Читать книгу Alle lieben Berni - Inge Helm - Страница 4
ОглавлениеBerni ist weg, einfach fortgelaufen, auf und davon durch ein Loch im Zaun.
Und jetzt wird er uns vermissen und nach uns suchen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Wir sind umgezogen von einem geräumigen Haus mit großem Garten auf dem Land in eines dieser schmalen und hohen Stadthäuser mit vielen Treppenstufen und einem Handtuch von Garten. Und so haben wir lange überlegt, was mit Berni geschehen soll; denn hier holt sich sein Freiheitsdrang Beulen.
Berni ist ein schwarz-braun-weiβer Berner Sennenhund, beinahe so groβ wie ein Kalb, und er braucht entsprechend Platz im Haus und viel Auslauf drauβen. Das neue Haus ist zu klein für ihn, ganz zu schweigen von den paar Grashalmen dahinter. Und dann die vielen Treppenstufen! Die dürften ihm schwer fallen mit seinen wehen Hüften. Schlieβlich hat er schon die stattliche Zahl von acht Jahren auf seinem breiten Kreuz. In liebevolle Hände verschenken? »Nein«, sagen die Kinder; die zwar nicht mehr bei uns wohnen, aber von unseren Überlegungen erfahren haben, »das ist, als würdet ihr einen von uns weggeben!«
Doch dann kommt uns der Zufall zu Hilfe. Kurz vor Weihnachten erzählt uns der Tierarzt, mit dem ich den Fall vor längerer Zeit besprochen habe, dass im münsterländischen Borken eine nette Familie mit zwei halbwüchsigen Kindern, einem Bauernhof, viel Land und einer Haflinger-Pferdezucht gerade so einen groβen, lieben, aber wachsamen Hund suche. »Dort ist er bestimmt gut aufgehoben, ich kenne die Leute.« Also versuchen können wir es ja, vielleicht erst mal zur Probe.
Kurz entschlossen rufe ich die Familie an, ohne allerdings unsere Kinder zu informieren, und mache einen Termin für das nächste Wochenende aus, damit wir uns alle sozusagen mal beschnuppern können.
Als wir am Samstag Bernis Korb hinten in den Variant stellen, eine riesige Tüte Hundefutter daneben, bricht mir fast das Herz, als der Dicke vor Freude bellend und schwanzwedelnd hineinspringt, glücklich, dass er auf eine Reise mitgenommen werden soll. Zeli, die Dackeldame, jault wütend aus dem Haus hinter uns her, weil sie daheim bleiben muss.
Auf dem Hof in Borken will Berni dann plötzlich nicht aussteigen, und ich muss ihn an der Leine aus dem Auto ziehen. »Als ob er etwas ahnt«, geht es mir durch den Kopf. Ein sehr nettes Ehepaar begrüβt ihn und uns erfreut, und die Kinder, neun und zwölf Jahre alt, nehmen mir den Hund sofort ab. Zutraulich trottet er mit ihnen hinter uns her ins Haus. Kinder hat Berni schon immer gemocht, die spielen mit ihm, geben ihm Leckerle und Schokolade, und die schimpfen nie. Wir setzen uns mit den Eltern ins Wohnzimmer, um bei einer Tasse Kaffee zu besprechen, was zu besprechen ist. »Berni, Schokolädchen! Berni, Schmüserchen! Lieber, lieber Berni!« Die beiden Kinder, Esther und Moritz, sind in der geräumigen Diele voll beschäftigt mit dem Dicken. Und der fühlt sich natürlich bernersennenhundwohl.
So viel ungeteilte Aufmerksamkeit hat er selten. Zu Hause muss er immer alles mit Zeli teilen, und weil die eine Hundedame ist, ihr auch noch stets den gröβeren Happen überlassen. Hin und wieder taucht sein wuscheliger Kopf mit dem breiten weiβen Streifen über der dicken Nase und den braunen Tupfern darauf in der Wohnzimmertür auf. Dann kommt er zu mir, stupst mich am Arm, geht zu Dietrich, meinem Mann, legt ihm die weiβe Pfote aufs Knie, so als wolle er sagen: »Ich bin ja noch da, nur im Moment sehr beschäftigt.«
»Berni, komm!«, und er läuft wieder hinaus, um mit den Kindern im Hof herumzujagen.
Wir beschlieβen, Berni erst einmal für zwei Wochen zur Probe dazulassen. Wenn es nicht klappt, holen wir ihn wieder ab, und wenn doch? Wir werden sehen …
Als ich ihm zum Abschied beide Arme um den wolligen Hals lege, schaut er mich fröhlich an und versteht überhaupt nicht, warum meine Augen feucht sind. »Mach’s gut, alter Junge, sei lieb und wachsam, und mach uns keine Schande!« (Als ob ein Hund das jemals tun würde!) Dann drücke ich ihm schnell einen Kuss auf sein sommersprossiges Kälbchenmaul und steige hastig ins Auto ein. Dietrich pufft ihm zum Abschied freundschaftlich in die Seite und klettert dann ebenso eilig auf den Fahrersitz. Als wir vom Hof fahren, steht der Dicke zwischen den Kindern. Sie halten ihn am Halsband fest, seine rosa Zunge baumelt lustig seitlich aus dem Maul. Er setzt felsenfest darauf, dass wir ihn bald wieder abholen. Schlieβlich war er ja schon öfter in Pension, das kennt er noch von den letzten Ferien.
Die zwei Stunden Heimfahrt legen wir völlig stumm zurück. Und erst als Zeli uns freudig kläffend umspringt, dann aber aufgeregt das ganze Auto nach Berni abschnuffelt und uns fragend ansieht, kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Mir fehlt der Dicke schon jetzt.
Am Abend lädt uns Dietrich zur Ablenkung in ein feines Restaurant ein, doch wir bekommen kaum einen Bissen hinunter.
Gleich am nächsten Tag rufe ich in Borken an. »Berni hat heute Nacht bei Esther vor dem Bett geschlafen, dann ist er mit uns durch die Felder gejagt.« Ich bin fast etwas enttäuscht, dass anscheinend alles so glatt geht. Denn mir fehlt Berni schon jetzt an allen Ecken und Enden: seine dicke Wolle unter meinen Händen, sein »Plumps« am Abend, wenn er sich vor den Kamin schmeiβt und seine Pfote und den dicken Kopf auf meine Knie legt, um energisch zum Schmusen aufzufordern.
Zeli liegt den ganzen Tag auf dem Läufer in der Diele, die Schnauze der Haustüre zugewandt und in ständiger Erwartung ihres groβen Freundes. Das Futter will ihr nicht so recht schmecken, und sie magert in den folgenden Tagen sichtlich ab. »Wenn Sie es sich leisten können«, sagt der Tierarzt, den ich um Rat frage, »dann legen Sie sich und der Hundedame einen zweiten Dackel zu.« Gewiss, das wäre zu überlegen, so ein kleiner Hund braucht nicht so viel Auslauf wie ein Berner Sennenhund; aber ich käme mir dabei wie eine Verräterin an unserem Dicken vor.
Zu Weihnachten schicken wir Berni ein Päckchen: Hundekuchen, Hundeschokolädchen, und Zeli opfert ihren angeknabberten Büffelhautknochen. Das heiβt, ich überrede sie, ihn Berni zu schicken, und knurrend gibt sie nach. Der hat sich mittlerweile sehr gut in seinem neuen Zuhause eingelebt und scheint uns nicht zu vermissen. Er ist lieb mit den Kindern, schaut Esther gern beim Striegeln der Haflinger zu und bewacht eifrig den Hof.
Im Januar ziehen wir dann um in die Stadt. Nachdem wir uns einigermaβen eingerichtet haben im neuen Haus, will ich unsere neue Telefonnummer nach Borken durchgeben. »Es ist etwas Schreckliches passiert«, fällt mir Esther sofort aufgeregt ins Wort, »Berni ist abgehauen und spurlos verschwunden, wahrscheinlich durch ein Loch im Zaun!« Mir bleibt der Atem stehen. Das habe ich insgeheim befürchtet, dass er vielleicht doch versuchen wird, zu uns zurückzukehren; denn länger als drei Wochen haben wir ihn nie in Pension gelassen, und nun sind schon zwei Monate vergangen. Was soll ich bloβ tun? Esthers Vater hat den Hörer übernommen: »Wir sind sofort losgefahren und haben nach ihm gesucht, aber keine Spur. Die Polizei ist benachrichtigt, unser Tierheim hält Augen und Ohren offen. Auβerdem steht am Wochenende eine Suchanzeige in der Zeitung. Mehr können wir im Moment nicht machen. Vielleicht findet er ja auch von alleine zurück.«
Und wenn nicht? Ich beschlieβe, zusätzlich alle Tierheime, Fundbüros und Polizeidienststellen zwischen Borken und unserem alten Wohnort zu benachrichten.
Doch alles ist vergeblich.
Auch eine Anzeige in einer überregionalen Zeitung bleibt ohne Echo.
In der Zwischenzeit sind zwei Wochen vergangen. Wo mag Berni sein? Wohin will er? Ob er uns sucht? Ob ihm kalt ist? Ob er Hunger hat? Wasser gegen den Durst wird er ja drauβen finden. Hoffentlich machen ihm seine schlimmen Hüften bei dem Sauwetter nicht zu schaffen, nasskalt wie es im Moment ist.
Ach Berni!