Читать книгу Simon gibt sich nicht geschlagen - Ingeborg Arvola - Страница 6
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ОглавлениеDer Psychodoktor hat vielleicht gedacht, er könnte mich mit seinem Vorschlag, dass ich den neuen PC aussuchen soll, bestechen. Und es gelingt ihm beinahe, denn ich schaffe es nicht, nein zu sagen, vergesse mich völlig und lache laut, als ich die Anlage mit dem coolsten Design auswähle. Erst als er die Kreditkarte herauszieht um zu zahlen, besinne ich mich. Ich ziehe den Verkäufer zur Seite, schiebe den einen Ärmel meines Pullovers zurück und zeige ihm den blauen Fleck. Mit leiser Stimme erzähle ich ihm, dass mich dieser Mann, mein Stiefvater, mit einem riesigen Knüppel geschlagen hat. Als wir die Kartons hinaus ins Auto tragen, mustert der Verkäufer den Stiefvater misstrauisch und der verhält sich auf der Heimfahrt still und nachdenklich. Erst als wir vor dem Haus parken, lächelt er wieder, als sei nichts geschehen. Seine gute Laune macht mich ganz fertig. Ich seufze tief und wir tragen den neuen PC hinein. Jetzt habe ich eine Woche lang diesen Kerl als gewalttätig bezeichnet und es hat nichts genützt. Weil er Psychiater ist, sage ich zu ihm, seine Patienten würden immer Spritzen bekommen, die ungesund sind, und das sei seine Schuld.
»Ein guter Psychiater würde sie gesund machen«, sage ich triumphierend.
Da sagt er nur, er könne mich auch nicht ausstehen.
»Wie kann eine so nette Mama wie deine einen Sohn wie dich bekommen?«, fragt er.
In der Schule schreibt Runa mir einen Zettel. »Wie geht es Jan?« steht darauf. Ich schnäuze mich in den Zettel und lege ihn in ihr Buch. Als sie es merkt, läuft sie heulend zum Lehrer. Wenigstens ein Lichtblick an diesem Tag.
Runa denkt wirklich, dass wir ein Liebespaar sind. Sie streichelt meine Hand, wenn ich schlimme Sachen zu ihr sage.
»Simon geht es zur Zeit nicht so gut«, höre ich sie zu einem anderen Mädchen sagen.
Sie verteidigt mich! Ich renne zu ihr und schubse sie in eine Pfütze. Danach ist sie so nass, dass sie nach Hause gehen muss, um sich nicht zu erkälten.
In den letzten Tagen haben sie mich fast nur gemobbt, weil Jan mein bester Freund ist und weniger, weil ich ein kleines, fettes und blödes Großmaul bin. Damit verhöhnen sie mich gewöhnlich. Es vergehen keine fünf Minuten und ich werde daran erinnert, dass Jan im Krankenhaus und sein Vater im Gefängnis ist. Das macht mich fuchsteufelswild. Ich weiß fast nicht mehr, ob ich mir wünschen soll, dass Jan zurückkommt. Doch, das sollte er schon, dann könnten wir die anderen verprügeln, bis sie nicht mehr wissen, wie sie heißen! Aber wenn wir wirklich die besten Freunde sind, warum hat er mir dann nicht erzählt, was los ist? Oder hat er das sogar getan, wenn er die Streitereien seiner Eltern erwähnte? Ich dachte immer, sie zankten sich darum, wer abwäscht oder den Rasen mäht, das Übliche eben, und dass Jans Vater leicht ausrastet und deshalb mit der Faust auf den Tisch haut. Möchte bloß wissen, wie lange Jan noch wegbleibt.
Wenn ich den Lehrer frage, ob Jan Gehirnhautentzündung hat oder gebrochene Rippen oder was mir sonst noch einfällt, sagt der Lehrer jedes Mal: »Nein, Simon, das gerade nicht.« Er weigert sich mir zu sagen, was Jan hat, und danach bin ich genauso schlau wie vorher. »Nicht gerade gebrochene Rippen!« Was meint er damit? Und warum kann ich ihn nicht besuchen? Mir fallen die dunklen Flecken auf dem Teppich ein und dass Jans Vater im Gefängnis sitzt. Das ist alles so unheimlich. Warum hat mich Jan nicht angerufen und gesagt, wo er ist? Kann er nicht mehr reden? Noch während ich nachdenke, rempelt mich jemand von hinten mit aller Wucht und ich liege am Boden. Thomas steht über mir und ruft: »Du bist so unheimlich doof, du Schwachkopf!«
Ich stehe am Zaun zu Nachbar Olsen und versuche ihm klar zu machen, was der Neue in unserem Haus für ein schlechter Mensch ist. Den blauen Fleck habe ich ihm schon gezeigt. Olsen müsste genauso daran interessiert sein wie ich, dass dieser Mann verschwindet. Bis jetzt hat immer Olsen meiner Mama geholfen, hat neue Sicherungen eingeschraubt und ihr den Rechen geliehen, wenn er meinte, sie sollte endlich das Laub wegmachen.
»Eigentlich ist dieser Psychodoktor selber nicht richtig im Kopf«, sage ich. »Ich weiß, dass er verrückt ist«, sage ich. »Seine Patienten sind genauso bekloppt wie du mit deinen trockenen Weihnachtskeksen«, sage ich.
Olsen schüttelt nur den Kopf und recht weiter. Wahrscheinlich glaubt er mir nicht. Da warne ich ihn, sage zu ihm, er solle bloß aufpassen, dass ihm der Psychodoktor keine von seinen Spritzen verpasst und ihn danach in die Klapsmühle steckt. Dann schnäuze ich mich und gehe ins Haus. Wo er natürlich schon auf mich wartet, dieser verdammte Stiefvater.
»Warum erzählst du so einen Unsinn über mich?«, fragt er. Ich stelle mich taub. »Man könnte fast annehmen, dass du mich eigentlich magst, das aber nicht zugeben kannst.«
»Ich mag dich überhaupt nicht!«, schreie ich wütend.
»Und du bist ein ekelhafter, kleiner Rotzbengel«, sagt er, streicht mir über den Kopf und lacht.
»Es stimmt aber!«, keife ich.
»Im Grunde müsstest du dir doch wünschen, dass ich wie ein Vater bin und dich zum Fußballspielen mitnehme. Dein Problem ist nur, dass du mich zu deinem Feind erklärt hast, und damit kannst du mich nicht als deinen Stiefvater akzeptieren.«
»Du bist krank im Hirn«, schrie ich. »Krank, krank, krank!«
Und dann macht dieser Typ etwas, was ich nicht verstehe. Mitten in diesem Streit, als ich ihm schon voller Hass an die Gurgel springen will, damit er mit diesem Vatergerede aufhört, sagt er: »Was hältst du davon, wenn wir trotzdem miteinander Fußball spielen? Wir müssen uns ja deshalb nicht mögen.«
Da weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll. Er hat ja Recht. Ich spiele oft mit Thomas und den anderen Jungen Fußball, obwohl sie mich hänseln. Obwohl ich sie nicht mag. Etwas Lustiges will ich auf keinen Fall mit dem Psychostiefvater machen, aber Ballspielen liebe ich einfach über alles. Es endet damit, dass wir einige Stunden miteinander spielen. Und es macht einfach Spaß, auch wenn ich das Gefühl habe, dass er mich schon wieder geleimt hat. Immerhin lässt er mich nicht gewinnen. Obwohl er so tut als ob. Ich nenne ihn einen Lügner und versetze ihm einen Rempler, dann renne ich vor ihm nach Hause. Es ist Essenszeit. Ich bin hungrig wie ein Wolf, aber ich werde ihm nicht zeigen, dass es mir schmeckt. Eines schönen Tages wird er einsehen müssen, dass er nicht hierher gehört.