davon!“

Sie sah ihn an und bewegte ihre Lippen, kaum merklich: „Spiel hier nicht den Einfaltspinsel, du weißt ganz genau, was das Problem ist.“

Er blinzelte: „Was hast du gesagt? Ich hab dich nicht verstanden.“

Sie wiederholte den Satz und bewegte ihre Lippen diesmal etwas deutlicher.

Er grinste: „Oh nein, Ellie, da irrst du dich ganz gewaltig. Ich habe keine Ahnung. Meinst du, unsere hohen Tiere erzählen mir auch nur eine Kleinigkeit?“

Sie seufzte und wieder sprachen ihre Lippen, aber nicht ihre Stimme: „Boo, ich habe mit Leo geredet. Ich weiß, was hier gespielt wird.“

Er schmollte wieder: „Na, wenn du eh schon alles weißt, was machst du hier?“

„Weil ich hierher kommen musste. Es ging nicht anders. Und Boo, ich würde gern irgendwo mit dir reden, wo wir wirklich reden können. Zu Hause, bei euch zu Hause, meine ich“, antwortete sie still.

Er erwiderte ihr mit einem eigenartigen Funkeln in den Augen, das seine Worte Lügen strafte: „Wenn du glaubst, ich verpasse das beste von dieser Party nur weil du glaubst, dass es da ein Problem gibt, von dem ich nicht mal weiß, dann vergiss es.“

Sie schüttelte den Kopf: „Mach es mir nicht schwerer, als es schon ist. Verstehst du denn nicht, dass es wichtig für mich ist, wirklich mit dir zu sprechen?“ Jetzt bewegte sie ihre Lippen wieder nur ganz leicht, aus Angst, jemand könnte sie dennoch beobachten.

Diesmal schien Boo sie dennoch verstanden zu haben. Er stand auf und ging auf sie zu, stellte sich vor sie hin und stütze sich mit den Armen seitlich von ihren Schultern an der Lehne der Couch ab: „Ellie, lass den Quatsch. Wenn du keine Lust hast, dann geh, aber verdirb mir nicht die Laune. Ich amüsierte mich bestens, bis du hier auf Spielverderberin gemacht hast.“ Er sah ihr in die Augen und etwas in seinem Blick machte ihr Angst.

„Du bist nicht du selbst,“ formten ihre Lippen.

Er grinste: „Aber sicher bin ich das, du glaubst gar nicht wie sehr! Also, was ist jetzt? Gehen oder bleiben?“

Elaine wollte aufstehen, aber so wie er sich vor sie gestellt hatte, war es gänzlich unmöglich. Sie strafte ihn mit einem bösen Blick.

Er grinste wieder, diesmal siegessicher: „Scheint so, als ob du bleibst.“

Er schien ihren Blick fixieren zu wollen, aber jetzt hatte sie keine Angst mehr. Sie sah ihm ruhig in die Augen. „Du glaubst, du würdest da Erfolg haben, wo der Graf versagt hat, wenn du noch nicht einmal die Höhe seiner Fähigkeiten erreicht hast?“, flüsterte sie.

Er fluchte und ging wieder zum Sessel. Dann drehte er sich auf halbem Weg um und sah sie an, seine Lippen bewegten sich hastig und lautlos: „Hast du auch nur die geringste Ahnung, worauf du dich eingelassen hast? Ich sollte eigentlich schon hundert Jahre alt sein, bei dem, was hier so alles abging. Du solltest besser von hier verschwinden, so schnell du kannst. Du bist zwar eine Träumerin, aber es gibt noch andere Dinge auf dieser Welt. Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Zu Hause bist du sicher.“

Elaine blinzelte. Wovon sprach er überhaupt? Was konnte ihr denn gefährlich werden? Aber wenigstens war er endlich er selbst. Warum nicht gleich so? „Boo, warum kommst du nicht einfach mit? Ich meine, irgendwohin, wo wir ungestört reden können, nur wir beide.“

Er schmunzelte: „Nur wir beide? Klingt interessant.“ Und lautlos fügte er hinzu: „Das geht nicht. Ich kann hier nicht eher weg, bis die Party gelaufen ist. Können wir uns nachher treffen?“

Elaine spürte die Erleichterung in sich: „Wann wäre das?“

„Im Morgengrauen“, antwortete er knapp.

Sie nickte: „Und wo?“

„In der Wohnung. Komm bitte allein.“

Sie nickte. Dass sie allein kommen würde hieß nicht, dass sie es niemandem erzählen konnte.

Boo grinste: „Na, es geht doch, warum hast du denn so rumgezickt?“

Elaine stand auf: „Bis später, Boo.“ Sie wollte wieder gehen, da war er auf einmal wieder neben ihr und drückte sie an sich. Zuerst wollte sie ihn wegstoßen, aber dann merkte sie, so aufdringlich diese Umarmung auch aussehen sollte, er hatte sie einfach nur schrecklich vermisst.

Die Tür ging auf und Elaine trat heraus, ruhig lächelnd. Boo grinste den Grafen an, verbeugte sich betont übertrieben vor ihm, warf Elaine noch einen Luftkuss zu und verschwand in der Menge.

Der Drache sah sie an: „Und?“

Sie lächelte: „Alles bestens. Ich habe heute nichts mehr vor, was ist mit Euch? Wir können uns auch gerne hier noch etwas amüsieren.“

Der Graf grinste: „Ihr habt heute nichts mehr vor? Uns amüsieren? Aber doch nicht hier!“ Und während Elaine die Augen rollte, lachte er: „Nur ein Scherz, nur ein Scherz. Es wäre unhöflich, so früh die Feier zu verlassen. Die Fürstin wäre wohl nicht allzu begeistert.“

Elaine lächelte und schüttelte den Kopf: „Ihr tut das immer wieder. Na schön, und wie lange sollten wir noch hier bleiben?“

Er grinste: „Mitternacht ist doch ein schöner Zeitpunkt, um von einem Ball zu verschwinden, oder?“ Sie kicherte.

Dann kam ihr eine Idee: „Wenn Boo hier ist, könnte es nicht sein, dass wir auch Irony oder Corry auftreiben können?“

Der Graf schüttelte den Kopf: „Nein, ich denke nicht. Der Prinz ist nicht hier und zumindest Irony ist wohl dort zu finden, wo sich auch seine Hoheit aufhält. Und Corry könnte zwar hier sein – aber wenn sie es nicht will, dann werden wir sie auch nicht finden. Sie ist schließlich der Profi schlechthin.“

Elaine nickte, etwas enttäuscht. Dann wiederum, der Graf hatte recht. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass der Prinz seine Leute offensichtlich sehr gut zu beschäftigen wusste. Und diese beiden hatten sicherlich etwas besseres zu tun, als ihre Zeit auf einem Maskenball tot zu schlagen. Genau das stand allerdings ihr und dem Grafen jetzt bevor, auch wenn es nicht mehr lange bis Mitternacht war.

Sie kehrten in den großen Saal zurück und wieder umfing sie das Dröhnen der Bässe – dazu war es um einiges dunkler geworden. Nur noch wenige Kerzen spendeten jetzt Licht. Es war zwar immer noch zu hell, dafür, dass es Kerzen waren, aber zusammen mit dem würzigen Geruch und der wohligen Wärme erzeugte das Dämmerlicht eine ganz eigene Atmosphäre. Zumal die Luft selbst etwas anders wirkte, rauchig, neblig. Die Spiegel und das jetzt nur noch schwach funkelnde Kristall taten ihr übriges. Alles schien wie in einem Traum. Elaine musste sich ermahnen, dass das ja eine Welt der Träume war. Die Musik ebbte ab, wandelte sich, die Bässe waren kaum noch zu hören, aber sie waren spürbar, Vibrationen, die durch den ganzen Körper hallten und einen unruhig machten. Die Sequenzen schienen ebenfalls kaum noch existent, mehr wie eine Erinnerung der Musik, und dennoch im Hinterkopf präsent. Und der Rhythmus pulsierte regelrecht.

Elaine fühlte sich wie berauscht. Aber es war kein unangenehmes Gefühl, ganz im Gegenteil. Sie fühlte sich so entspannt, so wohl, wie nur selten in ihrem Leben. Es schien so, als würde es kein Morgen geben, die Nacht würde nie aufhören und alles würde für immer so wundervoll bleiben. Der Mann, der sie liebte, war neben ihr – und sie musste sich eingestehen, er war ihr alles andere als gleichgültig. Sie spürte sein Lächeln, seine Blicke, seine Nähe. Und dann spürte sie auch all die anderen in diesem Raum.

Seltsam, sie sah bisher keinen einzigen Adligen am Hof, der nicht gut aussah. Nur die wenigsten schienen älter als vierzig zu sein. Und hinter all den Masken glänzten Augen, Onyxe, Bernsteine, Saphire, Smaragde, Amethyste, Topase. Ihr Blick kreuzte immer wieder den Blick eines anderen oder einer anderen und die Szene wurde immer unwirklicher. Flüsterstimmen waren in der Luft, sanftes Lachen, aufgeregtes Atmen. Die Zeit schien immer langsamer zu werden. Es war, als würde etwas ihr Gesicht zum Grafen wenden und als sie ihn ansah und in seine stahlblauen, zugleich eisig kalten und heiß glühenden Augen blickte, schien die Zeit für einen Augenblick still zu stehen und der Augenblick wurde zu einer halben Ewigkeit.

Dann blinzelte er und sie zuckte zusammen, als die Uhr zum ersten Mal zu Mitternacht schlug. Das Schlagen ging ihr bis ins Mark und plötzlich war alles wie vorher. Die Musik, die Menschen, das Licht.

Der Graf lächelte entzückt: „Jetzt können wir gehen, Ellie.“

Er führte sie zielstrebig zur Fürstin, um sich von ihrer Gastgeberin zu verabschieden, und dann wieder hinaus. Die klirrende Kälte umfing sie und im Kontrast zur Hitze des Saals wirkte die Luft noch eisiger als zuvor. Trotz ihres warmen Pelzmantels fröstelte es sie und als der Drache sie an sich zog und ihr sagte, sie wären gleich in der Kutsche, schien es ihr, als würde sie für einen Augenblick seine gefrorenen Worte vor sich schweben sehen, bevor die Wolke seines Atems sich auflöste.

„Habt Ihr das gesehen?“ Jetzt wo sie darauf achtete, konnte sie ihre eigenen Worte für einen Moment regelrecht in der Luft geschrieben lesen.

Er lachte: „Darum sollte man im Winter nichts sagen, was besser geheim bleiben soll. Gerade die Profis sind besonders darin begabt, gefrorene Worte zu bemerken. Aber nicht nur sie,“ er zwinkerte ihr zu, als er ihr in die Kutsche half. Dann folgte er auch schon, die Tür schloss sich und sie fuhren zurück.

Bald wurde es warm. Elaine lehnte sich zurück und schmunzelte: „Wenn sogar Worte gefrieren, wie kommt es, dass es uns nicht passiert?“

Er beugte sich zu ihr und flüsterte in ihr Ohr: „Ihr vergesst die Leidenschaften in uns, Ellie. Außerdem braucht es auch vieles mehr, um heiße Worte zu vereisen.“

Die Wärme trug sicherlich mit dazu bei, dass sanfte Röte auf ihr Gesicht aufzog. Sie wunderte sich selbst darüber, schließlich hatte er nun wirklich nichts besonders freizügiges gesagt. Aber die Art, wie er es gesagt hatte und was dabei ungesagt blieb, das war das entscheidende. So wie der Geist ihr gezeigt hatte, wie man zwischen den Zeilen liest, so schien sie jetzt langsam zu verstehen, wie man das Ungesagte interpretierte.

„Und was hat Boo gesagt?“, er sah sie fragend an.

Elaine lächelte: „Leider noch nichts informatives. Er wollte auf gar keinen Fall bei der Herzogin reden.“

Der Graf zog eine Augenbraue hoch: „Aber er hat Euch etwas gesagt, sonst wären wir jetzt nicht auf dem Weg nach Haus.“

Sie nickte: „So ist es. Ich treffe ihn am Sonnenaufgang.“

„Tatsächlich?“, er setzte ein undurchdringliches Pokerface auf.

Sie schmunzelte: „Seid Ihr wirklich eifersüchtig, Graf? Ausgerechnet Ihr?“

Er lehnte sich grollend zurück: „Ich bin nicht eifersüchtig, ich will nur nicht, dass Euch etwas passiert. Wo will er Euch treffen?“

Sie grinste: „Ich habe den Ort ausgesucht, es ist die alte Wohnung. Und ich werde alleine dorthin gehen.“

Er seufzte: „Auch das noch. Solltet Ihr nicht wissen, dass solche Treffen nicht gerade ungefährlich sind?“

Sie lächelte: „Aber Malvina wird doch auch dort sein, falls Ihr es vergessen habt. Und was kann Boo mir schon antun?“

Er sah sie skeptisch an: „Ihr wisst vermutlich am besten, was er Euch antun könnte.“

Sie lächelte und ihre Lippen formten einen Satz: „Ich habe ihn zur Vernunft gebracht, Graf.“

Er grinste: „Dann sieht die Sache schon besser aus. Aber gehen werdet Ihr dennoch nicht.“

Sie schmunzelte: „Ihr wollt also, dass ich erneut Eure Kutsche nehme?“

Er nickte: „So ist es. Ich glaube, so langsam fangen wir an, uns richtig zu verstehen.“

Sie schüttelte lächelnd den Kopf und lenkte das Thema auf eine Frage, die ihr schon den ganzen Abend lang im Hinterkopf herumspukte: „Was waren das eigentlich für Effekte, Graf?“

„Effekte?“, er sah sie unschuldig an.

„Ich meine den Ball, die Zeit, die anscheinend still stand und das alles“, führte sie aus.

Er sah ihr nur tief in die Augen und setzte wieder sein verruchtes Grinsen auf. Ihre Pupillen weiteten sich wie ihre Augen und sie hielt für einen Augenblick die Luft an. „Das... das ist doch...“

Er lachte wieder: „Genieße jeden Tag, als wäre er dein letzter. Diesen Spruch nehmen wir um die Jahreswende besonders ernst, Ellie. Und glaubt mir, es gibt kaum einen höheren Genuss als diesen.“

Sie musste sich eingestehen, er hatte recht. Sie wusste nicht, wie sie das Bild umschreiben sollte, das in ihrem Kopf entstanden war, aber er hatte so recht. Sie wurde nachdenklich.

Die Kusche hielt vor dem Haus des Grafen, sie stiegen aus und waren nach wenigen Schritten wieder in der wohligen Wärme. „Wie sehen Eure Pläne für morgen aus?“, fragte er sie auf dem Gang.

Elaine lächelte: „Mit dem Sonnenaufgang in der alten Wohnung sein und mit Boo reden. Und dann wohl weiter zu Irony.“

Er grinste: „Dann haben wir noch etwas Zeit.“

Sie schüttelte lächelnd den Kopf: „Unverbesserlich.“

Der Graf schmunzelte boshaft: „Ihr wollt es doch gar nicht anders haben.“

Elaine verengte die Augen, schmunzelnd: „Wollt Ihr mich etwa herausfordern?“

Er zog sie an sich: „Und wenn ich es wollte?“

Sie grinste: „Ich bin hier die Träumerin, schon vergessen?“

Der Graf rollte die Augen und ließ sie los: „Ach ja, richtig.“

Sie lächelte und strich ihm über die Wange: „Keine Spielchen, okay?“

Er lächelte auch: „Spielchen? Doch nicht mit Euch, Mylady.“ Dann gab er ihr einen zärtlichen Handkuss.

***

Die Feier ging weiter und Boo ließ sich gehen, wie jede Nacht. Nein, eigentlich war es um die Jahreswende noch viel mehr, viel aufregender, viel berauschender. Das elfte Mal schon erlebte er diesen Fleisch gewordenen, funkelnden, aufregenden Wahnsinn und er genoss es jedes Mal. So sollte man leben und nicht anders – keine Sorgen um die Zukunft, keine Sorgen, überhaupt keine Sorgen. Erwachsen zu sein, das wollte er. Es bedeutete Genuss, Freiheit, Macht. Dass er bald mit Ellie sprechen und das alles hinter sich bringen würde, das versank tief in seinem Unterbewusstsein, zumindest für ein, zwei Stunden. Bis sie vor ihm auftauchte.

Ein genau platzierter, wohl dosierter, aber auch irgendwie zärtlicher Schlag stieß ihn in eine Nische, dann war sie vor ihm, ein Mantel aus Schatten umhüllte sie und jetzt auch ihn und er grinste: „Corry, lange nicht gesehen. Ich dachte, du hast keine Zeit, um mich zu besuchen, weil du stets voll und ganz mit dem Prinzen und seinem Berater beschäftigt bist.“

Sie schmunzelte, ihre schwarzen Lippen glänzten, die schnurrende Stimme streichelte sein Ohr: „Bin ich auch, mein lieber Boo. Aber ich bin ja auch hin und wieder mit dir beschäftigt. Was gibt’s neues?“ Jetzt, wo er älter geworden war, zauste sie ihm nicht mehr sein Haar, sie kraulte statt dessen seinen Nacken.

Er lächelte süß: „Du weißt doch, was du machen musst, um das herauszufinden.“

Sie sah dieses Lächeln, das zugleich so liebevoll und verdorben wirkte, und grinste: „Und ob ich das weiß.“ Das Leder ihrer Uniform knarrte leise, als sie sich noch näher zu ihm bewegte. Dann küsste sie ihn.

Ihre Augen weiteten sich und sie atmete tief durch: „Na sieh einer an. Leo hat geplaudert. Hätte ich nicht gedacht, aber wie dumm von mir! Es geht ja um Ellie. Ich mag keine Überraschungen, du etwa?“

Er sah sie schmunzelnd an: „Zumindest keine unangenehmen. Aber es war wohl keine wirkliche Überraschung für dich, oder?“

Sie setzte ein geheimnisvolles Lächeln auf, kaum merklich: „Ich wusste, dass und warum sie hier ist. Es war eine logische Konsequenz. Aber dennoch, man kann sich nie bei etwas sicher sein.“

Er nickte: „Was hast du jetzt vor?“

Sie rollte die Augen: „Na was schon, meine Arbeit machen. Du kennst mich doch, ich bin ein Workaholic. Es geht doch nichts über etwas Adrenalin im Blut. Na ja, fast nichts.“ Sie strich ihm über sein Haar: „Halt die Ohren steif, Kleiner.“ Und weg war sie.

Boo schüttelte den Kopf und lächelte. Bald würde der Morgen grauen. Bald ging die Party zu Ende, für diese Nacht. Und er wollte sie noch bis zum Schluss auskosten.

***

Sein Arbeitstag ging zu Ende und er war wieder zu Hause, entspannte sich wie jeden Abend vor dem Fernseher, eine Fertigmahlzeit vor sich. Es war immer derselbe Trott. Tagein, tagaus, und am Wochenende ein Besuch in seiner Stammkneipe und ein Ausflug ins Museum. Er mochte sein Leben, auch wenn viele es für langweilig erachten würden. Es hatte keine Überraschungen parat, es war immer einfach zu verstehen und einfach zu bewältigen.

Er war nur ein Rädchen in der großen Maschinerie der Behörde, aber damit auch der Teil eines großen Ganzen. Eines Ganzen, ohne das es nach seiner Überzeugung ihre Welt nicht mehr gäbe. Im Museum, wo viele Dinge aus der Vergangenheit ausgestellt waren, war immer die Rede von der guten, großen, alten Zeit gewesen, aber sie vergaßen immer, dass erst die Behörde ihr aller Leben sicher und einfach gemacht hatte. Mag sein, dass es heute nicht mehr möglich war, dass ein einfacher Bauernsohn ein großer Held wurde oder dass eine arme Dienerin zur Prinzessin erhoben wurde, aber dafür waren sie alle sicher. Und was sind schon ein paar verrückte Träume einzelner angesichts des großen Traums aller?

Er war glücklich, so wie er lebte. Beinahe. Wenn nur die Alpträume nicht wären. Er wünschte sich, wie jeden Abend vor dem Schlafen gehen, dass sie ihn diesmal verschonen mögen. Er wollte sie nicht. Er wollte gar keine Träume, nur einen geruhsamen, tiefen, einfachen Schlaf. War das denn so falsch? Er verzichtete auf die Wunder, wenn er von den Alpträumen bewahrt werden würde. Er war nicht gläubig, aber irgendwie ließ er doch jedes Mal ein stummes Gebet los, in der Hoffnung, dass er eines Tages doch erhört werden würde. Und endlich, nach so langer Zeit, wurde er erhört. Endlich!

***

Es war hoffnungslos. Kryss war am verzweifeln. Einige wenige Tage vor über zehn Jahren war er fort gewesen und das Desaster war komplett. Er wusste nicht, dass Elaine ihm die Arbeit enorm erleichtert hatte, hätte er es gewusst, hätte er vermutlich längst aufgegeben. Seine Kreaturen waren ihren Aufgaben kaum noch gewachsen und er war so müde. Es hatte für ihn so schön ausgesehen, damals, als er aufgeregt in die Tiefe der Katakomben hinabstieg und sich der Grenze widmete. Es war ein so gutes Gefühl gewesen, der einzige zu sein, der all die Menschen dort oben vor dem sicheren Untergang bewahren konnte.

Nur die wenigsten zollten ihm die nötige Anerkennung dafür, aber es kam ihm nur auf einen Menschen an. Und sie respektierte ihn, sie mochte ihn, sie war nie angeekelt oder überheblich. Aber sie liebte ihn nicht. Und er konnte es nicht ändern, ganz gleich, was er tat. Dieser eine Kuss, der nur technisch gesehen einer war, würde auch der einzige bleiben. Wieso konnte dieser vermaledeite Barde denn nicht die Erwartungen der anderen erfüllen und weiterhin Malvina anbeten oder stattdessen ihren menschliche Doppelgängerin Ellie? Wieso musste es so kommen wie es gekommen war?

Und als wäre es nicht schlimm genug, dass sein Herz für immer gebrochen war, jetzt musste er auch als Grenzwächter versagen. Ein Glück, dass der Prinz ihm seine Unterstützung nicht entzogen hatte, sonst hätte er gleich einpacken können. Aber jedes mal, wenn er seine Fühler nach seinem Gebiet ausstreckte, stellte Kryss mit Entsetzen fest, dass es schrumpfte. Die Linie dazwischen, sie wurde immer dünner, die Grenze selbst immer brüchiger. Die Dinge ohne Namen trauten sich immer mehr an die Oberfläche, sie wurden immer dreister, immer gefährlicher. Und auch wenn er mit den kleineren und schwächeren selbst oder mit Hilfe seiner Kreaturen fertig werden könnte, würden die großen Brocken sich an die Oberfläche zwängen, dann würde sie kaum noch jemand aufhalten. Wie sehr hätte er Corrys Hilfe gebraucht! Wäre sie sein geworden, dann wäre es nie so weit gekommen, dann wäre die Grenze für immer sicher, davon war er überzeugt. Es war zum verzweifeln.

***

Puppen und Teddybären. Malvina war in ihrem Zimmer und grübelte. Corry hatte es stets so belassen, wie es bei Malvinas Entführung damals verlassen wurde. Ihre Spielsachen und Kleider hatten damals Staub und Spinnweben angesetzt, aber das gab dem Raum einen ganz eigenen Charme, als sie ihn nach so langer Abwesenheit von dreizehn Jahren endlich wieder betrat. Als sie zurückkehrte, stand die Wohnung leer, die Türen der Zimmer geschlossen. Sie hatte sich so sehr darauf gefreut, ihre Familie wiederzusehen, aber sie fand nur ein Haus voller Erinnerungen.

Es war alles ihre Schuld. Wäre sie nicht so schwach gewesen, dann würden sie immer noch glücklich zusammen leben, zwar einfach und arm, aber glücklich, eine große Familie. Aber es kam alles anders. Und auch wenn inzwischen einige Zeit vergangen war, seit sie in diese Wohnung zurückgekehrt war, so war sie fast immer allein darin, allein mit den Erinnerungen und den Schatten der Vergangenheit. Boo, Irony oder ihre Schwester tauchten zwar immer wieder mal auf, auch Leo mit seiner Frau, aber es war nicht mehr dasselbe. Und es war schöner, Leo zu besuchen, als allein zu sein.

Sie hatte das Zimmer seitdem verändert. Ihre Spielsachen und kindlichen Kleider waren jetzt eingelagert, dort, wo alle Erinnerungen hingingen. Ihr Zimmer war jetzt einfach, fast schon spartanisch. Wo war die verspielte Kleine jetzt? Fort. Sie war schon lange kein Kind mehr, aber sie war auch noch keine Frau. Ein seltsamer Schwebezustand, irgendwie traurig, doch auch irgendwie schön. Aber bald würde alles wieder gut werden. Sie würden wieder so sein wie früher, eine Familie, vielleicht etwas größer, aber das war ja nicht schlecht. Und dann könnte auch sie langsam daran denken, diese Familie zu vergrößern. Das Angebot des Prinzen endgültig anzunehmen. Sobald ihre Familie bei ihr war.

Sie lächelte. Ein Träumer war hier, es würde alles gut werden. Menschen mochten so das Happy End, darum. Auch wenn sich in der jüngsten Zeit auch andere Entwicklungen gezeigt hatten – dann wiederum, Tragödien gab es auch schon seit es Menschen gab. Was sie trotzdem nicht daran hinderte, vom Glück zu träumen. Und Elaine war kein Träumer, dem eine Tragödie vorschwebte, das sicher nicht. Sonst hätte Malvina damals schon gewonnen, in Cerebros Namen.

Sie ging ins Bett, einsam in der so gut wie verlassenen Wohnung. Ob Corry wusste, was in ihrer kleinen Schwester vorging? Ob es sie noch kümmerte? Sicherlich, sie war um sie besorgt und würde sie erfahren, dass jemand Malvina auch nur ein Haar krümmen wollte, dann würde sie zur Stelle sein um die Kleine zu beschützen. Aber gab es da noch etwas mehr oder war es schon alles? War sie nur noch ein weiterer Auftrag für die Agentin des Prinzen und nichts mehr? Manchmal kam es ihr beinahe so vor. Sie hatte ein Auge auf ihre kleine Schwester, wie ihre Eltern es einmal haben wollten. Nicht mehr und nicht weniger. Wie jeden Abend seit ihrer Rückkehr in die Hauptstadt weinte sich Malvina in den Schlaf.

***

Der Graf weckte Elaine kurz vor dem Morgengrauen. Sie war verschlafen, und es war sicherlich nicht zum geringen Teil seine Schuld. Aber ein elektrisierender Kuss brachte sie wieder zurück, aus einem Land der Träume ins andere. „Bald ist es Zeit, Mylady.“

Sie nickte und zog sich an. Der Butler brachte ihnen ein für die Verhältnisse des Grafen viel zu einfaches Frühstück. Aber Elaine wollte sich einfach nicht an diesen Luxus gewöhnen. Sie hatte nicht vor, hier zu bleiben, auch wenn ihr der Abschied dieses Mal vermutlich noch schwerer fallen würde, als er vorhin schon war. Er würde nicht mit ihr kommen, aber auch er stand auf. Schließlich hatte auch er seine Aufgaben. Vermutlich würden sie sich erst am Abend wiedersehen. Es würde sie nicht wundern, wenn ihr Weg sie bis dahin erneut auf eine Feier führen würde. Auch wenn sie sich vermutlich schon vorher mal zum Hof begeben würde, des Beraters wegen. Die Vorfreude, einen Freund wiederzusehen war getrübt durch die Ungewissheit und Boos Worte. Was hatte sie zu erwarten? Keiner von ihnen wollte ihr sagen, wie Irony, der Berater, jetzt so war. Höflich würde er sein, dachte sie sich. Alles andere wäre Spekulation.

Der Graf küsste sie zum Abschied und sie verließ sein Haus. Draußen funkelte der Winter, er war so gleißend hell, dass sie sich die Augen abschirmen musste. Die allgegenwärtige Kälte umfing sie erneut. Es kam ihr noch schlimmer vor als beim letzten Mal. Wurde es immer noch kälter? In der Kutsche war es warm. Es war seltsam, sie sah keine Heizung oder etwas ähnliches darin, und dennoch war es warm darin. Und der Kutscher wie die Pferde schienen ebenfalls nicht wirklich von der Kälte bedroht zu sein. Es war wirklich seltsam.

Jetzt erlebte sie den abrupten Wechsel zwischen der Welt des Adels und der Welt der Gemeinen bei Tag, in der schonungslosen Helligkeit. Und davon wurde es nicht besser, ganz im Gegenteil. Sie fragte sich erneut, warum denn niemand etwas unternahm. Was machte den einfachen Leuten so viel Angst, dass sie nichts versuchten, um diese Zustände zu ändern? Der Adel war nicht allmächtig, auch nicht seine Agenten oder Gendarmen. Und dennoch, es änderte sich nichts. Was war es wohl? Doch allzu viel Zeit zum Grübeln hatte sie nicht. Die Kutsche hielt vor der alten Wohnung ihrer Freunde im Blauen Viertel und sie stieg aus. Der Kutscher nickte ihr zu, als er sagte, er würde selbstverständlich auf sie warten. Und dann ging sie nach oben, einen ihr auf seltsame Weise sehr vertrauten Weg.

Guten Rutsch, Elaine!

Подняться наверх