Читать книгу Simon gibt sich nicht geschlagen - Ingeborg Arvola - Страница 5
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ОглавлениеAls das Wochenende kommt, wird es Ernst. Ich bin zehn Jahre alt und bis jetzt habe ich mich gewöhnlich auf die Wochenenden gefreut. Da konnte ich von früh bis spät mit Jan zusammen sein, wir konnten tun, was wir wollten. An diesem Freitag gehe ich allein von der Schule nach Hause und ich spüre, wie meine Schritte immer langsamer werden statt schneller. Mir graut vor den vielen freien Stunden.
Ich treibe mich im Garten von Nachbar Olsen herum und ramponiere seine Obstbäume, aber ohne Jan macht das keinen Spaß. Nichts macht Spaß ohne ihn. Während ich die Äste abknicke, schaue ich zu dem Haus an der Kurve auf der anderen Straßenseite hinüber. Dort wohnt Jan, aber alle Fenster sind dunkel und keine Menschenseele ist zu sehen. Niemand harkt Laub. Jan fehlt jetzt seit einer Woche.
Ich habe den Lehrer gefragt, was los ist und warum Jan nicht kommt, aber er hat nur die Augenbrauen gerunzelt und gesagt, Jan sei krank. Ich erklärte dem Lehrer, dass Jan, wenn er wirklich krank wäre, zu Hause im Bett liegen würde, aber der Lehrer zuckte nur mit den Schultern und warf mir einen traurigen Blick zu, als wüsste er etwas, was ich nicht weiß. Und da fielen mir die dunklen Flecken auf dem Teppich ein. Und mir fiel ein, dass man bei einer ernsten Krankheit nicht zu Hause im Bett liegt, sondern im Krankenhaus, mit Schläuchen in den Armen und in der Nase.
Nachbar Olsen ist übers Wochenende weggefahren, ich brauche ihn also nicht zu fürchten. Gewöhnlich regt er sich so auf, dass er fast keine Luft mehr bekommt. Dann greift er sich ans Herz, und weil er ziemlich dick ist, tippe ich auf herzkrank. Wenn er nach einer Verfolgungsjagd ins Haus zurückhumpelt, muss er wahrscheinlich seine Herztabletten nehmen. Ich trete gegen eine seiner Zaunlatten, dass sie abbricht. Wie Kung-Fu. Das sollte der Psychodoktor mal sehen. Dann würde ihm endlich sein widerliches Lachen vergehen. Dann würde er merken, wie gefährlich ich bin. Ich trete gegen die nächste Zaunlatte, aber die sitzt fest und ich verstauche mir fast den Fuß.
Vielleicht sollte ich noch mal rüber zu Jans Haus schauen, mir die dunklen Flecken genauer betrachten. Aber dann graut es mir vor dem leeren Haus und ich habe ein komisches Gefühl im Magen. Nein, das lasse ich lieber sein. Aber ich bin doch kein ängstlicher kleiner Junge! Und Jan kann unmöglich im Krankenhaus sein. Niemand schafft es, dass Jan ruhig in einem Bett liegen bleibt. Es passt einfach nicht zu Jan, im Krankenhaus zu sein. Wie gerne wäre ich jetzt zu Hause, würde vor der Glotze sitzen und Süßigkeiten naschen. Aber da hockt der Psychodoktor und massiert Mamas Füße. Und vor der Tür steht sein Auto und grinst mich höhnisch an. Denn jetzt ist er endgültig bei uns eingezogen und jetzt ist er der Stiefvater, wie er angekündigt hat. Ich protestiere dagegen, indem ich mich im Freien aufhalte. Ich friere ziemlich und bin wütend auf Mama, die nicht kommt und sich um mich kümmert. Ich freue mich auf Montag. Dieses Wochenende hat tausend Jahre gedauert. Und vielleicht kommt ja nach dem Wochenende Jan wieder?
Ich wühle in der Schublade und finde das Tagebuch. Bis jetzt habe ich kein Wort hineingeschrieben. Vielleicht würde ich etwas hineinschreiben, wenn ich es »Beknacktes Tagebuch« nenne statt »Liebes Tagebuch«? Liebe ist ein schmalziges Wort. Was das andere bedeutet, weiß ich nicht genau. Obwohl ich das Wort täglich recht oft in den Mund nehme. Mama schnaubt nur kurz, wenn ich sie beknacktes Weib nenne, und Stiefvater sagt jedes Mal, wenn ich ihn einen beknackten Typen nenne, mir fehle es an Fantasie. »Lass dir etwas Besseres einfallen«, sagt er nur. Jan und ich haben uns alle möglichen Schimpfwörter ausgedacht, aber das geht ja jetzt nicht mehr. Es war jedenfalls umsonst, sich auf den Montag zu freuen, und auch auf den Dienstag, den Mittwoch und den Donnerstag. Das steht fest.
Niemand weiß, wann Jan zurückkommt. Er ist tatsächlich im Krankenhaus. Kürzlich bat uns der Lehrer, still zu sein, und dann erzählte er, dass Jan im Krankenhaus liege und niemand ihn besuchen dürfe. Jedenfalls vorerst nicht. Der Lehrer wollte nicht damit herausrücken, was Jan fehlt oder wie lange er wegbleiben wird. Ich sackte hinter meiner Bank zusammen wie ein Ballon, in den man ein Loch gestochen hat.
Ohne Jan ist das Leben ein Trauerspiel. Thomas hat seine Taktik geändert: Statt zu prügeln mobbt er mich. Wo immer ich mich in den Pausen aufhalte, verfolgt mich eine Meute und hört nicht auf, mir die schlimmsten Schimpfwörter an den Kopf zu werfen. Ich würde sie am liebsten kurz und klein schlagen, aber sobald ich angreife, schubsen sie mich nur weg und mobben mich weiter. Die Pausenaufsicht muss ständig auf mich aufpassen und das ist beinahe noch schlimmer. Früher mussten die anderen vor mir geschützt werden.
Zu allem Überfluss hat mich der Lehrer neben Runa gesetzt. Anfangs war es lustig, sie an den Haaren zu ziehen. Weil sie sofort zu heulen anfängt. Aber jetzt ruft immer jemand, wenn ich sie nur berühre, dass ich in Runa verliebt bin. Alle behaupten, wir seien ein Liebespaar! Heute hat mich sogar Runa gefragt, ob wir ein Liebespaar sind. Ich bin so wütend geworden, dass ich kein Wort mehr herausgebracht habe. Ich habe meine Schultasche genommen und bin nach Hause gegangen. Das war keine gute Idee, denn Stiefvater hatte ebenfalls frei genommen und stand in der Küche und knutschte mit Mama, als ich reinkam. Warum kann er nicht tot umfallen? Wer hätte gedacht, dass die Welt so ungerecht ist? Warum hat Mama behauptet, dass sie Männer hasst? Ich habe sie gefragt und sie antwortete, dieser hier sei anders als die anderen Männer. »Du wirst schon sehen, Simon«, sagte sie. Aber ich will es nicht sehen. Wenn der Typ nicht so ist wie andere Männer, dann nur, weil er noch schlimmer ist! Ich klappe das Tagebuch zu, ich will diesem Stiefvater jetzt sagen, was er in Wirklichkeit für ein Blödmann ist.
Er schließt gerade seinen Computer an. Es macht mich ganz verrückt, zu sehen, wie er mit Besitzerstolz den Stecker einsteckt und auf einen Knopf drückt. Der Computer beginnt zu surren und der Stiefvater geht zufrieden summend in die Küche, um sich eine Tasse Tee aufzubrühen. Ich starre den Computer an, so weiß und vollkommen und schön, wie er glänzt, und ohne weiter darüber nachzudenken, gehe ich ins Bad, fülle einen Zahnbecher mit Wasser und gieße den ganzen Becher in den PC. Als der Stiefvater mit einer Tasse Tee wieder ins Zimmer kommt, stellt er fest, dass der Computer doch nicht funktioniert. Keine Kontrolllampe leuchtet. Kein Surren ist zu hören. Er fummelt ein bisschen an den Kabeln herum und drückt auf die Tasten. Man merkt, dass er wenig Ahnung von PCs hat.
»Das Ding läuft nicht, weil jemand Wasser hineingegossen hat«, sage ich.
»Tatsächlich?«, sagt er leise und seine Augen verdunkeln sich.
»Ja, tatsächlich.«
»Und du meinst, der Computer ist jetzt kaputt?« Er fährt sich über die Stirn und sieht mich an.
»Ja, Totalschaden«, sage ich und reibe mich voller Schadenfreude am Türrahmen.
»Nun denn«, sagt er.
Er hat immer noch die dampfende Teetasse in der Hand, schaut von der Tasse zu mir und zurück. Ich grinse boshaft. Plötzlich dreht er mir den Rücken zu und verschwindet mit schnellen Schritten in der Küche. Ich höre das Auf- und Zuklappen von Schranktüren. Diesmal habe ich es geschafft, ihn zur Weißglut zu bringen. Endlich! Jetzt ist er nicht mehr der Überlegene. Diesmal bin ich es, der lacht. Ich grinse böse und breit, als er ohne Teetasse zurückkommt.
»Nun denn«, wiederholt der Schleimer, und statt wütend auszusehen lächelt er ebenso breit zurück, fährt mir sogar durchs Haar.
Ich spüre, wie mein Lächeln verblasst.
»Ich habe das Wasser in den PC gegossen«, sage ich und betone jedes Wort.
»Das habe ich mir fast gedacht.«
»Ärgert dich das nicht?«
»Nicht besonders.«
»Ich habe es absichtlich getan.«
»Das ist doch nicht möglich«, sagt dieser Schleimer. »Und ich habe schon gedacht, es sei dir aus Versehen passiert, während du tief in philosophische Überlegungen versunken an einem randvoll gefüllten Glas Wasser genippt hast.«
»Es war kein Versehen.«
»Nein, das ist wahr. Jetzt fällt es mir ein: Du trinkst ja nur Schokoladenmilch und tief schürfende Gedanken sind dir fremd.«
»Genau«, antworte ich, obwohl ich mir unsicher bin, was er mit dem, was er sagt, meint.
»Immerhin«, sagt er nun, »hast du so viel Ahnung von PCs, dass du weißt, wie schädlich Wasser für sie ist, und vielleicht weißt du noch mehr.«
»Jedenfalls weiß ich mehr als du!«, sage ich.
»Ausgezeichnet. Dann begleitest du mich vielleicht ins Geschäft, um einen neuen zu kaufen? Du kannst das Modell aussuchen, da du dich ja auskennst. Meine Kenntnisse sind etwas überholt. Ich bin mehr auf Nervenkrankheiten spezialisiert.«
Einen PC kaufen! Das wäre einfach super und beinahe gehe ich ihm in die Falle. Aber im letzten Moment unterdrücke ich mein frohes Lächeln, zucke gleichgültig mit den Schultern und tue so, als ließe mich das ziemlich kalt. Er lächelt hintergründig und nickt. Ekelhaft, dieses Lächeln. Ich ziehe mich zurück und merke, wie sehr ich diesen Typen hasse.
Ich weiß, dass Jan in irgendeinem Krankenhaus liegt, hoffe aber, dass er bald wieder kommt. Wenn nicht, macht Thomas Hackfleisch aus mir oder sie mobben mich so schlimm, dass dauerhafte Schäden Zurückbleiben. Dann werde ich zum totalen Versager, der nichts auf die Reihe kriegt. Die Penner sind so, hat Mama gesagt, wenn sie mir klar machen wollte, dass ich mich um meine Schularbeiten kümmern sollte.
Aber in unserem Städtchen gibt es nicht viele Penner. Hier wohnen nur gewöhnliche Familien, abgesehen von Mama und mir (und dem Stiefvater, grrr), ich weiß also nicht so genau, wie Penner sind. Ich glaube, sie sehen verhungert aus, wie die Afrikaner in den Katastrophengebieten mit den Kindern und den geschwollenen Bäuchen, weil sie nie richtige Hamburger oder Würstchen kriegen, sondern nur Mehlsuppe und Grütze wie die Leute hier in Norwegen, bevor sie Erdöl gefunden haben und reich wurden.
Am schlimmsten ist es, wenn mich Thomas und die anderen damit mobben, dass Jans Vater im Gefängnis sitzt. Das behaupten sie jedenfalls. Ich weiß nicht, ob es stimmt. Der Lehrer hat weder ja noch nein gesagt, als ich ihn gefragt habe. Aber warum sollte Jans Vater im Gefängnis sein? Bei solchen Fragen fallen mir die dunklen Flecken auf dem Teppich ein und es läuft mir kalt den Rücken hinunter. Aber dann schubst mich Thomas von hinten und kläfft: »Du bist ja so bescheuert, Simon!«
Heute hat der Stiefvater gekocht und er ruft mich und Mama zum Essen. Meine Laune bessert sich, als ich sehe, dass es Würstchen gibt. Die hat der Schleimer wahrscheinlich gemacht, weil er sich bei mir einschmeicheln will. Er kennt inzwischen meine Schwachstellen: Würstchen und Geld. Mama kommt mit abwesendem Blick aus ihrem Atelier und setzt sich zu uns.
»Würstchen!«, ruft sie. »Du magst die Dinger offenbar genauso gern wie Simon?«
»Ich kann mir nichts Besseres vorstellen«, sagt der Schleimer.
Ich werfe ihm und Mama einen misstrauischen Blick zu. Was treiben sie jetzt wieder für ein Spiel mit mir?
»Wisst ihr, dass Würstchen aus dem Fleisch bestehen, das man zu nichts anderem mehr gebrauchen kann, also dem Abfall?«, fragt Mama.
»Das ist nicht wahr«, sage ich.
»Nein«, sagt der Psychodoktor, »das ist nur eine Erfindung von einigen armen Müttern, damit sie im Geschäft keine Würste kaufen müssen.«
Ich starre den Stiefvater an und vergesse zu kauen. Hat er das ernst gemeint? Ich schaue prüfend zu Mama.
»Weißt du, Simon«, sagt Mamas Freund mit lachender Stimme, »dass fünf Packungen Würstchen so viel kosten wie eine Farbtube, von denen deine Mutter Tausende in ihrem Atelier hat?«
»Keine Partei ergreifen, Liebster!«, sagt Mama.
»Okay«, gibt er nach. »Erzähl mir dafür, wie es sich eine arme Künstlerin leisten kann, in einem so großen Haus zu wohnen? Ist der eigentliche Besitzer draußen im Garten vergraben worden?«
»Das ist Großvaters Haus«, rutscht es mir raus, bevor ich darüber nachdenke. Und ich erzähle dem Psychodoktor von meinem Großvater, an den ich mich nicht erinnern kann, weil ich ihm fast nie begegnet bin.
»Er war ein richtiger Haustyrann«, erklärt Mama.
»Und als Mama ein Kind war, wurde ihr Vater der Bürgermeister genannt, weil er sich immer in die Angelegenheiten anderer Leute eingemischt hat. Einmal hat der Bürgermeister gesehen, wie eine junge Mutter mit Kinderwagen und einer Zigarette im Mund an seinem Haus vorbeispaziert ist. Da hat er sofort das Jugendamt angerufen! Wenn Mama meint, dass ich besonders stur bin, sagt sie, ich bin wie Großvater.«
»Und das ist nicht als Kompliment gemeint, Simon«, wirft Mama ein.
»Dann ist der Bürgermeister gestorben und wir sind hierher in dieses Städtchen gezogen. Ich war damals fünf Jahre alt und weiß noch, wie sich Mama gefreut hat. Sie hat gesungen und gelacht und die weißen Zimmer alle gelb, rot und blau gestrichen. Und ich bin mit Farbspritzern auf Hemd und Hose in der Nachbarschaft herumgelaufen, weil ich immer irgendwo an der feuchten Farbe hängen blieb. Mama hat erzählt, dass eine Woche nach unserem Einzug jemand vom Jugendamt vor der Tür stand. Einer der Nachbarn hat mich mit den Farbflecken gesehen und dort angerufen.«
»Wie früher der Bürgermeister«, kichert Mama. »Kaum war die Tante vom Jugendamt weg, habe ich den Pinsel genommen und auf alle Kleidungsstücke von Simon große Flecken gemalt. Dann habe ich ihn zu einem Rundgang durch das Städtchen losgeschickt. Für jede Straße, durch die er ging, bekam er zehn Kronen.«
Ich nicke grinsend und stopfe die letzten Würstchen in mich rein. Da begegne ich dem Blick von Mamas Freund und er sieht glücklich aus. Plötzlich wird mir klar, dass ich während des ganzen Essens geredet habe. Ich habe ihm Dinge erzählt wie in einer völlig normalen Familie am Mittagstisch, in bester Stimmung. Ich richte mich auf und mache ein grimmiges Gesicht. Der Psychodoktor lächelt sanft.
»Nimm’s nicht zu schwer, Simon«, sagt er, »ich werde es keinem erzählen.«
Später versuche ich den harmonischen Mittagstisch bei Mama ungeschehen zu machen. Ich erkläre ihr immer wieder, dass ihr neuer Freund eben auch ein Mann sei, und sie müsse doch begreifen, was sie für einen fürchterlichen Fehler begehe. Aber Mama schüttelt nur den Kopf und sieht verliebt aus. Einfach hoffnungslos mit den beiden. Kein Wunder, dass ich die meiste Zeit nicht zu Hause bin. Sie turteln miteinander, dass es nicht auszuhalten ist. Sie kichern und küssen und tanzen und finden es so »hübsch« (ihh, was für ein Wort!) mit den Kerzen auf den Fenstersimsen.
Nach dem harmonischen Abendessen sehe ich nur noch einen Ausweg: die Flucht. Ich hecke den Plan aus, nach Amerika abzuhauen. Und das hätte ich vielleicht auch tun sollen. Aber es gibt da auch noch einen zweiten Plan: diesen Stiefvater loszuwerden. Dieses Vorhaben versuche ich in die Tat umzusetzen. Ich halte einen Arm in die Türöffnung und werfe mit der anderen Hand die Tür mit aller Kraft zu. Das tut höllisch weh. Ich muss mich mit geschlossenen Augen in eine Ecke setzen und bis fünfhundert zählen, damit ich nicht zu heulen anfange. Als ich die Augen wieder öffne, zieht sich ein dunkelblauer Streifen quer über meinen Unterarm. Das müsste reichen, denke ich zufrieden und gehe ins Bett.
Als Mama kommt, um mir Gute Nacht zu sagen, schluchze ich und sage, dass mich der Stiefvater mit einem Stock geschlagen hat.
»Was sagst du da, Simon?«
»Der Stiefvater hat mich geschlagen«, flüstere ich, diesmal etwas lauter.
»Hör auf mit dem Blödsinn, Simon. So etwas Gemeines sagt man nicht.«
»Er hat es aber getan!«
»Ich will nichts mehr davon hören. Manchmal übertreibst du einfach, Simon. Mit so was macht man keine Späße.«
»Aber schau doch her!«, rufe ich und zeige ihr den Arm.
»Schluß jetzt! Ich liebe ihn. Und daran wirst du dich gewöhnen müssen.«
»Dein Freund ist genauso wie Jans Papa. Manchmal wird er gefährlich böse und schlägt um sich. Obwohl ihn Jans Mama liebt. Kann sein, dass du den Kerl liebst, Mama, aber du weißt ja: Liebe macht blind.«
»Das ist etwas anderes, Simon. Jans Papa ist gewalttätig. Er sitzt im Gefängnis. Ich dachte übrigens, du wüsstest, was passiert ist. Hat es dir niemand erzählt?«
»Nein, niemand«, antworte ich. »Keiner weiß etwas, aber alle reden davon. Ist es wahr?«
»Ja, es ist wahr, aber jetzt denk nicht mehr daran und schlaf! Und hör auf, so gemein über deinen Stiefvater zu reden.«
Mama gibt mir einen Kuss und verlässt mein Zimmer. Ich höre, wie sie sich halblaut mit dem Psychodoktor unterhält. Gewalttätig? Jans Papa ist gewalttätig. Wahrscheinlich ist Jan deshalb im Krankenhaus. Ich streiche über den blauen Fleck am Arm. Ich halte Mamas Freund nicht für gewalttätig, was aber nicht heißt, dass ich ihn nicht so nenne. Ich will so viele Gemeinheiten über ihn erfinden wie möglich. Dann verschwindet er vielleicht. Mit diesem Vorsatz schlafe ich zufrieden ein.