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Provençalische Düfte in Oberberg

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Die Dackel schlugen lautstark Alarm, als der Wagen des Doktors vorfuhr und in Annas Einfahrt parkte. Sie öffnete die Tür, die Hunde sausten nach draußen und in die vielen Tüten hinein, die Ügo mühsam in die Höhe hielt.

„Unser Essen“, grinste er.

Und dann folgte die übliche Begrüßung: Hatten Sie eine gute Fahrt, waren viele Staus unterwegs? Um die Kreisel von Antwerpen und Aachen immer, Sie wohnen ja zauberhaft hier, gnädige Frau …

Anna half Ügo beim Hereintragen seiner Sachen. Sie packten alles in ihre kleine Küche. Und während Anna versuchte, die aufgeregten Dackeltiere zu beruhigen, sah Ügo sich in der übrigen Wohnung um. Zierliches Biedermeier gemischt mit modernem Kirschbaum, weißen Bücherwänden, einer kuscheligen italienischen Sitzlandschaft, aus der man – in fortgeschrittenem Alter und mit lahmem Kreuz – einige Mühe hatte, sich wieder zu erheben, und überall fröhliche bunte Blumensträuße.

Eine Etage höher war die Tür zu Annas Schlafzimmer nur angelehnt. Er schob sie vorsichtig auf und wähnte sich in der Provence. Lavendel und Weiß, Stühle aus Eisen mit verspielten bunten Tiermotiven in den Lehnen, dazwischen ein kleines antikes Tischchen. Ein riesiger alter Spiegel aus der Gründerzeit lehnte an der Wand, duftige Gardinen bauschten sich vor dem Fenster, und die Decke auf dem breiten französischen Bett war aufgeschlagen. Anna trat zu ihm und fühlte einen heißen Schreck in der Magengegend: Auf dem Laken lag ausgebreitet und einladend das bezaubernde, sündhaft teure Etwas, das sie am Morgen, weiß der Kuckuck warum, erstanden hatte.

Ügos Blicke schweiften interessiert zwischen Bett und Anna hin und her, und er fragte amüsiert: „Hatten Sie vor, mir heute Nacht meine Jungfräulich… äh … -männlichkeit zu rauben?“ Er grinste frech.

Anna wäre am liebsten im Boden versunken und antwortete sittlich empört: „Wofür halten Sie mich eigentlich?!“

„Für eine äußerst attraktive und kluge Frau“, sagte er, und dann beinahe liebevoll, „und das heißt, dass mir all diese umsichtig getroffenen Vorbereitungen ausgesprochen gut gefallen.“

Anna antwortete nicht, sondern schloss energisch die Schlafzimmertür und schob ihn die Treppe wieder hinunter und zurück ins Wohnzimmer. Doch das war ein Fehler. Ügo reagierte blitzschnell und umschloss sie mit beiden Armen. „Ma petite …“ Er begann sie behutsam zu küssen. Zuerst auf die Stirn, die Augen, die Nase …

Als er zu ihrem Mund gelangte, wehrte sie sich: „Ügo, bitte“, und befreite sich aus seiner Umarmung. Sie brauchte noch etwas Zeit zum Luftholen, Worte, mehr Hintergrund oder was immer er wollte, um wirklich bereit zu sein.

„Warum? Wir sind doch schon ein paar Jährchen erwachsen und im Vollbesitz unserer geistigen und körperlichen Kräfte.“

„Eben. Und außerdem muss ich in die Küche, um das nervtötende Kläffen der Dackel abzustellen.“

„Die werden schon von alleine aufhören.“ Und er versuchte, sie erneut in seine Arme zu ziehen.

„Bitte, Ügo, lass mich! Ich möchte wirklich nicht!“

„Aber ich möchte gerne“, murmelte der Doktor in ihr Haar.

„Die Hunde machen mich noch wahnsinnig! Ich bekomme Ärger mit den Nachbarn!“

„Dann geh“, sagte er und gab sie überraschend frei.

Anna stand einen Augenblick verdutzt da, dann lief sie in die Küche.

Hanni und Nanni, die beiden Dackeldamen, hockten einträchtig vor den Plastiktüten und verbellten zweistimmig Fleisch, Brot, Butter, Käse und weitere schöne Dinge in der Hoffnung, auf diese Weise etwas davon zu ergattern. Anna verstaute alles umständlich in Eisschrank und Tiefkühltruhe. Vier Hundeaugen sahen fassungslos zu, wie die Leckereien eine nach der anderen verschwanden. Dann zogen sich ihre Besitzer beleidigt in ihre Körbchen unter dem Küchentisch zurück und drehten ihrem kaltherzigen Frauchen demonstrativ die Hinterteile zu.

Auf dem Weg ins Wohnzimmer nahm Anna eine am Morgen kalt gestellte Flasche Prosecco und zwei Gläser mit.

„Ügo“, rief sie, „kannst du den Prosecco öffnen, bitte? Ich traue mich nicht, mir fliegt nämlich regelmäßig der Korken um die Ohren. – Üügoo?!“ – und entdeckte ihn im Schlafzimmer. Er lag ausgestreckt auf ihrem Bett und fand die Situation völlig normal und in schönster Ordnung. Die Dame in ihr schlug Purzelbäume, und sie sagte empört: „Zieh wenigstens die Schuhe aus, wenn du auf meiner Bettdecke liegst!“

Er ignorierte ihre Empörung einfach. „Ma petite“, sagte er dagegen zärtlich, streckte die Arme nach ihr aus und zog sie zu sich hinunter.

Anna wehrte sich. „Ügo, bitte, lass mir noch ein wenig Zeit zum Umschalten, zum Bedenken und ein wenig mehr Augenblick für die innere Hingabe. Ich möchte dich erst einmal besser kennenlernen …“

„Das können wir doch später nachholen.“

„Aber ich bin aus der Übung und schrecklich altmodisch in diesen Dingen.“

„Heute Morgen warst du es nicht, als du deine Schlafstatt so einladend dekoriert hast.“ Er hielt ihr zauberhaftes Nichts von Nachthemd in die Höhe.

„Gib es sofort her!“, sagte Anna plötzlich zornig und griff danach. Doch Ügo war schneller. Er hielt ihre Arme mit eisernem Griff fest und zog sie neben sich aufs Bett.

Und auf einmal wusste sie nicht, warum ihre Wut so schnell verrauchte. An Ügos männlicher Selbstverständlichkeit lag es bestimmt nicht. Auf so was war sie in ihrem bisherigen Leben noch nie hereingefallen. Vielleicht lag es an seinen unglaublich blauen Augen, die sie jetzt sehr liebevoll anschauten, vielleicht aber auch an der Entschlossenheit seiner Arme, sie nicht wieder loszulassen. Er war so sehr von seiner männlichen Anziehungskraft überzeugt, dass es ihm gar nicht in den Sinn kam, Anna könnte in diesem Moment mehr Ablehnung als Hingabe empfinden. Er ließ sie trotzdem los, und Anna erhob sich. Und während sie sich noch bemühte, oben in ihrem Kopf wieder Anstand und Ordnung herzustellen, setzte sie bereits Flasche und Gläser auf dem kleinen antiken Tischchen ab und bemerkte zu ihrer Überraschung, dass sie unten, sozusagen anstandslos, bereits aus den hochhackigen Pumps stieg.

Mitten in der Nacht wachte Ügo auf. „Ich habe Hunger“, sagte er, küsste Anna auf die Nasenspitze und schob sich aus dem Bett.

„Wo willst du hin?“, fragte diese und richtete sich schlaftrunken auf.

„In die Küche. Ich werde uns jetzt etwas Wundervolles kochen …“

„Um zwei Uhr nachts?“

„Hast du ein Problem damit? Na also, bleib schön liegen. Ich hole dich, wenn ich fertig bin.“ Und entschwand ihren Augen, nachdem er sich ein großes Handtuch um die Hüften geschlungen hatte.

Er ging tatsächlich in die Küche, und bald hörte Anna die Kühlschranktür auf- und zuklappen, der alte Küchenschrank knarrte beim Öffnen, Töpfe und Pfannen klapperten, und irgendetwas begann alsbald leise zu brutzeln. Noch war daran nichts Ungewöhnliches oder gar Zwanghaftes, im Gegenteil: Sie fand es einfach zauberhaft, vielleicht ein bisschen verrückt, doch es schmeichelte ihr auch, dass ein Mann wie er, ein gestandener Doktor, das Ganze inszenierte, um sie mitten in der Nacht mit einem kompletten Menu zu verwöhnen. Mit diesen Gedanken und dem Duft provençalischer Kräuter, der bis in ihr Zimmer zog, schlief sie glücklich und zufrieden wieder ein.

Als Anna von Ügo liebevoll mit einem Kuss geweckt wurde, dämmerte zwischen den Gardinen bereits der Morgen herauf, es war halb vier Uhr früh. Sie griff nach ihrem Morgenmantel, zog ihn über und folgte ihm ins Esszimmer. Überrascht blieb sie in der Tür stehen und schaute auf einen romantisch gedeckten Tisch mit Blumen, Wein, ihrem hübschen provençalischen Geschirr im flackernden Kerzenlicht und einem Fünf-Sterne-Menü, das sich sehen – und vor allen Dingen auch essen – lassen konnte. Sie nahmen am Tisch Platz. Ügo war aufmerksam, hörte ihr zu und gefiel ihr immer besser.

„Du isst ja kaum etwas“, sagte er einmal zwischendurch, und Anna sah in sein enttäuschtes Gesicht. „Schmeckt es dir etwa nicht?“

„Doch, doch“, beteuerte sie sofort. Aber ihr Magen schien ihr nicht mehr größer als der eines Spatzen zu sein. Und sie wusste aus Erfahrung, dass das ausschließlich an ihrem momentanen verliebten Zustand lag. Es war die beste Gelegenheit, um abzunehmen. Doch würde sie aufpassen müssen: In ihrem Alter nahm sie jetzt nur noch an den falschen Stellen ab. „Vorzugsweise im Gesicht“, sagte sie bekümmert. Ügo lachte herzhaft. Das würde er schon zu verhindern wissen, das mit dem Abnehmen!

Salade „cuisine nouvelle“

(Salat der „neuen Küche“)

Zutaten

1 Kopf Endiviensalat

250 g Geflügelleber

Olivenöl

1 Handvoll Haselnüsse

1 Knoblauchzehe

Zubereitung

Den Salat waschen und klein zupfen. Die Geflügelleber in Olivenöl zartrosa anbraten und auf den Salat geben. Die gehackten Haselnüsse und die zerdrückte Knoblauchzehe hinzufügen. Die Salatsoße erst unmittelbar vor dem Servieren darüber geben.

Sauce de salade

(Salatsoße)

1 EL grober Dijon-Senf

2 EL Olivenöl

1 Becher Joghurt

Saft von 1 Zitrone

½ El. Rotweinessig

Salz, Pfeffer

Alles zu einer Soße verrühren.

Er kam von da an mindestens zweimal in der Woche mit seinen prall gefüllten Wundertüten, packte ihre Tiefkühltruhe bis an den Rand voll, kreierte mittags und abends eine ganze Folge von Köstlichkeiten, und Anna kam kaum aus dem Aufräumen und Putzen heraus. Noch machte es ihr nichts aus, denn sie war ja bis zur Unkenntlichkeit verliebt. Auch ihre hübsche Wohnung verlor langsam ihren zarten Biedermeiercharakter und nahm immer mehr behäbige flämische Gemütlichkeit an. Jedes Mal schleppte Ügo irgendetwas aus Flandern an, das er angeblich in sogenannten Brocante-Läden erstanden hatte. Und da es zum Teil aus der Zeit um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert stammte und somit sehr alt war, brachte sie es nicht übers Herz, ihn davon abzuhalten. Doch allmählich schlich sich so etwas wie leises Misstrauen ein. Warum machte er es sich nur bei ihr bequem? Warum verbrachten sie die gemeinsamen Tage ausschließlich hier bei Anna und nie bei ihm in Antwerpen?

Anna hatte das Gefühl, dass sie langsam ein Kapitel außerhalb seines normalen Lebens wurde. Ügo ließ sich so peu à peu bei ihr häuslich nieder. Sie hatte sogar einen eigenen Schlüssel mit silbernem Dackelanhänger für ihn anfertigen lassen. Doch kehrte er nach Belgien zurück, war er für sie kaum erreichbar, selbst am Telefon meldete sich nur die Mailbox. Er entschuldigte sich mit zu vielen Patientenbesuchen, Vertretungen in Krankenhäusern und langwierigen, schwierigen Operationen, die ihn davon abhielten, von sich aus auch mal öfter bei ihr anzurufen. Sie durfte ihn auch nicht besuchen in Belgien, vorläufig wenigstens nicht.

Patience, ma petite, nur etwas Geduld“, versuchte er sie zu beruhigen, „ich bin gerade umgezogen. Alles steht wie Kraut und Rüben durcheinander, viele Kisten sind noch nicht ausgepackt, Tausende von Büchern liegen herum. Ich möchte erst einmal richtig aufräumen.“

Es war zum Heulen. Und wenn sie mal wieder so völlig in der Luft hing und litt, kam ihr mittlerweile ab und zu der Gedanke, ob es nicht besser wäre, die ganze Sache einfach zu beenden. Es geht unweigerlich in die Hose, dachte sie bekümmert, in spätestens ein paar Wochen bin ich ja doch wieder weg vom Fenster.

An einem Wochenende, an dem er bei ihr war, stand Anna am Abschiedsmorgen im Bad, starrte vor sich hin und dachte weiter nichts, als dass sie nicht mehr so glücklich war wie am Anfang. Am liebsten hätte sie gesagt: „Es war schön mit dir, Ügo, du bist ein liebevoller und fürsorglicher Mann, ein zärtlicher Geliebter und ein fröhlicher, ausgezeichneter Koch. Aber du willst mich nur für den Glücksfall oder für den Notfall. Ich will dich für alle Fälle. Ich will die Regel, du die Ausnahme. Du bist offensichtlich kein Mann für den Alltag. Ich werde dich nie vergessen. Aber man soll eine Geschichte beenden, solange sie noch einigermaßen glücklich macht und …“

In diesem Moment trat Ügo leise hinter sie, legte behutsam seine Hände auf ihre Schultern und drehte sie zu sich um. „Ist schon komisch“, sagte er, „wir kennen uns erst so kurz. Mais je t’aime beaucoup, ma petite, mit meinem ganzen Herzen, wirklich.“

„Ich liebe dich doch auch“, sagte Anna und hatte ihre in Gedanken wohlsortierte Rede prompt vergessen. Sie genoss einfach seine Nähe, seine Haut, die Spannung und die Wärme.

Und dann fragte er plötzlich: „Wie schnell kannst du packen? Ich muss heute noch in die Provence fahren, um nach meinem Landhaus zu schauen. Hast du Lust mitzukommen?“

Was für eine Frage! Natürlich würde sie ihn begleiten, auch wenn es ihr so vorkam, als ob sein Grinsen nicht nur etwas Verschmitztes, sondern auch etwas Verlegenes hatte.

Anna wollte Hanni und Nanni, die beiden Dackeldamen, mal wieder schweren Herzens bei Frau Möhrchen anmelden. Doch als Ügo sah, wie alle drei die Öhrchen hängen ließen ob des Trennungsschmerzes, klemmte er sich die Zwerge einfach unter die Arme und tröstete kurz entschlossen: „Ihr kommt mit, sonst kann sich euer Frauchen ja doch nicht richtig auf die Reise mit mir freuen.“

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