Читать книгу Alle lieben Berni - Inge Helm - Страница 5

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Als acht Wochen alter Welpe war Berni zusammen mit Dietrich zu uns gekommen. Er betrat unsere Wohnung halb ängstlich, halb neugierig, mit einem Ungewissen Wedeln der weiβen Schwanzspitze. Und dann machte er sich in der Küche gleich über Lucis Fressnapf her, unserer damaligen altehrwürdigen Rauhhaardackeldame. Später knallte er sich in ihr Körbchen, für das er schon jetzt viel zu groβ war. Die Kinder adoptierten das ulkige Wollknäuel auf der Stelle, und mir blieb danach nichts anderes übrig, als das Gleiche mit seinem Herrchen zu tun. Bloβ Luci zeigte beiden die restlichen Zähne. Sie litt demonstrativ unter dem angeblichen Liebesentzug, da sie unsere Aufmerksamkeit nun mit dem Knäuel teilen musste; sie beschloss, ihn zu ignorieren, wo sie nur konnte, um ihn nicht beiβen zu müssen, denn das zog regelmäβig strenge Verweise nach sich.

Dann trat eines Tages Sohn Christoph dem Riesenbaby aus Versehen auf eine der weiβen Vorderpfoten. Berni heulte herzzerreiβend, und Luci musste ihm umgehend tröstend die lange Zunge um die Ohren schlagen. Von da an waren sie ein Herz und eine Seele. Und Dietrich eroberte sich seinerseits die Gunst der Dackeldame langsam, aber sicher, indem er, so oft er konnte, mit beiden Hunden im nahen Wald spazieren ging. Da wurde gerast, gejagt, getobt und vor lauter aufregenden Spuren und Düften das Gehorchen vergessen. Auβer Atem und völlig erschöpft kamen die drei stets bei uns an.

Berni entwickelte sich im Lauf der Zeit zum Halbstarken, der nur Faxen im Kopf hatte; die betagte Luci riss er einfach mit. Sie wurde wieder richtig jung durch ihn. Ich dagegen alterte zusehends. Kam ich abends von der Arbeit heim, musste ich ramponierte Kissen flicken, angebissene Teppichfransen reparieren, zerkratzte Möbel aufpolieren, und aus bis dahin noch tadellosen Handtüchern, Unterhosen und T-Shirts Lappen schneiden, weil diese beim Zerreiβspiel von den beiden Hunden zerfetzt worden waren. Das Schlimmste aber war, wenn ich, mit Blumenstrauβ und Putzlappen bewaffnet, bei meiner Nachbarin unter uns um Verzeihung bitten musste, weil Berni mal wieder auf den Balkon gepinkelt hatte und das Geschäft durch den freihängenden Abfluss auf die nachbarliche Freiluftkaffeetafel getröpfelt war. Bevor er allerdings zum wirklichen Ärgernis wurde, beschlossen sein Herrchen und ich, die Familien gewissermaβen zusammenzuschmeiβen und auf dem Land ein groβes Haus mit Garten zu bauen.

Doch nun wurde er erst recht zum Rabauken. Kein Zaun war ihm zu hoch, um abzuhauen, keine Öffnung zu klein, um durchzukriechen. Zur Not buddelte er sich gemeinsam mit Luci unter der Einzäunung einfach ein Loch. Er klaute den Bauarbeitern in der Umgebung unserer Neubausiedlung die Butterbrote und schleppte leere Joghurtbecher und Schlimmeres in unseren Garten, die Dackeldame ständig im Schlepptau. Da beide anschlieβend immer in die Waschküche kamen, zum Säubern wie zur Strafe, bellten sie sich schon von weitem Mut an; ich brauchte dann nur noch das Gartentor zu öffnen. Sie sausten dann gleich von selbst zur Waschküchentür, und ich verdonnerte sie dann zu Arrest, in der Gewissheit, dass sie schon wüssten, warum.

Als in jenem Jahr das Obst reif zu werden begann, streunte Berni ständig durch unseren und des Nachbars Garten und fraβ alles, was angestochen auf der Erde lag, um uns dann wenig später mit einem entzückenden Dünnpfiff zu beglücken.

Eines Tages hörte ich Dietrichs Stimme aus der Vordiele: »Nun sag schon, wo du hingeschissen hast, du Stinktier. Ich riech’s doch, also wo ist das Malheur?« Ich eilte umgehend hinzu und half mitsuchen. Und siehe da, das Missgeschick klebte von innen an der Haustür, ungefähr in der Höhe von Bernis Allerwertestem. Wir brachen in lautes Gelächter aus, und er zog beleidigt ab in die Waschküche.

Nach dorthin verzog er sich auch, sobald es irgendwo knallte, sei es ein Feuerwerk an Silvester oder die Knallerei, wenn Kinder zur Karnevalszeit mit ihren Platzpatronenschieβeisen herumballerten. Dann kam er angewetzt, weil das Krachen ihn in den Schoβ der Familie, respektive in ein schützendes Versteck in unserer Nähe trieb. Am ärgsten aber war es bei Gewitter. Das roch er schon, auch wenn noch kein Wölkchen am Himmel zu sehen war. Schon der erste Donnerschlag lieβ ihn vor Panik durchs Haus, ja sogar aus dem Haus rennen und drauβen irgendwo Unterschlupf suchen. Eines Tages türmten sich schon frühmorgens am Himmel schwarze Wolkenberge, und bald kam aus der Ferne leises Donnergrollen. Berni lief mir unruhig und aufgeregt hechelnd nach und trat mir ständig in die Hacken. Als ich dann die Haustüre öffnete, um drauβen das groβe Garagentor zu schlieβen, flitzte er an mir vorbei und war blitzschnell verschwunden. Alles Rufen und Locken war vergebens, er tauchte nicht wieder auf. Also machte ich schnell die Garage dicht und rannte allein ins Haus zurück, da die ersten Blitze über den dunklen Himmel zuckten und bereits dicke Regentropfen auf den Garagenvorplatz klatschten.

Als das Krachen des Gewitters nach einer Stunde langsam in der Ferne verschwand und das Rauschen des Regens nachlieβ, trommelte ich alle Kinder zusammen, und wir machten uns auf die Suche nach Berni. Wir kehrten in Haus und Garten das Unterste nach oben und umgekehrt, doch der Dicke blieb verschwunden. Selbst Lucis Jagdhundnase spürte ihn nicht auf. Erst am Abend, als Dietrich nach Hause kam und seinen Wagen in die Garage fahren wollte, fanden wir ihn beim Öffnen des Garagentors im offen stehenden Kofferraum meines Autos. Er wedelte zaghaft mit der weiβen Schwanzspitze und hechelte uns um Vergebung bittend an. Da hatte ich doch in meiner eigenen Furcht vor dem Unwetter rasch das Tor zugeschlagen und das zitternde Fellbündel einfach übersehen.

Warum der Dicke sich dann allerdings den ganzen Tag nicht gemeldet hatte, konnten wir nur vermuten: Offensichtlich hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er ohne unsere Aufforderung in meinen Wagen gesprungen war; denn mitfahren durften die Hunde nur im hinteren Teil des groβen Variants, in dem ein Trenngitter war, das sie davon abhielt, auf die Polster zu springen. Dann aber hopste Berni auf unser freudiges Rufen hin fröhlich aus seinem Versteck, umrundete uns ausgelassen und raste mit Luci wie ein Verrückter über die noch regenfeuchte Wiese, glücklich über das abgezogene Gewitter und die wiedergewonnene Freiheit.

Seine Angst behielt er leider bei, solange er bei uns lebte, ebenso die Furcht vor anderen lauten Geräuschen, wie Kindergeschrei oder heulender Wind, der die Türen schlagen und die Antenne auf dem Dach ächzen lieβ. Dann trat er zuweilen in seiner Panik sogar gegen Schranktüren, in der irrigen Annahme, sie führten nach drauβen. Der befreundete Tierarzt, den wir deswegen konsultierten, hob nur bedauernd die Schultern. Vielleicht hatte er schlechte Welpenerfahrung gemacht bei seinem Züchter, oder die Eisenbahnfahrt von Bayern, wo er geboren war, ins Rheinland, eingesperrt in einer groβen, dunklen und rumpelnden Kiste, hatte so etwas wie ein Trauma bei ihm hervorgerufen. Auf jeden Fall war er in dieser Hinsicht für immer verkorkst. Auf Anraten des Arztes probierten wir ohne groβe Überzeugung wenigstens mal Beruhigungspillen aus. Doch die machten aus unserem fröhlichen und lebhaften Hund eine träge, schläfrige Transuse, sodass wir die medikamentöse Behandlung des Problems schleunigst ad acta legten.

Später, als er verstand, sich Türen selbst zu öffnen, indem er mit den Vorderpfoten auf die Klinke trat, verschwand er bei solchen Anlässen stets im fensterlosen Kabuff unter der Garage, und ich könnte schwören, er kniff auch dort noch die Augen zu und legte die Pfoten über die Ohren. Im Kabuff verkroch er sich allerdings in Zukunft auch bei groβer Hitze, denn die vertrug er bei seinem dicken Fell überhaupt nicht. Schlieβlich war er ein Hütehund aus den Bergen, gewohnt, Tag und Nacht drauβen zu sein und seine Herde zusammenzuhalten, das heiβt zumindest seine Altvorderen hatten es so gehalten. In Ermangelung von Ziegen und Schafen hütete Berni indes die Kinder und deren Freunde. Er ruhte nicht eher und umrundete sie so lange kläffend, bis alle brav beisammen waren. Und wenn die Freunde der Kinder ihre Turnschuhe in der Vorderdiele abstellten, dann trug Berni sie unter Lucis beifälligem Gekläff einzeln nach drauβen in den Garten und schmiss sie auf einen Haufen, ob nun die Sonne schien oder es Schusterjungen regnete, das war ihm wurscht.

Manchmal packte ihn vollends der Übermut. Dann schnappte er sich einen Schuh, raste damit wie wild geworden ums Haus, schlenkerte ihn sich um die Ohren, um mir dann irgendwann die völlig zerfledderte Beute vor die Füβe zu werfen, nach Anerkennung hechelnd. Entnervt pfiff ich ihn dann an, dass er, sensibel wie er war, auf Luci-gröβe zusammenschrumpfte. Doch da das nie lange vorhielt, beschloss ich umgehend, eine Hundeversicherung gegen seine Untaten abzuschlieβen.

Im Übrigen war Berni jedoch eher feige als mutig, und er überlieβ es groβzügig Luci, Haus und Hof zu schützen. Die endgültige Bestätigung dieser Tatsache bekamen wir, als wir eines Tages drauβen auf der Terrasse in der Sonne saβen. Unser am Anfang noch nicht eingezäunter Garten zog immer wieder fremde Hunde an, die das Revier unserer beiden erschnüffeln wollten. So besuchte uns auch an diesem Tag ein kleiner Mischling von einem Bauernhof der näheren Umgebung. Luci schoss sofort auf ihn zu und schlug den Eindringling lautstark kläffend in die Flucht. Berni dagegen rettete sich mit einem Satz auf den Sessel hinter mir, nur ein pflichtschuldiges leises Grummeln von sich gebend.

Bald war er so groβ, dass er mit einem Schwanzwedeln alles zu Boden fegte, was nicht niet- und nagelfest war. Und was gar an belegten Platten und Tellern in seiner Sichthöhe stand, fraβ er kurz im Stehen kahl, nasse Tropfspuren hinterlassend und sich so verratend. Nichts war vor ihm sicher. Selbst Zigaretten klaute er immer wieder vom Couchtisch und fraβ sie bis zum letzten Krümel auf. Und bevor wir beide unsere Gesundheit vollends ruinierten, gab ich schlieβlich schweren Herzens die Qualmerei auf, und die Glimmstängel verschwanden aus unserem Leben.

In der Hoffnung, dass Dietrich es uns gleichtun würde, griff ich nach seinen Pfeifen, um diese aus dem Verkehr zu ziehen. Doch da kam ich schlecht an bei ihm; sie blieben, wo sie waren. Bis zu dem Tag, da Berni auch mal Herrchens »Knochen« probieren wollte und die Pfeifen samt Ständer vom Tisch fegte. Als sie, malerisch verstreut, am Boden herumlagen, beknabberte er gemeinsam mit Luci mal das eine, mal das andere gute Stück, bis alle durch waren. Und bevor Dietrich noch etwas retten konnte, hatten die beiden Hunde für Dietrich das Rauchen im wahrsten Sinne des Wortes erledigt. Nur mit Mühe konnte ich einen Totschlag im Affekt vereiteln, indem ich Herrchen stehenden Fuβes einen verschlieβbaren Pfeifenschrank kaufte, den er in sicherer Höhe an die Wand hängte, dazu eine Nobelpfeife aus italienischem Hause, die zwar von erlesenem Design war, aber ihre Mucken hatte: Sie schmeckte angeblich nicht gut und ging bei jedem zweiten Zug aus. Da lieβ mein Mann einige der ramponierten Pfeifen wieder reparieren. Und weil er im Lauf der Zeit von allen, die die Geschichte vernahmen, weitere geschenkt bekam, war der verloren gegangene Bestand bald wieder aufgefüllt. Aber weil das Ganze nun hinter Glas verschlossen war und für Berni unerreichbar, zog der Dicke sich gekränkt in den Keller zurück, seine kleine Freundin Luci nahm er gleich mit.

Im Keller hatte Berni mittlerweile seinen groβen Korb, der in der Waschküche unter dem Bügeltisch stand. So hatte er bei Gefahr ein schützendes Dach über dem Kopf und trotzdem alles gut unter Kontrolle. Hierher zog er sich zurück, wenn er etwas ausgefressen hatte oder seine Ruhe haben wollte. Am liebsten aber lag er in dem Korb, wenn Frau Rosa, unsere Haushaltshilfe, die Wäsche bügelte. Dann gesellte sich auch Luci dazu, und er machte ihr, ganz Kavalier, sogar ein wenig Platz. So beobachteten sie einträchtig Frau Rosas Arbeit, wobei ich den Verdacht hatte, dass sie es nur auf den Kuchen abgesehen hatten, den diese zwischendurch mit einer Tasse Kaffee zu sich nahm; dabei fiel oft etwas ab für die beiden Halunken.

Ansonsten waren sie nicht so begeistert von Frau Rosas Anwesenheit. Stets saugte und putzte sie im ganzen Haus herum, machte Unruhe und vertrieb jedes Mal den wundervollen Hundegeruch von Bernis und Lucis Lieblingsplätzen mit den scharfen Reinigungsmitteln. So musste sich insbesondere Berni beim Spaziergang, sobald wir nicht aufpassten, in vergammelten Rüben oder Schlimmerem wälzen, damit es zu Hause wieder so richtig behaglich duftete. Doch wir machten ihm einen Strich durch die Rechnung und steckten ihn in die Badewanne, allerdings nur das erste Mal. Denn die Dusche kam ihm offenbar vor wie das Jüngste Gericht. Er lieβ das warme Wasser zitternd und völlig erstarrt über sich ergehen. Danach betrat er das Badezimmer nie mehr freiwillig. Die Bekanntschaft mit Wasser und Seife in Nase und Augen war wohl zu unerfreulich gewesen. Nach dem Bad raste er später regelmäβig, klatschnass wie er war; durchs ganze Haus, die Treppen hinauf und hinunter, wälzte sich zwischendurch mit dem Rücken auf den guten Teppichen, schubberte sich an der Couchgarnitur und wütete weiter in Richtung Schlafzimmer. In letzter Minute konnte ich die frisch bezogenen Betten vor ihm retten, indem ich ihm die Schlafzimmertür vor der Nase zuschlug und obendrein abschloss; denn er bekam es im Eifer des Gefechts tatsächlich fertig, sich die Türen wieder aufzutreten.

In Pfützen und Bäche dagegen ging er freiwillig. Aus denen soff er, und in ihnen kühlte er sich seinen Bauch. Nichts war so herrlich wie Wasser mit Matsch, auch wenn danach wieder ein Bad in sauberem, lauwarmem Wasser drohte. Luci war da etwas vorsichtiger. Sie mochte Wasser in keiner Form. Mehr als Pfoten und Bart nass machen war bei ihr nicht drin.

Alle lieben Berni

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